TE Bvwg Erkenntnis 2021/8/4 I413 2242879-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 04.08.2021
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Entscheidungsdatum

04.08.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs2
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58 Abs1 Z5
AsylG 2005 §58 Abs2
AsylG 2005 §58 Abs3
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50
FPG §52
FPG §52 Abs1 Z1
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs2
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


I413 2242879-1/11E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Dr. Martin ATTLMAYR, LL.M., als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX StA. Nigeria, vertreten durch Rechtsanwältin Prof. Mag. Dr. Vera WELD, Weihburggasse 4/40, 1010 Wien und Rechtsanwalt Dr. Gregor KLAMMER, Lerchenfelder Gürtel 45/11, 1160 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Wien vom 12.04.2021, Zl XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 28.06.2021 zu Recht erkannt:

A)
Die Beschwerde wird mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass Spruchpunkt I. wie folgt zu lauten hat: „Eine ‚Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz‘ gemäß § 57 AsylG wird XXXX nicht erteilt.“

B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text



Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1.       Der Beschwerdeführer reiste (spätestens) am 09.10.2000 unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich und stellte unter Angabe des Namens XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Uganda, einen Antrag auf internationalen Schutz. Dieser wurde mit Bescheid des [damals] Bundesasylamtes vom 09.11.2000, Zl XXXX , abgewiesen. Eine dagegen erhobene Berufung wurde seitens des [damals] Unabhängigen Bundesasylsenates per Bescheid vom 19.01.2001, Zl 219.840/0-XII/37/00 ebenfalls abgewiesen und zugleich festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Uganda zulässig ist. Diese Entscheidung erwuchs am 23.01.2001 in Rechtskraft.

2.       Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 11.04.2001, Zl XXXX , wurde die Ausweisung des Beschwerdeführers aus dem Bundesgebiet festgesetzt.

3.       Mit Urteil des [damals] Jugendgerichtshofs Wien vom 30.07.2001 zu XXXX wurde der Beschwerdeführer in Zusammenhang mit Suchtgiftdelinquenz zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 24 Monaten verurteilt, wobei 16 Monate unter Setzung einer dreijährigen Probezeit bedingt nachgesehen wurden.

4.       Ob der strafgerichtlichen Verurteilung wurde mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 16.08.2001, Zl XXXX gegen den Beschwerdeführer ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen.

5.       Der Berufung gegen den Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 11.04.2001, Zl XXXX , wurde Folge gegeben und der angefochtene Bescheid in Anbetracht des Umstandes, dass gegen den Beschwerdeführer mit 16.08.2001 ein rechtskräftiges und durchsetzbares unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen wurde, behoben.

6.       Das Generalkonsulat der Republik Uganda teilte in ihrem Schreiben vom 11.01.2002 mit, dass dem Ersuchen zur Ausstellung eines Heimreisezertifikates nicht nachgekommen werden konnte, da der Beschwerdeführer im geführten Gespräch nicht hinreichend beweisen konnte, Staatsbürger von Uganda zu sein, über keinerlei Dokumente der Republik Uganda verfügte und sich nicht in der Lage sah, entsprechende Dokumente aus seiner angeblichen Heimat durch Verwandte oder Bekannte dem Generalkonsulat zugänglich bzw. eine Person seines Vertrauens in Uganda namhaft zu machen, welche seine Behauptungen bestätigen könnte. Mangels Heimreisezertifikat konnte in der Folge eine Abschiebung des Beschwerdeführers nicht durchgeführt werden.

7.       Einlangend am 27.10.2005 stellte der Beschwerdeführer einen mit 24.10.2005 datierten Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke der Ausbildung.

8.       Am 01.12.2005 stellte der Beschwerdeführer neuerlich einen Asylantrag, welcher am 19.04.2006 vom [damals] Unabhängigen Bundesasylsenat in zweiter Instanz rechtskräftig zurückgewiesen wurde. Eine dagegen erhobene Beschwerde wurde seitens des Verwaltungsgerichtshofes mit Beschluss vom 22.09.2008 abgewiesen.

9.       Mit Bescheid vom 23.10.2006, Zl XXXX , erfolgte ob seines aufrecht bestehenden Aufenthaltsverbots seitens des Landeshauptmannes von Wien, MA 35, die Abweisung seines Antrages vom 24.10.2005 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels zum Zwecke der Ausbildung, welcher aufgrund des seit 01.01.2006 gültigen NAG als Niederlassungsbewilligung „Schüler“ gewertet wurde.

10.      Neuerlich stellte der Beschwerdeführer einen mit 03.08.2008 datierten Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels für den Zweck „Schüler“, welcher mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien, MA 35, vom 19.08.2008, Zl XXXX , mangels persönlicher Antragsstellung vor der Behörde zurückgewiesen wurde. Eine dagegen erhobene Berufung wurde mit Bescheid des Bundesministeriums für Inneres vom 28.10.2008 zu GZ XXXX abgewiesen.

11.      Mit Bescheid vom 19.11.2008, Zl XXXX , der Bundespolizeidirektion Wien wurde erneut die Ausweisung des Beschwerdeführers festgesetzt. Einer dagegen erhobenen Berufung wurde mittels Bescheid der Sicherheitsdirektion Wien vom 12.01.2009, Zl XXXX keine Folge gegeben.

12.      Von Amts wegen erfolgte mittels Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 16.11.2011, Zl XXXX , die Aufhebung des gegen den Beschwerdeführer erlassenen Aufenthaltsverbotes, welchen die Behörde mit einem Wegfall der Gründe, die zu seiner Erlassung geführt haben, begründete.

13.      Am 04.10.2011 stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot-Karte plus“ unter der Identität XXXX , geb. XXXX , Staatsbürgerschaft Uganda und wurde ihm ein solcher befristet bis 02.05.2015 erteilt.

14.      Am 14.05.2014 meldete sich der Beschwerdeführer bei der MA 35 und gab an, XXXX zu heißen und am XXXX in Nigeria geboren zu sein. Mit Bescheid vom 04.12.2014, Zl XXXX , wurde dem Beschwerdeführer der Aufenthaltstitel entzogen. Dieser Bescheid wurde mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom 25.09.2015, GZ XXXX , aufgehoben. Am 09.04.2015 stellte der Beschwerdeführer einen Verlängerungsantrag auf Erteilung einer „Rot-Weiß-Rot-Karte plus“.

15.      Mit Bescheid des Landeshauptmannes von XXXX , MA 35, vom 18.08.2016, Zl XXXX , wurde das Verfahren in Anbetracht der Verwendung einer falschen Identität gemäß dem AVG wiederaufgenommen und erfolgte eine Abweisung des Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels. Dieser Bescheid wurde mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes XXXX vom 25.01.2018 zu GZ XXXX aufgehoben, wobei im Wesentlichen begründet wurde, die falschen Angaben zur Identität seien insoweit nicht als wesentlich zu qualifizieren gewesen, als der Beschwerdeführer den begehrten Aufenthaltstitel auch unter Angabe seiner richtigen Identität ausgestellt erhalten hätte und der „Erschleichungstatbestand“ daher nicht erfüllt sei. Dieses Erkenntnis wurde seitens des Verwaltungsgerichtshofs mit Erkenntnis vom 09.08.2018, Ra XXXX , wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben, wobei (unter anderem) auf den Kausalzusammenhang zwischen den eingangs getätigten unrichtigen Angaben des Einschreiters und der darauffolgend erfolgten Erteilung des begehrten Aufenthaltstitels hingewiesen wurde. Mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom 28.02.2019, GZ XXXX , wurde in der Folge unter Berücksichtigung des höchstgerichtlichen Erkenntnisses die Beschwerde als unbegründet abgewiesen und der Bescheid vom 18.08.2016 mit der Maßgabe bestätigt, dass sich die ausgesprochene Wiederaufnahme des Verfahrens auch auf die Herbeiführung des Bescheides durch eine gerichtlich strafbare Handlung gründet. Diese Entscheidung erwuchs mit 04.03.2019 in Rechtskraft.

