Entscheidungsdatum
06.07.2021Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z4Spruch
W213 2236205-1/8E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Albert SLAMANIG als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Syrien, vertreten durch Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen (BBU GmbH?), 1020 Wien, Leopold-Moses-Gasse 4/4, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 21.08.2020, Zahl: 1067895201/200331328, zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird gemäß §§ 7 Abs. 1 Z 1, 8 Abs. 3a iVm § 9 Abs. 2, 10 und 57 AsylG 2005 sowie §§ 52, 53 und 55 FPG in Verbindung mit § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
I.1. Der Beschwerdeführer, ein syrischer Staatsangehöriger, reiste illegal in die Republik Österreich ein und stellte am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz.
I.2. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge auch „belangte Behörde“) vom 10.12.2015, Zahl: XXXX , wurde dem Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 AsylG 2005 stattgegeben und ihm der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Zugleich wurde festgestellt, dass ihm kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme.
I.3. Am 07.01.2016 stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Austellung eines Konventionsreisepasses.
I.4. Am 05.06.2018 wurde der Beschwerdeführer vom Bezirksgericht Zalaegerszeg, Zahl: XXXX , wegen des Verbrechens der Schlepperei zugunsten von mehreren Personen und der Straftat des verbotenen Überschreitens der Grenzsperre zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt und für neun Jahre aus Ungarn ausgewiesen.
I.5. Mit Urteil des Gerichtshofes Zalaegerszeg, Zahl: XXXX , vom 06.11.2018, rechtskräftig seit 06.11.2018, wurde die Dauer der vom Bezirksgericht Zalaegerszeg verhängten Freiheitsstrafe gemildert und der Beschwerdeführer zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt.
I.6. Der Beschwerdeführer wurde am 07.04.2020 aus Ungarn gemäß dem Rückübernahmeabkommen zwischen Österreich und Ungarn in das Bundesgebiet überstellt.
I.7. Am 09.04.2020 wurde gegen den Beschwerdeführer ein Aberkennungsverfahren gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 AsylG eingeleitet.
I.8. Mit Schreiben der belangten Behörde vom 11.05.2020 wurde der Beschwerdeführer vom Ergebnis der Beweisaufnahme verständigt und ihm die Möglichkeit eingeräumt, eine Stellungnahme abzugeben.
I.9. Am 11.05.2020 erging ein Erhebungsersuchen betreffend den Beschwerdeführer, ob dieser noch an angegebener Adresse wohnhaft oder bereits verzogen sei.
I.10. Im Kurzbrief der Landespolizeidirektion Wien vom 13.05.2020 wurde der belangten Behörde mitgeteilt, dass an der im Ersuchen angeführten Adresse der Mieter angetroffen worden sei. Dieser habe angegeben, dass der Beschwerdeführer bereits seit geraumer Zeit mit Arbeitskollegen wohnhaft sei und dass ihm der Beschwerdeführer völlig unbekannt sei.
I.11. Am 19.05.2020 wurde von der belangten Behörde beim Bezirksgericht Favoriten gemäß § 11 AVG die Bestellung eines Abwesenheitssachwalters zur Durchführung des Verfahrens angeregt, zumal der Aufenthalt des Beschwerdeführers nunmehr unbekannt sei.
I.12. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 20.05.2020, Zahl: XXXX , wurde dem Beschwerdeführer gemäß 94 Abs. 5 iVm § 93 Abs. 1 Z 1 FPG der Konventionsreisepass entzogen und ihm aufgetragen, gemäß § 93 Abs. 2 FPG das Dokument unverzüglich dem Bundesamt vorzulegen. Als Grund für die Entziehung des Konventionsreisepasses wurde angeführt, dass der Beschwerdeführer vom Bezirksgericht Zalaegerszeg zur Zahl XXXX und vom Gerichthof Zalaegerszeg zur Zahl XXXX wegen Schlepperei zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 6 Monaten rechtskräftig verurteilt worden sei.
I.13. Mit Beschluss des Bezirksgerichtes Favoriten vom 05.06.2020 wurde für den unbekannt aufhältigen Beschwerdeführer XXXX gemäß § 277 ABGB zum Abwesenheitskurator, insbesondere zur Vertretung im Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Zahl XXXX bestellt.
I.14. Am 16.06.2020 wurde eine Adressänderung des Beschwerdeführers bekannt und erging am 07.07.2020 nochmals ein Erhebungsersuchen betreffend den Beschwerdeführer, ob er an dieser Adresse wohnhaft oder bereits verzogen sei.
I.15. Mit Bericht der Landespolizeidirektion Wien vom 28.07.2020 wurde der belangten Behörde mitgeteilt, dass der Versuch, den Beschwerdeführer an seiner Wohnadresse anzutreffen, negativ verlaufen sei. Dort habe XXXX angetroffen werden können, welcher angegeben habe, dass der Beschwerdeführer in 1220 Wien bei einem Bekannten schlafe und an dieser Adresse nur seine Post bekomme. Da XXXX die Telefonnummer des Beschwerdeführers gehabt habe, sei der Beschwerdeführer telefonsich in Kenntnis gesetzt worden, dass er am 28.07.2020 in der Polizeiinspektion die Schriftstücke der belangten Behörde abholen solle. Am 28.07.2020 seien dem Beschwerdeführer die Schriftstücke gegen Unterfertigung übergeben worden. Des Weiteren habe der Beschwerdeführer angegeben, wo er wohnhaft sei und sei dieser in Kenntnis gesetzt worden, dass eine amtliche Abmeldung veranlasst werde.
Mit Bescheid der belangten Behörde vom 21.08.2020, Zahl: XXXX , wurde dem Beschwerdeführer der mit Bescheid vom 10.12.2015, Zahl: XXXX , zuerkannte Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 aberkannt und festgestellt, dass ihm gemäß § 7 Abs. 4 AsylG die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukommt (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 3a iVm § 9 Abs. 2 AsylG wurde ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihm gemäß § 57 AsylG 2005 ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Weiters wurde gegen den Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 3 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 8 Abs. 3a iVm § 9 Abs. 2 AsylG 2005 und § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Zuzrückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Syrien unzulässig sei (Spruchpunkt V.). Die Frist für seine freiwillige Ausreise betrage 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.). Zudem wurde gegen den Beschwerdeführer gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 5 FPG ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VII.).
Zu den Gründen für die Aberkennung des Status des Asylberechtigten führte die belangte Behörde an, dass der Beschwerdeführer vom ungarischen Gerichthof Zalaegerszeg mit Urteil vom 06.11.2018, Zahl: XXXX , wegen besonders schwerer Verbrechen verurteilt worden sei. Eine ausländische Veruteilung sei gemäß § 73 StGB einer inländischen Verurteilung gleichzustellen. Das ungarische Strafgesetz sehe für den durch den Beschwerdeführer verwirklichten Tatbestand einen Strafrahmen von zwei bis acht Jahren vor. Zudem sei aus Sicht der Behörde eine Subsumierung unter § 114 Abs. 4 FPG zulässig, da der Beschwerdeführer auf eine Art und Weise eine Schleppung versucht habe, mit der das Leben von 22 Menschen gefährdet worden sei. Demzufolge habe er ein besonders schweres Verbrechen verwirklicht und sei als gemeingefährlicher Täter anzusehen. Aufgrund seiner wirtschaftlichen Lage und des Fehlens eines legalen Einkommens könne eine Rückfälligkeit nicht ausgeschlossen werden. Auch das weitere Verhalten des Beschwerdeführers im Bundesgebiet, nach seiner Rückschiebung aus Ungarn, rechtfertige die Feststellung, dass er nicht gewillt sei, sich in Zukunft rechtskonform zu verhalten. Aufgrund des hohen Unrechtsgehaltes der begangenen Straftat und des Verhaltens des Beschwerdeführers im Bundesgebiet in Verbindung mit seinem Persönlichkeitsbild sei der Beschwerdeführer eine Gefahr für die Gemeinschaft und könne daher auch keine positive Zukunftsprognose abgegeben werden.
Ferner sei der Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen gewesen, da ein Aberkennungsgrund gemäß § 9 Abs. 2 vorliege. Aufgrund der aktuell herrschenden Lage in Syrien sei die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Syrien nicht zulässig gewesen. Zum Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers und zu seinem Aufenthalt in Österreich wurde festgestellt, dass er illegal in das Bundesgebiet eingereist sei und einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt habe. Er verfüge über keine Familienangehörigen im Bundesgebiet, habe keine Ausbildungen absolviert und sei keiner legalen Beschäftigung im Bundesgebiet nachgegangen. Zum Einreiseverbot wurde wiederum auf seine strafgerichtliche Verurteilung verwiesen und festgestellt, dass der Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstelle sowie dass von einer positiven Zukunftsprognose nicht ausgegangen werden könne.
