TE Bvwg Erkenntnis 2021/8/2 I408 2166427-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 02.08.2021
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Entscheidungsdatum

02.08.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58 Abs1 Z2
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs1 Z1
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs2
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


I408 2166424-1/11E
I408 2166427-1/9E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Harald NEUSCHMID als Einzelrichter über die Beschwerden von XXXX und XXXX , beide StA. Irak, vertreten durch den MigrantInnenverein St. Marx, gegen die Bescheide des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 19.07.2017, Zlen. XXXX und XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 14.06.2021 zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig. 


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1.       Der Erstbeschwerdeführer stellte am 13.08.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz und gab im Rahmen der Erstbefragung am 15.08.2015 zu seinem Fluchtgrund befragt an, dass er Opfer eines Krieges zwischen den Milizen sei. Bei einer Rückkehr habe er Angst vor allen Milizen.

2.       Die Zweitbeschwerdeführerin, die zunächst in der Türkei zurückgeblieben ist und erst später ihrem schon in Österreich befindlichen Ehemann nachfolgte, stellte am 03.01.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz und gab im Rahmen der Erstbefragung am selben Tag zu ihrem Fluchtgrund an, dass ihre Familie durch den Krieg im Irak ihre gesamte Existenz verloren habe und sie daher keine Grundlage mehr im Irak habe. Bei einer Rückkehr befürchte sie, dort keine Existenz mehr zu haben.

3.       Bei seiner Einvernahme am 04.05.2017 führte der Erstbeschwerdeführer dann im Wesentlichen aus, dass er Mitglied der irakischen Bauerngewerkschaft und dort für die Finanzen zuständig gewesen sei. Ende 2013 sei er von Unbekannten angerufen worden, welche Geld von der Gewerkschaft gefordert hätten. Nachdem die Verhandlungen fehlschlugen, wären zwei Mal unbekannte Personen zu seinem Haus gekommen, hätten jedoch nur seine Frau angetroffen. Daraufhin habe er gewusst, dass es ernst sei und deshalb den Irak verlassen. Die Zweitbeschwerdeführerin gab bei ihrer niederschriftlichen Einvernahme am selben Tag an, dass zwei Mal unbekannte Personen nach dem Erstbeschwerdeführer gefragt hätten. Drohungen habe es keine gegeben.

4.       Mit den angefochtenen Bescheiden vom 19.07.2017 wies die belangte Behörde die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf ihren Herkunftsstaat Irak (Spruchpunkt II.) als unbegründet ab. Zugleich erteilte sie den Beschwerdeführern keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen sie eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass ihre Abschiebung in den Irak zulässig ist (Spruchpunkt III.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt IV.). Gegen diese Bescheide richtete sich die fristgerecht erhobene Beschwerde vom 21.08.2017.

5.       Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 23.03.2021 wurde die Rechtssache dem erkennenden Richter neu zugewiesen.

6.       Am 14.06.2021 erfolgte vor dem Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung in Anwesenheit der Beschwerdeführer und einer Vertreterin der belangten Behörde.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person der Beschwerdeführer:

Der XXXX jährige Erstbeschwerdeführer ist verheiratet, kinderlos, Staatsangehöriger des Irak, stammt aus einer wenige Kilometer von XXXX im Bezirk Salah ad-Din entfernten Ortschaft. Er wurde am 23.04.2017 evangelisch getauft und ist am 02.05.2018 aus der muslimischen Religionsgemeinschaft ausgetreten. Vormals war er muslimischen Glaubens, sunnitischer Ausrichtung. Er gehört der Volksgruppe der Araber an. Seine Identität steht fest.

Die XXXX -jährige Zweitbeschwerdeführerin ist die Ehefrau des Erstbeschwerdeführers, kinderlos, Staatsangehörige des Irak, stammt aus demselben Ort wie ihr Ehemann, gehört der Volksgruppe der Araber und der muslimischen Glaubensgemeinschaft, sunnitische Richtung, an. Auch ihre Identität steht fest.

Die Beschwerdeführer verließen den Irak im Februar 2014 und führen in die Türkei. Dort hielten sie sich auf, bis der Erstbeschwerdeführer im August 2015 nach Österreich weiterreiste und am 13.08.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Die Zweitbeschwerdeführerin verblieb noch mehrere Monate bei einem Onkel, bis sie ihrem Ehemann nachreiste und am 03.01.2016 ihren Antrag auf Asyl stellte. Seit ihren Anträgen halten sich die Beschwerdeführer durchgehend im Bundesgebiet auf.

Der Erstbeschwerdeführer hat im Irak neun Jahre die Schule besucht und war im Anschluss für acht Jahre Soldat. Nachdem er die Armee verlassen hatte, gründete er eine Landwirtschaft und handelte mit Autos. Er besaß zwei Bauernhöfe mit rund 20ha und drei Autohäuser. Ab 2008 war er Mitglied der Bauerngewerkschaft und ging es der Familie finanziell sehr gut. Die Zweitbeschwerdeführerin war Hausfrau und arbeitete in der Landwirtschaft ihres Ehemannes mit. Der Erstbeschwerdeführer besitzt nach wie vor zwölf Geschäfte, welche von Milizen beschlagnahmt sein sollten.

In ihrer Heimatprovinz leben nach wie vor drei Brüder und vier Schwestern des Erstbeschwerdeführers sowie vier Brüder und vier Schwestern der Zweitbeschwerdeführerin und stehen die Beschwerdeführer mit allen in telefonischem Kontakt. In Deutschland leben ein Bruder, eine Nichte und ein Neffe des Erstbeschwerdeführers.

Keiner der beiden Beschwerdeführer hat bisher ein Deutschzertifikat erlangt. Der Erstbeschwerdeführer besucht seit November 2019 einen Deutschkurs, die Zweitbeschwerdeführerin seit August 2020 einen Basisbildungskurs. Beide sprechen nicht Deutsch. Beide sind keiner Erwerbstätigkeit nachgegangen und finanzieren ihren Aufenthalt über die staatliche Grundversorgung. Sie leben in einem Zimmer, für welches sie nichts bezahlen. Nennenswerte Aktivitäten in ihrer Unterkunft oder außergewöhnliche ehrenamtliche Tätigkeiten liegen nicht vor. Gelegentlich gehen sie mit Bewohnern eines nahegelegenen Seniorenheims spazieren. Der Erstbeschwerdeführer hat Kontakt zu einem örtlichen Landwirt, welchem er am Feld hilft. Ansonsten bestehen keine Anknüpfungspunkte in sozialer, kultureller oder beruflicher Hinsicht. Strafgerichtlich sind die Beschwerdeführer nicht in Erscheinung getreten.

1.2. Zum Gesundheitszustand der Beschwerdeführer:

Der Erstbeschwerdeführer leidet an Diabetes und Bluthochdruck. Gegen beide Erkrankungen nimmt er Tabletten ein.

Die Zweitbeschwerdeführerin leidet seit einem Vorfall im Irak im Jahr 2004 an einer posttraumatischen Belastungsstörung und ist deshalb seit Februar 2018 in psychotherapeutischer Behandlung. Medikamente nimmt sie nicht ein.

Die Erkrankungen der Beschwerdeführer sind nicht akut lebensbedrohlich und ist eine grundlegende Behandlungsmöglichkeit im Irak gegeben. Beide Beschwerdeführer sind arbeitsfähig.

1.3. Zu den Fluchtmotiven der Beschwerdeführer:

Der Erstbeschwerdeführer war entgegen seinem Vorbringen keiner persönlichen Verfolgung durch eine örtliche Partei oder durch schiitische Milizen im Irak ausgesetzt. Vielmehr ist davon auszugehen, dass er aufgrund der damaligen Sicherheitslage den Irak auf legalem Weg verlassen hat.

