TE Bvwg Erkenntnis 2021/7/6 W192 2227294-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 06.07.2021
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Entscheidungsdatum

06.07.2021

Norm

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


W192 2227292-1/8E

W192 2227294-1/6E

W192 2233578-1/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Ruso als Einzelrichter über die Beschwerden von 1.) XXXX , geb. XXXX , 2.) mj. XXXX , geb. XXXX , und 3.) mj. XXXX , geb. XXXX , alle StA. Afghanistan, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 25.11.2019 und 30.06.2020, Zahlen 1.) 1241308907/190801889, 2.) 1241307507/190801919, 3.) 1264548805/200402853, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 07.06.2021 zu Recht:

A)       Die Beschwerden werden gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 i. d. g. F. als unbegründet abgewiesen.

B)       Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang

1. Der Erstbeschwerdeführerin stellte nach illegaler Einreise gemeinsam mit ihrer Tochter, der minderjährigen Zweitbeschwerdeführerin, am 06.08.2019 einen Antrag auf internationalen Schutz. Für den später als weiteres Kind der Erstbeschwerdeführerin in Österreich geborenen Drittbeschwerdeführer wurde am 15.05.2020 eine Geburtsurkunde vorgelegt und in weiterer Folge unter Verwendung eines Formblatts ein Antrag auf Gewährung desselben Schutzes gestellt.

Bei der Erstbefragung am 06.08.2019 gab die Erstbeschwerdeführerin an, dass sie verheiratet sei, der Volksgruppe der Hazara und dem Islam der schiitischen Ausrichtung angehöre. Die Beschwerdeführer hätten sich zuletzt vor sechs Monaten in Afghanistan aufgehalten und seien über den Iran, die Türkei, Griechenland und weitere Länder nach Österreich gelangt. Die Erstbeschwerdeführerin habe ihren Reisepass bei der durch einen Schlepper organisierten Reise aus dem Iran in die Türkei dem Schlepper gegeben. Die Erstbeschwerdeführerin habe nach Österreich gewollt, weil ihr Ehemann seit etwa zehn Jahren in Österreich lebe. Sie sei schwanger, weil dieser sie während ihres Aufenthaltes in Griechenland vor etwa einem Monat dort besucht habe. Die Erstbeschwerdeführerin habe um Familienzusammenführung angesucht, welche jedoch nicht bewilligt worden sei.

Die Erstbeschwerdeführerin habe den Herkunftsstaat verlassen, weil in ihrer Herkunftsregion Jaghori die Taliban seien und man von diesen bedroht werde. Sie könne nicht in die sicheren Provinzen von Afghanistan gehen, weil sie dann alleine wäre. Außerdem seien die Menschen in Afghanistan wie die Tiere. Eine alleinstehende Frau habe es in Afghanistan nicht leicht. Die Erstbeschwerdeführerin habe die Schleppung mit der Hilfe ihrer Mutter organisiert.

Laut vorliegenden Eurodac-Treffermeldungen wurde die Erstbeschwerdeführerin im Februar 2019 in Griechenland anlässlich der dort erfolgten illegalen Einreise und der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz erkennungsdienstlich behandelt.

Sie stellte für ihre minderjährige Tochter ebenfalls einen Antrag auf internationalen Schutz und brachte vor, dass diese keine eigenen Fluchtgründe habe. Diese solle lediglich mit der Erstbeschwerdeführerin und deren Ehemann als Familie zusammenleben.

Am 29.10.2019 erfolgte eine niederschriftliche Einvernahme der Erstbeschwerdeführerin. Dabei gab sie an, dass es ihr gesundheitlich gut gehe, sie aber Schwangerschaftsbeschwerden habe. Sie habe keine Schulbildung und habe in Afghanistan vor ihrer Heirat mit ihrer Mutter und nach der Heirat in Ghazni gelebt. Die letzten sieben Monate vor ihrer Ausreise habe sie in Kabul gelebt. Die Erstbeschwerdeführerin habe im Alter von 14 Jahren die Ehe mit ihrem mittlerweile in Österreich lebenden Ehemann nach traditionellem Ritus geschlossen. Sie sei gemeinsam mit ihrem Ehemann und dessen Familie aus Afghanistan nach Pakistan geflohen, als die Taliban ihren Wohnort eingenommen hätten. Danach sei ihr Ehemann weiter nach Österreich gereist. Die Erstbeschwerdeführerin habe nie eine Schule besucht und habe nicht gearbeitet, sondern sei nur Hausfrau gewesen. Ihr Vater sei vor etwa 6 bis 7 Jahren an einer Krankheit verstorben und ihre Mutter lebe bei einer Schwester in Kabul, drei Schwestern der Erstbeschwerdeführerin würden in Afghanistan leben. Die Erstbeschwerdeführerin habe in Afghanistan keine Probleme mit Behörden gehabt und sie führte dazu aus, dass ihre jüngere Schwester eine Ausbildung zur Polizistin machen wollte.

Nachdem ihr Wohnort von Taliban angegriffen worden sei, habe die Erstbeschwerdeführerin gemeinsam mit ihrem Ehemann und ihren Schwiegereltern Afghanistan nach Pakistan verlassen und sei immer wieder zwischen Afghanistan und Pakistan gependelt. Sie sei vor etwa einem Jahr das letzte Mal in Afghanistan mit ihrer Mutter und ihrer kleinen Schwester unterwegs gewesen und dann nach Kabul gegangen. Die Erstbeschwerdeführerin sei aus Kabul mit dem Flugzeug gemeinsam mit ihrer Tochter in den Iran gereist. Über die Türkei und Griechenland sei sie mit Schlepperunterstützung nach Österreich eingereist, um hier zu ihrem Mann zu kommen.

Als Fluchtgrund brachte sie vor, dass sie wegen der Taliban Angst um ihr Leben gehabt habe und sie auch befürchtet habe, die Zweitbeschwerdeführerin könne entführt werden. Sie habe keine männliche Person gehabt, die sie beschützt hätte. Sie sei auf der Straße belästigt worden, weil bekannt gewesen sei, dass ihr Ehemann nicht anwesend gewesen sei. Sie habe Schutz gehabt, bis ihr Vater verstorben sei.

Auf die Frage nach konkreten persönlichen Bedrohungen brachte die Erstbeschwerdeführerin vor, dass sie bei einer Feier einmal ausgelacht worden sei, weil sie den Hazara angehöre. Auf Nachfrage nach persönlichen Bedrohungen führte sie aus, dass solche nicht erfolgt seien.

Die Erstbeschwerdeführerin führte nach Manduktion aus, dass sie für die Zweitbeschwerdeführerin einen auf das Verfahren ihres Ehegatten bezogenen Antrag im Familienverfahren stelle.

Die Zweitbeschwerdeführerin sei während einer Reise des Ehemannes nach Pakistan gezeugt worden und die nunmehrige Schwangerschaft der Erstbeschwerdeführerin auf einen Besuch des Ehemannes in Griechenland zurückzuführen.

Wenn der Ehemann nicht hier wäre, wäre sie bei ihrer Mutter geblieben.

In Österreich lebe die Erstbeschwerdeführerin mit ihrem Mann und ihrer Tochter in einem Haus. Sie gehe gemeinsam mit ihrem Mann zum Arzt. Sie sei mit der Tochter und mit der bestehenden Schwangerschaft beschäftigt, aber bemüht, die deutsche Sprache zu lernen. Sie wolle lesen und schreiben lernen und würde gerne Gynäkologin werden. In Afghanistan könnte sie nicht leben und wäre dort alleine. Ihre dort aufhältige Mutter und Schwester wollten von der Erstbeschwerdeführerin nachgeholt werden. Die Erstbeschwerdeführerin habe keine allgemeinen Informationen über das Land Österreich.

2. Mit den angefochtenen Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde der Antrag der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt I.), ihnen gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 1 Z 3 AsylG der Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt (Spruchpunkt II.) und eine Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG erteilt (Spruchpunkt III).

Die Behörde stellte fest, dass die Erstbeschwerdeführerin keine asylrelevanten Fluchtgründe oder Verfolgung dargetan habe. Eine sogenannte westliche Orientierung liege nicht vor. Diese sei im Verfahren nicht behauptet worden und es habe sich aus den Angaben bei der Einvernahme nicht ergeben, dass sich die Lebensweise und persönliche Wertehaltung der Erstbeschwerdeführerin an dem Europa mehrheitlich gelebten und im Allgemeinen als „westlich“ bezeichneten Frauen- und Gesellschaftsbild, selbstbestimmt leben zu wollen, orientieren würde. Die Erstbeschwerdeführerin habe sich seit ihrer Einreise keine Lebensweise angeeignet, die einen deutlichen und nachhaltigen Bruch mit den in Afghanistan vorherrschenden gesellschaftlichen Gepflogenheiten darstelle.