I.16. Mit Verfahrensanordnung vom 21.08.2020 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG XXXX für das Beschwerdeverfahren zur Seite gestellt. Weiters wurde mit Verfahrensanordnung vom 21.08.2020 ein Rückkehrberatungsgespräch gemäß § 52a Abs. 2 BFA-VG angeordnet.
I.17. Gegen den Bescheid der belangten Behörde vom 21.08.2020, zugestellt am 01.10.2020, richtete sich die am 15.10.2020 fristgerecht erhobene Beschwerde.
Darin wurde vorgebracht, dass die belangte Behörde keine weiteren Ermittlungen zur Straftat unternommen habe und insbesondere keine Einvernahme durchgeführt habe, um sich einen persönlichen Eindruck zu verschaffen. Daher sei es ihr auch nicht möglich, nachvollziehbar darzulegen, inwiefern der Beschwerdeführer eine Gefahr für die Gemeinschaft darstelle. Nach der Judikatur des VwGH sei die Verurteilung wegen einer Straftat, welche zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten führe, nur bei besonders schweren Verbrechen gerechtfertigt, wobei auf den individuellen Fall abzustellen sei. Im gegenständlichen Fall handle es sich um eine rechtskräftige Verurteilung wegen Schlepperei. Dass es sich bei dieser Straftat objektiv um ein besonders schweres Verbrechen handeln könne, sei zwar evident, allerdings gehe aus dem Bescheid mangels entsprechender Ermittlungen nicht hervor, weshalb es sich aufgrund der Tatumstände auch um subjektiv schwere Verbrechen handeln solle. Im angefochtenen Bescheid finde sich weder eine Begründung für das Vorliegen eines objektiv und subjektiv besonders schweren Verbrechens noch habe die belangte Behörde ausgeführt, inwiefern der Beschwerdeführer eine Gemeingefahr darstelle. Dies sei auch für die Nichterkennnung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 3a iVm § 9 Abs. 2 AsylG zutreffend.
Des Weiteren wurde ausgeführt, dass die belangte Behörde keinerlei Feststellungen zum Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers vorgenommen habe, weshalb auch keine rechtskonforme Interessensabwägung gemäß § 9 BFA-VG erfolgt sei. Selbst wenn das Bundesverwaltungsgericht zur Ansicht gelangen sollte, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung rechtmäßig erfolgt sei, wäre von der Erlassung eines Einreiseverbotes abzusehen bzw. dieses mit einer kürzeren Dauer zu bemessen gewesen. Hinsichtlich der Gefährdungsprogonose müsse zugunsten des Beschwerdeführers berücksichtigt werden, dass er sich reumütig zeige und er sein zukünftiges Leben in Freiheit mit einem ordentlichen Lebenswandel fortsetzen möchte. Es fehle eine nachvollziehbare Begründung der belangten Behörde, weshalb im Fall des Beschwerdeführers ein Einreiseverbot unabdingbar sei und warum ein zehnjähriges Einreiseverbot notwendig sei. Somit stelle die Verhängung eines zehnjährigen Einreiseverbotes für den Beschwerdeführer ein willkürliches Vorgehen der belangten Behörde dar.
I.18. Die gegenständliche Beschwerde und die bezugshabenden Verwaltungsakte wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 20.10.2020 von der belangten Behörde vorgelegt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
II.1. Feststellungen:
Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest.
II.1.1. Zum sozialen Hintergrund des Beschwerdeführers:
Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX , geboren am XXXX , ist Staatsangehöriger der Syrischen Arabischen Republik, Angehöriger der Volksgruppe der Araber und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Die Muttersprache des Beschwerdeführers ist Arabisch.
Der Beschwerdeführer ist im erwerbsfähigen Alter und ist gesund. Er fällt nicht unter die Risikogruppe gemäß der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz über die Definition der allgemeinen COVID-19-Risikogruppe (COVID-19-Risikogruppe-Verordnung), BGBl. II Nr. 203/2020.
Der Beschwerdeführer wurde in Deir ez-Zour in Syrien geboren. Vor seiner Ausreise aus Syrien im April 2015 wohnte der Beschwerdeführer gemeinsam mit seiner Familie in XXXX in Deir ez-Zour. Er besuchte zwölf Jahre lang die Schule und studierte zwei Jahre Mathematik an der Universität Al-Furat in Deir ez-Zour.
Der Beschwerdeführer ist ledig und hat keine Kinder. Der Vater des Beschwerdeführers arbeitet als Gastarbeiter in Kuwait. Seine asylberechtigte Mutter, seine zwei Brüder und zwei seiner Schwestern leben in Deutschland. Eine Schwester ist in Syrien verheiratet und lebt dort mit ihrer Familie. Ein Bruder verstarb, als dieser am 05.04.2014 in einem Bus vom IS angeschossen wurde. Das Haus der Familie des Beschwerdeführers wurde bei einem Bombenangriff zerstört.
Der Beschwerdeführer hat Syrien wegen des Bürgerkrieges verlassen und weil er dort den Militärdienst hätte leisten müssen.
Der Beschwerdeführer ist strafgerichtlich bescholten. Am 05.06.2018 wurde der Beschwerdeführer vom Bezirksgericht Zalaegerszeg, Zahl: XXXX , wegen des Verbrechens der Schlepperei zugunsten von mehreren Personen und der Straftat des verbotenen Überschreitens der Grenzsperre zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt und für neun Jahre aus Ungarn ausgewiesen.
Der Beschwerdeführer wurde für schuldig erkannt, in der Nacht auf den 07.12.2017 insgesamt 22 syrischen, irakischen und iranischen Staatsangehörigen Hilfe geleistet zu haben, an der kroatisch-ungarischen Grenze am Grenzstein B-338 unrechtmäßig die Staatsgrenze zu überschreiten. Seine Komplizen haben 22 Personen mit einem LKW zur Staatsgrenze gebracht. Der Beschwerdeführer hat diese über den Grenzzaun gebracht und mit ihnen auf den LKW gewartet.
Der Beschwerdeführer hat hierdurch das Verbrechen der Schlepperei begangen. Für diese Straftat ist in Ungarn eine Freiheitsstrafe von zwei bis zu acht Jahren vorgesehen. Nach § 80 des ungarischen Strafgesetzbuches ist bei der Verhängung einer Freiheitsstrafe vom Mittelwert auszugehen, im konkreten Fall von sechs Jahren und sechs Monaten. Unter Berücksichtigung von mildernden Umständen ist das Bezirksgericht Zalaegerszeg zugunsten des Beschwerdeführers vom Mittelwert abgewichen.
Mit Urteil des Gerichtshofes Zalaegerszeg, Zahl: XXXX , vom 06.11.2018, rechtskräftig seit 06.11.2018, wurde die Dauer der vom Bezirksgericht Zalaegerszeg verhängten Freiheitsstrafe gemildert und der Beschwerdeführer zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt.
Der Beschwerdeführer ist aufgrund der Schwere seiner Straftat und seines Persönlichkeitsbildes als Gefahr für die Gemeinschaft einzuschätzen.
II.1.2. Zu den Verfahren des Beschwerdeführers in Österreich:
Dem Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom XXXX wurde mit Bescheid der belangten Behörde vom 10.12.2015, Zahl: XXXX , gemäß § 3 AsylG 2005 stattgegeben und ihm der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Zugleich wurde festgestellt, dass ihm kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme. Ferner stellte der Beschwerdeführer am 07.01.2016 einen Antrag auf Austellung eines Konventionsreisepasses, welchem ebenfalls stattgeben wurde.
Aufgrund der strafgerichtlichen Verurteilung des Beschwerdeführers im Ausland wurde am 09.04.2020 gegen ihn ein Aberkennungsverfahren gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 AsylG eingeleitet.
Mit Bescheid der belangten Behörde vom 20.05.2020, Zahl: XXXX , wurde dem Beschwerdeführer gemäß 94 Abs. 5 iVm § 93 Abs. 1 Z 1 FPG der Konventionsreisepass entzogen und ihm aufgetragen, gemäß § 93 Abs. 2 FPG das Dokument unverzüglich dem Bundesamt vorzulegen.
