TE Bvwg Erkenntnis 2021/8/11 I414 2221911-3

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 11.08.2021
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Entscheidungsdatum

11.08.2021

Norm

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §8
AVG §68 Abs1
BFA-VG §21 Abs7
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
VwGVG §24 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


I414 2221911-3/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Christian EGGER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , alias XXXX , StA. Algerien, alias Syrien, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen (BBU) GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 21.07.2021, Zl. XXXX , zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer reiste nach Asylantragstellung in Ungarn illegal ins Bundesgebiet ein und stellte am 11.05.2015 unter der Identität XXXX , geb. am XXXX in XXXX in Syrien, Staatsangehöriger Syriens einen Antrag auf internationalen Schutz, den er damit begründete, dass in seinem Heimatland Krieg herrschen würde und er deshalb geflohen sei.

Mit Verfahrensanordnung vom 12.05.2015 wurde dem Beschwerdeführer vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge auch als belangte Behörde bezeichnet) dem Fremden gemäß § 29 Abs. 3 und § 15a AsylG 2005 mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, seinen Antrag auf internationalen Schutz zurückzuweisen, da das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl davon ausgehe, dass Ungarn für sein Asylverfahren zuständig sei und wurden Dublin Konsultationen mit Ungarn geführt und stimmten die ungarischen Behörden der Rückübernahme des Fremden mit Schreiben vom 28.05.2015 zu.

Mit Beschluss des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 28.05.2015, wurde über den Beschwerdeführer die Untersuchungshaft wegen des Verdachtes des Verbrechens des teils versuchten und teils vollendeten gewerbsmäßigen Diebstahls durch Einbruch nach den §§ 127, 129, Abs. 1 Z 1, 130 Z 4, 15 StGB verhängt.

Nachdem zur Wahrung des Parteiengehörs betreffend seiner Außerlandesbringung eine niederschriftliche Einvernahme durch die belangte Behörde stattgefunden hat, wurde der Antrag auf internationalen Schutz vom 11.05.2015 mit Bescheid vom 27.05.2015 gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF. als unzulässig zurückgewiesen, da für die Prüfung seines Antrages auf internationalen Schutz Ungarn zuständig ist (Spruchpunkt I.), gemäß § 61 Abs. 1 FPG 2005, BGBL I Nr. 100/2005 (FPG) idgF. seine Außerlandesbringung angeordnet und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Ungarn zulässig ist.

Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 13.08.2015, Zl. XXXX wurde der Beschwerdeführer wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen Diebstahls teils durch Einbruch nach den §§ 127, 129 Z 1, 130 1. Fall, 15 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 16 Monaten, davon 12 Monate bedingt, rechtskräftig verurteilt.

Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 31.08.2015, GZ. XXXX wurde der Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.05.2015 die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

Der gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.05.2015 erhobenen Beschwerde, wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 07.09.2015, GZ. XXXX , Folge gegeben und der bekämpfte Bescheid behoben.

Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 09.02.2016, Zl. XXXX wurde der Beschwerdeführer wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen Diebstahls durch Einbruch nach den §§ 127, 129 Abs. 1 Z 1, 130 Abs. 1 und Abs. 2 2. Fall StGB zu einer Freiheitstrafe von 16 Monaten unbedingt rechtskräftig verurteilt und die bedingt nachgesehene Freiheitstrafe aus seiner ersten Verurteilung widerrufen.

Mit Verfahrensanordnung gemäß 7 Abs. 1 VwGVG wurde dem Beschwerdeführer mitgeteilt, dass sein Verfahren gemäß § 28 AsylG 2005 zugelassen wird und im gemäß § 13 Abs. 1 und Abs. 2 AsylG 2005 kein Aufenthaltsrecht zusteht.

Am 14.06.2016 wurde der Beschwerdeführer von der belangten Behörde niederschriftlich einvernommen, wo er befragt zu seiner Identität angab, dass er XXXX heißen würde, am 15.11.1991 in „ XXXX “ geboren und syrischer Staatsangehöriger sei. Er sei verwitwet und habe keine Kinder. Zu seinem Fluchtgrund führte er aus, das er wegen des Krieges geflohen wäre, seine Eltern würden nicht mehr leben, und sei es in Syrien sehr gefährlich.

Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 21.06.2016, Zl. XXXX wurde der Beschwerdeführer wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen Diebstahls durch Einbruch nach den §§ 127, 129 Abs. 1 Z 1, 130 Abs. 1 und Abs. 2 2. Fall, 15 StGB zu einer Zusatzfreiheitstrafe von 10 Monaten unbedingt rechtskräftig verurteilt.

Am 05.09.2017 wurde der Beschwerdeführer von der belangten Behörde niederschriftlich einvernommen. Zu seinen persönlichen Lebensumständen befragt, wiederholte er die Angaben hinsichtlich seiner Identität und führte zu seinen Fluchtgründen zusammengefasst aus, dass der IS gedroht habe ihn umzubringen, wenn er nicht mit ihnen zusammenarbeiten würde und dass die syrische Regierung seine ganze Familie umgebracht hätte und er vergewaltigt worden sei und beantragte die Untersuchung durch einen Amtsarzt, um seine Vergewaltigung zu beweisen.

Mit Aktenvermerk vom 05.09.2017 wurden Zweifel an der ausgesagten Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers festgehalten und wurde am 03.02.2019 eine forensisch-afrikanistische Befunderhebung zu den Sprachkompetenzen und den Landeskenntnissen des Fremden durch den Gutachter Dr. Peter Gottschligg durchgeführt. In seinen gutachterlichen Feststellungen kam der Gutachter zu dem Schluss, dass eine Hauptsozialisierung des Probanden in Syrien mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auszuschließen sei und von einer Hauptsozialisierung des Probanden in Algerien auszugehen sei, Zudem gebe es keine tragfähigen Hinweise, die auf eine Hauptsozialisierung in einem anderen Land als Algerien hinweisen würden.

Am 04.02.2019 wurde der Beschwerdeführer aus der Haft entlassen. Mit Ladungsbescheid vom 08.04.2019 wurde der Beschwerdeführer zu einer weiteren niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde geladen und ihm die aktuellen Länderinformationen zu Algerien übermittelt.

Am 19.04.2019 wurde der Beschwerdeführer von der belangten Behörde niederschriftlich einvernommen. Auf Vorhalt, dass die beauftragte forensisch-afrikanistische Befunderhebung zu seinen Sprachkompetenzen und den Landeskenntnissen ergeben habe, dass er algerischer Staatangehöriger sei, führte er wörtlich aus: „Das ist richtig. Ich bin algerischer Staatsangehöriger.“ Befragt zu seinen persönlichen Lebensumständen führte er nunmehr aus, dass er jetzt die Wahrheit sagen möchte. Er gab an, dass er XXXX heißen würde, am XXXX in XXXX geboren sei und Staatsangehöriger von Algerien sei. In Algerien würden noch seine Eltern und seine Geschwister leben, er sei nicht verheiratet und habe keine Kinder. Er habe noch Kontakt zu seiner Familie und könne er sich von seiner Mutter seine Identitätsdokumente schicken lassen, um später auszuführen, dass er seinen Reisepass zerrissen habe. Zu seinen Fluchtgründen führte er im Wesentlichen zusammengefasst aus, dass er eine sexuelle Beziehung mit einer algerischen Frau namens XXXX gehabt habe, der Vater dieser Frau habe aber nicht gewollt, dass er diese heirate. Die Frau sei von ihren Brüdern umgebracht worden und haben diese auch ihn mit dem Umbringen bedroht. Im Falle seiner Rückkehr befürchte er umgebracht zu werden, da die 6 Brüder ihre eigene Schwester getötet hätten und sich auch ihn töten würden. Andere Fluchtgründe habe er keine.

