TE Bvwg Erkenntnis 2021/7/5 W116 2241624-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 05.07.2021
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Entscheidungsdatum

05.07.2021

Norm

AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §2 Abs1 Z15
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs3 Z1
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §75 Abs24
BFA-VG §21 Abs7
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §24 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


W116 2241624-1/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Mario DRAGONI als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Syrien, gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.03.2021, Zl. 1266199507-200592822, zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status eines Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1.1.    Der Beschwerdeführer, ein syrischer Staatsbürger, Araber und sunnitischer Moslem, stellte nach illegaler Einreise am 13.07.2020 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Im Zuge der am selben Tag durchgeführten Erstbefragung gab der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründe im Wesentlichen an, dass er seinen Militärdienst abgeleistet habe und jetzt als Reservist bei der syrischen Armee kämpfen müsste. Er habe lange Zeit im Befreiungsgebiet gelebt, jetzt sei jedoch die syrische Armee in ihr Gebiet einmarschiert. Er habe Angst, dass er als Reservist einberufen werde und kämpfen müsste. Er wolle für niemand kämpfen, für keine Armee. Auch hinsichtlich seiner Rückkehrbefürchtungen nannte er die Angst, im Krieg kämpfen zu müssen.

1.2.    Am 05.10.2020 und am 10.03.2021 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein eines Dolmetschers für die arabische Sprache niederschriftlich einvernommen. Dabei brachte er zur allgemeinen Sicherheitslage in seinem Heimatdorf vor, dass es Gefechte gegeben habe und dass die allgemeine Lage nicht sehr sicher gewesen sei. Alle Konfliktparteien hätten das Dorf unter Kontrolle gehabt. Befragt, wieso er flüchten habe müssen, berichtete er, dass die Kurden angefangen hätten, junge Männer zwangsweise zu rekrutieren. Er habe nicht kämpfen und am Leben bleiben wollen. Er habe seinen Militärdienst in der Dauer von 1 Jahr und neun Monaten bereits vollständig abgeleistet. Er sei bereits im Jahr 2007 in Jordanien und Anfang des Krieges, 2011 im Libanon gewesen und habe auf einer Baustelle gearbeitet. Bei der Wiedereinreise nach Syrien habe man ihm dann gesagt, dass er zum Militär müsste, da er Reservist sei. Da sein Bruder Ende 2011/Anfang 2012 geheiratet habe, sei er nach Syrien zurückgekehrt. Er hätte die syrischen Militärbehörden fragen müssen, als er wieder ausreisen wollte. Sonst sei nichts passiert, er sei auch nie bedroht worden. Bei der Ausreise habe er keine Probleme gehabt, da es keine syrischen Behörden gegeben habe. Er sei illegal über den Grenzübergang Idlib in die Türkei gereist. Zu seinen Fluchtgründen brachte er im Wesentlichen vor, dass er zum Reservemilitärdienst einberufen worden sei und dass das syrische Militär immer nachts zu den Dörfern kommen würde. Die Kurden hätten daher begonnen, die Männer zu rekrutieren. Er habe es abgelehnt, Waffen zu tragen, egal für welche kriegsbeteiligte Gruppierung. Bezüglich einer Verfolgung durch die syrischen Behörden teilte er mit, dass er nur wegen des Reservemilitärdienstes in Syrien gesucht würde. Dies sei in seinem Alter allgemein so. Bei der Einreise im Jahr 2011 aus dem Libanon habe er erfahren, dass er zum Militär müsste. Wenn sie ihn jetzt finden würden, würden sie ihn einziehen. Er habe aktuell keine Aufforderung zum Militärdienst, da sie in Syrien keine Staatsmacht hätten. Er habe seinen Wehrdienst von XXXX bis XXXX in Damaskus bei einer Spezialeinheit geleistet, habe ein hartes Training gehabt und sei auch mit dem Fallschirm gesprungen. Einen speziellen Namen habe diese Einheit nicht gehabt. Er sei in der Gruppe Nummer XXXX gewesen. Den Militärausweis hätten ihm die Kurden Anfang XXXX und er habe nur zehn Tage Zeit gehabt, um bei den Kurden einzurücken. Diese hätten auch bei seinen Familienangehörigen in Syrien nach ihm gefragt, die syrischen Behörden hingegen nicht. Er habe Angst, dass er eine Waffe führen müsse, egal gegen wen. Von den staatlichen Behörden würde er bestraft werden, mit Haft oder dem Tod, da er den Reservemilitärdienst nicht geleistet habe.

2.       Der angefochtene Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl:

2.1.    Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.03.2021, am 19.03.2021 zugestellt, wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.), gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 wurde dem Beschwerdeführer der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihm gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung für 1 Jahr erteilt (Spruchpunkt III.).

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl traf herkunftsstaatsbezogene Feststellungen zur allgemeinen Lage in Syrien, stellte die Identität des Beschwerdeführers fest und begründete im angefochtenen Bescheid die abweisende Entscheidung im Wesentlichen damit, dass den Angaben des Beschwerdeführers kein Glauben geschenkt werden könnte, da diese in höchstem Maße vage, widersprüchlich und in keiner Weise plausibel seien. Bezüglich seiner Behauptung, wonach er wegen des Reservemilitärdienstes in Syrien gesucht würde, habe er keine Belege, wie einen auf seinen Namen ausgestellten Einberufungsbefehl oder Wehrdienstbescheid, vorlegen können. Es würde für die Behörde daher zweifelsfrei feststehen, dass er in Syrien keiner individuellen, persönlichen und aktuellen Bedrohung unterlegen sei oder sein Heimatland aus den in der GFK angeführten Gründen verlassen habe. Er habe an keiner Stelle in seinem Asylverfahren eine glaubhafte persönliche und individuelle Bedrohung oder Furcht vor einer solchen Bedrohung vorgebracht, sondern sich lediglich auf die allgemein gültige Militärdienstpflicht in Syrien bezogen, welcher alle männlichen Staatsbürger im Alter zwischen 18 und 42 Jahren unterliegen würden. Es sei auch bemerkenswert, dass er im mittlerweile rund 10 Jahre andauernden Konflikt nicht zum vorgebrachten Reservemilitärdienst eingezogen worden sei, weshalb es jetzt nicht nachvollziehbar erscheinen würde, dass er aktuell zu einem solchen Dienst herangezogen werden sollte, zumal seinen Angaben zufolge weder ein Einberufungsbefehl noch eine sonstige Aufforderung zur Ableistung eines solchen Militärdienstes an ihn ergangen sei. Darüber hinaus hätten laut aktuellem LIB Mitte Oktober 2018 regierungsnahe Medien berichtet, dass 800.000 Männer nicht mehr für den Reservedienst benötigt würden, sodass eine Einberufung seiner Person als sehr unwahrscheinlich erscheinen würde. Außerdem habe er auf Nachfrage vorgebracht, dass zwischen 2011 und 2020 nichts passiert sei und dass er auch keine Probleme in Syrien gehabt habe, womit schließlich klar und unzweifelhaft hervorkommen würde, dass er in seiner Heimat nie im Sinne der GFK verfolgt oder gefährlich bedroht worden sei. Es würde ihm aber aufgrund der anhaltenden Bürgerkriegssituation ein reales Risiko einer Verletzung von Art. 3 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten drohen.

2.2.    Mit Verfahrensanordnung gemäß § 63 Abs. 2 AVG vom 17.03.2021 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH - BBU als Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht zur Seite gestellt.

