TE Bvwg Erkenntnis 2021/7/27 I419 2244335-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 27.07.2021
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Entscheidungsdatum

27.07.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §18 Abs1 Z1
BFA-VG §18 Abs5
BFA-VG §19
BFA-VG §21 Abs7
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1a
VwGVG §24 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


I419 2244335-1/7E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Tomas JOOS über die Beschwerde von XXXX , StA. TUNESIEN, vertreten durch BBU GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 31.05.2021, Zl. XXXX , zu Recht:

A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer reiste illegal ein und beantragte am 02.01.2021 internationalen Schutz.

2. Mit dem bekämpften Bescheid (zugestellt erst am 15.06.2020) wies das BFA den Antrag betreffend die Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I) sowie des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf Tunesien (Spruchpunkt II) als unbegründet ab, wobei es dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel „aus berücksichtigungswürdigen Gründen“ „gemäß § 57 AsylG“ erteilte (Spruchpunkt III), gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erließ (Spruchpunkt IV) und feststellte, dass dessen Abschiebung nach Tunesien zulässig sei (Spruchpunkt V).

Ferner aberkannte das BFA einer Beschwerde die aufschiebende Wirkung (Spruchpunkt VI), und stellte fest, dass keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe (Spruchpunkt VII).

2. Die Beschwerde richtet sich gegen die Spruchpunkte I, II und IV bis VII. Beschwerdehalber wird vorgebracht, der Beschwerdeführer sei ausweislich der zugleich vorgelegten Heiratsurkunde seit 2018 mit einer Österreicherin verheiratet, die ihn finanziere, sodass er dem Staat nicht zur Last falle. Er wolle hierbleiben, um sie zu unterstützen sowie zu arbeiten und werde im Fall einer Rückkehr der realen Gefahr einer Verletzung der Art. 2, 3 und 8 EMRK ausgesetzt. Im Herkunftsstaat komme es zu gewaltsamen Aktionen von Terrororganisationen und bewaffneten Auseinandersetzungen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der unter Punkt I beschriebene Verfahrensgang wird als Sachverhalt festgestellt. Darüber hinaus werden folgende Feststellungen getroffen:

1.1 Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist Anfang 30, kinderlos, Moslem und Angehöriger der Volksgruppe der Berber. Er spricht Arabisch als Muttersprache, gut Englisch und mittelmäßig Französisch. Geboren wurde er in Kairouan im gleichnamigen Gouvernement. Zuletzt lebte er im Stadtviertel Le Bardo (Bardou, bardu) der Hauptstadt Tunis. In Tunis wohnen auch sein Vater, Anfang 60, der Spitalsarzt und Betriebsarzt einer Bank ist, sowie ein Bruder, Mitte 20, der LKW-Fahrer bei einer Hilfsorganisation ist. Im Herkunftsstaat leben ferner die Mutter des Beschwerdeführers, nach dessen Angaben Anfang 60, die als Hausfrau und Landwirtin arbeitet, mit dessen beiden jüngsten Brüdern im Pflichtschulalter, im Gouvernement Mahdia, wo der Familie eine Landwirtschaft mit Olivenplantage und Tieren wie Hühnern, Ziegen und Truthähnen gehört. Mit der Mutter und dem älteren der beiden Kinder ist er in telefonischem Kontakt. Im Herkunftsstaat lebt auch noch seine Großmutter mütterlicherseits, etwa 2 km von der Mutter entfernt, und betreibt ebenfalls den Anbau von Oliven, aus denen beide Öl herstellen. Ein vierter Bruder, Mitte 30, lebt und arbeitet in Mauretanien.

Der Beschwerdeführer besuchte 13 Jahre lang die Schule und weitere zwei Jahre eine Informatik-Ausbildung in der Stadt Mahdi (Mahdia, al-Mahdiyya), die er 2010 mit einem Diplom als Netzwerktechniker abschloss. Dort erwarb er 2011 auch den Führerschein. Von 2013 bis 2016 arbeitete bei einer Computerfirma, danach als Kellner und Koch in mehreren Lokalen, ab 2018 bis zu seiner Ausreise auch im Catering auf einem Flughafen, und lebte davon.

Im Frühjahr 2016 kontaktierte er auf Facebook eine knapp 10 Jahre ältere österreichische Staatsbürgerin und ließ sich einen Reisepass ausstellen. Die Genannte besuchte ihn mehrmals, 2017 auch deren Schwester. Einen Antrag des Beschwerdeführers auf ein Touristenvisum wies die Botschaft Österreichs in Tunis im Sommer 2016 ab, weil dieser die Mittel für Aufenthalt sowie Weiterreise oder Rückkehr nicht nachgewiesen hatte und seine Absicht, das Schengengebiet wieder zu verlassen, nicht festgestellt werden konnte.

Im Februar 2018 kam die Österreicherin ins Elternhaus des Beschwerdeführers, wo sie eine Woche zusammen mit dessen Eltern wohnte, mit dem Beschwerdeführer Tunis und die Golfküste von Hammamet besuchte, und diesen anschließend in der Gemeinde Hbira an der Grenze zu den Gouvernments Kairouan und Sfaks heiratete. Ein Fest fand nicht statt, das Brautpaar hat nach Aussage der Gattin „einen Zettel unterschrieben und das war es“.

Die Gattin, die bereits von 2008 bis 2011 mit einem Asylwerber verheiratet war, dessen Berufung der UBAS 2006 abgewiesen hatte (und der 2010 ohne sie nach Ungarn zog), besuchte den Beschwerdeführer nach der Heirat nie wieder. Dieser legte im Juli 2018 in Hammamed erfolgreich die A1-Prüfung in Deutsch ab, beantragte im August 2019 beim LH von Wien einen Aufenthaltstitel Familienangehöriger, reiste nach der am 29.04.2020 erfolgten Abweisung des Antrags im September 2020 in die Türkei und gelangte über Serbien, Rumänien und Ungarn im Dezember illegal nach Österreich, wo er unangemeldet zu seiner Gattin zog.

Diese hat 1994 als Lehrling zu arbeiten begonnen und war mit Unterbrechungen im Inland berufstätig. Sie ist in Österreich geboren und weist seit 1999 mit Ausnahme von 20 Tagen durchgehende Hauptwohnsitzmeldungen auf. Hinweise, dass sie ihr Recht auf Freizügigkeit wahrgenommen hätte, liegen nicht vor. Zuletzt hat sie als Angestellte in einem Call Center etwa € 1.300,-- netto zuzüglich Sonderzahlungen verdient. Seit 24.06.2021 bezieht sie Arbeitslosengeld. Auch seit diesem Tag ist der Beschwerdeführer an ihrem Hauptwohnsitz angemeldet, vorher hatte er nie eine gemeldete Unterkunft in Österreich.

In Europa hat der Beschwerdeführer sonst keine Angehörigen. Er ist strafrechtlich unbescholten, arbeitsfähig und nicht in ärztlicher Behandlung. Der Beschwerdeführer hat keine eigenen Mittel zu seinem Unterhalt und geht keiner gemeldeten Arbeit nach. Bis 20.01.2021 bezog er Leistungen der Grundversorgung, danach war er unbekannten Aufenthalts, sodass das BFA das Verfahren einstellte, bis es von seinem nicht angemeldeten Wohnsitz erfuhr.

Er leidet an keiner schweren Krankheit, ist kein Mitglied eines Vereins, besucht keinen Kurs und weist auch keine anderen als die angeführten Integrationsmerkmale auf. Im Haushalt mit der Gattin betätigt er sich nach eigenen Angaben und kümmert sich um die Katze. Seine Gattin gab an, dass sie putzt, wäscht und kocht, und er zwischendurch aufräumt. Als weiterer Bewohner ist dort ein rechtskräftig abgelehnter Asylwerber als Gambia gemeldet. Zur Rückkehrberatung erschien der Beschwerdeführer weder in der ihm eingeräumten Frist noch nachher.