Der Zweitbeschwerdeführerin droht im Falle einer Rückkehr keine Verfolgung aus geschlechtsspezifischen Gründen aufgrund ihrer westlichen Lebenseinstellung.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Erstbeschwerdeführer aus innerer Überzeugung zum Christentum konvertiert ist und ihm droht ihm daher aus diesem Grund auch keine Verfolgung.

Die Beschwerdeführer werden im Falle ihrer Rückkehr in den Irak mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keiner wie auch immer gearteten existentiellen Bedrohung ausgesetzt sein. Weder wird ihnen ihre Lebensgrundlage gänzlich entzogen, noch besteht für sie die reale Gefahr einer ernsthaften Bedrohung ihres Lebens oder ihrer Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes.

1.3. Zur Lage im Irak:

Im gegebenen Zusammenhang sind die folgenden Informationen von Relevanz und werden festgestellt:

Die aktuelle Lage im Irak hat sich seit dem militärischen Sieg über den IS zunehmend stabilisiert. Im Dezember 2017 erklärte die irakische Regierung den militärischen, territorialen Sieg über den Islamischen Staat (IS) (Reuters 9.12.2017; vgl. AI 26.2.2019). Die Sicherheitslage hat sich, seitdem verbessert (FH 4.3.2020). Ende 2018 befanden sich die irakischen Sicherheitskräfte (ISF) in der nominellen Kontrolle über alle vom IS befreiten Gebiete (USDOS 1.11.2019).

Im Gouvernement Salah ad-Din ist der IS hauptsächlich in ländlichen Regionen aktiv. Im Dezember 2019 setzte der IS erstmals seit Mai 2019 wieder Autobomben ein (Joel Wing 6.1.2020). Drei derartige Attacken trafen Sicherheitskräfte der PMF (Joel Wing 6.1.2020; vgl. Rudaw 12.12.2019; Anadolu 13.12.2019), zusätzlich zu einem Vorfall mit einem Selbstmordattentäter mit Sprengstoffweste (Joel Wing 6.1.2020; vgl. NINA 29.12.2019).

Für den Zeitraum von November 2019 bis Jänner 2020 wurden im Gouvernement Salah ad-Din 78 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 27 Toten und 42 Verletzten verzeichnet (Joel Wing 2.12.2019; vgl. Joel Wing 6.1.2020; Joel Wing 3.2.2020), im Februar 2020 waren es sechs Vorfälle mit zehn Toten und vier Verletzten (Joel Wing 5.3.2020). Während die übrigen Vorfälle dem IS zugeschrieben werden, werden für zwei Vorfälle im Jänner 2020 - ein Raketen-, bzw. ein Mörserbeschuss auf den Militärstützpunkt Balad - pro-iranische PMF verantwortlich gemacht (Joel Wing 3.2.2020).

Der Anteil an willkürlicher Gewalt ist nach den Beobachtungen von ACLED und UNAMI in der Provinz Salah al-Din höher als in anderen Bereichen, allerdings nicht auf hohem Niveau. Der Anteil an der gesamten IDP-Bevölkerung im Irak beträgt 11%, gleichzeitig steht aber die Provinz bei den Rückkehrern an dritter Stelle und leidet an besonders vielen Schäden der Infrastruktur. Salah al-Din war eine der ersten Provinzen, welche vom IS befreit wurde und wies in den Jahren 2019 und 2020 die niedrigsten IS-Aktivitäten auf. Dazu wird auf den EASO-Bericht Country Guidance zum Irak mit Stand Jänner 2021 (Seiten 150 f) verwiesen.

Der Staat kann die Grundversorgung der Bürger nicht kontinuierlich und in allen Landesteilen gewährleisten (AA 12.1.2019). Der irakische humanitäre Reaktionsplan schätzt, dass im Jahr 2019 etwa 6,7 Millionen Menschen dringend Unterstützung benötigten (IOM o.D.; vgl. USAID 30.9.2019). Trotz internationaler Hilfsgelder bleibt die Versorgungslage für ärmere Bevölkerungsschichten schwierig. Die grassierende Korruption verstärkt vorhandene Defizite zusätzlich. In vom Islamischen Staat (IS) befreiten Gebieten muss eine Grundversorgung nach Räumung der Kampfmittel erst wiederhergestellt werden. Einige Städte sind weitgehend zerstört. Die Stabilisierungsbemühungen und der Wiederaufbau durch die irakische Regierung werden intensiv vom United Nations Development Programme (UNDP) und internationalen Gebern unterstützt (AA 12.1.2019).

Nach Angaben der UN-Agentur UN-Habitat leben 70% der Iraker in Städten, die Lebensbedingungen von einem großen Teil der städtischen Bevölkerung gleichen denen von Slums (AA 12.1.2019). Die Iraker haben eine dramatische Verschlechterung in Bezug auf die Zurverfügungstellung von Strom, Wasser, Abwasser- und Abfallentsorgung, Gesundheitsversorgung, Bildung, Verkehr und Sicherheit erlebt. Der Konflikt hat nicht nur in Bezug auf die Armutsraten, sondern auch bei der Erbringung staatlicher Dienste zu stärker ausgeprägten räumlichen Unterschieden geführt. Der Zugang zu diesen Diensten und deren Qualität variiert demnach im gesamten Land erheblich (K4D 18.5.2018). Die über Jahrzehnte internationaler Isolation und Krieg vernachlässigte Infrastruktur ist sanierungsbedürftig (AA 12.1.2019).

Die Preise für Grundnahrungsmittel haben sich im Irak nicht wesentlich verändert; bei bestimmten Gütern kam es jedoch zu standortspezifischen Preisschwankungen. In einer offiziellen Erklärung erklärte das Handelsministerium, dass der Mangel an finanziellen Zuweisungen die Fähigkeit des Ministeriums in Frage stelle, PDS-Güter (Public Distribution System) konsequent zu beschaffen (WFP 2.6.2020)

Der Irak erholt sich nur langsam vom Terror des IS und seinen Folgen. Nicht nur sind ökonomisch wichtige Städte wie Mossul zerstört worden. Dies trifft das Land, nachdem es seit Jahrzehnten durch Krieg, Bürgerkrieg, Sanktionen zerrüttet wurde. Wiederaufbauprogramme laufen bereits, vorsichtig-positive Wirtschaftsprognosen traf die Weltbank im April 2019 (GIZ 1.2020c). Iraks Wirtschaft erholt sich allmählich nach den wirtschaftlichen Herausforderungen und innenpolitischen Spannungen der letzten Jahre. Während das BIP 2016 noch um 11% wuchs, verzeichnete der Irak 2017 ein Minus von 2,1%. 2018 zog die Wirtschaft wieder an und verzeichnete ein Plus von ca. 1,2% aufgrund einer spürbaren Verbesserung der Sicherheitsbedingungen und höherer Ölpreise. Für 2019 wurde ein Wachstum von 4,5% und für die Jahre 2020–23 ebenfalls ein Aufschwung um die 2-3%-Marke erwartet (WKO 18.10.2019).

Das Erdöl stellt immer noch die Haupteinnahmequelle des irakischen Staates dar (GIZ 1.2020c). Rund 90% der Staatseinnahmen stammen aus dem Ölsektor. Der Irak besitzt kaum eigene Industrie jenseits des Ölsektors. Hauptarbeitgeber ist der Staat (AA 12.1.2019).