Mit Bescheid der belangten Behörde vom 21.08.2020, Zahl: XXXX , wurde dem Beschwerdeführer der mit Bescheid vom 10.12.2015, Zahl: XXXX , zuerkannte Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 aberkannt und festgestellt, dass ihm gemäß § 7 Abs. 4 AsylG die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukommt (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 3a iVm § 9 Abs. 2 AsylG wurde ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihm gemäß § 57 AsylG 2005 ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Weiters wurde gegen den Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 3 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 8 Abs. 3a iVm § 9 Abs. 2 AsylG 2005 und § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Zuzrückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Syrien unzulässig sei (Spruchpunkt V.). Die Frist für seine freiwillige Ausreise betrage 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.). Zudem wurde gegen den Beschwerdeführer gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 5 FPG ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VII.). Dagegen erhob der Beschwerdeführer die gegenständliche Beschwerde.
II.1.3. Zum Leben des Beschwerdeführers in Österreich:
Der Beschwerdeführer war ab Mai 2015 bis zu seiner Tatbegehung in Ungarn am 07.12.2017 in Österreich aufhältig. Nachdem er seine Gefängnisstrafe in Ungarn verbüßt hat, befindet er sich seit dem 07.04.2020 wieder in Österreich.
Der Beschwerdeführer hat keine engen Familienangehörigen in Österreich. Es bestehen keine weiteren substanziellen Anknüpfungspunkte im Bereich des Privatlebens (wie z.B. Beziehungen, Lebensgemeinschaften).
Während seines Aufenthaltes in Österreich war der Beschwerdeführer nicht berufstätig. Der Beschwerdeführer lebte von der Grundversorgung und war nicht selbsterhaltungsfähig.
II.1.4. Zur maßgeblichen Situation in Syrien:
Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 13.05.2019:
Politische Lage
Die syrische Verfassung sieht die Baath-Partei als die regierende Partei vor und stellt sicher, dass sie die Mehrheit in allen Regierungs- und Volksverbänden hat (USDOS 13.3.2019). Die Verfassungsreform von 2012 lockerte die Regelungen bezüglich der politischen Partizipation anderer Parteien. In der Praxis unterhält die Regierung jedoch noch immer einen mächtigen Geheimdienst- und Sicherheitsapparat zur Überwachung von Oppositionsbewegungen, die sich zu ernstzunehmenden Konkurrenten zur Regierung Assads entwickeln könnten (FH 1.2018). Im Jahr 2011 erreichten die Umbrüche in der arabischen Welt auch Syrien. Auf die zunächst friedlichen Proteste großer Teile der Bevölkerung, die Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und ein Ende des von Bashar al-Assad geführten Baath-Regimes verlangten, reagierte dieses mit massiver Repression gegen die Protestierenden, vor allem durch den Einsatz von Armee und Polizei, sonstiger Sicherheitskräfte und staatlich organisierter Milizen (Shabiha). So entwickelte sich im Laufe der Zeit ein zunehmend komplexer werdender bewaffneter Konflikt (AA 13.11.2018). Die tiefer liegenden Ursachen für den Konflikt sind die Willkür und Brutalität des syrischen Sicherheitsapparats, die soziale Ungleichheit und Armut vor allem in den ländlichen Gegenden Syriens, die weit verbreitete Vetternwirtschaft und nicht zuletzt konfessionelle Spannungen (Spiegel 10.8.2016). Es gibt weiterhin Landesteile, in denen die syrische Regierung effektiv keine Kontrolle ausübt. Diese werden entweder durch Teile der Opposition, kurdische Einheiten, ausländische Staaten oder auch durch terroristische Gruppierungen kontrolliert (AA 13.11.2018; vgl. MPG 2018). Am 13.4.2016 fanden in Syrien Parlamentswahlen statt. Das Parlament wird im Vier-JahresRhythmus gewählt, und so waren dies bereits die zweiten Parlamentswahlen, welche in Kriegszeiten stattfanden (Reuters 13.4.2016; vgl. France24 17.4.2017). Die in Syrien regierende Baath-Partei gewann gemeinsam mit ihren Verbündeten unter dem Namen der Koalition der „Nationalen Einheit“ 200 der 250 Parlamentssitze. Die syrische Opposition bezeichnete auch diese Wahl, welche erneut nur in den von der Regierung kontrollierten Gebieten stattfand, als „Farce“. Die Vereinten Nationen gaben an, die Wahl nicht anzuerkennen (France24 17.4.2016). Die Familie al-Assad regiert Syrien bereits seit 1970, als Hafez al-Assad sich durch einen Staatsstreich zum Herrscher Syriens machte (SHRC 24.1.2019). Nach seinem Tod im Jahr 2000 übernahm sein Sohn, der jetzige Präsident Bashar al-Assad, diese Position. Seit der Machtergreifung Assads haben weder Vater noch Sohn politische Opposition geduldet. Jegliche Versuche eine politische Alternative zu schaffen wurden sofort unterbunden, auch mit Gewalt (USCIRF 26.4.2017). 2014 wurden Präsidentschaftswahlen abgehalten, welche zur Wiederwahl von Präsident Assad führten (USDOS 13.3.2019), wodurch dieser für weitere 7 Jahre im Amt bestätigt wurde (WKO 11.2018). Die Präsidentschaftswahl wurde nur in den von der Regierung kontrollierten Gebieten abgehalten. Sie wurde von der EU und den USA als undemokratisch kritisiert, die syrische Opposition sprach von einer „Farce“ (Haaretz 4.6.2014). Mitte September 2018 wurden in den von der syrischen Regierung kontrollierten Gebieten zum ersten Mal seit 2011 wieder Kommunalwahlen abgehalten (IFK 10.2018; vgl. WKO 11.2018). Der Sieg von Assads Baath Partei galt als wenig überraschend. Geflohene und IDPs waren von der Wahl ausgeschlossen (WKO 11.2018). Mit russischer und iranischer Unterstützung hat die syrische Regierung mittlerweile wieder große Landesteile von bewaffneten oppositionellen Gruppierungen zurückerobert. Trotz der großen Gebietsgewinne durch das Regime besteht die Fragmentierung des Landes in Gebiete, in denen die territoriale Kontrolle von unterschiedlichen Gruppierungen ausgeübt wird, weiter fort (AA 13.11.2018). Die Provinz Idlib im Norden Syriens an der Grenze zur Türkei wird derzeit noch von diversen Rebellengruppierungen kontrolliert (MPG 2018). Im Norden bzw. Nordosten Syriens gibt es Gebiete, welche unter kurdischer Kontrolle stehen (SWP 7.2018). Die Partei der Demokratischen Union (PYD) ist die politisch und militärisch stärkste Kraft der syrischen Kurden. Sie gilt als syrischer Ableger der verbotenen türkisch-kurdischen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) (KAS 4.12.2018b). 2011 soll es zu einem Übereinkommen zwischen der syrischen Regierung, der iranischen Regierung und der PKK, deren Mitglieder die PYD gründeten, gekommen sein. Die PYD, ausgestattet mit einem bewaffneten Flügel, den Volksverteidigungseinheiten (YPG), hielt die kurdische Bevölkerung in den Anfängen des Konfliktes davon ab, sich effektiv an der Revolution zu beteiligen. Demonstrationen wurden aufgelöst, Aktivisten festgenommen, Büros des Kurdischen Nationalrats in Syrien, einer Dachorganisation zahlreicher syrisch-kurdischer Parteien, angegriffen. Auf diese Weise musste die syrische Armee keine „zweite Front” in den kurdischen Gebieten eröffnen und konnte sich auf die Niederschlagung der Revolution in anderen Gebieten konzentrieren. Als Gegenleistung zog das Baath-Regime Stück für Stück seine Armee und seinen Geheimdienst aus den überwiegend kurdischen Gebieten zurück. In der zweiten Jahreshälfte 2012 wurden Afrin, Ain al-Arab (Kobane) und die Jazira von PYD und YPG übernommen, ohne dass es zu erwähnenswerten militärischen Auseinandersetzungen mit der syrischen Armee gekommen wäre (BFA 8.2017). Im März 2016 wurde in dem Gebiet, das zuvor unter dem Namen „Rojava“ bekannt war, die Democratic Federation of Northern Syria ausgerufen, die sich über Teile der Provinzen Hassakah, Raqqa und Aleppo und auch über Afrin erstreckte (SWP 7.2018; vgl. KAS 4.12.2018b). Afrin im Nordwesten Syriens ist territorial nicht mit den beiden anderen Kantonen Jazira und Kobane verbunden und steht seit März 2018 unter türkischer Besatzung (KAS 4.12.2018b; vgl. MPG 2018). Die syrischen Kurden unter Führung der PYD beanspruchen in den Selbstverwaltungskantonen ein Gesellschaftsprojekt aufzubauen, das nicht von islamistischen, sondern von basisdemokratischen Ideen, von Geschlechtergerechtigkeit, Ökologie und Inklusion von Minderheiten geleitet ist. Während Befürworter das syrisch-kurdische Gesellschaftsprojekt als Chance für eine künftige demokratische Struktur Syriens sehen, betrachten Kritiker es als realitätsfremd und autoritär. Das Ziel der PYD ist nicht die Gründung eines kurdischen Staates in Syrien, sondern die Autonomie der kurdischen Kantone als Bestandteil eines neuen, demokratischen und dezentralen Syrien (KAS 4.12.2018a). Die PYD hat sich in den kurdisch kontrollierten Gebieten als die mächtigste politische Partei im sogenannten Kurdischen Nationalrat etabliert, ähnlich der hegemonialen Rolle der Baath-Partei in der Nationalen Front (BS 2018). Ihr militärischer Arm, die YPG sind zudem die dominierende Kraft innerhalb des von den USA unterstützten Militärbündnisses Syrian Democratic Forces (SDF). Der Krieg gegen den IS forderte zahlreiche Opfer und löste eine Flüchtlingswelle in die kurdischen Selbstverwaltungsgebiete aus. Die syrischen Kurden stehen zwischen mehreren Fronten und können sich auf keinen stabilen strategischen Partner verlassen. Diese schwierige Situation führt auch dazu, dass die Kurden wieder vermehrt das Gespräch mit der syrischen Zentralregierung suchen (KAS 4.12.2018b). Die syrische Regierung erkennt die kurdische Enklave oder Wahlen, die in diesem Gebiet durchgeführt werden, nicht an (USDOS 13.3.2019).
