TE Bvwg Erkenntnis 2021/8/4 I403 2244935-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 04.08.2021
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Entscheidungsdatum

04.08.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58 Abs1 Z2
AsylG 2005 §58 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §18 Abs1 Z1
BFA-VG §19
BFA-VG §21 Abs7
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1a
VwGVG §24 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


I403 2244935-1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag. Birgit ERTL als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX (alias XXXX ), StA. Algerien (alias Syrien), vertreten durch die "BBU GmbH", Leopold-Moses-Gasse 4, 1020 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 02.07.2021, Zl. XXXX , zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen in das Bundesgebiet ein und stellte erstmalig am 24.01.2016 unter der Behauptung, syrischer Staatsangehöriger zu sein und aufgrund des dort herrschenden Bürgerkriegs seinen Herkunftsstaat verlassen zu haben, einen Antrag auf internationalen Schutz. Das Verfahren wurde mit Aktenvermerk des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA / belangte Behörde) vom 08.01.2018, Zl. XXXX gemäß § 24 Abs. 2 AsylG 2005 eingestellt, da sich der Beschwerdeführer diesem entzogen hatte und unbekannten Aufenthaltes war.

Am 28.10.2020 stellte der Beschwerdeführer unter der Angabe anderer Identitätsdaten und nunmehr unter der Behauptung, Staatsangehöriger von Algerien zu sein, den verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz in Deutschland. Nach Durchführung eines Dublin-Konsultationsverfahrens wurde er am 17.06.2021 nach Österreich überstellt und sein Asylverfahren in weiterer Folge hier zugelassen.

Am 17.06.2021 wurde der Beschwerdeführer durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes zu seinem verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz erstbefragt. Hierbei gab er an, im Rahmen seines ersten Asylverfahrens falsche Angaben zu seiner Identität und zu seinen Fluchtgründen getätigt zu haben, da er befürchtet habe, „als Algerier abgeschoben zu werden“. Zu seinen Fluchtgründen befragt gab er nunmehr an, er habe in Algerien keinerlei Probleme mit staatlichen Einrichtungen gehabt. Jedoch habe er eine Beziehung mit einem Mädchen geführt, deren Brüder „fanatische Moslems“ gewesen seien und den Beschwerdeführer mit dem Umbringen bedroht hätten, sofern er diese Beziehung nicht beende. Im Falle seiner Rückkehr befürchte er, von den Brüdern des Mädchens „entweder selbst oder über deren Auftrag“ getötet zu werden.

Am 01.07.2021 wurde der Beschwerdeführer niederschriftlich vor der belangten Behörde einvernommen. Hierbei gab er abermals an, in Algerien der Gefahr einer Verfolgung durch Privatpersonen in Gestalt der Angehörigen eines Mädchens, mit welchem er in den Jahren 2012 und 2013 eine Beziehung geführt habe, ausgesetzt zu sein.

Mit dem gegenständlich angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 02.07.2021 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß „§ 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005, BGBl I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF“ abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß „§ 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG“ wurde der Antrag auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Algerien abgewiesen (Spruchpunkt II.). Mit Spruchpunkt III. wurde dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß „§ 57 AsylG“ nicht erteilt. Gemäß „§ 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF“ wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß „§ 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG) idgF“ erlassen (Spruchpunkt IV.) und es wurde gemäß „§ 52 Abs. 9 FPG“ festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß „§ 46 FPG“ nach Algerien zulässig ist (Spruchpunkt V.). Gemäß „§ 55 Abs. 1a FPG“ wurde dem Beschwerdeführer keine Frist für eine freiwillige Ausreise gewährt (Spruchpunkt VI.) und überdies einer Beschwerde gegen die Entscheidung über diesen Antrag auf internationalen Schutz gemäß „§ 18 Abs. 1 Z 1 BFA-VG“ die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt VII.)

Gegen den angefochtenen Bescheid wurde fristgerecht mit Schriftsatz vom 27.07.2021 Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht erhoben.

Beschwerde und Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 02.08.2021 vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die unter Punkt I. getroffenen Ausführungen werden als entscheidungswesentlicher Sachverhalt festgestellt. Darüber hinaus werden folgende weitere Feststellungen getroffen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der volljährige Beschwerdeführer ist ledig und kinderlos, Staatangehöriger von Algerien, Angehöriger der Volksgruppe der Araber und bekennt sich zum sunnitisch-moslemischen Glauben. Seine Identität steht nicht fest. Er ist gesund und erwerbsfähig.

Er stammt aus der Provinz Chlef an der Nordküste Algeriens. Er hat in Algerien insgesamt zehn Jahre die Schule besucht und den Beruf des Frisörs erlernt und bis zu seiner Ausreise im November 2015 ausgeübt. Zudem hat er – ohne eine einschlägige Ausbildung hierfür zu besitzen – Berufserfahrung als Elektriker gesammelt. Seine gesamte Kernfamilie, bestehend aus seinen Eltern, fünf Schwestern und sechs Brüdern, hält sich nach wie vor in Algerien auf. Alle seine Geschwister, mit Ausnahme eines Bruders, sind verheiratet. Der Beschwerdeführer steht in regelmäßigem telefonischen Kontakt zu seinen Eltern.

Der Beschwerdeführer hielt sich zunächst (spätestens) ab 24.01.2016 in Österreich auf und war von 11.02.2016 bis 20.11.2017 in einer Flüchtlingsunterkunft gemeldet. Seit 20.11.2017 scheint er nicht mehr im zentralen Melderegister der Republik auf und begab sich eigenen Angaben zufolge – ohne die österreichischen Behörden hiervon in Kenntnis zu setzen – während seines noch laufenden ersten Asylverfahrens nach Deutschland, wo er am 28.10.2020 den verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz einbrachte. Seit 17.06.2021 ist er abermals in einer Flüchtlingsunterkunft in Österreich untergebracht.

