TE Bvwg Erkenntnis 2021/6/30 I417 2172408-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 30.06.2021
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Entscheidungsdatum

30.06.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58 Abs1 Z2
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs2
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


I417 2172408-1/14E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Friedrich Johannes ZANIER als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Nigeria, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 12.09.2017, Zl. XXXX , nach Durchführung von mündlichen Verhandlungen am 24.02.2021 und 22.04.2021 zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1.       Der Beschwerdeführer stellte nach illegaler Einreise am 07.03.2017 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz, welchen er im Wesentlichen damit begründete, dass er von der Organisation „Cultist“ zur Zahlung eines Schutzgeldes erpresst und bei seiner Weigerung geschlagen und schwer verletzt worden sei. Bei einer Rückkehr nach Nigeria befürchte er von der Organisation „Cultist“ getötet zu werden.

2.       Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: belangte Behörde) richtete am 09.03.2017 ein auf Art. 13 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin III-VO) gestütztes Wiederaufnahmeersuchen an Spanien, woraufhin Spanien mit Schreiben vom 08.04.2017 der Übernahme des Beschwerdeführers nicht zustimmte.

3.       In der niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde am 17.05.2017 führte der Beschwerdeführer im Wesentlichen dieselben Fluchtgründe wie in der Ersteinvernahme vom 08.03.2017 - lediglich in detaillierterer Form - an.

4.       Am 21.08.2017 langte bei der belangten Behörde eine Stellungnahme zur Sicherheitslage sowie Okkultismus in Nigeria ein, in welcher er zudem seine Heiratsurkunde, Hochzeitsfotos, sowie den Reisepass und Meldezettel seiner Ehefrau beilegte.

5.       Mit gegenständlich angefochtenem Bescheid vom 12.09.2017 wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) ab. Zudem wurde dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG nicht erteilt, gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Nigeria zulässig ist (Spruchpunkt III.). Ihm wurde eine Frist von zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung zur freiwilligen Ausreise gewährt (Spruchpunkt IV.).

6.       Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer durch seine damals ausgewiesene Rechtsvertretung mit E-Mail vom 22.09.2017 Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht und monierte die Verletzung von Verfahrensvorschriften und inhaltliche Rechtswidrigkeit.

7.       Am 04.10.2017 langte die Beschwerde samt Bezug habenden Akt am Bundesverwaltungsgericht ein.

8.       Am 24.02.2021 und am 22.04.2021 fanden in Anwesenheit und unter Einvernahme des Beschwerdeführers mündliche Verhandlungen am Bundesverwaltungsgericht statt und wurden am 22.04.2021 zudem XXXX (B.A.) und XXXX (G.R.) als Zeuginnen einvernommen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang und dessen Ausführungen werden zu Feststellungen erhoben.

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der volljährige Beschwerdeführer ist nigerianischer Staatsangehöriger, bekennt sich zum christlichen Glauben und gehört der „ XXXX “ Kirche an. Seine Muttersprache ist Edo und eignete er sich in Nigeria überdies die Sprache Englisch an. Seine Identität steht nicht fest.

Der Beschwerdeführer ist arbeitsfähig, gesund und gehört keiner Risikogruppe im Sinne der COVID 19-Pandemie an.

Der Beschwerdeführer reiste zu einem unbestimmten Zeitpunkt im Jahr 2010 aus Nigeria aus und gelangte anschließend über Niger, Algerien und Marokko nach Spanien. In Spanien lebte der Beschwerdeführer - ohne einen Asylantrag zu stellen - etwa sechs Jahre. Im März 2017 reiste er letztlich unrechtmäßig in das österreichische Bundesgebiet ein und hält sich nunmehr seit (mindestens) 07.03.2017 in Österreich auf.

In Nigeria besuchte der Beschwerdeführer sechs Jahre die Grundschule und verdiente sich seinen Lebensunterhalt vor seiner Ausreise mit der selbständigen Verkaufstätigkeit von Kleidung in einem Geschäft.

Die Eltern des Beschwerdeführers leben nach wie vor in Benin City und besteht sporadischer Kontakt. Nicht festgestellt werden kann, wo sich seine Geschwister derzeit aufhalten und ob Kontakt zum Beschwerdeführer besteht.

Der Beschwerdeführer ist seit 25.08.2007 mit der österreichischen Staatsbürgerin G.R., geb. am XXXX , verheiratet. Die standesamtliche Hochzeit fand in Benin in Nigeria statt und reiste die Ehefrau des Beschwerdeführers etwa eine Woche nach der Hochzeit zurück nach Österreich. Nachdem die Bemühungen zur Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung in Österreich scheiterten, bestand (zumindest) ab 2010 bis 2017 kein aufrechter Kontakt zwischen dem Ehepaar und fanden keine gegenseitigen Besuche statt.

Seit nunmehr 20.09.2017 besteht ein gemeinsamer Haushalt mit seiner Ehefrau in Österreich und kommt diese für die Lebenserhaltungskosten des Beschwerdeführers in Österreich auf. Der Beschwerdeführer unterstützt wiederum seine Ehefrau mit Hilfstätigkeiten im Alltag, da diese bereits seit dem Jahr 2014 mit gesundheitlichen Einschränkungen zu kämpfen hat und einen Behinderungsgrad von 70% aufweist.

Des Weiteren führt der Beschwerdeführer seit dem Jahr 2018 eine Beziehung mit der nigerianischen Staatsbürgerin B.A., geb. am XXXX , und hat mit ihr zwei gemeinsame Söhne, XXXX (J.J.), geb. am XXXX , und XXXX (C.J.), geb. am XXXX , welche im Besitz der nigerianischen Staatsbürgerschaft sind. B.A. kommt der Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot-Karte plus“ mit einer Geltungsdauer von 09.04.2020 bis 04.07.2022 zu und ist sie somit rechtmäßig in Österreich aufhältig. Ein gemeinsamer Haushalt besteht nicht, jedoch besucht der Beschwerdeführer seine Freundin und seine Kinder regelmäßig, ohne Unterhalt zu zahlen. Ein finanzielles Abhängigkeitsverhältnis besteht nicht.

Ansonsten verfügt er über keine maßgeblichen privaten und familiären Beziehungen in Österreich.

Der Beschwerdeführer besuchte bereits mehrere Deutschkurse auf den Niveaus A1 und A2 und erlangte am 17.09.2018 erfolgreich das ÖSD Zertifikat A1. Er verfügt über keine qualifizierten Deutschkenntnisse.

Er verkauft seit Jänner 2018 das Straßenmagazin „ XXXX “ und verfügt dadurch über einen Bekanntenkreis. Zudem leistete er im April 2017 Remunerantentätigkeiten für die XXXX und ist langjähriges Mitglied der christlichen Gemeinde „ XXXX “. Anderweitige Mitgliedschaften in Vereinen oder ehrenamtliche Tätigkeiten liegen nicht vor. Er verfügt seit 12.01.2021 über einen Vorvertrag mit der Firma „ XXXX “.

Der Beschwerdeführer weist in Österreich keinerlei berücksichtigungswürdige Integrationsmerkmale in sprachlicher, beruflicher oder sozialer Hinsicht auf.

Der Beschwerdeführer ist nicht selbsterhaltungsfähig und bezieht keine Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung, ist jedoch aufrecht krankenversichert. Die Kosten für die Krankenversicherung des Beschwerdeführers übernimmt seine Ehefrau.

Der Beschwerdeführer ist strafgerichtlich unbescholten.

1.2. Zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers:

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer in Nigeria aufgrund seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung verfolgt wurde.

Der Beschwerdeführer wird im Fall seiner Rückkehr nach Nigeria mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keiner asylrelevanten Verfolgung und keiner wie auch immer gearteten existentiellen Bedrohung ausgesetzt sein.