Eine Gefährdung durch Taliban oder Belästigung als alleinstehende Frau ohne männlichen Schutz in Afghanistan sei nicht glaubhaft, da es der Erstbeschwerdeführerin möglich gewesen sei, über mehrere Jahre mit ihrer Mutter und Schwester in Afghanistan zu leben und zudem noch zwischen Pakistan und Afghanistan zu reisen. Die Erstbeschwerdeführerin habe den Herkunftsstaat ausschließlich deshalb verlassen, und mit ihren Kindern im Familienverband mit ihren Ehegatten zu leben.

Sie habe auch keine Verfolgungsgefahr aufgrund ihrer Volksgruppenzugehörigkeit behauptet.

Für die minderjährige Zweitbeschwerdeführerin und den minderjährigen Drittbeschwerdeführer sei keine konkrete individuelle Bedrohung behauptet worden.

Allen Beschwerdeführern wurde im Familienverfahren des Status von subsidiär Schutzberechtigten im Hinblick auf den Umstand zuerkannt, dass ihrem Ehegatten bzw. Vater als Bezugsperson der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden ist.

3. Die mit Schriftsätzen der Rechtsvertreter der Beschwerdeführer vom 30.12.2019 und 27.07.2020 erhobenen Beschwerden richten sich gegen die Spruchpunkte I. der angefochtenen Bescheide. Darin wurde vorgebracht, dass die im angefochtenen Bescheid vom 25.11.2019 getroffenen Länderfeststellungen unvollständig seien und sich nicht mit dem Fluchtvorbringen der Beschwerdeführer auseinandersetzen. Aufgrund des bewaffneten Konfliktes in Afghanistan bestehe für die Zivilbevölkerung eine derart unvermeidbare und große Gefahr, dass für die Beschwerdeführer eine ernsthafte Bedrohung des Lebens und der Unversehrtheit vorliege.

Die Situation von Frauen im Afghanistan habe sich auch im letzten Jahr nicht verbessert. Angehörige der Volksgruppe der Hazara seien Diskriminierungen ausgesetzt und auch in der öffentlichen Verwaltung unterrepräsentiert. Es komme auch zu Vorfällen konfessionell motivierter Gewalt gegen Schiiten und bestehe allein aufgrund ihrer Anwesenheit in Afghanistan das Risiko eines ernsthaften Schadens aufgrund willkürlicher körperlicher Gewalt für die Beschwerdeführer.

Die Behörde habe es unterlassen, Feststellungen zur westlichen Orientierung der Erstbeschwerdeführerin zu treffen. Diese wolle selbstständig lernen und arbeiten und habe als Berufsfeld den medizinischen Bereich angegeben. Sie wolle weiters, dass die Zweitbeschwerdeführerin selbstbestimmt und ohne geschlechtsspezifische Diskriminierung leben könne. In Afghanistan sei sie gezwungen gewesen, die Burka bzw. den Tschador zu tragen und habe das Haus nur voll verschleiert verlassen dürfen.

Ebenso habe die Erstbeschwerdeführerin vorgebracht, dass sie Angst habe, ihre Tochter könnte entführt werden, die Behörde habe es verabsäumt, die Erstbeschwerdeführerin zu diesen Verfolgungsgründen näher zu befragen.

Die Erstbeschwerdeführerin falle unter das Risikoprofil der UNHCR-Richtlinien vom 30.08.2018, da sie als Frau bei einer allfälligen Rückkehr gegen die sozialen Sitten verstoßen würde. Es sei der Erstbeschwerdeführerin in ihrer Heimatprovinz unmöglich gewesen, ohne Verschleierung und männliche Begleitung des Haus zu verlassen. Auch in anderen Gebieten einschließlich Kabul, Herat oder Mazar Scharif wäre sie aufgrund ihrer westlichen Orientierung einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt.

Zum Drittbeschwerdeführer wurde vorgebracht, dass er an einem schweren Herzfehler leide, weiterer medizinischer Behandlung bedürfe und die Behörde mangelhaft Ermittlungen darüber unterlassen habe, ob die Behandlung des Drittbeschwerdeführers im Herkunftsstaat möglich sei.

5. Das Bundesverwaltungsgericht hat am 07.06.2021 eine öffentliche mündliche Verhandlung durchgeführt, an der die Beschwerdeführer und ihr Rechtsvertreter teilnahmen und zu der das Bundesamt keinen Vertreter entsandt hat. Dabei wurden die Verfolgungsbehauptungen und die Lebensverhältnisse der Beschwerdeführer erörtert und diesen Gelegenheit eingeräumt, sich zu Feststellungen über die Lage im Herkunftsstaat zu äußern. Die Beschwerdeführer haben keine solche Stellungnahme abgegeben.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt):

1.1. Zu den Personen der Beschwerdeführer:

Die Beschwerdeführer sind afghanische Staatsangehörige, Angehörige der Volksgruppe der Hazara und Muslime schiitischer Ausrichtung. Ihre Muttersprache ist Dari. Die Erstbeschwerdeführerin ist Mutter und gesetzliche Vertreterin der minderjährigen Zweitbeschwerdeführerin und des minderjährigen Drittbeschwerdeführers.

Die Erstbeschwerdeführerin stammt ursprünglich aus einem Dorf im Distrikt Jaghori in der Provinz Ghazni und heiratete im Jahr 1999 im Alter von etwa 15 Jahren einen nunmehr in Österreich subsidiär schutzberechtigten afghanischen Staatsangehörigen nach islamischem Ritus (in der Folge als „Ehemann“ bezeichnet). Die Erstbeschwerdeführerin hat keine Schul- oder Berufsausbildung absolviert, ist bisher nie einer Erwerbstätigkeit nachgegangen und verbrachte ihren Alltag in Afghanistan stets zuhause. Sie zog infolge ihrer Eheschließung zu einem nicht näher feststellbaren Zeitpunkt gemeinsam mit ihrem Ehemann und dessen Familie nach Pakistan, kehrte jedoch regelmäßig zwecks Besuchs ihrer dort lebenden Herkunftsfamilie nach Afghanistan zurück, wobei sich diese Lebensweise laut ihren Angaben über einen Zeitraum von etwa 16 Jahren erstreckte.

Der Ehemann der Erstbeschwerdeführerin reiste schließlich infolge eines Aufenthalts im Iran nach Österreich und stellte nach illegaler Einreise in das Bundesgebiet im September 2007 einen Antrag auf internationalen Schutz. Diesem Antrag wurde schließlich mit am 07.10.2014 in Rechtskraft erwachsenem Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl insoweit stattgegeben, als diesem der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt wurde, welche in der Folge regelmäßig, zuletzt für den Zeitraum bis 26.08.2022, verlängert worden ist; hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten wurde der Antrag rechtskräftig abgewiesen.

Nach der Ausreise ihres Ehemannes nach Europa sowie der anschließenden Ausreise ihrer Schwiegerfamilie nach Australien lebte die Erstbeschwerdeführerin gemeinsam mit ihren Eltern und ihrer jüngeren Schwester in Afghanistan, wo ihre Mutter nach dem krankheitsbedingten Todes des Vaters etwa im Jahr 2013 durch eine Arbeit als Wäscherin für ihren Lebensunterhalt aufkam. Zu einem nicht genau feststellbaren Zeitpunkt zog die Erstbeschwerdeführerin mit den Angehörigen ihrer Herkunftsfamilie von Jaghori nach Kabul, wo sie sich spätestens ab dem Jahr 2016 bis zu ihrer Ausreise Anfang 2019 annähernd durchgehend aufhielt und weiterhin von ihrer Mutter versorgt wurde. Die im Jahr 2016 in Kabul geborene Zweitbeschwerdeführerin wurde laut Angaben der Erstbeschwerdeführerin während eines gemeinsamen kurzfristigen Aufenthalts der Erstbeschwerdeführerin und ihres Ehemannes in Pakistan gezeugt.

Die Erstbeschwerdeführerin verließ Afghanistan Anfang des Jahres 2019 gemeinsam mit der minderjährigen Zweitbeschwerdeführerin und einem bekannten Ehepaar und reiste über den Iran, die Türkei, Griechenland und eine weitere nicht näher bekanntgegebene Route schlepperunterstützt illegal nach Österreich, wo sie am 06.08.2019 Anträge auf internationalen Schutz stellte. Der im Jahr 2020 in Österreich geborene Drittbeschwerdeführer wurde laut Angaben der Erstbeschwerdeführerin während der Reise Richtung Österreich im Zuge eines Aufenthalts ihres Ehemannes in Griechenland gezeugt. Für diesen wurde am 15.05.2020 ebenfalls ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

Die Mutter sowie die jüngere Schwester der Erstbeschwerdeführerin leben nach wie vor in Kabul. Zudem leben zwei weitere Schwestern der Erstbeschwerdeführerin in Afghanistan.

