TE Bvwg Erkenntnis 2021/6/2 L511 2236877-1

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Veröffentlicht am 02.06.2021
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Entscheidungsdatum

02.06.2021

Norm

Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen §1
BBG §42
BBG §45
B-VG Art133 Abs4

Spruch


L511 2236877–1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag.a JICHA als Vorsitzende und den Richter Dr. DIEHSBACHER sowie den fachkundigen Laienrichter RR PHILIPP als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice Landesstelle XXXX vom 12.03.2020, Zahl: OB XXXX , betreffend Abweisung des Antrags auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass, in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I.       Verfahrensgang und Verfahrensinhalt

1.       Verfahren vor dem Sozialministeriumservice [SMS]

1.1.    Der Beschwerdeführer verfügt zuletzt seit 16.09.2019 über einen Behindertenpass mit einem Grad der Behinderung von 80 vH sowie den Zusatzeintragungen „Der Inhaber/die Inhaberin des Passes ist TrägerIn von Osteosynthesematerial“ und „Der Inhaber/die Inhaberin kann die Fahrpreisermäßigung nach dem Bundesbehindertengesetz in Anspruch nehmen“ (Aktenzahl der elektronisch übermittelten Aktenteile [AZ] 2.1).

1.2.    Der Beschwerdeführer verfügte zudem über einen bis 31.01.2020 befristeten Parkausweis (AZ 2.2). Am 15.11.2019 stellte er einen Antrag auf Ausstellung eines Ausweises gemäß § 29b StVO (Parkausweis), welcher auch als Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel“ in den Behindertenpass gilt. Er legte dazu im Verfahren medizinische Befunde vor und gab bereits bei Antragstellung eine Stellungnahme ab, wonach sich sein körperlicher Zustand weder geändert, noch verbessert habe (AZ 2.6; 2.9-2.12).

1.3.    Das SMS holte ein Sachverständigengutachten aus den Fachgebieten der Neurologie und der Allgemeinmedizin ein. Diese Gutachten vom 20.02.2020 wurde auf Grundlage einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am 03.02.2020 unter Einbeziehung des Vorgutachtens vom 31.01.2019 und dem Pflegegeldgutachten vom 15.07.2019 erstattet. Zur Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wurde zusammengefasst ausgeführt, dass trotz der Gebrauchsunfähigkeit des rechten Armes das Benützen von Haltegriffen und –stangen mit dem linken Arm/der linken Hand möglich sei. Die allgemeine Mobilität habe sich mittlerweile gebessert, er sei nicht sturzgefährdet und die Gehleistung und die Standfestigkeit seien nicht eingeschränkt (AZ 2.20).

1.4.    Der Beschwerdeführer nahm am 05.03.2020 zu diesem Sachverständigengutachten Stellung (AZ 2.17, 2.13) und legte eine Stellungnahme eines Facharztes für Gerichtsmedizin (AZ 2.12) vor. In diesem wird festgehalten, dass eine gravierende Beeinträchtigung der unteren Gliedmaßen nicht vorliegt (regionale Gefühlsstörung nach Nerventransplantatentnahme an beiden Unterschenkeln). Eine gesunde Person mit uneingeschränkter Gebrauchsfähigkeit beider oberer Extremitäten könne, auch wenn eine Extremität durch Tragen von Gegenständen blockiert ist, mit der zweiten Extremität Haltefunktionen ausüben. Im konkreten Fall ist diese Möglichkeit für den Beschwerdeführer nicht gegeben, da der rechte Arm nicht gebrauchsfähig ist. Dies möge bei stabiler Sitzposition in öffentlichen Verkehrsmitteln von nur untergeordneter Bedeutung sein, könne jedoch in stehender oder gehender Position in fahrenden öffentlichen Verkehrsmitteln (z.B. kurz nach dem Einsteigen oder kurz vor dem Aussteigen) Probleme verursachen. Wenn die linke Hand durch getragene Gegenstände blockiert ist, könne im Falle einer Bremsung o.ä. unter Umständen eine nur unzureichende Schutzmaßnahme (Festhalten, Abstützen) ausgeübt werden. Dieser Umstand könne unter dem Blickwinkel eines erhöhten Sturz- oder Verletzungsrisikos gesehen werden.