1.3. Zur Lage im Herkunftsstaat:

Dem Beschwerdeführer wurde im Zuge der Ladung zur mündlichen Verhandlung am 24.02.2021 das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Nigeria übermittelt. Daraus ergeben sich folgende entscheidungswesentliche Feststellungen:

1.3.1. Politische Lage:

Nigeria ist in 36 Bundesstaaten (ÖB 10.2019; vgl. AA16.1.2020; GIZ 9.2020a) mit insgesamt 774 LGAs/Bezirken unterteilt (GIZ 9.2020a; vgl. AA16.1.2020). Jeder der 36 Bundesstaaten wird von einer Regierung unter der Leitung eines direkt gewählten Gouverneurs (State Governor) und eines Landesparlamentes (State House of Assembly) geführt (GIZ 9.2020a; vgl. AA 16.1.2020). Polizei und Justiz werden vom Bund kontrolliert (AA 16.1.2020).

Nigeria ist eine Bundesrepublik mit einem starken exekutiven Präsidenten (Präsidialsystem nach US-Vorbild) (AA24.5.2019a). Nigeria verfügt über ein Mehrparteiensystem. Die am System der USA orientierte Verfassung enthält alle Attribute eines demokratischen Rechtsstaates (inkl. Grundrechtskatalog, Gewaltenteilung). Dem starken Präsidenten - zugleich Oberbefehlshaber der Streitkräfte - und dem Vizepräsidenten stehen ein aus Senat und Repräsentantenhaus bestehendes Parlament und eine unabhängige Justiz gegenüber. Die Verfassungswirklichkeit wird von der Exekutive in Gestalt des direkt gewählten Präsidenten und von den direkt gewählten Gouverneuren dominiert. Der Kampf um politische Ämter wird mit großer Intensität, häufig auch mit undemokratischen, gewaltsamen Mitteln geführt. Die Justiz ist der Einflussnahme von Exekutive und Legislative sowie einzelner politischer Führungspersonen ausgesetzt (AA 16.1.2020).

Die Parteienzugehörigkeit orientiert sich meist an Führungspersonen, ethnischer Zugehörigkeit und vor allem strategischen Gesichtspunkten. Parteien werden primär als Zweckbündnisse zur Erlangung von Macht angesehen. Politische Führungskräfte wechseln die Partei, wenn sie andernorts bessere Erfolgschancen sehen. Entsprechend repräsentiert keine der Parteien eine eindeutige politische Richtung (AA 16.1.2020). Gewählte Amtsträger setzen im Allgemeinen ihre Politik um. Ihre Fähigkeit, dies zu tun, wird jedoch durch Faktoren wie Korruption, parteipolitische Konflikte, schlechte Kontrolle über Gebiete, in denen militante Gruppen aktiv sind, und die nicht offengelegten Gesundheitsprobleme des Präsidenten beeinträchtigt (FH 4.3.2020).

Bei den Präsidentschaftswahlen am 23.2.2019 wurde Amtsinhaber Muhammadu Buhari im Amt bestätigt (GIZ 9.2020a). Er erhielt 15,1 Millionen Stimmen und siegte in 19 Bundesstaaten, vor allem im Norden und Südwesten des Landes. Sein Herausforderer, Atiku Abubakar, erhielt 11,3 Millionen Stimmen und gewann in 17 Bundesstaaten im Südosten, im Middle-Belt sowie in der Hauptstadt Abuja (GIZ 9.2020a; vgl. BBC 26.2.2019). Die Wahlbeteiligung lag mit 36 Prozent deutlich niedriger als 2015. Überschattet wurden die Wahlen von gewaltsamen Zwischenfällen mit mindestens 53 Toten. Wahlbeobachter und Vertreter der Zivilgesellschaft kritisierten außerdem Organisationsmängel bei der Durchführung der Wahlen, die Einschüchterung von Wählern sowie die Zerstörung von Wahlunterlagen an einigen Orten des Landes. Die Opposition sprach von Wahlmanipulation. Abubakar focht das Ergebnis vor dem Obersten Gerichtshof aufgrund von Unregelmäßigkeiten an (GIZ 9.2020a).

Die Nationalversammlung besteht aus zwei Kammern: Senat mit 109 Mitgliedern und Repräsentantenhaus mit 360 Mitgliedern (AA 24.5.2019b). Aus den letzten Wahlen zur Nationalversammlung im Februar 2019 ging die Regierungspartei „All Progressives‘ Congress" (APC) siegreich hervor. Sie konnte ihre Mehrheit in beiden Kammern der Nationalversammlung vergrößern. Die größte Oppositionspartei, die „People’s Democratic Party" (PDP) hatte von 1999-2015 durchgehend den Präsidenten gestellt. 2015 musste sie zum ersten Mal in die Opposition und ist durch Streitigkeiten um die Parteiführung seitdem geschwächt (AA 16.1.2020).

Auf subnationaler Ebene regiert die APC in 20 der 36 Bundesstaaten (AA 16.1.2020). Am 9.3.2019 wurden Wahlen für Regionalparlamente und Gouverneure in 29 Bundesstaaten durchgeführt. In den restlichen sieben Bundesstaaten hatten die Gouverneurswahlen bereits in den Monaten zuvor stattgefunden. Auch hier kam es zu Unregelmäßigkeiten und gewaltsamen Ausschreitungen (GIZ 9.2020a). Kandidaten der APC von Präsident Buhari konnten 17 Gouverneursposten gewinnen, jene der oppositionellen PDP 14 (Stears 9.4.2020). Regionalwahlen haben großen Einfluss auf die nigerianische Politik, da die Gouverneure die Finanzen der Teil-staaten kontrollieren und für Schlüsselsektoren wie Gesundheit und Bildung verantwortlich sind (DW 11.3.2019).

Neben der modernen Staatsgewalt haben auch die traditionellen Führer immer noch einen nicht zu unterschätzenden, wenn auch weitgehend informellen Einfluss. Sie gelten als Kommunikationszentrum und moralische Instanz und können wichtige Vermittler in kommunalen und in religiös gefärbten Konflikten sein. Dieser Einfluss wird von der jüngeren Generation aber zunehmend in Frage gestellt (AA 24.5.2019a).

Quellen:

•        AA - Auswärtiges Amt (16.1.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2019)

•        AA-Auswärtiges Amt (24.5.2019a): Nigeria - Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/-/205844, Zugriff 30.9.2020

•        AA-Auswärtiges Amt (24.5.2019b): Nigeria - Überblick, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/nigeria/205786, Zugriff 30.9.2020

•        BBC News (26.2.2019): Nigeria Presidential Elections Results 2019, https://www.bbc.co.uk/news/resources/idt-f0b25208-4a1d-4068-a204-940cbe88d1d3, Zugriff 12.4.2019

•        DW - Deutsche Welle (11.3.2019): EU: Nigerian state elections marred by ’systemic failings’, https://www.dw.com/en/eu-nigerian-state-elections-marred-by-systemic-failings/a47858131, Zugriff 9.4.2020

•        FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2019 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2035799.html, Zugriff 30.9.2020

•        GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (9.2020a): Nigeria - Geschichte und Staat, http://liportal.giz.de/nigeria/geschichte-staat.html, Zugriff 30.9.2020

•        ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2019): Asylländerbericht Nigeria

•        Stears News (9.4.2020): Governorship Election Results, https://nigeriaelections.stearsng. com/governor/2019, Zugriff 9.4.2020

