TE Bvwg Erkenntnis 2021/7/27 I421 2202169-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 27.07.2021
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Entscheidungsdatum

27.07.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §54
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §55 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58 Abs2
AsylG 2005 §8
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50
FPG §52
FPG §55 Abs2
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §27
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


I421 2202169-1/19E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Martin STEINLECHNER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX (auch XXXX ), geb. 15.11.1993, StA. IRAK, vertreten durch BBU Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH gegen den Bescheid des BFA RD XXXX Außenstelle XXXX vom 29.06.2018, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung 29.6.2021 zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerde wird hinsichtlich der Spruchpunkte I., II. und III. des angefochtenen Bescheides als unbegründet abgewiesen.

II. Der Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt IV., V. und VI. des angefochtenen Bescheides stattgegeben, diese Spruchpunkte werden ersatzlos behoben und festgestellt, dass eine Rückkehrentscheidung gemäß § 9 BFA-VG auf Dauer unzulässig ist.

III. Gemäß § 55 Abs 1 AsylG 2005 wird dem Beschwerdeführer eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ für die Dauer von 12 Monaten erteilt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) reiste illegal ins Bundesgebiet ein.

2. Der BF stellte am 15.12.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz und wurde noch am 16.12.2015 einer Erstbefragung durch die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes unterzogen. Befragt nach seinen Fluchtgründen gab der BF an, dass der IS 2014 Mosul eingenommen habe, dort gäbe es kein Leben mehr für junge Leute, der IS führe die Scharia ein. Es gäbe seit einiger Zeit viele Bombardierungen und habe der IS seine Zentralen in die Wohnsiedlungen verlegt, deshalb sei er geflohen.

3. Eine weitere niederschriftliche Einvernahme des BF erfolgte am 17.04.2018 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: belangte Behörde, BFA). Hinsichtlich seiner Fluchtgründe führte der BF dort im Wesentlichen an, dass neben dem Haus seiner Familie in Mosul eine Polizeistation gewesen sei, welche immer überfallen worden wäre. Dann sei die Polizei zu ihnen nachhause gekommen, würde die Personalien aufnehmen, sie verhöhnen, manche töten und manche laufen lassen. Er sei ins Gefängnis gekommen und als der IS am 10.06.2014 in Mosul eingestürmt sei, seien sie freigelassen worden. Im Juni 2015, als sich die Lage zugespitzt habe, habe er den Entschluss zur Ausreise gefasst. Sein Ziel sei Österreich gewesen (AS 95)

4. Mit Bescheid vom 29.06.2018, Zl. XXXX , wies die belangte Behörde den Antrag des BF auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Irak (Spruchpunkt II.) als unbegründet ab. Zugleich erteilte sie dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.), erließ gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.) und stellte fest, dass seine Abschiebung in den Irak zulässig ist (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.).

5. Gegen diesen Bescheid richtet sich die fristgerecht erhobene Beschwerde vom 23.07.2018, bei der belangten Behörde eingelangt 26.07.2018. Im Wesentlichen wurde darin ausgeführt, dass die Ermittlungspflicht von der belangten Behörde verletzt worden sei. Die Beweiswürdigung im Bescheid mangelhaft sei. Zudem habe die belangte Behörde eine unrichtige rechtliche Beurteilung durchgeführt, wobei sich die Ausführungen in diesem Beschwerdepunkt gegen die Spruchpunkte I. bis III. des Bescheides richten (Asyl, subsidiärer Schutz und Rückkehrentscheidung). Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde beantragt und insbesondere Integrationsunterlagen vorgelegt.

6. Mit Schriftsatz vom 26.07.2018, beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt am 30.07.2018, legte die belangte Behörde dem Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde samt Verwaltungsakt vor.

7. Die belangte Behörde erstattete mit Email vom 21.1.2019 eine Nachreichung zur Beschwerdevorlage und übermittelte den Anlass- und Abschlussbericht der LPD Linz bzgl. Verdacht auf terroristische Vereinigung und Ausbildung zu terroristischen Zwecken. Mit Schreiben der Staatsanwaltschaft XXXX vom 27.03.2019 erfolgte die Verständigung von der Einstellung des Ermittlungsverfahrens, weil kein tatsächlicher Grund zur weiteren Verfolgung besteht.

8. Mit Schriftsatz vom 26.01.2021 legte die Rechtsvertretung weitere Integrationsunterlagen dem Gericht vor (Zeugnis Integrationsprüfung A2, Unterstützungsschreiben, Kursteilnahmebestätigungen Deutsch B1). Mit Eingabe vom 16.06.2021 wurden eine Einstellungszusage der XXXX , der XXXX gmbh und ein Dienstleistungsscheck dem Gericht vorgelegt.

9. Am 29.06.2021 fand eine mündliche Beschwerdeverhandlung am Bundesverwaltungsgericht statt.

10. Mit Schreiben des Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung vom 8.7.2021 wurde mitgeteilt:

„Sehr geehrte Damen und Herren,

Unter Bezugnahme auf Ihre Anfrage vom 29.06.2021 teilen wir Ihnen mit, dass dem Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) derzeit keine über den Informationsstand des LVT OÖ hinausgehenden und für das gegenständliche Verfahren verwertbaren staats-schutzrelevanten Erkenntnisse zur Person vorliegen.

Das Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft XXXX ( XXXX ) wegen Verdachtes gem. §§ 278b und 278e StGB wurde am 27.03.2019 gem. § 190 Z 2 StPO eingestellt (siehe Anhänge).

Im Bedarfsfall wird eine direkte Kontaktaufnahme mit dem LVT OÖ angeregt.“

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der BF ist irakischer Staatsangehöriger, spricht Muttersprache arabisch, gehört der arabischen Volksgruppe an und ist moslemischen/sunnitischen Glaubens. Er ist ledig und kinderlos und stammt aus Mosul. Seine Identität steht nicht fest.

Der BF reiste illegal ins Bundesgebiet ein. Der BF hält sich seit mindestens 15.12.2015 in Österreich auf und ist melderechtlich im Bundesgebiet erfasst.

Der BF ist gesund und arbeitsfähig. Er fällt nicht unter die Risikogruppe gemäß der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz über die Definition der allgemeinen COVID-19-Risikogruppe (COVID-19- Risikogruppe-Verordnung), BGBl. II Nr. 203/2020.