Mit Verständigung des Landesgerichtes St. Pölten vom 28.06.2019, Zl. XXXX wurde der belangten Behörde mitgeteilt, dass der Beschwerdeführer wegen § 15, §83 Abs. 1 StGB, § 125 StGB und §§ 107 Abs. 1 und 107 Abs. 2 StGB in Untersuchungshaft genommen wurde.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 03.07.2019 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 11.05.2015 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 wurde der Antrag auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Algerien abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde ihm gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG in Verbindung mit § 9 BFA-Verfahrensgesetz wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG 2005 erlassen (Spruchpunkt IV.). Es wurde weiters gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Algerien zulässig ist (Spruchpunkt V.). Gemäß § 53 Absatz 1 iVm Absatz 3 Ziffer 1 Fremdenpolizeigesetz, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG) idgF“ wurde gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von 10 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VI.). Weiters stellte die belangte Behörde "gemäß § 13 Absatz 2 Asylgesetz" den Verlust des Aufenthaltsrechtes des Beschwerdeführers im Bundesgebiet ab dem 28.05.2015 fest (Spruchpunkt VII.). Zuletzt wurde einer Beschwerde gegen diese Entscheidung gemäß § 18 Abs. 1 Z 2 BFA-Verfahrensgesetz die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt VIII.).

Dagegen erhob der Beschwerdeführer an das Bundesverwaltungsgericht. Begründend führte er aus, dass er auf seine Angaben in der Einvernahme verweisen würde und dass er befürchte in Algerien von den Brüdern des Mädchens verfolgt und ermordet zu werden und verwies zum Thema „Ehrenmord“ auf eine Accord-Anfrage aus dem Jahr 2007. Letztlich führte er noch aus, das Einreiseverbot sei zu hoch angesetzt, er würde seine Taten bereuen und möchte nach seiner Haftentlassung einen ordentlichen Lebenswandel führen. Es werde daher beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge den angefochtenen Bescheid dahingehend abändern, dass ihm der Status eines Asylberechtigten zuerkannt werde, in eventu den angefochtenen Bescheid dahingehend abändern, dass ihm der Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat zuerkannt werde, in eventu den angefochtenen Bescheid dahingehend abändern, dass die gegen ich gefällte Rückkehrentscheidung, in eventu die Zulässigkeit der Abschiebung aufgehoben werde, das Einreiseverbot aufzuheben, in eventu dessen Befristung herabzusetzen, in eventu den Bescheid beheben und zur Verfahrensergänzung an die Behörde zurückverweisen und eine mündliche Verhandlung durchführen.

Mit Beschwerdevorentscheidung der belangten Behörde vom 24.07.2019, wurde die Beschwerde gemäß § 14 Abs. 1 VwGVG als unbegründet abgewiesen. Mit Schriftsatz der ausgewiesenen Rechtsvertretung vom 29.07.2019, wurde gemäß § 15 VwGVG ein Vorlageantrag gestellt.

Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 06.08.2019, Zl. I416 2221911-1/3E, wurde die Beschwerde unbegründet abgewiesen.

Mit Urteil des Landesgerichtes St. Pölten vom 04.10.2019, Zl. XXXX wurde der Beschwerdeführer wegen versuchter Körperverletzung nach §§ 15, 83 Abs. 1 StGB, Verleumdung nach § 297 Abs. 1 erster Fall StGB und gefährlicher Drohung nach §§ 107 Abs. 1 und Abs. 2 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 15 Monate, davon 10 Monate bedingt rechtskräftig verurteilt.

Der Beschwerdeführer stellte am 08.10.2019 seinen zweiten Antrag auf internationalen Schutz. Diesen begründete er im Rahmen seiner Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes, indem er vorbrachte, dass die schon im ersten Asylverfahren vorgebrachten Gründe aufrecht seien. Neue Gründe habe er nicht. Bei einer Rückkehr nach Algerien habe er Angst aufgrund einer Blutfehde getötet zu werden. Sein Bruder sei nach Algerien zurückgekehrt und ihm sei von den Brüdern der Familie, welche den Beschwerdeführer bedrohen würden, mitgeteilt worden, dass er von den Brüdern getötet werden würde, falls er zurückkäme. Diese Gründe habe er schon im vorigen Verfahren vorgebracht.

Anlässlich seiner Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 07.11.2019 brachte der Beschwerdeführer im Wesentlichen erneut vor, dass er von den terroristisch tätigen Verwandten der Frau, in die er sich in Algerien verliebte, verfolgt werde. Deshalb habe sich auch seine eigene Familie von ihm losgesagt. Sein Bruder sei im Mai 2019 nach Algerien geflogen, Die Brüder seiner Freundin in Algerien hätten ihm mitgeteilt, dass sie den Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr nach Algerien umbrächten. Darüber hinaus sei er von einem dieser Brüder sexuell missbraucht worden. Des Weiteren brachte er vor, dass er aus Angst zurückkehren müssen vorbrache Staatsangehöriger Syriens zu sein.

Mit mündlich verkündetem Bescheid vom 07.11.2019, das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den faktischen Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs. 2 AsylG iVm § 22 Abs. 10 AsylG und § 62 Abs. 1 AVG auf.

Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 14.11.2019, Zl. I406 221911-2/2E, wurde der faktische Abschiebeschutz aufgehoben.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 28.07.2020 wurde der Folgeantrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 08.10.2019 hinsichtlich des Status des Asylberechtigten sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 68 AVG zurückgewiesen. Eine neuerliche Rückkehrentscheidung wurde nicht erlassen, da bereits eine, mit einem befristeten Einreiseverbot von 10 Jahren verbundene Rückkehrentscheidung besteht.

Mit Urteil des Landesgerichtes Wien vom 23.03.2021, Zl. XXXX wurde der Beschwerdeführer wegen des unerlaubten Umgangs mit Suchtmitteln nach § 27 Abs 2a zweiter Fall SMG zu einer Freiheitsstrafe von 10 Monaten verurteilt.

Im Stande der Strafhaft stellte der Beschwerdeführer am 05.05.2021 gegenständlichen dritten Antrag auf internationalen Schutz. Im Rahmen der Erstbefragung gab der Beschwerdeführer an, dass seine bisherigen Fluchtgründe aufrecht seien. Darüber hinaus habe er seit seinem 19 Lebensjahr Interesse an Männern gehabt. Er möge Frauen und Männer gleichermaßen. Wenn dies jemand in Erfahrung brächte würde er getötet werden. Er habe Algerien verlassen, weil dies jemand in Erfahrung gebracht hätte. Wenn er getötet werden würde, würde dies der algerische Staat für richtig empfinden. Diese Leute die das herausgefunden hätten, hätten seinen Vater bedroht. Sein Vater wolle, dass er wieder nach Algerien zurückkehre, dies sage er nur deshalb, weil sein ‚Vater Angst um die Familie habe. Seine Mutter sage zu ihm er solle nicht mehr zurückkehren. Des Weiteren brachte er vor, dass er seine bisherigen Gründe zurückziehen wolle, weil diese falsch seien. Seit seinem 19 Lebensjahr seien ihm diese Gründe bekannt; aus Scham habe er diese neuen Gründe nicht erwähnt.

Der Beschwerdeführer wurde am 13.07.2021 von der belangten Behörde niederschriftlich einvernommen. Im Rahmen der Einvernahme brachte er vor, dass die bisherigen Fluchtgründe noch aufrecht seien; entgegen der Erstbefragung. Er habe sexuellen Kontakt zu einem jungen Mann gehabt und deshalb Probleme bekommen. Der Bruder seines Partners habe seinem Vater mit einem Messer bedroht und seinen Vater verletzt. Sein Vater wolle, dass er nach Algerien zurückkehre, hingegen seine Mutter nicht. Er habe in den Jahren 2000 bis 2003 diese sexuellen Kontakte gehabt. Sein Vater sei 2004 bedroht worden. Seit seinem 21 Lebensjahr habe er Gefühle für Männer; entgegen der Erstbefragung. Seit er in Österreich sei, habe er keine sexuellen Kontakte zu Männern gehabt; in Österreich habe er sexuelle Kontakte zu Frauen gepflegt. Der Bruder seines Freundes habe 2004 von der Beziehung erfahren; zum Zeitpunkt der Bedrohung seines Vaters sei er bei seiner Schwester, welche in einer anderen Provinz in Algerien lebe, gewesen. Der Bruder seines Freundes gehe davon aus, dass der Beschwerdeführer seinen Freund vergewaltigt habe. Er habe von 2004 bis zu seiner Ausreise 2009 bei seiner Schwester in Algerien gelebt. Aus Angst habe er im Rahmen seines ersten Asylverfahren angegeben Syrer zu sein. Er sage nunmehr die Wahrheit. Ferner brachte er vor, dass er seit seinem ersten Asylverfahren durchgehend in Österreich gelebt habe. Zudem sei die Lage in Algerien sehr schlecht. Er befürchte bei einer Rückkehr nach Algerien vom Bruder seines Freundes getötet zu werden.