1.3.2. Sicherheitslage:

Es gibt in Nigeria keine klassischen Bürgerkriegsgebiete oder -parteien (AA 16.1.2020). Im Wesentlichen lassen sich mehrere Konfliktherde unterscheiden: Jener von Boko Haram im Nordosten; jener zwischen Hirten und Bauern im Middle-Belt (AA 16.1.2020; vgl. FH 4.3.2020); sowie Spannungen im Nigerdelta (AA 16.1.2020; vgl. EASO 11.2018a) und Gewalt im Bundesstaat Zamfara (EASO 11.2018a; vgl. Garda 23.6.2020). Außerdem gibt es im Südosten zwischen der Regierung und Igbo-Gruppen, die für ein unabhängiges Biafra eintreten (EASO 11.2018a; vgl. AA16.1.2020), sowie zwischen Armee und dem Islamic Movement in Nigeria (IMN) Spannungen (EASO 11.2018a) bzw. kommt es seit Jänner 2018 zu regelmäßigen Protesten des IMN in Abuja und anderen Städten, die das Potential haben, in Gewalt zu münden (UKFCDO 26.9.2020). Beim Konflikt im Nordosten handelt es sich um eine grenzüberschreitende jihadistische Insurgenz. Im „Middlebelt" kommt es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen um knapper werdende Ressourcen zwischen Hirten und Bauern. Bei den Auseinandersetzungen im Nigerdelta geht es sowohl um Konflikte zwischen regionalen militanten Gruppen einerseits und der Staatsgewalt andererseits, als auch um Rivalitäten zwischen unterschiedlichen lokalen Gemeinschaften. Im Südosten handelt es sich (noch) um vergleichsweise beschränkte Konflikte zwischen einzelnen sezessionistischen Bewegungen und der Staatsgewalt. Die Lage im Südosten des Landes („Biafra") bleibt jedoch latent konfliktanfällig. Die separatistische Gruppe Indigenous People of Biafra (IPOB) ist allerdings derzeit in Nigeria nicht sehr aktiv (AA 16.1.2020).

Die Kriminalitätsrate in Nigeria ist sehr hoch, die allgemeine Sicherheitslage hat sich in den vergangenen Jahren laufend verschlechtert. In Nigeria können in allen Regionen unvorhersehbare lokale Konflikte aufbrechen. Ursachen und Anlässe der Konflikte sind meist politischer, wirtschaftlicher, religiöser oder ethnischer Art. Insbesondere die Bundesstaaten Zamfara, westl. Taraba und der östl. Teil von Nassarawa, das nördliche Sokoto und die Bundesstaaten Plateau, Kaduna, Benue, Niger und Kebbi sind derzeit von bewaffneten Auseinandersetzungen bzw. innerethnischen Konflikten betroffen. Weiterhin bestimmen immer wieder gewalttätige Konflikte zwischen nomadisierenden Viehzüchtern und sesshaften Farmern sowie gut organisierten Banden die Sicherheitslage. Demonstrationen und Proteste sind insbesondere in Abuja und Lagos, aber auch anderen großen Städten möglich und können zu gewalttätigen Auseinandersetzungen führen. Im Juli/August 2019 forderten diese in Abuja auch wiederholt Todesopfer (AA 8.10.2020).

Anfang Oktober 2020 führte eine massive Protestwelle zur Auflösung der Spezialeinheit SARS am 11.10.2020 (Guardian 11.10.2020). Die Einheit wurde in SWAT (Special Weapons and Tactics Team) umbenannt und seine Beamten sollen einer zusätzlichen Ausbildung unterzogen werden. Die Protestwelle hielt jedoch an (DS 16.10.2020). Mit Stand 26.10.2020 war das Ausmaß der Ausschreitungen stark angestiegen. Es kam zu Gewalt und Plünderungen sowie zur Zerstörung von Geschäften und Einkaufszentren. Dabei waren bis zu diesem Zeitpunkt 69 Menschen ums Leben gekommen - hauptsächlich Zivilisten, aber auch Polizeibeamte und Soldaten (BBC News 26.10.2020).

In den nordöstlichen Landesteilen werden fortlaufend terroristische Gewaltakte, wie Angriffe und Sprengstoffanschläge von militanten Gruppen auf Sicherheitskräfte, Märkte, Schulen, Kirchen und Moscheen verübt (AA 8.10.2020).

In der Zeitspanne September 2019 bis September 2020 stechen folgende nigerianische Bundesstaaten mit einer hohen Anzahl an Toten durch Gewaltakte besonders hervor: Borno (3.085), Kaduna (894), Zamfara (858), und Katsina (644). Folgende Bundesstaaten stechen mit einer niedrigen Zahl hervor: Gombe (3), Kebbi (4), Kano (6), Jigawa (15) (CFR 2020).

Quellen:

•        AA - Auswärtiges Amt (16.1.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2025287/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Bundesrepublik_Nigeria_%28Stand_September_2019%29%2C_16.01.2020.pdf, Zugriff 18.11.2020

•        AA-Auswärtiges Amt (16.4.2020): Nigeria: Reise- und Sicherheitshinweise (Teilreisewarnung), https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigerianode/nigeriasicherheit/205788#content_5,16.4.2020

•        BBC News (26.10.2020): Nigeria protests: Police chief deploys ’all resources’ amid street violence, https://www.bbc.com/news/world-africa-54678345, Zugriff 28.10.2020

•        CFR - Council on Foreign Relations (2020): Nigeria Security Tracker, https://www.cfr.org/ nigeria/nigeria-security-tracker/p29483, Zugriff 8.10.2020

•        DS - Der Standard (16.10.2020): Berüchtigte „Sars“-Polizeieinheit in Nigeria nach Protesten abgeschafft, https://www.derstandard.at/story/2000120951836/beruechtigte-sars-polizeieinheit-in-nigeria-nach-protesten-abgeschafft, Zugriff 28.10.2020

•        EASO - European Asylum Support Office (11.2018a): Country of Origin Information Report - Nigeria - Security Situation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2001366/2018_EASO_C OI_Nigeria_SecuritySituation.pdf, Zugriff 16.4.2020

•        FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2019 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2035799.html, Zugriff 30.9.2020

•        Garda - Gardaworld (23.6.2020): Nigeria: Gunmen attack village in Zamfara State on June 20, https://www.garda.com/crisis24/news-alerts/353501/nigeria-gunmen-attack-viNage-in -zamfara-state-on-june-20, Zugriff 8.10.2020 (siehe „context“)

•        Guardian, The (11.10.2020): Nigeria to disband Sars police unit accused of killings and brutality, https://www.theguardian.com/world/2020/oct/11/nigeria-to-disband-sars-police -unit-accused-of-killings-and-brutality, Zugriff 28.10.2020

•        UKFCDO - United Kingdom Foreign, Commonwealth & Development Office (26.9.2020): Foreign travel advice - Nigeria, https://www.gov.uk/foreign-travel-advice/nigeria, Zugriff 8.10.2020

1.3.2.1. Nigerdelta:

Im Nigerdelta, dem Hauptgebiet der Erdölförderung, bestehen zahlreiche bewaffnete Gruppierungen, die sich neben Anschlägen auf Öl- und Gaspipelines auch auf Piraterie im Golf von Guinea und Entführungen mit Lösegelderpressung spezialisiert haben (ÖB 10.2019).

Von 2000 bis 2010 agierten im Nigerdelta militante Gruppen, die den Anspruch erhoben, die Rechte der Deltabewohner zu verteidigen und die Forderungen auf Teilhabe an den Öleinnahmen auch mittels Gewalt (Sabotage der Ölinfrastruktur) durchzusetzen. 2009 gelang dem damaligen Präsidenten Yar’Adua mit einem Amnestieangebot eine Beruhigung des Konflikts. Unter Buhari lief das Programm am 15.12.2015 aus. Es kam zur Wiederaufnahme der Attacken gegen die Ölinfrastruktur (AA 16.1.2020; vgl. ACCORD 17.4.2020). Im Herbst 2016 konnte mit den bewaffneten Gruppen ein neuer Waffenstillstand vereinbart werden, der bislang großteils eingehalten wird (ÖB 10.2019). Das Amnestieprogramm ist bis 2019 verlängert worden. Auch wenn Dialogprozesse zwischen der Regierung und Delta-Interessengruppen laufen und derzeit ein „Waffenstillstand“ zumindest grundsätzlich hält, scheint die Regierung nicht wirklich an Mediation interessiert zu sein, sondern die Zurückhaltung der Aufständischen zu „erkaufen“ und im Notfall mit militärischer Härte durchzugreifen (AA 16.1.2020).