Der BF hat nach einer 9-jährigen Ausbildung in der Grund- und Mittelschule seinen Lebensunterhalt durch die Tätigkeit in einer Konditorei und hernach als Taxifahrer verdient. Dies in der Stadt Mosul, wo er auch im Haus der Eltern mit seinen Geschwistern wohnte. Aufgrund seiner Arbeitserfahrung im Irak hat er eine Chance, auch hinkünftig im irakischen Arbeitsmarkt unterzukommen.

Der BF verfügt über beide Eltern, drei Schwestern sowie fünf Brüder. Vier Brüder des BF sind in Mosul verstorben. Eine Schwester und zwei Brüder des BF leben nicht mehr im Irak, sondern in der Türkei bzw. in Finnland. Die Eltern, der jüngere Bruder und drei verwitwete Schwägerinnen samt Kinder, leben im Elternhaus. Der jüngere Bruder arbeitet als Taxifahrer, die Eltern beziehen beide Pension. Es geht diesen Gut. Ebenso wie den zwei verheirateten Brüdern des BF, die auch in Mosul leben. Der BF telefoniert jede Woche mit seinen Eltern in Mosul.

In Österreich verfügt der BF über keine Verwandten und keine maßgeblichen privaten und familiären Beziehungen. Es war ein Bruder des BF als Asylwerber in Österreich. Dieser kam einige Monate vor dem BF nach Österreich. Er ist verheiratet und kehrte freiwillig zu seiner Familie nach Mosul zurück.

Der BF hat die Integrationsprüfung A2 erfolgreich abgeschlossen, besuchte mehrere Kurse beim Bfi und bei der Volkshochschule, so auch den Kurs für Deutsch Sprachniveau B1. Zudem hat der BF freiwillige Arbeit geleistet und war regelmäßig als freiwillige Hilfskraft in einer Tierklinik unterstützend tätig. Der BF hat Deutschkenntnisse, die über dem Sprachniveau A2 liegen, er kann in der deutschen Sprache an Alltaggesprächen teilnehmen.

Insgesamt weist er in Österreich Integrationsmerkmale in sprachlicher, beruflicher und kultureller Hinsicht auf. Er bezieht Leistungen der staatlichen Grundversorgung und ist nicht selbsterhaltungsfähig. Der BF bringt aber über den Dienstleistungsscheck Geld ins verdienen und verfügt über zwei Stellenzusagen. Er ist Mitglied in einem Fitnessclub und hat soziale Kontakte in Österreich.

Der Beschwerdeführer ist im Bundesgebiet strafgerichtlich unbescholten.

1.2.    Zu den Fluchtmotiven des Beschwerdeführers:

Der BF hat Mosul und den Irak im November 2015 verlassen. Nach dem IS-Einmarsch in Mosul 2014 und der Einführung der Scharia, gab es nach Ansicht des BF dort kein Leben mehr für junge Leute.

Der BF wurde in Mosul auch nicht auf einer Polizeistation ca. ein halbes Jahr festgehalten und nach Einmarsch des IS in Mosul, von diesem freigelassen.

In weiterer Folge kann damit nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Irak aufgrund seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung verfolgt wurde oder werden würde.

Zusammenfassend wird in Bezug auf das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers und aufgrund der allgemeinen Lage im Land festgestellt, dass der Beschwerdeführer im Fall seiner Rückkehr in den Irak insbesondere nach Mosul mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keiner wie immer gearteten asylrelevanten Verfolgung oder sonstigen existentiellen Bedrohung ausgesetzt sein wird.

1.3.    Zu den Feststellungen zur Lage im Irak:

In der mündlichen Verhandlung wurden vom erkennenden Richter die allgemeine Lage im Irak, das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Irak vom 17.03.2020, welches mit der Ladung übermittelt wurde, weiters der Bericht der Österreichischen Botschaft Amman zum Irak von Oktober 2020, die Kurzinformation der Staatendokumentation Naher Osten Covid-19 vom 14.08.2020 und Country Guidance: Iraq Common analysis and guidance note January 2021, erörtert.

Aus letztgenanntem Bericht werden nachfolgende Feststellungen zur Provinz Ninewa, in der Mosul Stadt liegt übernommen:

„Ninewa

[Security situation 2020, 2.6]

The governorate of Ninewa (or Nineveh) is located in north and northwest Iraq. It borders Syria and the governorates of Dohuk, Erbil, Salah al-Din and Anbar. The governorate is divided into nine districts: Mosul (also capital city), Tel Kayf, Sheikhan, Akre, Tal Afar, Sinjar, Ba’aj, al-Hatra, and Hamdaniya. Akre and northern Sheikhan districts have been administered by the KRG since 1991.38

38 ACLED data regarding security incidents in Akre and northern Sheikhan districts have been included in Ninewa governorate

Ninewa governorate had a population estimated at 3 828 197 inhabitants in 2019 and it is one of the most ethnically diverse governorates of Iraq. Sunni Arabs constitute the majority, but other groups also share power and influence.

Mosul was taken over and occupied by ISIL in June 2014, leading to the displacement of nearly 1 million people within weeks. The battle to regain Mosul was characterised as the hardest confrontation between ISIL and the Iraqi government forces during the whole conflict from 2014 until present. Victory over ISIL was officially announced in July 2017. As of July 2020, the majority of the governorate of Ninewa was under the control of the Iraqi government. The KRG was in control of certain areas in the north of the governorate. PMU forces were also reported to be present and active in a wide range of areas in Ninewa. ISF and PMU were accused of using their power for gaining revenue through illegal activities which in turn weakened their combat capabilities. Tribal Mobilization Forces and non-aligned militias, such as YBS and PKK were also present in the area. Foreign actors, mainly Iran, Turkey and the International Coalition to Defeat ISIL are also involved in Ninewa. Despite not having territorial control in the governorate, ISIL continued to carry out attacks against Iraqi security forces and civilians in 2019 and 2020.

