TE Bvwg Erkenntnis 2021/7/14 I412 2243563-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 14.07.2021
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Entscheidungsdatum

14.07.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs2 Z6
FPG §55 Abs2
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §27
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


I412 2243563-1/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Gabriele ACHLEITNER als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , StA. ÄGYPTEN, vertreten durch die BBU Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, Leopold-Moses-Gasse 4, 1020 Wien, gegen den Bescheid des BFA, Erstaufnahmestelle Ost (EASt-Ost) vom 18.05.2021, Zl. 1278099106-210642690, zu Recht:

A)

I. Die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. bis VI. wird als unbegründet abgewiesen.

II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt VII. wird stattgegeben und das Einreiseverbot ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer, ein ägyptischer Staatsangehöriger, wurde am 15.05.2021 vorläufig festgenommen und stellte einen Antrag auf internationalen Schutz.

Am 16.05.2021 wurde der Beschwerdeführer niederschriftlich vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes befragt. Er gab zusammenfassend zu seinen Fluchtgründen befragt an, es habe Streitigkeiten zwischen einem Obsthändler und seinem Cousin gegeben. Bei den Streitigkeiten sei der Cousin umgebracht worden, woraufhin dessen Sohn aus Rache drei Männer umgebracht habe. Diese würden wiederum aus Rache den Beschwerdeführer umbringen wollen, da sein Vater verstorben sei.

Am 16.05.2021 wurde der Beschwerdeführer niederschriftlich vor der belangten Behörde einvernommen. Dabei gab er im Wesentlichen an, dass die Familie des getöteten Obsthändlers ihn mit dem Tod bedroht habe.

Am 18.05.2021 wurde der Beschwerdeführer ein weiteres Mal einvernommen und gab an, dass er bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat getötet werde.

Mit dem gegenständlich angefochtenen Bescheid vom 18.05.2021 lehnte die belangte Behörde den Antrag auf internationalen Schutz des Beschwerdeführers hinsichtlich des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 Asylgesetz (Spruchpunkt I.) und den Antrag auf internationalen Schutz des Beschwerdeführers hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Ägypten gemäß § 8 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 ab (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß 57 AsylG wurde nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 2 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 Fremdenpolizeigesetz (Spruchpunkt IV.). Zugleich wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung nach Ägypten gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt V.). Gemäß § 53 Abs. 1 bis 3 FPG wurde eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung für die freiwillige Ausreise gewährt (Spruchpunkt VI.) Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1FPG wurde gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von einem Jahr befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VII.).

Gegen den gegenständlichen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht mit Schriftsatz vom 15.06.2021 Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Inhaltlich wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die belangte Behörde Fehler aufgrund inhaltlicher Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung sowie der Verletzung von Verfahrensvorschriften begangen habe. Es wurde überdies die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung angeregt und die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung beantragt.

Beschwerde und Bezug habender Akt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 16.06.2021 vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der volljährige Beschwerdeführer ist ägyptischer Staatsangehöriger. Er gehört der arabischen Volksgruppe an, spricht muttersprachlich arabisch und bekennt sich zum islamischen, sunnitischen Glauben. Seine Identität steht nicht fest.

Der Beschwerdeführer ist gesund und arbeitsfähig. Sein Familienstand ist ledig und kinderlos.

Der Beschwerdeführer wurde in der Stadt Assiut in Ägypten geboren. Er wohnte bis zu seiner Ausreise aus Ägypten in seinem Geburtsort in einem gemeinsamen Haushalt mit seiner Familie. Der Beschwerdeführer besuchte in seinem Herkunftsstaat zwölf Jahre lang die Grundschule und verfügt über Arbeitserfahrung als Erntehelfer und Tischler.

Im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers leben noch seine Mutter und seine zwei volljährigen Schwestern. Die Familie des Beschwerdeführers lebt in einem eigenen Haus. Der Beschwerdeführer verfügt über keine Verwandten in einem Mitgliedsstaat der Europäischen Union, somit auch nicht im Bundesgebiet.

Der Beschwerdeführer fasste den Entschluss zur Ausreise im April 2021 und verließ er in weiterer Folge seinen Herkunftsstaat. Er reiste illegal mit einem Schiff aus und hielt sich daraufhin ca. einen Monat lang in einem ihm unbekannten europäischen Land auf, bevor er mit dem Zug nach Österreich einreiste. Im Bundesgebiet stellte er am 15.05.2021 vor den Organen der Landespolizeidirektion Wien einen Antrag auf internationalen Schutz. Er hält sich seither durchgehend im Bundesgebiet auf. Melderechtlich ist der Beschwerdeführer im Bundesgebiet seit dem 09.06.2021 laufend erfasst.

In Österreich verfügt der Beschwerdeführer über keine familiären Anknüpfungspunkte. Eine private Anbindung des Beschwerdeführers zu Österreich ist ebenfalls nicht gegeben und liegt auch keine integrative Verfestigung in sprachlicher, sozialer oder beruflicher Hinsicht vor.

Der Beschwerdeführer ist strafgerichtlich unbescholten.

1.2. Zum Fluchtmotiv des Beschwerdeführers:

Der BF brachte zusammengefasst im gegenständlichen Verfahren vor, aufgrund einer Privatverfolgung durch eine gegnerische Familie, welche Blutrache an der Familie des Beschwerdeführers und insbesondere an diesem üben wolle, aus Ägypten geflüchtet zu sein. Das Vorbringen des Beschwerdeführers wird dem gegenständlichen Verfahren zugrunde gelegt.

Der Beschwerdeführer unterliegt in seinem Herkunftsstaat keiner Verfolgung aufgrund seiner Rasse, Religion, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, Staatsangehörigkeit oder politischen Gesinnung. Im Fall seiner Rückkehr nach Ägypten besteht auch keine reale Gefahr, dass der BF einer sonstigen existentiellen Bedrohung ausgesetzt ist.

1.3. Zum Herkunftsstaat des Beschwerdeführers:

Politische Lage

Die 2014 in Kraft getretene Verfassung sieht für das Land das Regierungssystem eines demokratischen Rechtsstaats vor. Viele der darin garantierten Grundrechte finden jedoch keine Anwendung, die Verfassung wird zunehmend ausgehöhlt (AA 13.6.2020). Präsident Abdel Fatah Al-Sisi regiert Ägypten seit seiner Machtübernahme auf eine immer autoritärere Weise (FH 4.3.2020; vgl. HRW 13.1.2021). Die Lage in Ägypten unter Staatspräsident Al-Sisi ist durch ein hohes Maß an staatlicher Repression und eine Politik geprägt, die – dominiert durch Militär und Sicherheitsbehörden und vermeintlich im übergeordneten Interesse der Stabilität – für oppositionspolitische Betätigungen und die Entfaltung bürgerlicher Freiheiten kaum noch Raum lässt (AA 13.6.2020; vgl. ÖB 25.11.2020).

Abdel Fatah Al-Sisi ist seit dem 8.6.2014 Präsident Ägyptens. Ende März 2014 gab er seine Kandidatur um das ägyptische Präsidentenamt bekannt. Er musste aus dem Militärdienst ausscheiden, um bei den Wahlen antreten zu können. Der Verfassung zufolge ist eine Kandidatur nur einem Zivilisten erlaubt. Al-Sisi war seit dem 12.8.2012 Minister für Verteidigung und Militärproduktion unter dem Ministerpräsidenten Hesham Kandil in der Regierung von Mohamed Mursi. Am 3.7.2013 war die Absetzung von Mursi durch das Militär erfolgt, mit Unterstützung der Bevölkerung, nachdem dieser versucht hatte, dem Präsidentenamt große Machtbefugnisse zuzuteilen, und das Land zu islamisieren. Bereits zu diesem Zeitpunkt erfolgte die de-facto Machtübernahme Al-Sisis (GIZ 6.2020a; vgl. ÖB 25.11.2020).

