TE Lvwg Erkenntnis 2021/7/21 LVwG-M-2/001-2021

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Veröffentlicht am 21.07.2021
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Entscheidungsdatum

21.07.2021

Norm

B-VG Art 130 Abs1 Z2
VersammlungsG 1953 §13

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich erkennt durch Ing. Mag. Andreas Ferschner als Einzelrichter über die Maßnahmenbeschwerde des A, vertreten durch B, Rechtsanwalt in ***, ***, betreffend Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt in Form zwangsweiser Auflösung einer Versammlung nach dem Versammlungsgesetz 1953, zu Recht:

1.   Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 6 VwGVG Folge gegeben.

Der angefochtene Verwaltungsakt wird für rechtswidrig erklärt.

2.   Der Bund (Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz) hat dem Beschwerdeführer € 737,60 Euro für Schriftsatzaufwand, und € 922,00 Euro für den Aufwand für die Verhandlung und € 30,00 für die Eingabegebühr binnen 14 Tagen nach bei sonstigem Zwang zu leisten.

3.   Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig (§ 25a VwGG).

Begründung:

I.       Gang des Verfahrens

Mit Schriftsatz vom 05. Februar 2021 brachte der Beschwerdeführer durch seine anwaltliche Vertretung die gegenständliche Maßnahmenbeschwerde ein und beantragte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung, die Feststellung der rechtswidrig durchgeführten Auflösung der Versammlung vom 29. Dezember 2020 sowie die Auferlegung der Kosten zulasten des Rechtsträgers.

In der Beschwerde wurde im Wesentlichen Folgendes vorgebracht:

Der BF war bereits in den vergangenen Jahren an zahlreichen Veranstaltungen bzw. öffentlichen Protesten beteiligt. Zu diesem Zweck hatte er bereits mehrfach Veranstaltungen gegenüber der jeweils zuständigen Behörde angezeigt. Diese Anmeldungen wurden nie beanstandet und der BF wurde bisher nie im Zusammenhang mit einer Versammlung mit einer Verwaltungsstrafe belegt.

Vom 29.12.2020 bis 31.12.2020 plante der BF gemeinsam mit zwei weiteren Personen, in *** ein Protestcamp zu veranstalten, um auf die Situation von Schutzsuchenden in den Elendslagern an der Südgrenze Europas aufmerksam zu machen und deren Aufnahme auch in Österreich zu fordern.

Als konkreter Ort für die Versammlung wurde der *** (freier Platz vor dem *** zwischen der Einfahrt *** und der ***) in *** ausgewählt. Dabei handelt es sich um den Gehsteig einer Straße im öffentlichen Eigentum mit relativ wenig Verkehrsaufkommen.

Mehr als 48 Stunden vor Beginn, am 27.12.2020, zeigte der BF die Versammlung per E-Mail bei der belangten Behörde an. Die E-Mail richtete er an Herr C, der ihm bereits von vorherigen Versammlungen bekannt war. Der BF hatte in der Vergangenheit rund zwölf Versammlungen bei Herrn C angemeldet. Zu keinem Zeitpunkt war er darüber informiert worden, dass die Anzeige nicht rechtskonform sei bzw. an die falsche Adresse erstattet worden sei.

Da der BF unmittelbar nach der genannten Versammlungsanmeldung vom 27.12.202 eine Abwesenheitsnotiz mit dem Hinweis erhielt, sich in dringenden Angelegenheiten an Herrn D zu wenden, erstattete der BF unmittelbar nachdem er die Abwesenheitsnotiz gelesen hatte die Versammlungsanzeige auch an diesen. Die entsprechende E-Mail-Adresse wurde in der erwähnten Abwesenheitsnotiz bekanntgegeben. Die Anzeige enthielt sämtliche notwendige Informationen sowie Kontaktdaten des BF inklusive einer Telefonnummer.

Die belangte Behörde nahm im Vorfeld der Versammlung keinen Kontakt zum BF auf und untersagte die Versammlung nicht.

Unmittelbar vor Beginn der Versammlung sprach der BF sicherheitshalber persönlich bei der Polizeiinspektion *** vor, um nachzufragen, ob die Polizei von der Versammlung informiert worden war.

Wie geplant startete die Versammlung am 29.12.2020, um etwa 18:00 Uhr, am ***. Zu diesem Zweck wurden zwei Zelte aufgebaut und es wurde mit Schildern auf den Zweck der Veranstaltung hingewiesen. Die Zelte waren ausreichend beleuchtet und befanden sich an einem Ort mit sehr geringem Verkehrsaufkommen (Gehsteig mit Kopfsteinpflaster neben einer Kirche sowie einem Park, angrenzend an eine Sackgasse). Sämtliche Versammlungsteilnehmer_innen achteten auf ausreichenden Abstand zu haushaltsfremden Personen bzw. trugen Mund-Nasen-Schutz.

Ungefähr zwei Stunden nach Beginn der Versammlung, sohin am 29.12.2020 um etwa 19:00 Uhr, wurde diese von einem Beamten der belangten Behörde, Herrn D, in Begleitung von vier Polizeibeamt_innen aufgelöst.

Zum Zeitpunkt der Auflösung befanden sich weniger als zehn Versammlungsteilnehmer_innen vor Ort. Die Stimmung war ruhig und friedlich und es war zu keinerlei Beschwerden von Anrainer_innen gekommen.

Als Begründung für die Auflösung wurde dem BF mitgeteilt, dass eine Genehmigung für die Durchführung der Versammlung sowie die Benützung der (öffentlichen) Straße fehle. Eine Anzeige der Versammlung habe die belangte Behörde nicht erhalten.