Die Arbeitslosenquote, die vor der IS-Krise rückläufig war, ist über das Niveau von 2012 hinaus auf 9,9% im Jahr 2017/18 gestiegen. Unterbeschäftigung ist besonders hoch bei IDPs. Fast 24% der IDPs sind arbeitslos oder unterbeschäftigt (im Vergleich zu 17% im Landesdurchschnitt). Ein Fünftel der wirtschaftlich aktiven Jugendlichen ist arbeitslos, ein weiters Fünftel weder erwerbstätig noch in Ausbildung (WB 12.2019).

Die Armutsrate im Irak ist aufgrund der Aktivitäten des IS und des Rückgangs der Öleinnahmen gestiegen (OHCHR 11.9.2019). Während sie 2012 bei 18,9% lag, stieg sie während der Krise 2014 auf 22,5% an (WB 19.4.2019). Einer Studie von 2018 zufolge ist die Armutsrate im Irak zwar wieder gesunken, aber nach wie vor auf einem höheren Niveau als vor dem Beginn des IS-Konflikt 2014, wobei sich die Werte, abhängig vom Gouvernement, stark unterscheiden. Die südlichen Gouvernements Muthanna (52%), Diwaniya (48%), Maisan (45%) und Dhi Qar (44%) weisen die höchsten Armutsraten auf, gefolgt von Ninewa (37,7%) und Diyala (22,5%). Die niedrigsten Armutsraten weisen die Gouvernements Dohuk (8,5%), Kirkuk (7,6%), Erbil (6,7%) und Sulaymaniyah (4,5%) auf. Diese regionalen Unterschiede bestehen schon lange und sind einerseits auf die Vernachlässigung des Südens und andererseits auf die hohen Investitionen durch die Regionalregierung Kurdistans in ihre Gebiete zurückzuführen (Joel Wing 18.2.2020). Die Regierung strebt bis Ende 2022 eine Senkung der Armutsrate auf 16% an (Rudaw 16.2.2020).

Grundsätzlich ist der öffentliche Sektor sehr gefragt. Die IS-Krise und die Kürzung des Budgets haben Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt im privaten und öffentlichen Sektor. Arbeitsmöglichkeiten haben im Allgemeinen abgenommen. Die monatlichen Einkommen im Irak liegen in einer Bandbreite zwischen 200 und 2.500 USD (Anm.: ca. 185-2.312 EUR), je nach Position und Ausbildung. Das Ministerium für Arbeit und Soziales bietet Unterstützung bei der Arbeitssuche und stellt Arbeitsagenturen in den meisten Städten. Die Regierung hat auch ein Programm gestartet, um irakische Arbeitslose und Arbeiter, die weniger als 1 USD (Anm.: ca. 0,9 EUR) pro Tag verdienen, zu unterstützen. Aufgrund der Situation im Land wurde die Hilfe jedoch eingestellt. Weiterbildungsmöglichkeiten werden durch Berufsschulen, Trainingszentren und Agenturen angeboten. Aufgrund der derzeitigen Situation im Land sind derzeit keine dieser Weiterbildungsprogramme, die nur durch spezielle Fonds zugänglich sind, aktiv (IOM 1.4.2019).

Das Gesundheitswesen besteht aus einem privaten und einem öffentlichen Sektor. Grundsätzlich sind die Leistungen des privaten Sektors besser, zugleich aber auch teurer. Ein staatliches Krankenversicherungssystem existiert nicht. Alle irakischen Staatsbürger, die sich als solche ausweisen können - für den Zugang zum Gesundheitswesen wird lediglich ein irakischer Ausweis benötigt - haben Zugang zum Gesundheitssystem. Fast alle Iraker leben etwa eine Stunde vom nächstliegenden Krankenhaus bzw. Gesundheitszentrum entfernt. In ländlichen Gegenden lebt jedoch ein bedeutender Teil der Bevölkerung weiter entfernt von solchen Einrichtungen (IOM 1.4.2019). Staatliche wie private Krankenhäuser sind fast ausschließlich in den irakischen Städten zu finden. Dort ist die Dichte an praktizierenden Ärzten, an privaten und staatlichen Kliniken um ein Vielfaches größer. Gleiches gilt für Apotheken und medizinische Labore. Bei der Inanspruchnahme privatärztlicher Leistungen muss zunächst eine Art Praxisgebühr bezahlt werden. Diese beläuft sich in der Regel zwischen 15.000 und 20.000 IQD (Anm.: ca. 12-16 EUR). Für spezielle Untersuchungen und Laboranalysen sind zusätzliche Kosten zu veranschlagen. Außerdem müssen Medikamente, die man direkt vom Arzt bekommt, gleich vor Ort bezahlt werden. In den staatlichen Zentren zur Erstversorgung entfällt zwar in der Regel die Praxisgebühr, jedoch nicht die Kosten für eventuelle Zusatzleistungen. Darunter fallen etwa Röntgen- oder Ultraschalluntersuchungen (GIZ 12.2019).

Die COVID-19-Pandemie stellte den Irak weiterhin vor gesundheitliche und andere Herausforderungen, obwohl die von der Regierung gemeldete Übertragungsrate stetig zurückgeht. Obwohl die Zahl der vom Gesundheitsministerium gemeldeten Fälle auf 602.938 (einschließlich 12.895 Todesfälle, Stand: 10. Januar) anstieg, erhöhte sich die Heilungsrate auf mehr als 92 Prozent, während die Sterberate bei 2,1 Prozent blieb. Nach Angaben der irakischen Regierung erhöhten die Gesundheitsbehörden die Zahl der COVID-19-Tests auf 30.000 bis 40.000 täglich. Die täglich gemeldete Zahl der Fälle erreichte ihren Höhepunkt und ging dann im Berichtszeitraum zurück, was auf einen Rückgang der Übertragungsrate (0,86) im gesamten Irak hinweist. Im Vergleich zu Anfang November sank die wöchentliche Zahl der Infektionen und COVID-19-bedingten Todesfälle um 70 bzw. 60 Prozent. Die Rate der positiven Tests fiel auf 2,3 Prozent, was darauf hindeutet, dass eine angemessene Menge an Tests durchgeführt wurde. Dennoch stellte COVID-19 weiterhin eine Bedrohung für das fragile Gesundheitssystem des Landes dar.

Die Weltgesundheitsorganisation arbeitete weiterhin mit Regierungsministerien und -institutionen zusammen, um Aufklärungskampagnen über COVID-19 in den Gemeinden durchzuführen, die Millionen von Irakern, einschließlich Flüchtlingen und Binnenvertriebenen, erreichten. Die Internationale Organisation für Migration unterstützte das Screening und Triaging für COVID-19 in 28 Gesundheitseinrichtungen. 53 Mitarbeiter des Gesundheitswesens wurden in der Infektionsprävention und -kontrolle geschult. Beamte des öffentlichen Gesundheitswesens an der Grenze erhielten Schulungen zu internationalen Gesundheitsvorschriften. Die Internationale Organisation für Migration unterstützte die Hotline des irakischen Hochkommissariats für Menschenrechte in Bagdad, indem sie psychosoziale Unterstützung für die von der Pandemie Betroffenen leistete. Bislang wurden über 500 Menschen erreicht. (UN Bericht, Security Council vom 08.02.2021, S/+2021/120_Seite 12-13).