Der Präsident wird durch Volksabstimmung für bis zu zwei Amtszeiten gewählt. Bei den Präsidentschaftswahlen 2014 und 2018 gewann Präsident Al-Sisi mit jeweils 97% der Stimmen (FH 4.3.2020). Die Präsidentschaftswahlen im März 2018 waren weder frei noch fair. Eine politische Debatte wurde rigoros unterbunden und eine Opposition nicht zugelassen. Der aussichtsreichste Präsidentschaftskandidat, der ehemalige Stabschef der ägyptischen Streitkräfte Sami Anan, wurde nur wenige Tage nach der Ankündigung seiner Kandidatur verhaftet und blieb bis Dezember 2019 in Haft (AA 13.6.2020). Die anderen Kandidaten wurden durch Druck und unfaire Wettbewerbsbedingungen aus dem Rennen gedrängt (AA 13.6.2020; vgl. FH 4.3.2020). Die Wahl wurde durch eine geringe Wahlbeteiligung, die Nutzung staatlicher Ressourcen und Medien zur Unterstützung der Kandidatur von Al-Sisi, Einschüchterung der Wähler und Stimmenkauf beeinträchtigt. Die Wahlkommission drohte Nichtwählern mit Geldstrafen, um die Wahlbeteiligung zu erhöhen (FH 4.3.2020).

Der Großteil der Abgeordneten des von etwa 25% der ägyptischen Wahlberechtigten gewählten und im Jänner 2016 konstituierten ägyptischen Parlaments ist regierungstreu. Das Parlament führt kaum kritische Debatten und nimmt im Grunde die Rolle einer Legitimierungsinstitution für Regierungshandeln ein. Eine vergleichsweise kleine Gruppe von kritischen oppositionellen Abgeordneten erfährt immer wieder Restriktionen bis hin zu Ausschlüssen (AA 13.6.2020).

Im April 2019 trat nach einem Referendum eine Verfassungsänderung in Kraft, die dem Staatspräsidenten die Möglichkeit bietet, über die gegenwärtig festgelegten zwei Amtsperioden hinaus bis 2030 im Amt zu bleiben. Der Präsident erhielt des Weiteren mehr Macht über den Justizapparat und es kam zu einer Stärkung der Kontrolle des Militärs über das zivile Leben (DP 23.4.2019; vgl. ÖB 25.11.2020).

Sicherheitslage

Die Bedrohung durch Terrorismus ist hoch. Anfällig für Angriffe sind z.B. religiöse Stätten, Touristenattraktionen und Regierungsgebäude (MSZ o.D.; vgl. MEAE/FD 15.1.2021, AA 21.1.2021). Der Ausnahmezustand wurde 2017 zunächst nach der Explosion mehrerer Bomben gegen Kirchen in den Gouvernements Kairo und Alexandria verhängt und in Folge immer wieder verlängert (MAE 16.1.2021; vgl. MSZ o.D., ÖB 25.11.2020, MEAE/FD 15.1.2021, AA 22.1.2021).

Die Lage auf der Sinai-Halbinsel ist sehr angespannt (MAE 16.1.2021; vgl. ÖB 25.11.2020). Der Einsatz der Sicherheitskräfte im Kampf gegen den Terrorismus hat vielfach dazu beigetragen, die Spannungen zwischen Beduinen und den staatlichen Institutionen zu verschärfen (AA 13.6.2020). Beduinenstämme sind für Einschüchterungsversuche und Gewalttaten verantwortlich (MAE 16.1.2021).

Terroristische Organisationen sind vor allem, aber nicht ausschließlich, in den nordöstlichen Teilen des Gouvernements Sinai aktiv (OSAC 30.4.2020; vgl. MAE 16.1.2021). Die meisten Anschläge im Nordsinai richten sich gegen militärische Einrichtungen und Personal (OSAC 30.4.2020; vgl. ÖB 25.11.2020). Sowohl Terroranschläge als auch Militäroperationen führen immer wieder zu zivilen Opfern (FH 4.3.2020; vgl. OSAC 30.4.2020, ACLED 14.5.2020).

Im Jahr 2018 führte die „Operation Sinai 2018“ zu einer deutlichen Intensivierung der militärischen Aktivitäten im Nordsinai (OSAC 30.4.2020; vgl. MAE 16.1.2021, MEAE/FD 15.1.2021, ÖB 25.11.2020). Die Kämpfe zwischen Sicherheitskräften und Anhängern des Islamischen Staates (IS) in der Region Nordsinai dauern weiterhin an (FH 4.3.2020; vgl. OSAC 30.4.2020, MEAE/FD 15.1.2021, AI 18.2.2020, ÖB 25.11.2020), wenn auch deren Häufigkeit reduziert wurde (AI 18.2.2020; vgl. ÖB 25.11.2020). Im Sog der Gesundheitskrise und öffentlichen Unordnung im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie konnte der Islamische Staat seine Aktivitäten auf der Halbinsel Sinai jedoch wieder verstärken (ACLED 14.5.2020, 9.4.2020).

Das Wüstengebiet von der libyschen Grenze im Westen bis zur sudanesischen Grenze im Süden ist ein Risikogebiet, in dem die Streitkräfte regelmäßig Operationen gegen Schlepper durchführen (MEAE/FD 15.1.2021; vgl. ÖB 25.11.2020) und Terroristen Anschläge verüben (OSAC 30.4.2020). Die Infiltration von terroristischen Elementen aus Libyen kann nicht ausgeschlossen werden (MEAE/FD 15.1.2021).

Es kommt gelegentlich zu Attentaten in den Großstädten (ÖB 25.11.2020).

In Ägypten sind folgende terroristische Organisationen aktiv. Der Islamischer Staat - Wilayat Sinai (auch: Ansar Bayt al-Maqdis - ABM) ist die aktivste Terrorgruppe in Ägypten (OSAC 30.4.2020; vgl. ÖB 25.11.2020). Darüber hinaus gibt es den Islamischen Staat in Ägypten, Harakat Sawa'd Misr (HASM), Liwa al-Thawra, mit al-Qaida verbundene Gruppen, Harket Elmokawma Elsha'biya alias "Volkswiderstand" und andere verschiedene kleinere Terrorgruppen (OSAC 30.4.2020). Seit Mitte 2016 sind die neuen Terrorgruppen HASM und „Liwaa al-Thawra“ mit islamistisch-nationalistischer Ausrichtung im ägyptischen Kernland für mehrere schwere Anschläge, v.a. gegen Sicherheitskräfte u. Justiz, verantwortlich. Anschläge haben seit 2019 etwas abgenommen aber nicht aufgehört (ÖB 25.11.2020).

Das Antiterrorismusgesetz von 2015 sieht für Journalisten empfindliche Geldstrafen für das Abweichen von der offiziellen Linie der Berichterstattung, etwa über Terroranschläge, vor (AA 13.6.2020; vgl. RSF 2020) und gelegentlich wird die Berichterstattung vollständig untersagt (ACLED 14.5.2020).