3.       Gegen Spruchpunkt I. des oben genannten Bescheides wurde fristgerecht eine Beschwerde erhoben, welche am 13.04.2021 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einlangte. In dieser wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in seine Heimat eine Verfolgung durch das syrische Regime aufgrund einer (zumindest unterstellten) oppositionellen politischen Gesinnung bzw. die Einziehung als Reservist zum syrischen Militär befürchten würde. Das Bundesamt habe sich nicht mit der Situation des Beschwerdeführers vor dem Hintergrund aktueller Länderberichte auseinandergesetzt. Es müsste der Behörde bekannt sein, dass gesunde Männer wie der Beschwerdeführer zumindest bis zum 42 Lebensjahr als Reservisten zum syrischen Militär eingezogen würden. Dies wird mit zahlreichen Ausschnitten von Berichten internationaler Organisationen untermauert. So wird etwa die im Bescheid zitierte Meldung regierungsnaher Medien von Mitte Oktober 2018 angeführt, wonach etwa 800.000 Männer nicht mehr für den Reservedienst benötigt würden, und ergänzend dazu ausgeführt, dass zumindest manche der Rückkehrer wenige Wochen später (dennoch) eingezogen worden seien, nachdem das (syrische) Verteidigungsministerium im Dezember 2018 neue Einberufungslisten für den Reservedienst veröffentlicht und so die vorherige Entscheidung aufgehoben habe (vgl. ICG 13.02.2020). Damit würde sich zeigen, dass Personen trotz entgegengesetzter Versprechungen der Regierung nach einer Rückkehr in den Reservedienst eingezogen worden seien. Auf allfällige Versöhnungsabkommen, Versicherungen durch staatliche Stellen oder zu einem bestimmten Zeitpunkt gültige Wehrdienstlisten könnte daher jedenfalls nicht vertraut werden. Da die Regierung immer mehr Gebiete unter ihrer Kontrolle habe und der Ortschaft des Beschwerdeführers sehr nahegekommen sei, habe sich die Gefahr der Rekrutierung nicht nur an Kontrollpunkten bei Verlassen der Ortschaft vergrößert, sondern es sei auch absehbar, dass selbst in seiner Heimatgemeinde rekrutiert werde. Darüber hinaus sei die Gefahr der Rekrutierung durch die kurdischen Milizen, die immer mehr unter Druck geraten würden, allgegenwertig. Der Beschwerdeführer habe eine Ausbildung für spezielle Kräfte absolviert, was ihn für das Militär erheblich interessanter machen und wodurch sich die Gefahr einer Einberufung erhöhen würde. Auch mit seiner illegalen Ausreise bzw. der Asylantragstellung im Ausland und allfälligen Konsequenzen hätte sich die Behörde näher auseinandersetzen müssen. Es sei nicht nachvollziehbar, wie die Behörde vor dem Hintergrund ihrer eigenen Länderfeststellungen zum Schluss kommt, dass die Rückkehrbefürchtungen eines gesunden syrischen Mannes im wehrfähigen Alter, auch wenn kein konkreter Einberufungsbefehl vorliegt, der Syrien illegal verlassen und in Europa einen Asylantrag gestellt hat, aus keiner individuellen Verfolgung im Sinne der GFK resultieren. Der Umstand, dass er bis zur Flucht noch nicht vom syrischen Regime (zwangs)rekrutiert wurde, sei durch die fehlenden Zugriffsmöglichkeiten des Regimes auf seine Ortschaft zu erklären. Schließlich sei auch mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass dem Beschwerdeführer insbesondere in Zusammenhang mit seiner Herkunft aus einer weiter unter Rebellenhand stehenden Region Aleppos sowie aufgrund seiner Flucht während des Bürgerkriegs und seiner Asylantragstellung als weiteres Zeichen der Ablehnung der syrischen Regierung eine oppositionelle Gesinnung bei einer Rückkehr nach Syrien zumindest unterstellt werden würde. Dem Beschwerdeführer würde in seiner Heimat daher Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention drohen, sodass ihm der Flüchtlingsstatus zuzuerkennen sei. Der Beschwerde waren u.a. Kopien seines Militärbuches beigelegt.

4.       Das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht:

Die gegenständliche Beschwerde und die Verwaltungsakten wurden vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vorgelegt und sind am 20.04.2021 beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt.

II.      Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.       Entscheidungswesentlicher Sachverhalt:

Auf Grundlage des Antrages auf internationalen Schutz vom 13.07.2020, der Einvernahmen des Beschwerdeführers durch die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sowie des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl und der Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

1.1.    Zur Person und zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Syrien und Angehöriger der arabischen Volksgruppe. Er bekennt sich zum moslemisch/sunnitischen Glauben.

Der Beschwerdeführer hat Syrien Anfang XXXX illegal von seinem Wohnort aus verlassen und ist zunächst zu Fuß in die Türkei gereist, wo er sich ungefähr sieben bis acht Monate aufgehalten hat. Anschließend (zwischen 10.06. und 13.07.2020) ist er über mehrere ihm unbekannte Länder gereist und schließlich illegal in Österreich eingereist, wo er am 13.07.2020 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat.

Festgestellt wird, dass in Syrien ein verpflichtender Wehrdienst für männliche Staatsbürger ab dem Alter von 18 Jahren besteht. Weiters werden aufgrund von Schwierigkeiten bei der Aushebung neuer Rekruten auch Reservisten (neuerlich) zum Militärdienst eingezogen und es kommt zurzeit sogar zur Aufhebung von Militärdienstaufschüben. Schließlich kommt es bei der Vollziehung des Wehrgesetzes zu einem bestimmten Maß an Willkür.

Der Beschwerdeführer hat seinen Wehrdienst in Syrien zwar bereits von XXXX abgeleistet, er befindet sich mit seinen XXXX Jahren jedoch nach wie vor im wehrfähigen Alter. Nach Artikel 15 des Gesetzesdekrets Nr. 30 von 2007 kann ein syrischer Mann nach Beendigung des Pflichtwehrdienstes nämlich bis zum Alter von 42 Jahren als Reservist in den aktiven Dienst einberufen werden (TIMEP 22.8.2019; vgl. STDOK 8.2017).

Aufgrund des aktuellen Ausnahmezustandes in Syrien, wo es wegen Schwierigkeiten bei der Aushebung neuer Rekruten sogar zur Aufhebung von Militärdienstaufschüben und zur erwähnten Einziehung von Reservisten kommt, ist mit entsprechend hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass auch Staatsbürger, die ihren Wehrdienst bereits abgeleistet haben, erneut eingezogen werden. Es ist daher davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer im Rahmen der Einreisekontrolle erneut zum Militärdienst eingezogen werden könnte. Vor allem Personen, die wie der Beschwerdeführer bei eine spezielle militärische Ausbildung erhalten haben, sind für die syrische Armee bekanntlich von besonderem Interesse. Da er bis zuletzt in einem von kurdischen Einheiten kontrollierten Gebiet gelebt hat, erscheint es – im Gegensatz zur Ansicht der belangten Behörde – auch nicht unwahrscheinlich, dass er bislang noch nicht erneut zur syrischen Armee eingezogen wurde.

Unabhängig davon, ob der Beschwerdeführer in seiner Heimat bereits einen Einberufungsbefehl erhalten hat bzw. von den Militärbehörden gesucht wurde oder nicht, droht ihm in Syrien bei einer nunmehrigen Rückkehr die reale Gefahr, als Reservist zum Militärdienst bei der syrischen Armee eingezogen zu werden und er ist im Zusammenhang mit der Einziehung, der Ableistung oder der Verweigerung des Militärdienstes der Gefahr erheblicher Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt. Der Beschwerdeführer hat Syrien unter anderem verlassen, um sich einer Wehrdienstverpflichtung als Reservist zu entziehen.

Davon abgesehen sind auch seine Zugehörigkeit zum sunnitischen Islam und sein langjähriger Aufenthalt im Rebellengebiet durchaus geeignet, den Beschwerdeführer zum Ziel von Verfolgungen zu machen. Der bewaffnete Konflikt wurde nämlich zunehmend konfessionell bzw. das syrische Regime gegenüber Rebellen immer unerbittlicher und sunnitische Zivilisten sind weiterhin das Hauptziel der Regimetruppen und von Pro-Regime-Milizen. So kann das Herkunftsgebiet oder der Wohnort einer Person den Verdacht des Kontrollpersonals wecken, wenn dieses bzw. dieser von der Opposition kontrolliert wird oder wurde (FIS 14.12.2018).

Vor dem Hintergrund der aktuellen Bürgerkriegssituation in Syrien ist jedoch auch nicht damit zu rechnen, dass der syrische Staat – sollte von ihm selbst keine Verfolgungshandlung ausgehen – seine Bürger vor Bedrohungen und Übergriffen seitens bewaffneter Milizen oder sonstiger Gruppierungen ausreichend schützen kann. Der Beschwerdeführer wäre allfälligen Bedrohungs- oder Verfolgungshandlungen von den anderen Kriegsparteien somit schutzlos ausgeliefert.

