TE Bvwg Erkenntnis 2021/9/27 W209 2246652-1

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Veröffentlicht am 27.09.2021
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Entscheidungsdatum

27.09.2021

Norm

AlVG §49
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §13 Abs2
VwGVG §13 Abs5

Spruch


W209 2246652-1/6E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Reinhard SEITZ als Vorsitzenden und die fachkundigen Laienrichter Mag. Gabriele STRAßEGGER und Peter STATTMANN als Beisitzer über die Beschwerde der XXXX , XXXX , XXXX , gegen den Bescheid des Arbeitsmarktservice Wien Jägerstraße vom 06.09.2021 betreffend Verlust des Anspruches auf Notstandshilfe für die Zeit von 24.08.2021 bis 31.08.2021 (Spruchpunkt A) und Ausschluss der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde gegen diesen Bescheid (Spruchpunkt B) zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde gegen den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung wird Folge gegeben und Spruchpunkt B) des angefochtenen Bescheides ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Mit beschwerdegegenständlichem Bescheid vom 06.09.2021 sprach die belangte Behörde (im Folgenden: AMS) aus, dass die Beschwerdeführerin infolge Versäumnis eines Kontrollmeldetermins gemäß § 49 Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977 (AlVG) für die Zeit von 24.08.2021 bis 31.08.2021 ihren Anspruch auf Notstandshilfe verloren habe (Spruchpunkt A), und schloss die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen diesen Bescheid gemäß § 13 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) aus (Spruchpunkt B).

Der Ausschluss der aufschiebenden Wirkung wurde damit begründet, dass die Einhaltung einer Kontrollmeldung ein wesentliches Instrument der Arbeitsvermittlung sei und der raschen Integration in den Arbeitsmarkt diene, weshalb diese grundsätzlich einmal wöchentlich wahrzunehmen sei. Die im öffentlichen Interesse gelegene rasche Arbeitsmarktintegration gestalte sich umso schwieriger, je länger der Arbeitslose der Vermittlungstätigkeit des AMS fernbleibt, indem er vorgeschriebene Kontrollmeldungen ohne Vorliegen von triftigen Gründen nicht wahrnimmt. Da im Zeitraum ab dem versäumten Kontrollmeldetermin bis zur Wiedermeldung dem AMS die Beendigung der Arbeitslosigkeit durch Vermittlung einer zumutbaren Beschäftigung nicht möglich gewesen sei, stünde eine vorläufige Auszahlung der Leistung im Hinblick auf die von der Beschwerdeführerin verursachte Verhinderung der Vermittlungs- und Betreuungsmöglichkeit in einem die Versichertengemeinschaft grob belastenden Missverhältnis. Eine aufschiebende Wirkung würde den aus generalpräventiver Sicht im öffentlichen Interesse gelegenen Normzweck, Leistungen bei Arbeitslosigkeit nur bei gleichzeitiger Verfügbarkeit für die Arbeitsvermittlung zu gewähren, unterlaufen. Aus diesem Grund überwiege das öffentliche Interesse gegenüber dem mit einer Beschwerde verfolgten Einzelinteresse.

2. Dagegen richtet sich die vorliegende, binnen offener Rechtsmittelfrist erhobene Beschwerde, die im Wesentlichen damit begründet wurde, dass die Beschwerdeführerin das Schreiben mit der Einladung zum Kontrollmeldetermin nicht erhalten habe.

3. Am 23.09.2021 einlangend legte das AMS die Beschwerde gegen den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung unter Anschluss der Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor und teilte mit, von der Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung (betreffend die Beschwerde gegen den Verlust der Notstandshilfe) nicht absehen zu wollen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen und Beweiswürdigung:

Der entscheidungswesentliche Sachverhalt ergibt sich aus dem unter Punkt I. dargestellten Verfahrensgang und steht aufgrund der Aktenlage als unstrittig fest.

2. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG), BGBl. I. Nr. 10/2013, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

§ 56 Abs. 2 AlVG normiert, dass über Beschwerden gegen Bescheide der Geschäftsstellen des Arbeitsmarktservice das Bundesverwaltungsgericht durch einen Senat zu entscheiden hat, dem zwei fachkundige Laienrichter, je einer aus dem Kreis der Arbeitgeber und einer aus dem Kreis der Arbeitnehmer angehören. Gegenständlich liegt daher Senatszuständigkeit mit Laienrichterbeteiligung vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Zu A)

Gemäß § 13 Abs. 2 VwGVG kann die aufschiebende Wirkung von der Behörde mit Bescheid ausgeschlossen werden, wenn nach Abwägung der berührten öffentlichen Interessen und der Interessen anderer Parteien der vorzeitige Vollzug des angefochtenen Bescheides oder die Ausübung der durch den angefochtenen Bescheid eingeräumten Berechtigung wegen Gefahr im Verzug dringend geboten ist. Nach § 13 Abs. 5 VwGVG hat die Behörde die Beschwerde gegen einen Bescheid gemäß Abs. 2 – sofern sie nicht als verspätet oder unzulässig zurückzuweisen ist – dem Verwaltungsgericht unter Anschluss der Akten des Verfahrens unverzüglich vorzulegen. Das Verwaltungsgericht hat über die Beschwerde ohne weiteres Verfahren unverzüglich zu entscheiden und der Behörde, wenn diese nicht von der Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung absieht, die Akten des Verfahrens zurückzustellen.

