Entscheidungsdatum
09.07.2021Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
I404 2203371-1/11E
I404 2203373-1/17E
I404 2203370-1/11E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin MMag. Alexandra JUNKER als Einzelrichterin über die Beschwerden von 1. XXXX , StA. Irak, 2. XXXX , StA. ungeklärt und 3. XXXX , StA. ungeklärt, alle vertreten durch RA Mag. Nadja LORENZ, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 28.06.2018, Zl.en XXXX , XXXX und XXXX , beschlossen:
A)
In Erledigung der Beschwerden werden die bekämpften Bescheide behoben und die Angelegenheiten gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zur Erlassung neuer Bescheide an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Begründung:
I. Verfahrensgang
1. Die Beschwerdeführer, eine Familie bestehend aus Vater (Erstbeschwerdeführer), Mutter (Zweitbeschwerdeführerin) und mittlerweile volljähriger Tochter (Drittbeschwerdeführerin) stellten am 29.09.2015 (Erstbeschwerdeführer und Drittbeschwerdeführerin) bzw. 25.11.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Erstbeschwerdeführer und Zweitbeschwerdeführerin sind verheiratet und Eltern der Drittbeschwerdeführerin. Hinsichtlich seines Fluchtgrundes führte der Erstbeschwerdeführer zusammengefasst aus, den Irak wegen der allgemeinen Sicherheitslage verlassen zu haben. Er sei Angehöriger der Volksgruppe der Faily-Kurden und Staatsangehöriger des Irak. Die Zweitbeschwerdeführerin gab an, weder im Iran noch im Irak leben zu können, da sie da wie dort unterdrückt werde. Sie sei Staatsangehörige des Iran.
2. Am 15.11.2017 wurde die Zweitbeschwerdeführerin von der belangten Behörde niederschriftlich einvernommen. Dabei gab sie an, zwar im Irak geboren, jedoch ihr gesamtes Leben im Iran verbracht zu haben. Sie gehöre der Volksgruppe der Kurden an und sei Staatsangehörige des Iran.
3. Der Erstbeschwerdeführer gab im Rahmen seiner Einvernahme vor der belangten Behörde am 07.12.2017 an, im Irak geboren zu sein, aber sein ganzes Leben im Iran verbracht zu haben. Er gehöre der Volksgruppe der Feyli-Kurden an.
4. Am 09.04.2018 ersuchte die belangte Behörde die Staatendokumentation um die Beantwortung einer Reihe von Fragestellungen im Zusammenhang mit divergierenden Angaben zur Staatsangehörigkeit betreffend irakischer und iranischer Staatsangehörigkeit. In ihrer Anfragebeantwortung vom 23.04.2018 verwies die Staatendokumentation unter anderem auf verschiedene Quellen, welchen zu entnehmen sei, dass sich die irakische Staatsangehörigkeit unabhängig vom Geburtsort vom Vater ableite. Außerdem würde eine ausländische Frau, welche einen Iraner heirate, automatisch die iranische Staatsangehörigkeit bekommen.
5. Am 16.06.2018 erstattete die Zweitbeschwerdeführerin eine schriftliche Stellungnahme zum gewährten Parteiengehör und führte darin neuerlich aus, Staatsangehörige des Iran zu sein. Ihr Ehemann, der Erstbeschwerdeführer, sei sowohl irakischer als auch iranischer Staatsbürger. Zudem wurde der iranische Reisepass der Zweitbeschwerdeführerin vorgelegt, in welchem auch die Drittbeschwerdeführerin eingetragen ist.
6. Mit den nunmehr angefochtenen Bescheiden vom 28.06.2018 wies die belangte Behörde die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf ihren Herkunftsstaat Irak (Spruchpunkt II.) als unbegründet ab. Zugleich erteilte sie den Beschwerdeführern keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.), erließ gegen die Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.) und stellte fest, dass ihre Abschiebung in den Irak zulässig ist (Spruchpunkt V.). Für die freiwillige Ausreise setzte die belangte Behörde eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest (Spruchpunkt VI.).