16.      Mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom 11.04.2019, GZ XXXX , wurde nach Einbringen einer Säumnisbeschwerde der Antrag des Beschwerdeführers auf Erteilung des Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot-Karte plus“ abgewiesen.

17.      Die belangte Behörde teilte dem Beschwerdeführer mit Schreiben vom 02.05.2019 mit, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung beabsichtigt sei, wobei sie ihm eine Frist von zwei Wochen ab Zustellung zur Abgabe einer Stellungnahme einräumte. Eine solche langte jedoch nicht ein.

18.      Mit Schreiben vom 11.05.2020 wurde der Beschwerdeführer seitens des BFA neuerlich hinsichtlich einer beabsichtigten Erlassung einer Rückkehrentscheidung verständigt und ihm eine 14-tägige Stellungnahmefrist ab Zustellung gewährt. Eine solche langte seitens des Rechtsvertreters des Beschwerdeführers mit 14.10.2020 per E-Mail ein, zudem wurde mit E-Mail vom 19.11.2020 ein Zeugnis zur Integrationsprüfung auf dem Sprachniveau B1 in Vorlage gebracht.

19.      Mit E-Mail vom 15.02.2021 ersuchte der Beschwerdeführer um baldigen Abschluss des Verfahrens.

20.      Mit gegenständlichen Bescheid der belangten Behörde vom 12.04.2021, Zl XXXX , wurde dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt I.), gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt II.), festgestellt, dass seine Abschiebung nach Nigeria zulässig ist (Spruchpunkt III.) und ihm eine Frist für eine freiwillige Ausreise von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung gewährt (Spruchpunkt IV.).

21.      Dagegen erhob der Beschwerdeführer durch seinen Rechtsvertreter Beschwerde, welche er im Wesentlichen mit seiner langjährigen Aufenthaltsdauer in Österreich und seiner Integration begründete, wobei er auch auf eine COVID-19-bedingte Verschlechterung der Wirtschaftslage in Nigeria Bezug nahm.

22.      Mit Schriftsatz vom 25.05.2021, beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt am 28.05.2021, legte die belangte Behörde dem Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde samt Verwaltungsakt vor.

23.      Am 21.06.2021 langte die Vollmachtsbekanntgabe von RA Dr WELD als weitere Rechtsvertreterin des Beschwerdeführers ein, zudem wurden Urkunden in Vorlage gebracht.

24.      Am 28.06.2021 wurde vor dem Bundesverwaltungsgericht, Außenstelle Innsbruck, eine mündliche Beschwerdeverhandlung in Anwesenheit des Beschwerdeführers und eines Dolmetschers für die englische Sprache abgehalten. Seine Rechtsvertreterin sowie ein Vertreter der belangten Behörde sind nicht erschienen. Der Beschwerdeführer bekundete, trotz Abwesenheit seiner Rechtsanwältin mit der Durchführung der mündlichen Verhandlung einverstanden zu sein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.       Feststellungen:

Zunächst wird der unter Punkt I. dargestellte Verfahrensgang festgestellt. Darüber hinaus werden folgende Feststellungen getroffen:

1.1.    Zur Person des Beschwerdeführers

Der am 02.08.1979 geborene, kinderlose Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Nigeria, christlichen Glaubens und der Volksgruppe der Ibo zugehörig. Seine Identität steht fest.

Er ist gesund und fällt nicht unter die Risikogruppe gemäß der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz über die Definition der allgemeinen COVID-19-Risikogruppe (COVID-19-Risikogruppe-Verordnung), BGBl. II Nr. 203/2020. Seine Arbeitsfähigkeit ist gegeben.

Seit Oktober 2000 ist der Beschwerdeführer im Bundesgebiet aufhältig, seit dem 16.01.2001 abgesehen vom Zeitraum 27.05.2004 bis 07.06.2004 auch durchgehend melderechtlich erfasst.

Der aus Anambra-State stammende Beschwerdeführer besuchte in Nigeria sechs Jahre lang die Grundschule, anschließend drei Jahre eine Mittelschule, welche er jedoch nicht zum Abschluss brachte. Anschließend führte er kaufmännische Studien durch.

Vom 23.04.2005 bis 30.04.2005 war er im Bundesgebiet als Angestellter, vom 31.07.2014 bis 08.08.2014 als geringfügig beschäftigter Arbeiter tätig, davon abgesehen ging er während seiner über zwanzigjährigen Aufenthaltsdauer keiner legalen sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit in Österreich nach. Er bezieht nach wie vor Leistungen aus der Grundversorgung, daneben verkauft er seit Juli 2019 die Straßenzeitung „Augustin“ und generiert dadurch monatliche Einkünfte in Höhe von EUR 600,-- bis EUR 700,--. Zudem erhält er monatlich zwischen EUR 300,-- und EUR 400,-- aufgrund seiner Tätigkeit als Bibel-Lehrer. Es liegt ein aufschiebend bedingter Dienstvertrag der Firma XXXX mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 20 Stunden vor.

Im Jahr 2015 heiratete er in Nigeria eine nigerianische Staatsangehörige, seit über zwei Jahren besteht jedoch kein Kontakt mehr zur Ehegattin. Aktuell führt der Beschwerdeführer keine Beziehung. Er verfügt über keine familiären Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet, ein entsprechender Freundes- und Bekanntenkreis ist gegeben.

Ein Onkel des Beschwerdeführers ist in Nigeria aufhältig, dem der Beschwerdeführer jedoch nicht nahesteht. Ob noch andere Familienmitglieder des Beschwerdeführers in Nigeria leben, konnte nicht festgestellt werden. Zuletzt war der Beschwerdeführer im Jahr 2015 für die Dauer von vier bis fünf Wochen in Nigeria aufhältig.

Der Beschwerdeführer spricht Deutsch auf dem Sprachniveau B1. Im Zeitraum Sommer 2004 bis zumindest Winter 2007/2008 besuchte er in Wien ein Abendgymnasium, brachte dieses jedoch nicht zum Abschluss. Auch ein begonnenes Studium an der IU absolvierte er nicht positiv. Neben seiner Tätigkeit als Bibel-Lehrer predigt der Beschwerdeführer auch, zudem ist er Obmann des christlichen Missionsvereins „Internationaler Christlicher Verein XXXX “ (Vertretungsbefugnis 21.02.2017 bis 20.02.2021). Insgesamt haben sich keine maßgeblichen Anhaltspunkte für die Annahme einer hinreichenden Integration des Beschwerdeführers in Österreich in sprachlicher, beruflicher und gesellschaftlicher Hinsicht ergeben.

Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 24.09.2014 zu XXXX wurde der Beschwerdeführer für schuldig befunden, im Zeitraum vom 04.10.2011 bis 14.05.2014 in Wien mit dem Vorsatz, dass es im verwaltungsbehördlichen Verfahren, nämlich im Asylverfahren, gebraucht wird, eine inhaltlich falsche Urkunde, somit ein falsches Beweismittel hergestellt zu haben, und zwar einen mit falschem Namen und Daten „ XXXX , geb. XXXX in Uganda“ unterfertigten Antrag auf Ausstellung des Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot-Karte“ und dieses dann auch im Verfahren gebraucht zu haben, indem er den Antrag zwecks Ausstellung der „Rot-Weiß-Rot“ Karte an die Asylbehörde vorlegte. Er hat hierdurch das Vergehen der Fälschung eines Beweismittels nach § 293 Abs 1 und 2 StGB begangen, weswegen er zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von drei Monaten verurteilt wurde, welche zur Gänze unter Setzung einer dreijährigen Probezeit bedingt nachgesehen wurde. Mildernd berücksichtigte das Gericht dabei den bisher ordentlichen Lebenswandel und das reumütige Geständnis, erschwerend wurde nichts in Anschlag gebracht.