Die Beschwerdeführer leiden an keinen schwerwiegenden oder lebensbedrohenden Erkrankungen. Die minderjährige Zweitbeschwerdeführerin befand sich im Jahr 2019 aufgrund von Verdauungsproblemen in ambulanter Behandlung, wobei als Therapie eine Anpassung ihrer Ernährung empfohlen wurde. Beim minderjährigen Drittbeschwerdeführer wurde ein angeborener Herzfehler (muskulärer Ventrikelseptumdefekt) festgestellt, welcher regelmäßige Kontrolluntersuchungen erforderlich macht.

Die Beschwerdeführer sind in Österreich strafrechtlich unbescholten bzw. noch strafunmündig.

1.2. Zu den Verfolgungsbehauptungen der Beschwerdeführer:

Die Erstbeschwerdeführerin hat den Herkunftsstaat gemeinsam mit ihrer erstgeborenen Tochter verlassen, um in Europa bessere (wirtschaftliche) Lebensbedingungen vorzufinden und im Familienverband mit ihrem Ehemann zu leben. Ihre Reise von Afghanistan nach Österreich wurde durch ihr familiäres/soziales Umfeld organisiert und unterstützt. Diese war im Vorfeld der Ausreise in Afghanistan, ebenso wie die minderjährige Zweitbeschwerdeführerin, keinen konkreten Bedrohungen oder Übergriffen ausgesetzt.

Die Beschwerdeführer hätten im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan keine Verfolgung durch den Staat zu befürchten. Die Beschwerdeführer haben sich im Herkunftsstaat nicht politisch betätigt, waren nicht Mitglied einer politischen Partei oder Bewegung und hatten keine Probleme mit den Behörden im Herkunftsstaat.

Die Erstbeschwerdeführerin und die Zweitbeschwerdeführerin wären im Herkunftsstaat alleine aufgrund ihres Geschlechts keiner asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt.

Die Erstbeschwerdeführerin lebt seit der Einreise in einem gemeinsamen Haushalt mit ihrem Ehemann und verbringt den Alltag im Wesentlichen mit der Betreuung ihrer beiden Kinder im Alter von fünf und einem Jahr, sie erledigt die Hausarbeit und Einkäufe. Das Geld für die Einkäufe erhält sie von ihrem Mann und sie erledigt diese selbständig. Auch Arzttermine nimmt sie alleine wahr. Sie äußerte den Wunsch, künftig, sobald es die Betreuung des Drittbeschwerdeführers zulässt, eine Ausbildung zu absolvieren und in der Folge einen Beruf im medizinischen Bereich ausüben zu wollen. Bislang hat sie noch keine Kurse besucht und auch keine konkreten Schritte im Hinblick auf eine künftige Ausbildung respektive einen Einstieg in eine Erwerbstätigkeit unternommen. Sie hat sich keine nachgewiesenen Kenntnisse der deutschen Sprache angeeignet. Sie wird durch ihren Ehemann in seiner Freizeit bei der Betreuung der Kinder unterstützt, an Wochenenden unternimmt die Familie gemeinsame Ausflüge. Fallweise unternimmt sie alleine Spaziergänge.

Die Unterschiede in ihrem Alltagsleben in Österreich verglichen mit der Situation in Afghanistan beschreibt die Erstbeschwerdeführerin im Wesentlichen mit der stabileren Sicherheitslage in Österreich und der fehlenden Notwendigkeit, sich zu verschleiern.

Bei der Zweitbeschwerdeführerin handelt es sich nicht derart um eine auf Eigen- und Selbstständigkeit bedachte Frau, die in ihrer persönlichen Wertehaltung und in ihrer Lebensweise an dem in Europa mehrheitlich gelebten, allgemein als „westlich“ bezeichneten Frauen- und Gesellschaftsbild orientiert ist.

Die Ausübung ihrer hier in Österreich gelebten Lebensweise ist auch in den Großstädten Afghanistans möglich.

Der Zweitbeschwerdeführerin und dem Drittbeschwerdeführer würde alleine aufgrund ihres Alters bzw. vor dem Hintergrund der Situation von Kindern in Afghanistan nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit physische und/oder psychische Gewalt mit asylrelevanter Intensität drohen.

Es kann auch sonst nicht festgestellt werden, dass die beschwerdeführenden Parteien im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Ansichten von staatlicher Seite oder von Seiten Dritter bedroht wären.

Den beschwerdeführenden Parteien wurde mit den insofern in Rechtskraft erwachsenen Bescheiden vom 25.11.2019 und 30.06.2020 der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und eine bis zum 26.08.2022 befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt.

1.3. Zur Lage im Herkunftsstaat

Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan:

Sicherheitslage

Letzte Änderung: 09.06.2021

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (UNGASC 17.3.2020; vgl. USDOS 30.3.2021). Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die Provinzhauptstädte, die meisten Distriktzentren und die meisten Teile der wichtigsten Transitrouten. Mehrere Teile der wichtigsten Transitrouten sind umkämpft, wodurch Distriktzentren bedroht sind. Seit Februar 2020 haben die Taliban ein hohes Maß an Gewalt gegen die ANDSF (Afghan National Defense Security Forces) aufrechterhalten, vermeiden aber gleichzeitig Angriffe gegen Koalitionstruppen, welche in der Nähe von Provinzhauptstädten stationiert sind - wahrscheinlich um das US-Taliban-Abkommen nicht zu gefährden. Unabhängig davon begann IS/ISKP im Februar 2020 (zum ersten Mal seit dem Verlust seiner Hochburg in der Provinz Nangarhar im November 2019) Terroranschläge gegen die ANDSF und die Koalitionstruppen durchzuführen (USDOD 1.7.2020). Die Zahl der Angriffe der Taliban auf staatliche Sicherheitskräfte entsprach im Jahr 2020 dem Niveau der Frühjahrsoffensiven der vergangenen Jahre, auch wenn die Offensive dieses Jahr bisher nicht offiziell erklärt wurde (AA 16.7.2020; vgl. REU 6.10.2020).

Die Umsetzung des US-Taliban-Abkommens, angefochtene Ergebnisse der Präsidentschaftswahlen, regionale politische Spannungen zwischen den Vereinigten Staaten und dem Iran, Diskussionen über die Freilassung von Gefangenen, Krieg und die globale Gesundheitskrise COVID-19 haben laut dem Combined Security Transition Command-Afghanistan (CSTC-A) das zweite Quartal 2020 für die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (ANDSF) zum "vielleicht komplexesten und herausforderndsten Zeitraum der letzten zwei Jahrzehnte" gemacht (SIGAR 30.7.2020).

Der Konflikt in Afghanistan befindet sich nach wie vor in einer "strategischen Pattsituation", die nur durch Verhandlungen zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban gelöst werden kann (SIGAR 30.1.2020). Die afghanische Regierung führte zum ersten Mal persönliche Gespräche mit den Taliban, inhaltlich wurde über den Austausch Tausender Gefangener verhandelt (BBC 1.4.2020). Diese Gespräche sind ein erster Schritt Richtung inner-afghanischer Verhandlungen, welche Teil eines zwischen Taliban und US-Amerikanern unterzeichneten Abkommens sind (TD 2.4.2020). Die Gespräche fanden vor dem Hintergrund anhaltender Gewalt im Land statt (BBC 1.4.2020; vgl. HRW 13.1.2021), was den afghanischen Friedensprozess gefährden könnte (SIGAR 30.1.2021).

Die Sicherheitslage im Jahr 2021

Mit April bzw. Mai 2021 nahmen die Kampfhandlungen zwischen Taliban und Regierungstruppen stark zu (RFE/RL 12.5.2021a; cf. SIGAR 30.4.2021, BAMF 31.5.2021). Im Mai 2021 übernahmen die Taliban die Kontrolle über den Distrikt Dawlat Shah in der ostafghanischen Provinz Laghman (LWJ 20.5.2021) und den Distrikt Nerkh in der Provinz (Maidan) Wardak, einen strategischen Distrikt etwa 40 Kilometer von Kabul entfernt. Spezialkräfte wurden in dem Gebiet eingesetzt, um den Distrikt Nerkh zurückzuerobern, nachdem Truppen einen "taktischen Rückzug" angetreten hatten (RFE/RL 12.5.2021b; vgl. TN 12.5.2021, AJ 12.5.2021). Aufgrund der sich intensivierenden Kämpfe zwischen den Taliban und der Regierung an unterschiedlichsten Fronten in mindestens fünf Provinzen (Baghlan, Kunduz, Helmand, Kandahar und Laghman) sind im Mai 2021 bis zu 8.000 Familien vertrieben worden. Berichten zufolge haben die Vertriebenen keinen Zugang zu Unterkunft, Verpflegung, Schulen oder medizinischer Versorgung (BAMF 31.5.2021; vgl. UNOCHA 2.6.2021).

