TE Bvwg Erkenntnis 2021/7/8 W196 2186012-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 08.07.2021
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Entscheidungsdatum

08.07.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §54 Abs1 Z1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §55 Abs1 Z2
AsylG 2005 §58 Abs1 Z2
AsylG 2005 §58 Abs2
AsylG 2005 §8
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50
FPG §52
FPG §55 Abs2
IntG §11 Abs2
IntG §11 Abs3
NAG §81 Abs36
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §27
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


W196 2186012-1/23E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. SAHLING als Einzelrichterin über die Beschwerde der XXXX , geb. XXXX , StA. Ukraine, vertreten durch Rechtsanwalt Mag. Dr. Helmut BLUM LL.M., gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 21.12.2017, Zl. 1048206305-140289936, zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. bis II. des angefochtenen Bescheides wird als unbegründet abgewiesen.

II. Der Beschwerden gegen die Spruchpunkte III. des angefochtenen Bescheides wird insoweit stattgegeben und festgestellt, dass gemäß § 9 BFA-VG eine die Beschwerdeführerin betreffende Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist.

XXXX wird gemäß § 58 Abs. 2 iVm § 55 Abs. 1 und § 54 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus“ für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.

III. In Erledigung der Beschwerde wird Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige der Ukraine, reiste in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 15.12.2014 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Am 18.12.2014 fand vor Organen des Öffentlichen Sicherheitsdienstes eine Erstbefragung statt, im Rahmen derer die Beschwerdeführerin vorbrachte, dass ihr Onkel gewollt habe, dass sie ihren Cousin heirate. Die Hochzeit sei bereits in Planung. Ihr Cousin und ihre Mutter (die Schwester ihres Vaters) wollten diese Hochzeit auch. Sie habe jedoch ihren Cousin nicht heiraten wollen. Das sei ihr Fluchtgrund.

Im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 24.10.2017 brachte die Beschwerdeführerin zusammengefasst vor, dass ihr Onkel für November 2014 eine Zwangsheirat mit ihrem Cousin Artur (Familienname unbekannt) in Armenien organisiert habe. Ihr Onkel habe das schon längst mit ihrer Mutter über Skype ausgemacht. Sie habe Mitte September 2014 von der für sie geplanten Heirat erfahren.

Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 21.12.2017 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.). Unter Spruchpunkt II. dieses Bescheides wurde der Antrag der Beschwerdeführerin bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf ihren Herkunftsstaat Ukraine gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen. Ferner wurde der Beschwerdeführerin ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen sie eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung in die Ukraine gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt III.). Unter Spruchpunkt IV. wurde gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG eine Frist für ihre freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt.

Dabei führte das Bundesamt aus, dass nicht festgestellt werden könne, dass die Beschwerdeführerin in der Ukraine asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt wäre bzw. eine solche zukünftig zu befürchten habe. Es könne nicht festgestellt werden, dass sie in ihrem Herkunftsstaat einer staatlichen Bedrohung bzw. Verfolgung durch Privatpersonen ausgesetzt wäre. Es könnten auch aus den sonstigen Umständen keine asylrelevante Verfolgung iSd Gründe der GFK, also aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung, festgestellt werden. Es habe unter Berücksichtigung aller bekannten Umstände nicht festgestellt werden können, dass die Beschwerdeführerin im Falle ihrer Rückkehr in ihr Heimatland dort einer realen Gefahr der Verletzung von Art 2, Art 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention ausgesetzt wäre oder für sie als Zivilperson einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts mit sich bringen würde.

Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin im Wege ihrer rechtsfreundlichen Vertretung fristgerecht Beschwerde wegen inhaltlich falscher Entscheidung und Mangelhaftigkeit in der Beweisaufnahme und der Verfahrensführung. Darin wurde das Fluchtvorbringen wiederholt und moniert, dass die Behörde verkenne, dass es in der Ukraine durchaus, insbesondere bei den Jesiden, Zwangsverheiratungen gebe.

Das Bundesverwaltungsgericht führte am 04.03.2019 in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die russische Sprache eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, in welcher die Beschwerdeführerin zu ihren persönlichen Umständen im Herkunftsstaat und zu ihrer Integration befragt wurde. Dabei legte sie Kursbestätigungen Deutsch A1/1, A1/2, A2/1 und Zahlungsbestätigung für den Kurs Deutsch A2/2 vor.

Mit Eingaben vom 26.08.2020 und vom 24.03.2021 wurden Unterlagen der Beschwerdeführerin in Vorlage gebracht. Dabei wurde mitgeteilt, dass die Beschwerdeführerin ein weiteres Kind in Österreich zur Welt gebracht habe.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage der Beschwerden gegen die angefochtenen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, der im Verfahren vorgelegten Dokumente, der eingebrachten Stellungnahme, der durchgeführten mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht, der Einsichtnahme in die bezughabenden Verwaltungsakten sowie der Einsichtnahme in das Zentrale Melderegister, das Zentrale Fremdenregister und Strafregister werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person der Beschwerdeführerin:

Die Beschwerdeführerin ist Staatsangehöriger der Ukraine, Zugehörige der Volksgruppe der Jesiden und der Religion der Sonnenanbeter.

Die Beschwerdeführerin ist in der Ukraine geboren. Sie besuchte acht Jahre lang, von 2000 bis 2008, die Schule. Vor ihrer Ausreise lebte die Beschwerdeführerin in Oblast und verrichtete Aushilfearbeiten, sie war jedoch nicht angemeldet. Sie Spricht Ukrainisch und Kurdisch.

In ihrem Herkunftsland verfügt die Beschwerdeführerin über Familienangehörige, Mutter, zwei Schwestern und ein Bruder sowie Onkeln und Tanten. Der Vater ist verstorben.

Am 15.12.2014 stellte sie den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Seither befindet sich die Beschwerdeführerin durchgängig in Österreich. Die Beschwerdeführerin bezieht keine Leistungen aus der Grundversorgung. Die Beschwerdeführerin ist seit XXXX 2017 mit einem österreichischen Staatsbürger verheiratet, mit dem sie drei in Österreich geborene minderjährige Kinder hat. Sie leben im gemeinsamen Haushalt. Zwischen der Beschwerdeführerin und ihrem Lebensgefährten besteht ein finanzielles Abhängigkeitsverhältnis. Die Beschwerdeführerin hat in Österreich Deutschkurse besucht und verfügt über ein positives Zeugnis zur Integrationsprüfung, Sprachkompetenz Werte- und Orientierungswissen A2.

Die Beschwerdeführerin leidet an keinen lebensbedrohlichen Krankheiten.

Die Beschwerdeführerin wurde am 23.07.2019, rechtskräftig am 23.07.2019, wegen einem Vergehen, Diebstahl nach §§ 15, 127 StGB, zu einer bedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von zwei Monaten, unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren verurteilt.

Es kann nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführerin in der Ukraine aufgrund ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung verfolgt wurde. Im Fall der Rückkehr in die Russischen Föderation ist die Beschwerdeführerin mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keiner wie immer gearteten Verfolgung ausgesetzt.

Es besteht für die Beschwerdeführerin im Falle einer Rückkehr in die Ukraine keine reale Bedrohungssituation für das Leben oder die körperliche Unversehrtheit. Sie liefe auch nicht Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.