Die Lage bleibt aber sehr fragil, da weiterhin kaum nachhaltige Verbesserung für die Bevölkerung erkennbar ist (AA 16.1.2020). Angriffe auf Erdöleinrichtungen stellen weiterhin eine Bedrohung für die Stabilität und die Erdölproduktion dar (ACCORD 17.4.2020). Der Konflikt betrifft die Staaten des Nigerdeltas, darunter Abia, Akwa, Ibom, Bayelsa, Cross River, Delta, Edo, Imo, Ondo und Rivers (EASO 2.2019).

Das Militär hat auch die Federführung bei der zivilen Bürgerwehr Civilian Joint Task Force inne, die u.a. gegen militante Gruppierungen im Nigerdelta eingesetzt wird. Auch wenn sie stellenweise recht effektiv vorgeht, begeht diese Gruppe häufig selbst Menschenrechtsverletzungen oder denunziert willkürlich persönliche Feinde bei den Sicherheitsorganen (AA 16.1.2020).

Bei den Auseinandersetzungen im Nigerdelta handelte es sich sowohl um einen Konflikt zwischen regionalen militanten Gruppen einerseits und der Staatsgewalt andererseits, als auch um Rivalitäten zwischen unterschiedlichen lokalen Gemeinschaften. Im ersten Fall stehen in der Regel finanzielle Partikularinteressen der bewaffneten Gruppen im Vordergrund, im zweiten Fall geht es um einen Verteilungskampf rivalisierender Gruppen (AA 16.1.2020).

Das Risiko von Entführungen ist hoch und besteht landesweit (AA 8.10.2020), so wurden auch im Jahr 2019 Zivilisten entführt um Lösegeld zu erhalten (USDOS 11.3.2020; vgl. ACCORD 17.4.2020).

Quellen:

•        AA - Auswärtiges Amt (8.10.2020): Nigeria - Reise- und Sicherheitshinweise,

https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigerianode/nigeriasicherheit/205788#content_5, Zugriff 8.10.2020

•        AA - Auswärtiges Amt (16.1.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2019)

•        ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (17.4.2020): ecoi.net-Themendossier zu Nigeria: Sicherheitslage, https://www.ecoi.net/de/dokument/2028159.html, Zugriff 17.4.2020

•        EASO - European Asylum Support Office (2.2019): Country Guidance: Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2004112/Country_Guidance_Nigeria_2019.pdf, Zugriff 17.4.2020

•        ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2019): Asylländerbericht Nigeria

•        USDOS - U.S. Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026341.html, Zugriff 9.4.2020

1.3.3. Rechtsschutz / Justizwesen:

Die Verfassung unterscheidet zwischen Bundesgerichten, Gerichten des Hauptstadtbezirks sowie Gerichten der 36 Bundesstaaten (AA 16.1.2020; ÖB 10.2019). Letztere haben die Befugnis, per Gesetz erstinstanzliche Gerichte einzusetzen (AA 16.1.2020). Daneben bestehen noch für jede der 774 LGAs eigene Bezirksgerichte (District Courts) (ÖB 10.2019). Bundesgerichte, die nur staatlich kodifiziertes Recht anwenden, sind der Federal High Court (Gesetzgebungsmaterie des Bundes, Steuer-, Körperschafts- und auch Verwaltungssachen), der Court of Appeal (Berufungssachen u.a. der State Court of Appeal und der State Sharia and Customary Court of Appeal) sowie der Supreme Court (Revisionssachen, Organklagen) (AA 16.1.2020). Für Militärangehörige gibt es eigene Militärgerichte (USDOS 11.3.2020).

Mit Einführung der erweiterten Scharia-Gesetzgebung in neun nördlichen Bundesstaaten sowie den überwiegend muslimischen Teilen dreier weiterer Bundesstaaten 2000/2001 haben die staatlichen Schariagerichte strafrechtliche Befugnisse erhalten, während sie zuvor auf das islamische Personenstandsrecht beschränkt waren (AA 16.1.2020). Laut Bundesverfassung wird die Verfassung und Zuständigkeit der Gerichte seit 1999 betreffend das anzuwendende Rechtssystem („Common Law" oder „Customary Law") durch Gesetze der Gliedstaaten festgestellt. Einzelne Bundesstaaten haben „Scharia-Gerichte" neben „Common Law"- und „Customary Courts" geschaffen. Mehrere Bundesstaaten, einschließlich die gemischt-konfessionellen Bundesstaaten Benue und Plateau, haben auch Scharia-Berufungsgerichte eingerichtet (ÖB 10.2019).

Die Verfassung sieht Gewaltenteilung und die Unabhängigkeit der Justiz vor (AA 16.1.2020; vgl. FH 4.3.2020; ÖB 10.2019; USDOS 11.3.2020). In der Realität ist die Justiz allerdings der Einflussnahme von Exekutive und Legislative sowie einzelner politischer Führungspersonen ausgesetzt (AA 16.1.2020; vgl. USDOS 11.3.2020; FH 4.3.2020). Vor allem auf Bundesstaats-und Bezirksebene (LGA) versuchen Politiker die Justiz zu beeinflussen (USDOS 11.3.2020). Die drei einander mitunter widersprechenden Rechtssysteme (ÖB 10.2019; vgl. BS 2020) sowie die insgesamt zu geringe personelle und finanzielle Ausstattung sowie mangelnde Ausbildung behindern die Funktionsfähigkeit des Justizapparats und machen ihn chronisch korruptionsanfällig (AA 16.1.2020; vgl. FH 4.3.2020; USDOS 11.3.2020; ÖB 10.2019; BS 2020). Trotz allem hat die Justiz in der Praxis ein gewisses Maß an Unabhängigkeit und Professionalität erreicht (FH 4.3.2020).

Eine willkürliche Strafverfolgung bzw. Strafzumessungspraxis durch Polizei und Justiz, die nach Rasse, Nationalität o. ä. diskriminiert, ist nicht erkennbar. Das bestehende System benachteiligt jedoch tendenziell Ungebildete und Arme, die sich weder von Beschuldigungen freikaufen noch eine Freilassung auf Kaution erwirken oder sich einen Rechtsbeistand leisten können. Zudem ist vielen eine angemessene Wahrung ihrer Rechte aufgrund von fehlenden Kenntnissen selbst elementarster Grund- und Verfahrensrechte nicht möglich (AA 16.1.2020). Gesetzlich vorgesehen sind prozessuale Rechte wie die Unschuldsvermutung, zeitnahe Information über die Anklagepunkte, das Recht auf ein faires und öffentliches Verfahren, das Recht auf einen Anwalt, das Recht auf ausreichende Zeit zur Vorbereitung der Verteidigung, nicht gezwungen werden auszusagen oder sich schuldig zu bekennen, Zeugen zu befragen und das Recht auf Berufung. Diese Rechte werden jedoch nicht immer gewährleistet (USDOS 11.3.2020). Auch der gesetzlich garantierte Zugang zu einem Rechtsbeistand oder zu Familienangehörigen wird nicht immer ermöglicht (AA 16.1.2020).

Der Zugang zu staatlicher Prozesskostenhilfe ist in Nigeria beschränkt: Das Institut der Pflicht-verteidigung wurde erst vor kurzem in einigen Bundesstaaten eingeführt. Lediglich in den Landeshauptstädten existieren NGOs, die sich zum Teil mit staatlicher Förderung der rechtlichen Beratung von Beschuldigten bzw. Angeklagten annehmen. Gerade in den ländlichen Gebieten gibt es jedoch zahlreiche Verfahren, bei denen Beschuldigte und Angeklagte ohne rechtlichen Beistand mangels Kenntnis ihrer Rechte schutzlos bleiben (AA 16.1.2020). Das Recht auf ein zügiges Verfahren wird zwar von der Verfassung garantiert, ist jedoch kaum gewährleistet. Dauerinhaftierungen ohne Anklage oder Urteil, die sich teils über mehrere Jahre hinziehen, sind weit verbreitet (AA 16.1.2020; vgl. USDOS 11.3.2020). Entgegen gesetzlicher Vorgaben ist die Untersuchungshaft nicht selten länger als die maximal zu erwartende gesetzliche Höchststrafe des jeweils in Frage stehenden Delikts. Außerdem bleiben zahlreiche Häftlinge auch nach Verbüßung ihrer Freiheitsstrafen in Haft, weil ihre Vollzugsakten unauffindbar sind (AA 16.1.2020).