Seine Gattin vertritt die Ansicht, dass er legal einreisen und einer legalen Beschäftigung nachgehen soll. Ihr ist es zuwider, dass er illegal eingereist ist, und sie würde befürworten, dass er freiwillig ausreist, nach den österreichischen Vorschriften wieder einreist und sich künftig an die österreichischen Gesetze hält. Eine harmonische Beziehung wünscht sie sich, aber nur auf legale Art und Weise.

1.2 Zur Lage im Herkunftsstaat:

Im angefochtenen Bescheid wurden die aktuellen Länderinformationen zu Tunesien mit Stand 19.03.2021 zitiert. Betreffend die aktuelle Lage sind gegenüber den im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen keine entscheidungsmaßgeblichen Änderungen eingetreten.

Aus Berichten des Auswärtigen Amts (Deutschland) ergibt sich betreffend die Pandemie in Tunesien:

Tunesien ist von COVID-19 sehr stark betroffen und als Risikogebiet mit besonders hohem Infektionsrisiko (Hochinzidenzgebiet) eingestuft. [...] Nicht geimpfte Einreisende müssen sich bei Ankunft zu einer siebentägigen häuslichen Quarantäne verpflichten. Ab dem fünften Tag nach Einreise ist ein zweiter PCR Test durchzuführen, die Reservierung dafür ist bei Einreise vorzuweisen. Vollständig Geimpfte sowie genesene Personen, die mittels einer ärztlichen Bescheinigung nachweisen, dass sie mindestens sechs Wochen vor Reiseantritt positiv getestet wurden, unterliegen nicht der Quarantänepflicht. [...]

Reiseverbindungen

Der internationale Flug- und Fährverkehr findet in reduziertem Umfang statt.

Beschränkungen im Land

Die tunesische Regierung hat eine landesweite Ausgangssperre zwischen 19 und 6 Uhr verhängt. Daneben gelten in den folgenden Gouvernoraten weitergehende Beschränkungen:

Reisen in und aus dem Großraum Tunis sind bis zum 31. Juli 2021 verboten. Alle öffentlichen und privaten Versammlungen und Feiern sind untersagt. Kulturelle, sportliche und andere Veranstaltungen sind vorerst ausgesetzt, Gotteshäuser, Fitnessstudios und Hammams geschlossen. Cafés und Restaurants dürfen nur noch im Außenbereich und bis 16 Uhr geöffnet bleiben. An den Wochenenden im Juli gilt eine generelle Ausgangssperre von Freitagabend 19 Uhr bis Montagmorgen 6 Uhr.

Im Gouvernorat Zaghouan besteht auf unbestimmte Zeit eine Ausgangssperre zwischen 17 und 5 Uhr. Schulische Einrichtungen, Verwaltungs- und lebenswichtige Einrichtungen sind davon ausgenommen.

In den Gouvernoraten Béja Nord und Süd sowie Amdoun gilt neben der Ausgangssperre ein Verbot von Menschenansammlungen, kulturellen Aktivitäten und Familienfeiern. Märkte und Läden bleiben geschlossen, außer Lebensmittelläden. Die Gouvernorate sind von der Außenwelt abgeriegelt. Lediglich Schüler, die zu schulischen Prüfungen gelangen müssen, dürfen sie verlassen.

Das Gouvernorat Siliana ist abgeriegelt und darf nur in absoluten Notfällen mit Genehmigung betreten oder verlassen werden. Der Verkehr der staatlichen Busbetriebe wurde eingestellt. Öffentliche und private Kultur- und Sportveranstaltungen sind verboten. Märkte, Cafés, Restaurants, öffentliche Bäder und Unternehmen bleiben geschlossen. Ausnahmen gelten nur für die Ablegung der Abiturprüfungen sowie Einrichtungen mit lebensnotwendiger Infrastruktur.

Einzelne Gebiete können von den Gouvernoraten eigenständig abgeriegelt werden.

Restaurants, Cafés, Einkaufszentren und Moscheen sind im Rest des Landes tagsüber geöffnet, allerdings mit begrenzten Platzkapazitäten. [...]

Landesweit gilt in öffentlichen Gebäuden, Hotels und Geschäften die Pflicht zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes; im Großraum Tunis im gesamten öffentlichen Raum. Dies gilt auch beim Fahren eines PKW ab einem Beifahrer.

Es gelten spezielle Hygieneregeln für die Gastronomie: Maskenpflicht (außer am Tisch), Einhaltung von Mindestabständen, konstante Belüftung der Räumlichkeiten, Einweggeschirr und –besteck sowie Verbot der Nutzung von Wasserpfeifen. (www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/tunesien-node/tunesiensicherheit/219024 [unverändert gültig seit 26.07.2021, Abfrage 27.07.2021])

Andererseits zeigt das Verhältnis der Zahl aktiv Infizierter (558.306 – (18.052+453.865) Verstorbene und Geheilte), 86.389 per 23.07.2021 (www.worldometers.info/coronavirus/country/tunisia/), zur Bevölkerungszahl (ca. 12 Mio.), einen Anteil von ca. 7.200 pro Million, was verglichen mit Österreich und dem Anteil hier von ca. 496 pro Million (4.429 von ca. 8,9 Mio.) zwar etwa das 14,5-Fache der hier festgestellten Quote ist, entspricht aber dem österreichischen Infiziertenanteil von 27.11.2020 und nur rund 80 % der österreichischen Quote von Mitte November 2020.

Daraus folgt nicht, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr zwangsläufig in eine ausweglose Situation geriete.

Im gegebenen Zusammenhang sind mangels sonstiger Bezüge zum Vorbringen die folgenden Länderinformationen von Relevanz und werden festgestellt:

1.2.1 Sicherheitslage

Die von den bisherigen Regierungen angestrebte Verbesserung der Sicherheitslage im Inneren und der Kampf gegen den Terrorismus bleiben trotz vermehrter Anstrengungen und zahlreichen Verhaftungs- und Durchsuchungsaktionen weiter eine Herausforderung. Nach den tragischen Anschlägen im Jahr 2015 auf das Bardo Museum, eine Hotelanlage in Sousse sowie einen Bus der Präsidialgarde und dem schweren Angriff von IS-Milizen auf die tunesische Grenzstadt Ben Guerdane im März 2016 hat sich die Sicherheitslage verbessert. Durch die derzeit starke Einbindung des Militärs in den Antiterrorkampf als auch bei der Sicherung der Grenzen (so ist z.B. der Süden Tunesiens militärische Sperrzone) ist das Militär nach wie vor wichtiger Stützpfeiler der äußeren aber auch der inneren Sicherheit (AA 19.2.2021; vgl. AA 8.3.2021, EDA 8.3.2021).

Die Sicherheitslage ist nach wie vor prekär, geprägt von täglichen Sicherheitsoperationen von Militär und Polizei sowie Meldungen über vereitelte Anschläge. Die Sorge vor einer Infiltration durch aus Libyen und anderen Konfliktzonen zurückkehrende Islamisten tunesischen Ursprungs ist groß. Auch mit Hilfe ausländischer logistischer Unterstützung wurden die Grenzkontrollen drastisch verschärft, und es wird auch im Land nach Rückkehrern gefahndet (ÖB 1.10.2020).

Laut österreichischem Außenministerium gilt (für österreichische Staatsbürger) eine partielle Reisewarnung (Sicherheitsstufe 5) für die Saharagebiete, das Grenzgebiet zu Algerien und die westlichen Landesteile. Reisewarnungen bestehen für die Region südlich der Orte Tozeur – Douz – Ksar Ghilane – Tataouine – Zarzis. Mit gewaltsamen Aktionen terroristischer Organisationen ist zu rechnen. Das militärische Sperrgebiet an der Grenze zu Algerien in der Nähe des Berges Chaambi ist teilweise vermint und kann von den Sicherheitskräften kurzfristig ausgedehnt werden. Im Westen des Landes ist mit verstärkter Militär- und Polizeipräsenz zu rechnen; es finden bewaffnete Auseinandersetzungen mit Terroristengruppen statt (BMEIA 8.3.2021). Die Behörden haben insbesondere die Präsenz der Sicherheitskräfte im Land erhöht, vor allem in den Touristenorten (EDA 8.3.2021).