1.2. Zur maßgeblichen Situation in der Ukraine:

1.2.1. Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation:

1.       Politische Lage

Die Ukraine ist eine parlamentarisch-präsidiale Republik. Ihr Staatsoberhaupt ist seit 7.6.2014 Präsident Petro Poroschenko. Regierungschef ist seit 14.4.2016 Ministerpräsident Wolodymyr Hroisman. Das Parlament (Verkhovna Rada) der Ukraine besteht aus einer Kammer; 225 Sitze werden über ein Verhältniswahlsystem mit Listen vergeben, 225 weitere Sitze werden in Mehrheitswahl an Direktkandidaten in den Wahlkreisen vergeben. 27 Mandate bleiben aufgrund der Krim-Besetzung und des Konflikts in der Ost-Ukraine derzeit unbesetzt. Im Parlament sind folgende Fraktionen und Gruppen vertreten (mit Angabe der Zahl der Sitze):

Block von Petro Poroschenko (Blok Petra Poroschenka)

142

Volksfront (Narodny Front)

81

Oppositionsblock (Oposyzijny Blok)

43

Selbsthilfe (Samopomitsch)

26

Radikale Partei von Oleh Ljaschko (Radykalna Partija Oleha Ljaschka)

20

Vaterlandspartei (Batkiwschtschyna)

20

Gruppe Wolja Narodu

19

Gruppe Widrodshennja

24

Fraktionslose Abgeordnete

48

(AA 2.2017a)

Der nach der "Revolution der Würde" auf dem Kiewer Maidan im Winter 2013/2014 und der Flucht von Wiktor Janukowytsch mit großer Mehrheit bereits im ersten Wahldurchgang zum Präsidenten gewählte Petro Poroschenko verfolgt seither mit unterschiedlichen Koalitionen eine europafreundliche Reformpolitik. Zu den Schwerpunkten des Regierungsprogramms gehören die Bekämpfung der Korruption sowie eine Verfassung- und Justizreform. Die Parteienlandschaft ist pluralistisch und reflektiert alle denkbaren Strömungen von national-konservativ bis links-sozialistisch. Die kommunistische Partei ist verboten. Die Regierung Hrojsman, die seit April 2016 im Amt ist, setzt den euroatlantischen Integrationskurs der Vorgängerregierung unter Arseni Jazenjuk fort und hat trotz zahlreicher koalitionsinterner Querelen und zum Teil großer Widerstände wichtige Reformen erfolgreich durchführen können. Gleichwohl sind die Erwartungen der Öffentlichkeit zu Umfang und Tempo der Reformen bei weitem nicht befriedigt (AA 7.2.2017).

Die Präsidentenwahlen des Jahres 2014 werden von internationalen und nationalen Beobachtern als frei und fair eingestuft (USDOS 3.3.2017a).

Ukrainische Bürger können seit 11. Juni 2017 ohne Visum bis zu 90 Tage in die Europäische Union reisen, wenn sie einen biometrischen Pass mit gespeichertem Fingerabdruck besitzen. Eine Arbeitserlaubnis ist damit nicht verbunden. Die Visabefreiung gilt für alle EU-Staaten mit Ausnahme Großbritanniens und Irlands (DS 11.6.2017).

2.       Sicherheitslage

Der nach der "Revolution der Würde" auf dem Kiewer Maidan im Winter 2013/2014 und der Flucht von Wiktor Janukowytsch vom mit großer Mehrheit bereits im ersten Wahlgang am 07.06.2014 direkt zum Präsidenten gewählte Petro Poroschenko verfolgt eine europafreundliche Reformpolitik, die von der internationalen Gemeinschaft maßgeblich unterstützt wird. Diese Politik hat zu einer Stabilisierung der Verhältnisse im Inneren geführt, obwohl Russland im März 2014 die Krim annektierte und seit Frühjahr 2014 separatistische „Volksrepubliken“ im Osten der Ukraine unterstützt (AA 7.2.2017).

Die ukrainische Regierung steht für einen klaren Europa-Kurs der Ukraine und ein enges Verhältnis zu den USA. Das 2014 von der Ukraine unterzeichnete und ratifizierte Assoziierungsabkommen mit der EU ist zum Jahresbeginn 2016 in Kraft getreten und bildet die Grundlage der Beziehungen der Ukraine zur EU. Es sieht neben der gegenseitigen Marktöffnung die Übernahme rechtlicher und wirtschaftlicher EU-Standards durch die Ukraine vor. Das Verhältnis zu Russland ist für die Ukraine von zentraler Bedeutung. Im Vorfeld der ursprünglich für November 2013 geplanten Unterzeichnung des EU-Assoziierungsabkommens übte Russland erheblichen Druck auf die damalige ukrainische Regierung aus, um sie von der EU-Assoziierung abzubringen und stattdessen einen Beitritt der Ukraine zur Zollunion/Eurasischen Wirtschaftsgemeinschaft herbeizuführen. Nach dem Scheitern dieses Versuchs und dem Sturz von Präsident Janukowytsch verschlechterte sich das russisch-ukrainische Verhältnis dramatisch. In Verletzung völkerrechtlicher Verpflichtungen und bilateraler Verträge annektierte Russland im März 2014 die Krim und unterstützt bis heute die bewaffneten Separatisten im Osten der Ukraine (AA 2.2017c).

Die sogenannten „Freiwilligen-Bataillone“ nehmen offiziell an der „Anti-Terror-Operation“ der ukrainischen Streitkräfte teil. Sie sind nunmehr alle in die Nationalgarde eingegliedert und damit dem ukrainischen Innenministerium unterstellt. Offiziell werden sie nicht mehr an der Kontaktlinie eingesetzt, sondern ausschließlich zur Sicherung rückwärtiger Gebiete. Die nicht immer klare hierarchische Einbindung dieser Einheiten hatte zur Folge, dass es auch in den von ihnen kontrollierten Gebieten zu Menschenrechtsverletzungen gekommen ist, namentlich zu Freiheitsberaubung, Erpressung, Diebstahl und Raub, eventuell auch zu extralegalen Tötungen. Diese Menschenrechtsverletzungen sind Gegenstand von allerdings teilweise schleppend verlaufenden Strafverfahren. Der ukrainische Sicherheitsdienst SBU bestreitet, trotz anderslautender Erkenntnisse von UNHCHR, Personen in der Konfliktregion unbekannten Orts festzuhalten und verweist auf seine gesetzlichen Ermittlungszuständigkeiten. In mindestens einem Fall haben die Strafverfolgungsbehörden bisher Ermittlung wegen illegaler Haft gegen Mitarbeiter der Sicherheitsbehörden aufgenommen (AA 7.2.2017).

Seit Ausbruch des Konflikts im Osten der Ukraine in den Regionen Lugansk und Donezk im April 2014 zählte das Büro des Hochkommissars für Menschenrechte der UN (OHCHR) 33.146 Opfer des Konflikts, davon 9.900 getötete und 23.246 verwundete Personen (inkl. Militär, Zivilbevölkerung und bewaffnete Gruppen). Der Konflikt wird von ausländischen Kämpfern und Waffen, die nach verschiedenen Angaben aus der Russischen Föderation in die nicht von der ukrainischen Regierung kontrollierten Gebiete (NGCA) gebracht werden, angeheizt. Zudem gibt es eine massive Zerstörung von zivilem Eigentum und Infrastruktur in den Konfliktgebieten. Auch Schulen und medizinische Einrichtungen sind betroffen. Zuweilen ist vielerorts die Strom- und Wasserversorgung unterbrochen, ohne die im Winter auch nicht geheizt werden kann. Der bewaffnete Konflikt stellt einen Bruch des Internationalen Humanitären Rechts und der Menschenrechte dar. Der Konflikt wirkt sich auf die ganze Ukraine aus, da es viele Kriegsrückkehrern (vor allem Männer) gibt und die Zahl der Binnenflüchtlinge (IDPs) hoch ist. Viele Menschen haben Angehörige, die getötet oder entführt wurden oder weiterhin verschwunden sind. Laut der Special Monitoring Mission der OSZE sind täglich eine hohe Anzahl an Brüchen der Waffenruhe, die in den Minsker Abkommen vereinbart wurde, zu verzeichnen (ÖB 4.2017).

Russland kontrolliert das Gewaltniveau in der Ostukraine und intensiviert den Konflikt, wenn es russischen Interessen dient (USDOS 3.3.2017a).