Sicherheitslage
Die militärische Intervention Russlands und die damit einhergehende Luftunterstützung für Assads Streitkräfte sowie die erheblich ausgeweitete indirekte Bodenintervention des Iran in Form eines Einsatzes ausländischer Milizen konnten 2015 den Zusammenbruch des syrischen Regimes abwenden (KAS 4.12.2018a). Mitte des Jahres 2016 kontrollierte die syrische Regierung ca. ein Drittel des syrischen Staatsgebietes, inklusive der „wichtigsten“ Städte im Westen, in denen der Großteil der Syrer lebt (Reuters 13.4.2016). Am Beginn des Jahres 2019 sind noch drei größere Gebiete außerhalb der Kontrolle der syrischen Regierung: die Provinz Idlib und angrenzende Gebiete im Westen der Provinz Aleppo und Norden der Provinz Hama; die Gebiete im Norden und Osten Syriens, die unter Kontrolle der kurdisch dominierten Syrian Democratic Forces (SDF) stehen; außerdem die Konfliktschutzzone (de-confliction zone) bei Tanf in Homs bzw. in der Nähe des Rukban Flüchtlingslagers (UNHRC 31.1.2019). Trotz weitreichender militärischer Erfolge des syrischen Regimes und seiner Unterstützer sind Teile Syriens noch immer von Kampfhandlungen betroffen, allen voran die Provinzen Idlib, Teile Aleppos, Raqqas und Deir ez-Zours (AA 13.11.2018). Laut UNMAS (United Nations Mine Action Service) sind 43% der besiedelten Gebiete Syriens mit Mienen und Fundmunition kontaminiert (AA 13.11.2018). Es kommt immer wieder zu Zwischenfällen mit derartigen Hinterlassenschaften des bewaffneten Konfliktes zum Beispiel im Osten der Stadt Aleppo, Ost-Ghouta und im Osten Hamas (DIS/DRC 2.2019). Der sogenannte Islamische Staat (IS) kontrollierte im Sommer 2014 große Teile Syriens und des Irak (FAZ 10.3.2019). Ende März 2019 wurde mit Baghus die letzte Bastion des IS von den oppositionellen „Syrian Democratic Forces“ erobert. Der IS ist zwar zerschlagen, verfügt aber noch immer über militärische Einheiten, die sich in den Wüstengebieten Syriens und des Irak versteckt halten (DZO 24.3.2019). Schläferzellen des IS sind sowohl im Irak als auch in Syrien weiterhin aktiv (FAZ 10.3.2019). Gegenwärtig sollen im Untergrund mehr als 20.000 IS-Kämpfer auf eine Gelegenheit zur Rückkehr warten (FAZ 22.3.2019). Auch IS-Führer Abu Bakr al-Bagdadi bleibt weiterhin verschwunden (FAZ 23.3.2019). US-Präsident Donald Trump kündigte im Dezember 2018 an, alle 2.000 US-Soldaten aus Syrien abziehen zu wollen. Er erklärte jedoch später noch Soldaten vor Ort belassen zu wollen. Für die von den Amerikanern unterstützen Kurden ist ein Abzug der amerikanischen Truppen ein herber Schlag (Qantara 28.2.2019). Die NGO Syrian Network for Human Rights (SNHR) versucht die Zahlen ziviler Todesopfer zu erfassen, für die einzelnen Monate des Jahres 2018 finden sich deren Daten in der unten befindlichen Grafik. Getötete Kämpfer werden in dem Bericht nicht berücksichtigt. Betont wird außerdem, dass die Organisation in vielen Fällen Vorkommnisse nicht dokumentieren konnte, besonders im Fall von Massakern, bei denen Städte und Dörfer komplett abgeriegelt wurden. Die hohe Zahl solcher Berichte lässt darauf schließen, dass die eigentlichen Zahlen ziviler Opfer weit höher als die unten angegebenen sind (SNHR 1.1.2019).
Für Januar 2019 erfasste SNHR zumindest 197 getötete Zivilisten (SNHR 1.2.2019) für Februar 2019 246 (SNHR 1.3.2019), für März 2019 334 (SNHR 1.4.2019) und für April 2019 324. Zudem sind im April 2019 54 Personen aufgrund Folter verstorben, 50 davon durch Einheiten der syrischen Regierung (SNHR 1.5.2019).
Versöhnungsabkommen
Die sogenannten Versöhnungsabkommen sind Vereinbarungen, die ein Gebiet, das zuvor unter der Kontrolle einer oppositionellen Gruppierung stand, offiziell wieder unter die Kontrolle des Regimes bringen. Die Regierung bietet, meist nach schwerem Beschuss oder Belagerung, ein Versöhnungsabkommen an, das an verschiedene Bedingungen geknüpft ist. Diese Bedingungen unterscheiden sich von Abkommen zu Abkommen (BFA 8.2017). Zivilisten bzw. Kämpfer können in den Gebieten bleiben oder jene, die sich nicht den Bedingungen der Vereinbarung unterwerfen wollen, können mit ihren Familien nach Idlib oder in andere von der Opposition kontrollierte Gebiete evakuiert werden (FIS 14.12.2018). Die übrigen Personen können 6 Monate lang eine Amnestie nutzen und können sich in dieser Zeit stellen, um den Militärdienst abzuleisten (AA 13.11.2018, FIS 14.12.2018). Die Wehrpflicht war bisher meist ein zentraler Bestandteil der Versöhnungsabkommen (AA 13.11.2018). Manche Vereinbarungen besagen, dass Männer nicht an die Front geschickt werden, sondern stattdessen bei der örtlichen Polizei eingesetzt werden, oder dass sich Personen verpflichten müssen, der Regierung z.B. für Spionage zur Verfügung zu stehen (BFA 8.2017). Solche Vereinbarungen wurden von der Regierung aber bisweilen auch gebrochen (AA 13.11.2018, FIS 14.12.2018). Glaubhafte Berichte von Organisationen aus zuletzt zurückeroberten Gebieten wie Dara‘a im südlichen Syrien und Ost-Ghouta nahe Damaskus sprechen von Verhaftungen sowie Zwangsrekrutierungen ehemaliger Oppositionskämpfer binnen kurzer Zeit (AA 13.11.2018). Berichten zufolge sind Personen in Gebieten, die erst vor kurzer Zeit durch die Regierung wiedererobert wurden, aus Angst vor Repressalien oft zurückhaltend über die Situation in diesen Gebieten zu berichten (USDOS 13.3.2019).