Die freiwillige Rückkehrbewegung irakischer Flüchtlinge aus anderen Staaten befindet sich im Vergleich zum Umfang der Rückkehr der Binnenflüchtlinge auf einem deutlich niedrigeren, im Vergleich zu anderen Herkunftsstaaten aber auf einem relativ hohen Niveau. Die Sicherheit von Rückkehrern ist von einer Vielzahl von Faktoren abhängig – u.a. von ihrer ethnischen und religiösen Zugehörigkeit, ihrer politischen Orientierung und den Verhältnissen vor Ort. Zu einer begrenzten Anzahl an Abschiebungen in den Zentralirak kommt es jedenfalls aus Deutschland, Großbritannien, Schweden und Australien. Rückführungen aus Deutschland in die Kurdischen Region im Irak (KRI) finden regelmäßig statt. In der KRI gibt es mehr junge Menschen, die sich nach ihrer Rückkehr organisieren. Eine Fortführung dieser Tendenzen wird aber ganz wesentlich davon abhängen, ob sich die wirtschaftliche Lage in der KRI kurz- und mittelfristig verbessern wird (AA 12.1.2019).

Studien zufolge ist die größte Herausforderung für Rückkehrer die Suche nach einem Arbeitsplatz bzw. Einkommen. Andere Herausforderungen bestehen in der Suche nach einer bezahlbaren Wohnung, psychischen und psychologischen Problemen, sowie negativen Reaktionen von Freunden und Familie zu Hause im Irak (IOM 2.2018; vgl. REACH 30.6.2017).

Die Höhe einer Miete hängt vom Ort, der Raumgröße und der Ausstattung der Unterkunft ab. Außerhalb des Stadtzentrums sind die Preise für gewöhnlich günstiger (IOM 1.4.2019). Die Miete für 250 m² in Bagdad liegt bei ca. 320 USD (Anm.: ca. 296 EUR) (IOM 13.6.2018). Die Wohnungspreise in der KRI sind 2018 um 20% gestiegen, während die Miete um 15% gestiegen ist, wobei noch höhere Preise prognostiziert werden (Ekurd 8.1.2019). In den Städten der KRI liegt die Miete bei 200-600 USD (Anm.: ca. 185-554 EUR) für eine Zweizimmerwohnung. Der Kaufpreis eines Hauses oder Grundstücks hängt ebenfalls von Ort, Größe und Ausstattung ab. Während die Nachfrage nach Mietobjekten stieg, nahm die Nachfrage nach Kaufobjekten ab. Durchschnittliche Betriebskosten betragen pro Monat 15.000 IQD (Anm.: ca. 12 EUR) für Gas, 10.000-25.000 IQD (Anm.: ca. 8-19 EUR) für Wasser, 30.000-40.000 IQD (Anm.: ca. 23-31 EUR) für Strom (staatlich) und 40.000-60.000 IQD (Anm.: ca. 31-46 EUR) für privaten oder nachbarschaftlichen Generatorenstrom. Die Rückkehr von IDPs in ihre Heimatorte hat eine leichte Senkung der Mietpreise bewirkt. Generell ist es für alleinstehende Männer schwierig Häuser zu mieten, während es in Hinblick auf Wohnungen einfacher ist (IOM 1.4.2019).

Die lange Zeit sehr angespannte Lage auf dem Wohnungsmarkt wird zusehends besser, jedoch gibt es sehr viel mehr Kauf- als Mietangebote. In der Zeit nach Saddam Hussen sind die Besitzverhältnisse von Immobilien zuweilen noch ungeklärt. Nicht jeder Vermieter besitzt auch eine ausreichende Legitimation zur Vermietung (GIZ 12.2019).

Im Zuge seines Rückzugs aus der nordwestlichen Region des Irak, 2016 und 2017, hat der Islamische Staat (IS) die landwirtschaftlichen Ressourcen vieler ländlicher Gemeinden ausgelöscht, indem er Brunnen, Obstgärten und Infrastruktur zerstörte. Für viele Bauerngemeinschaften gibt es kaum noch eine Lebensgrundlage (USCIRF 4.2019). Im Rahmen eines Projekts der UN-Agentur UN-Habitat und des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (UNDP) wurden im Distrikt Sinjar, Gouvernement Ninewa, binnen zweier Jahre 1.064 Häuser saniert, die während der IS-Besatzung stark beschädigt worden waren. 1.501 Wohnzertifikate wurden an jesidische Heimkehrer vergeben (UNDP 28.4.2019).

Es besteht keine öffentliche Unterstützung bei der Wohnungssuche für Rückkehrer. Private Immobilienfirmen können jedoch helfen (IOM 1.4.2019).

Schätzungen gehen davon aus, dass heute noch etwa 200.000 bis 400.000 Christen im Irak leben (zum Vergleich 2003: 1,5 Mio.) (AA 12.1.2019). Nach Angaben christlicher Führer sind weniger als 250.000 Christen im Irak verblieben (USCIRF 4.2019; vgl. USDOS 21.6.2019). Kernland der christlichen Gemeinschaften im Irak ist der Nordwesten des Landes, die Ninewa-Ebene (USCIRF 4.2019). Ca. 67% der irakischen Christen sind chaldäische Katholiken, fast 20% Mitglieder der Assyrischen Kirche des Ostens. Der Rest sind syrisch-orthodoxe, syrisch-katholische, armenisch-katholische, armenisch-apostolische, anglikanische Christen und andere Protestanten. In der Kurdischen Region im Irak (KRI) gibt es etwa 3.000 evangelikale Christen (Angehörige protestantischer Freikirchen) (USDOS 21.6.2019).

Das Christentum ist per Personenstandsgesetz anerkannt und kann auf den nationalen Identitätsausweisen ausgewiesen werden. Religiöse Angelegenheiten der Christen werden durch das Amt (Diwan) für Religiöse Stiftungen für Christen, Jesiden und Mandäer/Sabäer verwaltet (USDOS 21.6.2019).

Christen in den von der PMF kontrollierten Städten, insbesondere im mehrheitlich christlichen Distrikt Hamdaniya in Ninewa berichten über Belästigung christlicher Frauen durch PMF-Mitglieder. Christen berichten auch über Versuche von Teilen der Zentralregierung in Bagdad, einen demographischen Wandel zu erleichtern, indem in traditionell christlichen Gebieten Land und Wohnungen für schiitische und sunnitische Muslime zur Verfügung gestellt werden (USDOS 21.6.2019). Die irakische Regierung hat Beschwerden assyrischer und chaldäischer Christen über eine illegale Enteignung ihres Landes im Anschluss an ihre vorübergehende Vertreibung durch den IS im Gouvernement Ninewa weitgehend ignoriert. Heimkehrende christliche Familien sehen sich mit einem Besitzanspruch sunnitischer Araber oder Kurden konfrontiert (USCIRF 4.2019).

Christen werden von der muslimischen Mehrheitsbevölkerung bei von muslimischen Moralvorstellungen abweichendem Verhalten, wie z.B. Alkoholverkauf, unter Druck gesetzt, manchmal auch durch PMF (DIS/Landinfo 5.11.2018).

2. Beweiswürdigung:

Der festgestellte Verfahrensgang und Sachverhalt ergeben sich zunächst aus dem Inhalt des Behörden- und Gerichtsaktes, insbesondere aus den Angaben der Beschwerdeführer bei ihren Einvernahmen im Zuge des Verwaltungsverfahrens und in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht. Hinzu kommen die von ihnen vorgelegten Unterlagen sowie Abfragen aus ZMR, AJ-Web, IZR und Strafregister.

2.1. Zur Person der Beschwerdeführer:

Die Feststellungen zu den Lebensumständen, zur Herkunft und zur Volksgruppenzugehörigkeit der Beschwerdeführer beruhen auf ihren diesbezüglich gleichbleibenden und übereinstimmenden Angaben im gesamten Verfahren. Taufe und Austritt aus der muslimischen Religionsgemeinschaft des Erstbeschwerdeführers sind durch die entsprechenden, am 24.09.2020 in Vorlage gebrachten, Bestätigungen belegt. Die Zweitbeschwerdeführerin gab gleichbleibend an, sunnitischen Glaubens zu sein. Aufgrund der im Verwaltungsakt einliegenden irakischen Reisepässe steht die Identität der Beschwerdeführer zweifelsfrei fest.