Im Allgemeinen hat der nigerianische Staat Schritte unternommen, um ein Strafverfolgungssystem zu etablieren und zu betreiben, im Rahmen dessen Angriffe von nicht-staatlichen Akteuren bestraft werden. Er beweist damit in einem bestimmten Rahmen eine Schutzwilligkeit und - fähigkeit, die Effektivität ist aber durch einige signifikante Schwächen eingeschränkt. Effektiver Schutz ist in jenen Gebieten, wo es bewaffnete Konflikte gibt (u.a. Teile Nordostnigerias, des Middle Belt und des Nigerdeltas) teils nicht verfügbar. Dort ist auch für Frauen, Angehörige sexueller Minderheiten und Nicht-Indigene der Zugang zu Schutz teilweise eingeschränkt (UKHO 3.2019).

Quellen:

•        AA - Auswärtiges Amt (16.1.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2019)

•        BS - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 - Nigeria Country Report, https://www.ecoi.net/en/file/local/2029575/country_report_2020_NGA.pdf, Zugriff 18.5.2020

•        FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2019 - Nigeria, https://www.ecoi .net/de/dokument/2035799.html, Zugriff 30.9.2020

•        ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2019): Asylländerbericht Nigeria

•        UKHO - United Kingdom Home Office (3.2019): Country Policy and Information Note - Nigeria: Actors of protection, https://assets.publishing.service.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/794316/CPIN_-_NGA_-_Actors_of_Protection.final_v.1.G.PDF, Zugriff 29.4.2020

•        USDOS - U.S. Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026341.html, Zugriff 9.4.2020

1.3.4. Sicherheitsbehörden:

Die allgemeinen Polizei- und Ordnungsaufgaben obliegen der rund 360.000 Mann starken (Bundes-) Polizei (National Police Force - NPF), die dem Generalinspekteur der Polizei in Abuja untersteht (AA 16.1.2020). Obwohl in absoluten Zahlen eine der größten Polizeitruppen der Welt, liegt die Rate von Polizeibeamten zur Bevölkerungszahl unter der von der UN empfohlenen Zahl (UKHO 3.2019). Die nigerianische Polizei ist zusammen mit anderen Bundesorganisationen die wichtigste Strafverfolgungsbehörde. Das Department of State Service (DSS), das via nationalem Sicherheitsberater dem Präsidenten unterstellt ist, ist ebenfalls für die innere Sicherheit zuständig. Die nigerianischen Streitkräfte, die dem Verteidigungsministerium unterstehen, sind für die äußere Sicherheit zuständig, haben aber auch einige Zuständigkeiten im Bereich der inneren Sicherheit (USDOS 11.3.2020). Etwa 100.000 Polizisten sollen bei Personen des öffentlichen Lebens und einflussreichen Privatpersonen als Sicherheitskräfte tätig sein (AA 16.1.2020).

Alle Sicherheitsorgane (Militär, Staatsschutz sowie paramilitärische Einheiten, die so genannten Rapid Response Squads) werden neben der Polizei auch im Innern eingesetzt (AA 16.1.2020). Die National Drug Law Enforcement Agency (NDLEA) ist für alle Straftaten in Zusammenhang mit Drogen zuständig (ÖB 10.2019).

Der NDLEA wird im Vergleich zu anderen Behörden mit polizeilichen Befugnissen eine gewisse Professionalität attestiert. In den Zuständigkeitsbereich dieser Behörde fällt Dekret 33, welches ein zusätzliches Verfahren für im Ausland bereits wegen Drogendelikten verurteilte nigerianische Staatsbürger vorsieht. Dagegen zeichnen sich die NPF und die Mobile Police (MOPOL) durch geringe Professionalität, mangelnde Disziplin, häufige Willkür und geringen Diensteifer aus (ÖB 10.2019) . Die Polizei ist durch niedrige Besoldung sowie schlechte Ausrüstung, Ausbildung und Unterbringung gekennzeichnet. Die staatlichen Ordnungskräfte sind personell, technisch und finanziell nicht in der Lage, die Gewaltkriminalität umfassend zu kontrollieren bzw. einzudämmen. Zudem sind die Sicherheitskräfte teilweise selbst für die Kriminalität verantwortlich (AA16.1.2020).

Da die Polizei oft nicht in der Lage ist, durch gesellschaftliche Konflikte verursachte Gewalt zu unterbinden, verlässt sich die Regierung in vielen Fällen auf die Unterstützung durch die Armee (USDOS 11.3.2020).

Polizei, DSS und Militär sind zivilen Autoritäten unterstellt, sie operieren jedoch zeitweise außerhalb ziviler Kontrolle (USDOS 11.3.2020). Es gab allerdings kleinere Erfolge im Bereich der Reorganisation von Teilen des Militärs und der Polizei (BS 2020). Der Regierung fehlen wirksame Mechanismen und ausreichender politischer Wille, um die meisten Fälle von Missbrauch durch Sicherheitskräfte sowie Korruption in den Sicherheitskräften zu untersuchen und zu bestrafen (USDOS 11.3.2020).

Quellen:

•        AA - Auswärtiges Amt (16.1.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2019)

•        BS - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 - Nigeria Country Report, https://www.ecoi.n et/en/file/local/2029575/country_report_2020_NGA.pdf, Zugriff 18.5.2020

•        ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2019): Asylländerbericht Nigeria

•        USDOS - U.S. Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026341.html, Zugriff 9.4.2020

1.3.5. Vigilantengruppen, Bürgerwehren, Hisbah:

In verschiedenen Regionen des Landes haben sich bewaffnete Organisationen in Form von ethnischen Vigilantengruppen gebildet, z.B. der Odua People’s Congress (OPC) im Südwes¬ten oder die Bakassi Boys im Südosten. Bei diesen Gruppen kann man sich gegen Zahlung eines Schutzgeldes „Sicherheit" erkaufen. Die Behörden reagieren unterschiedlich auf diese Gruppen: Im Bundesstaat Lagos ging die Polizei gegen den OPC vor, im Osten des Landes wurde die Existenz dieser Gruppen dagegen von einigen Gouverneuren begrüßt. Die Polizei arbeitet zum Teil mit ihnen zusammen. Generell scheint die Bedeutung von Vigilantengruppen in Städten etwas abzunehmen, in einigen ländlichen Regionen haben sie aber weiterhin eine dominante Machtposition. Im Kampf gegen Boko Haram hat sich unter Federführung der Armee im Nordosten eine inter-ethnische Vigilantengruppe - die Civilian Joint Task Force (CJTF) - herausgebildet (AA 16.1.2020). Berichten zufolge koordiniert sich das Militär vor Ort eng mit der CJTF, und diese erhält von der Regierung begrenzte Mittel (USDOS 11.3.2020).

Vigilantengruppen wie etwa die CJTF verhaften Personen bei Massenverhaftungen, oftmals ohne Beweismaterial (USDOS 11.3.2020). Diese Gruppen verletzen regelmäßig persönliche Freiheiten der Bürger (BS 2020). Im September 2017 unterzeichneten die UN und die CJTF einen Aktionsplan zur Unterbindung der Rekrutierung und Verwendung von Kindern, seitdem kommt es nicht mehr zur Rekrutierung von Kindern. Ehemalige Kindersoldaten werden reintegriert (USDOS 11.3.2020).