Military ground operations by the ISF and PMU against ISIL took the form of regular armed clashes, including shootings or attacks with explosives. Security operations took place not only in rural and remote areas, but also near or in populated places. Airstrikes against presumed ISIL positions were conducted by the Iraqi Air Force and the International coalition, while the Turkish Air Force attacked positions of Kurdish and Yazidi militia, resulting in civilian casualties. The surge of attacks by ISIL since the summer of 2019 was primarily due to an increase in roadside bombings. More advanced tactics in the use of IEDs, like chains of multiple IEDs to enlarge impact zones, booby-trapping of houses to kill security forces and using attacks as a bait to draw forces onto roadside bombs, were witnessed. Even though the majority of casualties from roadside bombings were members of the security forces, there were also civilian casualties. Another tactic used by the insurgents was firing mortar or small arms rounds into populated areas and attacking and killing of village mukhtars. Demonstrations were also reported in the area.

ACLED reported a total of 292 security incidents (average of 3.5 security incidents per week) in Ninewa governorate in the reference period, the majority of which coded as remote violence/explosions. Security incidents occurred in nearly all districts, with the largest overall number being recorded in the district of Mosul. UNAMI recorded 89 armed conflict related incidents, 62 taking place in 2019, and 27 taking place between 1st January and 31st July 2020 (average of 1.1 security incidents per week for the full reference period).

In the reference period, UNAMI recorded a total of 221 civilian casualties (82 deaths and 139 injuries) in the aforementioned armed conflict related incidents. More specifically, 174 casualties were reported in 2019, and 47 casualties were reported from 1st January until 31st July 2020. Compared to the official figures for the population in the governorate, this represents 14 civilian casualties per 100 000 inhabitants for the full reference period.

As of 30 June 2020, 324 078 individuals from Ninewa remained displaced, out of whom 319 128 were displaced inside the governorate. Ninewa governorate ranks first amongst the governorates in terms of return, with 1 807 170 returnees, mainly towards Mosul district. Considerable secondary displacement because of forced and premature returns and forced or coerced departures from

camps and informal settlements was also witnessed. The security situation remained the main issue of concern among returnees. Blocked returns were also reported.

The debris caused by Mosul destruction was reported to be heavily contaminated with explosive devices of different kinds, including unexploded ordnance and booby-traps, with one source declaring that the explosives contamination in Mosul is of a previously unseen magnitude. Significant destruction of houses was also reported, while the reconstruction of the destroyed neighbourhoods of Mosul is advancing at a slow pace, due to the extent of the damage and the lack of funding by the Iraqi state. The lack of access to basic services (water, electricity, education) remains a challenge to the rural areas of the Ninewa Plains and Sinjar. The district of Sinjar is also suffering an intense contamination with unexploded ammunition and IEDs deliberately left by ISIL. Looking at the indicators, it can be concluded that ‘mere presence’ in the area would not be sufficient to establish a real risk of serious harm under Article 15(c) QD in the governorate of Ninewa, however, indiscriminate violence reaches a high level, and, accordingly, a lower level of individual elements is required to show substantial grounds for believing that a civilian, returned to the territory, would face a real risk of serious harm within the meaning of Article 15(c) QD.

Ninewa

[Sicherheitslage 2020, 2.6]

Das Gouvernement Ninewa (oder Ninive) befindet sich im Norden und Nordwesten des Irak. Es grenzt an Syrien und die Gouvernements Dohuk, Erbil, Salah al-Din und Anbar. Das Gouvernorat ist in neun Bezirke unterteilt: Mosul (auch Hauptstadt), Tel Kayf, Sheikhan, Akre, Tal Afar, Sinjar, Ba'aj, al-Hatra und Hamdaniya. Die Bezirke Akre und Nord-Scheikhan werden seit 1991 von der KRG verwaltet.38

38 ACLED-Daten zu Sicherheitsvorfällen in den Distrikten Akre und Nord-Sheikhan wurden in das Gouvernement Ninewa aufgenommen.

Das Gouvernement Ninewa hatte 2019 eine geschätzte Bevölkerung von 3 828 197 Einwohnern und ist eines der ethnisch vielfältigsten Gouvernements des Irak. Sunnitische Araber bilden die Mehrheit, aber auch andere Gruppen teilen sich Macht und Einfluss.

Mosul wurde im Juni 2014 vom ISIL übernommen und besetzt, was zur Vertreibung von fast 1 Million Menschen innerhalb weniger Wochen führte. Der Kampf um die Rückeroberung Mosuls wurde als die härteste Konfrontation zwischen ISIL und den irakischen Regierungstruppen während des gesamten Konflikts von 2014 bis heute bezeichnet. Der Sieg über ISIL wurde im Juli 2017 offiziell verkündet. Ab Juli 2020 war der größte Teil des Gouvernements Ninewa unter der Kontrolle der irakischen Regierung. Die KRG hatte die Kontrolle über bestimmte Gebiete im Norden des Gouvernements. Es wurde auch berichtet, dass PMU-Kräfte in zahlreichen Gebieten in Ninewa präsent und aktiv waren. ISF und PMU wurden beschuldigt, ihre Macht zur Erzielung von Einnahmen durch illegale Aktivitäten zu nutzen, was wiederum ihre Kampffähigkeiten schwächte. Tribal Mobilization Forces und bündnisfreie Milizen wie YBS und PKK waren ebenfalls in der Region präsent. Ausländische Akteure, vor allem der Iran, die Türkei und die Internationale Koalition zur Bekämpfung des ISIL, sind ebenfalls in Ninewa engagiert. Obwohl der ISIL keine territoriale Kontrolle über das Gouvernement hat, verübte er 2019 und 2020 weiterhin Angriffe gegen irakische Sicherheitskräfte und Zivilisten.

Militärische Bodenoperationen der ISF und der PMU gegen ISIL fanden in Form von regelmäßigen bewaffneten Zusammenstößen statt, einschließlich Schießereien oder Angriffen mit Sprengstoff. Die Sicherheitsoperationen fanden nicht nur in ländlichen und abgelegenen Gebieten statt, sondern auch in der Nähe oder in bewohnten Orten. Luftangriffe gegen mutmaßliche ISIL-Stellungen wurden von der irakischen Luftwaffe und der internationalen Koalition durchgeführt, während die türkische Luftwaffe Stellungen der kurdischen und jesidischen Miliz angriff, was zu zivilen Opfern führte. Der Anstieg der Angriffe durch ISIL seit dem Sommer 2019 war vor allem auf eine Zunahme von Bombenanschlägen am Straßenrand zurückzuführen. Es wurden fortschrittlichere Taktiken beim Einsatz von IEDs beobachtet, wie Ketten aus mehreren IEDs zur Vergrößerung der Einschlagszonen, Sprengfallen in Häusern, um Sicherheitskräfte zu töten, und die Verwendung von Anschlägen als Köder, um Kräfte auf Straßenrandbomben zu locken. Obwohl die Mehrzahl der Opfer von Bombenanschlägen am Straßenrand Angehörige der Sicherheitskräfte waren, gab es auch zivile Opfer. Eine weitere Taktik der Aufständischen war das Abfeuern von Mörser- oder Handfeuerwaffengeschossen auf bewohnte Gebiete sowie der Angriff und die Tötung von Dorfmukhtars. Es wurde auch von Demonstrationen in dem Gebiet berichtet.