1.5.    Mit Bescheid des SMS vom 12.03.2020, Zahl: XXXX , wurde der Antrag des Beschwerdeführers vom 15.11.2019 gemäß §§ 42 und 45 BBG abgewiesen, da beim Beschwerdeführer die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung nicht vorlägen (AZ 2.22).

Begründend verwies das SMS auf die Ergebnisse des Gutachtens vom20.02.2020, welches als schlüssig erkannt wurde. Das Gutachten wurde als Beilage zum Bescheid übermittelt. Die vorgelegte Stellungnahme des Gerichtsmediziners sei nicht dazu geeignet gewesen, die Beweisaufnahme zu entkräften oder eine Erweiterung des Ermittlungsverfahrens herbeizuführen.

1.6.    Die postalische Versendung des Bescheides erfolgte am 17.07.2020, die Zustellung an den Beschwerdeführer am 22.07.2020 (AZ 1.2, 2.2).

1.7.    Mit Schreiben vom 03.08.2020 erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde [Bsw] gegen den oben bezeichneten Bescheid des SMS (AZ 1.2).

Darin führt der Beschwerdeführer im Wesentlichen aus, er könne nur die linke Hand zum Festhalten benützen, weshalb er die Griffe oder Stangen jeweils loslassen müsse, um zu einer nächsten Haltemöglichkeit zu gelangen. Im Gedränge in Massenverkehrsmitteln während der Stoßzeit, sowie im Falle von abrupten Bremsmanövern bestehe daher eine potentielle Verletzungsgefahr hinsichtlich des Beschwerdeführers aber auch anderer Fahrgäste.

2.       Die belangte Behörde legte dem Bundesverwaltungsgericht [BVwG] am 13.11.2020 die Beschwerde samt Auszügen aus dem Verwaltungsakt in elektronischer Form vor (Ordnungszahl des gegenständlichen Gerichtsaktes OZ 1 [=AZ 1.1-1.3, 2.1 -2.22]).

II.      Zu A) Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.       entscheidungswesentliche Feststellungen

1.1.    Der Beschwerdeführer ist in Österreich wohnhaft und verfügt über einen gültigen Behindertenpass mit einem eingetragenen Gesamtgrad der Behinderung von 80 vH sowie den Zusatzeintragungen „Der Inhaber/die Inhaberin des Passes ist TrägerIn von Osteosynthesematerial“ und „Der Inhaber/die Inhaberin kann die Fahrpreisermäßigung nach dem Bundesbehindertengesetz in Anspruch nehmen“.

1.2.    Der Beschwerdeführer leidet seit einem Motoradunfall im Juni 2017 an einer vollständigen oberen Pexuslähmung rechts (des Plexus brachialis), welche mit einem Grad der Behinderung von 80 vH einhergeht. Weiters leidet der Beschwerdeführer an einer Atrophie der Schulter- und Armmuskulatur, Wirbelsäulenveränderungen, Fehlhaltung, Skoliose und weist einen Zustand nach Wirbelkörperfrakturen, sowie segmentale sensible Ausfälle an beiden Unterschenkeln (links mehr als rechts), bei Zustand nach Nervenentnahme links für eine Plexusrekonstruktion des Plexus brachialis, auf (AZ 2.16.1, 2.20).

1.3.    Im Hinblick auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel sind folgende Feststellungen zu treffen:

1.3.1.  Der Beschwerdeführer war ursprünglich Rechtshänder. Im Bereich der oberen Extremitäten liegt seit 2017 eine vollständige Lähmung der rechten oberen Extremität, Atrophie der rechten oberen Extremität, sowie fehlende Muskeleigenreflexe rechtsseitig vor. Schulter heben rechts ist möglich. Linksseitig besteht eine normale Kraftentwicklung, kein sensibles Defizit und Muskeleigenreflexe sind gut auslösbar. Gelegentlich liegen Schmerzen im linken Handgelenk vor. Im Vergleich zum Vorgutachten vom Februar 2018 hat sich die Gesamtmobilität des Beschwerdeführers gebessert. Die nach dem Unfall (zusätzlich zur Gebrauchsunfähigkeit des rechten Armes) notwendige Schonung der linken oberen Extremität fällt nunmehr ebenso weg, wie jene des gebrochenen Brustwirbelkörpers. Der rechte Arm ist gebrauchsunfähig; mit dem linken Arm ist absichern möglich und der Beschwerdeführer kann Haltegriffe und –stangen mit der linken Hand benutzen (AZ 2.20: GA 20.02.2020; AZ 2.18: GA 08.02.2018).