In verschiedenen Bundesstaaten überwacht die Hisbah-Polizei die Einhaltung der religiösen Vorschriften (AA 16.1.2020). Vier Staaten mit erweitertem Scharia-Geltungsbereich (Zamfara, Niger, Kaduna, Kano) haben private Gruppen, wie die Hisbah, zur Rechtsdurchsetzung ermächtigt und gewähren hierfür staatliche Zuschüsse. In bestimmten Fällen sind diese Gruppen ermächtigt, Verhaftungen vorzunehmen. Bislang beschränkt sich ihre Zuständigkeit in erster Linie auf Verkehrsdelikte und die Marktaufsicht (ÖB 10.2019). Die Hisbah verhaftet weiterhin Straßenbettler und Prostituierte, und sie beschlagnahmt und vernichtet Alkohol (USDOS 21.6.2019). In Kano wird die Hisbah direkt vom Bundesstaat betrieben, während sie in anderen Bundesstaaten ähnlich den nichtstaatlichen Bürgerwehren organisiert ist. Die Hisbah wurde vom Obersten Gericht zwar als verfassungswidrig bezeichnet, da polizeiliche Aufgaben ausschließlich in die Zuständigkeit des Bundes fallen, sie hat ihre Tätigkeit jedoch bisher nicht eingestellt, sondern wurde lediglich umorganisiert. Laut dem Gouverneur von Kano nimmt die Hisbah keine polizeilichen, sondern lediglich gesellschaftlich-moralische Aufgaben und Befugnisse wahr (AA 16.1.2020).

Quellen:

•        AA - Auswärtiges Amt (16.1.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2019)

•        BS - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 - Nigeria Country Report, https://www.ecoi.n et/en/file/local/2029575/country_report_2020_NGA.pdf, Zugriff 18.5.2020

•        ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2019): Asylländerbericht Nigeria

•        USDOS - U.S. Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Nigeria, https://www.ecoi.net/en/document/2004182.html, Zugriff 20.3.2019

•        USDOS - US Department of State (21.6.2019): 2018 Report on International Religious Freedom: Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2011098.html, Zugriff 15.4.2020

1.3.6. NGOs und Menschenrechtsaktivisten:

Neben der Nationalen Menschenrechtskommission (NHRC) gibt es eine Vielzahl von Menschenrechtsorganisationen, die sich grundsätzlich frei betätigen können (AA 16.1.2020; vgl. USDOS 11.3.2020). Rund 42.000 nationale und internationale NGOs sind in Nigeria registriert; sie sind keinen gesetzlichen Beschränkungen unterworfen (ÖB 10.2019). Die NGOs sind nach Art, Größe und Zielrichtung sehr unterschiedlich und reichen von landesweitverbreiteten Organisationen wie der CLO (Civil Liberties Organization), CD (Campaign for Democracy) und LEDAP (Legal Defense Aid Project), die sich in erster Linie in der Aufklärungsarbeit betätigen, über Organisationen, die sich vorrangig für die Rechte bestimmter ethnischer Gruppen einsetzen, und Frauenrechtsgruppen bis hin zu Gruppen, die vor allem konkrete Entwicklungsanliegen bestimmter Gemeinden vertreten. Auch kirchliche und andere religiös motivierte Gruppierungen sind in der Menschenrechtsarbeit aktiv. Das gilt auch für internationale Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch und Amnesty International, die in Nigeria über Regionalvertreter verfügen (AA 16.1.2020). Die professionell tätigen Menschenrechtsorganisationen sind überwiegend in den Bundesstaaten des Nigerdeltas und im muslimisch dominierten Norden tätig (ÖB 10.2019). Trotz der Tatsache, dass die Anzahl der aktiven NGOs steigt, ist die Landschaft der freiwilligen Organisationen noch immer mager und geplagt von spärlichen operativen Ressourcen (BS 2020).

NGOs beobachten die Menschenrechtslage, untersuchen Vorfälle und veröffentlichen ihre Erkenntnisse. Regierungsvertreter reagieren vereinzelt auf Vorwürfe (ÖB 10.2019; vgl. US¬DOS 11.3.2020). Generell werden Vorwürfe jedoch rasch und ohne Ermittlungen zurückgewiesen. In manchen Fällen bedrohte das Militär NGOs und humanitäre Organisationen (USDOS 11.3.2020).

Quellen:

•        AA - Auswärtiges Amt (16.1.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2019)

•        BS - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 - Nigeria Country Report, https://www.ecoi.n et/en/file/local/2029575/country_report_2020_NGA.pdf, Zugriff 18.5.2020

•        ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2019): Asylländerbericht Nigeria

•        USDOS - U.S. Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026341.html, Zugriff 9.4.2020

1.3.7. Allgemeine Menschenrechtslage:

Die am 29.5.1999 in Kraft getretene Verfassung Nigerias enthält einen umfassenden Grundrechtskatalog. Dieser ist zum Teil jedoch weitreichenden Einschränkungen unterworfen. Das in Art. 33 der Verfassung gewährte Recht auf körperliche Unversehrtheit wird z.B. unter den Vorbehalt gestellt, dass die betroffene Person nicht bei der Anwendung legal ausgeübter staatlicher Gewalt zur „Unterdrückung von Aufruhr oder Meuterei" ihr Leben verloren hat. In vielen Bereichen bleibt die Umsetzung der zahlreich eingegangenen menschenrechtlichen Verpflichtungen weiterhin deutlich hinter internationalen Standards zurück. Zudem wurden völkerrechtliche Verpflichtungen zum Teil nur lückenhaft in nationales Recht umgesetzt. Einige Bundesstaaten haben Vorbehalte gegen einige internationale Vereinbarungen geltend gemacht und verhindern regional eine Umsetzung. Selbst in Bundesstaaten, welche grundsätzlich eine Umsetzung befürworten, ist die Durchsetzung garantierter Rechte häufig nicht gewährleistet (AA 16.1.2020).

Die Menschenrechtssituation hat sich seit Amtsantritt einer zivilen Regierung 1999 zum Teil erheblich verbessert (AA 24.5.2019a; vgl. GIZ 9.2020a), vor allem im Hinblick auf die Freilassung politischer Gefangener und die Presse- und Meinungsfreiheit (GIZ 9.2020a). Allerdings kritisieren Menschenrechtsorganisationen den Umgang der Streitkräfte mit Boko Haram-Verdächtigen, der schiitischen Minderheit, Biafra-Aktivisten und Militanten im Nigerdelta. Schwierig bleiben die allgemeinen Lebensbedingungen, die durch Armut, Analphabetismus, Gewaltkriminalität, ethnische Spannungen, ein ineffektives Justizwesen und die Scharia-Rechtspraxis im Norden des Landes beeinflusst werden. Die Gleichstellung von Angehörigen sexueller Minderheiten wird gesetzlich verweigert, homosexuelle Handlungen sind mit schweren Strafen belegt (AA 24.5.2019a). Es gibt viele Fragezeichen hinsichtlich der Einhaltung der Menschenrechte, wie z.B. die Praxis des Scharia-Rechts (Tod durch Steinigung), Entführungen und Geiselnahmen im Nigerdelta, Misshandlungen und Verletzungen durch Angehörige der nigerianischen Polizei und Armee sowie Verhaftungen von Angehörigen militanter ethnischer Organisationen (GIZ 9.2020a). Zu den schwerwiegendsten Menschenrechtsproblemen gehören zudem u.a. rechtswidrige und willkürliche Tötungen, Verschwindenlassen, Folter und willkürliche Inhaftierung sowie substanzielle Eingriffe in die Rechte auf friedliche Versammlung und Vereinigungsfreiheit (USDOS 11.3.2020).