Der seit 2015 geltende nationale Ausnahmezustand in Tunesien wurde am 26.12.2020 von Präsident Kaïes Saïed um weitere sechs Monate bis Ende Juni 2021 verlängert. Im Ausnahmezustand verfügen die Sicherheitsbehörden über erweiterte Befugnisse, was zu einer Einschränkung der Bewegungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit führen kann (BAMF 11.1.2021). Es erlaubt den Sicherheitskräften Streiks, Kundgebungen und große Versammlungen zu verbieten, von denen angenommen wird, dass sie zu Unruhen führen. Die Regierung hat diese Maßnahmen aus Sicherheitsgründen als notwendig bezeichnet, aber Analysten haben argumentiert, dass die Maßnahmen Dissens unterdrücken sollen (FH 3.3.2021; vgl. ÖB 1.10.2020). Die Behörden verfügen somit über eine weitreichende Erlaubnis, die Bewegungsfreiheit von Einzelpersonen einzuschränken, und Tausende von Menschen sind von solchen Verfügungen betroffen (FH 3.3.2021).

Tunesien erlebt eine Welle landesweiter Streiks und Proteste gegen den COVID-19-bedingten Anstieg der Arbeitslosigkeit im Land und auch gegen das Versagen des öffentlichen Gesundheitssystems. Regierungs- und öffentliche Gebäude sind beliebte Orte für Streiks und Proteste (AQ 2.2021).

Am 27.6.2019 wurden in Tunis zwei Anschläge gegen die Sicherheitskräfte verübt; eine Person wurde getötet und mehrere wurden verletzt, darunter auch Zivilisten (EDA 8.3.2021; vgl. AA 19.2.2021). Am 4.4.2020 töteten tunesische Sicherheitskräfte in der Provinz Kasserine nahe der Grenze zu Algerien zwei Terroristen die mit dem sogenannten Islamischen Staat (IS) in Verbindung gebracht werden (BAMF 6.4.2020). Am 20.12.2020 wurde ein Hirte in der zentralwestlichen Provinz Kasserine von militanten Islamisten entführt und enthauptet. Seit mehreren Jahren gilt die Gebirgsregion um die Stadt Kasserine an der Grenze zu Algerien als Rückzugsgebiet für militant islamistische Gruppierungen. Es kommt immer wieder zu bewaffneten Auseinandersetzungen (BAMF 21.12.2020; vgl. CIR 2.2021). Der IS ist seit seinen beiden Anschlägen in Sousse im Jahr 2015, in Tunesien aktiv, hat aber nie eine offizielle Niederlassung im Land erklärt. Seine Aktivitäten beschränken sich auf sporadische Anschläge, meist gegen Sicherheitskräfte in den abgelegenen Regionen des Chaambi-Gebirges, manchmal auch in städtischen Gebieten. Am 7.1.2021 meldete das Innenministerium die Verhaftung eines ranghohen Anführers von al-Qaida im islamischen Maghreb (AQIM) (CIR 2.2021).

1.2.2 Rechtsschutz / Justizwesen

Das Gesetz sieht eine unabhängige Justiz vor (USDOS 11.3.2020; vgl. FH 3.3.2021, AA 19.2.2021). Im Allgemeinen respektiert die Regierung die richterliche Unabhängigkeit auch in der Praxis (USDOS 11.3.2020). Allerdings schreitet die Justizreform seit der Revolution nur langsam voran (FH 3.3.2021; vgl. AA 19.2.2021, GIZ 11.2020a). Auch weiterhin finden sich zahlreiche Richter aus der Ben-Ali-Ära auf der Richterbank und aufeinanderfolgende Regierungen versuchen regelmäßig, Gerichte zu manipulieren. Mit den 2016 verabschiedeten Rechtsvorschriften wurde der Oberste Justizrat eingesetzt, der für die Gewährleistung der Unabhängigkeit der Justiz und die Ernennung der Richter des Verfassungsgerichts zuständig ist. Die Ratsmitglieder wurden 2016 von Tausenden von Juristen gewählt. Bis 2019 waren jedoch weder das Verfassungsgericht, noch seine formell ernannten Mitglieder eingerichtet worden (FH 3.3.2021). Der Oberste Justizrat konnte seine Arbeit als neues Selbstverwaltungsorgan der Justiz erst aufnehmen, nachdem eine Gesetzesänderung die internen Konflikte der Richterschaft neutralisiert hatte. Als nächster Schritt soll die Konstituierung eines ordentlichen Verfassungsgerichts erfolgen. Bislang wacht eine provisorische Instanz über die Verfassungs-
mäßigkeit von Gesetzen vor ihrem Inkrafttreten (AA 19.2.2021; vgl. ÖB 1.10.2020).

Im Oktober 2020 prüfte das Parlament einen Gesetzentwurf, der Sicherheitskräften Immunität gewähren soll, die tödliche Gewalt anwenden, um einige Versammlungen zu zerstreuen, wenn die Aktion als letztes Mittel angesehen wird. Nationale und internationale Menschenrechtsgruppen sprachen sich heftig gegen das Gesetz aus, das erstmals 2013 vorgeschlagen worden war, das Parlament zog das Gesetz zurück (FH 3.3.2021).

Gesetzlich ist ein faires Verfahren vorgesehen, und die unabhängige Justiz gewährleistet dieses üblicherweise auch in der Praxis. Die gesetzlich garantierten Rechte sind jedoch nicht immer gewährleistet. Es gilt die Unschuldsvermutung. Angeklagte haben das Recht auf einen öffentlichen Prozess sowie auf einen Anwalt, der notfalls aus öffentlichen Mitteln bereitgestellt werden muss. Sie haben das Recht, zu Zeugenaussagen Stellung zu nehmen und eigene Zeugen aufzurufen. Sie müssen in Beweismittel Einsicht nehmen können und müssen über die gegen sie erhobenen Anklagepunkte informiert werden. Des Weiteren muss ihnen ausreichend Zeit zur Vorbereitung der Verteidigung gewährt werden (USDOS 11.3.2020).

1.2.3 Sicherheitsbehörden

Dem Innenministerium untersteht die Polizei (Exekutivfunktion in Städten) und die Nationalgarde bzw. Gendarmerie (Exekutivfunktion in ländlichen Gebieten und Grenzsicherung). Zivile Behörden kontrollieren den Sicherheitsapparat, wiewohl es gemäß NGOs vereinzelt zur Misshandlung von Häftlingen kommt (USDOS 11.3.2020; vgl. GIZ 11.2020a). Es mangelt an effektiven Strafverfolgungs- und Strafmechanismen bei Vergehen seitens der Sicherheitskräfte, und diesbezügliche interne Untersuchungen sind von einem Mangel an Transparenz geprägt (USDOS 11.3.2020).

Im Oktober 2020 erwog das Parlament einen Gesetzesentwurf, der Sicherheitspersonal, das mit tödlicher Gewalt reagiert, während es Versammlungen zerstreut, Immunität gewährt. Das Parlament zog das Gesetz später zurück, nachdem sich nationale und internationale Menschenrechtsgruppen vehement dagegen ausgesprochen hatten. Berichte über exzessive Gewaltanwendung und Folter durch Sicherheitsbeamte hielten auch 2020 an. Demonstranten prangerten die Gesetzesvorschläge an; es kam zu körperlichen Angriffen und Festnahmen (FH 3.3.2021).

Der Sicherheitsapparat war unter dem Ben-Ali-Regime allgegenwärtig und sicherte dessen Machterhalt. Die Rolle der Sicherheitskräfte während des Umsturzes aber teilweise auch bei gewaltsam aufgelösten Demonstrationen gegen die ersten beiden Interimsregierungen im Frühjahr 2011 vertieften den Vertrauensverlust der Bevölkerung gegenüber den Sicherheitsorganen, insbesondere der Polizei und den Sondereinheiten des Innenministeriums. Zwar wurde die Geheimpolizei („police politique“) aufgelöst, allerdings steht eine umfassende Reform des Innenministeriums und der nachgeordneten Behörden bis heute aus (AA 19.2.2021).