1.3.2.  Im Bereich der unteren Extremitäten liegt eine subjektiv Minderwahrnehmung am Unterschenkelbereich beidseits (links mehr als rechts) sowie am linken Oberschenkel bei Zustand nach Nervenentnahme links vor. Eine gravierende Beeinträchtigung der unteren Gliedmaßen liegt damit nicht vor (regionale Gefühlsstörung nach Nerventransplantatentnahme an beiden Unterschenkeln). Hinsichtlich seiner Gehleistung ist der Beschwerdeführer nicht höhergradig eingeschränkt, er kann eine Wegstrecke von 400m aus eigener Kraft und ohne fremde Hilfe zurücklegen. Er benötigt keinen Gehbehelf und ist nicht sturzgefährdet. Er kann auch höhere Niveauunterschiede (bis 30cm) zum Ein- und Aussteigen in/aus öffentliche/n Verkehrsmittel/n überwinden (AZ 2.20: GA 20.02.2020).


2.       Beweisaufnahme und Beweiswürdigung

2.1.    Die Beweisaufnahme erfolgte durch Einsicht in die dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Auszüge aus dem Verwaltungsverfahrensakt (OZ 1), aus denen sich auch der unter I. dargelegte Verfahrensgang ergibt. Zur Entscheidungsfindung wurden vom BVwG insbesondere folgende Unterlagen herangezogen:

?        Sachverständigengutachten aus dem Fachgebiet der Allgemeinmedizin vom 31.01.2019 (AZ 2.16.1)

?        Sachverständigengutachten aus den Fachgebieten der Neurologie und Allgemeinmedizin vom 20.02.2020 (AZ 2.20)

?        Beschwerde vom 03.08.2020 (AZ 1.2)

?        Stammdatenblatt Behindertenpass (AZ 2.1)

?        Einsicht in das Zentrale Melderegister [ZMR] (OZ 1)

2.2.    Beweiswürdigung

2.2.1.  Die allgemeinen Feststellungen (Punkt 1.1.) ergeben sich aus der Antragstellung, dem Datenstammblatt des SMS und dem ZMR und sind unstrittig (AZ 2.1; 2.6, OZ 1).

2.2.2.  Die festgestellten Leiden ergeben sich aus den vom SMS eingeholten Sachverständigengutachten aus dem Fachgebiet der Allgemeinmedizin (AZ 2.16.1) bzw. der Neurologie und Allgemeinmedizin (AZ 2.20) und sind im Verfahren unbestritten geblieben.

2.2.3.  Die Feststellungen zur Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ergeben sich aus dem aktuellen Sachverständigengutachten vom 20.02.2020 (AZ 2.20). Das Gutachten ist eines aus dem Fachgebiet der Neurologie, dem die Funktionseinschränkungen des Beschwerdeführers vorrangig zuzuordnen sind. Die Feststellungen im Gutachten sind nachvollziehbar, schlüssig und in sich widerspruchsfrei und basieren auf einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers. Das Gutachten berücksichtigt alle vorgelegten Befunde (AZ 2.9, 2.11, 2.12) und Vorgutachten (AZ 2.18, 2.16.1) und steht mit diesen auch nicht in Widerspruch (vgl. dazu VwGH 26.02.2016, Ro2014/03/0004).

2.2.4.  Festzuhalten ist an dieser Stelle, dass der Beschwerdeführer die Feststellungen selbst nicht bekämpft, sondern die im Gutachten aus den Feststellungen gezogenen Schlussfolgerungen sowie die rechtliche Subsumtion.