Gebiete unter Regierungskontrolle inkl. Damaskus und Umland, Westsyrien
Seit Mai 2018 hat sich die allgemeine Sicherheitslage in den von der Regierung kontrollierten Gebieten Syriens, darunter finden sich auch die wichtigsten Städte wie Lattakia, Homs, Hama, Tartous und Damaskus, deutlich verbessert. Im Allgemeinen kam es im Vergleich mit den Zahlen vor Juli 2018 zu einem signifikanten Rückgang der militärischen Auseinandersetzungen und der sicherheitsrelevanten Vorfälle in von der Regierung kontrollierten Gebieten. Die Situation bleibt in einigen Gegenden jedoch angespannt, wie im Osten der Provinz Lattakia, im Westen der Provinz Aleppo und im Norden der Provinz Hama. In Bezug auf die Art der sicherheitsrelevanten Vorfälle gibt es Berichte von Beschuss, bewaffneten Zusammenstößen, Entführungen sowie Explosionen von Kampfmittelresten (DIS/DRC 2.2019). Die Regierung besitzt nicht die nötigen Kapazitäten, um alle von ihr gehaltenen Gebiete auch tatsächlich zu kontrollieren. Daher greift die Regierung auf unterschiedliche Milizen zurück, um manche Gegenden und Checkpoints in Aleppo, Lattakia, Tartous, Hama, Homs und Deir ez-Zour zu kontrollieren. Es gibt auch Berichte, wonach es in einigen Gebieten zu Zusammenstößen sowohl zwischen den unterschiedlichen Pro-Regierungs-Milizen als auch zwischen diesen und Regierungstruppen gekommen ist (DIS/DRC 2.2019). In den ersten Monaten des Jahres 2018 erlebte Ost-Ghouta, nahe der Hauptstadt Damaskus, die heftigste Angriffswelle der Regierung seit Beginn des Bürgerkrieges (Presse 1.4.2018). Mitte April 2018 wurde die Militäroffensive der syrischen Armee auf die Rebellenenklave von Seiten der russischen Behörden und der syrischen Streitkräfte für beendet erklärt (DS 15.4.2018; vgl. SD 12.4.2018). Ende Mai 2018 zogen sich die letzten Rebellen aus dem Großraum Damaskus zurück, wodurch die Hauptstadt und ihre Umgebung erstmals wieder in ihrer Gesamtheit unter der Kontrolle der Regierung standen (DSO 21.5.2018; vgl. ISW 1.6.2018). Seitdem hat sich die Sicherheitslage in Damaskus und Damaskus-Umland (Rif Dimashq) deutlich verbessert (DIS/DRC 2.2019). Im Januar kam es zu zwei Bombenanschlägen in Damaskus Stadt. Einem in der Nähe eines Büros des Militärischen Nachrichtendienstes im Süden mit mehreren Todesopfern, und einem mittels einer Autobombe in der Nähe der russischen Botschaft mit Verletzten (DIS/DRC 2.2019; vgl. TN 20.1.2019). Einer internationalen humanitären Organisation zufolge ist es weniger wahrscheinlich, dass Angriffe dieser Art in Damaskus (im Gegensatz zu anderen großen Städten) passieren, weil die Hauptstadt durch Sicherheitskräfte schwer bewacht ist (DIS/DRC 2.2019). Seit 2012 führte Israel dutzende Luftschläge auf syrischem Staatsgebiet durch, hauptsächlich auf Orte oder Konvois in der Nähe der libanesischen Grenze, die mit Waffenlieferungen an die Hizbollah in Verbindung stehen (CRS 2.1.2019), bzw. generell auf iranische Ziele und Ziele mit dem Iran verbündeter Milizen (AJ 5.2.2019). Es soll etwa ein bis zweimal im Monat zu Angriffen der israelischen Luftwaffe auf Ziele in der Provinz Damaskus kommen (Jane‘s 14.1.2019). Bis Ende Januar 2019 äußerte sich die israelische Armee nicht oder nur selten und erst nach einiger Zeit über Spekulationen zu Luftangriffen auf syrischem Staatsgebiet, für die die israelische Armee verantwortlich sein soll. Ende Januar berichteten die israelischen Streitkräfte beinahe zeitgleich über einen Angriff auf iranische Ziele in Syrien (DS 21.1.2019). Laut dem pensionierten Generalstabsschef der israelischen Streitkräfte Gadi Eisenkot hätte Israel sogar tausende Luftangriffe durchgeführt. Seit 2017 soll es nahezu täglich zu israelischen Angriffen kommen. Im Jahr 2018 wurden demnach 2.000 Bomben abgeworfen (TNYT 11.1.2019).
Provinz Deir ez-Zour / Syrisch-Irakisches Grenzgebiet
Zuletzt hielt der sogenannte Islamische Staat (IS) eine letzte Enklave entlang des Euphrat nahe der syrisch-irakischen Grenze (ISW 12.10.2018). Die Kämpfer haben sich in die Wüstengebiete im südlichen (Provinz Suweida) und östlichen Syrien zurückgezogen (RFE/RL 28.10.2018). Es operieren weiterhin Schläferzellen auf syrischem Staatsgebiet (VOA 25.10.2018). Ende September wurde z.B. in Raqqa eine dieser Zellen entdeckt, die eine Reihe von größeren Anschlägen in der Stadt plante (Reuters 30.9.2018).
Im September starteten die Syrian Democratic Forces (SDF) in der nahe an der syrisch-irakischen Grenze gelegenen Ortschaft Hajin eine Offensive gegen den IS (DS 31.10.2018, vgl. IFK 10.2018). Mitte Oktober 2018 nutzte der IS schlechte Witterungsverhältnisse für einen Gegenangriff (France24 10.10.2018). Er konnte dabei größere Gebiete im Osten Syriens zwischenzeitlich wieder zurückerobern. Dies galt als schwerster Angriff der Islamisten seit Monaten (DS 28.10.2018). Auch Ende November 2018 führte der IS im Osten Syriens größere Angriffe durch (TDSL 26.11.2018). Einheiten der SDF unter kurdischer Führung begannen Anfang März des Jahres 2019 erneut den Angriff auf den Ort Baghuz, die letzte Bastion des IS. Sie hatten zuletzt die Angriffe auf den Ort eingestellt, damit Zivilisten diesen verlassen konnten (FAZ 10.3.2019).
Nach wochenlangen Kämpfen erklärten die SDF die Stadt Baghuz als vom IS befreit. Mit Baghuz ist die letzte Bastion der Terrormiliz gefallen (DZO 24.3.2019). In den Wochen davor hatten bereits Tausende IS-Kämpfer aufgegeben und sich den SDF-Truppen gestellt. Gleichzeitig sind mehr als 70.000 Flüchtlinge aus dem IS-Gebiet in dem von Kurden kontrollierten Lager Al-Hol untergekommen, wo Hilfsorganisationen von einer dramatischen humanitären Lage berichten (DZO 24.3.2019).
Der IS ist zwar zerschlagen, verfügt aber noch immer über militärische Einheiten, die sich in den Wüstengebieten Syriens und des Irak versteckt halten (DZO 24.3.2019) und von denen nach wie vor eine Gefahr ausgeht (FAZ 22.3.2019).
Sicherheitsbehörden und regierungstreue Milizen
Die Regierung hat zwar die effektive Kontrolle über die uniformierten Polizei-, Militär- und Staatssicherheitskräfte, nicht jedoch über ausländische und einheimische militärische oder paramilitärische Einheiten, z.B. russische Streitkräfte, Hisbollah, Islamische Revolutionsgarden und nicht uniformierte Milizen wie die National Defense Forces (NDF) (USDOS 13.3.2019). Der Präsident stützt seine Herrschaft auf die Loyalität der Streitkräfte sowie der militärischen und zivilen Geheimdienste. Die Befugnisse dieser Dienste, die von Verwandten oder engen Vertrauten des Präsidenten geleitet werden und sich auch gegenseitig kontrollieren, unterliegen keinen definierten Beschränkungen (AA 13.11.2018). Straflosigkeit unter den Sicherheitsbehörden bleibt ein weit verbreitetes Problem. Das Generalkommando der Armee und der Streitkräfte kann im Fall von Verbrechen von Militäroffizieren, Mitgliedern der internen Sicherheitskräfte oder Zollpolizeioffizieren im Rahmen ihrer beruflichen Pflichten, einen Haftbefehl ausstellen. Solche Fälle müssen vor einem Militärgericht verhandelt werden. In der Praxis sind keine Fälle von Strafverfolgung oder Verurteilung von Polizei- und Sicherheitskräften hinsichtlich Misshandlung und Korruption bekannt. Die Sicherheitskräfte operieren unabhängig und im Allgemeinen außerhalb der Kontrolle des Justizwesens. Es gibt auch keine Berichte von Maßnahmen der Regierung, um die Einhaltung der Menschenrechte durch die Sicherheitskräfte zu verbessern (USDOS 13.3.2019). Russland, Iran, die libanesische Hizbollah und Einheiten mit irakischen Kämpfern unterstützen die syrische Regierung, unter anderem mit Einsätzen an der Seite der syrischen Streitkräfte (KAS 4.12.2018a). Es ist schwierig Informationen über die Aktivitäten von spezifischen Regierungs- oder regierungstreuen Einheiten zu spezifischen Zeiten oder an spezifischen Orten zu finden, weil die Einheiten seit dem Beginn des Bürgerkrieges oft nach Einsätzen organisiert („task-organized“) sind oder aufgeteilt oder für spezielle Einsätze mit anderen Einheiten zusammengelegt werden. Berichte sprechen oft von einer speziellen Militäreinheit an einem bestimmten Einsatzort (z.B. einer Brigade) wobei die genannte Einheit aus Teilen mehrerer verschiedener Einheiten nur für diesen speziellen Einsatz oder eine gewisse Zeit zusammengesetzt wurde (Kozak 28.12.2017).