Ende Mai/Anfang Juni übernahmen die Taliban die Kontrolle über mehrere Distrikte (LWJ 6.6.2021; vgl. DW 6.6.2021, MENAFN 7.6.2021). Die Taliban haben den Druck in allen Regionen des Landes verstärkt, auch in Laghman, Logar und Wardak, drei wichtigen Provinzen, die an Kabul grenzen (LWJ 6.6.2021; vgl. RFE/RL 1.6.2021). Damit haben die Taliban seit Beginn des Truppenabzugs am 1.5.2021 bis Anfang Juni mindestens zwölf Distrikte erobert (LWJ 6.6.2021; vgl. DW 6.6.2021, MENAFN 7.6.2021, LWJ 20.5.2021, VOA 7.6.2021).

Die Sicherheitslage im Jahr 2020

Die Sicherheitslage verschlechterte sich im Jahr 2020, in dem die Vereinten Nationen 25.180 sicherheitsrelevante Vorfälle registrierten, ein Anstieg von 10% gegenüber den 22.832 Vorfällen im Jahr 2019 (UNASC 12.3.2021). Laut AAN (Afghanistan Analysts Network) war 2020 in Afghanistan genauso gewalttätig wie 2019, trotz des Friedensprozesses und der COVID-19-Pandemie. Seit dem Abkommen zwischen den Taliban und den USA vom 29. Februar haben sich jedoch die Muster und die Art der Gewalt verändert. Das US-Militär spielt jetzt nur noch eine minimale direkte Rolle in dem Konflikt, sodass es sich fast ausschließlich um einen afghanischen Krieg handelt, in dem sich Landsleute gegenseitig bekämpfen, wenn auch mit erheblicher ausländischer Unterstützung für beide Seiten. Seit der Vereinbarung vom 29.2.2020 haben die Taliban und die afghanische Regierung ihre Aktionen eher heruntergespielt als übertrieben, und die USA haben die Veröffentlichung von Daten zu Luftangriffen eingestellt (AAN 16.8.2020). Während die Zahl der Luftangriffe im Jahr 2020 um 43,6 % zurückging, stieg die Zahl der bewaffneten Zusammenstöße um 18,4 % (UNGASC 12.3.2021).

Die Taliban starteten wie üblich eine Frühjahrsoffensive, wenn auch unangekündigt, und verursachten in den ersten sechs Monaten des Jahres 2020 43 Prozent aller zivilen Opfer, ein größerer Anteil als 2019 und auch mehr in absoluten Zahlen (AAN 16.8.2020). Afghanistans National Security Council (NSC) zufolge nahmen die Talibanattacken im Juni 2020 deutlich zu. Gemäß NATO Resolute Support (RS) nahm die Anzahl an zivilen Opfern im zweiten Quartal 2020 um fast 60% gegenüber dem ersten Quartal und um 18% gegenüber dem zweiten Quartal des Vorjahres zu (SIGAR 30.7.2020). Während im Jahr 2020 Angriffe der Taliban auf größere Städte und Luftangriffe der US-Streitkräfte zurückgingen, wurden durch improvisierte Sprengsätze (IEDs) der Taliban eine große Zahl von Zivilisten getötet, ebenso wie durch Luftangriffe der afghanischen Regierung. Entführungen und gezielte Tötungen von Politikern, Regierungsmitarbeitern und anderen Zivilisten, viele davon durch die Taliban, nahmen zu (HRW 13.1.2021; vgl. AAN 16.8.2020, USDOS 30.3.2021).

In der zweiten Jahreshälfte 2020 nahmen insbesondere die gezielten Tötungen von Personen des öffentlichen Lebens (Journalisten, Menschenrechtler usw.) zu. Personen, die offen für ein modernes und liberales Afghanistan einstehen, werden derzeit landesweit vermehrt Opfer von gezielten Attentaten (AA 14.1.2021; vgl. UNGASC 12.3.2021, AIHRC 28.1.2021).

Obwohl sich die territoriale Kontrolle kaum verändert hat (UNGASC 12.3.2021; vgl. AAN 16.8.2020), scheint es in der ersten Hälfte 2020 eine geografische Verschiebung gegeben zu haben, mit mehr Gewalt im Norden und Westen und weniger in einigen südlichen Provinzen, wie Helmand (AAN 16.8.2020). Die Taliban hielten jedoch den Druck auf wichtige Verkehrsachsen und städtische Zentren aufrecht, einschließlich gefährdeter Provinzhauptstädte wie in den Provinzen Farah, Kunduz, Helmand und Kandahar. Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte führten weiterhin Operationen durch, um wichtige Autobahnen zu sichern und die Gewinne der Taliban rückgängig zu machen, insbesondere im Süden nach den jüngsten Offensiven der Taliban auf die Städte Lashkar Gah und Kandahar (UNGASC 12.3.2021).

Zivile Opfer

Zwischen dem 1.1.2021 und dem 31.3.2021 dokumentierte die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) 1.783 zivile Opfer (573 Tote und 1.210 Verletzte). Der Anstieg der zivilen Opfer im Vergleich zum ersten Quartal 2020 war hauptsächlich auf dieselben Trends zurückzuführen, die auch im letzten Quartal des vergangenen Jahres zu einem Anstieg der zivilen Opfer geführt hatten - Bodenkämpfe, improvisierte Sprengsätze (IEDs) und gezielte Tötungen hatten auch in diesem vergleichsweise warmen Winter extreme Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung (UNAMA 4.2021; vgl. UNSC 1.6.2021).

Vom 1.1.2020 bis zum 31.12.2020 dokumentierte UNAMA 8.820 zivile Opfer (3.035 Getötete und 5.785 Verletzte), während AIHRC (Afghanistan Independent Human Rights Commission) für das gesamte Jahr 2020 insgesamt 8.500 zivile Opfer registrierte, darunter 2.958 Tote und 5.542 Verletzte. Das ist ein Rückgang um 15% (21% laut AIHRC) gegenüber der Zahl der zivilen Opfer im Jahr 2019 (UNAMA 2.2021a; AIHRC 28.1.2021) und die geringste Zahl ziviler Opfer seit 2013 (UNAMA 2.2021a).

Nach dem Abkommen zwischen den USA und den Taliban dokumentierte UNAMA einen Rückgang der Opfer unter der Zivilbevölkerung bei groß angelegten Angriffen in städtischen Zentren durch regierungsfeindliche Elemente, insbesondere die Taliban, und bei Luftangriffen durch internationale Streitkräfte. Dies wurde jedoch teilweise durch einen Anstieg der Opfer unter der Zivilbevölkerung durch gezielte Tötungen von regierungsfeindlichen Elementen, durch Druckplatten-IEDs der Taliban und durch Luftangriffe der afghanischen Luftwaffe sowie durch ein weiterhin hohes Maß an Schäden für die Zivilbevölkerung bei Bodenkämpfen ausgeglichen (UNAMA 2.2021a).

Obwohl ein Rückgang der durch regierungsfeindliche Elemente verletzten Zivilisten im Jahr 2020, der hauptsächlich auf den Mangel an zivilen Opfern durch wahlbezogene Gewalt und den starken Rückgang der zivilen Opfer durch Selbstmordattentate im Vergleich zu 2019 zurückzuführen ist, festgestellt werden konnte, so gab es einen Anstieg zivilen Opfer durch gezielte Tötungen, durch wahllos von Opfern aktivierte Druckplatten-IEDs und durch fahrzeuggetragene Nicht-Selbstmord-IEDs (UNAMA 2.2021a; vgl. ACCORD 6.5.2021b).

Die Ergebnisse des AIHRC zeigen, dass Beamte, Journalisten, Aktivisten der Zivilgesellschaft, religiöse Gelehrte, einflussreiche Persönlichkeiten, Mitglieder der Nationalversammlung und Menschenrechtsverteidiger das häufigste Ziel von gezielten Angriffen waren. Im Jahr 2020 verursachten gezielte Angriffe 2.250 zivile Opfer, darunter 1.078 Tote und 1.172 Verletzte. Diese Zahl macht 26% aller zivilen Todesopfer im Jahr 2020 aus (AIHRC 28.1.2021). Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch haben aufständische Gruppen in Afghanistan ihre gezielten Tötungen von Frauen und religiösen Minderheiten erhöht (HRW 16.3.2021).

Die von den Konfliktparteien eingesetzten Methoden, die die meisten zivilen Opfer verursacht haben, sind in der jeweiligen Reihenfolge folgende: IEDs und Straßenminen, gezielte Tötungen, Raketenbeschuss, komplexe Selbstmordanschläge, Bodenkämpfe und Luftangriffe (AIHRC 28.1.2021).

Im April 2021 meldete UNAMA für das erste Quartal 2021 einen Anstieg der zivilen Opfer um 29% im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Aufständische waren für zwei Drittel der Opfer verantwortlich, Regierungstruppen für ein Drittel. Seit Beginn der Friedensverhandlungen in Doha Ende 2020 wurde für die letzten sechs Monate ein Anstieg von insgesamt 38 % verzeichnet (UNAMA 4.2021; vgl. BAMF 19.4.2021) .