Halbinsel Krim

Die Halbinsel Krim wurde 2014 von der Russischen Föderation besetzt. Das „Referendum“ über den Anschluss an Russland, welches auf der Krim durchgeführt wurde, wurde von der Generalversammlung der Vereinten Nationen für ungültig erklärt. Die Resolution 71/205 der Generalversammlung der UN bezeichnet die Russische Föderation als Okkupationsmacht auf der Krim. Seit 2014 sind konstant Menschenrechtsverletzungen seitens der Machthaber zu beobachten: Gefangene legen Geständnisse ab, die durch Misshandlung und Folter erreicht wurden. Individuen bestimmter Gruppen werden in psychiatrische geschlossene Anstalten zwangseingewiesen. Anwälte können nicht uneingeschränkt ihrer Arbeit nachgehen. Menschen, die keinen russischen Pass haben, wird der Zugang zu staatlichen Dienstleistungen verwehrt. Weiters bestehen Diskriminierungen aufgrund von sexueller Orientierung und Genderidentität. Menschen mit anderer politischer Meinung werden verhaftet und unter Bezugnahme auf russische „Anti-Terror“-Gesetze zu Haftstrafen verurteilt. Auch werden Individuen entführt oder verschwinden plötzlich. Wenige bis keine dieser Fälle werden ausreichend investigativ und juristisch verfolgt. Besonders die ethnische Gruppe der Krimtataren, aber auch Ukrainer anderer ethnischer oder religiöser Gruppen, sind von Menschenrechtsverletzungen betroffen. Der Mejlis, die krimtatarische gewählte Versammlung zur Repräsentation der Krimtataren, wurde am 18. April 2016 durch die lokalen Behörden suspendiert und am 26. April vom Russischen Obersten Gerichtshof als „extremistisch“ eingestuft und verboten. Menschenrechtsorganisationen sowie Journalisten haben keinen uneingeschränkten Zugang zur Krim. Bestimmte Webseiten werden blockiert und unabhängige Medien mussten auf das ukrainische Festland übersiedeln. Die Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit wird massiv eingeschränkt. Am 7. März 2016 wurden in Simferopol alle öffentlichen Versammlungen verboten, die nicht von den Machthabern organisiert wurden (ÖB 4.2017).

Auf der Krim haben ukrainische Behörden und Amtsträger zurzeit keine Möglichkeit, ihre Befugnisse wahrzunehmen und staatliche Kontrolle auszuüben. Auf der Krim werden seit der völkerrechtswidrigen Annexion durch Russland im März 2014 staatliche Aufgaben von russischen Behörden ausgeübt. Die Einwohner wurden pauschal eingebürgert, es wurde begonnen, sie mit russischen Inlandspässen, seit September 2014 auch mit russischen Reisepässen, auszustatten. Einwohner der Krim, die ihr Widerspruchsrecht nutzten haben damit u. a. den Anspruch auf kostenlose medizinische Versorgung verloren. Die Minderheit der Krimtataren unterliegt erheblichen Restriktionen. Besorgniserregend sind weiterhin Meldungen, wonach exponierte Vertreter der tatarischen Minderheit verschwinden, nicht mehr auf die Krim reisen dürfen bzw. vielfältigen Diskriminierungen ausgesetzt sind. Außerdem werden tatarische Vereine in ihrer Handlungsfähigkeit beschnitten und unter Druck gesetzt, teilweise auch kriminalisiert oder zur Auflösung gezwungen. Die gewählte Versammlung der Krimtataren, das Selbstverwaltungsorgan Medschlis, wird von den de-facto-Behörden als terroristische Vereinigung eingestuft, seine Mitglieder werden verfolgt. Versuche, die tatarische Minderheit in eine den de-facto-Behörden willfährige Parallelstruktur einzubinden, blieben bisher ohne nennenswerten Erfolg. Medien stehen unter Druck, eine offene Zivilgesellschaft gibt es nicht mehr. Dem unabhängigen Fernsehsender der Tataren ATR wurde die Lizenz entzogen; er hat seinen Sitz nach Kiew verlegt. Seine Sendungen können auf der Krim nur noch im Internet und dort sehr eingeschränkt verfolgt werden. Auch jüngste Berichte von UNHCR sowie Amnesty International listen eine Reihe von Verletzungen der Menschenrechte und Grundfreiheiten auf der Krim auf, die von einer Einschränkung des Versammlungsrechts über willkürliche Verhaftungen bis hin zu Entführungen, Folter und Ermordung reicht. Versuche der Vereinten Nationen, der OSZE oder des Europarats eine kontinuierliche Beobachtung der Menschenrechtssituation auf der Krim vorzunehmen, sind bisher gescheitert (AA 7.2.2017).

Auf der Halbinsel Krim sind Dissidenten das Ziel systematischen Missbrauchs und der Verfolgung durch die russischen Behörden. Es gibt Berichte über Fälle von Verschwindenlassen. Internationalen und nationalen Menschenrechtsbeobachtern wird die Einreise auf die Krim verweigert. Wenn Gruppen versuchen dort tätig zu werden, werden sie zum Ziel erheblicher Drangsale und Einschüchterung (USDOS 3.3.2017a).

Im Feber 2014 besetzten russische Truppen die Halbinsel Krim militärisch. Im März wurde die Krim nach einem Scheinreferendum schließlich annektiert und zum Teil der Russischen Föderation erklärt. Die Vereinten Nationen verurteilten diesen Schritt und riefen Staaten und internationale Organisation auf, dies nicht anzuerkennen. Auf der Krim gilt seither de facto russisches Recht, es wurde eine russische Regierung installiert. Die russischen Sicherheitsbehörden konsolidieren ihre Kontrolle der Halbinsel weiterhin und beschränken die Menschenrechte durch unverhältnismäßige Anwendung repressiver russischer Gesetze. Abweichende und Meinungen und Opposition zur Annexion der Krim werden von den russischen Behörden durch Einschüchterung unterdrückt. Dazu gehören Entführungen, Verschwindenlassen, Misshandlung, politische Prozesse, wiederholte grundlose Vorladungen durch die Sicherheitsbehörden, gegenstandslose Festnahmen, usw. Bestimmte Gruppen, vor allem ethnische Ukrainer und Krimtataren werden systematisch diskriminiert und ihre Menschenrechte eingeschränkt. Der Selbstverwaltungskörper der krimtatarischen Minderheit, der demokratisch gewählte Mejlis, wurde als extremistische Organisation verboten. Personen, welche die Annahme der russischen Staatsbürgerschaft verweigern, werden beim Zugang zu Bildung, medizinischer Versorgung und Arbeitsmarkt diskriminiert. Es gibt auch Eingriffe in die Meinungsfreiheit und die Versammlungsfreiheit, speziell durch Behinderung bei der Pflege des kulturellen Erbes und durch Einschränkung des Zugangs zu Unterricht in ukrainischer und krimtatarischer Sprache. Die Medienfreiheit auf der Krim wird ebenfalls eingeschränkt, unabhängige Medien gibt es nicht mehr. Die wenigen verbleibenden unabhängigen bzw. kritischen Journalisten wurden eingesperrt und wegen Extremismus angeklagt. Es kommt zu politischer Einmischung in gerichtliche Verfahren, Einschränkung der Bewegungsfreiheit und Diskriminierung ethnischer und sexueller Minderheiten. Tausende Personen flüchteten als Binnenvertriebene in die Ukraine. Bei den russischen Behörden auf der Krim herrscht betreffend Menschenrechtsverletzungen ein Klima der Straflosigkeit. Fälle von Entführung oder Tötung von Einwohnern der Krim in den Jahren 2014 und 2015 werden nicht angemessen untersucht (USDOS 3.3.2017b).

Die Rechte der Bevölkerung der Krim, besonders der Krimtataren, werden weitgehend verletzt. Der krimtatarische Mejlis wurde verboten und krimtatarische Führungspersönlichkeiten dürfen die Krim nicht betreten oder sind inhaftiert (FH 29.3.2017).