Folter, Haftbedingungen und unmenschliche Behandlung
Das Gesetz verbietet Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlungen oder Strafen, wobei das Strafgesetzbuch eine Strafe von maximal drei Jahren Gefängnis für Täter vorsieht. Nichtsdestotrotz wenden die Sicherheitskräfte in Tausenden Fällen solche Praktiken an (USDOS 13.3.2019). Willkürliche Festnahmen, Misshandlung, Folter und Verschwindenlassen sind in Syrien weit verbreitet (HRW 18.1.2018; vgl. AI 22.2.2018, USDOS 13.3.2019, AA 13.11.2018). Sie richten sich von Seiten der Regierung insbesondere gegen Oppositionelle oder Menschen, die vom Regime als oppositionell wahrgenommen werden (AA 13.11.2018). NGOs berichten glaubhaft, dass die syrische Regierung und mit ihr verbündete Milizen physische Misshandlung, Bestrafung und Folter an oppositionellen Kämpfern und Zivilisten begehen (USDOS 13.3.2019; vgl. TWP 23.12.2018). Vergewaltigung und sexueller Missbrauch von Frauen, Männern und Minderjährigen sind weit verbreitet. Die Regierung soll hierbei auch auf Personen abzielen, denen Verbindungen zur Opposition vorgeworfen werden (USDOS 13.3.2019). Es sind zahllose Fälle dokumentiert, bei denen Familienmitglieder wegen der als regierungsfeindlich wahrgenommenen Tätigkeit von Verwandten inhaftiert und gefoltert wurden, auch wenn die als regierungsfeindlich wahrgenommenen Personen ins Ausland geflüchtet waren (AA 13.11.2018; vgl. AI 22.2.2018). Systematische Folter und die Bedingungen in den Haftanstalten führen häufig zum Tod der Insassen. Die Gefängnisse sind stark überfüllt, es mangelt an Nahrung, Trinkwasser, Hygiene und Zugang zu sanitären Einrichtungen und medizinischer Versorgung. Diese Bedingungen waren so durchgängig, dass die UN Commission of Inquiry zu dem Schluss kam, diese seien Regierungspolitik. Laut Berichten von NGOs gibt es zahlreiche informelle Hafteinrichtungen in umgebauten Militärbasen, Schulen, Stadien und anderen unbekannten Lokalitäten. So sollen inhaftierte Demonstranten in leerstehenden Fabriken und Lagerhäusern ohne angemessene sanitäre Einrichtungen festhalten werden. Die Regierung hält weiterhin Tausende Personen ohne Anklage und ohne Kontakt zur Außenwelt („incommunicado“) an unbekannten Orten fest (USDOS 20.4.2018; vgl. AA 13.11.2018, SHRC 24.1.2019). In jedem Dorf und jeder Stadt gibt es Haft- bzw. Verhörzentren für die ersten Befragungen und Untersuchungen nach einer Verhaftung. Diese werden von den Sicherheits- und Nachrichtendiensten oder auch regierungstreuen Milizen kontrolliert. Meist werden Festgenommene in ein größeres Untersuchungszentrum in der Provinz oder nach Damaskus und schließlich in ein Militär- oder ziviles Gefängnis gebracht. Im Zuge dieses Prozesses kommt es zu Folter und Todesfällen. Selten wird ein Häftling freigelassen. Unschuldige bleiben oft in Haft, um Geldsummen für ihre Freilassung zu erpressen oder um sie im Zuge eines „Freilassungsabkommens“ auszutauschen (SHRC 24.1.2019). Seit Sommer 2018 werden von den Regierungsbehörden Sterberegister veröffentlicht, wodurch erstmals offiziell der Tod von 7.953 Menschen in Regierungsgewahrsam bestätigt wurde, wenn auch unter Angabe wenig glaubwürdiger amtlich festgestellter natürlicher Todesursachen (Herzinfarkt, etc.). Berichte von ehemaligen Insassen sowie Menschenrechtsorganisationen benennen als häufigste Todesursachen Folter, Krankheit als Folge mangelnder Ernährung und Hygiene in den Einrichtungen und außergerichtliche Tötung (AA 13.11.2018; vgl. SHRC 24.1.2019). Die syrische Regierung übergibt die Überreste der Verstorbenen nicht an die Familien (HRW 17.1.2019). Mit Stand Dezember 2018 ist der Verbleib von 100.000 syrischen Gefangenen noch immer unbekannt. Laut Menschenrechtsgruppen und den Vereinten Nationen sind wahrscheinlich Tausende, wenn nicht Zehntausende davon umgekommen (TWP 23.12.2018). Die Methoden der Folter, des Verschwindenlassens und der schlechten Bedingungen in den Haftanstalten sind jedoch keine Neuerung der Jahre seit Ausbruch des Konfliktes, sondern waren bereits zuvor gängige Praxis der unterschiedlichen Nachrichtendienste und Sicherheitsbehörden in Syrien (SHRC 24.1.2019). Russland, der Iran und die Türkei haben im Zusammenhang mit den Astana-Verhandlungen wiederholt zugesagt, sich um die Missstände bezüglich willkürlicher Verhaftungen und Verschwindenlassen zu kümmern. Im Dezember 2017 gründeten sie eine Arbeitsgruppe zu Inhaftierungen und Entführungen im syrischen Konflikt, es waren bisher jedoch nur geringe Fortschritte zu verzeichnen (HRW 17.1.2019). Auch die Rebellengruppierungen werden außergerichtlicher Tötungen und der Folter von Inhaftierten beschuldigt (FH 1.2018; vgl. USDOS 13.3.2019). Opfer sind vor allem (vermutete) regierungstreue Personen und Mitglieder von Milizen oder rivalisierenden bewaffneten Gruppen. Zu den Bedingungen in den Hafteinrichtungen der verschiedenen regierungsfeindlichen Gruppen ist wenig bekannt, NGOs berichten von willkürlichen Verhaftungen, Folter und unmenschlicher Behandlung. Der IS bestrafte häufig Opfer in der Öffentlichkeit und zwang Bewohner, darunter auch Kinder, Hinrichtungen und Amputationen mitanzusehen. Es gibt Berichte zu Steinigungen und Misshandlungen von Frauen. Dem sogenannten Islamischen Staat (IS) werden systematische Misshandlungen von Gefangenen der Freien Syrischen Armee (FSA) und der kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) vorgeworfen. Berichtet werden auch Folter und Tötungen von Gefangenen durch den IS (USDOS 13.3.2019).
Die syrischen Streitkräfte - Wehr- und Reservedienst
Für männliche syrische Staatsbürger ist im Alter zwischen 18 bis 42 Jahren die Ableistung eines Wehrdienstes von 18 oder 21 Monaten gesetzlich verpflichtend. Zusätzlich gibt es die Möglichkeit eines freiwilligen Militärdienstes. Frauen können ebenfalls freiwillig Militärdienst leisten (CIA 3.4.2019; vgl. AA 13.11.2018, FIS 14.12.2018). Palästinensische Flüchtlinge mit dauerhaftem Aufenthalt in Syrien unterliegen ebenfalls der Wehrpflicht, dienen jedoch in der Regel in der Palestinian Liberation Army (PLA) unter palästinensischen Offizieren. Diese ist jedoch de facto ein Teil der syrischen Armee (AA 13.11.2018; vgl. FIS 14.12.2018). Auch Binnenvertriebene sind wie andere Syrer zur Ableistung des Wehrdienstes verpflichtet und werden rekrutiert (FIS 14.12.2018).