Eine hinsichtlich des Reiseweges zumutbare und legale Rückkehr nach Syrien ist nur über den Flughafen in Damaskus möglich, der sich in der Hand der Regierung befindet, wobei der Beschwerdeführer schon allein wegen seiner (illegalen) Ausreise und seinem Auslandsaufenthalt während eines staatlichen Ausnahmezustandes zusammen mit seiner Asylantragstellung im Ausland Gefahr läuft, bei einer Rückkehr die Aufmerksamkeit der syrischen Behörden auf sich zu ziehen und damit in deren Blickfeld zu geraten. Zudem hätte er sich als Mann im wehrfähigen Alter vor Verlassen seiner Heimat bei den Militärbehörden melden müssen. Das syrische Regime verlangt nämlich ein Ausreisevisum und schließt regelmäßig den Flughafen Damaskus und Grenzübergänge, angeblich aus Sicherheitsgründen (USDOS 11.3.2020). Die Behandlung von Personen an einem Checkpoint kann sehr unterschiedlich (DIS 9.2019) bzw. recht willkürlich sein. Damit besteht aber vor allem auch die Gefahr, dass er als gesunder Staatsbürger im wehrfähigen Alter erneut zur syrischen Armee eingezogen oder für seine Weigerung asylrelevant verfolgt werden könnte.

Bei Männern im wehrfähigen Alter wird überprüft, ob diese ihren Militärdienst bereits abgeleistet haben. Weiters besteht für einen nach Syrien zurückkehrenden, abgelehnten Asylwerber im Allgemeinen bei der Ankunft die reale Gefahr, aufgrund einer angenommenen politischen Gesinnung inhaftiert zu werden, und in der Folge schweren Misshandlungen ausgesetzt zu sein (UK Home 8.2016).

Dahingestellt bleiben kann, ob der Beschwerdeführer tatsächlich auch gefährdet war, Opfer einer Zwangsrekrutierung durch kurdische Milizen zu werden.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

1.2. Zur maßgeblichen Situation in Syrien:

„Allgemeine Menschenrechtslage

In dem seit mehr als neun Jahren andauernden Bürgerkrieg gab es nach Schätzungen bereits rund eine halbe Million Tote (Welt 30.6.2020; vgl. BBC 12.7.2020). Das Regime wurde durch den Erfolg seiner von Russland und Iran unterstützten Kampagnen so gefestigt, dass es keinen Willen zeigt, integrative oder versöhnende demokratische Prozesse einzuleiten. Dies zeigt sich in der Abwesenheit freier und fairer Wahlen sowie in den gewaltsamen Maßnahmen zur Unterdrückung der Rede- und Versammlungsfreiheit. Bewaffnete Akteure aller Fraktionen, darunter auch die Regierung, versuchen ihre Herrschaft mit Gewalt durchzusetzen und zu legitimieren (BS 29.4.2020).

Es gibt krasse Ungleichheiten zwischen Arm und Reich, eine schwache Unterscheidung zwischen Staat und Wirtschaftseliten und einen geschlossenen Kreis wirtschaftlicher Möglichkeiten. Die Bürger werden ungleich behandelt. Ihnen werden aufgrund konfessioneller Zugehörigkeit, des Herkunftsortes, ethnischer Zugehörigkeit und des familiären Hintergrundes grundlegende staatsbürgerliche Rechte vorenthalten bzw. Privilegien gewährt oder verweigert. Grundlegende Aspekte der Staatsbürgerschaft werden großen Teilen der Bevölkerung verwehrt. Diese ungerechte Behandlung hat sich im Laufe der Konfliktjahre vertieft (BS 29.4.2020).

Die Verfassung bestimmt die Ba’ath-Partei als die herrschende Partei und stellt sicher, dass sie die Mehrheit in allen Regierungs- und Volksverbänden hat. Ein Dekret von 2011 erlaubt die Bildung anderer politischer Parteien, jedoch nicht auf Basis von Religion, Stammeszugehörigkeit oder regionalen Interessen. Die Regierung erlaubt nur regierungsnahen Gruppen offizielle Parteien zu gründen und zeigt wenig Toleranz gegenüber anderen politischen Parteien, auch jenen, die mit der Ba’ath-Partei in der National Progressive Front verbündet sind. Parteien wie die Communist Union Movement, die Communist Action Party und die Arab Social Union werden schikaniert. Gesetze, welche die Mitgliedschaft in illegalen Organisationen verbieten, wurden auch verwendet um Hunderte Mitglieder von Menschenrechts- und Studentenorganisationen zu verhaften. Es gibt auch zahlreiche Berichte zu anderen Formen der Drangsalierung von Menschenrechtsaktivisten, Oppositionellen oder Personen, die als oppositionell wahrgenommen werden. Diese reichen von Reiseverboten, Enteignung und Überwachung bis hin zu willkürlichen Festnahmen, Verschwindenlassen und Folter (USDOS 11.3.2020).

Laut Human Rights Watch bekräftigen die Ereignisse im Jahr 2019 die Schlussfolgerung, dass die Gräueltaten und Menschenrechtsverletzungen, die für den Konflikt charakteristisch sind, weiterhin die Regel und nicht die Ausnahme sind (HRW 14.1.2020; vgl. AA 19.5.2020). Jedoch hat die Intensität dieser Übergriffe im Vergleich zu den Vorjahren aufgrund des Endes der aktiven Kampfhandlungen in den meisten Regionen des Landes 2019 abgenommen (SHRC 7.1.2020).

Weiterhin besteht in keinem Teil des Landes ein umfassender und langfristiger Schutz vor willkürlicher Verhaftung und Repression durch die zahlreichen Sicherheitsdienste, Milizen und sonstige regimenahe Institutionen. Dies gilt auch für Landesteile, insbesondere im äußersten Westen des Landes sowie der Hauptstadt Damaskus, in denen traditionell Bevölkerungsteile leben, die dem Regime näher stehen. Selbst bis dahin als regimenah geltende Personen können aufgrund allgegenwärtiger staatlicher Willkür grundsätzlich Opfer von Repressionen werden (AA 19.5.2020).

In Gebieten, die von der Regierung zurückerobert werden, kommt es zu Beschlagnahmungen von Eigentum, großflächigen Zerstörungen von Häusern und willkürlichen Verhaftungen (HRW 14.1.2020; vgl. SHRC 24.1.2019). Diejenigen, die sich mit der Regierung „versöhnt“ haben, werden weiterhin durch die Regierungstruppen misshandelt. Auch nichtstaatliche bewaffnete Oppositionsgruppen begehen schwere Übergriffe. Das Schicksal von Tausenden, die vom sogenannten Islamischen Staat (IS) entführt wurden, bleibt unbekannt. Auch die kurdischen Behörden, die von den USA geführte Koalition oder die syrische Regierung unternehmen keine Schritte, deren Verbleib zu ermitteln. Trotz der internationalen Aufmerksamkeit, einschließlich durch den Sondergesandten und den Sicherheitsrat, die den Inhaftierten und Verschwundenen im Machtbereich der syrischen Regierung zuteil wird, wurden kaum Fortschritte erzielt (HRW 14.1.2020; vgl. SHRC 7.1.2020).

Es sind zahllose Fälle bekannt, bei denen Personen für als regierungsfeindlich angesehene Tätigkeiten ihrer Verwandten inhaftiert und gefoltert werden, darunter sollen auch Fälle sein, bei denen die gesuchten Personen ins Ausland geflüchtet sind (AA 20.11.2019; vgl. AA 19.5.2020). Frauen mit familiären Verbindungen zu Oppositionskämpfern oder Abtrünnigen werden z.B. als Vergeltung oder zur Informationsgewinnung festgenommen (UNHRC 31.1.2019). Außerdem werden Personen festgenommen, die Kontakte zu Verwandten oder Freunden unterhalten, die in von der Opposition kontrollierten Gebieten leben (UNHRC 31.1.2019; vgl. UNHCR 7.5.2020).