Auf der Krim setzten die de-facto-Behörden ihre Maßnahmen zur Unterdrückung jeglicher pro-ukrainischer Opposition fort, wobei sie zunehmend auf russische Gesetze zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus zurückgriffen und Strafverfolgungsmaßnahmen gegen Dutzende Personen anstrengten, die als illoyal betrachtet wurden. In keinem der Fälle von Verschwindenlassen, die sich im Anschluss an die russische Besetzung ereignet hatten, gab es gründliche Ermittlungen. Die russischen Behörden hielten Parlamentswahlen auf der Krim ab, die international nicht anerkannt wurden. Die bereits stark eingeschränkten Rechte auf freie Meinungsäußerung, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit wurden 2016 noch weiter beschnitten. Die Websites einiger unabhängiger Medienkanäle, die in den Jahren zuvor gezwungen waren, ihren Sitz auf das ukrainische Festland zu verlegen, wurden von den De-facto-Behörden auf der Krim gesperrt. Am 7. März 2016 verbot der Bürgermeister von Simferopol, der Hauptstadt der Krim, alle öffentlichen Versammlungen, die nicht von den Behörden organisiert wurden. Ethnische Krimtataren waren von dem Bestreben der De-facto-Behörden zur Beseitigung jeglicher pro-ukrainischer Opposition nach wie vor besonders stark betroffen. Am 18. April wurde der Medschlis, eine von der krimtatarischen Volksversammlung Kurultai gewählte Vertretung, aufgelöst und am 26. April von einem Gericht als "extremistisch" verboten. Das Verbot wurde am 29. September vom Obersten Gerichtshof der Russischen Föderation bestätigt (AI 22.2.2017).

Russland setzt Kritiker der Krim-Okkupation weiterhin politischer Strafverfolgung aus und schränkt die Meinungs- und Vereinigungsfreiheit weiter ein. Krimtataren werden unter dem Vorwand der Extremismusbekämpfung verfolgt (HRW 12.1.2017).

Die im Zuge der Annexion der Halbinsel Krim bzw. im Zuge der Kampfhandlungen im Osten bekanntgewordenen und nicht zuletzt durch OSZE-Beobachter wiederholt thematisierten Verschleppungen von Journalisten durch Separatisten sowie die Behinderung objektiver Berichterstattung gaben ebenfalls zu verstärkter Sorge Anlass (ÖB 4.2017).

Seit der russischen Annexion der Halbinsel Krim häufen sich Berichte über den Versuch der systematischen Einschränkung der Versammlungsfreiheit unter dem Vorwand sicherheitspolitischer Erwägungen. Dies wirkt sich insbesondere auf die Aktivitäten der Krimtataren aus. Exemplarisch sei auf das Argument verwiesen, wonach Parkflächen während der Schulferien für Kinderaktivitäten freizuhalten und dementsprechend öffentliche kulturelle Veranstaltungen der Krimtataren aus Anlass des Tags der Flagge der Krimtataren in Simferopol am 26. Juni 2014 zu untersagen seien (ÖB 4.2017).

Ostukraine

Nach der völkerrechtswidrigen Annexion der Halbinsel Krim durch Russland im März 2014 rissen pro-russische Separatisten in einigen Gebieten der Ost-Ukraine die Macht an sich und riefen, unterstützt von russischen Staatsangehörigen, die „Volksrepublik Donezk“ und die „Volksrepublik Lugansk“ aus. Der ukrainische Staat begann daraufhin eine sogenannte Antiterroroperation (ATO), um die staatliche Kontrolle wiederherzustellen. Bis August 2014 erzielten die ukrainischen Kräfte stetige Fortschritte, danach erlitten sie jedoch - bedingt durch militärische Unterstützung der Separatisten aus Russland - zum Teil schwerwiegende Verluste. Die trilaterale Kontaktgruppe mit Vertretern der Ukraine, Russlands und der OSZE bemüht sich darum, den militärischen Konflikt zu beenden. Das Minsker Protokoll vom 5. September 2014, das Minsker Memorandum vom 19. September 2014 und das Minsker Maßnahmenpaket vom 12. Februar 2015 sehen unter anderem eine Feuerpause, den Abzug schwerer Waffen, die Gewährung eines „Sonderstatus“ für einige Teile der Ost-Ukraine, die Durchführung von Lokalwahlen und die vollständige Wiederherstellung der Kontrolle über die ukrainisch-russische Grenze vor. Die von der OSZE-Beobachtermission SMM überwachte Umsetzung, etwa des Truppenabzugs, erfolgt jedoch schleppend. Die Sicherheitslage im Osten des Landes bleibt volatil (AA 2.2017b).

In den von Separatisten kontrollierten Gebieten der Oblaste Donezk und Lugansk haben ukrainische Behörden und Amtsträger zurzeit keine Möglichkeit, ihre Befugnisse wahrzunehmen und staatliche Kontrolle auszuüben. Berichte der OSZE-Beobachtermission, von Amnesty International sowie weiteren NGOs lassen den Schluss zu, dass es nach Ausbruch des Konflikts im März 2014 in den von Separatisten kontrollierten Gebieten zu schweren Menschenrechtsverletzungen gekommen ist. Dazu zählen extralegale Tötungen auf Befehl örtlicher Kommandeure ebenso wie Freiheitsberaubung, Erpressung, Raub, Entführung, Scheinhinrichtungen und Vergewaltigungen. Der UN-Hochkommissar für Menschenrechte spricht von einem „vollständigen Zusammenbruch von Recht und Ordnung“, von einem „unter den Bewohnern vorherrschenden Gefühl der Angst, besonders ausgeprägt in der Region Lugansk“, sowie einer durch „fortgesetzte Beschränkungen der Grundrechte, die die Isolation der in diesen Regionen lebenden Bevölkerung verschärft, sowie des Zugangs zu Informationen“ gekennzeichneten Menschenrechtslage. Die Zivilbevölkerung ist der Willkür der Soldateska schutzlos ausgeliefert, Meinungsäußerungs- und Versammlungsfreiheit sind faktisch suspendiert. Nach UN-Angaben sind seit Beginn des bewaffneten Konflikts über 10.000 Menschen umgekommen. Es sind rund 1,7 Mio. Binnenflüchtlinge registriert und ca. 1,5 Mio. Menschen sind in Nachbarländer geflohen. Das im Februar 2015 vereinbarte Maßnahmenpaket von Minsk wird weiterhin nur schleppend umgesetzt: Die Sicherheitslage hat sich verbessert, auch wenn Waffenstillstandsverletzungen an der Tagesordnung bleiben. Der politische Prozess im Rahmen der Trilateralen Kontaktgruppe (OSZE, Ukraine, Russland) stockt jedoch trotz hochrangiger Unterstützung im Normandie-Format (Deutschland, Frankreich, Ukraine, Russland). Besonders kontrovers in der Ukraine bleibt neben den Lokalwahlen im besetzten Donbas der Dezentralisierungsprozess für den Donbas, den die Rada noch nicht abgeschlossen hat. In den von der ukrainischen Regierung kontrollierten Teilen der Gebiete Donezk und Lugansk wird die staatliche Ordnung erhalten oder wieder hergestellt, um Wiederaufbau sowie humanitäre Versorgung der Bevölkerung zu ermöglichen (AA 7.2.2017).

Die von Russland unterstützten Separatisten im Donbas verüben weiterhin Entführungen, Folter und unrechtmäßige Inhaftierung, rekrutieren Kindersoldaten, unterdrücken abweichende Meinungen und schränken humanitäre Hilfe ein. Trotzdem dies offiziell weiterhin abgestritten wird, kontrolliert Russland das Ausmaß der Gewalt in der Ostukraine und eskaliert den Konflikt nach eigenem politischen Gutdünken. Die separatistischen bewaffneten Gruppen werden weiterhin von Russland trainiert, bewaffnet, geführt und gegebenenfalls direkt im Einsatz unterstützt. Die Arbeit internationaler Beobachter wird dabei nach Kräften behindert. Geschätzte 70 Quadratkilometer landwirtschaftlicher Flächen in der Ostukraine wurden von den beiden Seiten vermint, speziell nahe der sogenannten Kontaktlinie. Diese Verminungen sind oft schlecht markiert und stellen eine Gefahr für Zivilisten dar. Bis zu 2.000 Zivilisten sollen im ostukrainischen Konfliktgebiet umgekommen sein, meist durch Artilleriebeschuss bewohnter Gebiete. Die Zahl derer, die durch Folter und andere Menschenrechtsverletzungen umgekommen sein dürften, geht in die Dutzende. 498 Personen (darunter 347 Zivilisten) bleiben vermisst. Die von Russland unterstützten Separatisten begingen systematisch zahlreiche Menschenrechtsverletzungen (Schläge, Zwangsarbeit, Folter, Erniedrigung, sexuelle Gewalt, Verschwindenlassen aber auch Tötungen) sowohl zur Aufrechterhaltung der Kontrolle als auch zur Bereicherung. Sie entführen regelmäßig Personen für politische Zwecke oder zur Erpressung von Lösegeld, besonders an Checkpoints. Es kommt zu willkürlichen Inhaftierungen von Zivilpersonen bei völligem Fehlen jeglicher rechtsstaatlicher Kontrolle. Diese Entführungen führen wegen ihrer willkürlichen Natur zu großer Angst unter der Zivilbevölkerung. Von einem „Kollaps von Recht und Ordnung“ in den Separatistengebieten wird berichtet. Internationalen und nationalen Menschenrechtsbeobachtern wird die Einreise in die Separatistengebiete verweigert. Wenn Gruppen versuchen dort tätig zu werden, werden sie zum Ziel erheblicher Drangsale und Einschüchterung. Journalisten werden willkürlich inhaftiert und misshandelt. Die separatistischen bewaffneten Gruppen beeinflussen direkt die Medienberichterstattung in den selbsternannten Volksrepubliken. Freie (kritische) Meinungsäußerung ist nicht möglich. Da die separatistischen Machthaber die Einfuhr von humanitären Gütern durch ukrainische oder internationale Organisationen stark einschränken, sind die Anwohner der selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk mit starken Preisanstiegen konfrontiert. An Medikamenten herrscht ein erheblicher Mangel. Das erschwert auch die Behandlung von HIV und Tuberkulose. Mehr als 6.000 HIV-positive Personen in der Region leiden unter dem Mangel an Medikamenten und Medizinern (USDOS 3.3.2017a).