Während des gesamten Jahres 2020 dokumentierte UNAMA Schwankungen in der Zahl der zivilen Opfer parallel zu den sich entwickelnden politischen Ereignissen. Die "Woche der Gewaltreduzierung" vor der Unterzeichnung des Abkommens zwischen den Vereinigten Staaten und den Taliban in Doha am 29.2.2020 zeigte, dass die Konfliktparteien die Macht haben, Schaden an der Zivilbevölkerung zu verhindern und zu begrenzen, wenn sie sich dazu entschließen, dies zu tun. Ab März wuchs dann die Besorgnis über ein steigendes Maß an Gewalt, da UNAMA zu Beginn des Ausbruchs der COVID-19-Pandemie eine steigende Zahl von zivilen Opfern und Angriffen auf Gesundheitspersonal und -einrichtungen dokumentierte. Regierungsfeindliche Elemente verursachten mit 62% weiterhin die Mehrzahl der zivilen Opfer im Jahr 2020. Während UNAMA weniger zivile Opfer dem Islamischen Staat im Irak und in der Levante - Provinz Khorasan (ISIL-KP, ISKP) und den Taliban zuschrieb, hat sich die Zahl der zivilen Opfer, die durch nicht näher bestimmte regierungsfeindliche Elemente verursacht wurden (diejenigen, die UNAMA keiner bestimmten regierungsfeindlichen Gruppe zuordnen konnte), im Vergleich zum Vorjahr mehr als verdoppelt (UNAMA 2.2021a; vgl. AAN 16.8.2020). Pro-Regierungskräfte verursachten ein Viertel der getöteten und verletzten Zivilisten im Jahr 2020 (UNAMA 2.2021a; vgl. HRW 13.1.2021). Nach den Erkenntnissen der AIHRC sind von allen zivilen Opfern in Afghanistan im Jahr 2020 die Taliban für 53 % verantwortlich, regierungsnahe und verbündete internationale Kräfte für 15 % und ISKP (ISIS) für fünf Prozent. Bei 25 % der zivilen Opfer sind die Täter unbekannt und 2 % der zivilen Opfer wurden durch pakistanischen Raketenbeschuss in Kunar, Khost, Paktika und Kandahar verursacht (AIHRC 28.1.2021).

High-Profile Angriffe (HPAs)

Sowohl in den ersten fünf Monaten 2019, als auch im letzten Halbjahr 2019 führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen (USDOD 12.2019; vgl. USDOD 1.7.2020). Die Gesamtzahl der öffentlichkeitswirksamen Angriffe ist sowohl in Kabul als auch im ganzen Land in den letzten anderthalb Jahren stetig zurückgegangen (USDOD 12.2019). Zwischen 1.6.2019 und 31.10.2019 fanden 19 HPAs in Kabul statt (Vorjahreswert: 17), landesweit betrug die Zahl 88 (USDOD 12.2019).

Der Großteil der Anschläge richtet sich gegen die ANDSF und die internationalen Streitkräfte; dazu zählte ein komplexer Angriff der Taliban auf den Militärflughafen Bagram im Dezember 2019. Im Februar 2020 kam es in der Provinz Nangarhar zu einer sogenannten 'green-on-blue-attack': der Angreifer trug die Uniform der afghanischen Nationalarmee und eröffnete das Feuer auf internationale Streitkräfte, dabei wurden zwei US-Soldaten und ein Soldat der afghanischen Nationalarmee getötet. Zu einem weiteren Selbstmordanschlag auf eine Militärakademie kam es ebenso im Februar in der Stadt Kabul; bei diesem Angriff wurden mindestens sechs Personen getötet und mehr als zehn verwundet (UNGASC 17.3.2020). Dieser Großangriff beendete mehrere Monate relativer Ruhe in der afghanischen Hauptstadt (DS 11.2.2020; vgl. UNGASC 17.3.2020). Seit Februar haben die Taliban ein hohes Maß an Gewalt gegen die ANDSF aufrechterhalten, vermeiden aber gleichzeitig Angriffe gegen Koalitionstruppen um Provinzhauptstädte - wahrscheinlich um das US-Taliban-Abkommen nicht zu gefährden (USDOD 1.7.2020). Die Taliban setzten außerdem bei Selbstmordanschlägen gegen Einrichtungen der ANDSF in den Provinzen Kandahar, Helmand und Balkh an Fahrzeugen befestigte improvisierte Sprengkörper (SVBIEDs) ein (UNGASC 17.3.2020).

High-profile Angriffe durch regierungsfeindliche Elemente werden landesweit fortgesetzt, insbesondere in der Stadt Kabul. Zwischen dem 13.11.2020 und dem 11.2.2021 wurden 35 Selbstmordattentate dokumentiert, im Vergleich zu 42 im vorherigen Berichtszeitraum. Darüber hinaus wurden 88 Anschläge mit magnetischen improvisierten Sprengsätzen verübt, 43 davon in Kabul, darunter auch gegen prominente Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens. Gezielte Attentate, oft ohne Bekennerschreiben, nahmen weiter zu (UNGASC 12.3.2021).

Anschläge gegen Gläubige, Kultstätten und religiöse Minderheiten

Nach Unterzeichnung des Abkommens zwischen den USA und den Taliban war es bereits Anfang März 2020 zu einem ersten großen Angriff des ISKP gekommen (BBC 6.3.2020; vgl. AJ 6.3.2020). Der ISKP hatte sich an den Verhandlungen nicht beteiligt (BBC 6.3.2020) und bekannte sich zu dem Angriff auf eine Gedenkfeier eines schiitischen Führers; Schätzungen zufolge wurden dabei mindestens 32 Menschen getötet und 60 Personen verletzt (BBC 6.3.2020; vgl. AJ 6.3.2020).

Am 25.3.2020 kam es zu einem tödlichen Angriff des ISKP auf eine Gebetsstätte der Sikh (Dharamshala) in Kabul. Dabei starben 25 Menschen, 8 weitere wurden verletzt (TN 26.3.2020; vgl. BBC 25.3.2020, USDOD 1.7.2020). Regierungsnahe Quellen in Afghanistan machen das Haqqani-Netzwerk für diesen Angriff verantwortlich, sie werten dies als Vergeltung für die Gewalt an Muslimen in Indien (AJ 26.3.2020; vgl. TTI 26.3.2020). Am Tag nach dem Angriff auf die Gebetsstätte, detonierte eine magnetische Bombe beim Krematorium der Sikh, als die Trauerfeierlichkeiten für die getöteten Sikh-Mitglieder im Gange waren. Mindestens eine Person wurde dabei verletzt (TTI 26.3.2020; vgl. NYT 26.3.2020, USDOD 1.7.2020). Beamte, Journalisten, Aktivisten der Zivilgesellschaft, religiöse Gelehrte, einflussreiche Persönlichkeiten, Mitglieder der Nationalversammlung und Menschenrechtsverteidiger waren im Jahr 2020 ein häufiges Ziel gezielter Anschläge (AIHRC 28.1.2021).

Opiumproduktion und die Sicherheitslage

Afghanistan ist das Land, in dem weltweit das meiste Opium produziert wird. In den letzten fünf Jahren entfielen etwa 84 % der globalen Opiumproduktion auf Afghanistan. Im Jahr 2019 ging die Anbaufläche für Schlafmohn zurück, während der Ernteertrag in etwa dem des Jahres 2018 entsprach (UNODC 6.2020; vgl. ONDCP 7.2.2020). Der größte Teil des Schlafmohns in Afghanistan wird im Großraum Kandahar (d.h. Kandahar und Helmand) im Südwesten des Landes angebaut (AAN 25.6.2020). Opium ist eine Einnahmequelle für Aufständische sowie eine Quelle der Korruption innerhalb der afghanischen Regierung (WP 9.12.2019); der Opiumanbau gedeiht unter Bedingungen der Staatenlosigkeit und Gesetzlosigkeit wie in Afghanistan (Bradford 2019; vgl. ONDCP 7.2.2020).

Kabul

Letzte Änderung: 09.06.2021

Die Provinz Kabul liegt im Zentrum Afghanistans (PAJ Kabul o.D.) und grenzt an Parwan und Kapisa im Norden, Laghman im Osten, Nangarhar im Südosten, Logar im Süden sowie Wardak im Westen. Provinzhauptstadt ist Kabul-Stadt (NPS Kabul o.D.). Die Provinz besteht aus den folgenden Distrikten: Bagrami, Chahar Asyab, Dehsabz, Estalef, Farza, Guldara, Kabul, Kalakan, Khak-e-Jabar, Mir Bacha Kot, Musahi, Paghman, Qara Bagh, Shakar Dara und Surubi/Surobi/Sarobi (NSIA 1.6.2020; vgl. IEC Kabul 2019). Die National Statistics and Information Authority of Afghanistan (NSIA) schätzt die Bevölkerung in Kabul im Zeitraum 2020-21 auf

Kabul-Stadt - Geographie und Demographie

Kabul-Stadt ist die Hauptstadt Afghanistans und auch ein Distrikt in der Provinz Kabul. Es ist die bevölkerungsreichste Stadt Afghanistans, mit einer geschätzten Einwohnerzahl von

Hauptstraßen verbinden die afghanische Hauptstadt mit dem Rest des Landes (UNOCHA 4.2014), inklusive der Ring Road (Highway 1), welche die fünf größten Städte Afghanistans - Kabul, Herat, Mazar-e Sharif, Kandarhar und Jalalabad - miteinander verbindet (USAID o.D.).