Das Militär genießt aufgrund seiner zurückhaltenden Rolle während der Revolution 2011 ein sehr hohes Ansehen in der Bevölkerung, welches bis dato anhält. Durch die derzeit starke Einbindung des Militärs in den Antiterrorkampf als auch bei der Sicherung der Grenzen (so ist z.B. der Süden Tunesiens militärische Sperrzone) ist das Militär nach wie vor wichtiger Stützpfeiler der äußeren, aber auch der inneren Sicherheit (AA 19.2.2021).

1.2.4 Korruption

Wegen der endemischen Korruption im Land (FH 3.3.3021) nimmt Tunesien auf dem Corruption Perceptions Index von Transparency International (2020) Platz 69 von 180 ein (TI 4.2.2021). Das Land schneidet nach dem Umbruch 2011 schlechter ab als noch unter Ben Ali. Vor allem die sogenannte "kleine" Korruption hat seitdem zugenommen. Im Alltag sind insbesondere Verkehrsdelikte und Verwaltungsangelegenheiten von Korruption betroffen, wo oft bestochen wird, um Verfahren zu beschleunigen oder Strafen zu entgehen (GIZ 11.2020a).

Die Nationale Kommission zur Korruptionsbekämpfung (INLUCC) wurde 2011 gegründet und sollte nach der Verfassung von 2014 durch ein ständiges Gremium, die Kommission für gute Regierungsführung und Korruptionsbekämpfung (IBGLCC), ersetzt werden. Obwohl das Gesetz verabschiedet wurde, blieb es inaktiv. Die anhaltende COVID-19-Pandemie hat die Korruption in Tunesien verschlimmert; im Dezember 2020 warnte der INLUCC-Chef, dass die Korruption zunehme (FH 3.3.2021).

Das Gesetz sieht strafrechtliche Sanktionen für Korruption durch Beamte vor, und die Regierung hat einige Vorkehrungen getroffen, diese Gesetze umzusetzen, obwohl sie nicht immer wirksam sind (USDOS 11.3.2020). Die Instanz zur Korruptionsbekämpfung sensibilisiert für das Thema und übergibt regelmäßig mutmaßliche Korruptionsfälle an die Justiz, wo diese jedoch nicht prioritär behandelt werden (GIZ 11.2020a). Eine Reihe von Verhaftungen und Ermittlungen richteten sich auch gegen Politiker, Journalisten, Polizisten und Zollbeamte. Zu den Vorwürfen gehörten Veruntreuung, Betrug und die Annahme von Bestechungsgeldern (USDOS 11.3.2020). Im Juli 2020 trat der damalige Premierminister Fakhfakh zurück, nachdem Ennahda einen Misstrauensantrag wegen eines Berichts eingebracht hatte. Ende Dezember 2020 wurde der Präsidentschaftskandidat für 2019, Nabil Karoui, der während des Wahlkampfes wegen des Verdachts auf Geldwäsche und Steuerhinterziehung festgenommen worden war, wegen dieser Vorwürfe erneut verhaftet und blieb bis zum Jahresende in Haft (FH 3.3.2021).

1.2.5 Rückkehr

Es gibt keine speziellen Hilfsangebote für Rückkehrer. Soweit bekannt, werden zurückgeführte tunesische Staatsangehörige nach Übernahme durch die tunesische Grenzpolizei einzeln befragt und es erfolgt ein Abgleich mit den örtlichen erkennungsdienstlichen Registern. Sofern keine innerstaatlichen strafrechtlich relevanten Erkenntnisse vorliegen, erfolgt anschließend eine reguläre Einreise. Hinweise darauf, dass, wie früher üblich, den Rückgeführten nach Einreise der Pass entzogen und erst nach langer Wartezeit wieder ausgehändigt wird, liegen nicht vor. An der zugrundeliegenden Gesetzeslage für die strafrechtliche Behandlung von Rückkehrern hat sich indes nichts geändert. Sollte ein zurückgeführter tunesischer Staatsangehöriger sein Land illegal verlassen haben, ist mit einer Anwendung der Strafbestimmung in §35 des Gesetzes Nr. 40 vom 14.5.1975 zu rechnen: „Jeder Tunesier, der beabsichtigt, ohne offizielles Reisedokument das tunesische Territorium zu verlassen oder zu betreten, wird mit einer Gefängnisstrafe zwischen 15 Tagen und sechs Monaten sowie einer Geldstrafe zwischen 30 und 120 DT (ca. 15 bis 60 Euro) oder zu einer der beiden Strafarten verurteilt. Bei Wiederholung der Tat (Rückfälligkeit) kann sich das im vorhergehenden Absatz aufgeführte Strafmaß für den Täter verdoppeln.“ Soweit bekannt, wurden im vergangenen Jahr ausschließlich Geldstrafen verhängt. Die im Gesetz aufgeführten Strafen kommen dann nicht zur Anwendung, wenn Personen das tunesische Territorium aufgrund höherer Gewalt oder besonderer Umstände ohne Reisedokument betreten (AA 19.2.2021).

Eine „Bescheinigung des Genusses der Generalamnestie“ wird auf Antrag vom Justizministerium ausgestellt und gilt als Nachweis, dass die in dieser Bescheinigung ausdrücklich aufgeführten Verurteilungen - kraft Gesetz - erloschen sind. Eventuelle andere, nicht aufgeführte zivil- oder strafrechtliche Verurteilungen bleiben unberührt. Um zweifelsfrei festzustellen, ob gegen eine Person weitere Strafverfahren oder Verurteilungen vorliegen, kann ein Führungszeugnis (das sog. „Bulletin Numéro 3“) beantragt werden (AA 19.2.2021).

Seit der Revolution 2011 sind tausende Tunesier illegal emigriert. Vor allem junge Tunesier haben nach der Revolution das Land verlassen, kehren nun teilweise zurück und finden so gut wie keine staatliche Unterstützung zur Reintegration. Eine kontinuierliche Quelle der Spannung ist die Diskrepanz zwischen starkem Migrationsdruck und eingeschränkten legalen Migrationskanälen. Die Reintegration tunesischer Migranten wird durch eine Reihe von Projekten von IOM unterstützt. Sowohl IOM als auch der UNHCR übernehmen die Registrierung, Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen in Tunesien. Finanzielle Hilfe dafür kommt hauptsächlich von der EU, sowie aus humanitären Programmen der Schweiz und Norwegens. Die Schweiz ist dabei einer der größten Geber und verfügt über zwei Entwicklungshilfebüros vor Ort. Wesentlich für eine erfolgreiche Reintegration ist es, rückkehrenden Migranten zu ermöglichen, eine Lebensgrundlage aufzubauen. Rückkehrprojekte umfassen z. B. Unterstützung beim Aufbau von Mikrobetrieben, oder im Bereich der Landwirtschaft. Als zweite Institution ist das ICMPD [International Centre for Migration Policy Development] seit 2015 offizieller Partner in Tunesien im Rahmen des sogenannten „Dialog Süd“ – Programms (EUROMED Migrationsprogramm) (ÖB 1.10.2020).

1.3 Zu den Fluchtmotiven des Beschwerdeführers:

1.3.1 Tunesien ist nach § 1 Z. 11 HStV ein sicherer Herkunftsstaat im Sinne des § 19 BFA-VG. Im angefochtenen Bescheid wurde darauf und auf das aktuelle „Länderinformationsblatt der Staatendokumentation“ zu Tunesien verwiesen, aus dem oben unter 1.2 zitiert wird. Im Beschwerdeverfahren ist keine relevante Änderung eingetreten, sodass das Gericht sich diesen Ausführungen vollinhaltlich anschließt und sie zu den seinen erhebt.