Zur Person der Zweitbeschwerdeführerin stellte die belangte Behörde ua. fest, dass sie „irakisch-iranische Doppelstaatsbürgerin“ sei. In der Beweiswürdigung führte die belangte Behörde aus, dass sich diese Feststellung aus der Anfrage an die Staatendokumentation vom 09.04.2018 ergebe.
Zur Person der Drittbeschwerdeführerin stellte die belangte Behörde ua. fest, dass sie als Kind eines irakischen Staatsangehörigen ebenfalls irakische Staatsangehörige sei. Aufgrund der Doppelstaatsbürgerschaft ihres Vaters komme diese der Drittbeschwerdeführerin ebenso zu.
7. Gegen diese Bescheide erhoben die Beschwerdeführer durch ihre damalige Rechtsvertretung fristgerecht Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.
8. Die gegenständliche Beschwerde und die Bezug habenden Verwaltungsakten wurden dem Bundesverwaltungsgericht vom Bundesamt vorgelegt und langten dort am 13.08.2018 ein.
9. Mit Schriftsatz vom 30.01.2019 gab die nunmehrige Rechtsvertreterin der Beschwerdeführer die Vollmachtserteilung bekannt und führte zur Beschwerde ergänzend aus, dass die Zweit- und Drittbeschwerdeführerin nicht wie von der belangten Behörde festgestellt, irakisch-iranische Doppelstaatsbürgerinnen, sondern iranische Staatsangehörige seien. Die Zweitbeschwerdeführerin sei zwar im Irak geboren, habe jedoch ihr gesamtes Leben im Iran verbracht. Die Drittbeschwerdeführerin sei sogar auch im Iran geboren und würde aus der zitierten Anfragebeantwortung der Staatendokumentation hervorgehen, dass Eltern Kindern die irakische Staatsangehörigkeit nur dann übertragen können, wenn diese Kinder im Irak geboren seien.
10. Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 25.02.2021 wurde die Rechtssache der Abteilung I404 neu zugewiesen.
11. Mit Schreiben vom 18.03.2021 ersuchte das Bundesverwaltungsgericht die belangte Behörde näher auszuführen, aufgrund welcher konkreter Umstände auch der Zweitbeschwerdeführerin die irakische Staatsangehörigkeit zukomme.
12. Die belangte Behörde erstattete die entsprechende Stellungnahme mit Schreiben vom 14.04.2021 und führte darin aus, dass aufgrund der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 23.04.2018 angenommen werde, dass „es grundsätzlich möglich wäre, dass Genannte auch die irakische Staatsbürgerschaft besitzen würde oder aber Genannte die Möglichkeit habe diese zu erwerben. Dahingehend hätte Genannte die Möglichkeit einer Doppelstaatsbürgerschaft.“ Weitere Umstände würden nicht vorliegen.
13. Zur Klärung der Staatsangehörigkeit der Zweitbeschwerdeführerin gab das Bundesverwaltungsgericht am 29.04.2021 die Übersetzung jenes Konvoluts an Unterlagen in Auftrag, welches die Zweitbeschwerdeführerin im Rahmen ihrer niederschriftlichen Einvernahme am 28.11.2017 vorgelegt hat. Die Übersetzung langte am 02.06.2021 ein.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen
Die belangte Behörde hat im angefochtenen Bescheid die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes unterlassen und ergibt sich dieser auch nicht aus dem Inhalt des Verwaltungsaktes.
Das Bundesamt stellt nicht nachvollziehbar fest, dass die Zweitbeschwerdeführerin - trotz ihres gleichbleibenden Vorbringens iranische Staatsangehörige zu sein - „irakisch-iranische Doppelstaatsbürger“ ist. Auch aus dem sonstigen Akteninhalt ergibt sich dies nicht. Damit steht die irakische Staatsangehörigkeit der Zweitbeschwerdeführerin und der zur Prüfung zugrunde zulegende Herkunftsstaat nicht fest.