Der BF widersetzte sich der Aufforderung, die Versammlung zu beenden und den Ort zu verlassen, nicht aktiv, er brachte aber verbal deutlich zum Ausdruck, dass er damit nicht einverstanden war. Sohin leistete er den Aufforderungen der belangten Behörde nicht freiwillig Folge, sondern nur, weil er andernfalls angesichts der anwesenden Polizeibeamt_innen mit einer unmittelbaren zwangsweisen Durchführung rechnete.

[…]

Gemäß § 6 VersammlungsG sind Versammlungen zu untersagen, wenn deren Zweck den Strafgesetzen zuwiderläuft, deren Abhaltung die öffentliche Sicherheit oder das öffentliche Wohl gefährdet oder diese der politischen Tätigkeit von Drittstaatsangehörigen dient und den anerkannten internationalen Rechtsgrundsätzen und Gepflogenheiten oder den völkerrechtlichen Verpflichtungen, den demokratischen Grundwerten oder außenpolitischen Interessen der Republik Österreich zuwiderläuft.

Gemäß § 13 VersammlungsG können Versammlungen, die gegen die Vorschriften des Versammlungsgesetzes verstoßen, aufgelöst werden. Das gilt auch für gesetzmäßig veranstaltete Versammlungen, wenn sich gesetzwidrige Vorgänge ereignen oder wenn die Versammlung einen die öffentliche Ordnung bedrohenden Charakter annimmt.

Ob die gegenständliche Versammlung ordentlich angemeldet war, ist tatsächlich irrelevant, weil auch Versammlungen, die nicht in der gesetzlich geforderten Weise angemeldet wurden, selbstverständlich den grundrechtlichen Schutz der Versammlungsfreiheit genießen (vgl. ua. VwGH 15.10.2009, 2007/09/0307, RS 1; VfSlg. 11132/1986, 14366/1995; EGMR 05.03.2009, 31684/05 - Barraco). Schon allein deshalb kann auch eine fehlerhafte Anmeldung kein hinreichender Grund für eine Auflösung sein.

Der BF vertritt allerdings darüber hinaus den Rechtsstandpunkt, dass die Anmeldung der Versammlung korrekt und fristgerecht erfolgt war.

Eingriffe in die grundrechtlich geschützte Versammlungsfreiheit sind unabhängig von der Anmeldung einer Versammlung nur zulässig, soweit dies zum Schutz eines der Rechtsgüter notwendig ist, die in Art. 11 Abs. 2 bzw. Art. 10 Abs. 2 EMRK aufgezählt sind. Demnach muss es sich um gesetzlich normierte Einschränkungen handeln, die „in einer demokratischen Gesellschaft im Interesse der nationalen und öffentlichen Sicherheit, der

Aufrechterhaltung der Ordnung und der Verbrechensverhütung, des Schutzes der Gesundheit und der Moral oder des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer notwendig sind“.

Die Umstände, die vor einer rechtmäßigen Auflösung (oder Untersagung) einer Versammlung eingetreten sein müssten, müssen mit anderen Worten so geartet sein, dass ohne diese Maßnahme eines der in Art. 11 Abs. 2 EMRK aufgezählten Schutzgüter gefährdet wäre. Bei der Prüfung eines allfälligen Eingriffs in die Versammlungsfreiheit ist jedenfalls immer eine Abwägung der für und wider den Eingriff sprechenden Gründe

vorzunehmen (vgl. E VfGH 01.12.1986, VfSlg. 11.132, sowie E 30.11.1995, VfSlg. 14.367, und 10.06.1985, VfSlg. 10.443; VwGH 29.03.2004, 98/01/0213, RS 4).

Sowohl der Verfassungsgerichtshof (VfGH), als auch der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) legen regelmäßig einen sehr strengen Maßstab an die zulässige Einschränkung der Versammlungsfreiheit an. So sind etwa bloße Verkehrsbehinderungen durch Versammlungen regelmäßig in Kauf zu nehmen (vgl. ua. VfGH 07.12.1973, B 158/73 in VfSlg 7229/1973). Eine Verkehrsbehinderung könne lediglich dann die Auflösung einer Versammlung notwendig machen, wenn die durch die Versammlung „zu befürchtende unvermeidbare, weiträumige, lange währende, extreme Störung des Straßenverkehrs gravierende Belästigungen und auch sicherheitsgefährdende Beeinträchtigungen zahlreicher unbeteiligter Personen erwarten ließe“ (vgl. VfGH 08.10.2020, E4552/2019, im zugrundeliegenden Fall: Störung eines Verkehrsknotenpunkts an der Westautobahn A1 ohne Ausweichmöglichkeit).

Auch (gehäuftes) verwaltungsbehördlich strafbares Handeln ist kein Grund für die Auflösung einer Versammlung. Vielmehr kann ein solches Handeln iSd § 6 VStG sogar gerechtfertigt sein, wenn dieses im Zusammenhang mit einer Versammlung gesetzt wird und zur Durchführung der Versammlung erforderlich ist (vgl. ua. E VfGH VfSlg. 11866/1988 und 12116/1989).

Von der Versammlung ging keinerlei Gefahr aus; insbesondere keine Gefahr für die in Art. Abs. 2 und Art. 1 Abs. 2 EMRK genannten Rechtsgüter. Weder eine fehlende Versammlungsanzeige wäre für eine Auflösung ausreichend, noch die Benützung einer öffentlichen Verkehrsfläche.

Andere Gründe, die für eine Auflösung der Versammlung gesprochen hätten, sind nicht ersichtlich.

Der BF wurde daher durch die Auflösung der Versammlung in seinem Grundrecht auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit verletzt.