1.3.2 Erstbefragt gab der Beschwerdeführer an, seine Eltern seien gegen seine Heirat gewesen, und er habe den Herkunftsstaat im September 2020 verlassen, weil diese kurz vorher erfahren hätten, dass seiner Gattin wegen der „Heiratsurkunde bei der österreichischen Botschaft“ die Hälfte seines Erbes zustehe, und ihm in Rage mit dem Tod gedroht hätten. Sein Vater habe ihm gedroht, ihn mit einem Messer zu ermorden. Den Ausreiseentschluss habe er im September 2020 gefasst. Er fürchte, dass sein Vater oder sein Bruder ihn nach einer Rückkehr umbrächten. Andere Gründe habe er nicht.

1.3.3 Beim BFA erklärte er, Ende 2019 habe er Probleme bekommen, da seine Cousine, die bei „der Behörde“ arbeite, seinen Heiratsvertrag kopiert und der Familie geschickt habe. Die Familie wolle, dass er die Cousine heirate, damit die Erbschaft in der Familie bleibe. Seine Mutter sei auf seiner Seite und habe deswegen Probleme mit dem Vater. Dieser gebe bis heute der Mutter die Schuld und habe verlangt, dass der Beschwerdeführer die Cousine trotzdem heirate. Da er das nicht gewollt habe, sei er vom Vater mit dem Tod bedroht worden.

Im Juni 2020 hätten ihn zuhause sein Vater und sein in Mauretanien lebender Bruder bedroht. Er habe gehört, wie seine Eltern gestritten hätten, woraufhin er ihnen gesagt habe, dass es sein Leben sei und er entscheiden könne, wenn er heirate. Sein Vater habe gesagt, so habe er ihn nicht erzogen, ein Messer genommen, mit dem er eine Wassermelone geschnitten habe, und ihn damit „abstechen“ wollen. Der Bruder habe den Beschwerdeführer auf den Boden gedrückt. Anschließend sei der Beschwerdeführer gegangen und habe sich zunächst nach Mahdia begeben, dann nach Sousse und schließlich nach Bardou, von wo aus er ausgereist sei.

Von Juni bis zur Ausreise im September 2020 habe es keine Vorfälle gegeben, er habe keinen Kontakt zur Familie gehabt und auch woanders gelebt. Nach einer Rückkehr werde er wegen der Erbschaft mit der Cousine zwangsverheiratet werden. Er werde auch viel Bestechungsgeld zahlen müssen, wenn er Dokumente wolle, weil die Polizei es ausnutze, wenn man mit einer Fremden verheiratet sei.

1.3.4 Der Beschwerdeführer hat den Herkunftsstaat aus nicht asylrelevanten Gründen verlassen. Es kann nicht festgestellt werden, dass er dort aufgrund seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder einer auch nur unterstellten politischen Gesinnung verfolgt wurde oder verfolgt werden würde.

1.3.5 Es kann insbesondere nicht festgestellt werden, dass er von Angehörigen seiner Familie bedroht worden wäre oder nach einer Rückkehr deren Angriffe zu fürchten hätte, weil er mit seiner Gattin verheiratet ist oder seine Cousine nicht heiraten will. Gegen eine solche – nicht festgestellte – drohende private Verfolgung wäre der Herkunftsstaat jedoch schutzwillig und -fähig.

1.3.6 Der Beschwerdeführer erstattete kein substantiiertes Vorbringen über eine andere ihm drohende Gefährdung in seinem Herkunftsstaat im Falle seiner Rückkehr. Auch sonst ergaben sich im Verfahren keine diesbezüglichen Hinweise.

1.3.7 Eine nach Tunesien zurückkehrende Person, bei welcher keine berücksichtigungswürdigen Gründe vorliegen, wird durch eine Rückkehr nicht automatisch in eine unmenschliche Lage versetzt. Zusammenfassend wird in Bezug auf das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers und aufgrund der allgemeinen Lage im Land festgestellt, dass der Beschwerdeführer im Fall seiner Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keiner wie immer gearteten asylrelevanten Verfolgung oder sonstigen existentiellen Bedrohung ausgesetzt sein wird.

1.3.8 Dem Beschwerdeführer drohen nach seiner Rückkehr keine Verletzung der EMRK, keine ausweglose Lage und keine willkürliche oder strukturelle Gewalt. Entgegen seinem Beschwerdevorbringen droht ihm auch keine Gefahr durch Terroristen, wenn er nach Tunis oder Mahdia zurückkehrt.

Es existieren keine Umstände, die einer Abschiebung entgegenstünden. Der Beschwerdeführer verfügt über keine sonstige Aufenthaltsberechtigung.

2. Beweiswürdigung:

2.1 Zum Verfahrensgang:

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsakts des BFA und des Gerichtsaktes. Auskünfte aus dem Strafregister, dem Zentralen Melderegister (ZMR), dem Zentralen Fremdenregister und dem Betreuungsinformationssystem der Grundversorgung (GVS) wurden ergänzend eingeholt und der Beschwerdeakt des Mitbewohners eingesehen (I405 2157648-1).

2.2 Zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen zu seinen Lebensumständen, seinem Gesundheitszustand, seiner Herkunft, seiner Glaubens- und Volkszugehörigkeit sowie seiner Staatsangehörigkeit gründen sich auf die diesbezüglichen glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers. Zum Zeitpunkt der Wohnsitzbegründung bei der Gattin wurde deren Angaben gefolgt, da sie als Zeugin unter Wahrheitspflicht stand, und auch kein Grund ersichtlich ist, warum sie den Dezember statt des Jänners nennen hätte sollen. Seinen Angaben zum Reiseweg zufolge hätte der Beschwerdeführer obendrein bereits in der ersten Oktoberhälfte hier angekommen sein müssen und nicht wie behauptet erst am 02.01.2021. Das angebliche Alter der Mutter (ca. 62, AS 41) ist kaum mit dem angeblichen Geburtsjahr des jüngsten Bruders vereinbar (2012, AS 41), aber unerheblich.

2.3 Zum Herkunftsstaat:

Die vom BFA im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat entstammen dem Länderinformationsblatt mit Stand 19.03.2021 samt den dort publizierten Quellen und Nachweisen. Dieser Bericht stützt sich auf Angaben verschiedener ausländischer Behörden, etwa die allgemein anerkannten Berichte des Deutschen Auswärtigen Amtes, als auch jene von internationalen Organisationen, wie z. B. dem UNHCR, sowie Berichte von allgemein anerkannten unabhängigen Nachrichtenorganisationen.

Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie dem Umstand, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängigen Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wissentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.

Die Länderfeststellungen wurden dem Beschwerdeführer am 04.05.2021 zur Einsicht und Stellungnahme angeboten. (AS 100) Dazu gab er an: „Nein, das benötige ich nicht.“ In der Beschwerde wird aus ihnen zitiert und vorgebracht, das BFA habe das Vorbringen des Beschwerdeführers „nicht vor dem Hintergrund aktueller Länderberichte gewürdigt bzw. gefragt“. Damit wird den Länderfeststellungen nicht qualifiziert entgegengetreten.

Die oben in 1.2.1 bis 1.2.5 (d. h. anschließend an die aktuellen zur Pandemie) auszugsweise zitierten Aussagen stimmen mit den Feststellungen im angefochtenen Bescheid, soweit wiedergegeben, wörtlich überein (dort S. 17 ff).