2. Beweiswürdigung
Der festgestellte Sachverhalt steht aufgrund der außer Zweifel stehenden und von den Parteien nicht beanstandeten Aktenlage fest. Trotz Aufforderung des Bundesverwaltungsgerichtes an die belangte Behörde, dem Gericht darzulegen, aufgrund welcher konkreter Umstände die Doppelstaatsbürgerschaft der Zweitbeschwerdeführerin festgestellt wurde, konnte dies die belangte Behörde nicht ausreichend darlegen, sondern verweist lediglich auf die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 23.04.2018. In der Erstbefragung hat die Zweitbeschwerdeführerin angegeben, dass sie im Irak geboren und die iranische Staatsbürgerschaft habe. Zu ihren Familienangehörigen im Herkunftsstaat oder einem Drittstaat befragt gab sie an, dass ihr Vater verstorben und ihre Mutter sowie sämtliche Geschwister im Iran wohnhaft seien. Darüber hinaus hat die Zweitbeschwerdeführerin einen iranischen Reisepass vorgelegt und haben sich auch aus der Übersetzung des Konvoluts an vorgelegten Unterlagen keinerlei Anhaltspunkte hinsichtlich einer irakischen Staatsangehörigkeit ergeben. Insbesondere ist aus den Akt nicht ersichtlich, dass etwa der Vater der Zweitbeschwerdeführerin die irakische Staatsbürgerschaft hat.
3. Rechtliche Beurteilung
Gemäß § 7 Abs. 1 BFA-VG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht u.a. über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (Z 1) sowie über Beschwerden gegen Maßnahmen unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt gemäß dem 1. Hauptstück des 2. Teiles des BFA-VG und gemäß dem 7. und 8. Hauptstück des FPG (Z 3).
Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Da weder im BFA-VG noch im AsylG 2005 eine Senatsentscheidung vorgesehen ist, liegt gegenständlich somit Einzelrichterzuständigkeit vor.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I 2013/33 idF BGBl. I 2013/122, geregelt (§ 1 leg. cit.). Gemäß § 58 Abs. 1 VwGVG trat dieses Bundesgesetz mit 1. Jänner 2014 in Kraft. Gemäß Abs. 2 leg. cit. bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Zu A) Aufhebung und Zurückverweisung:
3.1. Rechtslage
Die §§ 28 Abs. 1 bis 3 und 31 VwGVG lauten wie folgt:
Erkenntnisse und Beschlüsse
Erkenntnisse
§ 28. (1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.
(2) Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn
1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder
2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
(3) Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
…
Beschlüsse
§ 31. (1) Soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist, erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss.
(2) An seine Beschlüsse ist das Verwaltungsgericht insoweit gebunden, als sie nicht nur verfahrensleitend sind.
(3) Auf die Beschlüsse des Verwaltungsgerichtes sind § 29 Abs. 1 zweiter Satz, 2a, 2b, 4 und 5 und § 30 sinngemäß anzuwenden. Dies gilt nicht für verfahrensleitende Beschlüsse.
Der Verwaltungsgerichtshof hat die Voraussetzungen, unter denen das Verwaltungsgericht von der in § 28 Abs. 3 VwGVG festgelegten Befugnis zur Aufhebung und Zurückverweisung Gebrauch machen darf, im Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, näher präzisiert.
Danach hat die meritorische Entscheidungspflicht des Verwaltungsgerichts Vorrang und bildet die Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme, deren Inanspruchnahme begründungspflichtig ist und die strikt auf den ihr gesetzlich zugewiesenen Raum zu beschränken ist. Zur Aufhebung und Zurückverweisung ist das Verwaltungsgericht bei „krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken“ befugt, was insbesondere dann der Fall ist, wenn die Verwaltungsbehörde „jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen“, „lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt“ oder „bloß ansatzweise ermittelt“ hat oder wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Behörde „Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer ‚Delegierung' der Entscheidung)“.