In Österreich sowie auf dem Gebiet der Mitgliedstaaten verfügt der Beschwerdeführer über keine maßgeblichen privaten sowie über keine familiären Anknüpfungspunkte.

Er weist keine maßgeblichen Integrationsmerkmale in sprachlicher, gesellschaftlicher oder kultureller Hinsicht auf.

Er ging in Österreich zu keinem Zeitpunkt einer legalen Erwerbstätigkeit nach und bestreitet seinen Lebensunterhalt über die staatliche Grundversorgung.

Er ist strafgerichtlich unbescholten.

1.2. Zum Fluchtvorbringen und zu einer Rückkehrgefährdung des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer hat Algerien aus rein wirtschaftlichen Erwägungen verlassen. Er ist in seinem Herkunftsstaat nicht der Gefahr einer Bedrohung oder Verfolgung durch Privatpersonen ausgesetzt. Sein betreffendes Vorbringen ist nicht glaubhaft.

Es besteht auch keine reale Gefahr, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr nach Algerien einer wie auch immer gearteten existentiellen Bedrohung ausgesetzt sein wird.

1.3. Zur Situation im Herkunftsstaat:

Gemäß § 1 Z 10 der HStV (Herkunftsstaaten-Verordnung, BGBl. II Nr. 177/2009 idF BGBl. II Nr. 145/2019) gilt Algerien als sicherer Herkunftsstaat.

Zur aktuellen Lage in Algerien werden folgende Feststellungen getroffen:

COVID-19

Letzte Änderung: 18.03.2021

Die Ausbreitung von Covid-19 führt weiterhin zu Einschränkungen des internationalen Luft- und Reiseverkehr und Beeinträchtigungen des öffentlichen Lebens (AA 1.3.2021; vgl. BMEIA 10.3.2021). Algerien ist weiterhin von COVID-19 betroffen. Regionale Schwerpunkte sind der Großraum Algier sowie die Provinzen Blida und Oran. Algerien gilt als Risikogebiet. Die Landgrenzen sind geschlossen. Der internationale Personenflugverkehr aus und nach Algerien und der Fährverkehr sind seit Mitte März 2020 eingestellt. Es finden jedoch regelmäßig Sonderflüge von Algier nach Frankfurt und in einige französische Städte statt (AA 1.3.2021). Die Einreise nach Algerien ist verboten; Ausnahmen ausschließlich mit Sondergenehmigung des algerischen Innenministeriums – vollständige Einreisesperre im März 2021 (BMEIA 10.3.2021).

Aufgrund der epidemiologischen Entwicklung gelten derzeit folgende Restriktionen, welche strikt zu beachten sind:

-        landesweite Ausgangssperre von 22:00 Uhr bis 05:00 Uhr.

-        unbedingt erforderliche Fahrten während der Ausgangssperre sind zu begründen.

-        generelle Mund-Nasenschutzpflicht sowie Distanzpflicht im öffentlichen Raum, insbesondere auch in Geschäften (BMEIA 10.3.2021).

Quellen:

?        AA - Auswärtiges Amt Deutschland [Deutschland] (1.3.2021): Algerien: Reise- und Sicherheitshinweise (Teilreisewarnung und COVID-19-bedingte Reisewarnung), https://www.auswaertiges-amt.de/de/ReiseUndSicherheit/algeriensicherheit/219044, Zugriff 16.3.2021

?        BMEIA - Bundesministerium Europäische und Internationale Angelegenheiten [Österreich] (10.3.2021): Algerien - Reiseinformationen, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/algerien/, Zugriff 16.3.2021

Politische Lage

Letzte Änderung: 18.03.2021

Nach der Verfassung von 1996 ist Algerien eine demokratische Volksrepublik (AA 28.10.2020). Die Verfassung wurde am 7.3.2016 in Teilen geändert. Der direkt vom Volk und seit der Verfassungsreform von 2016 wieder mit Begrenzung auf zwei Amtszeiten von je fünf Jahren gewählte Präsident verfügt über eine überaus starke Stellung (AA 11.7.2020). Die 2020 erfolgte Verfassungsreform bringt eine weitere Verstärkung der Rolle des Staatspräsidenten und - noch problematischer - verankert stärker als bisher eine Rolle des Militärs als Staats- und Verfassungsgarant (ÖB 11.2020). Aufgabe des vom Präsidenten (nach Konsultation der Parlamentsmehrheit) ernannten Premierministers ist lediglich die Umsetzung des Programms des Staatspräsidenten und die Koordinierung der Arbeit der Regierung (AA 11.7.2020; vgl. ÖB 11.2020). Der Präsident ist Staatsoberhaupt, Oberbefehlshaber des Heeres und Verteidigungsminister. Er garantiert die Einheit des Staates und ist die höchste Instanz der Rechtsprechung. Er ernennt den Premierminister nach Konsultation des Parlaments und nach Befassung des Premierministers die Minister und sitzt dem Ministerrat vor. Er ernennt die Funktionäre der Verwaltung und des Militärs, den Gouverneur der Nationalbank, die 48 Wilaya(Provinz)präfekten und die Richter des Landes (ÖB 11.2020).