Gemäß Artikel 15 des Gesetzesdekrets Nr. 30 von 2007 bleibt ein syrischer Mann nach Beendigung des Pflichtwehrdienstes, wenn er sich gegen einen Eintritt in den Militärdienst als Berufssoldat entscheidet, Reservist und kann bis zum Erreichen des 42. Lebensjahres in den aktiven Dienst einberufen werden. Vor dem Ausbruch des Konflikts bestand der Reservedienst im Allgemeinen nur aus mehreren Wochen oder Monaten Ausbildung zur Auffrischung der Fähigkeiten, und die Regierung berief Reservisten nur selten ein. Seit 2011 hat sich das jedoch geändert. Es liegen außerdem einzelne Berichte vor, denen zufolge die Altersgrenze für den Reservedienst erhöht wird, wenn die betreffende Person besondere Qualifikationen hat (das gilt z.B. für Ärzte, Panzerfahrer, Luftwaffenpersonal, Artilleriespezialisten und Ingenieure für Kampfausrüstung). Manche Personen werden wieder zum aktiven Dienst einberufen, andere wiederum nicht, was von vielen verschiedenen Faktoren abhängt. Es ist sehr schwierig zu sagen, ob jemand tatsächlich zum Reservedienst einberufen wird. Männer können ihren Dienst-/Reservedienststatus bei der Militärbehörde überprüfen. Die meisten tun dies jedoch nur auf informellem Weg, um zu vermeiden, sofort rekrutiert zu werden (BFA 8.2017).
Laut Gesetz sind in Syrien junge Männer im Alter von 17 Jahren dazu aufgerufen, sich ihr Militärbuch abzuholen und sich einer medizinischen Untersuchung zu unterziehen. Im Alter von 18 Jahren wird man einberufen, um den Wehrdienst abzuleisten. Wenn bei der medizinischen Untersuchung ein gesundheitliches Problem festgestellt wird, wird man entweder vom Wehrdienst befreit, oder muss diesen durch Tätigkeiten, die nicht mit einer Teilnahme an einer Kampfausbildung bzw. -einsätzen verbunden sind, ableisten. Wenn eine Person physisch tauglich ist, wird sie entsprechend ihrer schulischen bzw. beruflichen Ausbildung eingesetzt. Rekruten müssen eine 45-tägige militärische Grundausbildung absolvieren. Männer mit niedrigem Bildungsstand werden häufig in der Infanterie eingesetzt, während Männer mit einer höheren Bildung oft in prestigeträchtigeren Positionen eingesetzt werden. Gebildetere Personen kommen damit auch mit höherer Wahrscheinlichkeit in Positionen, in denen sie über andere Personen Bericht erstatten oder diese bestrafen müssen (BFA 8.2017).
Die syrische Armee hat durch Verluste, Desertion und Überlaufen zu den Rebellen einen schweren Mangel an Soldaten zu verzeichnen (TIMEP 6.12.2018).
Aktuell ist ein „Herausfiltern“ von Militärdienstpflichtigen im Rahmen von Straßenkontrollen oder an einem der zahlreichen Checkpoints weit verbreitet. In der Praxis wurde die Altersgrenze erhöht und auch Männer in ihren späten 40ern und frühen 50ern sind gezwungen Wehr-/Reservedienst zu leisten. Die Altersgrenze hängt laut Experten eher von lokalen Entwicklungen und den Mobilisierungsbemühungen der Regierung ab, als vom allgemeinen Gesetz. Dem Experten zufolge würden jedoch jüngere Männer genauer überwacht, ältere könnten leichter der Rekrutierung entgehen. Generell hat sich das Maß der Willkür in Syrien im Zuge des Konfliktes erhöht (FIS 14.12.2018). Die Behörden ziehen vornehmlich Männer bis 27 ein, während Ältere sich eher auf Ausnahmen berufen können. Dennoch wurden die Altersgrenzen fallweise nach oben angehoben, sodass auch Männer bis zu einem Alter von 55 Jahren eingezogen wurden, bzw. Männer nach Erreichen des 42. Lebensjahres die Armee nicht verlassen können. Ebenso wurden seit Ausbruch des Konflikts aktive Soldaten auch nach Erfüllung der Wehrpflicht nicht aus dem Wehrdienst entlassen (ÖB 7.2019).
Die Militärpolizei verhaftet in Gebieten unter der Kontrolle der Regierung junge Männer, die für den Wehrdienst gesucht werden. Nachdem die meisten fixen Sicherheitsbarrieren innerhalb der Städte aufgelöst wurden, patrouilliert nun die Militärpolizei durch die Straßen. Diese Patrouillen stoppen junge Menschen in öffentlichen Verkehrsmitteln und durchsuchen Wohnungen von gesuchten Personen (SHRC 24.1.2019). Es gab in der Vergangenheit Fälle, in denen Familienmitglieder von Wehrdienstverweigerern oder Deserteuren Vergeltungsmaßnahmen wie Unterdrucksetzung und Inhaftierung ausgesetzt waren (TIMEP 6.12.2018).
Im November 2017 beschloss das syrische Parlament eine Gesetzesnovelle der Artikel 74 und 97 des Militärdienstgesetzes. Die Novelle besagt, dass jene, die das Höchstalter für die Ableistung des Militärdienstes überschritten haben und den Militärdienst nicht abgeleistet haben, aber auch nicht aus etwaigen gesetzlich vorgesehenen Gründen vom Wehrdienst befreit sind, eine Kompensationszahlung von 8.000 USD oder dem Äquivalent in SYP leisten müssen. Diese Zahlung muss innerhalb von drei Monaten nach Erreichen des Alterslimits geleistet werden. Wenn diese Zahlung nicht geleistet wird, ist die Folge eine einjährige Haftstrafe und die Zahlung von 200 USD für jedes Jahr, um welches sich die Zahlung verzögert, wobei der Betrag 2000 USD oder das Äquivalent in SYP nicht übersteigen soll. Jedes begonnene Jahr der Verzögerung wird als ganzes Jahr gerechnet. Außerdem kann basierend auf einem Beschluss des Finanzministers das bewegliche und unbewegliche Vermögen der Person, die sich weigert den Betrag zu bezahlen, konfisziert werden (SANA 8.11.2017; vgl. SLJ 10.11.2017, PAR 15.11.2017).
Befreiung und Aufschub
Der einzige Sohn einer Familie, Studenten oder Regierungsangestellte können vom Wehrdienst befreit werden oder diesen aufschieben. Auch medizinische Gründe können Befreiung oder Aufschub bedingen. Diese Ausnahmen sind theoretisch immer noch als solche definiert, in der Praxis gibt es jedoch mittlerweile mehr Beschränkungen und es ist unklar, wie die entsprechenden Gesetze derzeit umgesetzt werden (FIS 14.12.2018). Es scheint, dass es schwieriger wird, einen Aufschub zu erlangen, je länger der Konflikt andauert (BFA 8.2017; vgl. FIS 14.12.2018). Das Risiko der Willkür ist immer gegeben (BFA 8.2017; vgl. DRC/DIS 8.2017).
Seit einer Änderung des Gesetzes über den verpflichtenden Wehrdienst im Juli 2019 ist die Aufschiebung des Militärdienstes jedenfalls nur bis zum Alter von 37 Jahren möglich, zudem kann die Aufschiebung durch Befehl des Oberbefehlshabers beendet werden (ÖB 7.2019).
Unbestätigte Berichte legen nahe, dass der Geheimdienst innerhalb kurzer Zeit über den Wegfall von Aufschubgründen informiert ist, und diese auch digital überprüft werden. Zuvor mussten Studenten den Status ihres Studiums selbst dem Militär melden, mittlerweile wird der Status der Studenten jedoch aktiv überprüft. Generell werden Universitäten nun strenger überwacht und von diesen wird nun verlangt, dass sie das Militär über die Anwesenheit bzw. Abwesenheiten der Studenten informieren (BFA 8.2017). Einem Bericht zufolge gibt es nun in Bezug auf ein Studium als Befreiungsgrund auch Altersgrenzen für den Abschluss des Studiums. Ein weiterer Bericht gibt an, dass gelegentlich Studenten trotz einer Befreiung bei Checkpoints rekrutiert wurden (FIS 14.12.2018).