2.2.4.1. Der Beschwerdeführer rügt in der Beschwerde vor allem, dass er mit nur einem benutzbaren Arm Gefahr laufe, sich nicht (rechtzeitig) in öffentlichen Verkehrsmitteln festhalten zu können und dass er während der Fortbewegung im öffentlichen Verkehrsmittel einen Haltegriff loslassen müsse, um zu einem nächsten zu kommen und sich bei diesem Vorgang nicht mit der zweiten Hand absichern könne. Vor allem bei Gedränge im öffentlichen Verkehrsmittel bestehe daher für ihn und andere Fahrgäste ein Verletzungsrisiko. Siehe näheres dazu im Rahmen der rechtlichen Würdigung des Sachverhaltes.

2.2.4.2. Soweit der Beschwerdeführer darüber hinaus kritisiert, dass auf die gesetzliche Bestimmung, wann die Benützung eines öffentlichen Verkehrsmittels nicht zumutbar sei, in Hinblick auf die bestehende erhebliche Einschränkung neurologischer Funktionen mit 80 vH nicht eingegangen wurde, ist dazu festzuhalten, dass die Un- oder Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel nicht an den Grad der Behinderung gekoppelt ist, sondern von der Art und Schwere der dauernden Gesundheitsschädigung und deren Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel abhängt.

3.       Entfall der mündlichen Verhandlung

3.1.    Der Anspruch einer Partei auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung ist kein absoluter (§ 24 VwGVG unter Hinweis auf Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, [EMRK] noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 [GRC]). Nach der Rechtsprechung des EGMR und ihm folgend des Verfassungsgerichtshofes und des Verwaltungsgerichtshofes kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt unumstritten und nur eine Rechtsfrage zu entscheiden ist oder wenn die Sache keine besondere Komplexität aufweist (vgl. dazu für viele EGMR 12.11.2002, Döry / S, Rn37; VfGH 20.02.2015, B1534; sowie jüngst VwGH 18.12.2018, Ra 2018/03/0132, jeweils mwN).

3.2.    Im gegenständlichen Fall ergab sich klar aus der Aktenlage, dass von einer mündlichen Erörterung keine weitere Klärung der Rechtssache zu erwarten war. Der sich aus dem Akteninhalt ergebende Sachverhalt basiert zur Gänze aus den dem Beschwerdeführer bekannten vorliegenden Aktenteilen und ist in den entscheidungswesentlichen Punkten weder ergänzungsbedürftig noch erschien er in entscheidenden Punkten als nicht richtig (vgl. dazu VwGH 19.09.2018, Ra2018/11/0145).

4.       Rechtliche Beurteilung

4.1.1.  Die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes und die Entscheidung durch Senat ergeben sich aus § 6 Bundesgesetz über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes [BVwGG] iVm § 45 Bundesbehindertengesetz [BBG]. Das Verfahren des Bundesverwaltungsgerichts ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) geregelt. Verfahrensgegenständlich sind demnach neben dem VwGVG auch die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, sowie jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen sinngemäß anzuwenden, die das SMS im erstinstanzlichen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte (§ 17 VwGVG).

4.1.2.  Die Beschwerde gegen den Bescheid ist rechtzeitig und zulässig (§§7, 9 VwGVG).

4.1.3.  Die gegenständlich maßgeblichen Bestimmungen des BBG lauten auszugsweise:

§ 40. (1) Behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% ist auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpass auszustellen […].

§ 42. (1) […] Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen. […]

§ 45. (1) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.

(2) Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.

§ 1 der Verordnung über die Ausstellung von [VO] Behindertenpässen und Parkausweisen, BGBl. II Nr. 495/2013 idF BGBl. II Nr. 263/2016, lautet auszugsweise:

§ 1 (4) Z 3: Auf Antrag des Menschen mit Behinderung ist jedenfalls einzutragen: [...] die Feststellung, dass dem Inhaber/der Inhaberin des Passes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist; die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist insbesondere dann nicht zumutbar, wenn das 36. Lebensmonat vollendet ist und erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten (Teilstrich 1) oder erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit (Teilstrich 2) oder erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten, Funktionen (Teilstrich 3) oder eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems (Teilstrich 4) oder eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach Abs. 4 Z 1 lit. b oder d (Teilstrich 5) vorliegen.