Der Highway zwischen Kabul und Kandarhar gilt als unsicher (TN 7.7.2020a). Aufständische sind auf dem Highway aktiv (UNGASC 28.2.2019; vgl. UNOCHA 23.2.2020) und kontrollieren Teile der Straße und es wurde von Straßenblockaden und Checkpoints durch Aufständische berichtet, die sich gegen Regierungsmitglieder und Sicherheitskräfte richten (LI 22.1.2020; vgl. EASO 9.2020).

Der Kabul-Jalalabad-Highway ist eine wichtige Handelsroute, die oft als "eine der gefährlichsten Straßen der Welt" gilt (was sich auf die zahlreichen Verkehrsunfälle bezieht, die sich auf dieser Straße ereignet haben) und durch Gebiete führt, in denen Aufständische aktiv sind (TD 13.12.2015; vgl. EASO 9.2020).

Es wird berichtet, dass 20 Kilometer der Kabul-Bamyan-Autobahn, welche die Region Hazarajat mit der Hauptstadt verbindet, unter der Kontrolle der Taliban stehen (AAN 16.12.2019) und Reisenden zufolge haben die sicherheitsrelevanten Vorfälle auf der Autobahn, die Kabul mit den Provinzen Logar und Paktia verbindet, im Juli 2020 zugenommen (TN 7.7.2020a).

In Kabul-Stadt gibt es einen Flughafen, der mit Stand Mai 2021 für die Abwicklung von internationalen und nationalen Passagierflügen geöffnet ist (F 24 o.D.).

Die Stadt besteht aus drei konzentrischen Kreisen: Der erste umfasst Shahr-e Kohna, die Altstadt, Shahr-e Naw, die neue Stadt, sowie Shash Darak und Wazir Akbar Khan, wo sich viele ausländische Botschaften, ausländische Organisationen und Büros befinden. Der zweite Kreis besteht aus Stadtvierteln, die zwischen den 1950er und 1980er Jahren für die wachsende städtische Bevölkerung gebaut wurden, wie Taimani, Qala-e Fatullah, Karte Se, Karte Chahar, Karte Naw und die Microraions (sowjetische Wohngebiete). Schließlich wird der dritte Kreis, der nach 2001 entstanden ist, hauptsächlich von den „jüngsten Einwanderern“ (USIP 4.2017) (afghanische Einwanderer aus den Provinzen) bevölkert (AAN 19.3.2019), mit Ausnahme einiger hochkarätiger Wohnanlagen für VIPs (USIP 4.2017).

Was die ethnische Verteilung der Stadtbevölkerung betrifft, so ist Kabul Zielort für verschiedene ethnische, sprachliche und religiöse Gruppen, und jede von ihnen hat sich an bestimmten Orten angesiedelt, je nach der geografischen Lage ihrer Heimatprovinzen. Dies gilt für die Altstadt ebenso wie für weiter entfernte Stadtviertel, und sie wird in den ungeplanten Gebieten immer deutlicher (Noori 11.2010). In den zuletzt besiedelten Gebieten sind die Bewohner vor allem auf Qawmi-Netzwerke angewiesen, um Schutz und Arbeitsplätze zu finden sowie ihre Siedlungsbedingungen gemeinsam zu verbessern. Andererseits ist in den zentralen Bereichen der Stadt die Mobilität der Bewohner höher und Wohnsitzwechsel sind häufiger. Dies hat eine negative Wirkung auf die sozialen Netzwerke, die sich in der oft gehörten Beschwerde manifestiert, dass man „seine Nachbarn nicht mehr kenne“ (AAN 19.3.2019).

Nichtsdestotrotz ist in den Stadtvierteln, die von neu eingewanderten Menschen mit gleichem regionalem oder ethnischem Hintergrund dicht besiedelt sind, eine Art „Dorfgesellschaft“ entstanden, deren Bewohner sich kennen und direktere Verbindungen zu ihrer Herkunftsregion haben als zum Zentrum Kabuls (USIP 4.2017). Einige Beispiele für die ethnische Verteilung der Kabuler Bevölkerung sind die folgenden: Hazara haben sich hauptsächlich im westlichen Viertel Chandawal in der Innenstadt von Kabul und in Dasht-e-Barchi sowie in Karte Se am Stadtrand niedergelassen; Tadschiken bevölkern Payan Chawk, Bala Chawk und Ali Mordan in der Altstadt und nördliche Teile der Peripherie wie Khairkhana; Paschtunen sind vor allem im östlichen Teil der Innenstadt Kabuls, Bala Hisar und weiter östlich und südlich der Peripherie wie in Karte Naw und Binihisar (Noori 11.2010; vgl. USIP 4.2017), aber auch in den westlichen Stadtteilen Kota-e-Sangi und Bazaar-e-Company (auch Company) ansässig (Noori 11.2010); Hindus und Sikhs leben im Herzen der Stadt in der Hindu-Gozar-Straße (Noori 11.2010; vgl. USIP 4.2017).

Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul (USDOD 1.7.2020; vgl. LWJ o.D.). Nach Schätzungen des Long War Journal sind die Distrikte Chahar Asyab, Dehsabz, Farza, Guldara, Kalakan, Musahi, Paghman, Qara Bagh, Shakar Dara und Surubi/Surobi/Sarobi mit Stand Mai 2021 umkämpft (LWJ o.D.). Es finden weiterhin High-Profile-Angriffe - auch in der Hauptstadt - statt (UNAMA 2.2021a; vgl. HRW 13.1.2021, USDOD 1.7.2020, NYTM 26.3.2020, HRW 12.5.2020), wie Angriffe auf schiitische Feiernde und einen Sikhtempel im März 2020 (USDOD 1.7.2020) sowie auf Bildungseinrichtungen wie die Universität in Kabul (GN 2.11.2020; vgl. AJ 2.11.2020) oder ein Selbstmordattentat auf eine Schule in Kabul im Oktober 2020 (HRW 26.10.2020) für die alle der Islamische Staat die Verantwortung übernahm (HRW 26.10.2020; vgl. AJ 2.11.2020, GN 2.11.2020). Den Angriff auf eine Geburtenklinik im Mai 2020 reklamierte bislang keine Gruppierung für sich (AJ 15.6.2020; vgl. AP 16.6.2020, HRW 12.5.2020), wobei die Taliban eine Verantwortung abstritten (AP 16.6.2020, vgl. HRW 12.5.2020) und auch im Mai 2021 bekannte sich niemand zu einem Anschlag mit einer Autobombe vor einer Mädchenschule im mehrheitlich von Hazara bewohntem Gebiet Dasht-e Barchi (AI 10.5.2021; vgl. AJ 9.5.2021, RFE/RL 9.5.2021, NYT 9.5.2021, TN 8.5.2021). Bei Angriffen in Kabul kommt es oft vor, dass keine Gruppierung die Verantwortung übernimmt, oder es werden diese von nicht identifizierten bewaffneten Gruppen durchgeführt (UNAMA 2.2021a; vgl. UNGASC 2.2019, EASO 9.2020).

Das U.S. Department of Defence (USDOD) beschreibt die Ziele militanter Gruppen, die in Kabul Selbstmordattentate verüben, als den Versuch internationale Medienaufmerksamkeit zu erregen, den Eindruck einer weitverbreiteten Unsicherheit zu erzeugen und die Legitimität der afghanischen Regierung sowie das Vertrauen der Bevölkerung in die afghanischen Sicherheitskräfte zu untergraben (USDOD 23.1.2020; vgl. EASO 9.2020). Afghanische Regierungsgebäude und -beamte, die afghanischen Sicherheitskräfte und hochrangige internationale Institutionen, sowohl militärische als auch zivile, gelten als die Hauptziele in Kabul-Stadt (USDOS 24.6.2020; vgl LI 22.1.2020, LIFOS 15.10.2019, EASO 9.2020).

Aufgrund öffentlichkeitswirksamer Angriffe auf Kabul-Stadt kündigte die afghanische Regierung bereits im August 2017 die Entwicklung eines neuen Sicherheitsplans für Kabul an (AAN 25.9.2017). So wurde unter anderem das Green Village errichtet, ein stark gesichertes Gelände im Osten der Stadt, in dem unter anderem, Hilfsorganisationen und internationale Organisationen (RFE/RL 2.9.2019; vgl. FAZ 2.9.2019) sowie ein Wohngelände für Ausländer untergebracht sind (FAZ 2.9.2019). Die Anlage wird von afghanischen Sicherheitskräften und privaten Sicherheitsmännern schwer bewacht (AJ 3.9.2019). Die Green Zone hingegen ist ein separater Teil, der nicht unweit der Green Village liegt. Die Green Zone ist ein stark gesicherter Teil Kabuls, in dem sich mehrere Botschaften befinden - so z.B. auch die US-amerikanische Botschaft und britische Einrichtungen (RFE/RL 2.9.2019; vgl. GN 15.7.2020) und der von hohen Mauern umgeben ist (GN 15.7.2020).