Mit gegenständlich bekämpften Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 21.07.2021 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 05.05.2021 hinsichtlich des Status des Asylberechtigten sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß §68 AVG zurückgewiesen. Eine neuerliche Rückkehr wurde nicht erlassen, da bereits eine, mit einem auf 10 Jahren befristetes Einreiseverbot verbundene Rückkehrentscheidung besteht.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer durch seine ausgewiesene Rechtsvertretung Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die unter Punkt I. getroffenen Ausführungen werden als entscheidungswesentlicher Sachverhalt festgestellt. Darüber hinaus werden folgende weitere Feststellungen getroffen:

1.1 Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Algerien und somit Drittstaatsangehöriger.

Die Identität des Beschwerdeführers steht in Ermangelung identitätsbezeugender Dokumente nicht fest.

Der Beschwerdeführer ist volljährig und leidet an keinen lebensbedrohlichen psychischen oder physischen Beeinträchtigungen seines Gesundheitszustandes, welcher einer Rückkehr entgegenstehen.

Es wird festgestellt, dass gegen den Beschwerdeführer eine aufrechte, mit einem 10-jährigen Einreiseverbot verbundene durchsetzbare Rückkehrentscheidung besteht.

Der Beschwerdeführer ist seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachgekommen.

Derzeit befindet sich der Beschwerdeführer in Strafhaft.

Im Strafregister der Republik Österreich scheinen folgende Verurteilungen auf:

01) LG F.STRAFS.WIEN XXXX vom 13.08.2015 RK 13.08.2015

§§ 127, 129 Z 1, 130 1. Fall StGB § 15 StGB

Datum der (letzten) Tat 26.05.2015

Freiheitsstrafe 18 Monate, davon Freiheitsstrafe 12 Monate, bedingt, Probezeit 3 Jahre

Vollzugsdatum 05.04.2018

zu LG F.STRAFS.WIEN XXXX RK 13.08.2015

Unbedingter Teil der Freiheitsstrafe vollzogen am 25.11.2015

LG F.STRAFS.WIEN 125 HV 75/2015p vom 27.11.2015

zu LG F.STRAFS.WIEN XXXX RK 13.08.2015

Bedingte Nachsicht der Strafe wird widerrufen

LG F.STRAFS.WIEN 071 HV 4/2016a vom 09.02.2016

02) LG F.STRAFS.WIEN XXXX vom 09.02.2016 RK 09.02.2016

§§ 127, 129 (1) Z 1, 130 (1), 130 (2) 2. Fall StGB

Datum der (letzten) Tat 05.12.2015

Freiheitsstrafe 16 Monate

Vollzugsdatum 05.04.2017

03) LG F.STRAFS.WIEN XXXX vom 21.06.2016 RK 25.06.2016

§§ 127, 129 (1) Z 1, 130 (1 u 2) 2. Fall StGB § 15 StGB

Datum der (letzten) Tat 01.12.2015

Freiheitsstrafe 10 Monate

Zusatzstrafe gemäß §§ 31 und 40 STGB unter Bedachtnahme auf LG F.STRAFS.WIEN 071 HV 4/2016a RK 09.02.2016

Vollzugsdatum 04.02.2019

04) LG ST.POELTEN XXXX vom 04.10.2019 RK 04.10.2019

§ 15 StGB § 83 (1) StGB

§ 297 (1) 1. Fall StGB

§§ 107 (1), 107 (2) StGB

Datum der (letzten) Tat 04.10.2019

Freiheitsstrafe 15 Monate, davon Freiheitsstrafe 10 Monate, bedingt, Probezeit 3 Jahre

Zu LG ST. POELTEN XXXX vom 04.10.2019 RK 04.10.2019

Unbedingter Teil der Freiheitsstrafe vollzogen am 26.11.2019

LG ST: POELTEN XXXX vom 27.11.2019

Zu LG ST. POELTEN XXXX vom 04.10.2019 RK 04.10.2019

Probezeit des bedingten Strafteils verlängert auf insgesamt 5 Jahre

LG F.STRAFS.WIEN XXXX vom 23.03.2021

05) LG F.STRAFS.WIEN XXXX vom 23.03.2021 RK 23.03.2021

§ 27 (2a) 2. Fall SMG

Datum der (letzten) Tat 11.02.2021

Freiheitsstrafe 10 Monate

Zu LG F.STRAFS.WIEN XXXX vom 23.03.2021 RK 23.03.2021

Aus der Freiheitsstrafe entlassen am 31.08.2021, bedingt, Probezeit 3 Jahre

LG FELDKIRCH XXXX vom 17.06.2021

1.2 Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Der erste Antrag auf internationalen Schutz des Beschwerdeführers vom 11.05.2015 wurde mit Bescheid vom 03.07.2019 abgewiesen. Ferner wurde eine mit einem 10-jährigen Einreiseverbot verbundene Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Algerien zulässig ist. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit rechtskräftigem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 06.08.2019 als unbegründet abgewiesen.

Der zweite Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 08.10.2019 wurde rechtskräftig mit Bescheid vom 28.07.2020 zurückgewiesen.

Zwischen den rechtskräftigen Erledigungen der Vorverfahren und der Zurückweisung des gegenständlichen Antrages wegen entschiedener Sache ist keine wesentliche Änderung der Sach- oder Rechtslage eingetreten, welche geeignet wäre, einen neuen Grund für die Gewährung internationalen Schutz darzustellen.

Der Beschwerdeführer brachte im gegenständlichen Asylverfahren keine entscheidungsrelevanten neuen Fluchtgründe vor, welche nach rechtskräftigen Abschluss seiner zwei Asylverfahren entstanden wären und denen ein glaubhafter Kern innewohnt.

Es wird festgestellt, dass der Beschwerdeführer im Fall seiner Rückkehr nach Algerien mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keiner asylrelevanten Verfolgung und keiner wie auch immer gearteten existentiellen Bedrohung ausgesetzt sein wird.

1.3 Zur Situation in Algerien:

Gemäß § 1 Z 10 der HStV (Herkunftsstaaten-Verordnung, BGBl. II Nr. 177/2009 idF BGBl. II Nr. 145/2019) gilt Algerien als sicherer Herkunftsstaat.

Hinsichtlich der aktuellen Lage in Algerien sind gegenüber den im angefochtenen Bescheid vom 21.07.2021 getroffenen Feststellungen keine entscheidungsmaßgeblichen Änderungen bekannt geworden, sodass das Bundesverwaltungsgericht sich diesen Ausführungen anschließt und auch zu den seinen erhebt. Soweit sie für den vorliegenden Beschwerdefall von Relevanz sind werden folgende Feststellungen getroffen:

Politische Lage

Letzte Änderung: 18.03.2021

Nach der Verfassung von 1996 ist Algerien eine demokratische Volksrepublik (AA 28.10.2020). Die Verfassung wurde am 7.3.2016 in Teilen geändert. Der direkt vom Volk und seit der Verfassungsreform von 2016 wieder mit Begrenzung auf zwei Amtszeiten von je fünf Jahren gewählte Präsident verfügt über eine überaus starke Stellung (AA 11.7.2020). Die 2020 erfolgte Verfassungsreform bringt eine weitere Verstärkung der Rolle des Staatspräsidenten und – noch problematischer - verankert stärker als bisher eine Rolle des Militärs als Staats- und Verfassungsgarant (ÖB 11.2020). Aufgabe des vom Präsidenten (nach Konsultation der Parlamentsmehrheit) ernannten Premierministers ist lediglich die Umsetzung des Programms des Staatspräsidenten und die Koordinierung der Arbeit der Regierung (AA 11.7.2020; vgl. ÖB 11.2020). Der Präsident ist Staatsoberhaupt, Oberbefehlshaber des Heeres und Verteidigungsminister. Er garantiert die Einheit des Staates und ist die höchste Instanz der Rechtsprechung. Er ernennt den Premierminister nach Konsultation des Parlaments und nach Befassung des Premierministers die Minister und sitzt dem Ministerrat vor. Er ernennt die Funktionäre der Verwaltung und des Militärs, den Gouverneur der Nationalbank, die 48 Wilaya(Provinz)präfekten und die Richter des Landes (ÖB 11.2020).