2.4 Zum Fluchtvorbringen:

Der Beschwerdeführer machte weder zu seiner Familie noch zu seinen Ausreisegründen konsistente Angaben und gab in seinem gesteigerten Vorbringen keinen glaubhaften Sachverhalt an, der in an der Rückkehr hindern würde, wie im Folgenden und auch vom BFA (S. 43 f, AS 173 f) dargelegt:

Nach dem bei der Polizei geschilderten Ablauf hätten die Eltern des Beschwerdeführers, die gegen dessen Heirat im Februar 2018 gewesen seien, kurz vor dessen Ausreise im September 2020 erfahren, dass die Gattin Anrecht auf das halbe Erbe habe. Dies habe sie in Rage gebracht und sie hätten den Beschwerdeführer bedroht. Er fürchte sich vor dem Umbringen durch Vater oder Bruder. (AS 44) Eine Cousine zählte der Beschwerdeführer dort nicht auf. (AS 41)

Beim BFA gab er dagegen an, seine Cousine habe die Kopie des Heiratsvertrags – bereits Ende 2019 –der Familie geschickt, die seither wegen der Erbschaft wolle, dass er die Cousine heirate. Die Mutter sei hingegen mit der Heirat des Beschwerdeführers einverstanden gewesen. Bedroht hätten ihn (nicht, wie bei der Polizei angegeben, beide Eltern, sondern) der Vater und der Bruder K. (AS 97), der – den Angaben des Beschwerdeführers zufolge – in Mauretanien lebt und arbeitet (AS 94 f), und von dem er vier Monate zuvor noch angegeben hatte, dass er H. hieße und in Tunesien lebe (AS 41). Diese beiden hätten ihn attackiert, und zwar bereits im Juni 2020, die Mutter sei dagegen auf seiner Seite. (AS 97 f) Bei einer Rückkehr fürchte er die Zwangsverheiratung. (AS 100)

In der Beschwerde wird das Verfolgungsmotiv (von bisher der Hälfte des Erbes) noch auf die Hälfte des Vermögens erstreckt, die der Gattin angeblich zustünde. (AS 218)

Schon der unerklärt späte Zeitpunkt des Vorbringens betreffend die angebliche Attacke mit einem Messer und die drohende Zwangsheirat belastet dessen Glaubhaftigkeit. Grundsätzlich ist nämlich davon auszugehen, dass kein Asylwerber eine Gelegenheit ungenützt ließe, zentral entscheidungsrelevantes Vorbringen zu erstatten. Ferner fällt auf, dass die Eltern in der ersten Version kurz vor der Ausreise des Beschwerdeführers von den Rechtsfolgen der „Heiratsurkunde“ erfahren (AS 44, also kurz vor September 2020), in der zweiten bereits Ende 2019 den „Heiratsvertrag“ geschickt bekommen (AS 97).

Dazu kommt, wie das BFA bemerkt (AS 174), dass der Beschwerdeführer nach eigenen Angaben von Juni bis September 2020 unbehelligt blieb, obwohl er bis zuletzt arbeiten ging (AS 96). Die spätere Einschränkung betreffend die letzte Woche („nur zuhause und habe viele Zigaretten geraucht“, AS 98) ändert daran nichts. Er hat auch angegeben, dass die Probleme Ende 2019 begonnen hätten, während die Attacke im Juni 2020 stattgefunden habe. Die Gattin hat dazu nichts erwähnt („Der Vater meines Mannes möchte die Scheidung. Wenn ich nicht die Unterschrift hergebe, wird dies vom Vater meines Mannes erledigt.“). (AS 118)

Wie das BFA auch festhält (AS 174), blieb die geforderte detaillierte Beschreibung des Angriffs („Wie soll ich das machen? Schauspielern?“, AS 98) vage, emotionslos und unglaubwürdig („Dann habe ich mich eingemischt, mein Bruder hat mich am Boden runtergedrückt. Mein Vater wollte mich dann abstechen. Ich bin dann mit einer kurzen Hose und Flipflops rausgegangen.“). (AS 98) Erst in der Erwähnung dieser Kleidung liegt eine Schilderung von Details.

Unbegründet blieb auch, warum die Sicherheitsbehörden nicht in der Lage oder willens sein sollten, den Beschwerdeführer zu schützen. Die Erklärung („Mein Vater hat sehr viele Kontakte. Wenn ich eine Anzeige mache, dann würden sie mir nicht zuhören.“) verfängt nicht, weil sie, wie das BFA auch berücksichtigt (AS 174), keinen Grund für das völlige Unterlassen einer z. B. schriftlichen oder in Sousse erstatteten Anzeige anführt.

Dazu kommt, wie das BFA ebenso aufzeigt (AS 182, 193), dass Tunesien ein sicherer Herkunftsstaat ist. Bei der Festlegung solcher Staaten ist nach § 19 Abs. 5 BFA-VG vor allem auf das Bestehen oder Fehlen von staatlicher Verfolgung, Schutz vor privater Verfolgung und Rechtsschutz gegen erlittene Verletzungen von Menschenrechten Bedacht zu nehmen. Insofern ist die Festlegung schon für sich genommen Basis für die Annahme staatlicher Schutzwilligkeit und -fähigkeit bei privater Verfolgung und damit für erhebliche Zweifel an einem solchen Fluchtgrund.

Dem BFA (AS 143, 174 f) ist daher zuzustimmen, dass es dem Vorbringen an Schlüssigkeit, Substanz und letztlich Glaubwürdigkeit mangelt, gegen den Beschwerdeführer keine Übergriffe erfolgten, er weder staatlichen noch Verfolgungshandlungen Dritter ausgesetzt ist und dank der familiären Anknüpfungspunkte und der Sozialkontakte wie bereits zuvor in keine existenzbedrohende Notlage geraten wird.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Abweisung der Beschwerde:

3.1 Zum Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I):

3.1.1 Nach § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z. 2 GFK droht, und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F GFK genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.

Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z. 2 GFK ist, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich in Folge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

3.1.2 Zum Vorbringen des Beschwerdeführers ist festzuhalten, dass die behauptete Verfolgung nicht einmal dann Asylrelevanz zukäme, wäre sie festgestellt, weil die Behörden des Herkunftsstaats bei privaten Nachstellungen der beschriebenen Art schutzwillig und schutzfähig sind. Dazu kommt, dass der Beschwerdeführer selbst angegeben hat, nach dem Verlassen des Gouvernments nicht mehr behelligt worden zu sein, sodass er auch z. B. wieder in Tunis sicher leben und arbeiten könnte wie zuvor.

Die Voraussetzungen für die Erteilung von Asyl sind daher nicht gegeben. Aus diesem Grund war die Beschwerde gegen Spruchpunkt I des angefochtenen Bescheides als unbegründet abzuweisen.

3.2 Zum Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II):

3.2.1 Nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ist der Status des subsidiär Schutzberechtigten einem Fremden zuzuerkennen, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn der Antrag in Bezug auf den Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, und eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 oder 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder 13 zur EMRK bedeuten oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Gemäß § 8 Abs. 2 AsylG 2005 ist die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 AsylG 2005 zu verbinden.

3.2.2 Angesichts der Feststellungen zur Staatsangehörigkeit, zur Gesundheit und zur Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers hegt das Gericht entgegen dem Beschwerdevorbringen betreffend die Rückkehrsituation keine derartigen Bedenken. Es mag sein, dass der Beschwerdeführer derzeit keinen Arbeitsplatz im Catering am Flughafens findet, jedoch folgt daraus nicht, dass es dem Beschwerdeführer deshalb unmöglich wäre, eine wirtschaftliche Existenz aufzubauen. Den Länderfeststellungen ist außerdem zu entnehmen, dass die Grundversorgung der Bevölkerung gewährleistet ist, auch wenn kein „arbeitsloses“ Basiseinkommen garantiert wird.

Hinweise auf das Vorliegen einer allgemeinen existenzbedrohenden Notlage wie allgemeine Hungersnot, Seuchen, Naturkatastrophen oder sonstige diesen Sachverhalten gleichwertige existenzbedrohende Elementarereignisse liegen nicht vor, wie auch die Feststellungen betreffend die Pandemie ergeben, weshalb aus diesem Blickwinkel bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen kein Verdacht auf das Vorliegen eines Sachverhaltes gemäß Art. 2 oder 3 EMRK abgeleitet werden kann.

