TE Bvwg Erkenntnis 2021/6/28 W128 2234966-1

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Veröffentlicht am 28.06.2021
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Entscheidungsdatum

28.06.2021

Norm

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


W128 2234966-1/19E

Schriftliche Ausfertigung des am 29.04.2021 mündlich verkündeten Erkenntnisses:

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Michael FUCHS-ROBETIN als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , syrischer Staatsangehöriger, vertreten durch RA Mag. Dr. Georg KLAMMER, gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 07.08.2020, Zl. 1257964806/200063315, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I.       Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein syrischer Staatsangehöriger sunnitisch-muslimischen Glaubens und Angehöriger der Volksgruppe der Araber, stellte am 16.01.2020 einen Antrag auf internationalen Schutz. Bei seiner Erstbefragung am 17.01.2020 nannte er als Fluchtgrund, dass er aus seinem Haus vertrieben worden und aus Angst für sich und seine Kinder in die Türkei geflüchtet sei. In der Türkei habe man ihn und seine Familie unterdrückt, nach Syrien hätte er jedoch nicht zurückgehen können. Nun suche er ein sicheres Land für sich und seine Familie.

2. Im Rahmen seiner niederschriftlichen Einvernahmen vor dem BFA am 23.06.2020 gab der Beschwerdeführer zusammengefasst an, dass er von der syrischen Regierung gesucht werde, da sein Name auf einer Liste stehen würde und er bezüglich des Militärdienstes bereits kontaktiert worden sei. Es herrsche Krieg und Unsicherheit in Syrien, weshalb er 2013 mit seiner Familie legal in die Türkei gegangen sei. In Syrien habe er neun Jahre die Schule besucht und von 1990 bis 1993 seinen Militärdienst als einfacher Soldat bzw. Fahrer in Damaskus abgeleistet. Von 2007 bis 2013 sei er für einen Mann als LKW-Fahrer tätig gewesen. Er selbst sei nie Mitglied einer bewaffneten Gruppierung gewesen oder habe an Kampfhandlungen teilgenommen. Seine Ehefrau sowie acht seiner Kinder würden nach wie vor in der Türkei leben, sein ältester Sohn lebe in Deutschland.

3. Mit Bescheid vom 07.08.2020 wies das BFA den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß
§ 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005 (AsylG) ab (Spruchpunkt I.). Zugleich wurde ihm gemäß § 8 Abs. 1 AsylG der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und eine auf ein Jahr befristete Aufenthaltsgenehmigung erteilt (Spruchpunkt III.).

Begründend führte das BFA im Wesentlichen aus, die Fluchtgründe des Beschwerdeführers seien unglaubwürdig. Es sei im Laufe des Verfahrens zu einer massiven Steigerung des Fluchtvorbringens gekommen. So sei es unplausibel, weshalb der Beschwerdeführer die Verfolgung durch die syrische Regierung nicht bereits im Zuge seiner Erstbefragung erwähnt habe. Auch sei es für den Fall einer vorhandenen Verfolgung durch die Regierung nicht nachvollziehbar, weshalb der Beschwerdeführer mit seiner Familie 2013 legal aus Syrien hätte ausreisen können. Zudem habe der Beschwerdeführer es auch über Nachfrage nicht vermocht, Verfolgungshandlungen darzulegen.

4. Gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheides erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde, in welcher er vorbrachte, aufgrund der realisierten Flucht und somit seines Fernbleibens vom Staatsdienst in Syrien als Deserteur betrachtet zu werden, weshalb er bei einer Rückkehr mit staatlicher Verfolgung zu rechnen habe. Er habe seine Heimat daher aus der begründeten Furcht verlassen, vom syrischen Staat verfolgt zu werden. Das BFA habe sich auch nicht mit dem konkreten Vorbringen des Beschwerdeführers befasst, sondern nur grundsätzlich festgestellt, der Beschwerdeführer habe Syrien aufgrund der allgemeinen Kriegslage verlassen. Auch habe das BFA, aufgrund fehlender Feststellungen sowie Befragungen zu den Konsequenzen der Wehrdienstverweigerung in Syrien, seine Ermittlungspflicht verletzt.