In Folge der Massenproteste seit Februar 2019 und auf Druck der Armee reichte Präsident Bouteflika am 2.4.2019 seinen Rücktritt ein. Bei den Präsidentschaftswahlen am 12.12.2019 gewannder ehemalige Premierminister Abdelmadjid Tebboune (AA 11.7.2020; vgl. HRW 13.1.2021, CIA 3.3.2021, FH 2021, ÖB 11.2020), Favorit der Militärführung um den mittlerweile verstorbenen Generalstabschef Ahmed Gaïd Salah, die Wahl für sich (AA 11.7.2020). Die Wahlbeteiligung hatte einen historischen Tiefstpunkt erreicht (HRW 13.1.2021; vgl. FH 2021). Tebboune verkörpert für viele Algerier das Streben der Elite nach System- und Machterhalt. Der „Hirak“ [Anmerkung: Bezeichnung der Protestbewegung in Algerien] hatte gegen die Wahl protestiert und hält an der Forderung nach einem kompletten Systemwechsel fest. Anfängliche Dialogbemühungen des Staatspräsidenten sind seit März 2020 ins Stocken geraten. Doch auch auf Seiten der Protestbewegung ist die Dialogbereitschaft gering. Wenige dialogbereite Stimmen innerhalb des „Hirak“ wurden medienwirksam von der Protestbewegung diskreditiert. Die aktuelle Herausforderung durch die Covid-19-Pandemie lässt den Graben zwischen Regierung und Teilen der Bevölkerung vorerst in den Hintergrund treten. Die Covid-19-Maßnahmen der Regierung, wie zum Beispiel die landesweite partielle Ausgangssperre, werden von der Bevölkerung mitgetragen (AA 11.7.2020).

Die Gesetzgebung basiert mehrheitlich auf präsidentiellen Dekreten (ÖB 11.2020). Die Nationalversammlung („Assemblée Populaire Nationale“, APN) und der Senat („Conseil de la Nation“) bilden die beiden Kammern des Parlaments. Die 462 Mitglieder der Nationalversammlung werden alle fünf Jahre in allgemeiner, direkter und geheimer Wahl gewählt. Die 144 Mitglieder des Senats werden zu einem Drittel durch den Präsidenten ernannt und zu zwei Dritteln von Gemeindevertretern gewählt (AA 11.7.2020; vgl. FH 2021). Die Rolle der beiden Parlamentskammern im Staats- und Machtgefüge bleibt vor allem aufgrund der klaren Regierungsmehrheit schwach (AA 11.7.2020). Die letzten Wahlen zur Nationalversammlung fanden am 4.5.2017 statt (AA 11.7.2020; vgl. ÖB 11.2020).

Im Februar 2019 entstand in Algerien eine Massenbewegung, welche sich mit dem arabischen Wort für Bewegung „Hirak“ beschreibt. Die Proteste begannen, nachdem der damals amtierende Präsident Abdelaziz Bouteflika seine fünfte Kandidatur für die Präsidentschaftswahl ankündigte. Zunächst forderten die Demonstranten den Rücktritt des Präsidenten, welcher dieser Forderung schließlich nachkam. Die Proteste endeten jedoch nicht mit dem Rücktritt Bouteflikas. Bis Ende März 2020 wurde jeden Freitag auf den Straßen in der Hauptstadt Algier und anderswo demonstriert und die Veränderung des gesamten politischen Systems gefordert (IPB 12.6.2020; vgl. ÖB 11.2020). Die algerischen Behörden unterdrücken weiterhin Anhänger des „Hirak“. Entgegen der Versprechungen Präsident Tebbounes für einen Dialog, verhaften die algerischen Behörden weiterhin Protestierende, Aktivisten und Journalisten, die dem „Hirak“ angehören (HRW 13.1.2021).

Anlässlich des zweiten Jahrestages des Beginns der friedlichen Protestbewegung gingen am 22.2.2021 mehrere Tausend Demonstranten auf die Straßen und erneuerten ihre Forderungen nach einem umfassenden Politik- und Systemwechsel. Auch am 26.2.2021 wurde demonstriert, obwohl die Regierung aufgrund der Covid-19-Pandemie Zusammenkünfte verboten hat. Das Militär reagierte auf die überwiegend gewaltfreien Demonstrationen mit dem Einsatz von Tränengas und Schlagstöcken (BAMF 1.3.2021). Auch weiterhin versammeln sich Tausende Bürgerinnen und Bürger jeden Freitag auf den Straßen und demonstrieren für einen umfassenden Politik- und Systemwechsel. Die UN warnen vor einer Verschlechterung der Menschenrechtslage, da die Sicherheitskräfte gegen Teilnehmer an den friedlichen Protesten zunehmend Gewalt eingesetzt und in den vergangenen zwei Wochen wieder Hunderte Menschen willkürlich festgenommen haben. Ferner gibt es Berichte über Einschränkungen der Pressefreiheit und drohende Haftstrafen für Aktivisten, ebenso Vorwürfe über Folter und sexuelle Gewalt im Gefängnis (BAMF 8.3.2021).

Quellen:

• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.10.2020): Algerien - Politisches Porträt, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/algerien-node/-/222160 , Zugriff 12.3.2021

• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (11.7.2020): Bericht über die asyl-und abschiebungsrelevante Lage in der Demokratischen Volksrepublik Algerien (Stand: Juni 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2035826/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Demokratischen_Volksrepublik_Algerien_%28Stand_Juni_2020% 29%2C_11.07.2020.pdf , Zugriff 12.3.2021

• BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (8.3.2021): Briefing Notes, Quelleliegt bei der Staatendokumentation auf

• BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (1.3.2021): Briefing Notes, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2021/briefingnotes-kw09-2021.pdf?__blob=publicationFile&v=2 , Zugriff 16.3.2021

• CIA - Central Intelligence Agency [USA] (3.3.2021): The World Factbook - Algeria, https://www.cia.gov/the-world-factbook/countries/algeria/ , Zugriff 12.3.2021

• FH - Freedom House (2021): Freedom in the World 2021 - Algeria, https://freedomhouse.org/country/algeria/freedom-world/2021 , Zugriff 15.3.2021

• HRW - Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2021 - Algeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2043512.html , Zugriff 12.3.2021

• IPB - Institut für Protest- und Bewegungsforschung (12.6.2020): Hirak – Bewegung in Algerien,https://protestinstitut.eu/hirak-bewegung-in-algerien/ , Zugriff 17.6.2020

• ÖB - Österreichische Botschaft Algier [Österreich] (11.2020): Asylländerbericht Algerien, Quelle liegt bei der Staatendokumentation auf

Sicherheitslage

Letzte Änderung: 18.03.2021

Demonstrationen fanden von Mitte Februar 2019 bis Ende März 2020 fast täglich in allen größeren Städten statt. Auch wenn diese weitgehend friedlich verliefen, konnten vereinzelte gewaltsame Auseinandersetzungen nicht ausgeschlossen werden (IPB 12.6.2020). Seit Februar 2021 versammeln sich Tausende Bürgerinnen und Bürger jeden Freitag auf den Straßen und demonstrieren für einen umfassenden Politik- und Systemwechsel(BAMF 1.3.2021; vgl. BAMF 8.3.2021).