In den ostukrainischen Konfliktgebieten begingen Berichten zufolge auch Regierungstruppen bzw. mit ihnen verbündete Gruppen Menschenrechtsverletzungen. Der ukrainische Geheimdienst (SBU) soll Personen geheim festhalten bzw. festgehalten haben (USDOS 3.3.2017a). Nach einem Bericht über illegale Haft und Folter, sowohl durch den ukrainischen SBU sowie durch prorussische Separatisten, reagierte im Juli 2016 der SBU mit der Entlassung von 13 Personen aus der Haft (die Illegalität der Haft wurde aber abgestritten). Von der separatistischen Seite ist nichts dergleichen berichtet, obwohl deren Vergehen viel zahlreicher waren (FH 1.2017; vgl. HRW 12.1.2017).

Trotz des Abkommens von Minsk ist in der Ostukraine immer noch kein tragfähiger Waffenstillstand zustande gekommen. Russland liefert weiterhin Waffen und stellt militärisches Personal als „Freiwillige“. 2016 haben sich die lokalen Verwaltungen in den selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk institutionell konsolidiert und der Aufbau russisch kontrollierter Staatsgebilde ist überwiegend abgeschlossen. Unabhängige politische Aktivitäten und politische Parteien sind jedoch verboten, NGOs arbeiten dort nicht, und eine freie Presse ist nicht vorhanden (FH 29.3.2017).

Nach wie vor kam es im Osten der Ukraine auf beiden Seiten zu sporadischen Verstößen gegen den vereinbarten Waffenstillstand. Sowohl die ukrainischen Streitkräfte als auch die pro-russischen Separatisten verübten Verletzungen des humanitären Völkerrechts, darunter Kriegsverbrechen wie Folter, ohne dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden. In der Ukraine und den selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk wurden Personen, die der Unterstützung der jeweils anderen Seite verdächtigt wurden, rechtswidrig inhaftiert, auch zum Zwecke des Gefangenenaustauschs. Sowohl seitens der ukrainischen Behörden als auch der separatistischen Kräfte im Osten der Ukraine kam es auf den von der jeweiligen Seite kontrollierten Gebieten zu rechtswidrigen Inhaftierungen. Zivilpersonen, die als Sympathisanten der anderen Seite galten, wurden als Geiseln für den Gefangenenaustausch benutzt. Wer für einen Gefangenenaustausch nicht in Frage kam, blieb häufig monatelang inoffiziell in Haft, ohne Rechtsbehelf oder Aussicht auf Freilassung. In den selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk setzten lokale "Ministerien für Staatssicherheit" die ihnen im Rahmen lokaler "Verordnungen" verliehenen Befugnisse dazu ein, Personen bis zu 30 Tage lang willkürlich zu inhaftieren und diese Haftdauer wiederholt zu verlängern. Die ukrainischen Behörden schränkten den Personenverkehr zwischen den von den Separatisten kontrollierten Regionen Donezk und Lugansk und den von der Ukraine kontrollierten Gebieten weiterhin stark ein (AI 22.2.2017).

In den selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk agieren lokale Sicherheitsdienste in einem vollkommenen rechtlichen Vakuum, wodurch die von ihnen festgenommenen Personen jeglicher Rechtssicherheit oder Beschwerdemöglichkeiten beraubt (HRW 12.1.2017).

In den von pro-russischen Kräften besetzten Gebieten im Osten der Ukraine kann in keinster Weise von einer freien, gar kritischen Presse die Rede sein. Die im Zuge der Annexion der Halbinsel Krim bzw. im Zuge der Kampfhandlungen im Osten bekanntgewordenen und nicht zuletzt durch OSZE-Beobachter wiederholt thematisierten Verschleppungen von Journalisten durch Separatisten sowie die Behinderung objektiver Berichterstattung gaben ebenfalls zu verstärkter Sorge Anlass (ÖB 4.2017).

Pro-russische Separatisten in der Ostukraine entführen, inhaftieren, schlagen und bedrohen Mitglieder der ukrainisch-orthodoxen Kirche Kiewer Patriarchats, Zeugen Jehovas und Angehörige protestantischer Kirchen. Auch antisemitische Rhetorik und Handlungen werden berichtet. Sie verwüsten oder beschlagnahmen weiterhin Kirchenvermögen und geben vor, nur „offizielle Kirchen“ dürften tätig werden. Faktisch werden religiöse Gruppen außer der ukrainisch-orthodoxen Kirche Moskauer Patriarchats systematisch diskriminiert (USDOS 10.8.2016).

3.       Rechtsschutz/Justizwesen

Die ukrainische Verfassung sieht eine unabhängige Justiz vor, die Gerichte sind aber trotz Reformmaßnahmen der Regierung weiterhin ineffizient und anfällig für politischen Druck und Korruption. Das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Justiz ist gering (USDOS 3.3.2017a).

Nach einer langen Phase der Stagnation nahm die Justizreform ab Juli 2016 mit Verfassungsänderungen und neuem rechtlichem Rahmen Fahrt auf. Für eine Bewertung der Effektivität der Reform ist es noch zu früh (FH 29.3.2017).

Die Reform der Justiz war eine der Kernforderungen der Demonstranten am sogenannten Euro-Maidan. Das größte Problem der ukrainischen Justiz war immer die mangelnde Unabhängigkeit der Richter von der Exekutive. Auch die Qualität der Gesetze gab stets Anlass zur Sorge. Noch problematischer war jedoch deren Umsetzung in der Praxis. Auch Korruption wird als großes Problem im Justizbereich wahrgenommen. Unter dem frisch ins Amt gekommenen Präsident Poroschenko machte sich die Regierung daher umgehend an umfassende Justizreformen. Mehrere größere Gesetzesänderungen hierzu wurden seither verabschiedet. Besonders hervorzuheben sind Gesetz Nr. 3524 betreffend Änderungen der Verfassung und Gesetz Nr. 4734 betreffend das Rechtssystem und den Status der Richter, die Ende September 2016 in Kraft traten. Mit diesen Gesetzen wurden die Struktur des Justizsystems reformiert und die professionellen Standards für Richter erhöht und ihre Verantwortlichkeit neu geregelt. Außerdem wurde der Richterschaft ein neuer Selbstverwaltungskörper gegeben, der sogenannte Obersten Justizrat (Supreme Council of Justice). Dieser ersetzt die bisherige Institution (Supreme Judicial Council), besteht hauptsächlich aus Richtern und hat ein Vorschlagsrecht für Richter, welche dann vom Präsidenten zu ernennen sind. Ebenso soll der Oberste Justizrat Richter suspendieren können. Die besonders kritisierte fünfjährige Probezeit der Richter wurde gestrichen und ihr Einkommen massiv erhöht. Auf der anderen Seite wurden die Ernennungskriterien für Richter erhöht, bereits ernannte Richter müssen sich einer Überprüfung unterziehen. Die Antikorruptionsregelungen wurden verschärft und die richterliche Immunität auf eine rein professionelle Immunität beschränkt. Richter, die die Herkunft ihres Vermögens (bzw. das enger Angehöriger) nicht belegen können, sind zu entlassen. Besonders augenfällig ist auch die Umstellung des Gerichtssystems von einem viergliedrigen zu einem dreigliedrigen System. Unter dem ebenfalls reformierten Obersten Gerichtshof als höchster Instanz, gibt es nun nur noch die Appellationsgerichte und unter diesen die lokalen Gerichte. Die zuvor existierenden verschiedensten Gerichtshöfe (zwischen Appellationsgerichten und Oberstem Gerichtshof) wurden abgeschafft. Außerdem wurde ein spezialisierter Antikorruptionsgerichtshof geschaffen, wenn auch dessen genaue Zuständigkeit noch durch Umsetzungsdekrete festzulegen ist. Die Kompetenz Gerichte zu schaffen oder umzuorganisieren etc., ging vom Präsidenten auf das Parlament über (BFA/OFPRA 5.2017).