Seine rechtskräftige Verurteilung wegen eines Suchtmitteldeliktes vom 30.07.2001, aufgrund von dem der Beschwerdeführer zu einer 24-monatigen Freiheitsstrafe verurteilt worden war, wobei ein Strafteil von sechzehn Monaten unter Setzung einer dreijährigen Probezeit bedingt nachgesehen wurde, hat bereits ihre Tilgung erfahren.

1.2.    Zum bisherigen Verfahren

Der Beschwerdeführer stellte am 09.10.2000 unter der Identität XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Uganda, einen Antrag auf internationalen Schutz. Dieser wurde mit Bescheid des [damals] Bundesasylamtes vom 09.11.2000, Zl XXXX , abgewiesen. Die dagegen erhobene Berufung erfuhr seitens des [damals] Unabhängigen Bundesasylsenates mittels Bescheid vom 19.01.2001, Zl XXXX , ihre Abweisung. Unter einem wurde zugleich die Zurückweisung, Zurückschieben oder Abschiebung des Beschwerdeführers festgestellt. Diese Entscheidung erwuchs am 23.01.2001 in Rechtskraft.

Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 11.04.2001, Zl XXXX , wurde die erstmalige Ausweisung des Beschwerdeführers aus dem Bundesgebiet verfügt. Eine Ausweisung nach Uganda scheiterte jedoch an der Ausstellung eines Heimreisezertifikates, da der Beschwerdeführer im geführten Gespräch mit dem Generalkonsulat der Republik Uganda nicht hinreichend beweisen konnte, Staatsbürger von Uganda zu sein, über keinerlei Dokumente der Republik Uganda verfügte und sich nicht in der Lage sah, entsprechende Dokumente aus seiner angeblichen Heimat durch Verwandte oder Bekannte dem Generalkonsulat zugänglich bzw. eine Person seines Vertrauens in Uganda namhaft zu machen, welche seine Behauptungen bestätigen könnte.

Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 16.08.2001, Zl XXXX , wurde aufgrund einer strafgerichtlichen Verurteilung durch den [damals] Jugendgerichtshof Wien vom 30.07.2001 zu XXXX in Zusammenhang mit Suchtgiftdelinquenz (Freiheitsstrafe in der Dauer von 24 Monaten, wobei 16 Monate unter Setzung einer dreijährigen Probezeit bedingt nachgesehen wurden) gegen den Beschwerdeführer ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen.

Der Berufung gegen den Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 11.04.2001, Zl XXXX , wurde mit Bescheid der Sicherheitsdirektion Wien vom 16.11.2001, Zl XXXX , Folge gegeben und der angefochtene Bescheid in Anbetracht des Umstandes, dass gegen den Beschwerdeführer mit 16.08.2001 ein rechtskräftiges und durchsetzbares unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen wurde, behoben.

Vom 14.10.2005 bis 02.12.2005 befand sich der Beschwerdeführer in Schubhaft.

Am 01.12.2005 stellte er neuerlich einen Asylantrag, welcher schließlich mit Bescheid des [damals] Unabhängigen Bundesasylsenats vom 19.04.2006 in zweiter Instanz rechtskräftig zurückgewiesen wurde. Eine dagegen erhobene Beschwerde wurde seitens des Verwaltungsgerichtshofes mit Beschluss vom 22.09.2008 abgewiesen.

Mit 27.10.2005 stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke der Ausbildung, welcher aufgrund des seit 01.01.2006 gültigen NAG als Niederlassungsbewilligung „Schüler“ gewertet und mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 23.10.2006, Zl XXXX , ob seines aufrecht bestehenden Aufenthaltsverbots abgewiesen wurde.

Neuerlich stellte der Beschwerdeführer mit 14.08.2008 einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels für den Zweck „Schüler“. Dieser wurde mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien, MA 35, vom 19.08.2008, Zl XXXX , mangels persönlicher Antragsstellung vor der Behörde zurückgewiesen. Eine dagegen erhobene Berufung erfuhr mit Bescheid des Bundesministeriums für Inneres vom 28.10.2008 zu GZ XXXX ihre Abweisung.

Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 19.11.2008, Zl XXXX , wurde der Beschwerdeführer ausgewiesen. Einer dagegen erhobenen Berufung mittels Bescheid der Sicherheitsdirektion Wien vom 12.01.2009, Zl XXXX wurde keine Folge gegeben.

Von Amts wegen erfolgte mittels Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 16.11.2011, Zl XXXX , die Aufhebung des gegen den Beschwerdeführer erlassenen Aufenthaltsverbotes, den die Behörde mit einem Wegfall der Gründe, die zu seiner Erlassung geführt haben, begründete.

Am 04.10.2011 stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot-Karte plus“ unter der Identität XXXX , geb. XXXX , Staatsbürgerschaft Uganda und wurde ihm ein solcher mit Gültigkeit 02.05.2014 bis 02.05.2015 erteilt.

Am 14.05.2014 gab der Beschwerdeführer bekannt, dass sein tatsächlicher Name XXXX lautet, er am XXXX geboren wurde und er nigerianischer Staatsbürger ist. Dazu legte er auch einen nigerianischen Reisepass mit der Dokumentnummer XXXX , ausgestellt am 14.08.2010 von der Behörde Abuja HQRS, vor. Mit Bescheid vom 04.12.2014, Zl XXXX , wurde dem Beschwerdeführer der Aufenthaltstitel entzogen. Dieser Bescheid wurde mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom 25.09.2015, GZ XXXX , aufgehoben.

Am 09.04.2015 stellte der Beschwerdeführer einen Verlängerungsantrag auf Erteilung einer „Rot-Weiß-Rot-Karte plus“.

Mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 18.08.2016, Zl XXXX , wurde das Verfahren in Anbetracht der Verwendung einer falschen Identität gemäß dem AVG wiederaufgenommen und erfolgte eine Abweisung des Antrags vom 04.10.2011 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels. Dieser Bescheid wurde mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom 25.01.2018 zu GZ XXXX aufgehoben, wobei im Wesentlichen begründet wurde, die falschen Angaben zur Identität seien insoweit nicht als wesentlich zu qualifizieren gewesen, als dieser den begehrten Aufenthaltstitel auch unter Angabe seiner richtigen Identität ausgestellt erhalten hätte und der „Erschleichungstatbestand“ daher nicht erfüllt sei. Dieses Erkenntnis wurde seitens des Verwaltungsgerichtshofs mit Erkenntnis vom 09.08.2018, Ra 2018/22/0076, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben, wobei (unter anderem) auf den Kausalzusammenhang zwischen den eingangs getätigten unrichtigen Angaben des Einschreiters und der darauffolgend erfolgten Erteilung des begehrten Aufenthaltstitels hingewiesen wurde. Mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom 28.02.2019, GZ XXXX , wurde in der Folge unter Berücksichtigung des höchstgerichtlichen Erkenntnisses die Beschwerde als unbegründet abgewiesen und der Bescheid vom 18.08.2016 mit der Maßgabe bestätigt, dass sich die ausgesprochene Wiederaufnahme des Verfahrens auch auf die Herbeiführung des Bescheides durch eine gerichtlich strafbare Handlung gründet. Diese Entscheidung erwuchs mit 04.03.2019 in Rechtskraft.

Mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom 11.04.2019, GZ XXXX , wurde nach Einbringen einer Säumnisbeschwerde der Antrag des Beschwerdeführers auf Erteilung des Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot-Karte plus“ vom 09.04.2015 abgewiesen. Diese Entscheidung erwuchs mit 17.04.2019 in Rechtskraft.

Mit gegenständlichen Bescheid der belangten Behörde vom 12.04.2021, Zl XXXX , wurde dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt I.), gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt II.), festgestellt, dass seine Abschiebung nach Nigeria zulässig ist (Spruchpunkt III.) und ihm eine Frist für eine freiwillige Ausreise von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung gewährt (Spruchpunkt IV.).