3.2. Anwendung der Rechtslage auf den gegenständlichen Fall:
Das von der belangten Behörde durchgeführte Ermittlungsverfahren erweist sich gegenständlich in wesentlichen Punkten als grob mangelhaft:
Die Zweitbeschwerdeführerin gab im gesamten Verfahren konsistent an, zwar im Irak geboren zu sein, allerdings ihr gesamtes Leben im Iran verbracht zu haben und ausschließlich iranische Staatsbürgerin zu sein. Dieses Vorbringen untermauerte sie durch Vorlage einer Kopie ihres iranischen Reisepasses.
Insofern die belangte Behörde vom Vorbringen der Beschwerdeführerinnen abweicht, deren „irakisch-iranische Doppelstaatsbürgerschaft“ feststellt und in weiterer Folge die Voraussetzungen für eine Rückkehr in den Irak prüft, gründet sie diese Feststellung lediglich auf die eingeholte Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 23.04.2018.
Daraus geht hervor, dass Personen als Iraker angesehen werden, welche innerhalb oder außerhalb des Irak geboren sind und deren Vater die irakische Staatsangehörigkeit besitzt oder, welche im Irak geboren sind, wenn deren Mutter Irakerin und deren Vater unbekannt oder staatenlos ist. Zur iranischen Staatsangehörigkeit wird festgehalten, dass diese jede Frau bekommt, die einen iranischen Mann heiratet.
Aufgrund welcher Überlegungen die belangte Behörde aufgrund dieser Anfragebeantwortung zu dem Schluss gelangt, dass damit die Voraussetzungen für die irakisch-iranische Doppelstaatsbürgerschaft der Zweitbeschwerdeführerin vorliegen, wird weder ausgeführt, noch sind diese sonst aus dem Akteninhalt ersichtlich.
Abgesehen von der Einholung dieser Anfragebeantwortung und dem Verweis auf selbige hat die belangte Behörde jedwede Ermittlungstätigkeit und Auseinandersetzung mit dem Vorbringen der Beschwerdeführer hinsichtlich ihrer Staatsangehörigkeit unterlassen. Beweiswürdigend stellte die belangte Behörde lediglich gestützt auf das aus der Anfragebeantwortung hervorgehende irakische Staatsbürgerschaftsgesetz Mutmaßungen und reine Vermutungen über die Möglichkeiten des Erwerbs der irakischen Staatsbürgerschaft durch die Beschwerdeführerinnen an, ohne jedoch die dafür notwendigen Voraussetzungen näher zu prüfen.
Auch aus dem vorgelegten - und erst durch das Bundesverwaltungsgericht übersetzten - Konvolut an Unterlagen und Identitätsdokumenten ergeben sich keinerlei Hinweise auf eine irakische Staatsangehörigkeit der Zweitbeschwerdeführerin.
Notwendige und jedenfalls zumutbare Ermittlungsschritte betreffend die Staatsangehörigkeit der Zweitbeschwerdeführerin- wie etwa ihre nähere Befragung zu deren Eltern und etwa die Aufforderung an die Zweitbeschwerdeführerin zur Vorlage von Identitätsdokumenten ihrer Eltern oder aber auch die Befragung des Erstbeschwerdeführers zur Staatsangehörigkeit seiner Ehefrau hat die belangte Behörde gänzlich unterlassen.
Infolge der Unterlassung eines unbedingt erforderlichen Ermittlungsverfahrens zur Feststellung der irakischen Staatsangehörigkeit der Zweitbeschwerdeführerin ging die belangte Behörde bei der Prüfung und Beurteilung des Antrages auf internationalen Schutz davon aus, dass es sich bei allen Beschwerdeführern um irakisch-iranische Doppelstaatsbürger handelt, weshalb die belangte Behörde als Herkunftsstaat der Beschwerdeführer den Irak angenommen und die Voraussetzungen für eine Rückkehr dorthin geprüft hat.