Die andere große Baustelle des Justizsystems ist die Reform des Büros des Generalstaatsanwalts, der bislang mit weitreichenden, aus der Sowjetzeit herrührenden Kompetenzen ausgestattet war. Im April 2015 trat ein Gesetz zur Einschränkung dieser Kompetenzen bei gleichzeitiger Stärkung der Unabhängigkeit in Kraft, wurde in der Praxis aber nicht vollständig umgesetzt. Große Hoffnungen in diese Richtung werden in den im Mai 2016 ernannten neuen Generalstaatsanwalt Juri Lutsenko gesetzt. Eine neu geschaffene Generalinspektion soll die Legalität der Tätigkeit der Staatsanwaltschaft überwachen. Die praktische Umsetzung all dieser Vorgaben erfordert allerdings die Verabschiedung einer Reihe begleitender Gesetze, die es abzuwarten gilt. Etwa 3.400 Posten in der Staatsanwaltschaft, die neu besetzt wurden, gingen überwiegend an Kandidaten, die bereits vorher in der Staatsanwaltschaft gewesen waren. Alle Kandidaten absolvierten eingehende und transparente Tests, aber am Ende waren unter den Ernannten nur 22 neue Gesichter, was in der Öffentlichkeit zu Kritik führte. Für die Generalinspektion ist aber neues Personal vorgesehen. Die schlechte Bezahlung der Staatsanwälte ist ein Einfallstor für Korruption. Der Antikorruptions-Staatsanwalt bekommt als einziger Staatsanwalt höhere Bezüge, obwohl gemäß Gesetz alle Staatsanwälte besser bezahlt werden müssten (BFA/OFPRA 5.2017; vgl. FH 29.3.2017).

Mit 1. Oktober 2016 hat die Generalstaatsanwaltschaft sechs Strafverfahren gegen Richter eingeleitet. Richter beschweren sich weiterhin über eine schwache Gewaltenteilung zwischen Exekutive und Judikative. Einige Richter berichten über Druckausübung durch hohe Politiker. Andere Faktoren behindern das Recht auf ein faires Verfahren, wie langwierige Gerichtsverfahren, vor allem in Verwaltungsgerichten, unzureichende Finanzierung und mangelnde Umsetzung von Gerichtsurteilen. Diese liegt bei nur 40% (USDOS 3.3.2017a).

Der unter der Präsidentschaft Janukowitschs zu beobachtende Missbrauch der Justiz als Hilfsmittel gegen politische Mitbewerber und kritische Mitglieder der Zivilgesellschaft ist im politischen Prozess der Ukraine heute nicht mehr zu finden. Es bestehen aber weiterhin strukturelle Defizite in der ukrainischen Justiz. Eine umfassende, an westeuropäischen Standards ausgerichtete Justizreform ist im September 2016 in Kraft getreten, deren vollständige Umsetzung wird jedoch noch einige Jahre in Anspruch nehmen (ÖB 4.2017).

Laut offizieller Statistik des EGMR befindet sich die Ukraine auf Platz 1 in Bezug auf die Anzahl an anhängigen Fällen in Strassburg (18.155, Stand 1.1.2017). 65% der anhängigen Fälle betreffen die nicht-Umsetzung von nationalen Urteilen. Wiederkehrende Vorwürfe des EGMR gegen die Ukraine kreisen auch um die überlange Dauer von Zivilprozessen und strafrechtlichen Voruntersuchungen ohne Möglichkeit, dagegen Rechtsmittel ergreifen zu können; Verstöße gegen Art. 5 der EMRK (Recht auf Freiheit und Sicherheit); Unmenschliche Behandlung in Haft bzw. unzulängliche Untersuchung von derartig vorgebrachten Beschwerden; Unzureichende Haftbedingungen und medizinische Betreuung von Häftlingen (ÖB 4.2017).

4.       Sicherheitsbehörden

Die Sicherheitsbehörden unterstehen effektiver ziviler Kontrolle. Der ukrainischen Regierung gelingt es meist nicht Beamte strafzuverfolgen oder zu bestrafen, die Verfehlungen begangen haben. Menschenrechtsgruppen und die Vereinten Nationen bemängeln aber die Maßnahmen angebliche Menschenrechtsverletzungen durch Sicherheitsbehörden zu ermitteln bzw. zu bestrafen, insbesondere angebliche Fälle von Folter, Verschwindenlassen, willkürlichen Inhaftierungen etc. durch den ukrainischen Geheimdienst (SBU), speziell wenn das Opfer verdächtig war/ist „pro-separatistisch“ eingestellt zu sein. Straflosigkeit ist somit weiterhin ein Problem. Gelegentlich kam es zu Anklagen, oft aber blieb es bei Untersuchungen. Der Menschenrechtsombudsmann hat die rechtliche Möglichkeit, Ermittlungen innerhalb der Sicherheitsbehörden wegen Menschenrechtsverletzungen zu initiieren. Die Sicherheitsbehörden verhindern generell gesellschaftliche Gewalt oder reagieren darauf. In einigen Fällen kam es aber auch zu Fällen überschießender Gewaltanwendung gegen Demonstranten oder es wurde versäumt Personen vor Drangsale oder Gewalt zu schützen (USDOS 3.3.2017a).

Die Sicherheitsbehörden haben ihre sowjetische Tradition überwiegend noch nicht abgestreift. Reformen werden von Teilen des Staatsapparats abgelehnt. Staatsanwaltschaft und Sicherheitsdienst (SBU) waren jahrzehntelang Instrumente der Repression; im Bereich von Gefahrenabwehr und Strafverfolgung gibt es weiterhin überlappende Kompetenzen. Die 2015 mit großem Vertrauensvorschuss neu geschaffene und allseits für ihre Integrität gelobte Nationalpolizei muss sich auseinandersetzen mit einer das Sicherheitsempfinden der Bevölkerung beeinträchtigenden Zunahme der Kriminalität infolge der schlechten Wirtschaftslage und der Auseinandersetzung im Osten, einer noch im alten Denken verhafteten Staatsanwaltschaft und der aus sozialistischen Zeiten überkommenen Rechtslage. Der ukrainische Sicherheitsdienst SBU bestreitet, trotz anderslautender Erkenntnisse von UNHCHR, einige wenige Personen in der Konfliktregion (Ostukraine) unbekannten Orts festzuhalten und verweist auf seine gesetzlichen Ermittlungszuständigkeiten. In mindestens einem Fall haben die Strafverfolgungsbehörden bisher Ermittlung wegen illegaler Haft gegen Mitarbeiter der Sicherheitsbehörden aufgenommen (AA 7.2.2017).