1.3.    Zur individuellen Rückkehrsituation des Beschwerdeführers

Der Beschwerdeführer wird im Fall seiner Rückkehr nach Nigeria mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keiner wie auch immer gearteten existentiellen Bedrohung ausgesetzt sein.

Es existieren keine Umstände, welche einer Abschiebung aus dem Bundesgebiet der Republik Österreich entgegenstünden. Der Beschwerdeführer verfügt über keine sonstige Aufenthaltsberechtigung. Es spricht nichts dafür, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Nigeria eine Verletzung von Art 2, Art 3 oder auch der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention nach sich ziehen würde. Weder wird ihm seine Lebensgrundlage gänzlich entzogen, noch ist der Beschwerdeführer von willkürlicher Gewalt infolge eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts bedroht.

1.4.    Zur Lage in Nigeria

Die aktuelle Situation im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers stellt sich im Wesentlichen wie folgt dar:

1.4.1.  COVID-19

Letzte Änderung: 23.11.2020

Die COVID-19-Situation in Nigeria ist nach wie vor angespannt. Die veröffentlichten absoluten Zahlen an bisherigen Infizierten (rund 62.000) geben angesichts der geringen Durchtestung der 200-Millionen-Bevölkerung ein verzerrtes Bild. Aussagekräftiger ist der Anteil der positiven Fälle gemessen an der Zahl der durchgeführten Tests. Dieser lag im Oktober 2020 landesweit bei mehr als drei Prozent, in der Metropole Lagos hingegen bei etwa 30 Prozent. Die Zahlen berücksichtigen noch nicht die Auswirkung der #EndSARS-Proteste, bei denen von den Demonstrierenden praktisch keine Schutzvorkehrungen gegen COVID-19 getroffen worden sind. Ein Anstieg an positiven Fällen ist hauptsächlich in der Südwestzone des Landes zu beobachten. In einigen Bundesstaaten herrscht überhaupt Skepsis an der Notwendigkeit von COVID-19-Maßnahmen. Die allgemeine Risikowahrnehmung und die Nachfrage nach Tests sind gering (ÖB 10.2020).

In Nigeria gibt es wie in anderen afrikanischen Ländern relativ wenig belegte COVID-19 Infizierte. Dies kann auch damit zusammenhängen, dass vergleichsweise wenig Tests durchgeführt werden (Africa CDC 13.10.2020). Anfang September 2020 wurde die Phase 3 der Restriktionen im Zusammenhang mit der Coronakrise in Kraft gesetzt. Die Ausgangssperre gilt im ganzen Land nun von Mitternacht bis vier Uhr. Meetings bis zu maximal 50 Personen sind gestattet. In Lagos dürfen Restaurants, Klubs und Kirchen etc. unter bestimmten Auflagen öffnen (WKO 25.9.2020).

Seit 2020 ist die nigerianische Wirtschaft aufgrund des erneuten Verfalls des Rohölpreises sowie der massiven wirtschaftlichen Auswirkungen der COVID-19 Pandemie wieder geschwächt. Wie hoch der wirtschaftliche Schaden sein wird, ist bislang noch nicht abzuschätzen (GIZ 6.2020). Für 2020 wird aufgrund der wirtschaftlichen Auswirkungen der COVID-19 Pandemie auf Nigeria und der drastisch gesunkenen Erdölpreise mit einer Schrumpfung des nigerianischen BIP um 4,4 Prozent gerechnet. In der 2. Jahreshälfte 2020 ist jedoch ein Wiederanziehen der Konjunktur feststellbar und für 2021 wird ein Wachstum von 2,2 Prozent erwartet (WKO 14.9.2020).

Quellen:

?        Africa CDC - Africa Centres for Disease Control and Prevention (13.10.2020): Coronavirus Disease 2019 (COVID-19) - Latest updates on the COVID-19 crisis from Africa CDC, https://africacdc.org/covid-19/, Zugriff 13.10.2020

?        GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (6.2020): Wirtschaft & Entwicklung, https://www.liportal.de/nigeria/wirtschaft-entwicklung/, Zugriff 5.10.2020

?        ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2020): Asylländerbericht Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2021612/NIGR_%C3%96B_Bericht_2019_10.pdf, Zugriff 18.11.2020

?        WKO - Wirtschaftskammer Österreich (25.9.2020): Coronavirus: Situation in Nigeria - Aktuelle Informationen und Info-Updates, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/coronavirus-info-nigeria.html, Zugriff 13.10.2020

?        WKO - Wirtschaftskammer Österreich (14.9.2020): Die nigerianische Wirtschaft, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/die-nigerianische-wirtschaft.html, Zugriff 13.10.2020

1.4.2.  Politische Lage

Letzte Änderung: 17.11.2020

Nigeria ist in 36 Bundesstaaten (ÖB 10.2019; vgl. AA 16.1.2020; GIZ 9.2020a) mit insgesamt 774 LGAs/Bezirken unterteilt (GIZ 9.2020a; vgl. AA 16.1.2020). Jeder der 36 Bundesstaaten wird von einer Regierung unter der Leitung eines direkt gewählten Gouverneurs (State Governor) und eines Landesparlamentes (State House of Assembly) geführt (GIZ 9.2020a; vgl. AA 16.1.2020). Polizei und Justiz werden vom Bund kontrolliert (AA 16.1.2020).

Nigeria ist eine Bundesrepublik mit einem starken exekutiven Präsidenten (Präsidialsystem nach US-Vorbild) (AA 24.5.2019a). Nigeria verfügt über ein Mehrparteiensystem. Die am System der USA orientierte Verfassung enthält alle Attribute eines demokratischen Rechtsstaates (inkl. Grundrechtskatalog, Gewaltenteilung). Dem starken Präsidenten – zugleich Oberbefehlshaber der Streitkräfte – und dem Vizepräsidenten stehen ein aus Senat und Repräsentantenhaus bestehendes Parlament und eine unabhängige Justiz gegenüber. Die Verfassungswirklichkeit wird von der Exekutive in Gestalt des direkt gewählten Präsidenten und von den direkt gewählten Gouverneuren dominiert. Der Kampf um politische Ämter wird mit großer Intensität, häufig auch mit undemokratischen, gewaltsamen Mitteln geführt. Die Justiz ist der Einflussnahme von Exekutive und Legislative sowie einzelner politischer Führungspersonen ausgesetzt (AA 16.1.2020).

Die Parteienzugehörigkeit orientiert sich meist an Führungspersonen, ethnischer Zugehörigkeit und vor allem strategischen Gesichtspunkten. Parteien werden primär als Zweckbündnisse zur Erlangung von Macht angesehen. Politische Führungskräfte wechseln die Partei, wenn sie andernorts bessere Erfolgschancen sehen. Entsprechend repräsentiert keine der Parteien eine eindeutige politische Richtung (AA 16.1.2020). Gewählte Amtsträger setzen im Allgemeinen ihre Politik um. Ihre Fähigkeit, dies zu tun, wird jedoch durch Faktoren wie Korruption, parteipolitische Konflikte, schlechte Kontrolle über Gebiete, in denen militante Gruppen aktiv sind, und die nicht offengelegten Gesundheitsprobleme des Präsidenten beeinträchtigt (FH 4.3.2020).

Bei den Präsidentschaftswahlen am 23.2.2019 wurde Amtsinhaber Muhammadu Buhari im Amt bestätigt (GIZ 9.2020a). Er erhielt 15,1 Millionen Stimmen und siegte in 19 Bundesstaaten, vor allem im Norden und Südwesten des Landes. Sein Herausforderer, Atiku Abubakar, erhielt 11,3 Millionen Stimmen und gewann in 17 Bundesstaaten im Südosten, im Middle-Belt sowie in der Hauptstadt Abuja (GIZ 9.2020a; vgl. BBC 26.2.2019). Die Wahlbeteiligung lag mit 36 Prozent deutlich niedriger als 2015. Überschattet wurden die Wahlen von gewaltsamen Zwischenfällen mit mindestens 53 Toten. Wahlbeobachter und Vertreter der Zivilgesellschaft kritisierten außerdem Organisationsmängel bei der Durchführung der Wahlen, die Einschüchterung von Wählern sowie die Zerstörung von Wahlunterlagen an einigen Orten des Landes. Die Opposition sprach von Wahlmanipulation. Abubakar focht das Ergebnis vor dem Obersten Gerichtshof aufgrund von Unregelmäßigkeiten an (GIZ 9.2020a).