ACLED (Armed Conflict Location and Event Data Project) meldete im Berichtszeitraum insgesamt 292 sicherheitsrelevante Vorfälle (durchschnittlich 3,5 sicherheitsrelevante Vorfälle pro Woche) im Gouvernorat Ninewa, von denen die meisten als entfernte Gewalt/Explosionen kodiert wurden. Sicherheitsvorfälle gab es in fast allen Bezirken, wobei die größte Gesamtzahl im Bezirk Mosul verzeichnet wurde. UNAMI (United Nations Assistance Mission for Iraq) registrierte 89 Vorfälle im Zusammenhang mit bewaffneten Konflikten, von denen 62 im Jahr 2019 und 27 zwischen dem 1. Januar und dem 31. Juli 2020 stattfanden (durchschnittlich 1,1 Sicherheitsvorfälle pro Woche für den gesamten Bezugszeitraum).

Im Berichtszeitraum verzeichnete UNAMI insgesamt 221 zivile Opfer (82 Tote und 139 Verletzte) bei den oben genannten Vorfällen im Zusammenhang mit dem bewaffneten Konflikt. Genauer gesagt wurden 174 Opfer im Jahr 2019 und 47 Opfer vom 1. Januar bis 31. Juli 2020 gemeldet. Im Vergleich zu den offiziellen Zahlen für die Bevölkerung im Gouvernorat entspricht dies 14 zivilen Opfern pro 100 000 Einwohner für den gesamten Bezugszeitraum.

Bis zum 30. Juni 2020 waren 324 078 Personen aus Ninewa vertrieben, davon 319 128 innerhalb des Gouvernements. Das Gouvernorat Ninewa steht an erster Stelle unter den Gouvernoraten, was die Rückkehr betrifft, mit 1 807 170 Rückkehrern, hauptsächlich in Richtung des Bezirks Mosul. Erhebliche Sekundärvertreibungen durch erzwungene und verfrühte Rückkehr und erzwungene oder erzwungene Abwanderung aus

Lagern und informellen Siedlungen zu beobachten. Die Sicherheitslage blieb das Hauptproblem der Rückkehrer. Es wurde auch von blockierten Rückführungen berichtet.

Die durch die Zerstörung von Mosul verursachten Trümmer wurden Berichten zufolge stark mit Sprengkörpern verschiedener Art kontaminiert, darunter auch nicht explodierte Munition und Sprengfallen, wobei eine Quelle erklärte, dass die Sprengstoffkontamination in Mosul ein bisher nicht gekanntes Ausmaß hat. Es wurde auch von erheblichen Zerstörungen von Häusern berichtet, während der Wiederaufbau der zerstörten Stadtteile von Mosul aufgrund des Ausmaßes der Schäden und der fehlenden Finanzierung durch den irakischen Staat nur langsam vorankommt. Der fehlende Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen (Wasser, Strom, Bildung) bleibt eine Herausforderung für die ländlichen Gebiete in der Ninewa-Ebene und in Sindschar. Der Bezirk Sinjar leidet zudem unter einer starken Kontamination mit nicht explodierter Munition und IEDs, die vom ISIL absichtlich hinterlassen wurden. Betrachtet man die Indikatoren, kann man zu dem Schluss kommen, dass die "bloße Anwesenheit" in dem Gebiet nicht ausreichen würde, um ein reales Risiko eines ernsthaften Schadens im Sinne von Artikel 15(c) QD im Gouvernement Ninewa zu begründen, jedoch erreicht die willkürliche Gewalt ein hohes Niveau, und dementsprechend ist ein geringeres Maß an einzelnen Elementen erforderlich, um substanzielle Gründe für die Annahme zu zeigen, dass eine Zivilperson, die in das Gebiet zurückkehrt, einem realen Risiko eines ernsthaften Schadens im Sinne von Artikel 15(c) QD ausgesetzt wäre.“

Die Kernfamilie des BF lebt in Mosul-Stadt. Das Elternhaus wurde zwar zerstört, allerdings mittlerweile wieder aufgebaut. Dort wohnen die Eltern, der jüngere Bruder, Witwen nach den Brüdern des BF und deren Kinder.

Der BF hat regen Kontakt zu seiner Familie. Im Falle der Rückkehr würde die Familie des BF diesen unterstützen.

2. Beweiswürdigung:

Der erkennende Einzelrichter des Bundesverwaltungsgerichtes hat nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung über die Beschwerde folgende Erwägungen getroffen:

2.1. Zum Verfahrensgang

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes der belangten Behörde und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.

2.2. Zum Sachverhalt

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben des BF vor dieser sowie vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, in den bekämpften Bescheid und in den Beschwerdeschriftsatz sowie in das aktuelle „Länderinformationsblatt der Staatendokumentation“ zum Irak (Stand Gesamtaktualisierung am 17.03.2020). Auskünfte aus dem Strafregister, dem Fremdenregister (IZR), dem Zentralen Melderegister (ZMR) und der Grundversorgung (GVS) wurden ergänzend zum vorliegenden Akt eingeholt, ebenso ein Sozialversicherungsdatenauszug. Zudem wurde die Kurzinformation der Staatendokumentation zur aktuellen COVID-19-Lage im Nahen Osten vom 14.08.2020 berücksichtigt, darüber hinaus auch der Bericht der Österreichischen Botschaft im Amman zum Irak vom Oktober 2020, die Anfragebeantwortung zu Irak: Sozioökonomische Lage in Mosul (Stand 16.04.2021) sowie der Country Guidance: Iraq Common analysis und guidance note vom January 2021 und die UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus dem Irak fliehen. Zudem wurde Einsicht in das Dashboard der WHO zur COVID-19-Situation im Irak genommen.