5. Am 29.04.2021 fand eine mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht statt, in welcher am Ende das vorliegende Erkenntnis mündlich verkündet wurde.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen

1.1. Zum Beschwerdeführer

1.1.1. Der am XXXX geborene, somit 50-jährige Beschwerdeführer, ist syrischer Staatsangehöriger, bekennt sich zum sunnitisch-muslimischen Glauben und gehört der Volksgruppe der Araber an. Seine Muttersprache ist Arabisch. Er ist verheiratet und hat neun Kinder. Sein ältester Sohn lebt in Deutschland, eine seiner Töchter in den Niederlanden und seine restliche Familie in der Türkei. Der Beschwerdeführer wuchs im Dorf XXXX , Provinz XXXX , auf, wo er auch bis zu seiner Ausreise lebte. Er besuchte in Syrien neun Jahre lang die Schule. In einem nicht mehr genau feststellbaren Zeitraum zwischen 1989 und 1993 leistete der Beschwerdeführer seinen Militärdienst in Damaskus ab.

Im Jänner 2013 reiste der Beschwerdeführer mit seiner Familie legal aus Syrien in die Türkei, wo sie bis 2019 gemeinsam lebten. 2019 verließ der Beschwerdeführer die Türkei ohne seine Familie, reiste Anfang 2020 schlepperunterstützt in Österreich ein und stellte am 16.01.2020 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

1.1.2. Dem Beschwerdeführer droht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit nicht der Einzug als Reservist zum Militär in Syrien.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer in Syrien aufgrund (unterstellter) oppositioneller Gesinnung Repressalien ausgesetzt gewesen ist oder er solchen im Falle einer Rückkehr nach Syrien ausgesetzt wäre.

1.2. Zur hier relevanten Situation in Syrien

Die Länderfeststellungen zur Lage in Syrien basieren auf der nachstehenden Quelle:

-        Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Syrien in der Fassung der Gesamtaktualisierung vom 23.02.2021

1.2.1. Wehr- und Reservedienst sowie Rekrutierung

Die syrischen Streitkräfte

Für männliche syrische Staatsbürger ist im Alter zwischen 18 bis 42 Jahren die Ableistung eines Wehrdienstes von zwei Jahren gesetzlich verpflichtend. Laut Gesetzesdekret Nr. 30 von 2007 Art. 4 lit b gilt dies vom 1. Januar des Jahres, in dem das Alter von 18 Jahren erreicht wird, bis zum Überschreiten des Alters von 42 Jahren. Zusätzlich gibt es die Möglichkeit eines freiwilligen Militärdienstes. Frauen können ebenfalls freiwillig Militärdienst leisten. Palästinensische Flüchtlinge mit dauerhaftem Aufenthalt in Syrien unterliegen ebenfalls der Wehrpflicht, dienen jedoch in der Regel in der Palestinian Liberation Army (PLA) unter palästinensischen Offizieren. Diese ist jedoch de facto ein Teil der syrischen Armee. Auch Binnenvertriebene sind wie andere Syrer zur Ableistung des Wehrdienstes verpflichtet und werden rekrutiert.

Nach dem Ausbruch des Konfliktes stellte die syrische Regierung die Abrüstung von Rekruten, welche den verpflichtenden Wehrdienst geleistet hatten, ein. 2018 wurde mit der Entlassung der ältesten Rekrutenklassen begonnen, welche seit 2011 im Dienst waren. Zahlreiche Männer leisten ihren Wehrdienst jedoch auch weiterhin über den verpflichtenden Zeitraum hinaus ab.