Tausende Menschen starben seit 2011 im Gewahrsam der syrischen Regierung an Folter und entsetzlichen Haftbedingungen (HRW 14.1.2020). Die Methoden der Folter, des Verschwindenlassens und der schlechten Bedingungen in den Haftanstalten sind keine Neuerung der letzten Jahre seit Ausbruch des Konfliktes, sondern waren bereits zuvor gängige Praxis der unterschiedlichen Nachrichtendienste und Sicherheitsbehörden in Syrien (SHRC 24.1.2019). Weitere schwere Menschenrechtsverletzungen, derer das Regime und seine Verbündeten beschuldigt werden, sind willkürliche und absichtliche Angriffe auf Zivilisten, darunter auch der Einsatz von chemischen Waffen; Massaker und Vergewaltigungen als Kriegstaktik; Einsatz von Kindersoldaten sowie übermäßige Einschränkungen der Bewegungs-, Meinungs-, Versammlungs- und Pressefreiheit, inklusive Zensur. Die Regierung überwacht die Kommunikation im Internet, inklusive E-Mails, greift in Internet- und Telefondienste ein und blockiert diese. Die Regierung setzt ausgereifte Technologien und Hunderte von Computerspezialisten für Überwachungszwecke ein (USDOS 11.3.2020).

Orte, die im Laufe der vergangenen Jahre wieder unter die Kontrolle der Regierung gelangt sind, erlebten organisierte und systematische Plünderungen durch die bewaffneten Einheiten der Regierung (SHRC 24.1.2019; vgl. HRW 14.1.2020). Berichten zufolge sind Personen in Gebieten, die erst vor kurzer Zeit durch die Regierung wiedererobert wurden, aus Angst vor Repressalien oft zögerlich dabei, über die Situation in diesen Gebieten zu berichten (USDOS 11.3.2020). Zwangsdeportationen von Hunderttausenden Bürgern haben ganze Städte und Dörfer entvölkert (BS 29.4.2020).

Bewaffnete terroristische Gruppierungen, wie die mit al-Qaida in Verbindung stehende Gruppe Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS), sind für weitverbreitete Menschenrechtsverletzungen, wie Massaker, Beschuss, Entführung, unrechtmäßige Inhaftierung, extremen körperlichen Missbrauch, Tötung und Zwangsvertreibung auf Basis der Konfession Betroffener, verantwortlich (USDOS 11.3.2020). Sexuelle Versklavung und Zwangsverheiratung sind zentrale Elemente der Ideologie des sogenannten IS. Mädchen und Frauen wurden zur Heirat mit Kämpfern gezwungen. Frauen und Mädchen, die Minderheiten angehören, wurden sexuell versklavt, zwangsverheiratet und anderen Formen sexueller Gewalt ausgesetzt (USDOS 20.6.2019).

Elemente der Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF), einer Koalition aus syrischen Kurden, Arabern, Turkmenen und anderen Minderheiten, zu der auch Mitglieder der Kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) gehören, sollen an Korruption, rechtswidriger Einschränkung des Personenverkehrs und willkürlicher Verhaftung von Zivilisten sowie an Angriffen beteiligt gewesen sein, die zu zivilen Opfern führten. Es gibt vereinzelte Berichte über Festnahmen von Journalisten, Mitgliedern von Menschenrechtsorganisationen und Oppositionsparteien und Personen, die sich weigerten mit den kurdischen Gruppen zu kooperieren (USDOS 11.3.2020; vgl. HRW 10.9.2018). Familienmitglieder von gesuchten Aktivisten, darunter auch Verwandte von Mitgliedern des IS, sollen von den SDF in den von ihnen kontrollierten Gebieten gefangen genommen worden sein, um Informationen zu erhalten oder um Druck auszuüben (USDOS 13.3.2019).

Die menschenrechtliche Situation in den kurdisch kontrollierten Gebieten stellt sich insgesamt erkennbar weniger gravierend dar als in den Gebieten, die sich unter Kontrolle des syrischen Regimes oder islamistischer bis jihadistischer Gruppen befinden (AA 20.11.2019).

Ein Charakteristikum des Bürgerkriegs in Syrien ist, dass in ganz Syrien bestimmte Personen aufgrund ihrer tatsächlichen oder wahrgenommenen bzw. zugeschriebenen politischen Meinung oder Zugehörigkeit direkt angegriffen werden oder ihnen auf andere Weise Schaden zugefügt wird. Diese Zuschreibung basiert oft nur auf den familiären Verbindungen der Person, ihrem religiösen oder ethnischen Hintergrund oder einfach auf ihrer Präsenz in oder Herkunft aus einem bestimmten Gebiet, das als „regierungsfreundlich“ oder „regierungsfeindlich“ gilt (UNHCR 11.2015).

Quellen:

• AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (19.5.2020): Fortschreibung des Berichts über die Lage in der Arabischen Republik Syrien vom November 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2031629/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Fortschreibung_des_Berichts_%C3%Bcber_die_Lage_in_der_Arabischen_Republik_Syrien_vom_November_2019_%28Stand_Mai_2020%29%2C_19.05.2020.pdf, Zugriff 7.9.2020

• AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (20.11.2019): Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien, https://milo.bamf.de/milop/cs.exe/fetch/2000/702450/683266/683300/684459/684542/6038295/21601427/Deutschland___Auswärtiges_Amt%2C_Bericht_über_die_Lage_in_der_Arabischen_Republik_Syrien_(Stand_20.11.2019)%2C_20.11.2019.pdf?nodeid=21602084&vernum=-2, Zugriff 26.8.2020

• BBC – BBC News Russkaya Sluzhba [Russian Service] (12.7.2020): „??????? ???????? ??????“: ??? ???????????? ?????? ??? ? ????? ????? ???? ????? ????? [„Dem russischen Druck nachgeben.“ Die gesamte humanitäre Hilfe der UNO für Syrien wird über Assad abgewickelt], https://www.bbc.com/russian/news-53353049, Zugriff 7.9.2020

• BS – Bertelsmann Stiftung (29.4.2020): BTI 2020 Country Report – Syria, Gütersloh: Bertelsmann Stiftung, https://www.ecoi.net/en/file/local/2029497/country_report_2020_SYR.pdf, Zugriff 22.7.2020

• HRW – Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 – Syria, https://www.ecoi.net/en/document/2022683.html, Zugriff 22.7.2020

• HRW – Human Rights Watch (10.9.2018): Syria: Kurdish-led Administration Jails Rivals, https://www.hrw.org/news/2018/09/10/syria-kurdish-led-administration-jails-rivals, Zugriff 7.9.2020

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• SHRC – Syrian Human Rights Committee (24.1.2019): The 17th Annual Report on Human Rights in Syria 2018, http://www.shrc.org/en/wp-content/uploads/2019/01/English_Web.pdf, Zugriff 22.7.2020

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• UNHRC – United Nations Human Rights Council (31.1.2019): Report of the Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic [A/HRC/40/70], https://www.ohchr.org/Documents/HRBodies/HRCouncil/CoISyria/A_HRC_40_70.pdf, Zugriff 8.9.2020

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• USDOS – United States Department of State [USA] (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Syria, https://www.ecoi.net/en/document/2026345.html, Zugriff 22.7.2020

• USDOS – United States Department of State [USA] (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 – Syria, https://www.ecoi.net/en/document/2004226.html, Zugriff 17.8.2020

• Welt (30.6.2020): Deutschland sagt Opfern des Syrienkrieges Milliarden-Hilfe zu, https://www.welt.de/politik/ausland/article210741853/Syrienkrieg-Deutschland-sagt-Opfern-Milliarden-Hilfe-zu.html, Zugriff 21.8.2020

Folter, Haftbedingungen und unmenschliche Behandlung

Das Gesetz verbietet Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlungen oder Strafen, wobei das Strafgesetzbuch eine Strafe von maximal drei Jahren Gefängnis für Täter vorsieht. Nichtsdestotrotz wenden die Sicherheitskräfte in Tausenden Fällen solche Praktiken an (USDOS 11.3.2020). Willkürliche Festnahmen, Misshandlung, Folter und Verschwindenlassen sind in Syrien weit verbreitet (HRW 14.1.2020; vgl. AI 18.2.2020, USDOS 11.3.2020, AA 20.11.2019). Sie richten sich von Seiten der Regierung insbesondere gegen Oppositionelle oder Menschen, die vom Regime als oppositionell wahrgenommen werden (AA 20.11.2019).

NGOs berichten glaubhaft, dass die syrische Regierung und mit ihr verbündete Milizen physische Misshandlung, Bestrafung und Folter an oppositionellen Kämpfern und Zivilisten begehen (USDOS 11.3.2020; vgl. TWP 23.12.2018). Vergewaltigung und sexueller Missbrauch von Frauen, Männern und Minderjährigen sind weit verbreitet. Die Regierung nimmt hierbei auch Personen ins Visier, denen Verbindungen zur Opposition vorgeworfen werden (USDOS 11.3.2020). Es sind zahllose Fälle dokumentiert, bei denen Familienmitglieder wegen der als regierungsfeindlich wahrgenommenen Tätigkeit von Verwandten inhaftiert und gefoltert wurden, auch wenn die als regierungsfeindlich wahrgenommenen Personen ins Ausland geflüchtet waren (AA 20.11.2019).