Der djihadistische Terrorismus in Algerien ist stark zurückgedrängt worden; Terroristen wurden großteils entweder ausgeschaltet, festgenommen oder haben das Land verlassen, was zur Verlagerung von Problemen in die Nachbarstaaten, z.B. Mali, geführt hat. Gewisse Restbestände oder Rückzugsgebiete sind jedoch v.a. in der südlichen Sahara vorhanden. Gruppen, wie die Groupe Salafiste pour la Prédication et le Combat (GSPC), die den 1997 geschlossenen Waffenstillstand zwischen dem algerischen Militär und der AIS nicht anerkannte, sich in die Saharagebiete zurückzog und 2005 mit Al Qaida zur AQIM verband, sind auf kleine Reste reduziert und in Algerien praktisch handlungsunfähig. Inzwischen hat sich diese Gruppe wieder mehrmals geteilt, 2013 u.a. in die Mouvement d’Unité pour je Jihad en Afrique Occidentale (MUJAO). Ableger dieser Gruppen haben den Terroranschlag in Amenas/Tigentourine [Anm.: im Jänner 2013] zu verantworten. 2014 haben sich mit dem Aufkommen des sogenannten Islamischen Staates (IS) Veränderungen in der algerischen Terrorismusszene ergeben. AQIM hat sich aufgespalten und mindestens eine Teilgruppe, Jund al-Khilafa, hat sich zum IS bekannt. Diese Gruppe hat die Verantwortung für die Entführung und Enthauptung des französischen Bergführers Hervé Gourdel am 24.9.2014 übernommen. Dies war 2014 der einzige Anschlag, der auf einen Nicht-Algerier zielte. Ansonsten richteten sich die terroristischen Aktivitäten ausschließlich auf militärische Ziele (ÖB 11.2020).

2017 gab es (mindestens) vier Anschläge mit eindeutig islamistischem Hintergrund, und zwar in Blida, Constantine, Oued Djemaa (Wilaya Blida), Ferkane (Wilaya Tebessa) und Tiaret. Im selben Jahr wurden 91 Terroristen getötet und 70 verhaftet. Dazu kommen noch 214 verhaftete Sympathisanten. 2019 und 2020 wurden keine terroristischen Angriffe verzeichnet, bei Razzien und Aktionen gegen Terroristen und deren Unterstützer kommt es immer wieder zu bewaffneten Auseinandersetzungen mit Sicherheitskräften mit tödlichem Ausgang. Im 1 Halbjahr 2020 beliefen sich die Zahlen nach den nicht überprüfbaren Angaben des Verteidigungsministeriums auf zwölf getötete, drei sich ergebende und fünf festgenommene Terroristen. Algerische Behörden verfolgen einen relativ holistischen Ansatz des Kampfes gegen den Terrorismus und binden in ihre Bemühungen zur Deradikalisierung auch Moscheen, Frauen und Familien ein (ÖB 11.2020).

Spezifische regionale Risiken

Die Sicherheitslage in gewissen Teilen Algeriens ist weiterhin gespannt (AA 1.3.2021; vgl. ÖB 11.2020). Es gibt immer noch terroristische Strukturen, wenn auch reduziert (ÖB 11.2020; vgl. BS 29.4.2020). Die Sicherheitssituation betreffend terroristische Vorfälle hat sich weiter verbessert, die Sicherheitskräfte haben auch bislang unsichere Regionen wie die Kabylei oder den Süden besser unter Kontrolle, am relativ exponiertesten ist in dieser Hinsicht noch das unmittelbare Grenzgebiet zu Tunesien, Libyen und zu Mali (ÖB 11.2020). In den Grenzgebieten mit den Nachbarländern Libyen, Niger, Mali, Mauretanien, Tunesien und Westsahara besteht große Gefahr von terroristischen Anschlägen oder Entführungsversuchen (BMEIA 10.3.2021; vgl. AA 1.3.2021), ebenso wie in den algerischen Saharagebieten und außerhalb der Bezirke der größeren Städte im nördlichen Landesteil von Algerien, in ländlichen Gebieten und Bergregionen. Terroristische Aktivitäten richten sich in erster Linie gegen die staatliche Sicherheitskräfte (AA 1.3.2021).

Immer wieder versuchen kriminelle, terroristische bzw. bewaffnete Gruppen Algeriens Grenzgebiete für ihre Zwecke zu nutzen bzw. diese zu durchqueren. Die auf Grund politischer Gegebenheiten bzw. mangelnder Ressourcen nicht vorhandene oder zu schwache Präsenz von Sicherheitskräften in den angrenzenden Staaten erleichtert dies. Die algerische Armee hat daher generell die Kontrolle der Grenzregionen verstärkt und angesichts der aktuellen Situation in Libyen und Tunesien auch die Streifen- und Übungstätigkeit in Grenznähe (BMEIA 10.3.2021).

Der interkommunale Konflikt in der Region Ghardaia mit gewalttätigen Zusammenstößen zwischen 2013 und 2015 wurde durch eine starke Militärpräsenz unter Kontrolle gebracht. Islamistsche Extremisten, die eine echte Bedrohung für die staatliche Identität darstellen, sind nach wie vor eine sehr kleine Minderheit. Sie werden von der Bevölkerung kaum oder gar nicht unterstützt (BS 29.4.2020).

Quellen:

• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (1.3.2021): Algerien: Reise- und Sicherheitshinweise (Teilresewarnung und COVID-19-bedingte Reisewarnung), https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/algerien-node/algeriensicherheit/219044#content_1 , Zugriff 17.3.2021

• BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (8.3.2021): Briefing Notes, Quelleliegt bei der Staatendokumentation auf

• BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (1.3.2021): Briefing Notes, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2021/briefingnotes-kw09-2021.pdf?__blob=publicationFile&v=2 , Zugriff 16.3.2021

• BMEIA - Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres [Österreich] (10.3.2021): Reiseinformationen Algerien, Sicherheit & Kriminalität, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/algerien/ , Zugriff 17.3.2021

• BS - Bertelsmann Stiftung (29.4.2020): BTI 2020 Country Report - Algeria, https://www.bti-project. org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_DZA.pdf , Zugriff 23.6.2020

• IPB - Institut für Protest- und Bewegungsforschung (12.6.2020): Hirak - Bewegung in Algerien,https://protestinstitut.eu/hirak-bewegung-in-algerien/ , Zugriff 17.6.2020

• ÖB - Österreichische Botschaft Algier [Österreich] (11.2020): Asylländerbericht Algerien, Quelle liegt bei der Staatendokumentation auf