Gemäß Artikel 15 des Gesetzesdekrets Nr. 30 von 2007 bleibt ein syrischer Mann nach Beendigung des Pflichtwehrdienstes, wenn er sich gegen einen Eintritt in den Militärdienst als Berufssoldat entscheidet, Reservist und kann bis zum Alter von 42 Jahren in den aktiven Dienst einberufen werden. Es liegen einzelne Berichte vor, denen zufolge die Altersgrenze für den Reservedienst erhöht wird, wenn die betreffende Person besondere Qualifikationen hat (das gilt z.B. für Ärzte, Panzerfahrer, Luftwaffenpersonal, Artilleriespezialisten und Ingenieure für Kampfausrüstung). Manche Personen werden wieder zum aktiven Dienst einberufen, andere wiederum nicht, was von vielen verschiedenen Faktoren abhängt. Es ist sehr schwierig zu sagen, ob jemand tatsächlich zum Reservedienst einberufen wird.

Die syrische Armee hat durch Verluste, Desertion und Überlaufen zu den Rebellen einen schweren Mangel an Soldaten zu verzeichnen. Die syrische Regierung hat das syrische Militärdienstgesetz während des Konflikts mehrfach geändert, um die Zahl der Rekruten zu erhöhen. Der Personalbedarf des syrischen Militärs bleibt unverändert hoch, und seit Dezember 2018 haben sich die Rekrutierungsbemühungen aufgrund dessen sogar noch verstärkt. Während ein Abkommen zwischen den überwiegend kurdischen Syrian Democratic Forces (SDF) und der syrischen Regierung vom November 2019 die Stationierung von Truppen der syrischen Streitkräfte in vormals kurdisch kontrollierten Gebieten vorsieht, hat die syrische Regierung aufgrund von mangelnder Verwaltungskompetenz bislang keinen verpflichtenden Wehrdienst in diesen Gebieten wiedereingeführt.

Bei der Einberufung neuer Rekruten sendet die Regierung Wehrdienstbescheide mit der Aufforderung, sich zum Militärdienst anzumelden, an Männer, die das wehrfähige Alter erreicht haben. Die Namen der einberufenen Männer werden in einer zentralen Datenbank erfasst. Männer, die sich beispielsweise im Libanon aufhalten, können mittels Bezahlung von Bestechungsgeldern vor ihrer Rückkehr nach Syrien überprüfen, ob sich ihr Name in der Datenbank befindet.

Die Regierung hat in vormals unter der Kontrolle der Oppositionskräfte stehenden Gebieten, wie z.B. Ost-Ghouta, Zweigstellen zur Rekrutierung geschaffen. Wehrdienstverweigerer und Deserteure können sich in diesen Rekrutierungszentren melden, um nicht länger von den Sicherheitskräften gesucht zu werden. In vormaligen Oppositionsgebieten werden Listen mit Namen von Personen, welche zur Rekrutierung gesucht werden, an lokale Behörden und Sicherheitskräfte an Checkpoints verteilt. Ein „Herausfiltern“ von Militärdienstpflichtigen im Rahmen von Straßenkontrollen oder an einem der zahlreichen Checkpoints ist weit verbreitet.

So errichtet die Militärpolizei beispielsweise in Homs stichprobenartig und nicht vorhersehbar Straßenkontrollen. Die intensiven Kontrollen erhöhen das Risiko für Militärdienstverweigerer, verhaftet zu werden. Rekrutierungen finden auch in Ämtern statt, beispielsweise wenn junge Männer Dokumente erneuern wollen, sowie an Universitäten, in Spitälern und an Grenzübergängen, wo die Beamten Zugang zur zentralen Datenbank mit den Namen der für den Wehrdienst gesuchten Männer haben. Nach Angaben einer Quelle fürchten auch Männer im wehrfähigen Alter, welche vom Militärdienst laut Gesetz ausgenommen sind oder von einer zeitweisen Amnestie vom Wehrdienst Gebrauch machen wollen, an der Grenze eingezogen zu werden. Während manche Quellen davon ausgehen, dass insbesondere in vormaligen Oppositionsgebieten (z.B. dem Umland von Damaskus, Aleppo, Dara‘a und Homs) immer noch Rekrutierungen mittels Hausdurchsuchungen stattfinden, berichten andere Quellen, dass die Regierung nun weitgehend davon absieht, um erneute Aufstände zu vermeiden. Weiters rekrutieren die syrischen Streitkräfte in Lagern für Binnenvertriebene.