Außerdem konnte auf die Ergebnisse der mündlichen Verhandlungen vom 29.06.2021 vor dem Bundesverwaltungsgericht zurückgegriffen werden.

2.3. Zur Person des Beschwerdeführers

Die Feststellungen zu den Lebensumständen des BF, seiner Glaubens- und seiner Staatsangehörigkeit sowie seiner Volksgruppenzugehörigkeit basieren auf den übereinstimmenden Ausführungen des BF sowohl vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes (Protokoll AS 1 ff) als auch vor der belangten Behörde (Protokoll AS 93 ff) und vor dem erkennenden Gericht (Protokoll vom 29.06.2021).

Da der BF den österreichischen Behörden keine identitätsbezeugenden Dokumente im Original vorlegen konnte, steht seine Identität nicht zweifelsfrei fest.

Die Feststellung zum Aufenthalt des BF in Österreich ergibt sich aus der Aktenlage sowie aus dem entsprechenden ZMR-Auszug.

Dass der BF gesund ist, ergibt sich aus seiner Befragung dazu und dem Umstand, dass er tatsächlich gelegentlich Arbeiten für Dritte ausführt.

In der Folge ergeben sich keinerlei Hinweise medizinischer Indikatoren für die Zuordnung des jungen, gesunden BF zur COVID-19-Risikogruppe entsprechend der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz über die Definition der allgemeinen COVID-19-Risikogruppe (COVID-19-Risikogruppe-Verordnung), BGBl. II Nr. 203/2020.

Aus dem Gesundheitszustand ergibt sich aus einer Zusammenschau mit dem erwerbsfähigen Alter des BF auch die Feststellung zur Arbeitsfähigkeit desselben. Die Feststellung zu seinem Bezug der Grundversorgung ergibt sich aus dem dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden, aktuellen Speicherauszug aus dem Betreuungsinformationssystem vom 28.06.2021.

Der Umstand, dass der BF noch über Eltern, Geschwister im Irak und einen Bruder in Finnland verfügt, ist seinen diesbezüglich glaubhaften Angaben in der mündlichen Beschwerdeverhandlung zu entnehmen, die auch nicht im Widerspruch zu den bisherigen Angaben des BF stehen. Aus diesen Ausführen ergibt sich auch glaubhaft, dass es seiner Familie in Mosul gut geht.

Etwaige Verwandte oder Familienangehörige in Österreich führte der BF weder vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes noch vor der belangten Behörde an. Auch dazu befragt gab der BF in der mündlichen Beschwerdeverhandlung zu Protokoll, keine Verwandten in Österreich zu haben. Auch dass ein Bruder des BF vor ihm im Jahr 2015 nach Österreich kam, dann aber freiwillig in den Irak zurückkehrte, um sich um seine Familie zu kümmern, ergibt sich aus den Aussagen des BF in der Verhandlung (Protokoll S 6). Der BF konnte keine familiären Beziehungen im Bundesgebiet anführen.

Die Feststellungen betreffend den vom BF besuchten Deutschkursen sowie der Freiwilligenarbeit beruhen auf den vorgelegten Dokumenten. Dass der BF in einer Tierklink Gärtnerarbeiten verrichtet, ergibt sich einerseits aus seinen eigenen Angaben vor dem erkennenden Gericht und aus der Einstellungszusage. Die Feststellung, dass der BF die Deutschprüfung A2 und Integrationsprüfung erfolgreich abgelegt hat, konnte auf Grundlage der Vorgelegten Zeugnisse und Kursbestätigungen getroffen werden. Aus diesen Urkunden ergibt sich auch, dass der BF weiter daran arbeitet seine Deutschkenntnisse zu verbessern (Deutschkurs B1 Teilnahmebestätigung).

Das erkennende Gericht hat sich von den Deutschkenntnissen des BF in der mündlichen Beschwerdeverhandlung ein eigenes Bild machen können. Der BF verfügt über Deutschkenntnisse, die es ihm ermöglichen Alltagsgespräche zu führen.

Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer in Österreich nicht vorbestraft ist, beruht auf dem vom Bundesverwaltungsgericht erhobenen Strafregisterauszug.

2.4. Zum Vorbringen des Beschwerdeführers

Von einem Antragsteller ist ein Verfolgungsschicksal glaubhaft darzulegen. Einem Asylwerber obliegt es, bei den in seine Sphäre fallenden Ereignissen, insbesondere seinen persönlichen Erlebnissen und Verhältnissen, von sich aus eine Schilderung zu geben, die geeignet ist, seinen Asylanspruch lückenlos zu tragen und hat er unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern. Die Behörde bzw. das Gericht muss somit die Überzeugung von der Wahrheit des von einem Asylwerber behaupteten individuellen Schicksals erlangen, aus dem er seine Furcht vor asylrelevanter Verfolgung herleitet. Es kann zwar durchaus dem Asylwerber nicht die Pflicht auferlegt werden, dass dieser hinsichtlich asylbegründeter Vorgänge einen Sachvortrag zu Protokoll geben muss, der auf Grund unumstößlicher Gewissheit als der Wirklichkeit entsprechend gewertet werden muss, die Verantwortung eines Antragstellers muss jedoch darin bestehen, dass er bei tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit die Ereignisse schildert.

Generell ist zur Glaubwürdigkeit eines Vorbringens auszuführen, dass eine Aussage grundsätzlich dann als glaubhaft zu qualifizieren ist, wenn das Vorbringen hinreichend substantiiert ist; der BF sohin in der Lage ist, konkrete und detaillierte Angaben über von ihm relevierte Umstände bzw. Erlebnisse zu machen. Weiters muss das Vorbringen plausibel sein, d.h. mit überprüfbaren Tatsachen oder der allgemeinen Lebenserfahrung entspringenden Erkenntnissen übereinstimmen. Hingegen scheinen erhebliche Zweifel am Wahrheitsgehalt einer Aussage angezeigt, wenn der BF den seiner Meinung nach, seinen Antrag stützenden Sachverhalt bloß vage schildert oder sich auf Gemeinplätze beschränkt. Weiteres Erfordernis für den Wahrheitsgehalt einer Aussage ist, dass die Angaben in sich schlüssig sind; so darf sich der BF nicht in wesentlichen Passagen seiner Aussage widersprechen.