In Folge der Massenproteste seit Februar 2019 und auf Druck der Armee reichte Präsident Bouteflika am 2.4.2019 seinen Rücktritt ein. Bei den Präsidentschaftswahlen am 12.12.2019 gewann der ehemalige Premierminister Abdelmadjid Tebboune (AA 11.7.2020; vgl. HRW 13.1.2021, CIA 3.3.2021, FH 2021, ÖB 11.2020), Favorit der Militärführung um den mittlerweile verstorbenen Generalstabschef Ahmed Gaïd Salah, die Wahl für sich (AA 11.7.2020). Die Wahlbeteiligung hatte einen historischen Tiefstpunkt erreicht (HRW 13.1.2021; vgl. FH 2021). Tebboune verkörpert für viele Algerier das Streben der Elite nach System- und Machterhalt. Der „Hirak“ [Anmerkung: Bezeichnung der Protestbewegung in Algerien] hatte gegen die Wahl protestiert und hält an der Forderung nach einem kompletten Systemwechsel fest. Anfängliche Dialogbemühungen des Staatspräsidenten sind seit März 2020 ins Stocken geraten. Doch auch auf Seiten der Protestbewegung ist die Dialogbereitschaft gering. Wenige dialogbereite Stimmen innerhalb des „Hirak“ wurden medienwirksam von der Protestbewegung diskreditiert. Die aktuelle Herausforderung durch die Covid-19-Pandemie lässt den Graben zwischen Regierung und Teilen der Bevölkerung vorerst in den Hintergrund treten. Die Covid-19-Maßnahmen der Regierung, wie zum Beispiel die landesweite partielle Ausgangssperre, werden von der Bevölkerung mitgetragen (AA 11.7.2020).

Die Gesetzgebung basiert mehrheitlich auf präsidentiellen Dekreten (ÖB 11.2020). Die Nationalversammlung („Assemblée Populaire Nationale“, APN) und der Senat („Conseil de la Nation“) bilden die beiden Kammern des Parlaments. Die 462 Mitglieder der Nationalversammlung werden alle fünf Jahre in allgemeiner, direkter und geheimer Wahl gewählt. Die 144 Mitglieder des Senats werden zu einem Drittel durch den Präsidenten ernannt und zu zwei Dritteln von Gemeindevertretern gewählt (AA 11.7.2020; vgl. FH 2021). Die Rolle der beiden Parlamentskammern im Staats- und Machtgefüge bleibt vor allem aufgrund der klaren Regierungsmehrheit schwach (AA 11.7.2020). Die letzten Wahlen zur Nationalversammlung fanden am 4.5.2017 statt (AA 11.7.2020; vgl. ÖB 11.2020).

Im Februar 2019 entstand in Algerien eine Massenbewegung, welche sich mit dem arabischen Wort für Bewegung „Hirak“ beschreibt. Die Proteste begannen, nachdem der damals amtierende Präsident Abdelaziz Bouteflika seine fünfte Kandidatur für die Präsidentschaftswahl ankündigte. Zunächst forderten die Demonstranten den Rücktritt des Präsidenten, welcher dieser Forderung schließlich nachkam. Die Proteste endeten jedoch nicht mit dem Rücktritt Bouteflikas. Bis Ende März 2020 wurde jeden Freitag auf den Straßen in der Hauptstadt Algier und anderswo demonstriert und die Veränderung des gesamten politischen Systems gefordert (IPB 12.6.2020; vgl. ÖB 11.2020). Die algerischen Behörden unterdrücken weiterhin Anhänger des "Hirak". Entgegen der Versprechungen Präsident Tebbounes für einen Dialog, verhaften die algerischen Behörden weiterhin Protestierende, Aktivisten und Journalisten, die dem "Hirak" angehören (HRW 13.1.2021).

Anlässlich des zweiten Jahrestages des Beginns der friedlichen Protestbewegung gingen am 22.2.2021 mehrere Tausend Demonstranten auf die Straßen und erneuerten ihre Forderungen nach einem umfassenden Politik- und Systemwechsel. Auch am 26.2.2021 wurde demonstriert, obwohl die Regierung aufgrund der Covid-19-Pandemie Zusammenkünfte verboten hat. Das Militär reagierte auf die überwiegend gewaltfreien Demonstrationen mit dem Einsatz von Tränengas und Schlagstöcken (BAMF 1.3.2021). Auch weiterhin versammeln sich Tausende Bürgerinnen und Bürger jeden Freitag auf den Straßen und demonstrieren für einen umfassenden Politik- und Systemwechsel. Die UN warnen vor einer Verschlechterung der Menschenrechtslage, da die Sicherheitskräfte gegen Teilnehmer an den friedlichen Protesten zunehmend Gewalt eingesetzt und in den vergangenen zwei Wochen wieder Hunderte Menschen willkürlich festgenommen haben. Ferner gibt es Berichte über Einschränkungen der Pressefreiheit und drohende Haftstrafen für Aktivisten, ebenso Vorwürfe über Folter und sexuelle Gewalt im Gefängnis (BAMF 8.3.2021).

Quellen:

?        AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.10.2020): Algerien - Politisches Porträt, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/algerien-node/-/222160, Zugriff 12.3.2021

?        AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (11.7.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Demokratischen Volksrepublik Algerien (Stand: Juni 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2035826/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Demokratischen_Volksrepublik_Algerien_%28Stand_Juni_2020%29%2C_11.07.2020.pdf, Zugriff 12.3.2021

?        BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (8.3.2021): Briefing Notes, Quelle liegt bei der Staatendokumentation auf

?        BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (1.3.2021): Briefing Notes, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2021/briefingnotes-kw09-2021.pdf?__blob=publicationFile&v=2, Zugriff 16.3.2021

?        CIA - Central Intelligence Agency [USA] (3.3.2021): The World Factbook - Algeria, https://www.cia.gov/the-world-factbook/countries/algeria/, Zugriff 12.3.2021

?        FH - Freedom House (2021): Freedom in the World 2021 - Algeria, https://freedomhouse.org/country/algeria/freedom-world/2021, Zugriff 15.3.2021

?        HRW - Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2021 - Algeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2043512.html, Zugriff 12.3.2021

?        IPB - Institut für Protest- und Bewegungsforschung (12.6.2020): Hirak – Bewegung in Algerien, https://protestinstitut.eu/hirak-bewegung-in-algerien/, Zugriff 17.6.2020

?        ÖB - Österreichische Botschaft Algier [Österreich] (11.2020): Asylländerbericht Algerien, Quelle liegt bei der Staatendokumentation auf

Sicherheitslage

Letzte Änderung: 18.03.2021

Demonstrationen fanden von Mitte Februar 2019 bis Ende März 2020 fast täglich in allen größeren Städten statt. Auch wenn diese weitgehend friedlich verliefen, konnten vereinzelte gewaltsame Auseinandersetzungen nicht ausgeschlossen werden (IPB 12.6.2020). Seit Februar 2021 versammeln sich Tausende Bürgerinnen und Bürger jeden Freitag auf den Straßen und demonstrieren für einen umfassenden Politik- und Systemwechsel (BAMF 1.3.2021; vgl. BAMF 8.3.2021).