Systematische Folter und die Bedingungen in den Haftanstalten führen häufig zum Tod von Insassen. Die Gefängnisse sind stark überfüllt, es mangelt an Nahrung, Trinkwasser, Hygiene und Zugang zu sanitären Einrichtungen und medizinischer Versorgung. Diese Bedingungen waren so durchgängig, dass die Untersuchungskommission der Vereinten Nationen zu dem Schluss kam, diese seien Regierungspolitik (USDOS 11.3.2020). Laut Berichten von NGOs gibt es zahlreiche informelle Hafteinrichtungen in umgebauten Militärbasen, Schulen, Stadien und anderen unbekannten Lokalitäten. So sollen inhaftierte Demonstranten in leerstehenden Fabriken und Lagerhäusern ohne angemessene sanitäre Einrichtungen festhalten werden (USDOS 11.3.2020; vgl. AA 20.11.2019, SHRC 24.1.2019). Die Regierung hält weiterhin Tausende Personen ohne Anklage und ohne Kontakt zur Außenwelt („incommunicado“) an unbekannten Orten fest (USDOS 11.3.2020). Von Familien von Häftlingen wird Geld verlangt, dafür dass die Gefangenen Nahrung erhalten und nicht mehr gefoltert werden, was dann jedoch nicht eingehalten wird. Große Summen werden gezahlt, um die Freilassung von Gefangenen zu erwirken (MOFANL 7.2019).

In jedem Dorf und jeder Stadt gibt es Haft- bzw. Verhörzentren für die ersten Befragungen und Untersuchungen nach einer Verhaftung. Diese werden von den Sicherheits- und Nachrichtendiensten oder auch regierungstreuen Milizen kontrolliert. Meist werden Festgenommene in ein größeres Untersuchungszentrum in der Provinz oder nach Damaskus und schließlich in ein Militär- oder ziviles Gefängnis gebracht. Im Zuge dieses Prozesses kommt es zu Folter und Todesfällen. Selten wird ein Häftling freigelassen. Unschuldige bleiben oft in Haft, um Geldsummen für ihre Freilassung zu erpressen oder um sie im Zuge eines „Freilassungsabkommens“ auszutauschen (SHRC 24.1.2019).

Im Sommer und Herbst 2018 wurden von den Regierungsbehörden Sterberegister veröffentlicht, wodurch erstmals offiziell der Tod von 7.953 Menschen in Regierungsgewahrsam bestätigt wurde, wenn auch unter Angabe unspezifischer Todesursachen (Herzversagen, Schlaganfall etc.). Berichten zufolge sind die Todesfälle auf Folter, Krankheit als Folge mangelnder Ernährung und Hygiene in den Einrichtungen und außergerichtliche Tötungen zurückzuführen (AA 20.11.2019; vgl. SHRC 24.1.2019). Die syrische Regierung übergibt die Überreste der Verstorbenen nicht an die Familien (HRW 14.1.2020).

Zehntausende Menschen sind weiterhin verschwunden, die Mehrheit seit 2011. Unter ihnen befinden sich humanitäre Helfer, Anwälte, Journalisten, friedliche Aktivisten, Regierungskritiker und -gegner sowie Personen, die anstelle von Verwandten, die von den Behörden gesucht wurden, inhaftiert wurden (AI 18.2.2020). In Gebieten, die unter der Kontrolle der Opposition standen und von der Regierung zurückerobert wurden, darunter Ost-Ghouta, Dara’a und das südliche Damaskus, verhafteten die syrischen Sicherheitskräfte Hunderte von Aktivisten, ehemalige Oppositionsführer und ihre Familienangehörigen, obwohl sie alle Versöhnungsabkommen mit den Behörden unterzeichnet hatten, in denen garantiert wurde, dass sie nicht verhaftet würden (HRW 14.1.2020).

Die Methoden der Folter, des Verschwindenlassens und der schlechten Bedingungen in den Haftanstalten sind jedoch keine Neuerung der Jahre seit Ausbruch des Konfliktes, sondern waren bereits seit der Ära von Hafez al-Assad gängige Praxis der unterschiedlichen Nachrichtendienste und Sicherheitsbehörden in Syrien (SHRC 24.1.2019).

Auch die Rebellengruppierungen werden außergerichtlicher Tötungen und der Folter von Inhaftierten beschuldigt (FH 4.3.2020; vgl. USDOS 11.3.2020). Opfer sind vor allem (vermutete) regierungstreue Personen und Mitglieder von Milizen oder rivalisierenden bewaffneten Gruppen. Zu den Bedingungen in den Hafteinrichtungen der verschiedenen regierungsfeindlichen Gruppen ist wenig bekannt, NGOs berichten von willkürlichen Verhaftungen, Folter und unmenschlicher Behandlung. Der sogenannte Islamische Staat (IS) agierte Berichten zufolge mit Brutalität und Missbräuchen gegen Personen in seiner Gefangenschaft in oder in der Nähe der schrumpfenden Gebiete, die er 2019 kontrollierte (USDOS 11.3.2020).

Quellen:

• AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (20.11.2019): Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien, https://milo.bamf.de/milop/cs.exe/fetch/2000/702450/683266/683300/684459/684542/60 38295/21601427/Deutschland__Auswärtiges_Amt%2C_Bericht_über_die_Lage_in_der_Arabischen_Republik_Syrien_(Stand_20.11.2019)%2C_20.11.2019.pdf?nodeid=21602084&vernum=-2 , Zugriff 26.8.2020

• AI – Amnesty International (18.2.2020): Human rights in the Middle East and North Africa – Review of 2019, Syria, https://www.ecoi.net/en/document/2025845.html, Zugriff 22.7.2020

• FH – Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Syria, https://freedomhouse.org/country/syria/freedom-world/2020, Zugriff 22.7.2020

• HRW – Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 – Syria, https://www.ecoi.net/en/document/2022683.html, Zugriff 22.7.2020

• MOFANL – Ministry of Foreign Affairs of the Netherlands – Department for Country of Origin Information Reports (7.2019): Country of Origin Information Report Syria – The security situation [Niederlande], per E-Mail am 27.8.2019

• SHRC – Syrian Human Rights Committee (24.1.2019): The 17th Annual Report on Human Rights in Syria 2018, http://www.shrc.org/en/wp-content/uploads/2019/01/English_Web.pdf, Zugriff 22.7.2020

• TWP – The Washington Post (23.12.2018): Syria’s once teeming prison cells being emptied by mass murder, https://www.washingtonpost.com/graphics/2018/world/syria-bodies/?noredirect=on &utm_term=.6a8815bb3721, Zugriff 22.7.2020

• USDOS – United States Department of State [USA] (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Syria, https://www.ecoi.net/en/document/2026345.html, Zugriff 22.7.2020

Die syrischen Streitkräfte - Wehr- und Reservedienst

Letzte Änderung: 16.12.2020

Für männliche syrische Staatsbürger ist im Alter zwischen 18 bis 42 Jahren die Ableistung eines Wehrdienstes von zwei Jahren gesetzlich verpflichtend (ÖB 29.9.2020). Laut Gesetzesdekret Nr. 30 von 2007 Art. 4 lit b gilt dies vom 1. Januar des Jahres, in dem das Alter von 18 Jahren erreicht wird, bis zum Überschreiten des Alters von 42 Jahren (PAR 12.5.2007). Zusätzlich gibt es die Möglichkeit eines freiwilligen Militärdienstes. Frauen können ebenfalls freiwillig Militärdienst leisten (CIA 12.8.2020; vgl. AA 20.11.2019, FIS 14.12.2018). Palästinensische Flüchtlinge mit dauerhaftem Aufenthalt in Syrien unterliegen ebenfalls der Wehrpflicht, dienen jedoch in der Regel in der Palestinian Liberation Army (PLA) unter palästinensischen Offizieren. Diese ist jedoch de facto ein Teil der syrischen Armee (AA 13.11.2018; vgl. FIS 14.12.2018). Auch Binnenvertriebene sind wie andere Syrer zur Ableistung des Wehrdienstes verpflichtet und werden rekrutiert (FIS 14.12.2018).