Die Nationalversammlung besteht aus zwei Kammern: Senat mit 109 Mitgliedern und Repräsentantenhaus mit 360 Mitgliedern (AA 24.5.2019b). Aus den letzten Wahlen zur Nationalversammlung im Februar 2019 ging die Regierungspartei „All Progressives‘ Congress“ (APC) siegreich hervor. Sie konnte ihre Mehrheit in beiden Kammern der Nationalversammlung vergrößern. Die größte Oppositionspartei, die „People’s Democratic Party“ (PDP) hatte von 1999-2015 durchgehend den Präsidenten gestellt. 2015 musste sie zum ersten Mal in die Opposition und ist durch Streitigkeiten um die Parteiführung seitdem geschwächt (AA 16.1.2020).

Auf subnationaler Ebene regiert die APC in 20 der 36 Bundesstaaten (AA 16.1.2020). Am 9.3.2019 wurden Wahlen für Regionalparlamente und Gouverneure in 29 Bundesstaaten durchgeführt. In den restlichen sieben Bundesstaaten hatten die Gouverneurswahlen bereits in den Monaten zuvor stattgefunden. Auch hier kam es zu Unregelmäßigkeiten und gewaltsamen Ausschreitungen (GIZ 9.2020a). Kandidaten der APC von Präsident Buhari konnten 17 Gouverneursposten gewinnen, jene der oppositionellen PDP 14 (Stears 9.4.2020). Regionalwahlen haben großen Einfluss auf die nigerianische Politik, da die Gouverneure die Finanzen der Teilstaaten kontrollieren und für Schlüsselsektoren wie Gesundheit und Bildung verantwortlich sind (DW 11.3.2019).

Neben der modernen Staatsgewalt haben auch die traditionellen Führer immer noch einen nicht zu unterschätzenden, wenn auch weitgehend informellen Einfluss. Sie gelten als Kommunikationszentrum und moralische Instanz und können wichtige Vermittler in kommunalen und in religiös gefärbten Konflikten sein. Dieser Einfluss wird von der jüngeren Generation aber zunehmend in Frage gestellt (AA 24.5.2019a).

Quellen:

?        AA - Auswärtiges Amt (16.1.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2019)

?        AA - Auswärtiges Amt (24.5.2019a): Nigeria - Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/-/205844, Zugriff 30.9.2020

?        AA - Auswärtiges Amt (24.5.2019b): Nigeria - Überblick, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/nigeria/205786, Zugriff 30.9.2020

?        BBC News (26.2.2019): Nigeria Presidential Elections Results 2019, https://www.bbc.co.uk/news/resources/idt-f0b25208-4a1d-4068-a204-940cbe88d1d3, Zugriff 12.4.2019

?        DW - Deutsche Welle (11.3.2019): EU: Nigerian state elections marred by 'systemic failings', https://www.dw.com/en/eu-nigerian-state-elections-marred-by-systemic-failings/a-47858131, Zugriff 9.4.2020

?        FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2019 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2035799.html, Zugriff 30.9.2020

?        GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (9.2020a): Nigeria - Geschichte und Staat, http://liportal.giz.de/nigeria/geschichte-staat.html, Zugriff 30.9.2020

?        ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2019): Asylländerbericht Nigeria

?        Stears News (9.4.2020): Governorship Election Results, https://nigeriaelections.stearsng.com/governor/2019, Zugriff 9.4.2020

1.4.3   Sicherheitslage

Letzte Änderung: 23.11.2020

Es gibt in Nigeria keine klassischen Bürgerkriegsgebiete oder -parteien (AA 16.1.2020). Im Wesentlichen lassen sich mehrere Konfliktherde unterscheiden: Jener von Boko Haram im Nordosten; jener zwischen Hirten und Bauern im Middle-Belt (AA 16.1.2020; vgl. FH 4.3.2020); sowie Spannungen im Nigerdelta (AA 16.1.2020; vgl. EASO 11.2018a) und Gewalt im Bundesstaat Zamfara (EASO 11.2018a; vgl. Garda 23.6.2020). Außerdem gibt es im Südosten zwischen der Regierung und Igbo-Gruppen, die für ein unabhängiges Biafra eintreten (EASO 11.2018a; vgl. AA 16.1.2020), sowie zwischen Armee und dem Islamic Movement in Nigeria (IMN) Spannungen (EASO 11.2018a) bzw. kommt es seit Jänner 2018 zu regelmäßigen Protesten des IMN in Abuja und anderen Städten, die das Potential haben, in Gewalt zu münden (UKFCDO 26.9.2020). Beim Konflikt im Nordosten handelt es sich um eine grenzüberschreitende jihadistische Insurgenz. Im „Middlebelt“ kommt es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen um knapper werdende Ressourcen zwischen Hirten und Bauern. Bei den Auseinandersetzungen im Nigerdelta geht es sowohl um Konflikte zwischen regionalen militanten Gruppen einerseits und der Staatsgewalt andererseits, als auch um Rivalitäten zwischen unterschiedlichen lokalen Gemeinschaften. Im Südosten handelt es sich (noch) um vergleichsweise beschränkte Konflikte zwischen einzelnen sezessionistischen Bewegungen und der Staatsgewalt. Die Lage im Südosten des Landes („Biafra“) bleibt jedoch latent konfliktanfällig. Die separatistische Gruppe Indigenous People of Biafra (IPOB) ist allerdings derzeit in Nigeria nicht sehr aktiv (AA 16.1.2020).

Die Kriminalitätsrate in Nigeria ist sehr hoch, die allgemeine Sicherheitslage hat sich in den vergangenen Jahren laufend verschlechtert. In Nigeria können in allen Regionen unvorhersehbare lokale Konflikte aufbrechen. Ursachen und Anlässe der Konflikte sind meist politischer, wirtschaftlicher, religiöser oder ethnischer Art. Insbesondere die Bundesstaaten Zamfara, westl. Taraba und der östl. Teil von Nassarawa, das nördliche Sokoto und die Bundesstaaten Plateau, Kaduna, Benue, Niger und Kebbi sind derzeit von bewaffneten Auseinandersetzungen bzw. innerethnischen Konflikten betroffen. Weiterhin bestimmen immer wieder gewalttätige Konflikte zwischen nomadisierenden Viehzüchtern und sesshaften Farmern sowie gut organisierten Banden die Sicherheitslage. Demonstrationen und Proteste sind insbesondere in Abuja und Lagos, aber auch anderen großen Städten möglich und können zu gewalttätigen Auseinandersetzungen führen. Im Juli/August 2019 forderten diese in Abuja auch wiederholt Todesopfer (AA 8.10.2020).

Anfang Oktober 2020 führte eine massive Protestwelle zur Auflösung der Spezialeinheit SARS am 11.10.2020 (Guardian 11.10.2020). Die Einheit wurde in SWAT (Special Weapons and Tactics Team) umbenannt und seine Beamten sollen einer zusätzlichen Ausbildung unterzogen werden. Die Protestwelle hielt jedoch an (DS 16.10.2020). Mit Stand 26.10.2020 war das Ausmaß der Ausschreitungen stark angestiegen. Es kam zu Gewalt und Plünderungen sowie zur Zerstörung von Geschäften und Einkaufszentren. Dabei waren bis zu diesem Zeitpunkt 69 Menschen ums Leben gekommen - hauptsächlich Zivilisten, aber auch Polizeibeamte und Soldaten (BBC News 26.10.2020).