Die Behörden ziehen vornehmlich Männer bis zu einem Alter von 27 Jahren ein, während Ältere sich eher auf Ausnahmen berufen können. Dennoch wurden die Altersgrenzen fallweise angehoben und auch Männer bis zu einem Alter von 55 Jahren eingezogen, bzw. konnten Männer nach Erreichen des 42. Lebensjahres die Armee nicht verlassen. Die Altersgrenze hängt laut Experten eher von lokalen Entwicklungen und den Mobilisierungsbemühungen der Regierung ab, als von allgemeinen Einberufungsregelungen. Generell hat sich das Maß der Willkür in Syrien im Zuge des Konfliktes erhöht. Manche Quellen berichten, dass ihnen keine Fälle von Rekrutierungen über-42-Jähriger nach 2016 bzw. 2018 bekannt seien. Gemäß anderen Quellen soll es jedoch zu Einberufungen von über-42-jährigen Rückkehrern aus dem Libanon und Jordanien als Reservisten gekommen sein, wobei es sich nicht um Zwangsrekrutierungen handelte.

Mitte Oktober 2018 berichteten regierungsnahe Medien, dass etwa 800.000 Männer nicht mehr für den Reservedienst benötigt werden. Eine Reihe Syrer kehrten daraufhin nach Syrien zurück, wobei manche über Beziehungen in der Heimat ihren Wehrdienststatus überprüfen ließen und sich versicherten, dass sie tatsächlich nicht mehr gesucht werden. Zumindest manche der Rückkehrer wurden wenige Wochen später eingezogen, nachdem das Verteidigungsministerium im Dezember 2018 neue Einberufungslisten für den Reservedienst veröffentlichte und so die vorherige Entscheidung aufhob. Die Gründe für diese Verkettung von Ereignissen ist jedoch laut International Crisis Group schwer zu ermitteln.

Im November 2017 beschloss das syrische Parlament eine Gesetzesnovelle der Artikel 74 und 97 des Militärdienstgesetzes. Die Novelle besagt, dass jene, die das Höchstalter für die Ableistung des Militärdienstes überschritten haben und den Militärdienst nicht abgeleistet haben, aber auch nicht aus etwaigen gesetzlich vorgesehenen Gründen vom Wehrdienst befreit sind, eine Kompensationszahlung von 8.000 USD oder dem Äquivalent in SYP leisten müssen. Diese Zahlung muss innerhalb von drei Monaten nach Erreichen des Alterslimits geleistet werden. Wenn diese Zahlung nicht geleistet wird, ist die Folge eine einjährige Haftstrafe und die Zahlung von 200 USD für jedes Jahr, um welches sich die Zahlung verzögert, wobei der Betrag 2000 USD oder das Äquivalent in SYP nicht übersteigen soll. Jedes begonnene Jahr der Verzögerung wird als ganzes Jahr gerechnet. Außerdem kann basierend auf einem Beschluss des Finanzministers das bewegliche und unbewegliche Vermögen der Person, die sich weigert den Betrag zu bezahlen, konfisziert werden.

(Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien vom 23.02.2021, S. 45 ff)

Wehrdienstverweigerung und Desertion

Als der syrische Bürgerkrieg 2011 begann, hatte die syrische Regierung Probleme Truppen bereitzustellen, um bewaffneten Rebellengruppen entgegentreten zu können. Die Zahl der Männer, die den Wehr- oder Reservedienst verweigerten, nahm deutlich zu. Eine große Zahl von Männern im wehrfähigen Alter floh entweder aus dem Land, schloss sich der bewaffneten Opposition an oder tauchte unter.