Rechtsschutz / Justizwesen

Die Verfassung sieht die Unabhängigkeit und Immunität der Richter vor. Einzelnen Gerichten fehlt es manchmal an Unparteilichkeit und diese gelangen zu politisch motivierten Ergebnissen. Die Regierung respektiert in der Regel Gerichtsbeschlüsse (USDOS 11.3.2020). Die Unabhängigkeit der Justiz ist vor allem im Bereich der äußerst weit verstandenen Terrorismusbekämpfung erheblich beeinträchtigt. Willkürliche Verhaftungen, Fälle von erzwungenem Verschwindenlassen von Personen durch die Staatssicherheit und politisch motivierte Gerichtsverfahren sind an der Tagesordnung. Folter und Misshandlungen in Haft sind verbreitet. Die Sicherheitsdienste genießen de facto Straffreiheit. Sie agieren zunehmend außerhalb jedweder rechtlicher Vorgaben und entziehen sich der Kontrolle durch Justiz und Politik (AA 13.6.2020; vgl. ÖB 25.11.2020). Im April 2019 führten Verfassungsänderungen zur Ausweitung der Befugnisse von Militärgerichten bei der Verfolgung von Zivilisten. Sie unterminierten die Unabhängigkeit der Justiz durch die Ausstattung des Präsidenten mit der Befugnis, Vorsitzende von Körperschaften der Justiz zu ernennen (AI 18.2.2020).

Die ägyptische ist in Zivil- und Strafgerichte einerseits und Verwaltungsgerichte andererseits unterteilt. Jeweils höchste Instanz ist das Kassationsgericht bzw. das Hohe Verwaltungsgericht. Darüber hinaus existieren Sonder- und Militärgerichte. Seit 1969 ist das Oberste Verfassungsgericht das höchste Gericht. Obwohl die Gerichte in Ägypten - mit gewissen Einschränkungen - als relativ unabhängig gelten und sich Richter immer wieder offen gegen den Präsidenten stellten, gab es immer wieder Vorwürfe gegen Richter, Prozesse im Sinn des Regimes zu manipulieren. Solche Vorwürfe werden auch heute noch in Bezug auf die Prozessführung gegen die angeklagten Spitzen des alten Regimes sowie hohe Offiziere der Sicherheitskräfte erhoben. Das Mubarak-Regime bediente sich immer wieder der durch den Ausnahmezustand legitimierten Militärgerichte, um politische Urteile durchzusetzen. Auch nach der Revolution wurden zahlreiche Zivilisten vor Militärgerichten angeklagt (GIZ 6.2020a).

In Ägypten existieren Straftatbestände, die als solche oder in ihrer konkreten Anwendung, eine Diskriminierung aufgrund bestimmter Merkmale darstellen. So wird der Blasphemieparagraph überproportional gegen Christen und Atheisten angewendet. Der Unzuchtparagraph wird nahezu ausschließlich auf homosexuelle Männer angewendet. Harte Strafen gegen Angehörige der Muslimbruderschaft und oppositionspolitische Aktivisten sind häufig Ausdruck einer politisierten Justiz, die nicht nach rechtsstaatlichen Grundsätzen verfährt. Anlässlich ägyptischer Feiertage und Großereignisse werden immer wieder Gefangene amnestiert bzw. im formellen Sinne begnadigt. Allerdings profitieren hiervon in der Regel keine politischen Gefangenen, sondern ausschließlich „normale“ Strafgefangene. Allgemeine Voraussetzungen sind in der Regel die Verbüßung von mindestens der Hälfte der Haftzeit und gute Führung in Haft. Das Parlament hat im März 2020 Gesetzesänderungen verabschiedet, die eine vorzeitige Haftentlassung von Personen ausschließen, die aufgrund der Straftatbestände Terrorismus, Geldwäsche, Drogenhandel und illegales Demonstrieren verurteilt sind (AA 13.6.2020).

Gesetzlich ist das Recht auf ein faires Verfahren vorgesehen, aber die Justiz kann dieses Recht oft nicht gewährleisten. Das Gesetz geht von einer Unschuld der Angeklagten aus und die Behörden informieren sie in der Regel unverzüglich und im Detail über die Anklagen gegen sie. Die Angeklagten haben das Recht, bei den Verfahren anwesend zu sein. Die Teilnahme ist verpflichtend für Personen, die eines Verbrechens angeklagt werden, und fakultativ für diejenigen, die wegen Vergehen angeklagt sind. Zivilverhandlungen sind in der Regel öffentlich. Die Angeklagten haben das Recht, einen Anwalt zu konsultieren, und die Regierung ist zuständig für den Rechtsbeistand, wenn der Angeklagte sich keinen Rechtsanwalt leisten kann. Angeklagte haben das Recht auf Berufung. Verhandlungen vor dem Militärgericht sind nicht öffentlich (USDOS 11.3.2020). Die weitgehende Nutzung von außerordentlichen Gerichten, darunter Terrorismusgerichte [orig. terrorism circuits], Militärgerichte und Staatssicherheitsgerichte, führt zu unfairen Verfahren. Es kommt bei Verfahren der Terrorismusgerichte zu Vorwürfen von zwangsweisem Verschwindenlassen und Folter (AI 18.2.2020).

Auch lang andauernde Haft ohne Anklage aufgrund Veranlassung der Sicherheitsbehörden ist verbreitet, die Zahl solcher Haftfälle steigt. Urteile in politisch motivierten Verfahren basieren in der Regel nicht auf rechtsstaatlichen Grundsätzen (AA 13.6.2020).

Besonders in Oberägypten kommt es immer wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen, deren Ursache häufig in Streitigkeiten auf lokaler Ebene liegen. Traditionelle Vorstellungen von (Blut-)Rache und (kollektiver) Vergeltung sind in den ländlichen Gebieten Oberägyptens nach wie vor vorherrschend. Traditionelle Streitschlichtungsmechanismen spielen auch aufgrund der Abwesenheit funktionierender staatlicher Institutionen eine große Rolle. Dabei kommt es regelmäßig zu strukturellen Benachteiligungen der Christen (AA 13.6.2020).

Allgemeine Menschenrechtslage

Die Menschenrechtslage in Ägypten hat sich – bei bereits Besorgnis erregendem Niveau – [im Zeitraum 2019/2020] in fast allen Bereichen weiter verschlechtert (AA 13.6.2020).

Die nach 2011 angestoßene politische Konsolidierung hin zu einem auf einem Rechtsstaat basierenden demokratischen System ist zum Stillstand gekommen. Freiheitsrechte werden systematisch abgebaut. Die 2014 in Kraft getretene Verfassung sieht für das Land das Regierungssystem eines demokratischen Rechtsstaats vor. Viele der darin garantierten Grundrechte finden jedoch keine Anwendung, die Verfassung wird zunehmend ausgehöhlt. Die Präsidentschaftswahlen im März 2018 waren weder frei noch fair. Eine politische Debatte wurde rigoros unterbunden und eine Opposition nicht zugelassen. Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit sowie Meinungs- und Pressefreiheit sind erheblich eingeschränkt (AA 13.6.2020; vgl. AI 18.2.2020).

Ägypten hat einige internationale Menschenrechtsübereinkommen ratifiziert, so etwa den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte, den Pakt über wirtschaftliche und soziale Rechte, die Konvention zur Beseitigung aller Formen der Diskriminierung von Frauen, die UN-Folterkonvention und die UN-Behindertenrechtskonvention, wie auch das Übereinkommen über die Rechte des Kindes. Erhebliche Vorbehalte zu diesen Instrumenten betreffen unter anderem Bestimmungen betreffend die Gleichstellung von Mann und Frau vor dem Hintergrund islamischen Rechts (Scharia-Vorbehalt) (AA 13.6.2020).

Obwohl Ägypten alle wichtigen internationalen Menschenrechtskonventionen unterzeichnete und Personen- und Freiheitsrechte in der Verfassung geschützt sind, wurde und wird das Land regelmäßig wegen Menschenrechtsverletzungen stark kritisiert. Internationale Menschenrechtsorganisationen sowie viele der über 30 ägyptischen Menschenrechtsorganisationen veröffentlichen regelmäßig englisch- und arabischsprachige Berichte zur Menschenrechtslage in Ägypten, darunter die Egyptian Organization for Human Rights EOHR, das Nadim Zentrum für Gewaltopfer, die Egyptian Initiative for Personal Rights EIPR und das Budgetary and Human Rights Observatory (GIZ 6.2020a).