Wie auch in anderen großen Städten Afghanistans ist Straßenkriminalität in Kabul ein Problem (AVA 1.2020; vgl. ArN 11.1.2020, AAN 11.2.2020, AAN 21.2.2020, TN 4.10.2020, TN 17.10.2020, TN 21.10.2020, EASO 9.2020). Im vergangenen Jahr [Anm.: 2020] wurden in Kabul, Herat und Mazar-e Sharif Tausende von Fällen von Straßenraub und Hausüberfällen gemeldet (ArN 11.1.2020; vgl. TN 24.7.2020). Nach einem Anstieg der Kriminalität und der Sicherheitsvorfälle in Kabul kündigte der Vizepräsident Amrullah Saleh im Oktober 2020 an, dass er auf Anordnung von Präsident Ashraf Ghani für einige Wochen die Verantwortung für die Sicherheit in Kabul übernehmen und hart gegen Kriminalität in Kabul vorgehen werde (TN 17.10.2020; vgl. AN 17.10.2020, TN 21.10.2020). Die Regierung kündigte einen Sicherheitsplan mit der Bezeichnung "Security Charter" an, um das Sicherheitspersonal in die Gewährleistung der Sicherheit Kabuls und anderer Großstädte des Landes zu integrieren. Als Teil dieses Plans wies Präsident Ghani die Sicherheitsbehörden an, gegen schwere Verbrechen in der Stadt vorzugehen (TN 21.10.2020; vgl. TN 17.10.2020, AN 17.10.2020).

Auf Regierungsseite befindet sich die Provinz Kabul mit Ausnahme des Distrikts Surubi im Verantwortungsbereich der 111. ANA Capital Division, die unter der Leitung von türkischen Truppen und mit Kontingenten anderer Nationen der NATO-Mission Train Advise Assist Command - Capital (TAAC-C) untersteht. Der Distrikt Surubi fällt in die Zuständigkeit des 201. ANA Corps (USDOD 1.7.2020). Darüber hinaus wurde eine spezielle Krisenreaktionseinheit (Crisis Response Unit) innerhalb der afghanischen Polizei geschaffen, um Angriffe zu verhindern und auf Anschläge zu reagieren (LI 5.9.2018).

Im Distrikt Surubi wird von der Präsenz von Taliban-Kämpfern berichtet (TN 27.9.2020; vgl. GW 14.7.2020, EASO 9.2020, UNOCHA 3.2.2020). Aufgrund seiner Nähe zur Stadt Kabul und zum Salang-Pass hat der Distrikt große strategische Bedeutung (WOR 10.9.2018; vgl. TN 27.9.2020). Er gilt als unter Regierungskontrolle, wenn auch unsicher. Die Taliban fokussieren ihre Angriffe auf die Straße zwischen Surubi und Jagdalak und konnten diesen Straßenabschnitt auch kurzzeitig unter ihre Kontrolle bringen (TN 27.9.2020). Im Juli 2020 wurde über eine steigende Talibanpräsenz im Distrikt Paghman berichtet (TN 15.7.2020).

Es wird berichtet, dass der Islamische Staat (ISKP) in der Provinz aktiv und in der Lage ist, Angriffe durchzuführen (UNGASC 27.5.2020; vgl. EASO 9.2020). Aufgrund des anhaltenden Drucks der ANDSF (Afghan National Security Forces), die Aktivitäten des Islamischen Staats zu stören (LI 22.1.2020; vgl. UNGASC 4.2.2020, EASO 9.2020), zeigte sich die militante Gruppe jedoch nur eingeschränkt in der Lage, 2019 in Kabul öffentlichkeitswirksame Anschläge zu verüben (UNAMA 2.2020; vgl. LI 22.1.2020, WP 9.2.2020, EASO 9.2020). UNAMA schrieb 673 zivile Opfer (213 Tote und 460 Verletzte) im Jahr 2020 in Afghanistan dem ISKP zu, ein Rückgang von 45% im Vergleich zu 2019. Die überwiegende Mehrheit der zivilen Opfer von ISIL-KP wurde jedoch durch Selbstmordattentate und heftige Schusswechsel in Kabul und Jalalabad verursacht (UNAMA 2.2021a).

Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung

Der folgenden Tabelle kann die Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle in der Provinz gemäß ACLED und Globalincidentmap (GIM) für den Zeitraum 1.1.2019-31.12.2020 entnommen werden (Quellenbeschreibung s. Disclaimer – auch bzgl. Problemen bei der Vergleichbarkeit der Zahlen zwischen 2019 und 2020; hervorgehoben: Distrikt der Provinzhauptstadt):

… o.D.; GIM o.D.

Im Jahr 2020 dokumentierte UNAMA 817 zivile Opfer (255 Tote und 562 Verletzte) in der Provinz Kabul. Dies entspricht einem Rückgang von 48% gegenüber 2019. Die Hauptursache für die Opfer waren gezielte Tötungen, gefolgt von improvisierten Sprengkörpern (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordattentate) und Selbstmordanschlägen (UNAMA 2.2021a).

Seit Herbst 2018 haben die ANDSF-Kräfte eine konzertierte Anstrengung zur Auflösung militanter Gruppen begonnen, die im und um den Großraum Kabul herum aktiv sind (NYTM 16.1.2019; vgl. UNGASC 27.5.2020; USDOD 1.7.2020). Die ANDSF setzen gemeinsam mit einem neuen Kommando der Gemeinsamen Streitkräfte, das im Juni 2020 eingerichtet wurde (KP 4.6.2020) ihre Aktivitäten im Jahr 2020 fort. Die afghanischen Sicherheitskräfte führen Operationen gegen aufständische Gruppierungen (TN 6.5.2020; KP 6.5.2020; RFE/RL 11.5.2020; TN 11.5.2020) und kriminelle Banden (KP 18.5.2020) sowie Luftschläge (EASO 9.2020) durch und konnten hochrangige Mitglieder der Taliban und des IS festnehmen (TN 11.5.2020; KP 12.2.2020; BBC 11.5.2020; TN 11.5.2020; PAJ 26.6.2020) sowie zwei IS-Mitglieder verhaften, die angeblich Angriffe auf ein Krankenhaus und ein Medienunternehmen planten (TN 7.7.2020b).

Während des zweiten Quartals 2020 hat die Gewalt Berichten zufolge wieder zugenommen (NYTM 25.6.2020; vgl. UNGASC 17.6.2020, RY 30.6.2020, EASO 9.2020). Im letzten Quartal 2020 stieg die Gewalt weiter an und war weit höher als im Vergleichszeitraum des Vorjahres (SIGAR 30.1.2021). In Kabul wurden in den ersten Wochen des Jahres 2021 mehrere Anschläge mit kleinen "sticky bombs" verübt, die unter Fahrzeugen angebracht und ferngesteuert oder mit Zeitzündern gezündet wurden. Die Gruppe "Islamischer Staat" (ISKP) hat die Verantwortung für einige der Anschläge übernommen, während die afghanische Regierung einige den Taliban zuschreibt (RFE/RL 23.2.2021). Im Mai 2021 explodierte eine Autobombe vor einer Mädchenschule in Dasht-e Barchi in Kabul, einem mehrheitlich von schiitischen Hazara bewohntem Gebiet, und tötete bis zu 85 Menschen, darunter auch Schülerinnen, und verletzte mindestens 150 (AI 10.5.2021; vgl. AJ 9.5.2021, RFE/RL 9.5.2021, BBC 9.5.2021, NYT 9.5.2021, TN 8.5.2021).

Selbstmordanschläge (BAMF 11.1.2021; NYTM 29.10.2020a; NYTM 29.10.2020c; HRW 26.10.2020; RFE/RL 29.4.2020; REU 29.4.2020) und Detonationen von IEDs finden statt (AJ 1.6.2021; BAMF 15.3.2021; RFE/RL 4.4.2021; RFE/RL 20.2.2021; BBC 22.12.2020; WP 26.2.2020; AJ 22.8.2020; NYTM 29.10.2020c; TN 4.10.2020; KP 4.6.2020) und es wurde von gezielten Tötungen (BAMF 3.5.2021; AnA 24.4.2021; BAMF 22.3.2021; RFE/RL 23.2.2021; BAMF 11.1.2021; BBC 22.12.2020; BBC 15.12.2020; NYTM 26.3.2020; AT 22.8.2020; TN 21.10.2020; NYTM 5.11.2020) und Angriffen auf militärische Einrichtungen bzw. Sicherheitskräfte sowohl in Kabul-Stadt wie auch in den Distrikten der Provinz berichtet (RFE/RL 4.4.2021; RFE/RL 23.2.2021; BAMF 18.1.2021; BAMF 11.1.2021; NYTM 29.10.2020b; GN 11.2.2020; TN 22.6.2020; TN 8.7.2020; TN 6.7.2020; UNAMA 6.2020; TN 6.6.2020). Es gibt Berichte über Straßenblockaden und Angriffe auf Highways durch bewaffnete Gruppierungen (UNOCHA 29.1.2020; NYTM 27.2.2020).