Wehrdienstverweigerer werden laut Gesetz in Friedenszeiten mit ein bis sechs Monaten Haft bestraft [Anm.: die Wehrpflicht besteht dabei weiterhin fort]. In Kriegszeiten wird Wehrdienstverweigerung laut Gesetz mit Gefängnisstrafen von bis zu fünf Jahren bestraft. Bezüglich der Konsequenzen einer Wehrdienstverweigerung gehen die Meinungen der Quellen auseinander. Während manche die Ergreifung eines Wehrdienstverweigerers mit Foltergarantie und Todesurteil gleichsetzen, sagen andere, dass Betroffene sofort eingezogen würden, was von einer Quelle mit dem Bedarf der syrischen Regierung nach Verstärkung in Verbindung gebracht wird. Quellen berichten jedoch auch, dass gefasste Wehrdienstverweigerer riskieren, von den syrischen Behörden vor der Einberufung inhaftiert zu werden. Die Konsequenzen hängen offenbar vom Einzelfall ab.

Im Dezember 2019 trat eine Bestimmung in Kraft, wonach wehrfähige Männer, welche den Wehrdienst bis zu einem Alter von 42 Jahren nicht abgeleistet haben, eine Befreiungsgebühr von 8.000 USD bezahlen müssen, um einer Beschlagnahmung ihres Vermögens, bzw. des Vermögens ihrer Ehefrauen oder Kinder zu entgehen.

Berichten zufolge betrachtet die Regierung Wehrdienstverweigerung nicht nur als eine strafrechtlich zu verfolgende Handlung, sondern auch als Ausdruck von politischem Dissens und mangelnder Bereitschaft, das Vaterland gegen „terroristische“ Bedrohungen zu schützen. Neben anderen Personengruppen sind regelmäßig auch Deserteure and Wehrdienstverweigerer Ziel der umfassenden Anti-Terror-Gesetzgebung der syrischen Regierung.

Zwischen der letzten Hälfte des Jahres 2011 bis zum Beginn des Jahres 2013 desertierten zehntausende Soldaten und Offiziere, flohen oder schlossen sich bewaffneten aufständischen Einheiten an. Seit der zweiten Hälfte des Jahres 2013 sind jedoch nur wenige Fälle von Desertion bekannt.

Desertion wird gemäß dem Militärstrafgesetz von 1950 in Friedenszeiten mit ein bis fünf Jahren Haft bestraft und kann in Kriegszeiten bis zu doppelt so lange Haftstrafen nach sich ziehen. Deserteure, die zusätzlich außer Landes geflohen sind (sogenannte „externe Desertion“), unterliegen Artikel 101 des Militärstrafgesetzbuchs, der eine Strafe von fünf bis zehn Jahren Haft in Friedenszeiten und 15 Jahre Haft in Kriegszeiten vorschreibt. Desertion im Angesicht des Feindes ist mit lebenslanger Haftstrafe zu bestrafen. In schwerwiegenden Fällen wird die Todesstrafe verhängt.

Unterschiedliche Quellen berichten von unterschiedlichen Konsequenzen für Deserteure und Überläufer. Während eine Quelle berichtet, dass Deserteure zwar in früheren Phasen des Krieges exekutiert wurden, habe die syrische Regierung jedoch ihre Vorgehensweise in den vergangenen Jahren geändert und aufgrund des vorherrschenden Bedarfs an Kräften an der Front festgenommene Deserteure unter Umständen vor dem Militärgericht zu kurzen Haftstrafen verurteilt. Eine andere Quelle berichtet jedoch, dass Deserteure üblicherweise von Einheiten des syrischen Geheimdienstes inhaftiert würden, womit sie dem Risiko von Folter und Verschwindenlassen ausgesetzt sein können. Auch berichtet eine weitere Quelle, dass Tötungen und Exekutionen von Deserteuren weiterhin stattfinden, zum Beispiel während der Offensive in Idlib im Jahr 2020.

Repressalien gegenüber Familienmitgliedern können insbesondere bei Familien von "high profile"-Deserteuren der Fall sein, also z.B. solche Deserteure, die Soldaten oder Offiziere getötet oder sich der bewaffneten Opposition angeschlossen haben. Weitere Einflussfaktoren sind der Rang des Deserteurs, Wohnort der Familie, der für dieses Gebiet zuständige Geheimdienst und zuständige Offizier sowie die Religionszugehörigkeit der Familie.