Allgemeine Menschenrechtslage

Letzte Änderung: 18.03.2021

Staatliche Repressionen, die allein wegen Rasse, Religion, Nationalität oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe erfolgen, sind in Algerien nicht feststellbar (AA 11.7.2020). Algerien ist den wichtigsten internationalen Menschenrechtsabkommen beigetreten. Laut Verfassung werden die Grundrechte gewährleistet. Hinweise auf Menschenrechtsverletzungen haben seit Ende der 1990er Jahre abgenommen. NGOs kritisieren jedoch weiterhin vor allem Einschränkungen der Meinungs-, Versammlungs- und Pressefreiheit. Einzelne unabhängige Journalisten und Blogger sowie politische Aktivisten werden strafrechtlich verfolgt (AA 28.10.2020). Meinungsund Versammlungsfreiheit werden eingeschränkt (USDOS 11.3.2020; vgl. BS 29.4.2020, AI 18.2.2020), die Unabhängigkeit der Justiz ist mangelhaft. Weitere bedeutende Menschenrechtsprobleme sind unverhältnismäßige Gewaltanwendung durch die Polizei, inklusive Foltervorwürfe (USDOS 11.3.2020; vgl. AI 18.2.2020), sowie die Einschränkung der Möglichkeit der Bürger, ihre Regierung zu wählen. Weitverbreitete Korruption begleitet Berichte über eingeschränkte Transparenz bei der Regierungsführung. Straffreiheit bleibt ein Problem (USDOS 11.3.2020). Obwohl die Verfassung Meinungs- und Pressefreiheit gewährleistet, schränkt die Regierung diese Rechte ein (USDOS 11.3.2020; vgl. HRW 13.1.2021, BS 29.4.2020, FH 2021). NGOs kritisieren diese Einschränkungen. Bürger können die Regierung nicht ungehindert kritisieren. Es drohen Belästigungen und Verhaftungen; Bürger sind somit bei der Äußerung von Kritik zurückhaltend. Alle Medienanbieter - auch private - stehen unter Beobachtung (USDOS 11.3.2020). Obwohl manche Zeitungen in Privatbesitz sind, und einige Journalisten eine aggressive Berichterstattung in Bezug auf Regierungsangelegenheiten an den Tag legen, so sind die meisten Zeitungen auf Regierungsbehörden zur Drucklegung und für Werbung angewiesen, was Selbstzensur fördert. Behörden verwenden rechtliche Mechanismen, um Medien zu belästigen und zu zensurieren oder sie bestrafen kontroverse Berichterstattung (FH 2021).

Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit werden durch die algerische Verfassung garantiert, dennoch werden Demonstrationen regelmäßig nicht genehmigt bzw. in Algier komplett verboten (AA 11.7.2020; vgl. USDOS 11.3.2020). Folglich sind die Möglichkeiten oppositioneller politscher Tätigkeit weiterhin eng begrenzt: Versammlungen müssen angemeldet sein, Demonstrationen in der Hauptstadt sind theoretisch weiterhin verboten, fanden aber vor der COVID-Pandemie mehrmals wöchentlich statt. Eine Parteigründung ist schwierig, politische Veranstaltungen sind engen Regeln unterworfen und im Grunde auf die dreiwöchigen Kampagnen vor Wahlen beschränkt (ÖB 11.2020). Oppositionelle Gruppierungen haben zudem oft Schwierigkeiten, Genehmigungen für Veranstaltungen in geschlossenen Räumen zu erhalten (AA 11.7.2020).

Algerien erlebte ab Februar 2019 die größten und nachhaltigsten Anti-Regierungsdemonstrationen seit seiner Unabhängigkeit 1962. Jeden Freitag demonstrierten Algerier in den Straßen der Hauptstadt Algier und anderswo. Als Reaktion auf die anhaltenden Proteste, zerstreuten die Behörden friedliche Demonstrationen, hielten willkürlich Protestierende fest, blockierten von politischen und Menschenrechtsgruppen organisierte Treffen und inhaftierten Kritiker (HRW 14.1.2020; vgl. AI 18.2.2020). Hunderte Hirak-Demonstranten wurden während Protesten Anfang 2020 verhaftet (HRW 13.1.2021). Im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie wurden die regelmäßigen Demonstrationen ab Ende März 2020 ausgesetzt. Ab 17.3.2020 wurden die Einschränkungen der Versammlungsfreiheit weiter verschärft (IPB 12.6.2020). Die Hirak-Proteste, die im Februar 2019 begannen, wurden von den Behörden zeitweise toleriert, zeitweise wurde mit Tränengas, Wasserwerfern, willkürlichen Verhaftungen und exzessiver Gewaltanwendung gegen die Demonstranten vorgegangen (FH 2021).

Das Gesetz garantiert der Regierung weitreichende Möglichkeiten zur Überwachung und Einflussnahme auf die täglichen Aktivitäten von zivilgesellschaftlichen Organisationen. Das Innenministerium muss der Gründung zivilgesellschaftlicher Organisationen zustimmen, bevor diese gesetzlich zugelassen werden (USDOS 11.3.2020). Das im Jahr 2012 verabschiedete Gesetz über Vereinigungen erleichterte die Gründung von politischen Parteien (BS 29.4.2020), wofür wie bei anderen Vereinigungen eine Genehmigung des Innenministeriums nötig ist. Politische Parteien auf Basis von Religion, Ethnie, Geschlecht, Sprache oder Region sind verboten. Es gibt jedoch islamistisch ausgerichtete Parteien, v.a. jene der Grünen Allianz (USDOS 11.3.2020). Seit Verabschiedung des Parteigesetzes 2012 nahm die Anzahl der Parteien deutlich zu. Dies führte jedoch auch zu einer Zersplitterung der Opposition (BS 29.4.2020). Oppositionsparteien können sich grundsätzlich ungehindert betätigen, soweit sie zugelassen sind, und haben Zugang zu privaten und – in sehr viel geringerem Umfang – staatlichen Medien. Jedoch haben einzelne Parteien kritisiert, dass ihnen teils die Ausrichtung von Versammlungen erschwert wird und sie Bedrohungen und Einschüchterungen ausgesetzt sind (AA 11.7.2020).

Die CNDH als staatliche Menschenrechtsorganisation (Ombudsstelle) hat eine konsultative und beratende Rolle für die Regierung. Sie veröffentlicht jährlich Berichte zur Menschenrechtslage im Land (USDOS 11.3.2020). Zahlreiche Einzelfälle zeigen, dass die Funktion einer echten Ombudsstelle gegenüber der Verwaltung fehlt [Anm.: die Effektivität der Ombudsstelle ist nur gering] (ÖB 11.2020).

Verschiedene nationale Menschenrechtsgruppen sind aktiv und können ihre Ergebnisse publizieren. Sie sind jedoch in unterschiedlichem Ausmaß Einschränkungen durch die Regierung ausgesetzt. Gesetzlich ist es allen zivilen Organisationen vorgeschrieben, sich bei der Regierung zu registrieren. Dennoch operieren einige Organisationen ohne Registrierung und werden seitens der Regierung toleriert (USDOS 11.3.2020).

Quellen:

• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.10.2020): Algerien - Politisches Porträt, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/algerien-node/-/222160 , Zugriff 12.3.2021

• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (11.7.2020): Bericht über die asyl-und abschiebungsrelevante Lage in der Demokratischen Volksrepublik Algerien (Stand: Juni 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2035826/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Demokratischen_Volksrepublik_Algerien_%28Stand_Juni_2020%

29%2C_11.07.2020.pdf , Zugriff 12.3.2021

• AI - Amnesty International (18.2.2020): Algeria 2019, https://www.amnesty.org/en/countries/middl

e-east-and-north-africa/algeria/report-algeria/ , Zugriff 26.2.2020

• BS - Bertelsmann Stiftung (29.4.2020): BTI 2020 Country Report - Algeria, https://www.bti-project.

org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_DZA.pdf , Zugriff 23.6.2020

• FH - Freedom House (2021): Freedom in the World 2021 - Algeria, https://freedomhouse.org/cou

ntry/algeria/freedom-world/2021 , Zugriff 15.3.2021

• HRW - Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2021 - Algeria, https://www.ecoi.net/de/do

kument/2043512.html , Zugriff 12.3.2021

• HRW - Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 - Algeria, https://www.hrw.org/worldreport/2020/country-chapters/algeria , Zugriff 15.1.2020

• IPB - Institut für Protest- und Bewegungsforschung (12.6.2020): Hirak - Bewegung in Algerien,

https://protestinstitut.eu/hirak-bewegung-in-algerien/ , Zugriff 17.6.2020

• ÖB - Österreichische Botschaft Algier [Österreich] (11.2020): Asylländerbericht Algerien, Quelle

liegt bei der Staatendokumentation auf

• USDOS - U.S. Department of State [USA] (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights

Practices: Algeria, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/02/ALGERIA-2019-HUMAN-RI

GHTS-REPORT.pdf , Zugriff 17.3.2020

Bewegungsfreiheit

Letzte Änderung: 18.03.2021

Die Verfassung garantiert Bewegungsfreiheit, Auslandsreisen, Emigration und Wiedereinbürgerung, diese Rechte werden jedoch von der Regierung in der Praxis eingeschränkt (USDOS 11.3.2020). Nach anderen Angaben können die meisten Bürger innerhalb des Landes und ins Ausland relativ frei reisen (FH 2021). Die Regierung hält aus Gründen der Sicherheit Reiserestriktionen in die südlichen Bezirke El-Oued und Illizi, in der Nähe von Einrichtungen der Kohlenwasserstoffindustrie sowie der libyschen Grenze, aufrecht. Überlandreisen sind aufgrund von Terrorgefahr zwischen den südlichen Städten Tamanrasset, Djanet und Illizi eingeschränkt (USDOS 11.3.2020).

