TE Vwgh Erkenntnis 2021/10/6 Ra 2021/03/0142

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Veröffentlicht am 06.10.2021
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren
93 Eisenbahn

Norm

AVG §52
EisenbahnG 1957 §48 Abs2
EisenbahnG 1957 §48 Abs4
EisenbahnG 1957 §49 Abs2
VwGVG 2014 §24
VwGVG 2014 §28
VwGVG 2014 §28 Abs3

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Handstanger sowie die Hofräte Dr. Lehofer und Mag. Nedwed als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Dr. Zeleny, über die Revision der Landeshauptfrau von Niederösterreich gegen den am 10. Juni 2021 mündlich verkündeten und am 23. Juni 2021 schriftlich ausgefertigten Beschluss des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich, LVwG-AV-25/001-2021, LVwG-AV-26/001-2021, LVwG-AV-27/001-2021, LVwG-AV-28/001-2021, betreffend die Kostentragung für die Sicherung von Eisenbahnkreuzungen (mitbeteiligte Parteien: 1. Marktgemeinde W, vertreten durch Dr. Christian Stocker, Rechtsanwalt in 2700 Wiener Neustadt, Herzog-Leopold-Straße 26 und 2. Ö AG in W, vertreten durch Walch/Zehetbauer/Motter Rechtsanwälte OG in 1010 Wien, Biberstraße 11), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1        Die zweitmitbeteiligte Partei (im Folgenden: Ö) ist ein Eisenbahninfrastrukturunternehmen und Eigentümerin bzw. Betreiberin der Schieneninfrastruktur der Eisenbahnstrecke Bad Fischau-Brunn - Gutenstein. Diese Eisenbahnstrecke kreuzt bei km 16,214, 17,457, 19,326 und 19,241 jeweils Gemeindestraßen der erstmitbeteiligten Marktgemeinde.

2        Mit Bescheiden jeweils vom 2. Dezember 2015 ordnete der Landeshauptmann von Niederösterreich an, diese Eisenbahnkreuzung mit näher genannten Sicherungsanlagen zu sichern.

3        Mit Schriftsatz vom 5. Dezember 2018 stellte die Ö für diese Eisenbahnkreuzungen bei der Landeshauptfrau von Niederösterreich den Antrag auf behördliche Kostenentscheidung gemäß § 49 Abs. 2 iVm § 48 Abs. 2 bis 4 Eisenbahngesetz 1957 (EisbG).

4        Die Landeshauptfrau von Niederösterreich beauftragte in weiterer Folge die gesetzlich vorgesehene Sachverständigenkommission mit der Erstattung von Gutachten, die am 26. August 2020 erstattet wurden.

5        Gestützt auf die Ergebnisse dieser Gutachten setzte die Landeshauptfrau von Niederösterreich mit Bescheiden vom 12., 17. und 18. November 2020 die mit der Errichtung sowie der Erhaltung und Inbetriebhaltung der Sicherungsanlage verbundenen Kosten fest, ordnete eine Kostenaufteilung zwischen der Ö und der erstmitbeteiligten Marktgemeinde an und verpflichtete die Letztgenannte, der Ö näher genannte Beträge zu zahlen.

6        Aufgrund der gegen diese Bescheide erhobenen Beschwerden der erstmitbeteiligten Marktgemeinde hob das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich mit dem nunmehr angefochtenen Beschluss die Bescheide der Landeshauptfrau von Niederösterreich vom 12., 17. und 18. November 2020 gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG auf und verwies die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheids an die Landeshauptfrau von Niederösterreich zurück. Die Revision erklärte das Verwaltungsgericht für nicht zulässig.

7        Begründend hielt das Verwaltungsgericht zusammengefasst fest, die im Behördenverfahren eingeholten Gutachten der Sachverständigenkommission, welche die Behörde ihren Bescheiden zu Grunde gelegt habe, seien - aus näher dargestellten Gründen - nicht schlüssig und nachvollziehbar. Die Landeshauptfrau von Niederösterreich hätte entweder die Sachverständigenkommission auffordern müssen, ihre Gutachten zu ergänzen, oder alternativ andere (Amts-)Sachverständige für die jeweiligen Fachgebiete beiziehen müssen, um den Sachverhalt so weit zu klären, dass darauf tragfähige behördliche Entscheidungen gegründet werden könnten. Indem sie dies unterlassen habe, habe die belangte Behörde bloß ansatzweise ermittelt. Im Hinblick auf die Komplexität der Sache sei von einem erheblichen Erörterungsbedarf auszugehen. Die Ergänzung der Gutachten würde sich für das Verwaltungsgericht wesentlich komplizierter gestalten als für die Behörde. Hinzu komme, dass beim Verwaltungsgericht zahlreiche ähnlich gelagerte Beschwerden in eisenbahnrechtlichen Angelegenheiten anhängig seien, wodurch sich der Eindruck verdichte, dass die belangte Behörde systematisch schwierige Ermittlungen unterlasse, um sie letztlich ins Beschwerdeverfahren zu delegieren. Aus den genannten Gründen sei der angefochtene Bescheid aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Landeshauptfrau von Niederösterreich zurückzuverweisen.