Der djihadistische Terrorismus in Algerien ist stark zurückgedrängt worden; Terroristen wurden großteils entweder ausgeschaltet, festgenommen oder haben das Land verlassen, was zur Verlagerung von Problemen in die Nachbarstaaten, z.B. Mali, geführt hat. Gewisse Restbestände oder Rückzugsgebiete sind jedoch v.a. in der südlichen Sahara vorhanden. Gruppen, wie die Groupe Salafiste pour la Prédication et le Combat (GSPC), die den 1997 geschlossenen Waffenstillstand zwischen dem algerischen Militär und der AIS nicht anerkannte, sich in die Saharagebiete zurückzog und 2005 mit Al Qaida zur AQIM verband, sind auf kleine Reste reduziert und in Algerien praktisch handlungsunfähig. Inzwischen hat sich diese Gruppe wieder mehrmals geteilt, 2013 u.a. in die Mouvement d’Unité pour je Jihad en Afrique Occidentale (MUJAO). Ableger dieser Gruppen haben den Terroranschlag in Amenas/Tigentourine [Anm.: im Jänner 2013] zu verantworten. 2014 haben sich mit dem Aufkommen des sogenannten Islamischen Staates (IS) Veränderungen in der algerischen Terrorismusszene ergeben. AQIM hat sich aufgespalten und mindestens eine Teilgruppe, Jund al-Khilafa, hat sich zum IS bekannt. Diese Gruppe hat die Verantwortung für die Entführung und Enthauptung des französischen Bergführers Hervé Gourdel am 24.9.2014 übernommen. Dies war 2014 der einzige Anschlag, der auf einen Nicht-Algerier zielte. Ansonsten richteten sich die terroristischen Aktivitäten ausschließlich auf militärische Ziele (ÖB 11.2020).

2017 gab es (mindestens) vier Anschläge mit eindeutig islamistischem Hintergrund, und zwar in Blida, Constantine, Oued Djemaa (Wilaya Blida), Ferkane (Wilaya Tebessa) und Tiaret. Im selben Jahr wurden 91 Terroristen getötet und 70 verhaftet. Dazu kommen noch 214 verhaftete Sympathisanten. 2019 und 2020 wurden keine terroristischen Angriffe verzeichnet, bei Razzien und Aktionen gegen Terroristen und deren Unterstützer kommt es immer wieder zu bewaffneten Auseinandersetzungen mit Sicherheitskräften mit tödlichem Ausgang. Im 1 Halbjahr 2020 beliefen sich die Zahlen nach den nicht überprüfbaren Angaben des Verteidigungsministeriums auf zwölf getötete, drei sich ergebende und fünf festgenommene Terroristen. Algerische Behörden verfolgen einen relativ holistischen Ansatz des Kampfes gegen den Terrorismus und binden in ihre Bemühungen zur Deradikalisierung auch Moscheen, Frauen und Familien ein (ÖB 11.2020).

Spezifische regionale Risiken

Die Sicherheitslage in gewissen Teilen Algeriens ist weiterhin gespannt (AA 1.3.2021; vgl. ÖB 11.2020). Es gibt immer noch terroristische Strukturen, wenn auch reduziert (ÖB 11.2020; vgl. BS 29.4.2020). Die Sicherheitssituation betreffend terroristische Vorfälle hat sich weiter verbessert, die Sicherheitskräfte haben auch bislang unsichere Regionen wie die Kabylei oder den Süden besser unter Kontrolle, am relativ exponiertesten ist in dieser Hinsicht noch das unmittelbare Grenzgebiet zu Tunesien, Libyen und zu Mali (ÖB 11.2020). In den Grenzgebieten mit den Nachbarländern Libyen, Niger, Mali, Mauretanien, Tunesien und Westsahara besteht große Gefahr von terroristischen Anschlägen oder Entführungsversuchen (BMEIA 10.3.2021; vgl. AA 1.3.2021), ebenso wie in den algerischen Saharagebieten und außerhalb der Bezirke der größeren Städte im nördlichen Landesteil von Algerien, in ländlichen Gebieten und Bergregionen. Terroristische Aktivitäten richten sich in erster Linie gegen die staatliche Sicherheitskräfte (AA 1.3.2021).

Immer wieder versuchen kriminelle, terroristische bzw. bewaffnete Gruppen Algeriens Grenzgebiete für ihre Zwecke zu nutzen bzw. diese zu durchqueren. Die auf Grund politischer Gegebenheiten bzw. mangelnder Ressourcen nicht vorhandene oder zu schwache Präsenz von Sicherheitskräften in den angrenzenden Staaten erleichtert dies. Die algerische Armee hat daher generell die Kontrolle der Grenzregionen verstärkt und angesichts der aktuellen Situation in Libyen und Tunesien auch die Streifen- und Übungstätigkeit in Grenznähe (BMEIA 10.3.2021).

Der interkommunale Konflikt in der Region Ghardaia mit gewalttätigen Zusammenstößen zwischen 2013 und 2015 wurde durch eine starke Militärpräsenz unter Kontrolle gebracht. Islamistische Extremisten, die eine echte Bedrohung für die staatliche Identität darstellen, sind nach wie vor eine sehr kleine Minderheit. Sie werden von der Bevölkerung kaum oder gar nicht unterstützt (BS 29.4.2020).