Nach dem Ausbruch des Konfliktes stellte die syrische Regierung die Abrüstung von Rekruten, welche den verpflichtenden Wehrdienst geleistet hatten, ein (DIS 5.2020; vgl. ÖB 7.2019). 2018 wurde mit der Entlassung der ältesten Rekrutenklassen begonnen, welche seit 2011 im Dienst waren. Zahlreiche Männer leisten ihren Wehrdienst jedoch auch weiterhin über den verpflichtenden Zeitraum hinaus ab (DIS 5.2020).

Gemäß Artikel 15 des Gesetzesdekrets Nr. 30 von 2007 bleibt ein syrischer Mann nach Beendigung des Pflichtwehrdienstes, wenn er sich gegen einen Eintritt in den Militärdienst als Berufssoldat entscheidet, Reservist und kann bis zum Alter von 42 Jahren in den aktiven Dienst einberufen werden (TIMEP 22.8.2019; vgl. STDOK 8.2017). Es liegen einzelne Berichte vor, denen zufolge die Altersgrenze für den Reservedienst erhöht wird, wenn die betreffende Person besondere Qualifikationen hat (das gilt z.B. für Ärzte, Panzerfahrer, Luftwaffenpersonal, Artilleriespezialisten und Ingenieure für Kampfausrüstung). Manche Personen werden wieder zum aktiven Dienst einberufen, andere wiederum nicht, was von vielen verschiedenen Faktoren abhängt. Es ist sehr schwierig zu sagen, ob jemand tatsächlich zum Reservedienst einberufen wird (STDOK 8.2017).

Die syrische Armee hat durch Verluste, Desertion und Überlaufen zu den Rebellen einen schweren Mangel an Soldaten zu verzeichnen (TIMEP 6.12.2018). Die syrische Regierung hat das syrische Militärdienstgesetz während des Konflikts mehrfach geändert, um die Zahl der Rekruten zu erhöhen (DIS 10.2019). Unter anderem besteht aufgrund der Kämpfe in Idlib ein hoher Bedarf an Rekruten und Reservisten. Nach Gebietsgewinnen im Sommer 2018 rekrutieren die syrischen Streitkräfte nun vermehrt in diesen Gebieten. Während ein Abkommen zwischen den überwiegend kurdischen Syrian Democratic Forces (SDF) und der syrischen Regierung vom November 2019 die Stationierung von Truppen der syrischen Streitkräfte in vormals kurdisch kontrollierten Gebieten vorsieht, hat die syrische Regierung aufgrund von mangelnder Verwaltungskompetenz bislang keinen verpflichtenden Wehrdienst in diesen Gebieten wiedereingeführt (DIS 5.2020) [Anm.: zum Wehrdienst bei Einheiten der SDF siehe Kapitel „Die kurdischen Volksverteidigungskräfte (YPG/YPJ)“.]

Bei der Einberufung neuer Rekruten sendet die Regierung Wehrdienstbescheide mit der Aufforderung, sich zum Militärdienst anzumelden, an Männer, die das wehrfähige Alter erreicht haben. Die Namen der einberufenen Männer werden in einer zentralen Datenbank erfasst. Männer, die sich beispielsweise im Libanon aufhalten, können mittels Bezahlung von Bestechungsgeldern vor ihrer Rückkehr nach Syrien überprüfen, ob sich ihr Name in der Datenbank befindet (DIS 5.2020).

Die Regierung hat in vormals unter der Kontrolle der Oppositionskräfte stehenden Gebieten, wie zum Beispiel Ost-Ghouta, Zweigstellen zur Rekrutierung geschaffen. Wehrdienstverweigerer und Deserteure können sich in diesen Rekrutierungszentren melden, um nicht länger von den Sicherheitskräften gesucht zu werden. In vormaligen Oppositionsgebieten werden Listen mit Namen von Personen, welche zur Rekrutierung gesucht werden, an lokale Behörden und Sicherheitskräfte an Checkpoints verteilt (DIS 5.2020). Ein „Herausfiltern“ von Militärdienstpflichtigen im Rahmen von Straßenkontrollen oder an einem der zahlreichen Checkpoints ist weit verbreitet (FIS 14.12.2018). So errichtet die Militärpolizei beispielsweise in Homs stichprobenartig und nicht vorhersehbar Straßenkontrollen. Die intensiven Kontrollen erhöhen das Risiko für Militär- dienstverweigerer, verhaftet zu werden (EB 3.6.2020). Rekrutierungen finden auch in Ämtern statt, beispielsweise wenn junge Männer Dokumente erneuern wollen, sowie an Universitäten, in Spitälern und an Grenzübergängen, wo die Beamten Zugang zur zentralen Datenbank mit den Namen der für den Wehrdienst gesuchten Männer haben. Nach Angaben einer Quelle fürchten auch Männer im wehrfähigen Alter, welche vom Militärdienst laut Gesetz ausgenommen sind oder von einer zeitweisen Amnestie vom Wehrdienst Gebrauch machen wollen, an der Grenze eingezogen zu werden (DIS 5.2020). Während manche Quellen davon ausgehen, dass insbesondere in vormaligen Oppositionsgebieten (z.B. dem Umland von Damaskus, Aleppo, Dara’a und Homs) immer noch Rekrutierungen mittels Hausdurchsuchungen stattfinden (DIS 5.2020; vgl. EB 3.6.2020), berichten andere Quellen, dass die Regierung nun weitgehend davon absieht, um erneute Aufstände zu vermeiden. Weiters rekrutieren die syrischen Streitkräfte in Lagern für Binnenvertriebene (DIS 5.2020).

Die Behörden ziehen vornehmlich Männer bis zu einem Alter von 27 Jahren ein, während Ältere sich eher auf Ausnahmen berufen können. Dennoch wurden die Altersgrenzen fallweise angehoben und auch Männer bis zu einem Alter von 55 Jahren eingezogen, bzw. konnten Männer nach Erreichen des 42. Lebensjahres die Armee nicht verlassen (ÖB 29.9.2020; vgl. FIS 14.12.2018). Die Altersgrenze hängt laut Experten eher von lokalen Entwicklungen und den Mobilisierungsbemühungen der Regierung ab, als von allgemeinen Einberufungsregelungen. Generell hat sich das Maß der Willkür in Syrien im Zuge des Konfliktes erhöht (FIS 14.12.2018). Manche Quellen berichten, dass ihnen keine Fälle von Rekrutierungen über-42-Jähriger nach 2016 bzw. 2018 bekannt seien. Gemäß anderen Quellen soll es jedoch zu Einberufungen von über-42-jährigen Rückkehrern aus dem Libanon und Jordanien als Reservisten gekommen sein, wobei es sich nicht um Zwangsrekrutierungen handelte (DIS 5.2020).

Mitte Oktober 2018 berichteten regierungsnahe Medien, dass etwa 800.000 Männer nicht mehr für den Reservedienst benötigt werden. Eine Reihe Syrer kehrten daraufhin nach Syrien zurück, wobei manche über Beziehungen in der Heimat ihren Wehrdienststatus überprüfen ließen und sich versicherten, dass sie tatsächlich nicht mehr gesucht werden. Zumindest manche der Rückkehrer wurden wenige Wochen später eingezogen, nachdem das Verteidigungsministerium im Dezember 2018 neue Einberufungslisten für den Reservedienst veröffentlichte und so die vorherige Entscheidung aufhob. Die Gründe für diese Verkettung von Ereignissen ist jedoch laut International Crisis Group schwer zu ermitteln (ICG 13.2.2020).

Im November 2017 beschloss das syrische Parlament eine Gesetzesnovelle der Artikel 74 und 97 des Militärdienstgesetzes. Die Novelle besagt, dass jene, die das Höchstalter für die Ableistung des Militärdienstes überschritten haben und den Militärdienst nicht abgeleistet haben, aber auch nicht aus etwaigen gesetzlich vorgesehenen Gründen vom Wehrdienst befreit sind, eine Kompensationszahlung von 8.000 USD oder dem Äquivalent in SYP leisten müssen. Diese Zahlung muss innerhalb von drei Monaten nach Erreichen des Alterslimits geleistet werden. Wenn diese Zahlung nicht geleistet wird, ist die Folge eine einjährige Haftstrafe und die Zahlung von 200 USD für jedes Jahr, um welches sich die Zahlung verzögert, wobei der Betrag 2000 USD oder das Äquivalent in SYP nicht übersteigen soll. Jedes begonnene Jahr der Verzögerung wird als ganzes Jahr gerechnet. Außerdem kann basierend auf einem Beschluss des Finanzministers das bewegliche und unbewegliche Vermögen der Person, die sich weigert den Betrag zu bezahlen, konfisziert werden (SANA 8.11.2017; vgl. SLJ 10.11.2017, PAR 15.11.2017).