Auch wenn von der Versammlung tatsächlich eine Gefahr ausgegangen wäre, hätte die belangte Behörde dem BF als Veranstalter der Versammlung zudem vor einer Auflösung der Versammlung zunächst die Möglichkeit geben müssen, allfällige Änderungen vorzunehmen (bessere Beleuchtung, geringfügige Ortsveränderung oä.). Wie dargelegt befanden sich zum Zeitpunkt der Auflösung weniger als zehn Versammlungsteilnehmer_innen vor Ort. Veränderungen wären daher jedenfalls leicht und rasch durchführbar gewesen“.

Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich hat am 19. März 2021 sowie fortgesetzt am 13. Juli 2021 eine öffentliche mündliche Verhandlung durchgeführt, in der Beweis erhoben wurde durch die Einvernahme des Beschwerdeführers, des Vertreters der belangten Behörde, Herrn D, sowie der Zeugin, Frau E, und des Zeugen, Herrn F. In der Verhandlung sowie durch nachträgliche Übermittlung wurden insbesondere Dokumente zur Anmeldung des „Protestcamps“, die Anzeige der LPD *** BPK vom 29. Dezember 2020, ein Zeitungsartikel der G und Lichtbilder vorgelegt.

II. Aufgrund des durchgeführten Beweisverfahrens ergibt sich folgender entscheidungswesentlicher Sachverhalt:

Auf der Webseite der Stadt Waidhofen an der Ybbs war Folgendes verlautbart:

Behördenanbringen gemäß § 13 AVG,

Amtsstunden und Parteienverkehrszeiten

K U N D M A C H U N G

des Magistrates der Stadt Waidhofen a/d Ybbs

gemäß § 13 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 - AVG

§ 1

Gemäß § 13 Abs. 2 AVG 1991 i.d.g.F. bestehen für alle Behörden der Stadt Waidhofen a/d Ybbs, deren Geschäftsstelle der Magistrat der Stadt Waidhofen a/d Ybbs ist, folgende Adressen, unter denen Anbringen rechtswirksam eingebracht werden können:

Postadresse: Magistrat der Stadt Waidhofen a/d Ybbs, ***, ***

Fax: ***

Email: ***

Mittels Fax oder Email kann ein Anbringen auch direkt an eine bestimmte Dienststelle gerichtet werden, wobei die jeweilige Faxnummer, bzw. Email-Adresse auf dem Geschäftspapier der Dienststelle (in der Fußzeile) aufscheint

[…]

§ 3

Diese Kundmachung tritt mit 05.03.2019 in Kraft. Gleichzeitig tritt die diesbezügliche Kundmachung des Magistrates vom 01.12.2016 außer Kraft.“

Auf der Webseite befindet sich unter „Versammlungsgesetz“ und unter „Für Sie zuständig“ die E-Mail-Adresse „***“.

Der Beschwerdeführer hat am 27. Dezember 2021, um 14:45 Uhr an die Mail-Adresse „***“ die Anzeige einer Veranstaltung im öffentlichen Raum verschickt, wobei hier der Abwesenheitsassistent aktiviert war und der Beschwerdeführer eine Abwesenheitsnotiz erhielt. Die zweite Mail über die Anzeige des „Protestcamps“ des Beschwerdeführers ist bei der belangten Behörde am 27. Dezember 2021, um 22:44 Uhr, eingelangt.

Der Beschwerdeführer und zwei weiteren Personen planten von 29. Dezember 2020 (ab 17:00 Uhr) - 31. Dezember 2020 (15:00 Uhr) die Durchführung eines „Protestcamps“, demonstriert durch Stacheldraht und Gummistiefeln vor den Zelten, um auf die Situation von Schutzsuchenden in Elendslagers an der Südgrenze Europas und deren Aufnahme auch in den Medien und der Politik aufmerksam zu machen. Zudem wurde durch Schilder auf den Zweck dieser „Veranstaltung“ hingewiesen und sollten zur Diskussion mit Passanten anregen.

Es war geplant, dass Bücher zur Thematik vorgelesen werden, konkret Geschichten wie jene zweier Österreicher, die nach Teheran gereist sind und länderabhängig über unterschiedliche Behandlung von Menschen berichteten, aber auch lokale Projekte. Passanten sollten (begrüßt bzw.) angesprochen, über die Problematik und deren Erfahrungen bzw. Meinung gesprochen werden.

Den beiden Passanten, Frau E und Herr F, wurde Tee angeboten und mit diesen – bedingt durch die zeitnahe Auflösung des „Protestcamps“ - wenige Minuten über die Problematik im Flüchtlingscamp *** gesprochen.

Dieses „Protestcamp“ fand in ***, ***, zwischen der Einfahrt *** und der ***, auf einem Platz vor dem Park statt, wobei zwei Zelte und ein Schild aufgestellt wurden. Diese Zelte wurden so platziert, dass diese auf der einen Seite, direkt an den auf dem gegenständlichen *** befindlichen öffentlichen Sitzbänken angrenzten und auf den anderen Seiten im Wesentlichen durch Blumentöpfe und Pfosten abgegrenzt wurden.

Das „Protestcamp“ wurde auf einer öffentlichen Verkehrsfläche, konkret einem Gehsteig, aufgebaut, wodurch dieser Gehsteig nicht mehr benutzet werden konnte.

Durch das Aufstellen der Zelte im Kreuzungsbereich wurde das notwendigen Anfahrsichtfeldes zur *** beeinträchtigt bzw. beschränkt und im Bereich des Lichtraums der Verkehrsfläche sind Gegenstände gestanden.