Nach einem Bericht über illegale Haft und Folter, sowohl durch den ukrainischen Geheimdienst SBU als auch durch prorussische Separatisten, reagierte im Juli 2016 der SBU mit der Entlassung von 13 Personen aus der Haft (die Illegalität der Haft wurde aber abgestritten). Bezüglich der Polizeigewalt gegen Maidan-Demonstranten im Jahre 2014 wurden vier Berkut-Beamte wegen der Tötung von drei Demonstranten und Verletzung 35 weiterer angeklagt (FH 1.2017; vgl. HRW 12.1.2017).

Da die alte ukrainische Polizei, die sogenannte Militsiya, seit Ende der Sowjetunion mit einem sehr schlechten Ruf als zutiefst korrupt zu kämpfen hatte und sie nach den Ereignissen des sogenannten Euromaidan zu sehr mit – zum Teil tödliche r- Gewalt gegen Demonstranten gleichgesetzt wurde, reagierte die neue Regierung in der post-Janukowitsch-Ära sehr schnell und präsentierte bereits Ende 2014 eine Strategie zur Einführung einer neuen Polizeieinheit, welche korruptionsfrei, weniger militaristisch und serviceorientierter sein sollte. Die relevante Gesetzgebung konnte schließlich im November 2015 in Kraft treten. Die neue Nationalpolizei nahm ihre Tätigkeit aber bereits Anfang Juli 2015 auf, als die ersten 2.000 neuen Beamten nach nur drei Monaten Ausbildung ihren Eid ablegten. Diese kurze Ausbildungszeit erklärt sich auch aus der Notwendigkeit heraus, die neuen Beamten rasch auf die Straße zu bekommen, wo sie wohlgemerkt ohne Anleitung durch erfahrene (Militsiya-)Beamte Dienst taten, sozusagen als Verkörperung des Wandels. Die etwa 12.000 Nationalpolizisten tun derzeit Dienst in den Großstädten, inklusive Odessa, Kharkiv, Kiew und Lemberg, sowie in 32 Oblast-Hauptstädten im ganzen Land, inklusive der ukrainisch kontrollierten Teile der Ostukraine. Es ist geplant, dass sie danach schrittweise auf den Autobahnen und im ganzen Land tätig werden sollen. Geplant und durchgeführt wurde die Polizeireform v.a. von georgischen Experten, die bereits in ihrer Heimat einschlägige und international beachtete Erfahrungen gesammelt hatten. Um die Trennung vom alten System zu verdeutlichen, wurde die Militsiya angewiesen nicht mehr auf den Straßen präsent zu sein. Dort patrouilliert nur noch die Nationalpolizei. In den Revieren jedoch wird Innendiensttätigkeit weiterhin von der Militsiya verrichtet, deren Ende praktisch besiegelt ist. Die Kooperation zwischen den beiden Wachkörpern ist folglich eher problembeladen. Die neuen Polizisten verrichten praktisch ausschließlich Patrouillentätigkeiit. Wenn sie jemanden festnehmen wird die weitere Ermittlungsarbeit – auch mangels Erfahrung der Nationalpolizisten – weiter von der Militsiya gemacht, bevor es zu einer Anklage kommen kann. Die Reform der Kriminalpolizei und weiterer Einheiten, mit ihren etwa 150.000 Beamten in der gesamten Ukraine, steht erst bevor und wird als der wahre Belastungstest für die Polizeireform gesehen. Mit dem Eintritt der ersten neuen Nationalpolizisten in den Kriminaldienst wird frühestens nach drei Jahren gerechnet. Bewerber für die Nationalpolizei müssen sich eingehender Fitness- und Persönlichkeitstest unterziehen. Angehörige der Militsiya können in den neuen Wachkörper wechseln, müssen aber die Vorgaben erfüllen und sich den Eignungstest unterziehen. Ende 2015 hatten sich 18.044 Milizionäre diesem Prozess gestellt und 62% davon haben die ersten zwei (von drei) Testrunden überstanden (General Skills Test, Professional Skills Test und kommissionelles Interview). An diesem Auswahlprozess sind Vertreter der Zivilgesellschaft beteiligt und die EU beobachtet diesen. Nationalpolizisten werden im Vergleich zur Militsiya sehr gut bezahlt, was Korruption vorbeugen soll. In den ersten zwei Monaten wurden 28 der neuen Beamten entlassen, zwei davon wegen Korruptionsvorwürfen. Trotz dem Mangel an Erfahrung der neuen Polizisten, der immer wieder kritisiert wurde, werden die ersten Monate in denen die neue Nationalpolizei Dienst tat, als Erfolg betrachtet. Im Vergleich zur Militsiya wurden die neuen Beamten öfter gerufen, reagierten aber trotzdem schneller. Die Zahl der Notrufe vervierfachte sich binnen kurzer Zeit, was als Beweis des Vertrauens der Bürger in die Polizei gewertet wird. 85% der Kiewer Bevölkerung halten die Polizei für glaubwürdig, aber nur 5% sagen dasselbe über die Militsiya. In anderen Großstädten sind die Werte ähnlich. Der Anstieg der Kriminalität (+20% in Kiew im Jahre 2015 gegenüber dem Jahr davor) wird von Kritikern in Zusammenhang mit der neuen Polizei gebracht. Jedoch werden auch der Konflikt im Osten des Landes, die allgemein schlechte ökonomische Lage, sowie die Anwesenheit zahlreicher Personen aus der Ostukraine, die aufgrund des Konflikts ihren Lebensmittelpunkt nach Kiew verlagert haben (IDPs und andere) als relevante Faktoren genannt. Auch angeführt wird, dass der Anstieg der Kriminalität eher damit zu tun haben könnte, dass in der Nationalpolizei die Statistiken nicht mehr frisiert und die neuen Polizisten aufgrund höheren Bürgervertrauens schlicht öfter zur Hilfe gerufen werden. Der Wandel der Polizei geht auch einher mit einem Wandel des Innenministeriums, das nach den Worten des Innenministers von einem „Milizministerium“ zu einem zivilen Innenministerium europäischer Prägung wurde. Der Rücktritt von Vize-Innenministerin Ekaterina Zguladze-Glucksmann und von Polizeichefin Khatia Dekanoidze, zwei der zahlreichen georgischen Experten, die zur Durchsetzung von Reformen engagiert worden waren, im November 2016, gab bei einigen Beobachtern Anlass zur Sorge über die Zukunft der ukrainischen Polizeireform. Dekanoidze beklagte bei ihrem Abgang, dass, trotzdem es ihr gelungen sei die Grundlagen für einen Polizeikörper westlichen Zuschnitts zu legen, man ihr nicht genug Kompetenzen für eine noch radikalere Reform in die Hand gegeben hätte (BFA/OFPRA 5.2017).

Das sichtbarste Ergebnis der Polizeireform der Ukraine, die am 2. Juli 2015 beschlossen wurde, ist sicherlich die (Neu-)Gründung der Nationalen Polizei, die im selben Monat noch in drei ausgewählten Regionen und insgesamt 32 Städten (darunter auch Kiew, Lemberg, Kharkiv, Kramatorsk, Slaviansk und Mariupol) ihre Tätigkeit aufnahm. Als von der Politik grundsätzlich unabhängiges Exekutivorgan, das anhand von europäischen Standards mit starker Unterstützung der internationalen Gemeinschaft aufgebaut wurde, stellt die neue Nationale Polizei jedenfalls einen wesentlichen Schritt vorwärts dar. Mit 7. November 2015 ersetzte die neue Nationale Polizei der Ukraine offiziell die bestehende und aufgrund von schweren Korruptionsproblemen in der Bevölkerung stark diskreditierte Militsiya. Alle Mitglieder der Militsiya hatten grundsätzlich die Möglichkeit, in die neue Struktur aufgenommen zu werden, mussten hierfür jedoch einen „Re-Attestierungs-Prozess“ samt umfangreichen Schulungsmaßnahmen und Integritäts-Prüfungen durchlaufen. Mit 20 Oktober 2016 verkündete die damalige Leiterin der Nationalen Polizei den erfolgreichen Abschluss dieses Prozesses. Im Zuge dessen wurden 26% der Polizeikommandanten im ganzen Land entlassen, 4.400 Polizisten befördert und im Gegenzug 4.400 herabgestuft. Allgemein wird der vorläufig große Erfolg dieser Reform oft als Aushängeschild der allgemeinen Reformvorhaben gesehen. Nach dem Rücktritt der ehemaligen georgischen Innenministerin Khatia Dekanoidze wurde, im Zuge eines offenen und transparenten Verfahrens, Serhii Knyazev als neuer Leiter der Nationalen Polizei ausgewählt und am 8. Februar 2017 ernannt. Eine gewisse Verlangsamung der Reformen im Polizeibereich ist zu bemerken (ÖB 4.2017).