Auch zum Fluchtzeitpunkt und der Fluchtroute konnte den Beschwerdeführer letztlich gefolgt werden, auch wenn der Erstbeschwerdeführer in der Erstbefragung noch davon abweichende Angaben machte. Zeitpunkt der Antragstellung und Aufenthalt in Österreich ergeben sich zweifelsfrei aus dem Verwaltungsakt.

Die Feststellungen zur Schulbildung, Berufserfahrung und unternehmerischen Tätigkeit der Beschwerdeführer folgen ihren Angaben in der mündlichen Verhandlung am 14.06.2021. Dass es der Familie finanziell sehr gut ging, gab der Erstbeschwerdeführer in seiner niederschriftlichen Einvernahme am 04.05.2017 ausdrücklich an.

Die Feststellungen zu den Familienangehörigen im Irak ergeben sich aus den Angaben beider Beschwerdeführer in ihren niederschriftlichen Einvernahmen am 04.05.2017. Dass die Beschwerdeführer mit ihnen in telefonischem Kontakt stehen, gaben sie in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich an. Ebenso folgen die Feststellungen zu den Familienmitgliedern in Deutschland dem Vorbringen in der mündlichen Verhandlung.

Beide Beschwerdeführer gaben in der mündlichen Verhandlung an, kein Deutschzertifikat erlangt zu haben. Dass beide nicht Deutsch sprechen, ergibt sich aufgrund des gewonnenen persönlichen Eindrucks in der mündlichen Verhandlung. Der Besuch von Deutschkurs bzw. Basisbildungskurs ist durch die vorgelegten Bestätigungen ersichtlich. Auch die übrigen Feststellungen zu den integrativen Merkmalen folgen dem Vorbringen der beiden Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung. Dass die Beschwerdeführer in Österreich bisher keiner Erwerbstätigkeit nachgingen, ergibt sich aus den eingeholten Sozialversicherungsauszügen. Hinweise auf eine nennenswerte Integration haben sich im Verfahren nicht ergeben. Die strafgerichtliche Unbescholtenheit ist aus dem eingeholten Strafregisterauszug ersichtlich.

2.2. Zum Gesundheitszustand der Beschwerdeführer:

Dass der Erstbeschwerdeführer an Diabetes und Bluthochdruck leidet und dagegen Medikamente einnimmt, brachte er erstmals in der mündlichen Verhandlung am 14.06.2021 vor. Dabei gab er jedoch auch ausdrücklich an, dass es ihm gesundheitlich gut gehe (Verhandlungsprotokoll, S. 9). In der niederschriftlichen Einvernahme am 04.05.2017 gab er noch ausdrücklich an, gesund zu sein (AS 33). Medizinische Unterlagen wurden nicht in Vorlage gebracht.

Dass die Zweitbeschwerdeführerin seit einem Vorfall im Irak im Jahr 2004 an einer posttraumatischen Belastungsstörung leidet und sich deshalb seit Februar 2018 in psychotherapeutischer Behandlung befindet, ist aufgrund der im Rahmen der mündlichen Verhandlung vorgelegten fachlichen Äußerung ihrer behandelnden Psychotherapeutin belegt. Die Zweitbeschwerdeführerin gab auf Nachfrage ausdrücklich an, keine Medikamente einzunehmen.

Aus den getroffenen Länderfeststellungen ergibt sich, dass eine grundlegende Gesundheitsversorgung im Irak gewährleistet ist. Dass es sich bei den Erkrankungen der Beschwerdeführer um solche handelt, welche mit Lebensgefahr verbunden wären, wurde nicht behauptet. Insbesondere hat auch der Erstbeschwerdeführer keinerlei Unterlagen zu seinem Zustand vorgelegt, sodass nicht von einer lebensbedrohlichen Erkrankung auszugehen ist. Die Beschwerdeführer gaben in der mündlichen Verhandlung an, in Österreich arbeiten zu wollen, weshalb in Zusammenschau mit ihrem erwerbsfähigen Alter ihre Arbeitsfähigkeit festzustellen war.

2.3. Zu den Fluchtgründen und einer Rückkehrgefährdung der Beschwerdeführer:

Im Rahmen des Asylverfahrens trifft den Asylwerber eine Mitwirkungspflicht. Er muss eine ihm drohende Behandlung oder Verfolgung im Herkunftsstaat glaubhaft machen.

Das Vorbringen des Asylwerbers muss, um eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit und nicht nur eine entfernte Möglichkeit einer Verfolgung glaubhaft zu machen, eine entsprechende Konkretisierung aufweisen. Die allgemeine Behauptung von Verfolgungssituationen, wie sie in allgemein zugänglichen Quellen auffindbar sind, genügt zur Dartuung von selbst Erlebtem grundsätzlich nicht. Das Vorbringen des Asylwerbers ist auch nicht hinreichend substantiiert, wenn Sachverhalte nur sehr vage geschildert werden und der Asylwerber nicht in der Lage ist, detaillierte Angaben über seine Erlebnisse zu machen. Der Beschwerdeführer hatte insgesamt dreimal die Gelegenheit seine Fluchtgründe zu schildern. Dabei war er nicht in der Lage, die erlittene Verfolgung konsistenten und plausibel darzulegen und erachtet das Bundesverwaltungsgericht das gesamte Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers als äußerst unglaubwürdig, wie im Folgenden näher erläutert wird:

So wird die Glaubwürdigkeit der Beschwerdeführer bereits dadurch schwer belastet, dass sie in ihrer jeweiligen Erstbefragung am 15.08.2015 bzw. 03.01.2016 nur auf den Krieg im Irak, die allgemeine Sicherheitslage im Zusammenhang mit Milizen und die fehlende Existenzgrundlage verwiesen.

Zwei Jahre später, bei den Einvernahmen durch die belangte Behörde am 04.05.2017 wurde dann vorgebracht, dass der Erstbeschwerdeführer in seiner Funktion als Kapitalverwalter einer Bauerngewerkschaft von Unbekannten zur Zahlung eines gewissen Geldbetrages aufgefordert worden sei. Er habe dann über diesen Betrag verhandelt und wären nach erfolglosem Abschluss der Verhandlungen zwei Mal drei unbekannte Personen zum Haus der Beschwerdeführer gekommen und hätten nach dem Erstbeschwerdeführer gefragt. Eine Bedrohung habe es nie gegeben.

Das Bundesverwaltungsgericht verkennt zunächst nicht, dass die Erstbefragung nicht der Erörterung der Fluchtgründe dient, es ist aber davon auszugehen, dass ein Schutzsuchender, der einen langwierigen, anstrengenden und letztendlich auch schlepperunterstützen und damit kostspieligen Weg auf sich nimmt, von Anbeginn die essentiellen Bestandteile seiner Fluchtgeschichte stringent und widerspruchsfrei vorbringt.

Nicht umsonst obliegt es einem Asylwerber, bei den in seine Sphäre fallenden Ereignissen, insbesondere seinen persönlichen Erlebnissen und Verhältnissen, von sich aus eine Schilderung zu geben, die geeignet ist, seinen Asylanspruch lückenlos zu tragen und er hat unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern. Die Behörde bzw. das Gericht muss somit die Überzeugung von der Wahrheit des von einem Asylwerber behaupteten individuellen Schicksals erlangen, aus dem er seine Furcht vor asylrelevanter Verfolgung herleitet. Es kann zwar durchaus dem Asylwerber nicht die Pflicht auferlegt werden, dass dieser hinsichtlich asylbegründeter Vorgänge einen Sachvortrag zu Protokoll geben muss, der auf Grund unumstößlicher Gewissheit als der Wirklichkeit entsprechend gewertet werden muss, die Verantwortung eines Antragstellers muss jedoch darin bestehen, dass er bei tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit die Ereignisse schildert.