Das Vorbringen des BF, im ersten Halbjahr 2014 in einer Polizeistation neben seinem Elternhaus in Mosul festgehalten worden zu sein, entspricht diesen Anforderungen nicht. Bei seiner Erstbefragung (AS 13) erwähnt er ein derartiges Geschehen überhaupt nicht. Er gibt vielmehr an, wegen des IS geflüchtet zu sein, weil es für junge Leute kein Leben mehr gegeben habe. Bei seiner niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde am 17.04.2018, wird dieses Vorbringen erstmals erstattet (AS 96). Aber zu den behaupteten fünf Monaten der Anhaltung erklärt der BF lediglich, die ersten 10 Tage gefoltert worden zu sein und als der IS Mosul einnahm freigekommen zu sein. Wenn er die Verhaftung anfangs mit Überfällen auf diese Polizeistation erklärt, führt er wenige Sätze später aus, Grund sei der Religionskampf zwischen Sunniten und Schiiten gewesen, um im weiteren Verlauf der Einvernahme auch die Milizen ins Spiel zu bringen. Der Richter erachtet dieses Vorbringen als konstruiert und nicht glaubhaft. Auch steht es nicht im Einklang mit dem Vorbringen in der mündlichen Verhandlung (Protokoll S 6f), wo von Einvernahmen in den ersten zwei drei Tagen die Rede ist und in den restlichen fünf Monaten der Inhaftierung sei nichts mehr vorgefallen.

Auch blieb der BF ab Juni 2014 bis November 2015 weiter in Mosul und hat als Taxifahrer gearbeitet (Protokoll S 7). Hätte die behauptete willkürliche Haft tatsächlich stattgefunden, hätte der BF wohl umgehend das Land verlassen.

Der Richter ist davon überzeugt, dass der tatsächliche Grund für die Ausreise des BF aus dem Irak 2015 die gegeben restriktiven Lebensumstände der Bevölkerung von Mosul während der IS Besatzung waren. Denn in diesem Punkt wird der BF bei seiner Einvernahme in der Verhandlung von sich aus konkret und erklärt, dass in der Zeit des IS in Mosul, sie belästigt wurden, zB wegen des Rauchens, oder wenn die Hose länger war als bis zu den Knöcheln oder zu eng, sei man bestraft worden. Er selbst sei nicht bestraft worden, weil er die Hose gekürzt habe. Der BF führt weiter an, dass man auch bestraft worden sei, wenn man den Bart rasierte. Eine glaubhafte detaillierte Schilderung, die der BF von sich ausmachte. Wobei sich aus den Angaben des BF eindeutig ergibt, dass diese Restriktionen alle Bewohner von Mosul betrafen. Das Gericht ist der Überzeugung, dass diese allgemeinen Restriktionen und der Umstand, dass ein Bruder des BF einige Monate vorher den Irak verlassen hatte, den BF veranlassten, ebenfalls Mosul und den Irak zu verlassen, um nach Österreich zu gelangen, wo sein Bruder bereits war.

2.5. Zu den Länderfeststellungen

Die Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat stützen sich auf den aktuellen Länderinformationsbericht der Staatendokumentation für den Irak (Stand 17.03.2020) samt den dort publizierten Quellen und Nachweisen. Der Länderinformationsbericht stützt sich auf Berichte verschiedener ausländischer Behörden, etwa die allgemein anerkannten Berichte des Deutschen Auswärtigen Amtes, als auch jene von Nichtregierungsorganisationen, wie bspw. dem UNHCR, sowie Berichte von allgemein anerkannten unabhängigen Nachrichtenorganisationen. Ergänzend wurde auch noch die Kurzinformation der Staatendokumentation zur aktuellen COVID-19-Lage im Nahen Osten vom 14.08.2020 berücksichtigt, darüber hinaus auch der Bericht der Österreichischen Botschaft im Amman zum Irak vom Oktober 2020, der Country Guidance: Iraq Common analysis und guidance note vom January 2021.

Angesichts der Seriosität und Plausibilität der dort angeführten Erkenntnisquellen sowie des Umstandes, dass diese Feststellungen auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängigen Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wissentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.

Der BF trat den Quellen und deren Kernaussagen im Beschwerdeverfahren auch nicht substantiiert entgegen, sodass die der Entscheidung zugrunde gelegten Länderberichte nicht in Zweifel zu ziehen waren.

Die obgenannten Länderfeststellungen konnten daher der gegenständlichen Entscheidung bedenkenlos zugrunde gelegt werden.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Abweisung der Beschwerde

3.1. Zur Nichtgewährung von Asyl (Spruchpunkt I des angefochtenen Bescheides)

3.1.1. Rechtslage

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 leg. cit. zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art 1 Absch. A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht.

Im Sinne des Art. 1 Absch. A Z 2 GFK ist als Flüchtling anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich in Folge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentraler Aspekt der in Art 1 Absch. A Z 2 GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 06.10.1999, 99/01/0279).

Selbst in einem Staat herrschende allgemein schlechte Verhältnisse oder bürgerkriegsähnliche Zustände begründen für sich alleine noch keine Verfolgungsgefahr im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention. Um eine Verfolgung im Sinne des AsylG erfolgreich geltend zu machen, bedarf es einer zusätzlichen, auf asylrelevante Gründe gestützten Gefährdung des Asylwerbers, die über die gleichermaßen die anderen Staatsbürger des Herkunftsstaates treffenden Unbilligkeiten hinausgeht (VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).

3.1.2. Anwendung der Rechtslage auf den gegenständlichen Fall

Wie in der Beweiswürdigung unter Punkt II. 2.4. bereits ausführlich dargelegt, stellte sich das Vorbringen des BF als nicht glaubhaft heraus und droht dem BF keine Gefahr einer asylrelevanten Verfolgung im Irak im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention und hat er eine solche Verfolgung vor seiner Ausreise auch nicht erlitten. Er war nicht aus Gründen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder seiner politischen Gesinnung der realen Gefahr einer Verfolgung ausgesetzt. Die Restriktionen zur Zeit des IS in Mosul, haben alle Einwohner der Stadt betroffen, wie auch den BF.