In Gebieten, welche durch sogenannte Versöhnungsabkommen wieder unter die Kontrolle der syrischen Regierung gebracht wurden, werden häufig Vereinbarungen bezüglich des Wehrdienstes getroffen. Berichten zufolge wurden solche Zusagen von der Regierung aber bisweilen auch gebrochen. Auch in den "versöhnten Gebieten" sind Männer im entsprechenden Alter mit der Wehrpflicht oder mit der Rekrutierung durch regimetreue bewaffnete Gruppen konfrontiert. In manchen dieser Gebiete drohte die Regierung auch, dass die Bevölkerung keinen Zugang zu humanitärer Hilfe erhält, wenn diese nicht den Regierungseinheiten beitreten. In ehemals von der Opposition kontrollierten Gebieten landeten zudem einer Quelle zufolge viele Deserteure und Überläufer, denen durch die Versöhnungsabkommen Amnestie gewährt werden sollte, in Haftanstalten oder sie starben in der Haft.

(Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien vom 23.02.2021, S. 50 ff)

2. Beweiswürdigung

Der festgestellte Sachverhalt stützt sich auf die im Rahmen der Feststellungen jeweils in Klammer angeführten Beweismittel und im Übrigen auf nachstehende Beweiswürdigung:

2.1. Die wesentlichen biografischen Feststellungen zum Beschwerdeführer beruhen auf seinen insofern glaubwürdigen Angaben vor dem Bundesverwaltungsgericht. Jedoch konnte der konkrete Zeitraum des vom Beschwerdeführer abgeleisteten Militärdienstes aufgrund der divergierenden Angaben des Beschwerdeführers vor dem BFA und dem Bundesverwaltungsgericht nicht festgestellt werden.

2.2. Die Feststellung, dass dem Beschwerdeführer weder der Einzug als Reservist in die syrische Armee, noch die Verfolgung aufgrund einer (unterstellten) oppositionellen Gesinnung droht, ergibt sich aus folgenden Überlegungen:

Zum einen ist das Vorbringen des Beschwerdeführers widersprüchlich. So gab er an, Syrien verlassen zu haben, da er von der syrischen Regierung aufgrund des Militärdienstes kontaktiert worden sei. In Anbetracht dieser Behauptung ist es jedoch nicht nachvollziehbar, weshalb er – wie er selbst vor dem BFA angab – Syrien 2013 auf legalem Wege verlassen konnte (EV vom 23.06.2020, S. 10). Über Vorhalt dieses Widerspruchs in der mündlichen Verhandlung änderte der Beschwerdeführer sein Vorbringen dahingehend, Syrien schlepperunterstützt verlassen zu haben (VHS vom 29.04.2021, S. 7). Er begründete diese Änderung der Aussage damit, dass zuvor wohl ein Missverständnis vorgelegen habe (VHS vom 29.04.2021, S. 7 f). Dies ist jedoch aufgrund der erfolgten Rückübersetzungen der Einvernahme vor dem BFA (EV vor dem BFA vom 23.06.2020, S. 14 f) weder plausibel noch glaubwürdig.

Auch sagte der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht aus: „In Syrien wurde ich als Reservist einberufen. Meine Wohnung wurde öfter gestürmt, weil sie mich einfach einziehen wollten. Deswegen war ich gezwungen, Syrien zu verlassen, weil ich nicht zum Militär gehen wollte.“ (VHS vom 29.04.2021, S. 6). Diese Angaben stehen jedoch im Widerspruch zu seiner Aussage im weiteren Verlauf der Befragung, wonach er den Einberufungsbefehl erst zwei Tage vor seiner Ausreise erhalten habe (VHS vom 29.04.2021, S. 8).