Quellen:

?        AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (1.3.2021): Algerien: Reise- und Sicherheitshinweise (Teilreisewarnung und COVID-19-bedingte Reisewarnung), https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/algerien-node/algeriensicherheit/219044#content_1, Zugriff 17.3.2021

?        BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (8.3.2021): Briefing Notes, Quelle liegt bei der Staatendokumentation auf

?        BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (1.3.2021): Briefing Notes, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2021/briefingnotes-kw09-2021.pdf?__blob=publicationFile&v=2, Zugriff 16.3.2021

?        BMEIA - Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres [Österreich] (10.3.2021): Reiseinformationen Algerien, Sicherheit & Kriminalität, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/algerien/, Zugriff 17.3.2021

?        BS - Bertelsmann Stiftung (29.4.2020): BTI 2020 Country Report - Algeria, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_DZA.pdf, Zugriff 23.6.2020

?        IPB - Institut für Protest- und Bewegungsforschung (12.6.2020): Hirak - Bewegung in Algerien, https://protestinstitut.eu/hirak-bewegung-in-algerien/, Zugriff 17.6.2020

?        ÖB - Österreichische Botschaft Algier [Österreich] (11.2020): Asylländerbericht Algerien, Quelle liegt bei der Staatendokumentation auf

Rechtsschutz / Justizwesen

Letzte Änderung: 18.03.2021

Obwohl die Verfassung eine unabhängige Justiz vorsieht, beschränkt die Exekutive die Unabhängigkeit der Justiz (USDOS 11.3.2020; vgl. AA 11.7.2020, FH 2021, BS 29.4.2020, ÖB 11.2020) - diese ist nur auf einem niedrigen Niveau gegeben (FH 2021). Die Justiz ist häufig äußerer Einflussnahme und Korruption ausgesetzt (USDOS 11.3.2020). Der Präsident hat den Vorsitz im Obersten Justizrat, der für die Ernennung aller Richter sowie Staatsanwälte zuständig ist (USDOS 11.3.2020; vgl. AA 11.7.2020, FH 2021). Der Oberste Justizrat ist auch für die richterliche Disziplin und die Entlassung von Richtern zuständig (USDOS 11.3.2020; vgl. BS 29.4.2020, AA 11.7.2020), praktische Entscheidungen über richterliche Kompetenzen werden ebenfalls von diesem Rat getroffen (BS 29.4.2020). Die Justizreform wird zudem nur äußerst schleppend umgesetzt. Algerische Richter sehen sich häufig einer außerordentlich hohen Arbeitsbelastung ausgesetzt, was insbesondere in Revisions- und Berufungsphasen zu überlangen Verfahren führt. Die Gerichte üben in der Regel keine wirksame Kontrolle staatlichen Handelns aus. Den Bürgerinnen und Bürgern fehlt nach wie vor das Vertrauen in die Justiz (AA 11.7.2020).

Das algerische Strafrecht sieht explizit keine Strafverfolgung aus politischen Gründen vor. Es existiert allerdings eine Reihe von Strafvorschriften, die aufgrund ihrer weiten Fassung eine politisch motivierte Strafverfolgung ermöglichen. Diese Vorschriften wurden im April 2020 durch eine Novellierung des Strafgesetzbuches noch einmal verschärft. Betroffen sind insbesondere Meinungs- und Pressefreiheit, welche durch Straftatbestände wie Verunglimpfung von Staatsorganen oder Aufruf zum Terrorismus eingeschränkt werden. Rechtsquellen sind dabei sowohl das algerische Strafgesetzbuch als auch eine spezielle Anti-Terrorverordnung aus dem Jahre 1992. Für die Diffamierung staatlicher Organe und Institutionen durch Presseorgane bzw. Journalisten werden in der Regel Geldstrafen verhängt (AA 11.7.2020).

Die Verfassung gewährleistet das Recht auf einen fairen Prozess, aber in der Praxis respektieren die Behörden nicht immer die rechtlichen Bestimmungen, welche die Rechte des Angeklagten wahren sollen. Für Angeklagte gilt die Unschuldsvermutung und sie haben das Recht auf einen Verteidiger. Dieser wird, falls nötig, auf Staatskosten zur Verfügung gestellt. Die meisten Verhandlungen sind öffentlich. Angeklagte haben das Recht auf Berufung. Die Aussage von Frauen und Männern wiegt vor dem Gesetz gleich (USDOS 11.3.2020).

Personen mit genügend Mitteln, bzw. politischen Verbindungen können auf Gerichtsentscheidungen Einfluss nehmen. Politische Prozesse scheinen gelegentlich konstruiert zu werden. Oppositionelle politische Aktivisten beklagen, aufgrund von Anti-Terrorismus-Gesetzen und solchen zur Begrenzung der Versammlungsfreiheit oder Vergehen gegen „Würde des Staates und die Staatssicherheit“ festgenommen zu werden. Die gerichtliche Verfolgung von unliebsamen Personen oder Kritikern mit dem Mittel der Konstruktion gerichtlich belangbarer Vorwürfe kommt vor. Derartige Fälle der jüngeren Vergangenheit sind politische Aktivisten und Journalisten, die seit den Massendemonstrationen 2019 verhaftet worden sind. Im Oktober 2020 wurde die Zahl an Gesinnungshäftlingen mit ca. 70 benannt (ÖB 11.2020).