In den nordöstlichen Landesteilen werden fortlaufend terroristische Gewaltakte, wie Angriffe und Sprengstoffanschläge von militanten Gruppen auf Sicherheitskräfte, Märkte, Schulen, Kirchen und Moscheen verübt (AA 8.10.2020).

In der Zeitspanne September 2019 bis September 2020 stechen folgende nigerianische Bundesstaaten mit einer hohen Anzahl an Toten durch Gewaltakte besonders hervor: Borno (3.085), Kaduna (894), Zamfara (858), und Katsina (644). Folgende Bundesstaaten stechen mit einer niedrigen Zahl hervor: Gombe (3), Kebbi (4), Kano (6), Jigawa (15) (CFR 2020).

Quellen:

?        AA - Auswärtiges Amt (16.1.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2025287/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Bundesrepublik_Nigeria_%28Stand_September_2019%29%2C_16.01.2020.pdf, Zugriff 18.11.2020

?        AA - Auswärtiges Amt (16.4.2020): Nigeria: Reise- und Sicherheitshinweise

?        (Teilreisewarnung), https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/nigeriasicherheit/205788#content_5, 16.4.2020

?        BBC News (26.10.2020): Nigeria protests: Police chief deploys 'all resources' amid street violence, https://www.bbc.com/news/world-africa-54678345, Zugriff 28.10.2020

?        CFR - Council on Foreign Relations (2020): Nigeria Security Tracker, https://www.cfr.org/nigeria/nigeria-security-tracker/p29483, Zugriff 8.10.2020

?        DS - Der Standard (16.10.2020): Berüchtigte "Sars"-Polizeieinheit in Nigeria nach Protesten abgeschafft, https://www.derstandard.at/story/2000120951836/beruechtigte-sars-polizeieinheit-in-nigeria-nach-protesten-abgeschafft, Zugriff 28.10.2020

?        EASO - European Asylum Support Office (11.2018a): Country of Origin Information Report - Nigeria - Security Situation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2001366/2018_EASO_COI_Nigeria_SecuritySituation.pdf, Zugriff 16.4.2020

?        FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2019 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2035799.html, Zugriff 30.9.2020

?        Garda - Gardaworld (23.6.2020): Nigeria: Gunmen attack village in Zamfara State on June 20, https://www.garda.com/crisis24/news-alerts/353501/nigeria-gunmen-attack-village-in-zamfara-state-on-june-20, Zugriff 8.10.2020 (siehe "context")

?        Guardian, The (11.10.2020): Nigeria to disband Sars police unit accused of killings and brutality, https://www.theguardian.com/world/2020/oct/11/nigeria-to-disband-sars-police-unit-accused-of-killings-and-brutality, Zugriff 28.10.2020

?        UKFCDO - United Kingdom Foreign, Commonwealth & Development Office (26.9.2020): Foreign travel advice - Nigeria, https://www.gov.uk/foreign-travel-advice/nigeria, Zugriff 8.10.2020

1.4.4. Rechtsschutz / Justizwesen

Letzte Änderung: 17.11.2020

Die Verfassung unterscheidet zwischen Bundesgerichten, Gerichten des Hauptstadtbezirks sowie Gerichten der 36 Bundesstaaten (AA 16.1.2020; ÖB 10.2019). Letztere haben die Befugnis, per Gesetz erstinstanzliche Gerichte einzusetzen (AA 16.1.2020). Daneben bestehen noch für jede der 774 LGAs eigene Bezirksgerichte (District Courts) (ÖB 10.2019). Bundesgerichte, die nur staatlich kodifiziertes Recht anwenden, sind der Federal High Court (Gesetzgebungsmaterie des Bundes, Steuer-, Körperschafts- und auch Verwaltungssachen), der Court of Appeal (Berufungssachen u.a. der State Court of Appeal und der State Sharia and Customary Court of Appeal) sowie der Supreme Court (Revisionssachen, Organklagen) (AA 16.1.2020). Für Militärangehörige gibt es eigene Militärgerichte (USDOS 11.3.2020).

Mit Einführung der erweiterten Scharia-Gesetzgebung in neun nördlichen Bundesstaaten sowie den überwiegend muslimischen Teilen dreier weiterer Bundesstaaten 2000/2001 haben die staatlichen Schariagerichte strafrechtliche Befugnisse erhalten, während sie zuvor auf das islamische Personenstandsrecht beschränkt waren (AA 16.1.2020). Laut Bundesverfassung wird die Verfassung und Zuständigkeit der Gerichte seit 1999 betreffend das anzuwendende Rechtssystem („Common Law“ oder „Customary Law“) durch Gesetze der Gliedstaaten festgestellt. Einzelne Bundesstaaten haben „Scharia-Gerichte“ neben „Common Law“- und „Customary Courts“ geschaffen. Mehrere Bundesstaaten, einschließlich die gemischt-konfessionellen Bundesstaaten Benue und Plateau, haben auch Scharia-Berufungsgerichte eingerichtet (ÖB 10.2019).

Die Verfassung sieht Gewaltenteilung und die Unabhängigkeit der Justiz vor (AA 16.1.2020; vgl. FH 4.3.2020; ÖB 10.2019; USDOS 11.3.2020). In der Realität ist die Justiz allerdings der Einflussnahme von Exekutive und Legislative sowie einzelner politischer Führungspersonen ausgesetzt (AA 16.1.2020; vgl. USDOS 11.3.2020; FH 4.3.2020). Vor allem auf Bundesstaats- und Bezirksebene (LGA) versuchen Politiker die Justiz zu beeinflussen (USDOS 11.3.2020). Die drei einander mitunter widersprechenden Rechtssysteme (ÖB 10.2019; vgl. BS 2020) sowie die insgesamt zu geringe personelle und finanzielle Ausstattung sowie mangelnde Ausbildung behindern die Funktionsfähigkeit des Justizapparats und machen ihn chronisch korruptionsanfällig (AA 16.1.2020; vgl. FH 4.3.2020; USDOS 11.3.2020; ÖB 10.2019; BS 2020). Trotz allem hat die Justiz in der Praxis ein gewisses Maß an Unabhängigkeit und Professionalität erreicht (FH 4.3.2020).

Eine willkürliche Strafverfolgung bzw. Strafzumessungspraxis durch Polizei und Justiz, die nach Rasse, Nationalität o. ä. diskriminiert, ist nicht erkennbar. Das bestehende System benachteiligt jedoch tendenziell Ungebildete und Arme, die sich weder von Beschuldigungen freikaufen noch eine Freilassung auf Kaution erwirken oder sich einen Rechtsbeistand leisten können. Zudem ist vielen eine angemessene Wahrung ihrer Rechte aufgrund von fehlenden Kenntnissen selbst elementarster Grund- und Verfahrensrechte nicht möglich (AA 16.1.2020). Gesetzlich vorgesehen sind prozessuale Rechte wie die Unschuldsvermutung, zeitnahe Information über die Anklagepunkte, das Recht auf ein faires und öffentliches Verfahren, das Recht auf einen Anwalt, das Recht auf ausreichende Zeit zur Vorbereitung der Verteidigung, nicht gezwungen werden auszusagen oder sich schuldig zu bekennen, Zeugen zu befragen und das Recht auf Berufung. Diese Rechte werden jedoch nicht immer gewährleistet (USDOS 11.3.2020). Auch der gesetzlich garantierte Zugang zu einem Rechtsbeistand oder zu Familienangehörigen wird nicht immer ermöglicht (AA 16.1.2020).