Der verkehrstechnische Amtssachverstände führte zur Verkehrsbeeinträchtigung in seiner Stellungnahme vom 17. März 2021 Folgendes aus:

[…] wären jedenfalls Auflagen betreffen die notwendige Freihaltung des Gehsteigs, die Sichtbarmachung der Gegenstände mittels Beleuchtung bzw. Rückstrahlelemente und die Einhaltung des normierten Abstandes von 60 cm zur Fahrbahn erfolgt“.

Als COVID-Präventionsmaßnahmen wurden die Einhaltung des Sicherheitsabstandes und das Tragen eines Mund-Nasenschutzes sichergestellt. Die Teilnehmer trugen jeweils einen Mund-Nasenschutz und hielten den gesetzlich erforderlichen Sicherheitsabstand ein. In den Zelten sollten getrennt, nach Haushalt, genächtigt werden. Nicht festgestellt werden konnte, dass es beim Tee trinken zu Verletzungen der COVID-Präventionsmaßnahmen gekommen wäre.

Am 29. Dezember 2021, um 19:20 Uhr, löste der Behördenvertreter in Anwesenheit von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes das gegenständliche „Protestcamp“ auf.

III. Der festgestellte Sachverhalt basiert auf folgender Beweiswürdigung:

Zu diesen Feststellungen gelangte das erkennende Gericht auf Grund des vorgelegten Verwaltungsaktes, den nachträglich vorgelegten Urkunden sowie des durchgeführten Beweisverfahrens, insbesondere auf Grund der Einvernahme des Beschwerdeführers, des Behördenvertreters sowie den beiden Zeugen.

Die Verlautbarung über die näher bezeichnete elektrische Kommunikation mit der belangten Behörde ergibt sich aus den Angaben auf deren Homepage (siehe: ***).

Dass der Beschwerdeführer die erste E-Mail an Herrn C gerichtet hat, eine Abwesenheitsnotiz erhalten hat und deswegen um 22:44 Uhr eine zweite E-Mail an den anderen Behördenvertreter versendet hat, zeigt sich aus dem vorgelegten Ausdruck sowie den Angaben im Zuge der Vernehmung des Behördenvertreters sowie dem Beschwerdevorbringen.

Die Feststellungen zum „Protestcamp“, der Zweck, der geplante Ablauf und die näher erläuterten Modalitäten, Zeitraum und geplante Diskussion mit Passanten, ergeben sich aus der Anzeige vom 27. Dezember 2021 sowie insbesondere den Ausführungen des Beschwerdeführers im Zuge seiner Vernehmung vor dem erkennenden Gericht und den vorgelegten Dokumenten samt Bildern.

Die Feststellungen zu den Örtlichkeiten ergeben sich aus den Ausführungen im Zuge der Vernehmungen des Beschwerdeführers sowie insbesondere den vorgelegten Bildern.

Die Örtlichkeiten und die Feststellung, dass die Zelte auf dem öffentlichen Gehsteig sowie Gegenstände im Lichtraum der Verkehrsfläche aufgestellt wurden und dieser Gehsteig nicht mehr benützt werden konnte, gründen sich auf der im Verwaltungsakt befindlichen Stellungnahme des Amtssachverständigen für Verkehrstechnik vom 17. März 2021. In dieser konnte der Amtssachverstände auch die möglichen Auflagen darlegen.

Dass mit den Zeugen ein Austausch zum Flüchtlingslager *** stattgefunden hat, konnten die Zeugen im Zuge ihrer Vernehmung glaubwürdig schildern.

Dass bei dem „Protestcamp“ COVID-Präventivmaßnahmen vorgesehen waren und die Teilnehmer diese Schutzmaßnahmen auch einhielten, ergibt sich aus den glaubwürdigen Aussagen des Beschwerdeführers im Zuge seiner Vernehmung.

Dass der Behördenvertreter das „Protestcamp“ in Anwesenheit von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes aufgelöst hat, ergibt sich aus der im Akt befindlichen Anzeige vom 29. Dezember 2020, GZ: *** bei der LPD *** BPK.

IV. Rechtslage

Die maßgeblichen Bestimmungen des Versammlungsgesetz 1953, BGBl. Nr. 98/1953, idF BGBl. I Nr. 63/2017 lauten:

„§ 2. (1) Wer eine Volksversammlung oder überhaupt eine allgemein zugängliche Versammlung ohne Beschränkung auf geladene Gäste veranstalten will, muß dies wenigstens 48 Stunden vor der beabsichtigten Abhaltung unter Angabe des Zweckes, des Ortes und der Zeit der Versammlung der Behörde (§ 16) schriftlich anzeigen. Die Anzeige muß spätestens 48 Stunden vor dem Zeitpunkt der beabsichtigten Versammlung bei der Behörde einlangen.“

„§ 13. (1) Wenn eine Versammlung gegen die Vorschriften dieses Gesetzes veranstaltet wird, so ist sie von der Behörde (§§ 16 Abs. 1 und 17) zu untersagen und nach Umständen aufzulösen. (2) Desgleichen ist die Auflösung einer, wenngleich gesetzmäßig veranstalteten Versammlung vom Abgeordneten der Behörde oder, falls kein solcher entsendet wurde, von der Behörde zu verfügen, wenn sich in der Versammlung gesetzwidrige Vorgänge ereignen oder wenn sie einen die öffentliche Ordnung bedrohenden Charakter annimmt.“

Die maßgeblichen Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 (AVG), BGBl. Nr. 51/1991, lauten:

§ 13.

(1) Soweit in den Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmt ist, können Anträge, Gesuche, Anzeigen, Beschwerden und sonstige Mitteilungen bei der Behörde schriftlich, mündlich oder telefonisch eingebracht werden. Rechtsmittel und Anbringen, die an eine Frist gebunden sind oder durch die der Lauf einer Frist bestimmt wird, sind schriftlich einzubringen. Erscheint die telefonische Einbringung eines Anbringens der Natur der Sache nach nicht tunlich, so kann die Behörde dem Einschreiter auftragen, es innerhalb einer angemessenen Frist schriftlich oder mündlich einzubringen.