Quellen:

• AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (20.11.2019): Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien, https://milo.bamf.de/milop/cs.exe/fetch/2000/702450/683266/683300/684459/684542/60 38295/21601427/Deutschland___Auswärtiges_Amt%2C_Bericht_über_die_Lage_in_der_Arabischen_Republik_Syrien_(Stand_20.11.2019)%2C_20.11.2019.pdf?nodeid=21602084&vernum=-2, Zugriff 26.8.2020

• AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (13.11.2018): Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien, https://www.ecoi.net/en/file/local/1451486/4598_1542722823_auswaertiges-amt-berichtueber-die-lage-in-der-arabischen-republik-syrien-stand-november-2018-13-11-2018.pdf, Zugriff 18.8.2020

• CIA – Central Intelligence Agency [USA] (12.8.2019): The World Factbook: Syria – Military and Security, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/sy.html, Zugriff 21.8.2020

• CMEC – Carnegie Middle East Center (14.4.2020): Syria and Coronavirus, https://carnegie-mec.org/2020/04/14/syria-and-coronavirus-pub-81547, Zugriff 24.8.2020

• DIS – Danish Immigration Service [Dänemark] (5.2020): Syria – Military Service, Report based on a fact-finding mission to Istanbul and Beirut (17-25 February 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2031493/Report_Syria_Military_Service_may_2020.pdf, Zugriff 22.7.2020

• DIS – Danish Immigration Service [Dänemark] (10.2019): Syria – Issues Regarding Military Service, COI report based on written sources, https://www.ecoi.net/en/file/local/2018870/COI_syria_report_military_service_oct_2019.pdf, Zugriff 24.8.2020

• EB – Enab Baladi (3.6.2020): Fear of forced military conscription looms over northern rural Homs again, https://english.enabbaladi.net/archives/2020/03/fear-of-forced-military-conscription-looms-over-northern-rural-homs-again/, Zugriff 24.8.2020

• FIS – Finnish Immigration Service [Finnland] (14.12.2018): Syria: Fact-Finding Mission to Beirut and Damascus, April 2018, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Syria_Fact-finding+mission+to+Beirut+and+Damascus%2C+April+2018.pdf, Zugriff 22.7.2020

• ICG – International Crisis Group (13.2.2020): Easing Syrian Refugees‘ Plight in Lebanon, https: //d2071andvip0wj.cloudfront.net/211-easing-syrian-refugees-plight-in-lebanon.pdf, Zugriff 24.8.2020

• ÖB – Österreichische Botschaft Damaskus [Österreich] (29.9.2020): Asylländerbericht Syrien 2020, https://www.ecoi.net/en/file/local/2038328/Asyländerbericht+2020+(Stand+29092020)+.pdf, Zugriff 12.10.2020

• ÖB – Österreichische Botschaft Damaskus [Österreich] (7.2019): Asylländerbericht Syrien 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2014213/SYRI_ÖB+Report_2019_07.pdf, Zugriff 17.8.2020

• PAR – Webseite des Parlaments [Syrien] ( ??????? ??? / 35 / ???? 2017 ?????? ?????? ????? ???? :( 15.11.2017 ????? ?????? ???????? ???????? ??? / 30 / ???? / 2007 / [Gesetz Nr. 35 von 2017, das das Militärdienstgesetz in Kraft durch Gesetzesdekret Nr. 30 von 2007 novelliert], http://parliament.gov.sy/arabic/index.php?node=201&nid=18681&RID=-1&Last=10262&First=0&CurrentPage=0&Vld=-1&Mode=&Service=-1&Loc1=&Key1=&SDate=&EDate=&Year=&Country=&Num=&Dep=-1&, Zugriff 24.8.2020

• PAR – Webseite des Parlaments [Syrien] ( ??????? ???????? 30 ???? 2007 ????? ???? ????? :( 12.5.2007 [Legislativdekret Nr. 30 von 2007 Militärdienstgesetz], http://parliament.gov.sy/arabic/index.php?node=201&nid=4921&, Zugriff 24.8.2020

• SANA – Syrian Arab News Agency ( ???? ????? ??? ????? ????? ????? ??? ????? ?? ??????? ?????? :( 8.11.2017 ??? ????????? ???? ??? ????? ????? ???????? ?? ?????? ?????? ??????? ?????? ?? [Die Volksversammlung verabschiedet einen Gesetzesentwurf bezüglich der Personen, die das Wehrdienstalter überschritten haben, und einen weiteren über die Verknüpfung des öffentlichen Arbeitnehmerverzeichnisses im Land mit dem Ministerium für Verwaltungsentwicklung], http://www.sana.sy/?p=656572, Zugriff 24.8.2020

• SLJ – Syrian Law Journal via Twitter (10.11.2017): Newsflash of 10.11.2017 08:37, https://twitter.com/syrian_law/status/929025146429624320, Zugriff 24.8.2020

• STDOK – Staatendokumentation des BFA [Österreich] (8.2017): Fact Finding Mission Report Syrien– mit ausgewählten Beiträgen zu Jordanien, Libanon und Irak, https://www.ecoi.net/file_upload/564618_1507116516_ffm-bericht-syrien-mit-beitraegen-zu-jordanien-libanon-irak-2017-8-31-ke.pdf, Zugriff 24.7.2020

• TIMEP – The Tahrir Institute for Middle East Policy (22.8.2019): TIMEP Brief: Conscription Law, https://timep.org/reports-briefings/timep-brief-conscription-law/, Zugriff 24.8.2020

• TIMEP – The Tahrir Institute for Middle East Policy (6.12.2018): TIMEP Brief: Legislative Decree No. 18: Military Service Amnesty, https://timep.org/wp-content/uploads/2018/12/LegislativeDecree 18SyriaLawBrief2018-FINAL12-6-18a.pdf, Zugriff 24.8.2020

Wehrdienstverweigerung / Desertion

Als der syrische Bürgerkrieg 2011 begann, hatte die syrische Regierung Probleme Truppen bereitzustellen, um bewaffneten Rebellengruppen entgegentreten zu können. Die Zahl der Männer, die den Wehr- oder Reservedienst verweigerten, nahm deutlich zu. Eine große Zahl von Männern im wehrfähigen Alter floh entweder aus dem Land, schloss sich der bewaffneten Opposition an oder tauchte unter (DIS 5.2020).

Wehrdienstverweigerer werden laut Gesetz in Friedenszeiten mit ein bis sechs Monaten Haft bestraft [Anm.: die Wehrpflicht besteht dabei weiterhin fort]. In Kriegszeiten wird Wehrdienstverweigerung laut Gesetz, je nach den Umständen, mit Gefängnisstrafen von bis zu fünf Jahren bestraft (AA 20.11.2019). Bezüglich der Konsequenzen einer Wehrdienstverweigerung gehen die Meinungen der Quellen auseinander. Während manche die Ergreifung eines Wehrdienstverweigerers mit Foltergarantie und Todesurteil gleichsetzen (Landinfo 3.1.2018), sagen andere, dass Betroffene sofort eingezogen würden (DIS 5.2020; vgl. Landinfo 3.1.2018), was von einer Quelle mit dem Bedarf der syrischen Regierung nach Verstärkung in Verbindung gebracht wird. Quellen berichten jedoch auch, dass gefasste Wehrdienstverweigerer riskieren, von den syrischen Behörden vor der Einberufung inhaftiert zu werden (DIS 5.2020). Die Konsequenzen hängen offenbar vom Einzelfall ab (Landinfo 3.1.2018; vgl. DIS 5.2020).

Im Dezember 2019 trat eine Bestimmung in Kraft, wonach wehrfähige Männer, welche den Wehrdienst bis zu einem Alter von 42 Jahren nicht abgeleistet haben, eine Befreiungsgebühr von 8,000 USD bezahlen müssen, um einer Beschlagnahmung ihres Vermögens, bzw. des Vermögens ihrer Ehefrauen oder Kinder zu entgehen (DIS 5.2020).