Die in den Jahren 2000/2001 eingeführten strengen strafrechtlichen Bestimmungen der Scharia in zwölf nördlichen Bundesstaaten führten zu Amputations- und Steinigungsurteilen. Die wenigen Steinigungsurteile wurden jedoch jeweils von einer höheren Instanz aufgehoben; auch Amputationsstrafen wurden in den vergangenen Jahren nicht vollstreckt (AA 16.1.2020; vgl. USDOS 11.3.2020).

Die Regierung bekennt sich ausdrücklich zum Schutz der Menschenrechte, und diese sind auch in der Verfassung als einklagbar verankert. Dessen ungeachtet bleiben viele Probleme ungelöst, wie etwa Armut, Analphabetentum, Gewaltkriminalität, ethnische Spannungen, die Scharia-Rechtspraxis, Entführungen und Geiselnahmen sowie das Problem des Frauen- und Kinderhandels. Daneben ist der Schutz von Leib und Leben der Bürger gegen Willkürhandlungen durch Vertreter der Staatsmacht keineswegs verlässlich gesichert und besteht weitgehend Straflosigkeit bei Verstößen der Sicherheitskräfte und bei Verhaftungen von Angehörigen militanter Organisationen. Das hohe Maß an Korruption auch im Sicherheitsapparat und der Justiz wirkt sich negativ auf die Wahrung der Menschenrechte aus (ÖB 10.2019).

Es setzten sich nigerianische Organisationen wie z.B. CEHRD (Centre for Environment, Human Rights and Development), CURE-NIGERIA (Citizens United for the Rehabilitation of Errants) und HURILAWS (Human Rights Law Services) für die Einhaltung der Menschenrechte in ihrem Land ein. Auch die Gewerkschaftsbewegung Nigeria Labour Congress (NLC) ist im Bereich von Menschenrechtsfragen aktiv (GIZ 9.2020a).

Quellen:

•        AA - Auswärtiges Amt (16.1.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2019), https://www.ecoi.net/en/file/localZ2025287/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschie berelevante_LageJn_der_Bundesrepublik_Nigeria_%28Stand_September_2019%29 %2C_16.01.2020.pdf, Zugriff 18.11.2020

•        AA-Auswärtiges Amt (24.5.2019a): Nigeria - Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/-/205844http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Nigeria/Innenpolitik_node.html, Zugriff 30.9.2020

•        GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (9.2020a): Nigeria - Geschichte und Staat, http://liportal.giz.de/nigeria/geschichte-staat.html, Zugriff 30.9.2020

•        ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2020): Asylländerbericht Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2021612/NIGR_%C3%96B_Bericht_2019_10.pdf, Zugriff 18.11.2020

•        USDOS - U.S. Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026341.html, Zugriff 9.4.2020

1.3.8. „Kulte“ und Geheimgesellschaften:

Der Begriff „Kult" ist in Nigeria sehr weitgreifend und kann für jede organisierte Gruppe von Menschen verwendet werden, um welche sich Geheimnisse ranken. Der Begriff umfasst auch eine religiöse Dimension, die generell auf die Verwendung von Juju abzielt. Die Bandbreite reicht von den Ogboni über ethnische Vigilantengruppen bis zu Bruderschaften an Universitäten (UK- HO 12.2013; vgl. EASO 6.2017; EASO 11.2018b). „Kulte" und Geheimgesellschaften sind vor allem im Süden von Nigeria verbreitet, nur in geringem Maße im Norden (UKHO 12.2013; vgl. EASO 6.2017). Studentenkulte sind hauptsächlich in den südlichen Bundesstaaten Nigerias aktiv, insbesondere in den Bundesstaaten Rivers, Bayelsa, Delta und Edo (EASO 2.2019; vgl. ACCORD 25.4.2019). Geheime Bruderschaften operieren bis hinauf in die gesellschaftliche Elite des Landes (UKHO 12.2013; vgl. EASO 6.2017). Vor allem junge Männer sind angehalten, sich zu ihrem eigenen Schutz Kulten anzuschließen, beziehungsweise werden sie durch Gruppenzwang dazu gebracht, dies zu tun. Viele Menschen treten „Kulten" bei, da diese mit Macht, Reichtum und Ansehen in der Gesellschaft verbunden werden (DFAT 9.3.2018).

Kulte, die auf den Straßen Nigerias oder in den höheren Schulen präsent sind, zeichnen sich durch Handlungsweisen aus, die eher jenen von kriminellen Banden als jenen von religiösen Gruppen ähneln (DFAT 9.3.2018; vgl. EASO 2.2019). Einige der bekanntesten Kulte sind „Black Axe" und „Eiye". Studentenkulte sind von gewalttätigen Initiationsriten (EASO 2.2019; vgl. DFAT 9.3.2018) und illegalen Aktivitäten wie Tötungen, Menschenhandel, Drogenhandel, Schmuggel, Erpressung, Entführung und Zwangsrekrutierung geprägt. Zwischen 2006 und 2014 gab es in Zusammenhang mit Studentenkulten 1.863 Todesfälle. Im Jahr 2017 gab es in diesem Zusammenhang 442 Todesopfer und 290 Opfer von Entführungen. Politische Parteien rekrutieren häufig Kultmitglieder und benutzen diese, um politische Gegner zu töten oder anzugreifen oder um sie bei Wahlen Gewalt ausüben zu lassen (EASO 2.2019; vgl. ACCORD 25.4.2019). Im Jahr 2018 gab es 446 Todesopfer in 153 Vorfällen im Zusammenhang mit Kulten. Die relativ höchste Anzahl von Toten im Zusammenhang mit Kulten war im Niger Delta feststellbar (Bundesstaaten Bayelsa, Rivers, Edo, Delta) (IFRA 15.3.2019).

Mafiöse „Kulte" prägen - trotz Verboten - das Leben auf den Universitäts-Campussen. So kommt es etwa zu Morden und Vergewaltigungen in Studentenheimen (ÖB 10.2019). Die mafiöse Strukturen aufweisenden „Kulte" pflegen gewaltsame Initiationsriten und sind oft in illegale Aktivitäten verwickelt. Nach anderen Angaben sind „Kulte" eher als Jugendbanden zu bezeichnen (EASO 11.2018b). Die Bandenmitglieder bleiben anonym und sind durch einen Schwur gebunden. Heute sind „Kulte" eines der am meisten gefürchteten Elemente der Gesellschaft (FFP 10.12.2012; vgl. EASO 6.2017). „Kulte" schrecken auch vor Menschenopfern nicht zurück, was zu häufigen Meldungen über den Fund von Körperteilen bei ,Ritualists‘ führt (ÖB 10.2019). Die Bundesregierung hat die Rektoren angewiesen, gegen die von „Kulten" ausgehende Gewalt an den Universitäten Maßnahmen zu setzen, darunter z.B. Aufklärungskampagnen sowie Sanktionen gegen „Kult"-Mitglieder (IRB 3.12.2012; vgl. EASO 6.2017). Das Secret Cult and Similar Activities Prohibition Gesetz aus dem Jahr 2004 verbietet ca. 100 „Kulte", darunter kriminelle Banden sowie: spirituell und politisch motivierte Gruppen auf der Suche nach Macht und Kontrolle (UKHO 1.2013; vgl. EASO 6.2017; EASO 11.2018b).

Die Aktivitäten der Studentenkulte sind üblicherweise auf die betroffene Universität beschränkt, manche unterhalten aber Zweigstellen an mehreren Universitäten (VA116.11.2015). Eine Mitgliedschaft bei einer (studentischen) Bruderschaft zurückzulegen ist schwierig (EASO 11.2018b; vgl. FFP 10.12.2012; EASO 6.2017). Es wurden auch schon Mitglieder getötet, die dies versucht hatten (FFP 10.12.2012; vgl. EASO 6.2017). Nach anderen Angaben ist der Einfluss der „Kulte" nicht mehr so groß wie früher. Es ist ein Fall bekannt, wo ein Konflikt mit einem solchen „Kult" ohne Konsequenzen gelöst werden konnte (EASO 11.2018b). Nach ex-Mitgliedern wird selten gesucht und wenn doch, dann wird eine erfolglose Suche nach zwei oder drei Monaten abgebrochen (VA116.11.2015). Auch religiösen Kulten kann man sich durch Flucht entziehen, sie sind nicht in der Lage, eine Person in ganz Nigeria zu verfolgen (VA2 16.11.2015). „Kulte" greifen generell niemanden an, der nicht selbst in Kult-Aktivitäten involviert ist (VA116.11.2015). Personen, die sich vor derartigen Gruppierungen fürchten, können entweder Schutz erhalten oder aber eine innerstaatliche Relokationsmöglichkeit in Anspruch nehmen, um der befürchteten Misshandlung zu entgehen (UKHO 12.2013).