(2) Schriftliche Anbringen können der Behörde in jeder technisch möglichen Form übermittelt werden, mit E-Mail jedoch nur insoweit, als für den elektronischen Verkehr zwischen der Behörde und den Beteiligten nicht besondere Übermittlungsformen vorgesehen sind. Etwaige technische Voraussetzungen oder organisatorische Beschränkungen des elektronischen Verkehrs zwischen der Behörde und den Beteiligten sind im Internet bekanntzumachen.

[…]“

Die maßgeblichen Bestimmungen des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes (VwGVG), BGBl. Nr. 33/2013, lauten:

§ 27

Prüfungsumfang

Soweit das Verwaltungsgericht nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, hat es den angefochtenen Bescheid und die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.“

§ 28

Erkenntnisse

(1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

(2) Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn 1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder 2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

(…)

(6) Ist im Verfahren wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG eine Beschwerde nicht zurückzuweisen oder abzuweisen, so hat das Verwaltungsgericht die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig zu erklären und gegebenenfalls aufzuheben. Dauert die für rechtswidrig erklärte Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt noch an, so hat die belangte Behörde unverzüglich den der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtes entsprechenden Zustand herzustellen.

(…)“

§ 35

Kosten im Verfahren über Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt

(1) Die im Verfahren über Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt (Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG) obsiegende Partei hat Anspruch auf Ersatz ihrer Aufwendungen durch die unterlegene Partei.

(2) Wenn die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig erklärt wird, dann ist der Beschwerdeführer die obsiegende und die Behörde die unterlegene Partei.

(…)

(7) Aufwandersatz ist auf Antrag der Partei zu leisten. Der Antrag kann bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung gestellt werden.“

Die maßgeblichen Bestimmungen des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985, idgF lauten:

§ 25a

Revision

(1) Das Verwaltungsgericht hat im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

(…)

(5) Die Revision ist beim Verwaltungsgericht einzubringen.“

Die maßgeblichen Bestimmungen des Bundes-Verfassungsgesetzes

(B-VG), BGBl. Nr. 1/1930 idgF, lautet auszugsweise:

Art 130

(1) Die Verwaltungsgerichte erkennen über Beschwerden

(…)

2. gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt wegen Rechtswidrigkeit;

(…)“

Art 133

(…)

(4) Gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Hat das Erkenntnis nur eine geringe Geldstrafe zum Gegenstand, kann durch Bundesgesetz vorgesehen werden, dass die Revision unzulässig ist.“

V. Erwägungen:

Der gegenständlichen Maßnahmenbeschwerde ist Folge zu geben.

Die Maßnahmenbeschwerde 05. Februar 2021, beim Landesverwaltungsgericht Niederösterreich eingelangt am selben Tag, richtet sich gegen eine Amtshandlung vom 29. Dezember 2020 und ist sohin gemäß § 7 Abs. 4 Z 3 VwGVG rechtzeitig.

Gemäß Art 130 Abs. 1 Z 2 B-VG erkennen Verwaltungsgerichte über Beschwerden gegen Akte unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt wegen Rechtswidrigkeit. Nach Art 131 Abs. 1 B-VG erkennen über Maßnahmenbeschwerden die Verwaltungsgerichte der Länder, im konkreten Fall das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich.

Der Beschwerdeführer richtete sich mit seiner Beschwerde gegen die verfahrensgegenständliche Auflösung des „Protestcamps“, weshalb Gegenstand des Verfahrens die Auflösung des bereits beginnenden „Protestcamps“ ist.

Strittig war im vorliegenden Fall primär die Frage, ob die Durchführung dieses „Potestcamps“ eine Versammlung im Sinne des Versammlungsgesetzes 1953 darstellt.

Das Versammlungsgesetz 1953 definiert den Begriff der von ihm erfassten "Versammlung" nicht. Nach der ständigen Rechtsprechung hat sich die Beurteilung, ob eine Zusammenkunft als Versammlung zu werten ist, am Zweck und an den Elementen der äußeren Erscheinungsformen (insbesondere den Modalitäten, der Dauer und der Zahl der Teilnehmer) zu orientieren (Eigner/Keplinger, Versammlungsrecht 4 S. 54f mwN).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ist „Versammlung“ im Sinne des Versammlungsgesetzes 1953 eine Zusammenkunft mehrerer Menschen, die in der Absicht veranstaltet wurde, die Anwesenden zu einem gemeinsamen Wirken (Debatte, Diskussion, Manifestation usw.) zu bringen, sodass eine gewisse Assoziation der Zusammengekommenen entsteht (vgl. VwGH 22.03.2018, Ra 2017/01/0359; VfSlg. 15.109/1998 mwN). Nach einer erweiterten Formel des Verfassungsgerichtshofes ist eine Versammlung die Erörterung von Meinungen oder der Kundgabe von Meinungen an andere (VfGH 13.06.1988, B751/88). Ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, hängt nicht zuletzt von den Umständen des Einzelfalles ab. Im Hinblick auf die in der Judikatur entwickelten Maßstäbe und Grundsätze unterliegen im Ergebnis auch Spontan-Versammlungen und ad-hoc entstehende Demonstrationen dem Schutzbereich der Versammlungsfreiheit (vgl. VfSlg. 19.528/2011, 15.109/1998, 14.367/1995 oder 8685/1979 jeweils mit zahlreichen Nachweisen) sowie auch Veranstaltungen gemischten Charakters dem Versammlungsbegriff des Versammlungsgesetzes 1953 (VfSlg. 9783/1983).