Die bedeutendsten Menschenrechtsprobleme waren der übermäßige Einsatz von Gewalt durch Sicherheitskräfte, Defizite in ordentlichen Gerichtsverfahren und die Unterdrückung der bürgerlichen Freiheiten. Übermäßiger Einsatz von Gewalt umfasste rechtswidrige Tötungen und Folter. Zu den prozessbedingten Problemen gehörten die übermäßige Verwendung von präventiver Haft und Untersuchungshaft. Das Problemfeld bei den bürgerlichen Freiheiten beinhaltet gesellschaftliche und staatliche Beschränkungen der Meinungs- und Medienfreiheit, sowie der Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit. Andere Menschenrechtsprobleme beinhalteten das Verschwindenlassen, harte Gefängnisbedingungen, willkürliche Verhaftungen, eine Justiz, die in einigen Fällen zu Ergebnissen kam, die nicht durch öffentlich zugängliche Beweise gestützt wurden oder die politische Motivationen zu reflektieren schienen, Straflosigkeit für Sicherheitskräfte, Begrenzung der Religionsfreiheit, Korruption, Gewalt, Belästigung und gesellschaftliche Diskriminierung von Frauen und Mädchen, einschließlich weiblicher Genitalverstümmelung, Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen, Menschenhandel, gesellschaftliche Diskriminierung religiöser Minderheiten, Diskriminierung und Verhaftungen auf der Grundlage sexueller Orientierung (USDOS 11.3.2020; vgl. AI 18.2.2020).

Rückkehr

Formale staatliche Institutionen für die Aufnahme von Rückkehrern sind hier nicht bekannt. Zur Situation von Rückkehrern liegen keine Erkenntnisse vor. Staatliche Maßnahmen als Reaktion auf Asylanträge im Ausland sind nicht bekannt (AA 13.6.2020).

Von repressiven Maßnahmen gegen zurückgekehrte Aktivisten und ihre Familienangehörigen ist, angesichts der allgemeinen Repression gegen Angehörige der Organisation im Land, bei Führungskadern auszugehen. Prominente regimekritische Aktivisten müssen mit Ausreisesperren, Inhaftierung und Strafverfolgung rechnen. Der ägyptische Staat stellt Nachforschungen zu exilpolitischen Aktivitäten im Ausland und daran beteiligten Personen an. Vermutete politische Aktivitäten im Ausland können selbst bei nur kurzen Aufenthalten (z.B. zur Teilnahme an Seminaren) zu längeren Befragungen, und nach Rückkehr u.U. zu Festsetzungen durch die Sicherheitsbehörden führen (AA 13.6.2020).

Alle ein- oder ausreisende Personen (Ägypter und Ausländer gleichermaßen) werden mit dem nationalen Fahndungsbestand abgeglichen. Ägyptische Staatsangehörige können bei freiwilliger Rückkehr nicht ohne Vorlage einer ägyptischen ID oder eines von einer ägyptischen Auslandsvertretung ausgestellten Reisedokumentes (Laissez-Passer) wieder nach Ägypten einreisen (AA 13.6.2020).

IOM betreibt seit 1991 ein Regionalbüro in Kairo und führt eine Vielzahl von Unterstützungsprojekten für Migranten und Rückkehrer durch (AA 13.6.2020). Unter Anderem gibt es finanzielle Unterstützungsleistungen für Rückkehrer beispielsweise bei Firmengründungen. Die Hilfe für unbegleitete Migrantenkinder (UMCs), die alleine das Mittelmeer auf der Suche nach einem neuen Leben in Europa überquerten, wird ausgeweitet. Es werden erhebliche Anstrengungen unternommen, um sicherzustellen, dass das Wohl des Kindes bei Rückkehr und Reintegration im Mittelpunkt steht (IOM o.D.).

Für die Einreise ist ein negativer PCR-Test erforderlich, der nachweislich nicht älter als 72 Stunden sein darf, bei Einreise über die Flughäfen von London Heathrow, Paris oder Frankfurt nicht älter als 96 Stunden. Das Testergebnis muss in englischer oder arabischer Sprache vorgelegt werden. Ansonsten droht eine Verweigerung der Einreise (AA 30.11.2020; vgl. USEMB 18.1.2021). Seit 17.1.2021 müssen alle Einreisenden eine 14-tägige Quarantäne antreten (USEMB 18.1.2021).

Vorkommen von Blutrache, insbesondere in urbanen Gebieten

Mehrere Quellen berichten, dass das Phänomen der Blutrache insbesondere in Oberägypten vorkomme (Masr fi Youm, 9. Februar 2019; Al-Shorouk, 27. Juli 2019; Al-Watan, 10. Dezember 2018; Xinhua, 29. Juli 2018). Dabei handle es sich um eine traditionelle, vorislamische Praxis (Masr fi Youm, 9. Februar 2019; Al-Shorouk, 27. Juli 2019). Laut einer Quelle aus Sicherheitskreisen der Provinz Sohag komme es in den oberägyptischen Provinzen Sohag, Assiut, Qena, Al-Minya und Bani Suwaif zu Vorfällen in Zusammenhang mit Blutfehden. (Masr fi Youm, 9. Februar 2019). Das Nachrichtenportal Ahl Masr nennt die Provinzen Assiut, Sohag und Qena, erklärt aber auch, dass es in der letzten Zeit vermehrt zu solchen Fällen in der Provinz Al-Fayyoum gekommen sei, wo es jeden Monat Todesopfer im Zusammenhang mit Blutfehden gebe (Ahl Masr, 22. Oktober 2020). Laut einem im Gesellschafts- und Kulturmagazin Ida’at im Juni 2018 veröffentlichten Artikel sei Oberägypten kulturell isoliert und marginalisiert und befinde sich weitab der urbanen Zentren, dies sei auch ein wichtiger Faktor bei der Blutfehde. Sie weite sich dort aus, wo der Zentralstaat sich zurückziehe, nur schwachen Zugriff habe und wo man fernab staatlicher Kontrolle sei. (Ida’at, 21. Juni 2018)

Folgende Vorfälle von Blutfehden konnten in der Nähe der Stadt Al-Fayyoum beziehungsweise in der Stadt selbst gefunden werden:

Das ägyptische Nachrichtenportal Al-Arabiya News berichtet im Juni 2016, dass ein Universitätsprofessor im Rahmen einer Blutfehde getötet worden sei, die zwischen zwei Familien im Ort Manaschi Al-Khatib (etwa 15 Kilometer von der Stadt Al-Fayyoum entfernt, Anm. ACCORD) bestehe. Der Sohn des Opfers habe zwei Mitglieder der anderen Familie des Mordes beschuldigt, die beide daraufhin aus dem Dort geflüchtet seien. (Al-Arabiya News, 4. Juni 2016)

Die ägyptische Tageszeitung Al-Masry Al-Youm meldet im Mai 2017, dass im Ort Hawara (etwa 10 Kilometer von der Stadt Al-Fayyoum entfernt, Anm. ACCORD) bei Zusammenstößen zweier Familien im Rahmen einer Blutfehde fünf Personen getötet und elf weitere verletzt worden seien. (Al-Masry Al-Youm, 28. Mai 2017)

Das Nachrichtenportal Elnabaa berichtet im Oktober 2019, dass in der Gegend Al-Mabyada in der Stadt Al-Fayyoum mehrere Mitglieder einer Familie eine Frau ermordet hätten, deren Ehemann sie wiederum für den Mord an ihren Brüdern verantwortlich gemacht hätten. Das Opfer sei ein Cousin der Täter gewesen. Die Täter seien zum Haus des Opfers gekommen, um Rache zu nehmen, hätten dort jedoch nur dessen Ehefrau vorgefunden und diese mit Hieb-und Stichwaffen angegriffen. (Elnabaa, 28. Oktober 2019)