3.2. Zur Nichtgewährung von subsidiären Schutz (Spruchpunkt II des angefochtenen Bescheides)

3.2.1. Rechtslage

Gemäß § 8 Abs 1 Z 1 AsylG ist einem Fremden der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2 EMRK, Art 3 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur EMRK (ZPERMRK) bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Gemäß § 8 Abs 3 AsylG sind Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offensteht.

Im Rahmen der Prüfung des Einzelfalls ist die Frage zu beantworten, ob einem Fremden im Falle der Abschiebung in seinen Herkunftsstaat ein – über eine bloße Möglichkeit hinausgehendes – "real risk" einer gegen Art 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht (vgl VwGH 28.06.2011, 2008/01/0102). Die dabei aufgrund konkreter vom Fremden aufgezeigter oder von Amts wegen bekannter Anhaltspunkte anzustellende Gefahrenprognose erfordert eine ganzheitliche Bewertung der Gefahren und hat sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen (VwGH 15.12.2010, 2006/19/1354; 31.05.2005, 2005/20/0095, 31.03.2005, 2002/20/0582).

Die Abschiebung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann eine Verletzung von Art 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also bezogen auf den Einzelfall die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art 3 EMRK ist nicht ausreichend (VwGH 06.11.2009, 2008/19/0174). Zu berücksichtigen ist auch, dass nur bei Vorliegen exzeptioneller Umstände, die dazu führen, dass der Betroffene im Zielstaat keine Lebensgrundlage vorfindet, die Gefahr einer Verletzung von Art 3 EMRK angenommen werden kann (VwGH 06.11.2009, 2008/19/0174; 19.11.2015, Ra 2015/20/0174 ua). Das Vorliegen solch exzeptioneller Umstände erfordert detaillierte und konkrete Darlegungen (vgl VwGH 21.08.2001, 2000/01/0443; 07.09.2016, Ra 2015/19/0303 ua).

3.2.2. Anwendung der Rechtslage auf den gegenständlichen Fall

Dem BF droht im Irak keine asylrelevante Verfolgung.

Auch dafür, dass dem BF im Falle einer Rückkehr in den Irak die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen und die Schwelle des Art 3 EMRK überschritten wäre, gibt es im vorliegenden Beschwerdefall keinen Anhaltspunkt. Der BF leidet an keinen lebensbedrohlichen Erkrankungen, er ist jung, arbeitsfähig und verfügt über eine Schulausbildung und Berufserfahrung. Der BF hat in einer Konditorei und als Taxifahrer gearbeitet. Er verfügt über familiären und sozialen Rückhalt in Mosul mit deren Unterstützung der BF wieder wirtschaftlich fußfassen kann.

Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK ist nicht ausreichend (vgl. u.a. VwGH 06.11.2009, 2008/19/0174). Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen (vgl. VwGH 21.08.2001, 200/01/0443 und zuletzt VwGH, 25.05.2016, Ra 2016/19-0036-5). Im vorliegenden Fall fehlen Hinweise auf derart exzeptionelle Umstände und wurden derartige Umstände vom BF nicht dargelegt.

Es kann auf Basis der Länderfeststellungen nicht davon ausgegangen werden, dass generell jeder im Falle einer Rückkehr in den Irak mit existentiellen Nöten konfrontiert ist. Trotz der aktuell schwierigen Situation im Irak ist eine Rückkehr dorthin nicht automatisch mit einer Verletzung der in Art. 2 und 3 EMRK geschützten Rechte verbunden, zumal dort auch kein Bürgerkrieg herrscht. Im Verfahren sind auch keine Umstände bekannt geworden, die nahelegen würden, dass bezogen auf den BF ein reales Risiko einer gegen Art 2 oder 3 EMRK verstoßenden Behandlung bzw der Todesstrafe besteht.

Im Hinblick auf die derzeit bestehende Pandemie aufgrund des Corona-Virus ist festzuhalten, dass der Beschwerdeführer aktuell 27 Jahre alt, gesund und arbeitsfähig ist nicht unter die Risikogruppe der älteren Personen und der Personen mit Vorerkrankungen fällt. Ein bei einer Überstellung des Beschwerdeführers in den Irak vorliegendes „real risk“ einer Verletzung des Art. 3 EMRK ist somit auch hierzu nicht zu erkennen.

Die Beschwerde war daher auch hinsichtlich des Spruchpunktes II. des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG abzuweisen.

3.3. Zur Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides):

3.3.1. Rechtslage

Gemäß § 58 Abs 1 AsylG 2005 hat das Bundesamt die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 (Aufenthaltstitel besonderer Schutz) von Amts wegen zu prüfen, wenn der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird (Z 2) oder wenn ein Fremder sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG fällt (Z 5). Gemäß § 58 Abs 2 AsylG 2005 hat das Bundesamt einen Aufenthaltstitel gemäß § 55 AsylG 2005 (Aufenthaltstitel aus Gründen des Art 8 EMRK) von Amts wegen zu erteilen, wenn eine Rückkehrentscheidung auf Grund des § 9 Abs 1 bis 3 BFA-VG auf Dauer für unzulässig erklärt wird. Das Bundesamt hat über das Ergebnis der von Amts wegen erfolgten Prüfung der Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 und 57 im verfahrensabschließenden Bescheid abzusprechen (§ 58 Abs 3 AsylG 2005). Auch wenn der Gesetzgeber das Bundesamt im Verfahren zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung zur Prüfung und spruchmäßigen Erledigung der Voraussetzungen der §§ 55 und 57 AsylG 2005 von Amts wegen, dh auch ohne dahingehenden Antrag des BF, verpflichtet, ist die Frage der Erteilung eines solchen Titels auch ohne vorhergehenden Antrag im Beschwerdeverfahren gegen den negativen Bescheid durchsetzbar und daher Gegenstand der Sachentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl VwGH 28.01.2015, Ra 2014/20/0121).

3.3.2. Anwendung der Rechtslage auf den gegenständlichen Fall

Indizien dafür, dass der BF einen Sachverhalt verwirklicht, bei dem ihm ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 (Aufenthaltstitel besonderer Schutz) zu erteilen wäre, sind weder vorgebracht worden, noch hervorgekommen: Weder war der Aufenthalt des BF seit mindestens einem Jahr im Sinne des § 46 Abs 1 Z 1 oder Z 1a FPG geduldet, noch ist dieser zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen notwendig, noch ist der BF Opfer von Gewalt im Sinne des § 57 Abs 1 Z 3 AsylG 2005. Ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 war daher nicht zu erteilen.