Dieses Wirken hat in Form einer geistigen Auseinandersetzung mit einem Thema zu erfolgen. Demnach kann dies in der „Erörterung von Meinungen“ oder der „Kundgabe von Meinungen“ liegen. Wollen also mehrere Menschen ihre Meinung kundtun und damit Dritten mitteilen, kann es sich um eine Versammlung handeln. Welchen Inhalt dieses „gemeinsame Wirken“ hat, ist belanglos; es muss sich insbesondere nicht um eine öffentliche Angelegenheit, eine Angelegenheit der Allgemeinheit oder eine politische Angelegenheit handeln.

Eine beabsichtigte Meinungskundgabe muss nicht in Form einer verbalen Übermittlung von Botschaften erfolgen. Sie kann auch in einem demonstrativen Schweigen bestehen (zB „Schweigemarsch“, „stummer Protest“), sofern das Thema der Manifestation trotzdem – in welcher Form auch immer (etwa durch Transparente, Kleidungsaufschriften) – kundgemacht wird (Eigner/Keplinger, Versammlungsrecht 4 S. 49).

Nach dem durchgeführten Beweisverfahren kommt das erkennende Gericht aufgrund einer Gesamtbeurteilung zu dem Ergebnis, dass die Durchführung des „Protestcamps“ als Versammlung zu qualifizieren ist. Zusätzlich zum gegenständlichen „Protestcamps“ um auf die Aufnahme und die Situation in Flüchtlingslagern aufmerksam zu machen, war geplant, vorbeikommende Passanten zu begrüßen bzw. anzusprechen, sodass über die Problematik und über die Erfahrungen der Passanten zu diesem Thema ein Meinungsaustausch stattfinden sollte. In Entsprechung der obgenannten Ausführungen ging es darum, dass mit vorbeikommenden Passanten Meinungen – wie es auch im konkreten Fall mit den beiden vom erkennenden Gericht vernommenen Zeugen hinsichtlich der Probleme und der Situation im Flüchtlingscamp *** – ausgetauscht bzw erörtert werden. Es ging im konkreten Fall daher nicht nur darum auf die Situation in den Flüchtlingscamps aufmerksam zu machen, sondern dieses Anliegen auch auf manifestative Art durch Schilder und Meinungsaustausch mit Passanten vorzubringen.

Gegenstand von Maßnahmenbeschwerden sind Akte unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes liegt die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt dann vor, wenn ein Verwaltungsorgan im Rahmen der Hoheitsverwaltung einseitig einen Befehl erteilt oder Zwang ausübt und dieser Akt gegen individuell bestimmte Adressaten gerichtet ist. Die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gegen eine bestimmte Person liegt nur vor, wenn es keines dazwischen geschalteten weiteren Handelns mehr bedarf, um den geforderten Zustand herzustellen (vgl. Hauer/Keplinger, Kommentar zum SPG, 4. Auflage, Seite 813ff)

In Entsprechung der obgenannten Judikatur stellt die Auflösung dieser Versammlung einen Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt im Sinne des Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG dar.

Gemäß Art 11 Abs. 1 EMRK haben alle Menschen das Recht, sich friedlich zu versammeln und sich frei mit anderen zusammenzuschließen.

Gemäß Art 11 Abs. 2 EMRK darf die Ausübung dieser Rechte keinen anderen Einschränkungen unterworfen werden, als den vom Gesetz vorgesehenen, die in einer demokratischen Gesellschaft im Interesse der nationalen und öffentlichen Sicherheit, der Aufrechterhaltung der Ordnung und der Verbrechensverhütung, des Schutzes der Gesundheit und der Moral oder des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer notwendig sind. Eine einfachgesetzliche Determinierung wurde in § 13 VersammlungsG getroffen.

In der im Verwaltungsakt befindlichen Anzeige vom 30. Dezember 2020 stützt sich die belangte Behörde auf die unterlassene rechtzeitige Anzeige der Versammlung.

Aus den obigen Feststellungen lässt sich entnehmen, dass auf der Webseite der belangten Behörde zum elektronischen Schriftverkehr eine Kundmachung im Sinne des § 13 Abs. 2 AVG erfolgte, als für eine elektronische Kommunikation mit der belangten Behörde die offizielle Mail-Adresse „***“, aber auch direkt eine bestimmte Dienststellen-Mail, die auf dem Geschäftspapier der Dienststelle in der Fußzeile aufscheint, vorgesehen ist. Soweit Anbringen bei einer anderen Adresse eingebracht werden, trägt das Risiko des Verlustes oder des verspäteten Einlangens seines Anbringens (vgl. Hengstschläger/Leeb, AVG § 13 (Stand 1.1.2014, rdb.at) RZ 10/1 sowie 32). Da allerdings der Abwesenheitsassistenz des Behördenvertreters bei der ersten Anzeige aktiviert war und der Beschwerdeführer über die Abwesenheit in Kenntnis gesetzt wird, darf bzw. konnte der Beschwerdeführer nicht vom ordnungsgemäßen zeitgleichen Zugehen ausgehen (vgl. ähnlich: OGH 29.01.2014, 9Ob56/13w).

Hierbei ist anzumerken, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes selbst Versammlungen, die nicht in der gesetzlich geforderten Weise angemeldet wurden, den grundrechtlichen Schutz der Versammlungsfreiheit genießen (VwGH 15.10.2009, 2007/09/0307).