5.       Folter und unmenschliche Behandlung

Obwohl Folter laut Verfassung und Gesetzen verboten sind, gibt es Berichte, dass Sicherheitsbehörden solche Praktiken anwenden. Der ukrainischen Regierung gelingt es meist nicht Beamte strafzuverfolgen oder zu bestrafen, die Verfehlungen begangen haben, was zu einem Klima der Straflosigkeit beiträgt. Menschenrechtsgruppen und die Vereinten Nationen bemängeln aber die Maßnahmen angebliche Menschenrechtsverletzungen durch Sicherheitsbehörden zu ermitteln bzw. zu bestrafen, insbesondere angebliche Fälle von Folter, Verschwindenlassen, willkürlichen Inhaftierungen etc. durch den ukrainischen Geheimdienst (SBU), speziell wenn das Opfer verdächtig war/ist „pro-separatistisch“ eingestellt zu sein. Menschenrechtsorganisationen berichten von Todesfällen in Gefängnissen, u.a. wegen Folter. Während der ersten neun Monate 2016 eröffnete die Generalstaatsanwaltschaft 35 Verfahren wegen Vorwürfen von Folter oder erniedrigender Behandlung unter Beteiligung von staatlichen Sicherheitsorganen. Gemäß ukrainischem Innenministerium wurden im selben Zeitraum 133 Ermittlungen bezüglich verschiedener Vergehen gegen Polizisten aufgenommen, davon fünf wegen Folter. 20 Beamte wurden disziplinarisch bestraft und zehn weitere entlassen.

Aus der Ostukraine wird berichtet, dass Regierungstruppen und regierungstreue Gruppen dort im Zuge von militärischen Operationen Menschenrechtsverletzungen begehen, auch Folter (USDOS 3.3.2017a).

Der „Parliament commissioner for Human Rights“ (Ombudsmann) der Ukraine fungiert gleichzeitig als Nationaler Präventivmechanismus (NPM) des Optionalen Protokolls des Europäischen Komitees zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe (ÖB 4.2017).

Im Februar 2016 wurde die neue Ermittlungsbehörde zur Untersuchung mutmaßlicher Straftaten von Ordnungskräften und Militär offiziell ins Leben gerufen. Der UN-Unterausschuss zur Verhütung von Folter brach seinen Besuch in der Ukraine am 25. Mai 2016 vorzeitig ab, nachdem der Inlandsgeheimdienst der Ukraine (Sluschba bespeky Ukrajiny - SBU) ihm den Zugang zu einigen seiner Einrichtungen in der Ostukraine verweigert hatte. Berichten zufolge werden dort Gefangene in geheimer Haft gehalten, gefoltert und anderweitig misshandelt. Der Unterausschuss setzte seinen Besuch schließlich im September 2016 fort und erstellte einen Bericht, dessen Veröffentlichung von den ukrainischen Behörden jedoch nicht genehmigt wurde (AI 22.2.2017).

Der Menschenrechtskommissar des Europarats besuchte die Ukraine im März 2016 und berichtet von Fällen von Misshandlung durch pro-ukrainische Freiwilligenbataillone und den SBU im Konfliktgebiet der Ostukraine. Im Falle des SBU geschahen diese Misshandlungen meist in Hafteinrichtungen in Kharkiv, Kramatorsk und am Flughafen Mariupol (CoE 11.7.2016).

Das Europäische Komitee zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe besuchte die Ukraine im November 2016 und berichtete, dass die Mehrheit der Personen, die kürzlich in Haft waren, darauf hinwies, dass die Polizei sie korrekt behandelt hat und es gab keine weiteren Berichte über Misshandlung durch SBU-Beamte oder durch Polizeibeamte in Polizeigefangenenhäusern. Die grundlegenden Rechte (auf einen Arzt, auf einen Anwalt, auf Information) werden vor allem von der Polizei nicht immer gewährt. Es gibt weiterhin Berichte über Gewaltanwendung durch Beamte bei Verhören, um Geständnisse zu erhalten. Obwohl seit 2013 die Schwere der Vorfälle abgenommen hat, ist die Zahl der Vorwürfe immer noch bedenklich. Die Situation in den Untersuchungsgefängnissen ist generell schlechter als in den Justizanstalten, sie sind immer noch stellenweise überbelegt und auch Gewalt unter den Häftlingen ist dort präsenter als in den Justizanstalten (CoE 19.6.2017).

6.       Korruption

Korruption ist in der Ukraine endemisch. Dies findet sich nicht zuletzt im Corruption Perception Index von Transparency International reflektiert, der die Ukraine im Jahr 2016 auf Platz 131 von 176 untersuchten Ländern einstuft. Im Jahr 2007 rangierte die Ukraine im selben Ranking noch auf Platz 118 von 179 untersuchten Ländern. Vor allem seit dem Sturz des Janukowitsch-Regimes zeigt der Trend aber wieder in eine positive Richtung. Die endemische Korruption war einer, wenn nicht der Grund für den Sturz des alten Regimes und vereint weiterhin große Teile der Bevölkerung und vor allem auch der Zivilgesellschaft hinter einem gemeinsamen Ziel. Am 14. Mai 2013 verabschiedete das ukrainische Parlament ein neues Antikorruptionsgesetz, nicht zuletzt aufgrund einer im Aktionsplan zur Liberalisierung des Visaregimes für die Ukraine vorgesehen Vorgabe. Das Gesetz fordert u.a. verstärkte Berichtspflichten für (Neben-)Einkünfte und Aufwendungen von öffentlich Bediensteten und von Bediensteten staatlicher Betriebe sowie ihrer Familien. Das Gesetz sieht außerdem den Schutz von Personen vor, die Korruption anzeigen. Als positiver Schritt wird die Verabschiedung eines neuen Gesetzes „Über öffentliche Auftragsvergaben“ am 10. April 2014 gewertet. Insbesondere die neuen Publizitätskriterien sollen den Vergabeprozess transparenter und damit kontrollierbarer machen. Vor dem Hintergrund der am 26 .Oktober 2014 abgehaltenen vorzeitigen Parlamentswahlen wurde am 14. Oktober 2014 ein neues umfassendes Reformpaket zur Bekämpfung der Korruption vorgelegt, durch das neue Institutionen geschaffen bzw. neue Verfahren zur Korruptionsverhütung und -bekämpfung eingeführt wurden. So wurde die Schaffung des Nationalen Anti-Korruptions-Büros (NABU) beschlossen und am 16. April 2015 eröffnet. Hauptziel des NABU ist es, v.a. Korruption auf höchster (politischer) Ebene zu bekämpfen. Besetzt wurde das Büro infolge eines strikten und offenen Auswahlverfahrens. Die Ausstattung des Büros mit vollwertigen Ermittlungsbefugnissen ist jedoch weiterhin ausständig und innenpolitisch sehr umstritten. Ende 2015 wurde ebenfalls eine gesonderte Antikorruptionsstaatsanwaltschaft geschaffen, die alle Korruptions-Fälle von der Generalstaatsanwaltschaft übernehmen soll. Als drittes neues Element wurde auch die Nationale Behörde für die Korruptionsprävention (NAPC) ins Leben gerufen. Politisch oft heikle Korruptionsfälle sollen dadurch auf neue, unabhängige Strukturen ausgelagert werden. Vom Leiter des NABU, Artem Sytnyk, sowie zahlreichen im Bereich der Korruptionsbekämpfung tätigen NGOs, als auch von der EU und anderen internationalen Partnern, wird ebenfalls die Schaffung eigener Anti-Korruptionsgerichte gefordert, womit von Ermittlung über Anklage bis hin zum Urteil die Kette bei der Korruptionsbekäm

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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