Fallbezogen ergibt sich daraus Folgendes:

Die Entscheidung über die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung ist das Ergebnis einer im Einzelfall vorzunehmenden Interessenabwägung (vgl. VwGH 01.09.2014, Ra 2014/03/0028). § 13 Abs. 2 VwGVG ermöglicht es, den in der Praxis bestehenden Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Einbringung allenfalls unberechtigt empfangener Geldleistungen der Arbeitslosenversicherung zu begegnen und dem Interesse der Versichertengemeinschaft, die Einbringlichkeit von (vermeintlich) zu Unrecht gewährten Leistungen an den einzelnen Versicherten ohne Zuwarten auf eine rechtskräftige Entscheidung im Falle der Bekämpfung eines Bescheides zu berücksichtigen, indem die berührten öffentlichen Interessen mit den Interessen des Leistungsempfängers abgewogen werden. Stellt sich im Zuge dieser Interessenabwägung heraus, dass der vorzeitige Vollzug des angefochtenen Bescheides wegen Gefahr im Verzug dringend geboten ist, so kann die Behörde die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde mit Bescheid ausschließen.

Das Tatbestandsmerkmal "Gefahr im Verzug" bringt zum Ausdruck, dass der Ausschluss der aufschiebenden Wirkung nur das Eintreten erheblicher Nachteile für eine Partei bzw. gravierender Nachteile für das öffentliche Wohl verhindern soll (vgl. Hengstschläger/Leeb, Rz 31 zu § 64 AVG; Eder/Martschin/Schmid, Das Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte2, § 13 VwGVG K 12).

Ein im öffentlichen Interesse gelegener Bedarf nach einer Aberkennung der aufschiebenden Wirkung ist im Allgemeinen insbesondere bei der Verhängung einer Sperrfrist mangels Arbeitswilligkeit gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AlVG (iVm § 38 AlVG) gegeben, deren disziplinierender Zweck weitgehend verloren ginge, wenn sie erst Monate nach ihrer Verhängung in Kraft treten würde. Die Interessenabwägung kann vor allem dann zu Gunsten einer Aberkennung der aufschiebenden Wirkung ausschlagen, wenn für den Fall einer vorläufigen Weitergewährung einer Leistung die Einbringlichkeit des Überbezuges gefährdet ist. Ob eine solche Gefährdung vorliegt, hat das AMS zu ermitteln und gegebenenfalls auf Grund konkret festzustellender Tatsachen über die wirtschaftlichen Verhältnisse der betroffenen Partei festzustellen (Müller in Pfeil AlVG-Komm Rz 3f und 19 zu § 56) (vgl. VwGH 11.04.2018, Ro 2017/08/0033).

Im vorliegenden Fall begründete das AMS das öffentlichen Interesse am Ausschluss der aufschiebenden Wirkung mit der Notwendigkeit einer raschen Arbeitsmarktintegration von Arbeitslosen, die sich umso schwieriger gestalte, je länger der Arbeitslose der Vermittlungstätigkeit des AMS fernbleibt, indem er vorgeschriebene Kontrollmeldungen ohne Vorliegen von triftigen Gründen nicht wahrnimmt. Feststellungen dazu, wieso die Einbringlichkeit des Überbezuges für den Fall einer vorläufigen Weitergewährung der Leistung im konkreten Fall gefährdet wäre, traf es jedoch nicht, indem es die Frage, ob die wirtschaftlichen Verhältnisse der Beschwerdeführerin oder andere Gründe eine solche Gefahr nahelegen, unbeantwortet ließ. Hinweise, dass der vorzeitige Vollzug des angefochtenen Bescheides wegen Gefahr in Verzug dringend geboten wäre, sind nach der Aktenlage auch nicht evident.

Wie oben dargelegt, fordert § 13 Abs. 2 VwGVG ausdrücklich und zusätzlich zum Bestehen eines relevanten Interesses am Ausschluss der aufschiebenden Wirkung das Vorliegen von Gefahr im Verzug. Bei Aufschub der Vollstreckung der angefochtenen Entscheidung muss konkret ein nicht wiedergutzumachender erheblicher Nachteil für die Partei oder ein gravierender Nachteil für das öffentliche Wohl drohen. Da sich aus dem vorliegenden Sachverhalt nicht ergibt, dass der Aufschub der Vollstreckung des gegenständlichen Bescheids ein unverhältnismäßiger Nachteil für die Versichertengemeinschaft droht, ist eine Einschränkung des rechtsstaatlichen Grundsatzes der faktischen Effizienz eines erhobenen Rechtsmittels nicht rechtfertigbar.

Da im Hinblick auf die gemäß § 13 Abs. 5 VwGVG unverzüglich und ohne weiteres Verfahren zu treffende Entscheidung ergänzende Erhebungen durch das Verwaltungsgericht ausscheiden, war der Beschwerde gegen den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung somit stattzugeben und der angefochtene Bescheid hinsichtlich des Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung (Spruchpunkt B) ersatzlos zu beheben.

Mit der gegenständlichen Entscheidung wird einer Entscheidung in der Hauptsache nicht vorgegriffen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

aufschiebende Wirkung Begründungsmangel Gefahr im Verzug Interessenabwägung wirtschaftliche Situation

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W209.2246652.1.00

Im RIS seit

27.10.2021

Zuletzt aktualisiert am

27.10.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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