Im konkreten Fall löste der Behördenvertreter die Versammlung wegen der nicht fristgerechten Anmeldung der Versammlung, die mangelnde Verkehrssicherheit (wegen der eintretenden Dunkelheit und da die Zelte im Bereich der Straße aufgebaut waren und der im Verkehr verbundenen Unfallgefahr), der Gefahr der möglichen Verletzung der Teilnehmer durch Vandalen und wegen der Gefahr der Ansteckung mit dem COVID-19-Virus, auf.

Für die Auflösung der Versammlung selbst und für eine auf Untersagung im Vorfeld des Stattfindens einer Versammlung ist eine strenge Kontrolle geboten. Diese Maßnahmen beeinträchtigen die Freiheit der Versammlung in besonders gravierender Weise und berühren den Kernbereich des Grundrechts. Sie sind daher nur zulässig, wenn sie zur Erreichung der in Art. 11 Abs. 2 EMRK genannten Ziele zwingend notwendig sind, sodass die Untersagung einer Versammlung stets nur ultima ratio sein kann (vgl. VfGH 07.03.2019, E 3224/2018; VfGH 07.03.2019, E3224/2018; VfGH 08.10.2020, E4552/2019 mwN).

Bei diesem gravierenden Eingriff haben die anwesenden Behördenvertreter an Ort und Stelle eine Entscheidung zu treffen, welche auch Prognosecharakter hat (vgl. VfGH 10.06.1985, B567/84). Dabei haben sie mit dem Veranstalter nach Möglichkeit zu kommunizieren und allenfalls vorhandene gelindere Mittel in Betracht zu ziehen. Letztlich ist eine Verhältnismäßigkeitsprüfung durchzuführen (ZVR 2018/244, Piska, Demonstrationsrecht und Straßenverkehr, S. 476f).

Wie sich aus § 13 Abs. 1 VersammlungsG ergibt, kann die Auflösung einer bereits im Gang befindlichen, gegen die Vorschriften des VersammlungsG verstoßenden Versammlung nur "nach Umständen" verfügt werden. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes muss für eine behördliche Auflösung ein zureichender - zur bloßen Missachtung der Anzeigepflicht nach § 2 Abs. 1 VersammlungsG hinzutretender - Grund vorliegen, um diese Maßnahme zu rechtfertigen. Liegen solche Umstände nicht vor, ist die Verletzung der Anzeigepflicht (nur) durch die im § 19 VersammlungsG vorgesehene Strafe sanktioniert. Welche Umstände eine Auflösung rechtfertigen, ist nach den Gegebenheiten des Einzelfalles vor dem Hintergrund der verfassungsgesetzlich garantierten Versammlungsfreiheit zu beurteilen. Die Umstände, die zusätzlich zur Verletzung der Anzeigepflicht eingetreten sein müssen, müssen so geartet sein, dass ohne diese Maßnahme eines der in Art. 11 Abs. 2 MRK aufgezählten Schutzgüter gefährdet wäre (VwGH 29.03.2004, 98/01/0213). Demnach sind Eingriffe in die grundrechtlich geschützte Versammlungsfreiheit nur zulässig, soweit dies zum Schutz eines der Rechtsgüter notwendig ist, die in Art. 11 Abs. 2 bzw. Art. 10 Abs. 2 MRK aufgezählt sind. Dabei ist jedenfalls eine Abwägung der für und wider den Eingriff sprechenden Gründe vorzunehmen (VwGH 15.10.2009, 2007/09/0307). Demnach stellt die alleinige unterlassene fristgerechte Anzeige der Versammlung für sich alleine keinen rechtmäßigen Auflösungsgrund dar.

Im gegenständlichen Fall ist daher die Auflösung einer bereits stattfindenden Versammlung gemäß § 13 VersammlungsG 1953 nur dann gerechtfertigt, wenn ohne diese Maßnahme eines der in Art. 11 Abs. 2 EMRK aufgezählten Schutzgüter, konkret zum Schutz der Gesundheit wegen epidemiologischer Gefahr, gefährdet bzw. zur Wahrung eines dieser Schutzgüter notwendig im Sinne „unerlässlich“ (ultima ratio) wäre (vgl. etwa VfSlg. 10.443/1985, 10.955/1986, 11.132/1986, 19.818/2013). Hierzu ist jedoch auszuführen, dass § 12 Abs. 1 der Verordnung, mit der besondere Schutzmaßnahmen zur Verhinderung einer Notsituation auf Grund von COVID-19 getroffen werden (2. COVID-19-Notmaßnahmenverordnung – 2. COVID-19-NotMV), idF BGBl II Nr. 598/2020, die COVID-19-Sicherheitsmaßnahmen im Zusammenhang mit der Durchführung von Veranstaltungen regelt. Demnach wurde vorgesehen, dass das Verlassen des eigenen privaten Wohnbereichs und der Aufenthalt außerhalb des eigenen privaten Wohnbereichs zum Zweck der Teilnahme an Veranstaltungen nur für näher aufgezählte Veranstaltungen, u.a. Versammlungen nach dem Versammlungsgesetz 1953, erlaubt ist. Gemäß § 12 Abs. 2 leg. cit. muss beim Betreten von Orten zum Zweck der Teilnahme an Veranstaltungen gemäß Abs. 1 Z 1, 2 und 4 bis 9 gegenüber Personen, die nicht im gemeinsamen Haushalt leben, ein Abstand von mindestens einem Meter eingehalten werden. Zusätzlich war bei Veranstaltungen gemäß Abs. 1 Z 1, 2, 4 bis 7 und 9 eine den Mund- und Nasenbereich abdeckende und eng anliegende mechanische Schutzvorrichtung zu tragen. Wie festgestellt, ist auf die Sicherheitsmaßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung des Virus bei der Durchführung der Versammlung zu verweisen. Die belangte Behörde stützte die Auslösung auf die mögliche Gefahr der Ausbreitung des Virus. Nach dem Beweisverfahren haben jedoch sowohl der Beschwerdeführer als auch die Teilnehmer den gesetzlich vorgesehenen Mindestabstand sowie das Tragen des Mund-Nasenschutzes und damit die Sicherheitsmaßnahmen eingehalten. Die Versammlung hat demnach den gesetzlichen Bestimmungen, welche das Ziel verfolgt, die Verbreitung des COVID-19-Virus hintanzuhalten, entsprochen. Weitere Befürchtungen oder gar Wahrnehmungen schilderte der Behördenvertreter auch im Zuge des Beschwerdeverfahrens nicht. Im gegenständlichen Fall bringt die Durchführung der Versammlung ein Risiko der Verbreitung des Corona-Virus, weshalb zwar grundsätzlich ein öffentliches Interesse an der Untersagung gegeben ist, aber in Abwägung des Eingriffs in die Grundrechtssphäre des Beschwerdeführers, konkret die Versammlungsfreiheit, im Vergleich zur konkret zu befürchtenden Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit und Gesundheit durch Abhaltung der Versammlung unter strenger Einhaltung der Sicherheitsmaßnahmen laut dem COVID-19-Präventivmaßnahmen führen dazu, dass das Interesse der Abhaltung der Versammlung überwiegt.