Jungen wehrpflichtigen Männern, die ihren Wehrdienst noch nicht abgeleistet haben, wird die Ausreise ohne Sondergenehmigung verweigert (USDOS 11.3.2020; vgl. FH 2021). Sondergenehmigungen erhalten Studenten und Personen in besonderen Familienkonstellationen. Personen, die jünger als 18 Jahre sind, ist es gemäß Familienrecht nicht gestattet, ohne die Erlaubnis einer Aufsichtsperson ins Ausland zu reisen (USDOS 11.3.2020). Verheiratete Frauen, die jünger als 18 Jahre sind, dürfen ohne die Erlaubnis ihres Ehemanns nicht ins Ausland reisen (USDOS 11.3.2020; vgl. FH 2021). Ehefrauen, die älter als 18 Jahre sind, sind Auslandsreisen auch ohne Erlaubnis des Ehemanns gestattet (USDOS 11.3.2020)

Quellen:

• FH - Freedom House (2021): Freedom in the World 2021 - Algeria, https://freedomhouse.org/country/algeria/freedom-world/2021 , Zugriff 16.3.2021

• USDOS - U.S. Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices:Algeria, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/02/ALGERIA-2019-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf , Zugriff 17.3.2020

Grundversorgung

Letzte Änderung: 18.03.2021

Nahezu die gesamten Staatseinkünfte des Landes stammen aus dem Export von Erdöl und Erdgas. Rund 90% der Grundnahrungsmittel und fast die Gesamtheit der Pharmazeutika und Gebrauchsgüter werden importiert. Eine an den Bedürfnissen der Bevölkerung orientierte oder auf Autarkie zielende Industrialisierung hat nicht stattgefunden. Die Staatseinnahmen – und damit die Fähigkeit zur Subventionierung von Grundbedürfnissen (Grundnahrungsmittel, Wohnungsbau, Infrastruktur) – sind seit 2014 aufgrund der sinkenden Öl- und Gaspreise drastisch zurückgegangen (RLS 7.4.2020; vgl. BS 29.4.2020). Durch den Verfall der Öl- und Gaspreise befindet sich die algerische Wirtschaft seit 2014 in einer Abwärtsspirale. Öffentliche Ausgaben sind angespannt. Steuererhöhungen führten 2019 und Anfang 2020 zu Demonstrationen. Die Corona-Krise 2020 hat die wirtschaftliche Krise weiter vertieft (DI / DTDA 2020).

Algerien leistet sich aus Gründen der sozialen und politischen Stabilität ein für die Möglichketen des Landes aufwendiges Sozialsystem, das aus den Öl- und Gasexporten finanziert wird. Das Land hat - als eines von wenigen Ländern - in den letzten 20 Jahren eine Reduktion der Armutsquote von 25% auf 5% erreicht. Schulbesuch und Gesundheitsfürsorge sind kostenlos. Energie, Wasser und Grundnahrungsmittel werden stark subventioniert. Ein Menschenrecht auf Wohnraum wird anerkannt. Für Bedürftige wird Wohnraum kostenlos zur Verfügung gestellt. Missbräuchliche Verwendung ist häufig (ÖB 11.2020). Algerien hat ein relativ gut ausgebildetes Sozialsystem, dieses ist allerdings von einigen Unausgewogenheiten geprägt, z.B. Ungleichheiten zwischen formal Angestellten und im informellen Sektor Tätigen. Eine Alterspension ist rechtlich für 100% der Bevölkerung vorgesehen, tatsächlich beziehen konnten diese im Jahr 2018 nur 59%. Arbeitslosengeld existiert im formalen Sektor, es ist aber vergleichsweise niedrig (DI / DTDA 2020).

Die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln ist bislang durch umfassende Importe gewährleistet. Insbesondere im Vorfeld religiöser Feste, wie auch im gesamten Monat Ramadan, kommt es allerdings immer wieder zu substanziellen Preissteigerungen bei Grundnahrungsmitteln. Für Grundnahrungsmittel wie Weizenmehl, Zucker und Speiseöl gelten im Jänner 2011 eingeführte Preisdeckelungen und Steuersenkungen. Im Bereich der Sozialfürsorge kommt, neben geringfügigen staatlichen Transferleistungen, vornehmlich der Familien-, im Süden des Landes auch der Stammesverband, für die Versorgung alter Menschen, Behinderter oder chronisch Kranker auf. In den Großstädten des Nordens existieren „Selbsthilfegruppen“ in Form von Vereinen, die sich um spezielle Einzelfälle (etwa die Einschulung behinderter Kinder) kümmern. Teilweise fördert das Solidaritätsministerium solche Initiativen mit Grundbeträgen (AA 11.7.2020).

Die Arbeitslosigkeit liegt [Stand 2019] bei 11,7%, die Jugendarbeitslosigkeit (15 - 24-Jährige) bei 29,5% (WKO 2.2021); nach anderen Angaben bei 17% bzw. 50% (RLS 7.4.2020). In einer weiteren Quelle wird die Jugendarbeitslosigkeit mit Stand 2020 mit 30% angegeben, v.a. unter Frauen und höher Gebildeten (DI / DTDA 2020). Die Regierung anerkennt die Problematik der hohen Akademikerarbeitslosigkeit (ÖB 11.2020). Laut Weltbank betrug die Arbeitslosigkeit Ende 2019 12,3%; dieser Wert ist jedoch im Gefolge der COVID-Pandemie sicherlich angestiegen, aktuelle verlässliche Zahlen liegen nicht vor. Schwer zu beziffern ist der informelle Sektor, der laut UN-Quellen (inoffiziell) auf bis zu 60% des Landes geschätzt wird (ÖB 11.2020), nach anderen Angaben arbeiten 38% der Algerier im informellen Sektor (DI / DTDA 2020). Das staatliche Arbeitsamt Agence national d’emploi / ANEM ( http://www.anem.dz/ ) bietet Dienste an, es existieren auch private Jobvermittlungsagenturen (z.B. http://www.tancib.com/index.p hppage=apropos ). Seit Februar 2011 stehen jungen Menschen Starthilfekredite offen, wobei keine Daten darüber vorliegen, ob diese Mittel ausgeschöpft wurden. In manchen Regionen stellt der Staat kostenlos Land, Sach- sowie Geldmittel zur Verfügung, um landwirtschaftliche Unternehmungen zu erleichtern. Grundsätzlich ist anzumerken, dass allen staatlichen Genehmigungen/Unterstützungen eine (nicht immer deklarierte) sicherheitspolitische Überprüfung vorausgeht, und dass Arbeitsplätze oft aufgrund von Interventionen besetzt werden. Der offiziell erfasste Wirtschaftssektor ist von staatlichen Betrieben dominiert (ÖB 11.2020).