Eine derartige Steigerung des Fluchtvorbringens beider Beschwerdeführer, von einer allgemeinen Bedrohung durch die damalige Sicherheitslage hin zu einem sehr konkreten Fluchtvorbringen in Zusammenhang mit der Verwaltung von mehreren Millionen Dollar an Kapital einer Bauerngewerkschaft, sind weder durch Stress noch durch mangelhafte Dolmetscherleistungen - welche im Übrigen auch nicht behauptet wurde - zu erklären. Sie stellen nur untaugliche Versuche dar, über eine konstruierte und nicht erlebte Fluchtgeschichte eine Aufenthaltsberechtigung zu erlangen. Unabhängig davon wurden den Beschwerdeführern ihre Angaben unmittelbar nach ihrer Ersteinvernahme rückübersetzt und von ihnen in dieser Form bestätigt.

Dessen ungeachtet würde es sich beim gesamten Fluchtvorbringen der Beschwerdeführer selbst bei Wahrunterstellung nicht um eine asylrelevante Verfolgung handeln. Die Beschwerdeführer schilderten ausschließlich, dass sie Opfer von kriminelle Aktivitäten waren, nicht aber eine persönliche Verfolgung aufgrund ihrer Rasse, Religion oder politischen Einstellung. Dies bestätigte die Zweitbeschwerdeführerin letztlich auch in der mündlichen Verhandlung, als sie auf Nachfrage angab, bei den beiden Besuchen der ihr unbekannten Personen weder bedroht noch verletzt worden zu sein (Verhandlungsprotokoll, S. 8).

Dass die Beschwerdeführer von „radikal-schiitischen Milizen“ verfolgt worden wären, wurde ausschließlich im Beschwerdeschriftsatz (unsubstantiiert) behauptet. Die Beschwerdeführer selbst machten schiitische Milizen im gesamten Verfahren nicht als ihre Verfolger namhaft. Es ist daher viel eher davon auszugehen, dass die Beschwerdeführer - entsprechend ihrem Vorbringen in den Erstbefragungen - den Irak aufgrund der unstrittig volatilen Sicherheitslage im Jahr 2014 verlassen haben.

Auch eine Bedrohung der Zweitbeschwerdeführerin aus „geschlechtsspezifischen Gründen aufgrund ihrer westlichen Lebenseinstellung“ wurde lediglich im Beschwerdeschriftsatz unsubstantiiert erwähnt und ist nicht geeignet, eine anderslautende Einschätzung zu tragen. So machte die Zweitbeschwerdeführerin selbst diesen Fluchtgrund weder vor der belangten Behörde noch in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht geltend und ergibt sich auch aus dem gewonnen persönlichen Eindruck, dass im Falle der Zweitbeschwerdeführerin nicht von einem westlichen Lebensstil gesprochen werden kann. So trägt die Zweitbeschwerdeführerin ein Kopftuch, ist verheiratet, geht keiner Erwerbstätigkeit nach und haben sich auch sonst keinerlei Hinweise für die Annahme eines westlichen Lebensstils in identitätsstiftender Art und Weise (vgl. VwGH 28.06.2018, Ra 2017/19/0579) ergeben.

Im Weiteren ist für den erkennenden Richter auch nicht glaubhaft, dass der Erstbeschwerdeführer aus innerer Überzeugung zum Christentum konvertiert ist. So konnte er in der mündlichen Verhandlung am 14.06.2021 etwa nicht sagen, wie viele Gebote es im evangelischen und katholischen Glauben gäbe. Zwar würde er den Namen der Kirche nicht kennen, allerdings dort jeden Samstag zur Messe gehen (Verhandlungsprotokoll, S. 5). Diese Angaben sind nicht geeignet, eine tatsächliche Konversion aus innerer Überzeugung glaubhaft zu machen und ergibt sich aus den getroffenen Länderfeststellungen außerdem, dass das Christentum im Irak anerkannt ist und Christen keiner staatlichen Verfolgung ausgesetzt sind.

Daraus resultiert, dass die Beschwerdeführer den Irak weder aufgrund einer Bedrohung durch Unbekannte noch durch schiitische Milizen verlassen haben, und es droht ihnen eine solche auch nicht aufgrund der in Österreich erfolgten Konversion des Erstbeschwerdeführers zum christlichen Glauben oder des Lebensstils der Zweitbeschwerdeführerin.

Die belangte Behörde hatte die verfahrensgegenständlichen Anträge auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen. Das Bundesverwaltungsgericht geht ebenfalls davon aus, dass die Beschwerdeführer in ihrer Heimatprovinz Salah ad-Din, wo sie den weit überwiegenden Teil ihres Lebens verbracht haben und sich die Situation im Einklang mit der allgemeinen Verbesserung der Sicherheitslage im Land in den letzten Jahren weitestgehend stabilisiert hat und zumindest der Erstbeschwerdeführer, als arbeitsfähiger Mann mit Schulbildung und Berufserfahrung durchaus in der Lage sein wird, sich im Irak (wieder) eine Lebensgrundlage zu schaffen. Es sind keinerlei Gründe ersichtlich, weshalb die Beschwerdeführer im Falle ihrer gemeinsamen Rückkehr nach Salah ad-Din, wo nach wie vor ihre gesamte Großfamilie lebt, nicht durch die Aufnahme einer Tätigkeit, selbst wenn es sich dabei um eine Hilfstätigkeit handelt, ihren Lebensunterhalt bestreiten können sollte. Eine grundlegende medizinische Versorgung ist im Irak verfügbar und ergibt sich auch aus der aktuellen Covid-Lage sich keine unmittelbare Bedrohung für die 58- bzw. 59-jährigen Beschwerdeführer.

2.3. Zum Herkunftsstaat:

Die Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat beruhen auf dem aktuellen Länderinformationsbericht der Staatendokumentation für den Irak samt den dort publizierten Quellen und Nachweisen und iVm den aktuelleren Berichten von EASO.

Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie dem Umstand, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängigen Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.

Die allgemeine Lage im Herkunftsstaat und die dem Bundesverwaltungsgericht dazu vorliegenden Berichte wurden im Zuge der Verhandlung mit den Beschwerdeführern erörtert (Verhandlungsprotokoll, S 11) und gaben sie dazu an, dass dies „alles hundertprozentig“ stimmt.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Abweisung der Beschwerde

3.1.    Zur Nichtgewährung von Asyl (Spruchpunkt I. der angefochtenen Bescheide):

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 leg. cit. zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Absch. A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht.

Im Sinne des Art. 1 Absch. A Z 2 GFK ist als Flüchtling anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furch nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich in Folge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Selbst in einem Staat herrschende allgemein schlechte Verhältnisse oder bürgerkriegsähnliche Zustände begründen für sich alleine noch keine Verfolgungsgefahr im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention. Um eine Verfolgung im Sinne des AsylG erfolgreich geltend zu machen, bedarf es einer zusätzlichen, auf asylrelevante Gründe gestützten Gefährdung des Asylwerbers, die über die gleichermaßen die anderen Staatsbürger des Herkunftsstaates treffenden Unbilligkeiten hinausgeht (VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).

Die Beschwerdeführer konnten – wie in der Beweiswürdigung dargelegt – keine Gründe glaubhaft machen, die auf eine persönliche Verfolgung iSd § 3 Abs. 1 AsylG schließen ließen. Das gesamte Fluchtvorbringen ist nicht glaubhaft, sondern vage, allgemein gehalten und unplausibel. Insbesondere wurde keine persönliche Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung dargelegt. Allein aus der allgemeinen Sicherheitslage im Irak zum Ausreisezeitpunkt lässt sich keine persönliche Verfolgung ableiten.