Ghazni

Letzte Änderung: 10.06.2021

Die Provinz Ghazni liegt im Südosten Afghanistans und grenzt an die Provinzen Bamyan und Wardak im Norden, Logar, Paktya und Paktika im Osten, Zabul im Süden und Uruzgan und Daykundi im Westen. Ghazni liegt an keiner internationalen Grenze (UNOCHA Ghazni 4.2014). Die Provinz ist in 19 Distrikte unterteilt: die Provinzhauptstadt Ghazni-Stadt sowie den Distrikte Ab Band, Ajristan, Andar (auch Shelgar genannt (AAN 22.5.2018)), Deh Yak, Gelan, Giro, Jaghatu, Jaghuri, Khwaja Omari, Malistan, Muqur, Nawa, Nawur, Qara Bagh, Rashidan, Waghaz, Wali Muhammad Shahid (Khugyani) und Zanakhan (NSIA 1.6.2020; vgl. IEC Ghazni 2019).

Die National Statistics and Information Authority of Afghanistan (NSIA) schätzt die Bevölkerung in Ghazni im Zeitraum 2020-21 auf 1,362.504 Personen (NSIA 1.6.2020). Fast die Hälfte der Bevölkerung von Ghazni sind Paschtunen, etwas weniger als die Hälfte Hazara und rund 5% Tadschiken (NPS Ghazni o.D.; vgl. PAJ Ghazni o.D.), weiters gibt es kleinere Gruppen wie die Bayats und Sadats (PAJ Ghazni o.D.). In der Vergangenheit lebten mehrere hundert Sikh-Familien in der Stadt Ghazni. Inzwischen haben sie Ghazni weitgehend verlassen, wobei ein letzter Sikh-Bewohner der Stadt betonte, dass seine Gemeinde von den paschtunischen, tadschikischen oder Hazara-Bewohnern von Ghazni nicht verfolgt worden sei, aber die Angst, Ziel von Angriffen militanter Islamisten zu werden oder von Kriminellen entführt zu werden, sie zum Verlassen des Landes veranlasst habe (RFE/RL 23.9.2020).

Die Stadt Ghazni liegt an der Ring Road, welche die Hauptstadt Kabul mit dem großen Ballungszentrum Kandahar im Süden verbindet und auch die Straße zu Paktikas Hauptstadt Sharan zweigt in der Stadt Ghazni von der Ring Road ab, die Straße nach Paktyas Hauptstadt Gardez dagegen etwas nördlich der Stadt. Die Kontrolle über Ghazni ist daher von strategischer Bedeutung (CJ 13.8.2018). Im September 2020 waren die Hauptstraßen, die Kabul mit Ghazni, Kabul mit Bamyan, Ghazni mit Kandahar und Ghazni mit Paktika verbinden, nach wie vor unsicher, da die Zusammenstöße zwischen den Regierungskräften und Aufständischen andauerten, was die zivilen Bewegungen weiterhin beeinträchtigte (UNOCHA 27.9.2020). Die Taliban unterhalten entlang der Ring Road in Ghazni Berichten zufolge Straßenkontrollen (RFE/RL 30.10.2020, UNOCHA 6.2020, PAJ 3.3.2020, XI 29.2.2020).

Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure

Ghazni gehörte im August 2020 zu den relativ volatilen Provinzen im Südosten Afghanistans. Taliban-Kämpfer sind in einigen der unruhigen Distrikte der Provinz aktiv, wo sie oft versuchen, terroristische Aktivitäten gegen die Regierung und Sicherheitseinrichtungen durchzuführen (KP 16.8.2020; vgl. LWJ 27.1.2020). Im Juli 2020 gaben Bewohner von Ghazni an, dass Taliban-Kämpfer bis in die Nähe des Sicherheitsgürtels um die Stadt Ghazni vorgedrungen seien und die Straßen zur Provinzhauptstadt blockiert hätten (AT 7.7.2020; vgl. LWJ 10.3.2020). Das Long War Journal schätzte im Mai 2021 die Distrikte Ajristan, Andar, Deh Yak, Giro, Nawa, Nawur, Rashidan, Waghaz, Wali M. Shahid und Zanakhan als unter Talibankontrolle stehend ein, während Ab Band, Gelan, Ghazni City, Jaghatu, Jaghuri, Khwaja Omari, Malistan, Muqur und Qara Bagh als umkämpft galten (LWJ o.D.). Eine andere Quelle gab im August 2020 an, dass Andar, Deh Yak, Muqur und Qara Bagh stark umkämpft oder von den Taliban kontrolliert seien (AAN 8.2020).

Einem UN-Bericht zufolge ist Al-Qaida in 12 afghanischen Provinzen verdeckt aktiv, darunter auch in Ghazni (UNSC 27.5.2020).

Auf Regierungsseite befindet sich Ghazni im Verantwortungsbereich des 203. Afghan National Army (ANA) "Tandar" Corps (USDOD 1.7.2020, AAN 25.7.2018) das der Task Force Southeast untersteht, welche von US-amerikanischen Streitkräften geleitet wird (USDOD 1.7.2020).

Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung

Der folgenden Tabelle kann die Anzahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle in der Provinz gemäß ACLED und Globalincidentmap (GIM) für den Zeitraum 1.1.2019-31.12.2020 entnommen werden (Quellenbeschreibung s. Disclaimer – auch bzgl. Problemen bei der Vergleichbarkeit der Zahlen zwischen 2019 und 2020; hervorgehoben: Distrikt der Provinzhauptstadt):

… o.D.; GIM o.D.

Im Jahr 2020 dokumentierte UNAMA 418 zivile Opfer (183 Tote und 235 Verletzte) in der Provinz Ghazni. Dies entspricht einem Rückgang von 38% gegenüber 2019. Die Hauptursache für die Opfer waren Bodenkämpfe, gefolgt von improvisierten Sprengkörpern (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordattentate) und gezielten Tötungen (UNAMA 2.2021a).

Im Dezember 2019 führten die Taliban im Distrikt Qara Bagh einen Insiderangriff auf eine Einheit der neu geschaffenen ANA Territorial Force (ANA-TF) durch (NYT 14.12.2019; vgl. AAN 8.2020). Im September 2020 wurde über die Stationierung von zusätzlichen Truppen in der Provinz berichtet (KP 7.9.2020). Im Juni 2021 wurde der Distrikt De Hyak von den Taliban eingenommen (ArN 5.6.2021; vgl. LWJ 6.6.2021). Zur selben Zeit wurde berichtet, dass auch der Distrikt Ab Band durch die Taliban überrannt wurde, während die Regierung nur den Fall zweier Kontrollposten bestätigt (PAJ 8.6.2021).

Es kommt zu Kämpfen in der Provinz (BAMF 17.8.2020; BAMF 20.4.2020; BAMF 30.3.2020; BAMF 23.3.2020), wobei die Taliban Sicherheitsposten, Militäreinrichtungen oder Konvois der Regierungskräfte angreifen und die Regierungskräfte das Feuer erwidern (RY 24.8.2020; RFE/RL 6.8.2020; NYTM 30.7.2020; KUNA 22.7.2020; KP 12.7.2020; NYTM 27.2.2020; BAAG 2.1.2020), auch in der Provinzhauptstadt (NYTM 28.8.2020; KP 16.8.2020). Die Regierungskräfte führen Räumungsoperationen durch (KP 11.5.2020, PAJ 3.3.2020; KP 19.2.2020; XI 29.1.2020a).

Es kommt zu Vorfällen mit IEDs - Detonationen von Sprengfallen am Straßenrand (NYTM 30.7.2020; GW 1.5.2020; NYTM 30.4.2020; RFE/RL 13.12.2019) und Explosionen von an Fahrzeugen angebrachten Bomben (VBIEDs) (BAMF 26.4.2021; PAJ 24.4.2021; BBC 18.12.2020; HOA 24.8.2020; XI 9.8.2020; RY 24.8.2020), auch in Ghazni-Stadt (VOA 18.5.2020; SaS 18.5.2020). Es wird von Entführungen und Tötungen durch die Taliban in Ghazni berichtet (BAMF 11.1.2021; OMCT 4.8.2020; AIHRC 5.8.2020; BAMF 27.7.2020; NYTM 27.2.2020).

Regierungsfeindliche Gruppierungen

Letzte Änderung: 10.06.2021

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv - insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e T

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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