Der Zugang zu staatlicher Prozesskostenhilfe ist in Nigeria beschränkt: Das Institut der Pflichtverteidigung wurde erst vor kurzem in einigen Bundesstaaten eingeführt. Lediglich in den Landeshauptstädten existieren NGOs, die sich zum Teil mit staatlicher Förderung der rechtlichen Beratung von Beschuldigten bzw. Angeklagten annehmen. Gerade in den ländlichen Gebieten gibt es jedoch zahlreiche Verfahren, bei denen Beschuldigte und Angeklagte ohne rechtlichen Beistand mangels Kenntnis ihrer Rechte schutzlos bleiben (AA 16.1.2020). Das Recht auf ein zügiges Verfahren wird zwar von der Verfassung garantiert, ist jedoch kaum gewährleistet. Dauerinhaftierungen ohne Anklage oder Urteil, die sich teils über mehrere Jahre hinziehen, sind weit verbreitet (AA 16.1.2020; vgl. USDOS 11.3.2020). Entgegen gesetzlicher Vorgaben ist die Untersuchungshaft nicht selten länger als die maximal zu erwartende gesetzliche Höchststrafe des jeweils in Frage stehenden Delikts. Außerdem bleiben zahlreiche Häftlinge auch nach Verbüßung ihrer Freiheitsstrafen in Haft, weil ihre Vollzugsakten unauffindbar sind (AA 16.1.2020).

Im Allgemeinen hat der nigerianische Staat Schritte unternommen, um ein Strafverfolgungssystem zu etablieren und zu betreiben, im Rahmen dessen Angriffe von nicht-staatlichen Akteuren bestraft werden. Er beweist damit in einem bestimmten Rahmen eine Schutzwilligkeit und -fähigkeit, die Effektivität ist aber durch einige signifikante Schwächen eingeschränkt. Effektiver Schutz ist in jenen Gebieten, wo es bewaffnete Konflikte gibt (u.a. Teile Nordostnigerias, des Middle Belt und des Nigerdeltas) teils nicht verfügbar. Dort ist auch für Frauen, Angehörige sexueller Minderheiten und Nicht-Indigene der Zugang zu Schutz teilweise eingeschränkt (UKHO 3.2019).

Quellen:

?        AA - Auswärtiges Amt (16.1.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2019)

?        BS - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 - Nigeria Country Report, https://www.ecoi.net/en/file/local/2029575/country_report_2020_NGA.pdf, Zugriff 18.5.2020

?        FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2019 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2035799.html, Zugriff 30.9.2020

?        ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2019): Asylländerbericht Nigeria

?        UKHO - United Kingdom Home Office (3.2019): Country Policy and Information Note - Nigeria: Actors of protection, https://assets.publishing.service.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/794316/CPIN_-_NGA_-_Actors_of_Protection.final_v.1.G.PDF, Zugriff 29.4.2020

?        USDOS - U.S. Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026341.html, Zugriff 9.4.202

1.4.5.  Sicherheitsbehörden

Letzte Änderung: 15.06.2020

Die allgemeinen Polizei- und Ordnungsaufgaben obliegen der rund 360.000 Mann starken (Bundes-) Polizei (National Police Force - NPF), die dem Generalinspekteur der Polizei in Abuja untersteht (AA 16.1.2020). Obwohl in absoluten Zahlen eine der größten Polizeitruppen der Welt, liegt die Rate von Polizeibeamten zur Bevölkerungszahl unter der von der UN empfohlenen Zahl (UKHO 3.2019). Die nigerianische Polizei ist zusammen mit anderen Bundesorganisationen die wichtigste Strafverfolgungsbehörde. Das Department of State Service (DSS), das via nationalem Sicherheitsberater dem Präsidenten unterstellt ist, ist ebenfalls für die innere Sicherheit zuständig. Die nigerianischen Streitkräfte, die dem Verteidigungsministerium unterstehen, sind für die äußere Sicherheit zuständig, haben aber auch einige Zuständigkeiten im Bereich der inneren Sicherheit (USDOS 11.3.2020). Etwa 100.000 Polizisten sollen bei Personen des öffentlichen Lebens und einflussreichen Privatpersonen als Sicherheitskräfte tätig sein (AA 16.1.2020). Alle Sicherheitsorgane (Militär, Staatsschutz sowie paramilitärische Einheiten, die so genannten Rapid Response Squads) werden neben der Polizei auch im Innern eingesetzt (AA 16.1.2020). Die National Drug Law Enforcement Agency (NDLEA) ist für alle Straftaten in Zusammenhang mit Drogen zuständig (ÖB 10.2019).

Der NDLEA wird im Vergleich zu anderen Behörden mit polizeilichen Befugnissen eine gewisse Professionalität attestiert. In den Zuständigkeitsbereich dieser Behörde fällt Dekret 33, welches ein zusätzliches Verfahren für im Ausland bereits wegen Drogendelikten verurteilte nigerianische Staatsbürger vorsieht. Dagegen zeichnen sich die NPF und die Mobile Police (MOPOL) durch geringe Professionalität, mangelnde Disziplin, häufige Willkür und geringen Diensteifer aus (ÖB 10.2019). Die Polizei ist durch niedrige Besoldung sowie schlechte Ausrüstung, Ausbildung und Unterbringung gekennzeichnet. Die staatlichen Ordnungskräfte sind personell, technisch und finanziell nicht in der Lage, die Gewaltkriminalität umfassend zu kontrollieren bzw. einzudämmen. Zudem sind die Sicherheitskräfte teilweise selbst für die Kriminalität verantwortlich (AA 16.1.2020). Da die Polizei oft nicht in der Lage ist, durch gesellschaftliche Konflikte verursachte Gewalt zu unterbinden, verlässt sich die Regierung in vielen Fällen auf die Unterstützung durch die Armee (USDOS 11.3.2020).

Polizei, DSS und Militär sind zivilen Autoritäten unterstellt, sie operieren jedoch zeitweise außerhalb ziviler Kontrolle (USDOS 11.3.2020). Es gab allerdings kleinere Erfolge im Bereich der Reorganisation von Teilen des Militärs und der Polizei (BS 2020). Der Regierung fehlen wirksame Mechanismen und ausreichender politischer Wille, um die meisten Fälle von Missbrauch durch Sicherheitskräfte sowie Korruption in den Sicherheitskräften zu untersuchen und zu bestrafen (USDOS 11.3.2020).

Quellen:

?        AA - Auswärtiges Amt (16.1.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2019)

?        BS - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 - Nigeria Country Report, https://www.ecoi.net/en/file/local/2029575/country_report_2020_NGA.pdf, Zugriff 18.5.2020

?        ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2019): Asylländerbericht Nigeria

?        USDOS - U.S. Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026341.html, Zugriff 9.4.2020

1.4.6.  Allgemeine Menschenrechtslage

Letzte Änderung: 23.11.2020

Die am 29.5.1999 in Kraft getretene Verfassung Nigerias enthält einen umfassenden Grundrechtskatalog. Dieser ist zum Teil jedoch weitreichenden Einschränkungen unterworfen. Das in Art 33 der Verfassung gewährte Recht auf körperliche Unversehrtheit wird z.B. unter den Vorbehalt gestellt, dass die betroffene Person nicht bei der Anwendung legal ausgeübter staatlicher Gewalt zur „Unterdrückung von Aufruhr oder Meuterei“ ihr Leben verloren hat. In vielen Bereichen bleibt die Umsetzung der zahlreich eingegangenen menschenrechtlichen Verpflichtungen weiterhin deutlich hinter internationalen Standards zurück. Zudem wurden völkerrechtliche Verpflichtungen zum Teil nur lückenhaft in nationales Recht umgesetzt. Einige Bundesstaaten haben Vorbehalte gegen einige internationale Vereinbarungen geltend gemacht und verhindern regional eine Umsetzung. Selbst in Bundesstaaten, welche grundsätzlich eine Umsetzung befürworten, ist die Durchsetzung garantierter Rechte häufig nicht gewährleistet (AA 16.1.2020).