(5) Grundlage für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen für die in Abs. 4 genannten Eintragungen erfüllt sind, bildet ein Gutachten eines/einer ärztlichen Sachverständigen des Sozialministeriumservice. Soweit es zur ganzheitlichen Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen erforderlich erscheint, können Experten/Expertinnen aus anderen Fachbereichen beigezogen werden. Bei der Ermittlung der Funktionsbeeinträchtigungen sind alle zumutbaren therapeutischen Optionen, wechselseitigen Beeinflussungen und Kompensationsmöglichkeiten zu berücksichtigen.

4.2.    Abweisung der Beschwerde

4.2.1.  Der Beschwerdeführer verfügt über einen gültigen Behindertenpass mit einem eingetragenen Gesamtgrad der Behinderung von 80 vH, womit die grundsätzliche Voraussetzung für die Vornahme einer Zusatzeintragung gemäß § 42 BBG erfüllt ist.

4.2.2.  Die Beurteilung der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist im verfahrensgegenständlichen Fall gemäß § 1 Abs. 5 VO Ausstellung von Behindertenpässen und Parkausweisen unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen. Das eingeholten Sachverständigengutachten vom 02.03.2020 und vom 24.01.2021 sind (wie bereits im Zuge der Beweiswürdigung dargelegt) richtig, vollständig und schlüssig und die Art und Schwere der dauernden Gesundheitsschädigung sowie deren Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel sind in nachvollziehbarer Weise dargestellt worden (vgl. VwGH 19.12.2017, Ra2017/11/0288; 21.06.2017, Ra2017/11/0040 mwN).

4.2.3.  In den Erläuterungen zur Stammfassung der VO Ausstellung von Behindertenpässen und Parkausweisen wird hinsichtlich der hier maßgeblichen Bestimmung des § 1 Abs. 4 Z 3 (vormals: § 1 Abs. 2 Z 3) – soweit im gegenständlichen Fall relevant – insbesondere Folgendes ausgeführt: Durch die Verwendung des Begriffes 'dauerhafte Mobilitätseinschränkung' hat schon der Gesetzgeber (StVO-Novelle) zum Ausdruck gebracht, dass es sich um eine Funktionsbeeinträchtigung handeln muss, die zumindest 6 Monate andauert. Dieser Zeitraum entspricht auch den grundsätzlichen Voraussetzungen für die Erlangung eines Behindertenpasses. [...] Die Begriffe ‚erheblich' und ‚schwer' werden bereits jetzt in der Einschätzungsverordnung je nach Funktionseinschränkung oder Erkrankungsbild verwendet und sind inhaltlich gleichbedeutend.

Unter erheblicher Einschränkung der Funktionen der unteren Extremitäten sind ungeachtet der Ursache eingeschränkte Gelenksfunktionen, Funktionseinschränkungen durch Erkrankungen von Knochen, Knorpeln, Sehnen, Bändern, Muskeln, Nerven, Gefäßen, durch Narbenzüge, Missbildungen und Traumen zu verstehen. Zusätzlich vorliegende Beeinträchtigungen der oberen Extremitäten und eingeschränkte Kompensationsmöglichkeiten sind zu berücksichtigen. Eine erhebliche Funktionseinschränkung wird in der Regel ab einer Beinverkürzung von 8 cm vorliegen.

4.2.4.  Bei der Beurteilung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel kommt es entscheidend auf die Art und Schwere der dauernden Gesundheitsschädigung und deren Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel an, nicht hingegen auf andere Umstände, etwa jene der Entfernung zwischen der Wohnung und der nächstgelegenen Haltestelle öffentlicher Verkehrsmittel (VwGH 19.12.2017, Ra2017/11/0288; 21.06.2017, Ra2017/11/0040 mwN).

4.2.4.1. Der Beschwerdeführer kann sich im öffentlichen Raum selbständig fortbewegen und das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke zu Fuß, die Judikatur geht hier von 300 bis 400 Metern aus (VwGH 27.05.2014, Ro2014/11/0013), aus eigener Kraft und ohne fremde Hilfe ist ebenso gegeben wie das Überwinden üblicher Niveauunterschiede zum sicheren Ein- und Ausstieg in bzw. aus öffentliche/n Verkehrsmittel/n und die sichere Beförderung im öffentlichen Verkehrsmittel.