Folgende Vorfälle von Blutfehden konnten in der Nähe der Stadt Kairo beziehungsweise in der Stadt selbst gefunden werden:

Das ägyptische Nachrichtenportal Al-Bawaba berichtet im Mai 2019, dass ein junger Mann bei Al-Satamouni im Distrikt Bilqas, Provinz Daqahliya (im nördlichen Nildelta, Anm. ACCORD) von Unbekannten vor seinem Haus erschossen worden sei. Die Angreifer seien geflüchtet. Es werde vermutet, dass die Tat auf eine Blutfehde zurückzuführen sei, die zwischen der Familie des Opfers und einer weiteren Familie bestehe. Das Opfer komme aus Badraschin in der Provinz Giza (etwa 20 Kilometer südlich von Kairo gelegen, Anm. ACCORD) und sei vor fünf Monaten mit seiner Familie nach Al-Satamouni gezogen. (Al-Bawaba, 23. Mai 2019) Der Vorfall wird auch auf Mansoura Today gemeldet (Mansoura Today, 23. Mai 2019).

Das Nachrichtenportal Al-Wikala News schreibt im Juli 2019, dass die Polizei des Stadtteils „5. Siedlung“ in Kairo ein Blutfehdeverbrechen vereitelt habe. Bei dem Verdächtigen handle es sich um einen Bauern, der aus Maghagha in der Provinz Minya stamme und den Mord seines Neffen habe rächen wollen. Dieser habe in einem Geflügelschlachthaus in Kairo gearbeitet und sei mutmaßlich von einem Kollegen umgebracht worden. (Al-Wikala News, 31. Juli 2019)

Al-Watan berichtet im August 2019, dass Sicherheitskräfte der Provinz Giza die Identitäten derjenigen, die für die Ermordung eines jungen Mannes in seinem Auto in der Nähe der Universität Kairo verantwortlich seien, festgestellt hätten. Ermittlungen hätten ergeben, dass die mutmaßlichen Mörder aus der Provinz Qena kommen würden und dem Opfer in der Nähe der Universität Kairo aufgelauert hätten. Sie hätten das Opfer mit zwei Kopfschüssen getötet und seien geflohen. Dies sei das sechste Todesopfer im Rahmen einer Blutfehde zweier Familien in Qena, die bereits drei Jahre andauere. (Al-Watan, 1. August 2019)

Das ägyptische Nachrichtenportal Youm 7 schreibt im Jänner 2020, dass die Ermittlungsbehörden die Umstände des Todes eines Schmiedes in der Gegend Al-Salam in Kairo öffentlich gemacht hätten. Der Schmied sei auf der Straße von einer Person, die in Saqultah in der Provinz Sohag wohnhaft sei, im Rahmen einer Blutfehde erschossen worden. Der Hauptverdächtige sei festgenommen worden, nach zwei Mittätern werde gefahndet. (Youm 7, 16. Jänner 2020)

Staatlicher Schutz (Eingreifen der Behörden; Situation, wenn Verfolger Verbindungen zu Behörden hat; Möglichkeit, sich an eine höhere Instanz zu wenden)

Die offizielle chinesische staatliche Nachrichtenagentur Xinhua beschäftigt sich in einem Artikel vom Juli 2018 mit dem Phänomen der Blutrache in Oberägypten. Mohamed Owais aus der Provinz Qena, der seinen Bruder und seinen Neffen in einer mehrere Jahre andauernden Blutfehde verloren habe, habe schließlich eine Aussöhnung akzeptiert, die von den Sicherheitsbehörden und Aussöhnungskomitees ausverhandelt worden sei. In den vergangenen Jahren hätten es die Behörden zusammen mit den Aussöhnungskomitees geschafft, dutzende Aussöhnungen zu erreichen und das Blutvergießen zwischen großen Familien zu beenden. Laut Angaben des stellvertretenden Sicherheitschefs der Provinz Qena hätten die Sicherheitsbehörden in Qena in Kooperation mit den Aussöhnungskomitees in den vergangenen vier Jahren 100 Aussöhnungen erreicht. Zudem seien in den letzten zwei Jahren in der Provinz mehr als 3.000 nicht lizensierte Waffen mit mehr als 20.000 Patronen sichergestellt worden.

Al-Monitor, eine auf Berichterstattung zum Nahen Osten spezialisierte Medienplattform, geht in einem Artikel vom August 2019 auf Schlichtungsmechanismen im Falle von Blutfehden ein. In Oberägypten gebe es das Sprichwort „Blutrache ist besser als Schande“, was heiße, dass eine Familie, die eine Blutfehde nicht fortführe, ihre Ehre verliere. Daher sei es nicht leicht, Familien davon zu überzeugen, eine Blutfehde zu beenden. Selbst wenn ein Mörder für sein Vergehen gerichtlich bestraft werde, sinne die Familie des Opfers trotzdem auf Rache und töte ein Mitglied der Familie des Mörders. Obwohl über Blutfehden oft in der lokalen und internationalen Presse berichtet werde, gebe es kaum offiziell erhobene Daten. Eine existierende Methode, Blutfehden zu beenden, seien Komitees, die sich aus örtlichen Politikern und Ältesten zusammensetzen würden. Diese Komitees würden auch traditionelle Aussöhnungsgerichte genannt und würden in ägyptischen Dörfern und Kleinstädten eingesetzt. Sie würden sich für die Beilegung der Blutfehde einsetzen, meist durch eine Zahlung von „Blutgeld“ an die Familie des Opfers. Oft würden auch Gelehrte des Al-Azhar-Universität (wichtigste Institution islamischer Gelehrsamkeit in Ägypten, Anm. ACCORD) diesen Sitzungen beiwohnen. Saad Al-Gamal sei ein Mitglied des ägyptischen Parlaments und Mitglied eines solchen lokalen Komitees in der Provinz Giza. Er habe bereits mehrere Familien davon überzeugt, eine Blutfehde beizulegen. Laut seinen Angaben habe jede Polizeistation Aufzeichnungen zu Blutfehden. Man wisse, welche Blutfehden noch bestünden und welche beigelegt worden seien. Der Sicherheitsapparat ergreife vorbeugende Maßnahmen, um Blutrachestraftaten zu vermeiden, während die lokalen Komitees den Familien erklären würden, dass sie sich bemühen sollten, das Blutvergießen zu beenden und gesellschaftlichen Frieden zu erreichen. Scheich Ahmed Karima, ein Professor für vergleichende Rechtswissenschaft an der Al-Azhar-Universität und Mitglied eines Aussöhnungsgerichts in Oberägypten, habe erklärt, wie solche Gerichte im Süden der Provinz Giza arbeiten würden. Nachdem man Beschwerden über eine Blutfehde zwischen zwei Familien erhalten habe, hole man Informationen zu dem Fall ein und schicke Mediatoren zu beiden Seiten des Konflikts, um ein religiöses Bewusstsein zu schaffen. Dann werde eine Sitzung im Beisein der Ältesten beider Familien sowie Sicherheitspersonal abgehalten, um weiteres Blutvergießen zu verhindern. In den meisten Fällen werde laut Karima eine Blutfehde dadurch beendet, dass die Familie des Mörders der Familie des Opfers einen Geldbetrag zahle. Wenn zwei Familien beschließen würden, ihre Blutfehde zu beenden, werde ein Ritual namens „Quda“ durchgeführt. Ein Mitglied der Familie des Mörders trage ein weißes Leichentuch und präsentiere es feierlich der gegnerischen Seite. Dann würden beide Seiten ihr Beileid bekunden und die Blutfehde sei offiziell beigelegt. Das Quda-Ritual werde oft in Beisein und mit Zustimmung des Aussöhnungsgerichtes durchgeführt. Manchmal, so Karima, ordne so ein traditionelles Gericht die Verbannung der Familie des Mörders aus der Gegend an, in der die Familie des Opfers lebe, um Vergeltungstaten zu vermeiden. Dies geschehe vor allem in Fällen von Blutfehden zwischen muslimischen und christlichen Familien. Man versuche dadurch zu verhindern, dass die Fehde eine konfessionelle Dimension annehme.