Die Beschwerde war auch hinsichtlich des Spruchpunktes III. des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 57 AsylG abzuweisen.

3.4. Zur Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheides)

3.4.1 Rechtslage

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz (dem AsylG) mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird.

Gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn er sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält. Gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 AsylG) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt.

Gemäß § 9 Abs. 1 BFA-VG ist die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, wenn dadurch in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird, zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK sind insbesondere die in § 9 Abs. 2 Z 1 bis 9 BFA-VG aufgezählten Gesichtspunkte zu berücksichtigen (die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration, die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist).

3.4.2. Anwendung der Rechtslage auf den gegenständlichen Fall

Wie oben ausgeführt, war ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 (Aufenthaltstitel besonderer Schutz) nicht zu erteilen. Zu prüfen ist daher, ob eine Rückkehrentscheidung mit Art 8 EMRK vereinbar ist, weil sie nur dann zulässig wäre und nur im verneinenden Fall ein Aufenthaltstitel nach § 55 AsylG 2005 überhaupt in Betracht käme. Grundsätzlich nimmt das persönliche Interesse des Fremden an einem Verbleib in Österreich mit der Dauer des bisherigen Aufenthalts des Fremden zu. Alleine der Aufenthaltsdauer kommt jedoch für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die durchzuführende Interessenabwägung zu (vgl. VwGH 23.10.2019, Ra 2019/19/0289). Vielmehr gilt es vor allem, anhand der jeweiligen Umstände des Einzelfalles zu prüfen, inwieweit der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit dazu genützt hat, sich sozial und beruflich zu integrieren. Bei der Einschätzung des persönlichen Interesses ist auch auf die Auswirkungen, die eine Aufenthaltsbeendigung auf die familiären oder sonstigen Bindungen des Fremden hätte, Bedacht zu nehmen (vgl. VwGH 15.12.2015, Ra 2015/19/0247, mwN) (VwGH 06.05.2020, Ra 2020/20/0093).

Das vorliegende Asylverfahren dauerte, gerechnet von der Antragstellung im Dezember 2015 über fünf Jahre und ist die lange Verfahrensdauer nicht dem BF anzulasten. Dessen ungeachtet beruhte der seit der Antragstellung andauernde Aufenthalt des BF auf einer vorläufigen, nicht endgültig gesicherten rechtlichen Grundlage, weshalb dieser während der gesamten Dauer des Aufenthaltes in Österreich nicht darauf vertrauen durfte, dass er sich auf rechtlich gesicherte Weise bleibend verfestigen kann. Das Gewicht seiner privaten Interessen wird daher dadurch gemindert, dass sie in einem Zeitpunkt entstanden, in dem er sich seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst war (vgl VwGH 19.02.2009, 2008/18/0721; 30.04.2009, 2009/21/0086; VfSlg. 18.382/2008 mHa EGMR 24.11.1998, 40.447/98, Mitchell; EGMR 11.04.2006, 61.292/00, Useinov).

Entsprechend der Beweiswürdigung verfügt der BF in Österreich über kein schützenswertes Familienleben, weshalb ein Eingriff in das Familienleben zu verneinen ist und ein etwaiger Eingriff in das Privatleben des BF zu prüfen ist.

Unter dem "Privatleben" sind nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. EGMR 16.06.2005, Fall Sisojeva ua., Appl. 60.654/00, EuGRZ 2006, 554). In diesem Zusammenhang komme dem Grad der sozialen Integration des Betroffenen eine wichtige Bedeutung zu. Dass ein Privatleben des BF in Österreich grundsätzlich gegeben ist, ergibt sich zweifelsohne aufgrund seines über fünfjährigen Aufenthaltes in Österreich.

Der BF hat auch intensive und nachhaltige Integrationsbemühungen gesetzt. Er hat sich durch Freiwilligenarbeit in die Gemeinschaft eingebracht, das ÖSD-Zertifikat A1 und A2 erworben, sprich alltagstauglich Deutsch, ist bemüht seine Sprachkenntnisse weiter zu verbessern (B1 Kurs), er ist zwar nicht selbsterhaltungsfähig, verfügt aber über glaubhafte Einstellungszusagen, sodass davon ausgegangen werden kann, dass der BF selbsterhaltungsfähig sein wird, wenn er Zugang zum allgemeinen Arbeitsmarkt hat. Der Beschwerdeführer hat sich in der Zeit des Aufenthalts in Österreich ein schützenswertes Privatleben aufgebaut. Durch die Rückkehrentscheidung wird daher aufgrund des gegebenen Sachverhaltes in unzulässiger Weise in das Privatleben des Beschwerdeführers eingegriffen.

In Anbetracht der erfolgreichen Integrationsbemühungen des Beschwerdeführers erweist sich eine Rückkehrentscheidung für auf Dauer unzulässig und war daher dem Beschwerdeführer gemäß § 55 Abs. 1 AsylG eine „Aufenthaltsberechtigung plus " für die Dauer eines Jahres zu erteilen.

Dies hat auch zur Folge, dass die Spruchpunkte V. und VI. des bekämpften Bescheides ersatzlos zu beheben sind.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Asylantragstellung asylrechtlich relevante Verfolgung Asylverfahren Aufenthaltsberechtigung plus Aufenthaltstitel Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK befristete Aufenthaltsberechtigung begründete Furcht vor Verfolgung ersatzlose Teilbehebung Fluchtgründe freiwillige Ausreise Frist Glaubhaftmachung Glaubwürdigkeit Integration Integrationsvereinbarung Interessenabwägung Kassation mündliche Verhandlung öffentliche Interessen Privat- und Familienleben private Interessen real risk reale Gefahr Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig Rückkehrentscheidung behoben Sprachkenntnisse Spruchpunktbehebung subsidiärer Schutz Verfolgungsgefahr Verfolgungshandlung wohlbegründete Furcht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:I421.2202169.1.00

Im RIS seit

27.10.2021

Zuletzt aktualisiert am

27.10.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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