8        Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision der Landeshauptfrau von Niederösterreich, die zur Zulässigkeit unter anderem vorbringt, das Verwaltungsgericht sei von der (näher bezeichneten) Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu seiner meritorischen Entscheidungspflicht gemäß § 28 VwGVG abgewichen.

9        Die mitbeteiligten Parteien erstatteten dazu Revisionsbeantwortungen.

10       Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

11       Die Revision ist im Sinne des angeführten Zulassungsvorbringens zulässig und begründet.

12       Der Verwaltungsgerichtshof erkennt in ständiger Rechtsprechung (beginnend mit VwGH 26.6.2014, Ro 2014/03/0063), dass die in § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG vorgesehene Möglichkeit der Zurückverweisung einer Rechtssache an die Verwaltungsbehörde eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte darstellt. Nach dem damit gebotenen Verständnis steht diese Möglichkeit nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 VwGVG verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlangt das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden.

13       Der Verwaltungsgerichtshof hat auch bereits wiederholt hervorgehoben, dass selbst Bescheide, die in der Begründung dürftig sind, keine Zurückverweisung der Sache rechtfertigen, wenn brauchbare Ermittlungsergebnisse vorliegen, die im Zusammenhalt mit einer allenfalls durchzuführenden Verhandlung (§ 24 VwGVG) zu vervollständigen sind.

14       Zwar kann sich im Rahmen der Verhandlung auch herausstellen, dass die noch fehlenden Ermittlungen einen Umfang erreichen, der eine Behebung und Zurückverweisung erlaubt. Allerdings hat der Verwaltungsgerichtshof klargestellt, dass eine erforderliche Ergänzung eines Gutachtens bzw. Befragung von Sachverständigen oder überhaupt die Notwendigkeit der Einholung eines (weiteren) Gutachtens im Allgemeinen nicht die Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG rechtfertigen (vgl. zum Ganzen etwa VwGH 12.4.2018, Ra 2017/04/0061, mwN).

15       Im gegenständlichen Fall hat das Verwaltungsgericht zwar Mängel der eingeholten Gutachten der Sachverständigenkommission und der darauf aufbauenden Bescheide der belangten Behörde aufgezeigt. Dass diese Mängel im Sinne der dargestellten höchstgerichtlichen Rechtsprechung eine Zurückverweisung der Rechtssache an die belangte Behörde gerechtfertigt hätten, vermag das Verwaltungsgericht aber nicht darzulegen.

16       Wenn das Verwaltungsgericht argumentiert, die Gutachtensergänzung im gerichtlichen Verfahren wäre deutlich umständlicher als eine Verfahrensergänzung durch die belangte Behörde, rechtfertigt allein dieses Argument eine Zurückverweisung der Rechtssache nicht. Abgesehen davon ist nicht nachvollziehbar, weshalb eine Gutachtensergänzung durch das Verwaltungsgericht nicht auch schriftlich und im Falle einer notwendigen Erörterung - anders als das Verwaltungsgericht vermeint - nur mit repräsentativen Mitgliedern der Gutachterkommission erfolgen können sollte. Auf die Möglichkeit für das Verwaltungsgericht, auch andere geeignete Beweismittel - wie etwa ein Gutachten eines anderen geeigneten Sachverständigen - einzuholen und der Feststellung des Sachverhalts zugrunde zu legen (vgl. näher VwGH 24.1.2018, Fr 2017/03/0009), sei lediglich hingewiesen (vgl. zum Ganzen auch VwGH 9.8.2021, Ra 2021/03/0005).

17       Der Umstand, dass beim Verwaltungsgericht mehrere eisenbahnrechtliche Verfahren anhängig sind, in denen das Gericht die eingeholten Gutachten ebenfalls für unzureichend anzusehen scheint, um darauf tragfähige Kostenentscheidungen zu gründen, reicht alleine nicht aus, um den Schluss des Verwaltungsgerichts zu rechtfertigen, die Verwaltungsbehörde habe Ermittlungen unterlassen, um diese an das Verwaltungsgericht zu delegieren. Dieser Sichtweise tritt die Amtsrevision auch ausdrücklich entgegen und verweist - unwiderlegt - darauf, dass sie lediglich einen anderen Rechtsstandpunkt zur Eignung der Gutachten eingenommen habe.

18       Der angefochtene Beschluss war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Wien, am 6. Oktober 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021030142.L00

Im RIS seit

27.10.2021

Zuletzt aktualisiert am

03.11.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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