Der ägyptische TV-Sender Sada Al-Balad berichtet in einem Artikel auf seiner Webseite vom Februar 2020 von einer Aussöhnungsfeier zwischen zwei Familien zur Beilegung einer Blutfehde in einem Dorf nahe des Ortes Itsa in der Provinz Al-Fayyoum, an der auch der stellvertretende Provinzgouverneur sowie mehrere Parlamentarier und religiöse Persönlichkeiten teilgenommen hätten. Die Versöhnung sei von einem Komitee bestehend aus Sicherheitskräften und Dorfältesten erreicht worden. (Sada Al-Balad, 22. Februar 2020)

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zum Sachverhalt

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde unter zentraler Berücksichtigung der Erstbefragung des Beschwerdeführers vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes vom 16.05.2021 und der niederschriftlichen Angaben vor der belangten Behörde vom 16.05.2021 und vom 18.05.2021, in den bekämpften Bescheid und der Angaben im Beschwerdeschriftsatz. Ergänzend wurden Auszüge des Zentralen Melderegisters (ZMR), des Informationsverbundsystems Zentrales Fremdenregister (IZR), des Betreuungsinformationssystems über die Grundversorgung (GVS) und des Strafregisters eingeholt.

2.2. Zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers, im Besonderen seiner Volljährigkeit, seiner Staatsangehörigkeit und seiner Volksgruppen-, Sprach- und Glaubenszugehörigkeit ergeben sich aus seinen diesbezüglich glaubhaften Angaben vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes und der belangten Behörde. Mangels Vorlage eines identitätsbezeugenden Dokumentes konnte seine Identität nicht abschließend geklärt werden.

Glaubhaft und im gesamten Administrativverfahren gleichbleibend lauten die Angaben des Beschwerdeführers zu seinem Gesundheitszustand. So bestätigte er sowohl in der Erstbefragung als auch der weiteren niederschriftlichen Einvernahme durch die belangte Behörde, dass er körperlich und geistig in der Lage sei den jeweiligen Einvernahmen zu folgen. Das Vorliegen einer schweren Erkrankung und die Einnahme von Medikamenten brachte der Beschwerdeführer nicht vor.

Aus der Zusammenschau seines Alters und seines Gesundheitszustandes resultiert die Feststellung seiner Arbeitsfähigkeit. Ebenfalls glaubhaft erachtet das erkennende Gericht die Angaben des Beschwerdeführers im Zuge seiner Erstbefragung zu seinem Familienstand. Diese Angaben verblieben auch in der Einvernahme vor der belangten Behörde unverändert.

Die Feststellungen zu seinen Lebens-, Berufs- und Wohnumständen in seinem Herkunftsstaat und seiner Schulbildung basieren auf seinen diesbezüglich glaubhaften Angaben bei seiner Erstbefragung und vor der belangten Behörde. Aufgrund der diesbezüglich gleichbleibenden Angaben ist davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer noch familiäre Anknüpfungspunkte in Ägypten zumindest durch seine Mutter und seine Schwestern hat, von denen er angegeben hat, dass diese weiterhin dort leben.

Ebenso fußt die Feststellung des Umstandes, dass der Beschwerdeführer über keine Verwandten in einem Mitgliedsstaat der Europäischen Union verfügt auf seinen glaubhaften Ausführungen.

Auf den glaubhaften und gleichbleibenden Ausführungen des Beschwerdeführers im Erstbefragungs- und Einvernahmeprotokoll vom 16.05.2021 gründen die Feststellungen zum Entschluss seiner Ausreise im April 2021 sowie zu seiner Reiseroute.

Bei seinen Ausführungen vor der belangten Behörde vom 16.05.2021 verneinte der Beschwerdeführer die Fragen nach in Österreich aufhältigen Familienangehörigen und ob er sich in Österreich in einer aufrechten Familiengemeinschaft oder einer familienähnlichen Lebensgemeinschaft befinde. Ebenso ergaben sich aus dem Verwaltungsakt auch keine Anhaltspunkte für Deutschkenntnisse. Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer in Österreich über keinerlei private Anbindungen verfügt und auch keine integrative Verfestigung in sprachlicher, beruflicher oder sozialer Hinsicht vorliegt, ergibt sich zunächst aus seinem äußerst kurzen Aufenthalt im Bundesgebiet von lediglich rund zwei Monaten und aus seinen Angaben vor der belangten Behörde. Durch Einsichtnahme in das Strafregister ist die strafgerichtliche Unbescholtenheit des Beschwerdeführers belegt.

2.3. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Der BF bringt zusammengefasst vor, in Ägypten aufgrund einer Familienfehde von einer gegnerischen Familie verfolgt zu werden.

Die belangte Behörde stellte im bekämpften Bescheid fest, dass eine konkrete, gegen die Person des Beschwerdeführers gerichtete Verfolgung „durch staatliche Stellen, heimatliche Behörden, Militär oder private Dritte“ nicht behauptet bzw. nicht glaubhaft gemacht wurde.

Beweiswürdigend führte die belangte Behörde zusammengefasst aus, dass sich aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers keine Anhaltspunkte ergäben, dass es konkret gegen den Beschwerdeführer gerichtete Verfolgung gegeben hätte oder dieser eine solche zu erwarten habe. Der Beschwerdeführer habe mit dem Vorfall nichts zu tun gehabt. Eine konkrete Bedrohung habe nicht festgestellt werden können.

Zunächst ist festzuhalten, dass selbst bei hypothetischer Wahrunterstellung des Vorbringens des Beschwerdeführers es sich um eine Verfolgung durch Privatpersonen handelt. Dem Beschwerdeführer wäre zuzumuten, dieser durch Inanspruchnahme von Schutz seitens der staatlichen Behörden oder durch Umzug in einen anderen Landesteil zu begegnen. Es steht dem BF frei, sich an einem anderen Ort in Ägypten, beispielsweise in Kairo niederzulassen. Kairo liegt ca 400 km und nicht ganz fünf Autostunden von seinem bisherigen Wohnort Assiut entfernt und ist eine Millionenstadt, wo der BF für seine Verfolger schwer zu finden sein dürfte. Gründe, warum dies nicht möglich sein sollte, sind dem Vorbringen des Beschwerdeführers nicht zu entnehmen. Dieser behauptete lediglich unsubstantiiert, sein Vater habe ihm gesagt, er dürfe nicht in ein arabisches Land gehen, da ihn die Familie in arabischen Ländern finden könne.

Eine weitergehende Auseinandersetzung mit der Frage der Glaubwürdigkeit des Vorbringens kann daher unterbleiben. Das Vorbringen des BF ist - wie in der rechtlichen Beurteilung aufgezeigt - von vornherein nicht geeignet, einen Rechtsanspruch auf Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten zu begründen.

Der Vollständigkeit halber wird dennoch darauf hingewiesen, dass sich dazu Widerspruche und Ungereimtheiten bezüglich des Fluchtvorbringens des Beschwerdeführers zeigen und dieses zudem vage, oberflächlich und detailarm geblieben ist, worauf die belangte Behörde den Beschwerdeführer auch in der mündlichen Einvernahme ausdrücklich hingewiesen hat.