3.2.3 Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits mehrfach erkannt, dass auch die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat eine Verletzung von Art 3 EMRK bedeuten kann, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet. Gleichzeitig wurde jedoch unter Hinweis auf die Rechtsprechung des EGMR betont, dass eine solche Situation nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen ist (VwGH 06.11.2009, 2008/19/0174 und VwGH 21.08.2001, 2000/01/0443 mwH). Nach den Feststellungen zu Gesundheit und Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers und den Länderfeststellungen ist nicht davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in eine existenzbedrohende Lage geriete.

Das gilt auch dann, wenn eine Unterstützung durch die Angehörigen des Beschwerdeführers wider Erwarten ausbleibt, weil er arbeitsfähig ist, die beiden dort meistverbreiteten Sprachen sowie Englisch spricht und auch bereits in mehreren Branchen gearbeitet hat. Inzwischen hat er auch seine Deutschkenntnisse anwenden können, was den Wert seiner Arbeitskraft zumindest nicht verschlechtert hat. Seine lokale Ausbildung ging ihm daneben nicht verloren, weshalb der Beschwerdeführer den vorhandenen Arbeitsmarkt nutzen kann.

Aufgrund all dessen ist letztlich im Rahmen einer Gesamtschau davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr in seinen Herkunftsstaat seine dringendsten Bedürfnisse befriedigen kann und nicht in eine dauerhaft aussichtslose Lage gerät, sodass auch Spruchpunkt II des angefochtenen Bescheides zu bestätigen war.

3.3 Zur Nichterteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG 2005 (Spruchpunkt III):

Dieser Spruchpunkt – gemeint war die Nichterteilung einer ‚Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz‘ gemäß § 57 AsylG 2005 – wurde nicht in Beschwerde gezogen, sodass dem Verwaltungsgericht nicht zukommt, eine Richtigstellung vorzunehmen.

3.4 Zur Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV):

Wenn ein Antrag auf internationalen Schutz sowohl betreffend den Status des Asyl-, als auch jenen des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird, wie im bekämpften Bescheid geschehen, ist nach § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG 2005 in Verbindung mit § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG vorgesehen, dass das BFA eine Rückkehrentscheidung erlässt.

Das gilt nur dann nicht, wenn eine Rückkehrentscheidung wegen eines Eingriffs in das Privat- oder Familienleben eines Fremden auf Basis des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG für dauernd unzulässig zu erklären ist. Zu entscheiden ist dabei nach einer individuellen Abwägung der berührten Interessen gegenüber den öffentlichen, ob ein Eingriff im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK verhältnismäßig ist.

Dabei ergibt im Fall des Beschwerdeführers eine individuelle Abwägung der berührten Interessen, dass ein Eingriff in das Privatleben des Beschwerdeführers durch seine Außerlandesbringung als im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK verhältnismäßig anzusehen ist.

Der Beschwerdeführer hat ein Familienleben mit seiner Gattin erst seit seiner illegalen Einreise. Zuvor hat er sie seit der Heirat nicht einmal im Herkunftsstaat gesehen. Er hat sowohl die Ehe als auch das nunmehrige Familienleben begonnen, ohne zu einem Aufenthalt in Österreich berechtigt zu sein. Aufgrund der vorigen Ehe musste auch der Gattin bewusst sein, dass drittstaatsangehörige Ehegatten im Allgemeinen kein Aufenthaltsrecht allein aufgrund des Ehebandes zusteht.

Die Gattin legt Wert auf eine legale Einreise des Beschwerdeführers als Basis für das eheliche Zusammenleben. Dieser hat von seinem Asylverfahren, der Schwägerin, der Katze und den täglichen Verrichtungen abgesehen kein Privatleben im Bundesgebiet. Er hält sich erst seit etwa sieben Monaten hier auf und hat weder Arbeit noch besucht er Kurse oder einen Verein.

Der Beschwerdeführer nahm die aufgetragene Rückkehrberatung nicht in Anspruch und unterließ eine Anmeldung nach dem MeldeG während seines gesamten Verfahrens beim BFA, womit er dieses auch verzögerte.

Nach der genannten Anwesenheitsdauer kann nicht von einer Aufenthaltsverfestigung ausgegangen werden. Zudem beruhte der Aufenthalt auf einem Asylantrag, der unbegründet war, weshalb sich der Beschwerdeführer des unsicheren Aufenthalts bewusst sein musste.

Der Verwaltungsgerichtshof hat mehrfach darauf hingewiesen, dass es im Sinne des § 9 Abs. 2 Z. 8 BFA-VG maßgeblich relativierend ist, wenn integrationsbegründende Schritte in einem Zeitpunkt gesetzt wurden, in dem sich der Fremde seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste (VwGH 03.03.2021, Ra 2021/19/0023 mwN).

Dem Gewicht der Bindungen zu einem österreichischen Staatsbürger kann aber nicht allein mit dem Vorhalt eines unsicheren Aufenthaltsstatus begegnet werden. Eine Trennung von einem österreichischen Ehepartner ist nur gerechtfertigt, wenn dem öffentlichen Interesse an der Vornahme der aufenthaltsbeendenden Maßnahme insgesamt ein sehr großes Gewicht beizumessen ist, wie etwa bei Straffälligkeit des Fremden oder bei einer von Anfang an beabsichtigten Umgehung der Regelungen über eine geordnete Zuwanderung und den „Familiennachzug“. (VwGH 31.03.2021, Ra 2020/22/0030 mwN)

Dies hat der VwGH z. B. bei einem Fremden angenommen, der nach Ablauf des Visums hier unrechtmäßig verblieb, um das Familienleben mit seiner späteren Gattin österreichischer Staatsbürgerschaft aufzunehmen, die er während eines früheren Besuches kennengelernt hatte. (VwGH 20.12.2012, 2011/23/0512 mwN) In einer solchen Konstellation führt die aufrechte Ehe des Beschwerdeführers nicht dazu, dass unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK von einer Ausweisung Abstand genommen und akzeptiert werden muss, dass der Fremde mit seinem Verhalten letztlich versucht, in Bezug auf seinen Aufenthalt in Österreich vollendete Tatsachen zu schaffen. Vielmehr ist es dem Fremden in diesen Fällen zumutbar, für die Dauer eines ordnungsgemäß geführten Niederlassungsverfahrens auszureisen. (VwGH 18.10.2012, 2011/23/0503 mwN)

Nach der Ablehnung des Antrags auf einen Aufenthaltstitel durch den LH von Wien im Vorjahr liegt fallbezogen zwar eine Einreise eines bereits verheirateten Fremden vor, die aber nicht anders zu behandeln ist, als die zitierten Sachverhalte, da es dem Beschwerdeführer auch hier darum geht, entgegen den Regeln für die Zuwanderung Angehöriger vollendete Tatsachen zu schaffen. Dies tat er nach den Angaben seiner Gattin noch dazu ohne deren Billigung.

Demnach ist es auch ihm zumutbar, für die Dauer auszureisen, die für den Nachweis der Voraussetzungen und die Durchführung eines für ihn erfolgreichen Niederlassungsverfahrens nötig ist, zumal die Ehe bereits zuvor mehr als 2 ½ Jahre ohne persönliche Kontakte der Gatten bestand. Wenn gewünscht, können diese inzwischen wie vor der Ehe den Kontakt mittels technischer Hilfsmittel pflegen und sich im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers treffen.

Es liegen keine Hinweise vor, dass der Beschwerdeführer in Österreich einen Grad an Integration erlangt hätte, der seinen persönlichen Interessen ein entscheidendes Gewicht verleihen würde.

Gleichzeitig hat der Beschwerdeführer in seinem Herkunftsstaat, in dem er aufgewachsen ist und den Großteil seines bisherigen Lebens verbracht hat (mehr als drei Jahrzehnte), familiäre, sprachliche und kulturelle Verbindungen, speziell seine Eltern und Geschwister.

Dem Interesse des Beschwerdeführers an einem Verbleib in Österreich stehen öffentliche Interessen gegenüber. Zuerst steht das öffentliche Interesse daran gegenüber, dass das geltende Migrationsrecht auch vollzogen wird, indem Personen, die ohne Aufenthaltstitel anwesend sind - gegebenenfalls nach Abschluss eines allfälligen Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz - auch zur tatsächlichen Ausreise verhalten werden.