Die im angefochtenen Bescheid auf Grund des von der belangten Behörde grob mangelhaft geführten Ermittlungsverfahrens getroffenen Feststellungen und Erwägungen entsprechen jedenfalls nicht den Erfordernissen einer umfassenden und in sich schlüssigen Begründung einer verwaltungsbehördlichen Entscheidung (vgl. § 60 iVm § 58 Abs. 2 AVG).
Aus all dem ergibt sich, dass die belangte Behörde insoweit notwendige Ermittlungen unterlassen und im angefochtenen Bescheid auch keine hinreichende Feststellung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhalts vorgenommen hat (vgl. VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063).
Im Sinne der angeführten Judikatur kann es nicht Aufgabe des Bundesverwaltungsgerichtes sein, das Ermittlungsverfahren hinsichtlich jenes Sachverhaltselements neu zu beginnen, welches den Kern und die Grundlage des angefochtenen Bescheides bildet. In einem Asylverfahren handelt es sich bei dem Herkunftsstaat wohl um das grundlegendste Sachverhaltselement, auf welches das gesamte weitere Verfahren im Sinne der Prüfung einer auf diesen Staat bezogenen Rückkehrgefährdung aufbaut. Im Übrigen ist auch der Herkunftsstaat maßgeblich für die Zuteilung eines Verfahrens an eine bestimmte Kammer und in weiterer Folge deren konkreter Gerichtsabteilung des Bundesverwaltungsgerichtes und wäre bei einem Herkunftsstaat Iran auch eine mit den dortigen Begebenheiten im Speziellen bewandte Gerichtsabteilung zuständig gewesen.
Die belangte Behörde wird daher im fortgesetzten Verfahren zunächst alle zur Ergänzung des entscheidungsrelevanten Sachverhaltes erforderlichen Ermittlungsschritte vorzunehmen und allenfalls neue Bescheide zu erlassen haben.
Es hat sich nicht ergeben, dass die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Bundesverwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen wäre, zumal nichts darauf hindeutet, dass die erforderliche Feststellung durch das Bundesverwaltungsgericht selbst, verglichen mit der Feststellung durch die belangte Behörde nach Zurückverweisung der Angelegenheit, mit einer wesentlichen Zeitersparnis und Verkürzung der Verfahrensdauer verbunden wäre.
Schließlich liegt auch kein Anhaltspunkt dahingehend vor, dass die Feststellung durch das Bundesverwaltungsgericht selbst im Vergleich zur Feststellung durch die Verwaltungsbehörde mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden wäre.
Da alle Voraussetzungen des § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG vorliegen, waren die angefochtenen Bescheide betreffend die Zweitführerin aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung neuer Bescheide an die belangte Behörde zurückzuverweisen.
Gleiches gilt auch in Bezug auf das Verfahren betreffend den Erstbeschwerdeführer und die Drittbeschwerdeführerin. Bei ihn handelt es sich um den Ehemann und die Tochter der Zweitbeschwerdeführerin und damit um Familienangehörigen iSd § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005. Da gemäß § 34 Abs. 4 AsylG 2005 Verfahren von Familienangehörigen „unter einem“ zu führen sind, waren deren Bescheide ebenso an die belangte Behörde zurückzuverweisen (siehe dazu die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 30. Juni 2011, 2011/23/0098; vom 25. November 2009, 2007/01/1153; sowie vom 26. Juni 2007, 2007/20/0281, u.a.).
Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG unterbleiben, zumal aufgrund der Aktenlage in Verbindung mit dem Vorbringen in der Beschwerde feststeht, dass die angefochtenen Bescheide zu beheben und zur Erlassung neuer Bescheide an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückzuverweisen waren.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Abschiebung Asylverfahren Begründungsmangel Behebung der Entscheidung Doppelstaatsbürger Ermittlungspflicht Familienangehöriger Familienverfahren Herkunftsstaat Kassation mangelhaftes Ermittlungsverfahren mangelnde Sachverhaltsfeststellung Rückkehrentscheidung Staatsangehörigkeit subsidiärer Schutz ZurückverweisungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:I404.2203373.1.00Im RIS seit
27.10.2021Zuletzt aktualisiert am
27.10.2021