Syrische Männer mit Wohnsitz und Aufenthaltserlaubnis im Ausland können sich gegen Zahlung eines „Wehrersatzgeldes“ vom Wehrdienst befreien lassen. Laut Wehrpflichtgesetz Art. 46 von 2012 beträgt diese Zahlung je nach Wohnort zwischen 4.000 und 5.000 USD. Gemäß Gesetz Nr. 33 vom August 2014 müssen bei einem Auslandsaufenthalt von über vier Jahren 8.000 USD bezahlt werden. Für im Ausland geborene und weiterhin wohnhafte Syrer im wehrpflichtigen Alter beträgt diese Zahlung 2.500 USD. Es ist jedoch nicht bekannt, ob dies auch für syrische Männer gilt, die seit Beginn des Bürgerkriegs ins Ausland geflüchtet sind (AA 13.11.2018).
Es gibt Beispiele, wo Männer sich durch die Bezahlung von Bestechungsgeldern vom Wehrdienst freigekauft haben, was jedoch keineswegs als einheitliche Praxis betrachtet werden kann. So war es vor dem Konflikt gängige Praxis sich vom Wehrdienst freizukaufen, was einen aber nicht davor schützt, im Zuge des aktuellen Konfliktes - manchmal sogar Jahre danach - trotzdem eingezogen zu werden (BFA 8.2017).
Christliche und muslimische religiöse Führer können weiterhin aus Gewissensgründen vom Militärdienst befreit werden, wobei muslimische Führer dafür eine Abgabe bezahlen müssen (USDOS 21.6.2019). Es gibt Berichte, dass in einigen ländlichen Gebieten Mitgliedern der religiösen Minderheiten die Möglichkeit geboten wurde, sich lokalen regierungsnahen Milizen anzuschließen anstatt ihren Wehrdienst abzuleisten. In den Städten gab es diese Möglichkeit im Allgemeinen jedoch nicht und die Mitglieder der Minderheiten wurden unabhängig von ihrem religiösen Hintergrund zum Militärdienst eingezogen (FIS 14.12.2018).
Von Staatsangestellten wird erwartet, dass sie dem Staat zur Verfügung stehen. Laut Legislativdekret Nr. 33 von 2014 wird das Dienstverhältnis von Staatsangestellten beendet, wenn sie sich der Einberufung zum Wehr- oder Reservedienst entziehen (BFA 8.2017). Hierzu gab es Ende 2016 ein Dekret, welches jedoch nicht umfassend durchgesetzt wurde. Im November 2017 gab es eine erneute Direktive des Premierministers, der bereits eine nicht bekannte Anzahl von Entlassungen folgte (SD 7.12.2017).
Wehrdienstverweigerung / Desertion
Im Verlauf des syrischen Bürgerkrieges verlor die syrische Armee viele Männer aufgrund von Wehrdienstverweigerung, Desertion, Überlaufen und zahlreichen Todesfällen (TIMEP 6.12.2018).
Wehrdienstverweigerer werden laut Gesetz in Friedenszeiten mit ein bis sechs Monaten Haft bestraft, die Wehrpflicht besteht dabei weiterhin fort. In Kriegszeiten wird Wehrdienstverweigerung laut Gesetz, je nach den Umständen, mit Gefängnisstrafen von bis zu fünf Jahren bestraft (AA 13.11.2018). Bezüglich der Konsequenzen einer Wehrdienstverweigerung gehen die Meinungen der Quellen auseinander. Während manche die Ergreifung eines Wehrdienstverweigerers mit Foltergarantie und Todesurteil gleichsetzen, sagen andere, dass Betroffene sofort eingezogen würden. Die Konsequenzen hängen offenbar vom Einzelfall ab (Landinfo 3.1.2018).
Berichten zufolge betrachtet die Regierung Wehrdienstverweigerung nicht nur als eine strafrechtlich zu verfolgende Handlung, sondern auch als Ausdruck von politischem Dissens und mangelnder Bereitschaft, das Vaterland gegen „terroristische“ Bedrohungen zu schützen (BFA 8.2017).
Zwischen der letzten Hälfte des Jahres 2011 bis zum Beginn des Jahres 2013 desertierten zehntausende Soldaten und Offiziere, flohen oder schlossen sich bewaffneten aufständischen Einheiten an. Seit der zweiten Hälfte des Jahres 2013 sind jedoch nur wenige Fälle von Desertion bekannt (Landinfo 3.1.2018).
Desertion wird gemäß dem Militärstrafgesetz von 1950 in Friedenszeiten mit ein bis fünf Jahren Haft bestraft und kann in Kriegszeiten bis zu doppelt so lange Haftstrafen nach sich ziehen. Deserteure, die zusätzlich außer Landes geflohen sind (sogenannte „externe Desertion“), unterliegen Artikel 101 des Militärstrafgesetzbuchs, der eine Strafe von fünf bis zehn Jahren Haft in Friedenszeiten und 15 Jahre Haft in Kriegszeiten vorschreibt. Desertion im Angesicht des Feindes ist mit lebenslanger Haftstrafe zu bestrafen. In schwerwiegenden Fällen wird die Todesstrafe verhängt (BFA 8.2017).
Deserteure werden härter bestraft als Wehrdienstverweigerer. Deserteure riskieren, inhaftiert, gefoltert und getötet zu werden. Repressalien gegenüber Familienmitgliedern können insbesondere bei Familien von „high profile“-Deserteuren der Fall sein, also z.B. Deserteure, die Soldaten oder Offiziere getötet haben oder sich der bewaffneten Opposition angeschlossen haben (Landinfo 3.1.2018).
Seit Ausbruch des Syrienkonflikts werden syrische Armeeangehörige erschossen, gefoltert, geschlagen und inhaftiert, wenn sie Befehle nicht befolgen (AA 13.11.2018).
In Gebieten, welche durch sogenannte Versöhnungsabkommen wieder unter die Kontrolle der syrischen Regierung gebracht wurden, werden häufig Vereinbarungen bezüglich des Wehrdienstes getroffen. Manche Vereinbarungen besagen, dass Männer nicht an die Front geschickt, sondern stattdessen bei der Polizei eingesetzt werden (BFA 8.2017). Berichten zufolge wurden solche Zusagen von der Regierung aber bisweilen auch gebrochen (AA 13.11.2018; vgl. FIS 14.12.2018). Auch in den „versöhnten Gebieten“ sind Männer im entsprechenden Alter also mit der Wehrpflicht oder mit der Rekrutierung durch regimetreue bewaffnete Gruppen konfrontiert. In manchen dieser Gebiete drohte die Regierung auch, dass die Bevölkerung keinen Zugang zu humanitärer Hilfe erhält, wenn diese nicht die Regierungseinheiten unterstützt (FIS 14.12.2018).
Allgemeine Menschenrechtslage
Schätzungen besagen, dass etwa eine halbe Million Menschen im syrischen Bürgerkrieg getötet wurden (BS 2018). Die syrische Verfassung sieht die Baath-Partei als die regierende Partei vor und stellt sicher, dass sie die Mehrheit in allen Regierungs- und Volksverbänden hat. Ein Dekret von 2011 erlaubt die Bildung anderer politischer Parteien, jedoch nicht auf Basis von Religion, Stammeszugehörigkeit oder regionalen Interessen. Die Regierung erlaubt nur regierungsnahen Gruppen offizielle Parteien zu gründen und zeigt wenig Toleranz gegenüber anderen politischen Parteien, auch jenen, die mit ihr verbündet sind. Parteien wie das Communist Union Movement, die Communist Action Party und die Arab Social Union werden schikaniert. Gesetze, welche die Mitgliedschaft in illegalen Organisationen verbieten, wurden auch verwendet um Hunderte Mitglieder von Menschenrechts- und Studentenorganisationen zu verhaften. Es gibt auch zahlreiche Berichte zu anderen Formen der Belästigung von Menschenrechtsaktivisten, Oppositionellen oder Personen, die als oppositionell wahrgenommen werden, von Reiseverboten, Enteignung und Überwachung bis hin zu willkürlichen Festnahmen, „Verschwindenlassen“ und Folter (USDOS 13.3.2019). Es sind zahllose Fälle bekannt, bei denen Personen für als regierungsfeindlich angesehene Tätigkeiten ihrer Verwandten inhaftiert und gefoltert werden, darunter sollen auch Fälle sein, bei denen die gesuchten Personen ins Ausland geflüchtet sind (AA 13.11.2018). Frauen mit familiären Verbindungen zu Oppositionskämpfern werden z.B. als Vergeltung oder zur Informationsgewinnung festgenommen. Außerdem werden Personen festgenommen, die Kontakte zu Verwandten oder Freunden unterhalten, die in oppositionell kontrollierten Gebieten leben (UNHRC 31.1.2019). Die Methoden der Folter, des Verschwindenlassens und der