Der Beschwerdeführer brachte im Wesentlichen (in unzusammenhängender Weise) vor, dass er durch die auf Rache sinnende Familie des durch den Sohn seines Cousins getöteten Obsthändlers, welcher zuvor seinen Cousin getötet hätte, bedroht werde. Diese Familie sei auf Rache aus und wolle den Beschwerdeführer umbringen. Dieser sei am Telefon von einem Mitglied der Familie mit dem Tot bedroht worden.

Bereits in der Erstbefragung tätigte der Beschwerdeführer in sich widersprüchliche Angaben („Der Sohn meines Cousins brachte aus Rache drei Männer um und diese (!) wollen wiederum aus Rache mich umbringen, da mein Vater verstorben ist“) und fehlten im Verlauf des gesamten Administrativverfahrens hinreichend substantiierte Aussagen.

Eine auffallende Widersprüchlichkeit zeigt sich in der Niederschrift der Einvernahme am 16.05.2021, in der der Beschwerdeführer einmal angibt, dass der Cousin nach einem Schuss in den Rücken auf der Stelle tot war, wohingegen er kurz darauf ausführt, dass der Cousin erst sieben Stunden später in einem Krankenhaus gestorben sei. Auch spricht er zuerst nur von einem Schuss in den Rücken und gibt auf Vorhalt dieses Widerspruches schließlich an, dass es mehrere Schüsse gewesen seien.

Nicht nachvollziehbar und mit einem tatsächlichen Geschehensablauf in Einklang zu bringen ist zudem, wenn der BF in der Erstbefragung ausführt, er solle umgebracht werden, „da sein Vater verstorben sei“, in der Einvernahme vor der belangten Behörde jedoch ausführt, dass sein Vater dem Beschwerdeführer erst nach den Drohungen gegen ihn zur Flucht verholfen habe und somit die Bedrohung des Beschwerdeführers bereits zu Lebzeiten des Vaters stattgefunden hätte.

Der Beschwerdeführer gibt zudem an, dass er telefonisch vom Vorfall hinsichtlich seines Cousins erfahren hätte. Die Person, die ihn aber kontaktiert habe, konnte er nicht nennen, sondern sagte nur, dass er von „jedem“ kontaktiert worden sei.

Es ist im Einklang mit den angeführten Länderinformationen bzw. der in der Beschwerde zitierten Anfragebeantwortung zu Blutfehden auch nicht erkennbar, dass die Sicherheitsbehörden im Fall von Mord bzw. Blutrache nicht schutzfähig oder schutzwillig sind.

Aus der im Beschwerdeschriftsatz angeführten Anfragebeantwortung der Staatendokumentation ergibt sich, dass es in Ägypten Streitschlichtungsmechanismen, Komitees, Mediatoren und ausführliche Dokumentation durch die Polizei zu den Blutfehden in den jeweiligen Regionen gebe, was darlegt, dass es politisches Interesse an der Schlichtung solcher Blutfehden in Ägypten gibt. Auch bestätigt die Anfragebeantwortung, dass jede Polizeistation Aufzeichnungen zu den Blutfehden führe, sodass man dort wisse, welche Blutfehden noch bestünden und welche beigelegt worden seien. Der Beschwerdeführer bring t dazu lediglich vor, er habe sich nicht an die Polizei gewandt, da sich diese nicht einmische. Auch den in der Beschwerde zitierten Anfragebeantwortung ist jedoch nicht zu entnehmen, dass die Polizei keine Ermittlungen im Zusammenhang mit Mord und insbesondere Blutfehden durchführt.

Es ist der belangten Behörde somit insgesamt zuzustimmen, wenn sie feststellt, dass sich aus dem Vorbringen keinerlei Anhaltspunkte dafür ergeben, dass es eine konkrete, asylrelevante Verfolgung gegeben habe.

2.4. Zur Rückkehrsituation des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist gesund, jung und erwerbsfähig. Er sicherte sich bislang seinen Lebensunterhalt durch seine Tätigkeit als Tischler und Erntehelfer und lebte bis zu seiner Ausreise in einem gemeinsamen Haushalt mit seiner Familie in einem familieneigenen Haus.

Da der Beschwerdeführer seinen Herkunftsstaat erst im April 2021 verlassen hat, ist nicht von einer Entwurzelung des Beschwerdeführers auszugehen. Er wuchs in seinem Herkunftsstaat auf, wurde dort hauptsozialisiert, spricht muttersprachlich arabisch. Es ist somit davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer an sein bisheriges Leben in seinem Herkunftsstaat anknüpfen kann. Aus den vorgenannten Überlegungen leitet sich somit die Feststellung zur Sicherung seiner Existenz und Grundversorgung im Falle seiner Rückkehr nach Ägypten ab.

Auch wenn die angespannte wirtschaftliche Lage in Ägypten nicht verkannt wird, steht für das Bundesverwaltungsgericht nach Würdigung sämtlicher Umstände fest, dass Ägypten ein Staat ist, der hinsichtlich seiner Bürger schutzfähig und schutzwillig ist und dass dem jungen, gesunden und arbeitsfähigen Beschwerdeführer daher aufgrund der Lage im Herkunftsstaat mit höchster Wahrscheinlichkeit keine Gefahr an Leib und Leben oder einer unmenschlichen Strafe droht, wenn er nach Ägypten zurückkehrt.

2.5. Zum Herkunftsstaat des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat beruhen auf dem aktuellen Länderinformationsblatt der Staatendokumentation für Ägypten und den dort zitierten Quellen. Dieser Bericht fußt sowohl auf Berichten verschiedener ausländischer Behörden, etwa die allgemein anerkannten Berichte des Deutschen Auswärtigen Amtes, als auch jene von internationalen Organisationen, wie bspw. dem UNHCR, sowie Berichte von allgemeinanerkannten unabhängigen Nachrichtenorganisationen, wie zum Beispiel der Schweizerischen Flüchtlingshilfe.

Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie dem Umstand, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängigen Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wissentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln (vgl. VwGH 15.09.2020, Ra 2020/18/0145).

Aufgrund der Kürze der verstrichenen Zeit zwischen der Erlassung des bekämpften Bescheides und der vorliegenden Entscheidung von knapp einem Monat haben sich keine Änderungen zu den im bekämpften Bescheid getroffenen Länderfeststellungen ergeben. Das Bundesverwaltungsgericht schließt sich daher diesen Feststellungen vollinhaltlich an.

Der Beschwerdeführer trat den Quellen und deren Kernaussagen weder im Administrativ- noch im Beschwerdeverfahren substantiiert entgegen, sodass die der Entscheidung zugrunde gelegten Länderberichte nicht in Zweifel zu ziehen waren. Die in der Beschwerde angeführte Anfragebeantwortung wurde in die vorliegende Entscheidung einbezogen.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

3.1. Zur Nichtgewährung von Asyl (Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides):

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1, Abschnitt A, Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention droht und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.

Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich in Folge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentraler Aspekt der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat ist die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. VwGH 23.10.2019, Ra 2019/19/0413).

Der BF konnte nicht glaubhaft machen, dass ihm aus einem der Gründe der Genfer Flüchtlingskonvention Verfolgung droht. Selbst bei hypothetischer Wahrunterstellung wäre sein Vorbringen von Mitgliedern einer verfeindeten Familie verfolgt zu werden allerdings nicht asylrelevant, wie im Folgenden gezeigt wird:

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintan zu halten. Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann aber nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Entscheidend für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht, ist vielmehr, ob für einen von dritter Seite Verfolgten trotz staatlichen Schutzes der Eintritt eines – asylrelevante Intensität erreichenden – Nachteiles aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (VwGH 28.10.2009, 2006/01/0793, mwN).