3.2.    Zur Nichtgewährung von subsidiärem Schutz (Spruchpunkt II. der angefochtenen Bescheide):

Gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG ist einem Fremden der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur EMRK (ZPERMRK) bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Im Rahmen der Prüfung des Einzelfalls ist die Frage zu beantworten, ob einem Fremden im Falle der Abschiebung in seinen Herkunftsstaat ein - über eine bloße Möglichkeit hinausgehendes - „real risk“ einer gegen Art 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht (vgl. VwGH 17.10.2019, Ra 2019/18/0372). Die dabei aufgrund konkreter vom Fremden aufgezeigter oder von Amts wegen bekannter Anhaltspunkte anzustellende Gefahrenprognose erfordert eine ganzheitliche Bewertung der Gefahren und hat sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen (vgl. VwGH 29.08.2019, Ra 2019/19/0143).

Die Abschiebung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also bezogen auf den Einzelfall die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK ist nicht ausreichend. Zu berücksichtigen ist auch, dass nur bei Vorliegen exzeptioneller Umstände, die dazu führen, dass der Betroffene im Zielstaat keine Lebensgrundlage vorfindet, die Gefahr einer Verletzung von Art. 3 EMRK angenommen werden kann Das Vorliegen solch exzeptioneller Umstände erfordert detaillierte und konkrete Darlegungen (vgl. VwGH 17.10.2019, Ra 2019/18/0372).

Den Beschwerdeführern droht im Irak wie oben bereits dargelegt wurde - keine asylrelevante Verfolgung.

Auch dafür, dass den Beschwerdeführern im Falle einer Rückkehr in den Irak die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen und die Schwelle des Art. 3 EMRK überschritten wäre, gibt es im vorliegenden Beschwerdefall keinen Anhaltspunkt. Die Beschwerdeführer sind volljährig, arbeitsfähig und leiden an keinen lebensbedrohlichen Erkrankungen. Zwar ergibt sich aus den Feststellungen, dass das Land sich immer noch von den Folgen des IS-Terrors erholt und die Arbeitslosigkeit hoch ist, andererseits trifft die irakische Regierung Maßnahmen zur Stabilisierung und zum Wiederaufbau der Wirtschaft, welche intensiv vom United Nations Development Programm (UNDP) unterstützt werden. Aufgrund seiner Ausbildung und Arbeitserfahrung im Irak sollte der Erstbeschwerdeführer aller Wahrscheinlichkeit nach in der Lage sein, eine Anstellung zu finden, welche ihm eine zumindest einfache Lebensführung ermöglicht, zumal er vor seiner Ausreise finanziell gut situiert war und bei lebensnaher Betrachtungsweise davon auszugehen ist, dass nicht der gesamte Wohlstand verloren ging. Zudem lebt die Großfamilie der Beschwerdeführer nach wie vor in ihrer Heimatprovinz Salah ad-Din und ist bei lebensnaher Betrachtungsweise davon auszugehen, dass die Beschwerdeführer bei einer Rückkehr von ihren Verwandten Unterstützung zu erwarten haben werden.

Der Vollständigkeit halber ist auszuführen, dass im Allgemeinen kein Fremder ein Recht hat in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet oder selbstmordgefährdet ist. Dass die Behandlung im Zielstaat nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, solange es grundsätzlich Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat bzw. in einem bestimmten Teil des Zielstaates gibt. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung des Art 3 EMRK. Solche liegen etwa vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben (VfGH 06.03.2008, B 2400/07).

In Bezug auf den Gesundheitszustand des Erstbeschwerdeführer ergibt sich vor dem Hintergrund der dargestellten Rechtsprechung nicht, dass hier außergewöhnliche Umstände gegeben wären, die eine Rückkehr in den Herkunftsstaat - unbeschadet des möglichen Umstandes, dass dort eine mit österreichischen Verhältnissen vergleichbare qualitativ hochwertige medizinische Behandlung nicht zu erwarten ist - ausschließen würden. Wie sich aus der dargestellten Rechtsprechung ergibt, ist nämlich der Umstand allein, dass ein vergleichbarer Standard in der medizinischen Behandlung nicht besteht, nicht geeignet, einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK zu begründen. Fallbezogen erreicht die sich aus den Bescheinigungsmitteln ergebende Gesundheitsbeeinträchtigung des Erstbeschwerdeführers auch nicht jenes sehr außergewöhnliche Ausmaß an Leidenszuständen, wie es in der Rechtsprechung des EGMR für das Vorliegen eines Abschiebehindernisses nach Art. 3 EMRK gefordert wird. Selbiges gilt für die posttraumatische Belastungsstörung der Zweitbeschwerdeführerin, da nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte nämlich selbst schwere psychische Krankheiten wie PTBS und sogar Selbstmordgefahr (EGMR 22.09.2005, Fall Kaldik, Appl. 28526) sowie schwere Depression und Selbstmordgefahr (EGMR 31.05.2005, Ovidenko, Appl. 1383/04), der Abschiebung nicht im Wege stehen.

Aufgrund der aktuellen Situation ist zudem festzuhalten, dass auch die Ausbreitung der Covid-19 Infektion einer Rückkehr nicht entgegensteht. So sind die Beschwerdeführer 58 bzw. 59 Jahre alt und leidet an keinen schweren gesundheitlichen Beeinträchtigungen, weshalb kein wesentlich erhöhtes Risiko einer Infektion bzw. eines schweren Verlaufs im Falle einer Rückkehr in den Irak besteht. Zudem hätten die Beschwerdeführer ob des notorisch bekannten Impffortschritts in Österreich zum Entscheidungszeitpunkt nunmehr jedenfalls die Möglichkeit einer Schutzimpfung gehabt.

Damit sind die Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in den Irak nicht in ihrem Recht gemäß Art. 3 EMRK verletzt, weil die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz im konkreten Fall gedeckt werden können. Dass die Beschwerdeführer allenfalls in Österreich wirtschaftlich gegenüber ihrer Situation im Irak bessergestellt sind, genügt nicht für die Annahme, sie würden dort keine Lebensgrundlage vorfinden und somit ihre Existenz nicht decken können. Es fehlen im vorliegenden Fall alle Hinweise auf derart exzeptionelle Umstände.

Ganz allgemein besteht im Irak derzeit keine solche Gefährdungslage, dass gleichsam jeder, der dorthin zurückkehrt, einer Gefährdung im Sinne des Art. 2 und 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur EMRK (ZPEMRK) ausgesetzt wäre.

3.3. Zur Nichterteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG 2005 (Spruchpunkt III. der angefochtenen Bescheide, erster Spruchteil):

Gemäß § 58 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 hat das Bundesamt die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 von Amts wegen zu prüfen, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird. Die formellen Voraussetzungen des § 57 AsylG 2005 sind allerdings nicht gegeben und werden in der Beschwerde auch nicht behauptet. Eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz war den Beschwerdeführern daher nicht zuzuerkennen.

3.4. Zur Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt III. der angefochtenen Bescheide, zweiter Spruchteil):

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz (dem AsylG) mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird.

Gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn er sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält. Gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 AsylG) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt.

Gemäß § 9 Abs. 1 BFA-VG ist die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, wenn dadurch in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird, zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere die in § 9 Abs. 2 Z 1 bis 9 BFA-VG aufgezählten Gesichtspunkte zu berücksichtigen (die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration, die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist).