Es würde eine Benachteiligung jener Fremden gleichkommen, welche die Einreise- und Aufenthaltsbestimmungen in Österreich beachten, wenn sich der Beschwerdeführer erfolgreich auf sein Privat- und Familienleben berufen könnte, obwohl er seinen Aufenthalt lediglich durch seine faktische Einreise und einen unbegründeten Asylantrag erzwungen hat. In letzter Konsequenz würde ein solches Verhalten zu einer unsachlichen und damit verfassungswidrigen Differenzierung der Fremden untereinander führen.

Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung kann daher nicht im Sinne von § 9 Abs. 2 BFA-VG als unzulässig angesehen werden.

3.5 Zur Zulässigkeit der Abschiebung (Spruchpunkt V):

Gemäß § 52 Abs. 9 FPG hat das BFA mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, dass die Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 FPG in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist, es sei denn, dies wäre aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich.

Die Abschiebung in einen Staat ist nach § 50 Abs. 1 FPG unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 EMRK oder die Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention verletzt würden, oder für den Betroffenen als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes verbunden wäre.

Nach § 50 Abs. 2 FPG ist die Abschiebung in einen Staat auch unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme vorliegen, dass dort das Leben des Betroffenen oder seine Freiheit aus Gründen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder persönlichen Ansichten bedroht wäre, es sei denn, es besteht eine innerstaatliche Fluchtalternative.

§ 50 Abs. 3 FPG erklärt die Abschiebung unzulässig, solange ihr die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht.

Es liegen keine Anhaltspunkte vor, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr nach Tunesien einer realen Gefahr der Folter, der unmenschlichen Strafe oder Behandlung oder der Todesstrafe ausgesetzt wäre.

Auch fehlt es an jedem Indiz, dass der Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr durch einen innerstaatlichen oder zwischenstaatlichen Konflikt Gefahr laufen würde, in seinem Leben bedroht, in seiner Unversehrtheit beeinträchtigt oder gar getötet zu werden.

Es gibt zudem keine Anhaltspunkte dafür, dass dem Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr nach Tunesien die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen und damit die Schwelle des Art. 3 EMRK überschritten wäre. Selbst die Beschwerde belässt es beim Vorbringen einer (behauptetermaßen) prekären Sicherheitslage, ohne dazu konkret auszuführen, warum das den Beschwerdeführer im Gegensatz zu anderen Landsleuten hindern sollte, notfalls auch eine nicht seiner Ausbildung entsprechende Arbeit zu verrichten.

Der Beschwerdeführer wird aufgrund seines Alters und seines Gesundheitszustandes in der Lage sein, in Tunesien zumindest notdürftig leben zu können. Er spricht Arabisch sowie Französisch und hat 13 Jahre die Schule besucht, danach eine Diplomausbildung absolviert, und im Herkunftsstaat auch schon Arbeitserfahrung in mehreren Berufen gesammelt. So kann er vorhandene Sozialkontakte nutzen und neue knüpfen, selbst wenn die familiäre Unterstützung wider Erwarten nicht hinreicht.

Die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz werden jedenfalls im konkreten Fall gedeckt werden können. Dass der Beschwerdeführer möglicherweise in Österreich wirtschaftlich besser leben kann als im Herkunftsstaat, genügt nicht für die Annahme, er würde dort keine Lebensgrundlage vorfinden und somit seine Existenz nicht decken können. Es fehlen somit im vorliegenden Fall Hinweise auf derart exzeptionelle Umstände.

Zudem besteht in Tunesien keine so extreme Gefahrenlage, dass gleichsam jeder, der dorthin zurückkehrt, einer Gefährdung im Sinne der Art. 2 oder 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention ausgesetzt wäre.

Stichhaltige Gründe für die Annahme, dass dort das Leben des Beschwerdeführers oder seine Freiheit aus Gründen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder persönlichen Ansichten bedroht wäre, sind im Verfahren nicht festgestellt und auch in der Beschwerde nicht substantiiert behauptet worden.

Eine der Abschiebung nach Tunesien entgegenstehende Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte besteht nicht.

Daher erwiesen sich die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat als rechtmäßig und die Beschwerde daher insoweit als unbegründet. Die Beschwerde war daher auch betreffend die Spruchpunkte IV und V abzuweisen.

3.6 Zur Aberkennung der aufschiebenden Wirkung (Spruchpunkt VI):

Einer Beschwerde gegen eine abweisende Entscheidung über einen Antrag auf internationalen Schutz kann das BFA die aufschiebende Wirkung unter anderem dann aberkennen, wenn der Asylwerber aus einem sicheren Herkunftsstaat stammt (§ 18 Abs. 1 Z. 1 BFA-VG). Das ist der Fall.

Die Interessensabwägung zwischen den Interessen des Beschwerdeführers und jenen Österreichs ergibt schon wegen dessen kurzen, auf den unbegründeten Asylantrag zurückzuführenden Aufenthalts, der neben dem mehrmonatigem Familienleben kaum sonstige Integrationsmerkmale mit sich brachte, einen Überhang der Interessen Österreichs an der unverzüglichen Vollstreckung des bekämpften Bescheids, sodass das BFA der Beschwerde zu Recht die aufschiebende Wirkung aberkannte, zumal mit Blick darauf, dass sich der Beschwerdeführer bereits beim BFA dem Verfahren entzog und keine Rückkehrneigung zeigt, auch kein Grund vorlag, im Rahmen der Ermessensübung davon abzusehen.

Das Bundesverwaltungsgericht hat nach § 18 Abs. 5 BFA-VG einer Beschwerde, der die aufschiebende Wirkung aberkannt wurde, binnen einer Woche ab Vorlage von Amts wegen die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, wenn anzunehmen ist, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat die reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK, Art. 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. In der Beschwerde gegen den in der Hauptsache ergangenen Bescheid sind die Gründe, auf die sich die Behauptung des Vorliegens einer realen Gefahr oder einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit gemäß Satz 1 stützt, genau zu bezeichnen.

Beschwerdehalber wurde dazu lediglich vorgebracht, das BFA habe eine Abwägung öffentlicher mit privaten Interessen unterlassen, sowie ferner, dass die Länderberichte unter Sicherheitsaspekten eine besonders sorgfältige Prüfung erforderten. Damit wurde nicht dargetan, dass die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung geboten gewesen wäre.

3.7 Zum Nichtbestehen einer Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt VII):

Das BFA hat die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde aberkannt und dies mit der Voraussetzung des § 18 Abs. 1 BFA-VG begründet. Wie eben gezeigt wurde, hat es diese Bestimmung zu Recht angewendet.

Bereits unmittelbar aus § 55 Abs. 1a FPG ergibt sich, dass eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht besteht, wenn eine Entscheidung aufgrund eines Verfahrens nach § 18 BFA-VG durchführbar wird, was hier - nach dem Spruchpunkt VI des angefochtenen Bescheides - zutrifft.

Für die freiwillige Ausreise steht daher – unter der Voraussetzung der Reisemöglichkeit in den Herkunftsstaat (vgl. zum Ausreisehindernis der Strafhaft VwGH 15.12.2011, 2011/21/0237) – keine Frist offen.

Demnach war die Beschwerde auch zum Spruchpunkt VII abzuweisen.

4. Zum Unterbleiben einer Verhandlung:

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht.

Eine Verhandlung kann unterbleiben, wenn der für die rechtliche Beurteilung relevante Sachverhalt von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben wurde und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweist.

Außerdem muss die Verwaltungsbehörde ihre die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in gesetzmäßiger Weise offengelegt haben und das Gericht diese tragenden Erwägungen in seiner Entscheidung teilen. Auch darf im Rahmen der Beschwerde kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüberhinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten ebenso außer Betracht zu bleiben hat, wie ein Vorbringen, das gegen da

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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