Gemäß Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2011/95/EU (Statusrichtlinie), die im Sinne einer unionsrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts mit zu berücksichtigen ist, muss der Schutz vor Verfolgung oder ernsthaftem Schaden wirksam sein. Ein solcher Schutz ist generell gewährleistet, wenn etwa der Herkunftsstaat geeignete Schritte einleitet, um die Verfolgung oder den ernsthaften Schaden zu verhindern, beispielsweise durch wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Verfolgung oder einen ernsthaften Schaden darstellen, und wenn der Asylwerber Zugang zu diesem Schutz hat. Bei Prüfung (u.a.) dieser Frage berücksichtigen die Mitgliedstaaten nach Art. 8 Abs. 2 Statusrichtlinie zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Antragstellers.

Die Statusrichtlinie sieht daher einerseits vor, dass die staatliche Schutzfähigkeit zwar generell bei Einrichtung eines entsprechenden staatlichen Sicherheitssystems gewährleistet ist, verlangt aber anderseits eine Prüfung im Einzelfall, ob der Asylwerber unter Berücksichtigung seiner besonderen Umstände in der Lage ist, an diesem staatlichen Schutz wirksam teilzuhaben (vg. zum Ganzen VwGH 24.02.2015, Ra 2014/18/0063).

Der BF hat keine Umstände aufgezeigt, die im gegenständlichen Fall gegen eine Schutzfähigkeit und -willigkeit der ägyptischen Behörden spezifisch ihm gegenüber sprechen würden. Dem Vorbringen des BF ist auch nicht zu entnehmen, dass er sich hinsichtlich der von ihm behaupteten Verfolgung überhaupt an die Sicherheitsbehörden gewendet hätte. Er gab selbst an, dass es keine polizeiliche Anzeige gebe, da die Polizei sowieso nichts gemacht hätte. Anstatt also sofort das Land zu verlassen, wäre es daher am BF gelegen gewesen, die staatlichen Behörden um ihren Schutz und ihre Hilfeleistung zu ersuchen.

Dem BF ist es damit im Ergebnis nicht gelungen, substantiiert darzulegen, dass ihm der ägyptische Staat keinen wirksamen Schutz vor der von ihm behaupteten Verfolgung gewähren würde.

Außerdem besteht in Ägypten – selbst bei Vorliegen einer asylrelevanten Verfolgung in einem Teil des Landes – grundsätzlich in anderen Teilen des Landes eine innerstaatliche Fluchtalternative iSd § 11 AsylG, die im Allgemeinen auch zumutbar ist (zu diesem Erfordernis vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 17.03.2011, 2008/01/0047); im Besonderen wäre es vor allem dem BF zumutbar gewesen, innerhalb Ägyptens Schutz vor der von ihm behaupteten Gefahr zu suchen, da es sich bei ihm um einen jungen und arbeitsfähigen Erwachsenen handelt, dem ein Ortswechsel ohne weiteres möglich gewesen wäre. In Ägypten gibt es auch keine Einschränkungen der Reisefreiheit, so dass es ihm auch möglich gewesen wäre, sich an einem Ort außerhalb von Assiut, beispielsweise in Kairo, niederzulassen.

Sonstige Fluchtgründe wurden nicht vorgebracht. Somit liegen in einer Gesamtbetrachtung keine asylrelevanten Fluchtgründe im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention vor.

Aus diesen Gründen war die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG abzuweisen.

3.2. Zur Nichtgewährung von subsidiärem Schutz (Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides):

Gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG ist der Status des subsidiär Schutzberechtigten einem Fremden zuzuerkennen, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Gemäß § 8 Abs. 2 leg. cit. ist die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 zu verbinden.

Wie bereits im Zuge der Prüfung des Status des Asylberechtigten festgestellt wurde, konnte der Beschwerdeführer im Hinblick auf seinen Herkunftsstaat Ägypten keinerlei gegen seine Person gerichteten Bedrohungs- oder Verfolgungshandlungen glaubhaft machen.

Hinweise auf eine allgemeine existenzbedrohende Notlage (allgemeine Hungersnot, Seuchen, Naturkatastrophen oder sonstige diesen Sachverhalten gleichwertige existenzbedrohende Elementarereignisse) liegen für Ägypten nicht vor, sodass aus diesem Blickwinkel bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen kein Hinweis auf das Vorliegen eines Sachverhaltes gem. Art. 2 und/oder 3 EMRK abgeleitet werden kann. In diesem Zusammenhang ist der Vollständigkeit halber aufgrund der aktuellen Situation festzuhalten, dass auch die COVID-19-Pandemie einer Rückkehr des Beschwerdeführers in seinen Herkunftsstaat nicht entgegensteht. So ist der Beschwerdeführer jung, gesund und leidet an keinen Atemwegserkrankungen oder anderen chronischen Krankheiten. Er gehört somit nicht zur Risikogruppe im Sinne der COVID-19-Risikogruppe-Verordnung.

Nach der ständigen Judikatur des VwGH reicht eine schwierige Lebenssituation, insbesondere bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht, die ein Fremder im Fall der Rückkehr in sein Heimatland vorfinden würde, für sich betrachtet nicht aus, um die Verletzung des nach Art. 3 MRK geschützten Rechts mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit annehmen zu können oder um die Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative zu verneinen (vgl. VwGH 01.10.2020, Ra 2020/19/0196).

Nach ständiger Rechtsprechung des EGMR obliegt es grundsätzlich der abschiebungsgefährdeten Person, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos nachzuweisen, dass ihr im Falle der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung drohen würde (Beschluss des VwGH vom 26.04.2017, Ra 2017/19/0016 mit Verweis auf das Urteil des EGMR vom 05.09.2013, I gegen Schweden Nr. 61204/09).

Das Vorliegen eines derartigen Risikos wurde vom Beschwerdeführer nicht substantiiert dargelegt. Ohne die wirtschaftliche Situation für die Masse der Bevölkerung in Ägypten beschönigen zu wollen, kann nicht davon ausgegangen werden, dass sich ein volljähriger, junger und gesunder Mann, der über eine mehrjährige Schulbildung verfügt und bereits viele Jahre lang als Tischler und Erntehelfer gearbeitet hat, im Falle einer Rückkehr nach Ägypten dort nicht seine existentiellen Grundbedürfnisse befriedigen könnte. Für eine derartige Existenzgefährdung ergaben sich aus den Angaben des Beschwerdeführers auch keinerlei Anhaltspunkte. Bisher konnte der Beschwerdeführer sich seinen Lebensunterhalt durch die Arbeit als Tischler und Erntehelfer verdienen und lebte er bis zu seiner Ausreise in einem gemeinsamen Haushalt mit seiner Mutter und seinen beiden Schwestern in einem Haus im Familienbesitz und weist er somit ein familiäres Netzwerk auf, welches ihm Unterstützung bieten kann. Zudem gab der Beschwerdeführer selbst an, seine wirtschaftliche Situation in Ägypten sei „in Ordnung“ bzw. „mittelmäßig“ gewesen.

Es ist letztlich im Rahmen einer Gesamtschau davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat seine dringendsten Bedürfnisse befriedigen kann und nicht in eine dauerhaft aussichtslose Lage gerät.

Es ergibt sich insgesamt kein reales Risiko, dass es durch die Rückführung des Beschwerdeführers nach Ägypten zu einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe kommen würde.

Die Beschwerde war daher auch hinsichtlich des Spruchpunktes II. des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG abzuweisen.

3.3. Zur Nichtgewährung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides):

Das Vorliegen der Voraussetzungen für die Erteilung einer „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ gemäß § 57 AsylG wurde vom Beschwerdeführer nicht behauptet und auch aus dem Verwaltungsakt ergeben sich keinerlei Hinweise, die nahe legen würden, dass die Erteilung einer solchen Aufenthaltsberechtigung in Betracht kommt.

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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