Berichten zufolge betrachtet die Regierung Wehrdienstverweigerung nicht nur als eine strafrechtlich zu verfolgende Handlung, sondern auch als Ausdruck von politischem Dissens und mangelnder Bereitschaft, das Vaterland gegen „terroristische“ Bedrohungen zu schützen (STDOK 8.2017). Neben anderen Personengruppen sind insbesondere auch Wehrdienstverweigerer bzw. Deserteure Ziel der umfassenden Anti-Terror-Gesetzgebung (Dekret Nr. 19/2012) der syrischen Regierung (AA 19.5.2020; vgl. DIS 5.2020).

Zwischen der letzten Hälfte des Jahres 2011 bis zum Beginn des Jahres 2013 desertierten zehntausende Soldaten und Offiziere, flohen oder schlossen sich bewaffneten aufständischen Einheiten an. Seit der zweiten Hälfte des Jahres 2013 sind jedoch nur wenige Fälle von Desertion bekannt (Landinfo 3.1.2018).

Desertion wird gemäß dem Militärstrafgesetz von 1950 in Friedenszeiten mit ein bis fünf Jahren Haft bestraft und kann in Kriegszeiten bis zu doppelt so lange Haftstrafen nach sich ziehen. Deserteure, die zusätzlich außer Landes geflohen sind (sogenannte „externe Desertion“), unterliegen Artikel 101 des Militärstrafgesetzbuchs, der eine Strafe von fünf bis zehn Jahren Haft in Friedenszeiten und 15 Jahre Haft in Kriegszeiten vorschreibt. Desertion im Angesicht des Feindes ist mit lebenslanger Haftstrafe zu bestrafen. In schwerwiegenden Fällen wird die Todesstrafe verhängt (STDOK 8.2017).

Unterschiedliche Quellen berichten von unterschiedlichen Konsequenzen für Deserteure und Überläufer. Während eine Quelle berichtet, dass Deserteure zwar in früheren Phasen des Krieges exekutiert wurden, habe die syrische Regierung jedoch ihre Vorgehensweise in den vergangenen Jahren geändert und aufgrund des vorherrschenden Bedarfs an Kräften an der Front festgenommene Deserteure unter Umständen vor dem Militärgericht zu kurzen Haftstrafen verurteilt. Eine andere Quelle berichtet jedoch, dass Deserteure üblicherweise von Einheiten des syrischen Geheimdienstes inhaftiert würden, womit sie dem Risiko von Folter und Verschwindenlassen ausgesetzt sein können. Auch berichtet eine weitere Quelle, dass Tötungen und Exekutionen von Deserteuren weiterhin stattfinden, zum Beispiel während der Offensive in Idlib im Jahr 2020 (DIS 5.2020).

Repressalien gegenüber Familienmitgliedern können insbesondere bei Familien von „high profile“- Deserteuren der Fall sein, also z.B. solche Deserteure, die Soldaten oder Offiziere getötet oder sich der bewaffneten Opposition angeschlossen haben (Landinfo 3.1.2018; vgl. DIS 5.2020). Weitere Einflussfaktoren sind der Rang des Deserteurs, Wohnort der Familie, der für dieses Gebiet zuständige Geheimdienst und zuständige Offizier sowie die Religionszugehörigkeit der Familie (DIS 5.2020).

In Gebieten, welche durch sogenannte Versöhnungsabkommen wieder unter die Kontrolle der syrischen Regierung gebracht wurden, werden häufig Vereinbarungen bezüglich des Wehrdienstes getroffen (STDOK 8.2017; vgl. DIS 5.2020). Berichten zufolge wurden solche Zusagen von der Regierung aber bisweilen auch gebrochen (AA 20.11.2019; vgl. FIS 14.12.2018, DIS 5.2020). Auch in den „versöhnten Gebieten“ sind Männer im entsprechenden Altermit der Wehrpflicht oder mit der Rekrutierung durch regimetreue bewaffnete Gruppen konfrontiert. In manchen dieser Gebiete drohte die Regierung auch, dass die Bevölkerung keinen Zugang zu humanitärer Hilfe erhält, wenn diese nicht den Regierungseinheiten beitreten (FIS 14.12.2018). In ehemals von der Opposition kontrollierten Gebieten landeten zudem einer Quelle zufolge viele Deserteure und Überläufer, denen durch die Versöhnungsabkommen Amnestie gewährt werden sollte, in Haftanstalten oder sie starben in der Haft (DIS 5.2020).

Quellen:

• AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (19.5.2020): Fortschreibung des Berichts über die Lage in der Arabischen Republik Syrien vom November 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2031629/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Fortschreibung_des_Berichts_%C3%Bcber_die_Lage_in_der_Arabischen_Republik_Syrien_vom_November_2019_%28Stand_Mai_2020%29%2C_19.05.2020.pdf, Zugriff 7.9.2020

• AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (20.11.2019): Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien, https://milo.bamf.de/milop/cs.exe/fetch/2000/702450/683266/683300/684459/684542/605038295/21601427/Deutschland___Auswärtiges_Amt%2C_Bericht_über_die_Lage_in_der_Arabischen_Republik_Syrien_(Stand_20.11.2019)%2C_20.11.2019.pdf?nodeid=21602084&vernum=-2, Zugriff 26.8.2020

• DIS – Danish Immigration Service [Dänemark] (5.2020): Syria – Military Service, Report based on a fact-finding mission to Istanbul and Beirut (17-25 February 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2031493/Report_Syria_Military_Service_may_2020.pdf, Zugriff 22.7.2020

• FIS – Finnish Immigration Service [Finnland] (14.12.2018): Syria: Fact-Finding Mission to Beirut and Damascus, April 2018, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Syria_Fact-finding+mission+to+Beirut+and+Damascus%2C+April+2018.pdf, Zugriff 22.7.2020

• Landinfo [Norwegen] (3.1.2018): Syria: Reactions against deserters and draft evaders, https://www.ecoi.net/en/file/local/1441219/1226_1534943446_landinfo-report-syria-reactions-against-deserters-and-draft-evaders.pdf, Zugriff 7.9.2020

• STDOK – Staatendokumentation des BFA [Österreich] (8.2017): Fact Finding Mission Report Syrien – mit ausgewählten Beiträgen zu Jordanien, Libanon und Irak, https://www.ecoi.net/file_upload/5618_1507116516_ffm-bericht-syrien-mit-beitraegen-zu-jordanien-libanon-irak-2017-8-31-ke.pdf, Zugriff 24.7.2020

Rückkehr

Im Juli 2020 zählte die syrische Bevölkerung geschätzte 19,4 Millionen Menschen (CIA 12.8.2020).

Im Jahr 2019 registrierte UNOCHA in Syrien rund 1,8 Millionen Binnenvertriebene. Ca. 500.000 Binnenvertriebene kehrten in diesem Jahr dagegen zurück. Im ersten Halbjahr 2020 wurden rund 1,6 Millionen Menschen innerhalb Syriens vertrieben, während rund 310.000 in diesem Zeitraum zurückkehrten (UNOCHA 7.9.2020). Mit Ende September 2020 waren 5.565.954 Personen in den Nachbarländern Syriens und in Nordafrika als syrische Flüchtlinge registriert. 2019 sind laut UNHCR insgesamt etwa 95.000 Flüchtlinge nach Syrien zurückgekehrt, im Zeitraum Jänner-Juli 2020 waren es rund 22.000 (UNHCR 23.9.2020). Weder IDPs noch Flüchtlinge sind notwendigerweise in ihre Heimatgebiete zurückgekehrt (UNHCR 18.3.2019).

Wenn eine Person in ihre Heimat zurückkehren möchte, können viele unterschiedliche Faktoren die Rückkehrmöglichkeiten beeinflussen. Ethno-religiöse, wirtschaftliche und politische Aspekte spielen ebenso eine Rolle, wie Fragen des Wiederaufbaus und die Haltung der Regierung gegenüber Gemeinden, die der Opposition zugeneigt sind (FIS 14.12.2018). Eine Studie der Weltbank ergab, dass die Sicherheitslage in Syrien ein wesentlicher Bestimmungsfaktor bei Rückkehrentscheidungen ist. Flüchtlinge kehren mit geringerer Wahrscheinlichkeit in Distrikte zurück, in welche

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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