Hinsichtlich der Befürchtung, dass die Teilnehmer in den Zelten von Vandalen verletzt werden könnten, konnte für das erkennende Gericht die bloße Vermutung einer Gefährdung eines in Art. 11 Abs. 2 EMRK aufgezählt Schutzgutes nicht ausreichen um darauf die Notwendigkeit der Versammlungsauflösung zu gründen (vgl. VwGH 29.03.2004, 98/01/0213).

Bei Versammlungen, die die Sicherheit, Leichtigkeit und Flüssigkeit des Straßenverkehrs beeinträchtigen, ist nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes eine Auslösung dann geboten, wenn durch die Abhaltung der Versammlung eine "zu befürchtende unvermeidbare, weiträumige, lange währende, extreme Störung des Straßenverkehrs gravierende Belästigungen und auch sicherheitsgefährdende Beeinträchtigungen zahlreicher unbeteiligter Personen erwarten ließe (VfGH 17.06.2021, E3728/2020).

Wie festgestellt, sollte im gegenständlichen Fall die Versammlung auf einem Gehsteig stattfinden, wodurch dieser nicht benutzt und im Kreuzungsbereich eine Beeinträchtigung des notwendigen Anfahrsichtfeldes zur *** gegeben war. Außerdem standen Gegenstände im Lichtraum der Verkehrsfläche. Da die Anmeldung – wie oben erwähnt - nicht fristgerecht erfolgte, konnte die belangte Behörde keine Maßnahmen im Vorfeld treffen. Nichtsdestotrotz darf nicht übersehen werden, dass allenfalls gelindere Mittel in Betracht zu ziehen sind. Wie festgestellt, hat sogar der verkehrstechnische Amtssachverständige die Möglichkeit von Auflagen, konkret die notwendige Freihaltung des Gehsteigs, die Sichtbarmachung der Gegenstände mittels Beleuchtung bzw. Rückstrahlelemente und die Einhaltung des normierten Abstandes von 60 cm zur Fahrbahn, angeführt, weshalb die erfolgte Auflösung der Versammlung aufgrund der Beeinträchtigung der Sicherheit, Leichtigkeit und Flüssigkeit des Straßenverkehrs jedenfalls nicht als ultima ratio zu werten war.

Im Übrigen ist anzumerken, dass die behördliche Untersagung sowie die Auflösung einer Versammlung wie auch die Beurteilung der Frage, ob eine Versammlung überhaupt unter den Versammlungsbegriff subsumiert werden kann, Entscheidungen, die den Kernbereich der Versammlungsfreiheit betreffen (VfSlg 19.961/2015). Eine Entscheidung, die den Kernbereich der Versammlungsfreiheit betreffen fallen in die ausschließliche Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes (VwGH 06.11.2018, Ra 2018/01/0243). Eine Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes ist somit nicht gegeben (VwGH 27.2.2018, Ra 2017/01/0105).

Gemäß § 35 Abs. 1 VwGVG hat die im Verfahren nach Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG obsiegende Partei Anspruch auf Ersatz ihrer Aufwendungen durch die unterlegene Partei. Wenn der angefochtene Verwaltungsakt für rechtswidrig erklärt wird, dann ist der Beschwerdeführer die obsiegende und die belangte Behörde die unterlegene Partei (Abs.2). Wenn die Beschwerde zurückgewiesen oder abgewiesen wird oder vom Beschwerdeführer vor der Entscheidung durch das Verwaltungsgericht zurückgezogen wird, dann ist die belangte Behörde die obsiegende und der Beschwerdeführer die unterlegene Partei (Abs.3).

Daher war der Beschwerdeführer die obsiegende Partei und die belangte Behördeunterliegende Partei. Aufwandsersatz ist nur auf Antrag der Partei zu leisten. Ein solcher Antrag wurde im Zuge des Beschwerdeverfahrens durch den Beschwerdeführer gestellt.

Die ordentliche Revision ist nicht zulässig, da im gegenständlichen Verfahren keine Rechtsfrage zu lösen war, der im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil die Entscheidung nicht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Schlagworte

Maßnahmenbeschwerde; Versammlung; Auflösung; Verhältnismäßigkeit; Interessenabwägung;

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGNI:2021:LVwG.M.2.001.2021

Zuletzt aktualisiert am

25.10.2021
Quelle: Landesverwaltungsgericht Niederösterreich LVwg Niederösterreic, http://www.lvwg.noe.gv.at
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