Zum anderen steigerte der Beschwerdeführer das Fluchtvorbringen im Laufe des Verfahrens. So machte er im Zuge seiner Erstbefragung keine Angaben zu einer erfolgten Einberufung durch das syrische Militär (EB vom 17.01.2020, S. 7). Bei seiner Einvernahme vor dem BFA sowie vor dem Bundesverwaltungsgericht gab er jedoch an, von der syrischen Armee als Reservist einberufen worden zu sein, daraufhin das Land verlassen zu haben und nunmehr von der syrischen Regierung gesucht zu werden (VHS vom 29.04.2021, S. 6 sowie EV vom 23.06.2021, S. 10 f). In Anbetracht dieser Angaben ist es nicht nachvollziehbar, weshalb der Beschwerdeführer die nunmehr behauptete Verfolgung, welche angeblich den tatsächlichen Grund für seine Flucht aus Syrien darstellt, im Rahmen der Erstbefragung nicht einmal erwähnte.

Überdies befindet sich der 50-jährige Beschwerdeführer nicht mehr im wehrdienstfähigen Alter. Zu einer Anhebung der Altersgrenze kommt es – wie oben festgestellt – nur dann, wenn die betreffende Person über besondere Qualifikationen verfügt, welche dem Beschwerdeführer jedoch weder aufgrund des (als einfacher Soldat) abgeleisteten Militärdienstes noch aufgrund seiner bisherigen Tätigkeiten (als LKW-Fahrer) zuzusprechen waren.

Die Angaben des Beschwerdeführers im Falle einer Rückkehr nach Syrien der Gefährdung ausgesetzt zu sein, als Reservist in die syrische Armee eingezogen bzw. von staatlichen Stellen verfolgt zu werden, sind aufgrund der Widersprüchlichkeiten sowie der Steigerung des Vorbringens weder stringent noch glaubwürdig.

2.7. Die Feststellungen zur Situation in Syrien beruhen auf der oben genannten (im Rahmen der mündlichen Verhandlung eingeführten) Quelle. Angesichts der Seriosität dieser Quelle und der Plausibilität ihrer Aussagen, denen auch der Beschwerdeführer nicht entgegentrat, besteht für das Bundesverwaltungsgericht kein Grund, an deren Richtigkeit zu zweifeln.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1 Zu Spruchpunkt A)

3.1.1.  Zur Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten

3.1.1.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F GFK genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.

Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG ist der Antrag abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG) offensteht oder er einen Asylausschlussgrund (§ 6 AsylG) gesetzt hat.

Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

3.1.1.2. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist zentraler Aspekt der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (siehe zuletzt etwa VwGH 21.05.2021, Ra 2019/19/0428, m.w.N.).

3.1.1.3. Es ist dem Beschwerdeführer nicht gelungen, eine drohende Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK glaubhaft zu machen:

So konnte weder festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr der Gefahr ausgesetzt wäre, als Reservist von der syrischen Armee eingezogen, noch vom syrischen Staat verfolgt zu werden.

Es ist demnach im Ergebnis nicht glaubhaft, dass dem Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Syrien eine Verfolgung aus einem der in der GFK genannten Gründe droht, weshalb die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten nicht vorliegen und die Beschwerde sohin als unbegründet abzuweisen war.

3.2. Zur Unzulässigkeit der Revision (Spruchpunkt B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt: Dass dem Beschwerdeführer nicht der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen war, entspricht der oben angeführten Rechtsprechung des Verwaltungs- und Verfassungsgerichtshofs. Zudem waren im Hinblick auf die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten im Wesentlichen Fragen der Beweiswürdigung entscheidend.

Schlagworte

Asylantragstellung asylrechtlich relevante Verfolgung Asylverfahren begründete Furcht vor Verfolgung Bürgerkrieg Desertion Fluchtgründe Glaubhaftmachung Glaubwürdigkeit Militärdienst mündliche Verhandlung mündliche Verkündung schriftliche Ausfertigung Verfolgungsgefahr Verfolgungshandlung wohlbegründete Furcht Zwangsrekrutierung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W128.2234966.1.00

Im RIS seit

27.10.2021

Zuletzt aktualisiert am

27.10.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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