Die Menschenrechtssituation hat sich seit Amtsantritt einer zivilen Regierung 1999 zum Teil erheblich verbessert (AA 24.5.2019a; vgl. GIZ 9.2020a), vor allem im Hinblick auf die Freilassung politischer Gefangener und die Presse- und Meinungsfreiheit (GIZ 9.2020a). Allerdings kritisieren Menschenrechtsorganisationen den Umgang der Streitkräfte mit Boko Haram-Verdächtigen, der schiitischen Minderheit, Biafra-Aktivisten und Militanten im Nigerdelta. Schwierig bleiben die allgemeinen Lebensbedingungen, die durch Armut, Analphabetismus, Gewaltkriminalität, ethnische Spannungen, ein ineffektives Justizwesen und die Scharia-Rechtspraxis im Norden des Landes beeinflusst werden. Die Gleichstellung von Angehörigen sexueller Minderheiten wird gesetzlich verweigert, homosexuelle Handlungen sind mit schweren Strafen belegt (AA 24.5.2019a). Es gibt viele Fragezeichen hinsichtlich der Einhaltung der Menschenrechte, wie z.B. die Praxis des Scharia-Rechts (Tod durch Steinigung), Entführungen und Geiselnahmen im Nigerdelta, Misshandlungen und Verletzungen durch Angehörige der nigerianischen Polizei und Armee sowie Verhaftungen von Angehörigen militanter ethnischer Organisationen (GIZ 9.2020a). Zu den schwerwiegendsten Menschenrechtsproblemen gehören zudem u.a. rechtswidrige und willkürliche Tötungen, Verschwindenlassen, Folter und willkürliche Inhaftierung sowie substanzielle Eingriffe in die Rechte auf friedliche Versammlung und Vereinigungsfreiheit (USDOS 11.3.2020).

Die in den Jahren 2000/2001 eingeführten strengen strafrechtlichen Bestimmungen der Scharia in zwölf nördlichen Bundesstaaten führten zu Amputations- und Steinigungsurteilen. Die wenigen Steinigungsurteile wurden jedoch jeweils von einer höheren Instanz aufgehoben; auch Amputationsstrafen wurden in den vergangenen Jahren nicht vollstreckt (AA 16.1.2020; vgl. USDOS 11.3.2020).

Die Regierung bekennt sich ausdrücklich zum Schutz der Menschenrechte, und diese sind auch in der Verfassung als einklagbar verankert. Dessen ungeachtet bleiben viele Probleme ungelöst, wie etwa Armut, Analphabetentum, Gewaltkriminalität, ethnische Spannungen, die Scharia-Rechtspraxis, Entführungen und Geiselnahmen sowie das Problem des Frauen- und Kinderhandels. Daneben ist der Schutz von Leib und Leben der Bürger gegen Willkürhandlungen durch Vertreter der Staatsmacht keineswegs verlässlich gesichert und besteht weitgehend Straflosigkeit bei Verstößen der Sicherheitskräfte und bei Verhaftungen von Angehörigen militanter Organisationen. Das hohe Maß an Korruption auch im Sicherheitsapparat und der Justiz wirkt sich negativ auf die Wahrung der Menschenrechte aus (ÖB 10.2019).

Es setzten sich nigerianische Organisationen wie z.B. CEHRD (Centre for Environment, Human Rights and Development), CURE-NIGERIA (Citizens United for the Rehabilitation of Errants) und HURILAWS (Human Rights Law Services) für die Einhaltung der Menschenrechte in ihrem Land ein. Auch die Gewerkschaftsbewegung Nigeria Labour Congress (NLC) ist im Bereich von Menschenrechtsfragen aktiv (GIZ 9.2020a).

Quellen:

?        AA - Auswärtiges Amt (16.1.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2025287/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Bundesrepublik_Nigeria_%28Stand_September_2019%29%2C_16.01.2020.pdf, Zugriff 18.11.2020

?        AA - Auswärtiges Amt (24.5.2019a): Nigeria - Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/-/205844http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Nigeria/Innenpolitik_node.html, Zugriff 30.9.2020

?        GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (9.2020a): Nigeria - Geschichte und Staat, http://liportal.giz.de/nigeria/geschichte-staat.html, Zugriff 30.9.2020

?        ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2020): Asylländerbericht Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2021612/NIGR_%C3%96B_Bericht_2019_10.pdf, Zugriff 18.11.2020

?        USDOS - U.S. Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026341.html, Zugriff 9.4.2020

1.4.7.  Bewegungsfreiheit

Letzte Änderung: 23.11.2020

Die Verfassung sowie weitere gesetzliche Bestimmungen gewährleisten Bewegungsfreiheit im gesamten Land sowie Auslandsreisen, Emigration und Wiedereinbürgerung. Allerdings schränken Sicherheitsbeamte die Bewegungsfreiheit durch Ausgangssperren ein, vor allem in Gebieten, in denen es Terroranschläge oder ethnisch motivierte Gewalt gibt. Dies betrifft aufgrund der Operationen gegen Boko Haram und ISIS-WA v.a. die Bundesstaaten Adamawa, Borno und Yobe. Auch in anderen Bundesstaaten kommt es in Reaktion auf gewaltsame Auseinandersetzungen in ländlichen Regionen mitunter zu Ausgangssperren. Bei Operationen von Sicherheitskräften in Städten und an Hauptverkehrsstraßen werden gelegentlich Checkpoints eingerichtet. Zahlreiche von Militär und Polizei betriebene Checkpoints bleiben aufrecht (USDOS 11.3.2020).

Bürger dürfen sich in jedem Teil des Landes niederlassen (USDOS 11.3.2020). Grundsätzlich besteht in den meisten Fällen die Möglichkeit, staatlicher Verfolgung, Repressionen Dritter sowie Fällen massiver regionaler Instabilität durch Umzug in einen anderen Teil des Landes auszuweichen (AA 16.1.2020). Prinzipiell sollte es einer Person, die von nicht-staatlichen Akteuren verfolgt wird oder die sich vor diesen fürchtet, in einem großen Land wie Nigeria möglich sein, eine interne Relokation in Anspruch zu nehmen. Natürlich müssen die jeweiligen persönlichen Umstände beachtet werden (UKHO 3.2019).

In den vergangenen Jahrzehnten hat durch Wanderungsbewegungen und interethnische Ehen eine fortgesetzte Durchmischung der Wohnbevölkerung auch der „Kern“-Staaten der drei Hauptethnien (Hausa-Fulani, Yoruba, Igbo) stattgefunden. So ist insbesondere eine starke Nord-Süd-Wanderung feststellbar, wodurch Metropolen wie Lagos heute weitgehend durchmischt sind. Es bestehen daher innerstaatliche Fluchtalternativen (ÖB 10.2019). Ein innerstaatlicher Umzug kann allerdings mit gravierenden wirtschaftlichen und sozialen Problemen verbunden sein, wenn sich Einzelpersonen an einen Ort begeben, an dem keine Mitglieder ihrer (erweiterten) Familie oder der Dorfgemeinschaft leben. Angesichts der Wirtschaftslage, ethnischem Ressentiment und der Bedeutung großfamiliärer Bindungen in der Gesellschaft ist es für viele Menschen schwer, an Orten ohne ein bestehendes soziales Netz erfolgreich Fuß zu fassen. Für alleinstehende Frauen besteht zudem die Gefahr, bei einem Umzug in die Großstadt von der eigenen Großfamilie keine wirtschaftliche Unterstützung mehr zu erhalten (AA 16.1.2020).

Bundesstaats- und Lokalregierungen diskriminieren regelmäßig ethnische Gruppen, die in ihrem Gebiet nicht einheimisch sind. Dies nötigt gelegentlich Personen dazu, in jene Regionen zurückzukehren, aus denen ihre ethnische Gruppe abstammt, obwohl sie dort über keine familiäre Bindung mehr verfügen (USDOS 11.3.2020).

Für Überlandfahrten stehen mehrere Busunternehmen zur Verfügung, so z.B. ABC Transport, Cross Country Limited, Chisco und GUO T

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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