Quellen:

?        AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (11.7.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Demokratischen Volksrepublik Algerien (Stand: Juni 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2035826/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Demokratischen_Volksrepublik_Algerien_%28Stand_Juni_2020%29%2C_11.07.2020.pdf, Zugriff 12.3.2021

?        BS - Bertelsmann Stiftung (29.4.2020): BTI 2020 Country Report - Algeria, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_DZA.pdf, Zugriff 23.6.2020

?        FH - Freedom House (2021): Freedom in the World 2021 - Algeria, https://freedomhouse.org/country/algeria/freedom-world/2021, Zugriff 15.3.2021

?        ÖB - Österreichische Botschaft Algier [Österreich] (11.2020): Asylländerbericht Algerien, Quelle liegt bei der Staatendokumentation auf

?        USDOS - U.S. Department of State [USA] (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: Algeria, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/02/ALGERIA-2019-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 17.3.2020

Sicherheitsbehörden

Letzte Änderung: 18.03.2021

Die algerischen Sicherheitskräfte bestehen aus der Armee (ANP), der Nationalen Gendarmerie und der Gemeindewache unter dem Verteidigungsministerium und der nationalen Polizei unter dem Innenministerium (CIA 3.3.2021). Angesichts der jüngeren Geschichte und der Sicherheitslage im Land ist der Sicherheitsapparat sehr groß dimensioniert. Nationale Gendarmerie (dem Verteidigungsministerium unterstellt) und Polizei (dem Innenministerium unterstellt) zählen zusammen allein fast 400.000 Mann. Hinzu kommen die zahlenmäßig nicht bekannten Angehörigen der politisch einflussreichen „Direction des Services de Sécurité“ (DSS) [Anm.: Direktion der Sicherheitskräfte] bzw. dessen Nachfolgeorganisationen, die im Bereich Terrorismus und nationale Sicherheit ebenfalls als Strafverfolgungsbehörde funktionieren (ÖB 11.2020).

Die 130.000 Mann starke nationale Gendarmerie, die Polizeifunktionen außerhalb städtischer Gebiete ausübt und dem Verteidigungsministerium untersteht, sowie die ca. 200.000 Mann starke DGSN [Anm.: "Direction générale de la Sûreté Nationale" - Generaldirektion der nationalen Sicherheit] oder nationale Polizei, die dem Innenministerium untersteht, teilen sich die Verantwortung für die Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung. Die Armee ist für die äußere Sicherheit zuständig, schützt die Außengrenzen des Landes und hat auch in begrenztem Ausmaß Verantwortung im Bereich der inneren Sicherheit. Zivile Behörden wahren generell eine effektive Kontrolle über die Sicherheitskräfte (USDOS 11.3.2020).

Das Strafgesetz enthält Bestimmungen zur Untersuchung von Missbrauch und Korruption und die Regierung veröffentlicht Informationen bzgl. disziplinärer oder rechtlicher Maßnahmen gegen Mitglieder der Sicherheitskräfte. Trotzdem bleibt Straffreiheit ein Problem (USDOS 11.3.2020). Übergriffe und Rechtsverletzungen der Sicherheitsbehörden werden entweder nicht verfolgt oder werden nicht Gegenstand öffentlich gemachter Verfahren (ÖB 11.2020).

Quellen:

?        CIA - Central Intelligence Agency [USA] (3.3.2021): The World Factbook - Algeria, https://www.cia.gov/the-world-factbook/countries/algeria/, Zugriff 12.3.2021

?        ÖB - Österreichische Botschaft Algier [Österreich] (11.2020): Asylländerbericht Algerien, Quelle liegt bei der Staatendokumentation auf

?        USDOS - U.S. Department of State [USA] (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: Algeria, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/02/ALGERIA-2019-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 17.3.2020

Allgemeine Menschenrechtslage

Letzte Änderung: 18.03.2021

Staatliche Repressionen, die allein wegen Rasse, Religion, Nationalität oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe erfolgen, sind in Algerien nicht feststellbar (AA 11.7.2020). Algerien ist den wichtigsten internationalen Menschenrechtsabkommen beigetreten. Laut Verfassung werden die Grundrechte gewährleistet. Hinweise auf Menschenrechtsverletzungen haben seit Ende der 1990er Jahre abgenommen. NGOs kritisieren jedoch weiterhin vor allem Einschränkungen der Meinungs-, Versammlungs- und Pressefreiheit. Einzelne unabhängige Journalisten und Blogger sowie politische Aktivisten werden strafrechtlich verfolgt (AA 28.10.2020). Meinungs- und Versammlungsfreiheit werden eingeschränkt (USDOS 11.3.2020; vgl. BS 29.4.2020, AI 18.2.2020), die Unabhängigkeit der Justiz ist mangelhaft. Weitere bedeutende Menschenrechtsprobleme sind unverhältnismäßige Gewaltanwendung durch die Polizei, inklusive Foltervorwürfe (USDOS 11.3.2020; vgl. AI 18.2.2020), sowie die Einschränkung der Möglichkeit der Bürger, ihre Regierung zu wählen. Weitverbreitete Korruption begleitet Berichte über eingeschränkte Transparenz bei der Regierungsführung. Straffreiheit bleibt ein Problem (USDOS 11.3.2020).

Obwohl die Verfassung Meinungs- und Pressefreiheit gewährleistet, schränkt die Regierung diese Rechte ein (USDOS 11.3.2020; vgl. HRW 13.1.2021, BS 29.4.2020, FH 2021). NGOs kritisieren diese Einschränkungen. Bürger können die Regierung nicht ungehindert kritisieren. Es drohen Belästigungen und Verhaftungen; Bürger sind somit bei der Äußerung von Kritik zurückhaltend. Alle Medienanbieter - auch private - stehen unter Beobachtung (USDOS 11.3.2020). Obwohl manche Zeitungen in Privatbesitz sind, und einige Journalisten eine aggressive Berichterstattung in Bezug auf Regierungsangelegenheiten an den Tag legen, so sind die meisten Zeitungen auf Regierungsbehörden zur Drucklegung und für Werbung angewiesen, was Selbstzensur fördert. Behörden verwenden rechtliche Mechanismen, um Medien zu belästigen und zu zensurieren oder sie bestrafen kontroverse Berichterstattung (FH 2021).

Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit werden durch die algerische Verfassung garantiert, dennoch werden Demonstrationen regelmäßig nicht genehmigt bzw. in Algier komplett verboten (AA 11.7.2020; vgl. USDOS 11.3.2020). Folglich sind die Möglichkeiten oppositioneller politischer Tätigkeit weiterhin eng begrenzt: Versammlungen müssen angemeldet sein, Demonstrationen in der Hauptstadt sind theoretisch weiterhin verboten, fanden aber vor der COVID-Pandemie mehrmals wöchentlich statt. Eine Parteigründung ist schwierig, politische Veranstaltungen sind engen Regeln unterworfen und im Grunde auf die dreiwöchigen Kampagnen vor Wahlen beschränkt (ÖB 11.2020). Oppositionelle Gruppierungen haben zudem oft Schwierigkeiten, Genehmigungen für Veranstaltungen in geschlossenen Räumen zu erhalten (AA 11.7.2020).

Algerien erlebte ab Februar 2019 die größten und nachhaltigsten Anti-Regierungsdemonstrationen seit seiner Unabhängigkeit 1962. Jeden Freitag demonstrierten Algerier in den Straßen der Hauptstadt Algier und anderswo. Als Reaktion auf die anhaltenden Proteste, zerstreuten die Behörden friedliche Demonstrationen, hielten willkürlich Protestierende fest, blockierten von politischen und Menschenrechtsgruppen organisierte Treffen und inhaftierten Kritiker (HRW 14.1.2020; vgl. AI 18.2.2020). Hunderte Hirak-Demonstranten wurden während Protesten Anfang 2020 verhaftet (HRW 13.1.2021). Im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie wurden die regelmäßigen Demonstrationen ab Ende März 2020 ausgesetzt. Ab 17.3.2020 wurden die Einschränkungen der Versammlungsfreiheit weiter verschärft (IPB 12.6.2020). Die Hirak-Proteste, die im Februar 2019 begannen, wurden von den Behörden zeitweise toleriert, zeitweise wurde mit Tränengas, Wasserwerfern, willkürlichen Verhaftungen und exzessiver Gewaltanwendung gegen die Demonstranten vorgegangen (FH 2021).

Das Gesetz garantiert der Regierung weitreichende Möglichkeiten zur Überwachung und Einflussnahme auf die täglichen Aktivitäten von zivilgesellschaftlichen Organisationen. Das Innenministerium muss der Gründung zivilgesellschaftlicher Organisationen zustimmen, bevor diese gesetzlich zugelassen werden (USDOS 11.3.2020). Das im Jahr 2012 verabschiedete Gesetz über Vereinigungen erleichterte die Gründung von politischen Parteien (BS 29.4.2020), wofür wie bei anderen Vereinigungen eine Genehmigung des Innenministeriums nötig ist. Politische Parteien auf Basis von Religion, Ethnie, Geschlecht, Sprache oder Region sind verboten. Es gibt jedoch islamistisch ausgerichtete Parteien, v.a. jene der Grünen Allianz (USDOS 11.3.2020). Seit Verabschiedung des Parteigesetzes 2012 nahm die Anzahl der Parteien deutlich zu. Dies führte jedoch auch zu einer Zersplitterung der Opposition (BS 29.4.2020). Oppositionsparteien können sich grundsätzlich ungehindert betätigen, soweit sie zugelassen sind, und haben Zugang zu privaten und – in sehr viel geringerem Umfang – staatlichen Medien. Jedoch haben einzelne Parteien kritisiert, dass ihnen teils die Ausrichtung von Versammlungen erschwert wird und sie Bedrohungen und Einschüchterungen ausgesetzt sind (AA 11.7.2020).

Die CNDH als staatliche Menschenrechtsorganisation (Ombudsstelle) hat eine konsultative und beratende Rolle für die Regierung. Sie veröffentlicht jährlich Berichte zur Menschenrechtslage im Land (USDOS 11.3.2020). Zahlreiche Einzelfälle zeigen, dass die Funktion einer echten Ombudsstelle gegenüber der Verwaltung fehlt [Anm.: die Effektivität der Ombudsstelle ist nur gering] (ÖB 11.2020).

Verschiedene nationale Menschenrechtsgruppen sind aktiv und können ihre Ergebnisse publizieren. Sie sind jedoch in unterschiedlichem Ausmaß Einschränkungen durch die Regierung ausgesetzt. Gesetzlich ist es allen zivilen Organisationen vorgeschrieben, sich bei der Regierung zu registrieren. Dennoch operieren einige Organisationen ohne Registrierung und werden seitens der Regierung toleriert (USDOS 11.3.2020).

Quellen:

?        AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.10.2020): Algerien - Politisches Porträt, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/algerien-node/-/222160, Zugriff 12.3.2021

?        AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (11.7.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Demokratischen Volksrepublik Algerien (Stand: Juni 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2035826/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Demokratischen_Volksrepublik_Algerien_%28Stand_Juni_2020%29%2C_11.07.2020.pdf, Zugriff 12.3.2021

?        AI - Amnesty International (18.2.2020): Algeria 2019, https://www.amnesty.org/en/countries/middle-east-and-north-africa/algeria/report-algeria/, Zugriff 26.2.2020

?        BS - Bertelsmann Stiftung (29.4.2020): BTI 2020 Country Report - Algeria, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_DZA.pdf, Zugriff 23.6.2020

?        FH - Freedom House (2021): Freedom in the World 2021 - Algeria, https://freedomhouse.org/country/algeria/freedom-world/2021, Zugriff 15.3.2021

?        HRW - Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2021 - Algeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2043512.html, Zugriff 12.3.2021

?        HRW - Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 - Algeria, https://www.hrw.org/world-report/2020/country-chapters/algeria, Zugriff 15.1.2020

?        IPB - Institut für Protest- und Bewegungsforschung (12.6.2020): Hirak - Bewegung in Algerien, https://protestinstitut.eu/hirak-bewegung-in-algerien/, Zugriff 17.6.2020