Zu prüfen ist, ob die von der belangten Behörde verfügte Rückkehrentscheidung mit Art. 8 EMRK vereinbar ist, weil sie nur dann zulässig wäre und nur im verneinenden Fall ein Aufenthaltstitel nach § 55 AsylG überhaupt in Betracht käme. Die Vereinbarkeit mit Art. 8 EMRK ist aus den folgenden Gründen gegeben:

Die Beschwerdeführer halten sich seit ihrer unrechtmäßigen Einreise im August 2015 bzw. Jänner 2016 rund sechs bzw. fünfeinhalb Jahre in Österreich auf. Die Aufenthaltsdauer für sich stellt lediglich eines von mehreren im Zuge der Interessensabwägung zu berücksichtigenden Kriterien dar und das persönliche Interesse des Fremden an einem Verbleib in Österreich nimmt grundsätzlich mit der Dauer des bisherigen Aufenthalts des Fremden zu. Daneben ist anhand der jeweiligen Umstände des Einzelfalles vor allem zu prüfen, inwieweit der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit dazu genützt hat, sich sozial und beruflich zu integrieren. Bei der Einschätzung des persönlichen Interesses ist auch auf die Auswirkungen, die eine Aufenthaltsbeendigung auf die familiären oder sonstigen Bindungen des Fremden hätte, Bedacht zu nehmen (VwGH 12.11.2019, Ra 2019/20/0422).

Der Aufenthalt der Beschwerdeführer beruht auf einer vorläufigen, nicht endgültig gesicherten rechtlichen Grundlage, weshalb diese während der gesamten Dauer des Aufenthaltes in Österreich nicht darauf vertrauen durften, dass sie sich in Österreich auf rechtlich gesicherte Weise bleibend verfestigen können. Zudem mussten sich die Beschwerdeführer bereits mit der Abweisung ihres Asylantrages mit Bescheiden vom 19.07.2017 - sohin bereits rund zwei bzw. eineinhalb Jahre nach ihrer Einreise - ihres unsicheren Aufenthaltes bewusst sein und verliert ein allfälliges Privat, welches erst nach der Abweisung der Asylanträge entstanden ist, dadurch deutlich an Gewicht. Unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK muss zudem nicht akzeptiert werden, dass ein Fremder mit seinem Verhalten letztlich versucht, in Bezug auf seinen Aufenthalt in Österreich vollendete Tatsachen zu schaffen (vgl. VwGH 06.05.2020, Ra 2020/20/0093; 27.02.2020, Ra 2019/01/0471; 28.02.2019, Ro 2019/01/0003).

Familiäre Anbindungen der kinderlosen Beschwerdeführer bestehen in Österreich nur zueinander und werden diese durch die gemeinsame Entscheidung nicht berührt. Hinsichtlich ihres Privatlebens ist auszuführen, dass sich schon durch die bisherige Aufenthaltsdauer per se das Vorhandensein eines Privatlebens ergibt. Allerdings fällt im gegenständlichen Fall in evidenter Weise ins Gewicht, wie wenig die Beschwerdeführer ihren sechs bzw. fünfeinhalbjährigen Aufenthalt genutzt haben. Keiner der beiden hat ein Deutschzertifikat erlangt oder die deutsche Sprache auch nur ansatzweise erlernt. Beide haben keine Schritte hinsichtlich einer beruflichen Integration unternommen, sich nicht ehrenamtlich betätigt und auch sonst keinerlei Engagement erkennen lassen.

Demgegenüber haben die Beschwerdeführer im Irak den weit überwiegenden Teil ihres Lebens verbracht, haben sprachliche, familiäre und kulturelle Verbindungen und besteht kein Anhaltspunkt für eine völlige Entfremdung. Sie leiden an keinen lebensbedrohlichen Erkrankungen, sind gesund, arbeitsfähig und verfügten im Falle des Erstbeschwerdeführers über Schulbildung und Berufserfahrung. Es ist somit davon auszugehen, dass zumindest der Erstbeschwerdeführer in der Lage sein wird, einen zumindest bescheidenen Lebensunterhalt zu verdienen und damit - allenfalls auch mit Unterstützung der nach wie vor in Salah ad-Din lebenden Großfamilie - das Auskommen für sich und die Zweitbeschwerdeführerin zu sichern. Raum für die Annahme einer völligen Entwurzelung im Hinblick auf ihren Herkunftsstaat besteht sohin nicht.

Dem allenfalls bestehenden Interesse der Beschwerdeführers an einem Verbleib in Österreich steht das öffentliche Interesse daran gegenüber, dass das geltende Migrationsrecht auch vollzogen wird, indem Personen, die ohne Aufenthaltstitel aufhältig sind - gegebenenfalls nach Abschluss eines allfälligen Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz - auch zur tatsächlichen Ausreise verhalten werden. Da die Beschwerdeführer auch keinerlei Integrationsbemühungen erkennen haben lassen, wiegt bei einer Gesamtbetrachtung unter diesen Umständen das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung der Durchsetzung der geltenden Bedingungen des Einwanderungsrechts und an der Befolgung der den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften, denen aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechthaltung der öffentlichen Ordnung - und damit eines von Art. 8 Abs. 2 EMRK erfassten Interesses - ein hoher Stellenwert zukommt (vgl. VwGH 02.09.2019, Ra 2019/20/0407), schwerer als die schwach ausgebildeten privaten Interessen der Beschwerdeführer am Verbleib in Österreich. Auch die strafgerichtliche Unbescholtenheit der Beschwerdeführer vermag ihre persönlichen Interessen nicht entscheidend zu stärken.

Die im vorliegenden Beschwerdefall vorzunehmende Interessenabwägung schlägt somit im Rahmen einer Gesamtschau zuungunsten der Beschwerdeführer und zugunsten des öffentlichen Interesses an ihrer Ausreise aus. Nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes ergibt eine individuelle Abwägung der berührten Interessen, dass ein Eingriff in das Privatleben der Beschwerdeführer durch ihre Ausreise als im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK verhältnismäßig angesehen werden kann und war die von der belangten Behörde erlassene Rückkehrentscheidung daher nicht zu beanstanden, weshalb auch die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG nicht in Betracht kommt.

3.5. Zur Zulässigkeit der Abschiebung (Spruchpunkt III. der angefochtenen Bescheide, dritter Spruchteil):

Gemäß § 52 Abs. 9 FPG hat das Bundesamt mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 FPG in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist.

Ein inhaltliches Auseinanderfallen der Entscheidungen nach § 8 Abs. 1 AsylG (zur Frage der Gewährung von subsidiärem Schutz) und nach § 52 Abs. 9 FPG (zur Frage der Zulässigkeit der Abschiebung) ist ausgeschlossen. Damit ist es unmöglich, die Frage der Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat entgegen der getroffenen Entscheidung über die Versagung von Asyl und subsidiärem Schutz anders zu beurteilen (vgl. VwGH 25.9.2019, Ra 2019/19/0399).

Da den Beschwerdeführern auch keine Flüchtlingseigenschaft zukommt und der Abschiebung keine Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht, erfolgte die getroffene Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung in den Irak zu Recht.

3.6. Zum Ausspruch über die Frist zur freiwilligen Ausreise (Spruchpunkt IV. der angefochtenen Bescheide):

Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt nach § 55 Abs. 2 FPG 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen. Derartige Umstände sind nicht hervorgekommen.

Die Beschwerde war daher spruchgemäß abzuweisen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Abschiebung Asylantragstellung asylrechtlich relevante Verfolgung Asylverfahren Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz Aufenthaltstitel begründete Furcht vor Verfolgung berücksichtigungswürdige Gründe Fluchtgründe freiwillige Ausreise Frist Glaubhaftmachung
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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