Quellen:

•        ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documenta- tion (25.4.2019): Anfragebeantwortung zu Nigeria: Informationen zu Juju (Organisation und Netzwerke) [a-10976-1], https://www.ecoi.net/de/dokument/2007894.html , Zugriff 15.4.2020

•        DFAT -Australian Government-Department of Foreign Affairs and Trade (9.3.2018): DFAT Country Information Report Nigeria, https://www.dfat.gov.au/sites/default/files/country-in formation-report-nigeria.pdf, Zugriff 15.4.2020

•        EASO - European Asylum Support Office (2.2019): Country Guidance: Nigeria; Guidance note and common analysis, https://www.ecoi.net/en/file/local/2004112/Country_Guidanc e_Nigeria_2019.pdf, Zugriff 15.4.2020

•        EASO - European Asylum Support Office (11.2018b): Country of Origin Information Report - Nigeria - Targeting of individuals, https://www.ecoi.net/en/file/local/2001375/2018_EAS O_COI_Nigeria_TargetingIndividuals.pdf, Zugriff 15.4.2020

•        EASO - European Asylum Support Office (6.2017): EASO Country of Origin Information Report Nigeria Country Focus, http://www.ecoi.net/file_upload/90_1496729214_easo-co untry-focus-nigeria-june2017.pdf, Zugriff 15.4.2020

•        FFP - Fund for Peace (10.12.2012): Beyond Terror and Militants: Assessing Conflict in Nigeria, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/cungr1215-unlocknigeria- 12e.pdf, Zugriff 15.4.2020

•        IRB - Immigration and Refugee Board of Canada (3.12.2012): The Black Axe confraternity, also known as the Neo-Black Movement of Africa, including their rituals, oaths of secrecy, and use of symbols or particular signs; whether they use force to recruit individuals (2009- November 2012), http://www.refworld.org/docid/50ebf7a82.htmlhttp://www.refworld.org/d ocid/50ebf7a82.html , Zugriff 15.4.2020

•        IFRA- French Institute for Research in Africa (15.3.2019): Nigeria Watch - Eight Report on Violence in Nigeria, Quellenlink funktioniert nicht, Quelle bei der Staatendokumentation abgelegt

•        ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2020): Asylländerbericht Nigeria, https://www.ec oi.net/en/file/local/2021612/NIGR_%C3%96B_Bericht_2019_10.pdf, Zugriff 18.11.2020

•        UKHO - United Kingdom Home Office (12.2013): Operational Guidance Note - Nigeria, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1387367781_nigeria-ogn.pdf, Zugriff 15.4.2020

•        UKHO - United Kingdom Home Office (1.2013): Operational Guidance Note - Nigeria, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1359554590_nigeriaogn.pdf, Zugriff 15.4.2020

•        VA1 - Vertrauensanwalt 1 der Österreichischen Botschaft Abuja (16.11.2015): Interview im Rahmen einer Fact Finding Mission

•        VA2 - Vertrauensanwalt 2 der Österreichischen Botschaft Abuja (16.11.2015): Interview im Rahmen einer Fact Finding Mission

1.3.9. Bewegungsfreiheit:

Die Verfassung sowie weitere gesetzliche Bestimmungen gewährleisten Bewegungsfreiheit im gesamten Land sowie Auslandsreisen, Emigration und Wiedereinbürgerung. Allerdings schränken Sicherheitsbeamte die Bewegungsfreiheit durch Ausgangssperren ein, vor allem in Gebieten, in denen es Terroranschläge oder ethnisch motivierte Gewalt gibt. Dies betrifft aufgrund der Operationen gegen Boko Haram und ISIS-WA v.a. die Bundesstaaten Adamawa, Borno und Yobe. Auch in anderen Bundesstaaten kommt es in Reaktion auf gewaltsame Auseinandersetzungen in ländlichen Regionen mitunter zu Ausgangssperren. Bei Operationen von Sicherheitskräften in Städten und an Hauptverkehrsstraßen werden gelegentlich Checkpoints eingerichtet. Zahlreiche von Militär und Polizei betriebene Checkpoints bleiben aufrecht (USDOS 11.3.2020).

Bürger dürfen sich in jedem Teil des Landes niederlassen (USDOS 11.3.2020). Grundsätzlich besteht in den meisten Fällen die Möglichkeit, staatlicher Verfolgung, Repressionen Dritter sowie Fällen massiver regionaler Instabilität durch Umzug in einen anderen Teil des Landes auszuweichen (AA 16.1.2020). Prinzipiell sollte es einer Person, die von nicht-staatlichen Akteuren verfolgt wird oder die sich vor diesen fürchtet, in einem großen Land wie Nigeria möglich sein, eine interne Relokation in Anspruch zu nehmen. Natürlich müssen die jeweiligen persönlichen Umstände beachtet werden (UKHO 3.2019).

In den vergangenen Jahrzehnten hat durch Wanderungsbewegungen und interethnische Ehen eine fortgesetzte Durchmischung der Wohnbevölkerung auch der „Kern“-Staaten der drei Hauptethnien (Hausa-Fulani, Yoruba, Igbo) stattgefunden. So ist insbesondere eine starke Nord-Süd-Wanderung feststellbar, wodurch Metropolen wie Lagos heute weitgehend durchmischt sind. Es bestehen daher innerstaatliche Fluchtalternativen (ÖB 10.2019). Ein innerstaatlicher Umzug kann allerdings mit gravierenden wirtschaftlichen und sozialen Problemen verbunden sein, wenn sich Einzelpersonen an einen Ort begeben, an dem keine Mitglieder ihrer (erweiterten) Familie oder der Dorfgemeinschaft leben. Angesichts der Wirtschaftslage, ethnischem Ressentiment und der Bedeutung großfamiliärer Bindungen in der Gesellschaft ist es für viele Menschen schwer, an Orten ohne ein bestehendes soziales Netz erfolgreich Fuß zu fassen. Für alleinstehende Frauen besteht zudem die Gefahr, bei einem Umzug in die Großstadt von der eigenen Großfamilie keine wirtschaftliche Unterstützung mehr zu erhalten (AA 16.1.2020).

Bundesstaats- und Lokalregierungen diskriminieren regelmäßig ethnische Gruppen, die in ihrem Gebiet nicht einheimisch sind. Dies nötigt gelegentlich Personen dazu, in jene Regionen zurückzukehren, aus denen ihre ethnische Gruppe abstammt, obwohl sie dort über keine familiäre Bindung mehr verfügen (USDOS 11.3.2020).

Für Überlandfahrten stehen mehrere Busunternehmen zur Verfügung, so z.B. ABC Transport, Cross Country Limited, Chisco und GUO Transport. Die Busse bieten Komfort, sind sicher, fahren planmäßig und kommen i.d.R. pünktlich am Zielort an. Die nigerianische Eisenbahn gilt als preisgünstiges, aber unzuverlässiges Transportmittel. Günstige Inlandflüge zwischen den Städten werden von mehreren nigerianischen Fluggesellschaften angeboten. Um innerhalb einer der Städte Nigerias von einem Ort zum anderen zu gelangen, stehen Taxis, Minibusse, Dreirad, die Keke und Motorra

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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