Quellen:

• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (11.7.2020): Bericht über die asyl-und abschiebungsrelevante Lage in der Demokratischen Volksrepublik Algerien (Stand: Juni 2020), https://www.ecoi.net/en/fi le/local/2035826/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Demokratischen_Volksrepublik_Algerien_%28Stand_Juni_2020% 29%2C_11.07.2020.pdf , Zugriff 12.3.2021

• BS - Bertelsmann Stiftung (29.4.2020): BTI 2020 Country Report - Algeria, https://www.bti-project. org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_DZA.pdf , Zugriff 23.6.2020

• DI / DTDA - Danish Industry / Danish Trade Union Development Agency [Dänemark] (2020): Labour Market Report Algeria - 2020, https://www.ulandssekretariatet.dk/wp-content/uploads/2020/06/LM R-Algeria-2020-final-version1.pdf , Zugriff 17.3.2021

• ÖB - Österreichische Botschaft Algier [Österreich] (11.2020): Asylländerbericht Algerien, Quelle

liegt bei der Staatendokumentation auf

• RLS - Rosa-Luxemburg-Stiftung (7.4.2020): Zwischen Pandemie-Bekämpfung und politischer Repression, https://www.rosalux.de/news/id/41937/zwischen-pandemie-bekaempfung-und-politisch er-repression?cHash=d0f52147ae9940a356cf04f0af11b4a9 , Zugriff 17.6.2020

• WKO - Wirtschaftskammer Österreich (2.2021): Länderprofil Algerien, https://wko.at/statistik/laend erprofile/lp-algerien.pdf , Zugriff 16.3.2021

Medizinische Versorgung

Letzte Änderung: 18.03.2021

Der Standard in öffentlichen Krankenhäusern entspricht nicht europäischem Niveau (ÖB 11.2020; vgl. AA 11.7.2020). Krankenhäuser, in denen schwierigere Operationen durchgeführt werden können, existieren in jeder größeren Stadt; besser ausgestattete Krankenhäuser gibt es an den medizinischen Fakultäten von Algier, Oran, Annaba und Constantine. Häufig auftretende chronische Krankheiten wie Diabetes, Krebs, Tuberkulose, Herz- und Kreislaufbeschwerden, Geschlechtskrankheiten und psychische Erkrankungen können auch in anderen staatlichen medizinischen Einrichtungen behandelt werden. AIDS-Patienten werden in sechs Zentren behandelt (AA 11.7.2020). Vor allem in Algier sind Privatspitäler entstanden, die nach europäschem Standard bezahlt werden müssen. Der Sicherheitssektor kann auf ein eigenes Netz von Militärspitälern zurückgreifen. Mit Frankreich besteht ein Sozialabkommen aus den 1960erJahren, das vorsieht, dass komplizierte medizinische Fälle in Frankreich behandelt werden können. Dieses Abkommen ist seit einiger Zeit überlastet. Nicht alle Betroffenen können es in Anspruch nehmen. Dies soll nun auch aus Kostengründen weiter eingeschränkt werden und entsprechende medizinische Zentren im Land geschaffen werden. Auch mit Belgien besteht ein entsprechendes Abkommen (ÖB 11.2020).

Immer wieder wird darauf aufmerksam gemacht, dass sich in Algerien ausgebildete Ärzte in Frankreich und Deutschland niederlassen, was zu einem Ärztemangel in Algerien führt. Die Versorgung im Landesinneren mit fachärztlicher Expertise ist nicht sichergestellt. Augenkrankheiten sind im Süden häufig. Algerien greift für die Versorgung im Landesinneren auf kubanische Ärzte zurück, z.B. die im April 2013 neu eröffnete Augenklinik in Bechar.

Immer wieder kommt es zu Beschwerden und Protesten über den unzureichenden Zustand des Gesundheitssystems, im Zuge der COVID-Pandemie kam es auch zu tätlichen Übergriffen auf Spitalspersonal. Probleme sind auch bei der Spitalshygiene und Medikamentenversorgung (nur Billigimporte oder lokale Produktion) gegeben. Die Müttersterblichkeit und Komplikationen bei Geburten sind aufgrund von Nachlässigkeiten in der Geburtshilfe hoch. Tumorpatienten können medizinisch nicht nach westlichem Standard betreut werden. Schwierig ist die Situation von Alzheimer- und Demenzpatienten und sowie von Behinderten. Generell wird, um ein Intensivbett zu kommen oder eines behalten zu können, oft auch zu Bestechung gegriffen (ÖB 11.2020).

Grundsätzlich ist medizinische Versorgung in Algerien allgemein zugänglich und kostenfrei (ÖB 11.2020; vgl. AA 11.7.2020). Krankenversichert ist nur, wer einer angemeldeten Arbeit nachgeht. Die staatliche medizinische Betreuung in Krankenhäusern steht auch Nichtversicherten beinahe kostenfrei zur Verfügung, allerdings sind Pflege und Verpflegung nicht sichergestellt, Medikamente werden nicht bereitgestellt, schwierige medizinische Eingriffe sind nicht möglich. Grundsätzlich meiden Algerier nach Möglichkeit die Krankenhäuser und bemühen sich, Kranke so schnell wie möglich in häusliche Pflege übernehmen zu können. Ohne ständige familiäre Betreuung im Krankenhaus ist eine adäquate Pflege nicht gesichert (ÖB 11.2020).

In der gesetzlichen Sozialversicherung sind Angestellte, Beamte, Arbeiter oder Rentner sowie deren Ehegatten und Kinder bis zum Abschluss der Schul- oder Hochschulausbildung obligatorisch versichert. Die Sozial- und Krankenversicherung ermöglicht grundsätzlich in staatlichen Krankenhäusern eine kostenlose, in privaten Einrichtungen eine kostenrückerstattungsfähige ärztliche Behandlung. Immer häufiger ist jedoch ein Eigenanteil zu übernehmen. Die höheren Kosten bei Behandlung in privaten Kliniken werden nicht oder nur zu geringerem Teil übernommen. Algerier, die nach jahrelanger Abwesenheit aus dem Ausland zurückgeführt werden, sind nicht mehr gesetzlich sozialversichert und müssen daher sämtliche Kosten selbst übernehmen, sofern sie nicht als Kinder oder Ehegatten von Versicherten erneut bei der Versicherung eingeschrieben werden oder selbst einer versicherungspflichtigen Arbeit nachgehen (AA 11.7.2020).

Quellen:

• AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (11.7.2020): Bericht über die asyl-und abschiebungsrelevante

Lage in der Demokratischen Volksrepublik Algerien (Stand: Juni 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2035826/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Demokratischen_Volksrepublik_Algerien_%28Stand_Juni_2020%

29%2C_11.07.2020.pdf , Zugriff 12.3.2021

• ÖB - Österreichische Botschaft Algier [Österreich] (11.2020): Asylländerbericht Algerien, Quelle

liegt bei der Staatendokumentation auf

Rückkehr

Letzte Änderung: 18.03.2021

Die illegale Ausreise, d.h. die Ausreise ohne gültige Papiere bzw. ohne eine Registrierung der Ausreise per Stempel und Ausreisekarte am Grenzposten, ist gesetzlich verboten (Art. 175 bis 1. algerisches Strafgesetzbuch, Gesetz 09-01 vom 25.2.2009, kundgemacht am 8.3.2009) (ÖB 11.2020; vgl. AA 11.7.2020). Das Gesetz sieht ein Strafmaß von zwei bis sechs Monaten und / oder eine Strafe zwischen20.000 DA bis 60.000 DA [Anm.: ca. 126 - 378 Euro] vor (ÖB 11.2020). Rückkehrer, die ohne gültige Papiere das Land verlassen haben, werden mitunter zu einer Bewährungsstrafe von sechs Monaten verurteilt. Für illegale Bootsflüchtlinge („harraga“) sieht das Gesetz Haftstrafen von zwei bis zu sechs Monaten und zusätzliche Geldstrafen vor. In der Praxis werden zumeist Bewährungsstrafen verhängt (AA 11.7.2020).

Eine behördliche Rückkehrhilfe ist der ÖB nicht bekannt. Ebenso sind der Botschaft keine NGOs bekannt, die solche Unterstützung leisten. Es gibt in Algerien 10.000 angemeldete Vereine, die meisten davon sind Wohltätigkeitsvereine- es ist allerdings nicht bekannt, ob von diesen spezielle Rückkehrhilfe geleistet wird. Generell kann davon ausgegangen werden, dass Familien zurückkehrende Mitglieder wieder aufnehmen und unterstützen. Die Botschaft kennt auch Fälle von finanzieller Rückkehrhilfe (1.000-2.000€) durch Frankr

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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