4.2.4.2. Die rechte Hand des Beschwerdeführers ist gebrauchsunfähig, sodass eine Absicherung beim Ein- und Aussteigen sowie im fahrenden Verkehrsmittel ausschließlich über die linke obere Extremität erfolgen muss. Der linke Arm und die linke Hand des Beschwerdeführers sind in keiner Weise eingeschränkt, so dass mit der linken Hand ein Absichern und die Benützung von Haltegriffen bzw. Haltemöglichkeiten möglich ist. Vom erkennenden Senat wird dabei nicht verkannt, dass es für den Beschwerdeführer schwieriger ist, seinen Stand in einem vollbesetzten, fahrenden oder bremsenden öffentlichen Verkehrsmittel abzusichern oder sich darin sicher fortzubewegen, als für Personen mit voll erhaltener Funktion beider Arme (selbst, wenn diese Gegenstände transportieren).

Zumal anders als zum Zeitraum unmittelbar nach dem Unfall, nunmehr außer der Gebrauchsunfähigkeit der rechten Hand, keine weiteren Einschränkungen mehr vorliegen, ist es dem 25jährigen Beschwerdeführer zumutbar, einen Sitzplatz einzufordern sowie seine Position vorausschauend bei stehendem Verkehrsmittel anzupassen, (etwa durch Bewegung Richtung Ausstieg bereits eine Haltestelle vorher).

4.2.5.  Da somit die Voraussetzungen zur Vornahme der beantragten Zusatzeintragung in den Behindertenpass nicht vorliegen, ist die Beschwerde spruchgemäß abzuweisen.

4.3.    Im Hinblick auf den gestellten Antrag auf Ausstellung eines Parkausweises nach § 29b StVO wird der Vollständigkeit halber angemerkt, dass es zwar zutrifft, dass dem Begehren des Beschwerdeführers auf Ausfolgung eines Parkausweises nach § 29b StVO erst dann entsprochen werden könnte, wenn im Behindertenpass die Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung“ vorgenommen wurde. Dennoch kann die bescheidmäßige Erledigung dieses Antrags nicht dadurch ersetzt werden, dass (lediglich) am Ende des nunmehr angefochtenen Bescheides angemerkt wird, dass die dafür erforderlichen Voraussetzungen nicht vorliegen würden. Da der Antrag somit noch offen ist, wird er unter Berücksichtigung des nunmehrigen Verfahrensergebnisses zu behandeln sein.

III.    ad B) Unzulässigkeit der Revision:

Die gegenständliche Entscheidung stützt sich auf eine umfangreiche und einheitliche Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum BBG. Die angewendeten Bestimmungen des Bundesbehindertengesetzes und der Einschätzungsverordnung sind - soweit für den vorliegenden Fall maßgeblich - eindeutig. Zur Unzulässigkeit der Revision bei eindeutiger Rechtslage (trotz fehlender Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes) etwa VwGH 28.05.2014, Ro2014/07/0053. Zur Schlüssigkeit von Gutachten VwGH 27.06.2018, Ra2018/09/0079; 28.06.2017, Ra2017/09/0015; zur Form der Auseinandersetzung mit dem Gutachten insbesondere VwGH 26.02.2016, Ro2014/03/0004. Zu den Voraussetzungen zur Vornahme der verfahrensgegenständlichen Zusatzeintragung VwGH 19.12.2017, Ra2017/11/0288; 21.06.2017, Ra2017/11/0040 mwN.

Der Entfall der mündlichen Verhandlung steht weder mit der Judikatur der Höchstgerichte noch mit der Judikatur des EGMR in Widerspruch, siehe dazu insbesondere VwGH 26.01.2017, Ra2016/07/0061 mwN, und es ergeben sich auch keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage, so dass insgesamt die Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer Revision gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht vorliegen.

Schlagworte

Behindertenpass Sachverständigengutachten Zumutbarkeit Zusatzeintragung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:L511.2236877.1.00

Im RIS seit

25.10.2021

Zuletzt aktualisiert am

25.10.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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