?        ÖB - Österreichische Botschaft Algier [Österreich] (11.2020): Asylländerbericht Algerien, Quelle liegt bei der Staatendokumentation auf

?        USDOS - U.S. Department of State [USA] (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: Algeria, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/02/ALGERIA-2019-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 17.3.2020

Bewegungsfreiheit

Letzte Änderung: 18.03.2021

Die Verfassung garantiert Bewegungsfreiheit, Auslandsreisen, Emigration und Wiedereinbürgerung, diese Rechte werden jedoch von der Regierung in der Praxis eingeschränkt (USDOS 11.3.2020). Nach anderen Angaben können die meisten Bürger innerhalb des Landes und ins Ausland relativ frei reisen (FH 2021). Die Regierung hält aus Gründen der Sicherheit Reiserestriktionen in die südlichen Bezirke El-Oued und Illizi, in der Nähe von Einrichtungen der Kohlenwasserstoffindustrie sowie der libyschen Grenze, aufrecht. Überlandreisen sind aufgrund von Terrorgefahr zwischen den südlichen Städten Tamanrasset, Djanet und Illizi eingeschränkt (USDOS 11.3.2020).

Jungen wehrpflichtigen Männern, die ihren Wehrdienst noch nicht abgeleistet haben, wird die Ausreise ohne Sondergenehmigung verweigert (USDOS 11.3.2020; vgl. FH 2021). Sondergenehmigungen erhalten Studenten und Personen in besonderen Familienkonstellationen. Personen, die jünger als 18 Jahre sind, ist es gemäß Familienrecht nicht gestattet, ohne die Erlaubnis einer Aufsichtsperson ins Ausland zu reisen (USDOS 11.3.2020). Verheiratete Frauen, die jünger als 18 Jahre sind, dürfen ohne die Erlaubnis ihres Ehemanns nicht ins Ausland reisen (USDOS 11.3.2020; vgl. FH 2021). Ehefrauen, die älter als 18 Jahre sind, sind Auslandsreisen auch ohne Erlaubnis des Ehemanns gestattet (USDOS 11.3.2020).

Quellen:

?        FH - Freedom House (2021): Freedom in the World 2021 - Algeria, https://freedomhouse.org/country/algeria/freedom-world/2021, Zugriff 16.3.2021

?        USDOS - U.S. Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: Algeria, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/02/ALGERIA-2019-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 17.3.2020

Grundversorgung

Letzte Änderung: 18.03.2021

Nahezu die gesamten Staatseinkünfte des Landes stammen aus dem Export von Erdöl und Erdgas. Rund 90% der Grundnahrungsmittel und fast die Gesamtheit der Pharmazeutika und Gebrauchsgüter werden importiert. Eine an den Bedürfnissen der Bevölkerung orientierte oder auf Autarkie zielende Industrialisierung hat nicht stattgefunden. Die Staatseinnahmen – und damit die Fähigkeit zur Subventionierung von Grundbedürfnissen (Grundnahrungsmittel, Wohnungsbau, Infrastruktur) – sind seit 2014 aufgrund der sinkenden Öl- und Gaspreise drastisch zurückgegangen (RLS 7.4.2020; vgl. BS 29.4.2020). Durch den Verfall der Öl- und Gaspreise befindet sich die algerische Wirtschaft seit 2014 in einer Abwärtsspirale. Öffentliche Ausgaben sind angespannt. Steuererhöhungen führten 2019 und Anfang 2020 zu Demonstrationen. Die Corona-Krise 2020 hat die wirtschaftliche Krise weiter vertieft (DI / DTDA 2020).

Algerien leistet sich aus Gründen der sozialen und politischen Stabilität ein für die Möglichkeiten des Landes aufwendiges Sozialsystem, das aus den Öl- und Gasexporten finanziert wird. Das Land hat - als eines von wenigen Ländern - in den letzten 20 Jahren eine Reduktion der Armutsquote von 25% auf 5% erreicht. Schulbesuch und Gesundheitsfürsorge sind kostenlos. Energie, Wasser und Grundnahrungsmittel werden stark subventioniert. Ein Menschenrecht auf Wohnraum wird anerkannt. Für Bedürftige wird Wohnraum kostenlos zur Verfügung gestellt. Missbräuchliche Verwendung ist häufig (ÖB 11.2020). Algerien hat ein relativ gut ausgebildetes Sozialsystem, dieses ist allerdings von einigen Unausgewogenheiten geprägt, z.B. Ungleichheiten zwischen formal Angestellten und im informellen Sektor Tätigen. Eine Alterspension ist rechtlich für 100% der Bevölkerung vorgesehen, tatsächlich beziehen konnten diese im Jahr 2018 nur 59%. Arbeitslosengeld existiert im formalen Sektor, es ist aber vergleichsweise niedrig (DI / DTDA 2020).

Die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln ist bislang durch umfassende Importe gewährleistet. Insbesondere im Vorfeld religiöser Feste, wie auch im gesamten Monat Ramadan, kommt es allerdings immer wieder zu substanziellen Preissteigerungen bei Grundnahrungsmitteln. Für Grundnahrungsmittel wie Weizenmehl, Zucker und Speiseöl gelten im Jänner 2011 eingeführte Preisdeckelungen und Steuersenkungen. Im Bereich der Sozialfürsorge kommt, neben geringfügigen staatlichen Transferleistungen, vornehmlich der Familien-, im Süden des Landes auch der Stammesverband, für die Versorgung alter Menschen, Behinderter oder chronisch Kranker auf. In den Großstädten des Nordens existieren „Selbsthilfegruppen“ in Form von Vereinen, die sich um spezielle Einzelfälle (etwa die Einschulung behinderter Kinder) kümmern. Teilweise fördert das Solidaritätsministerium solche Initiativen mit Grundbeträgen (AA 11.7.2020).

Die Arbeitslosigkeit liegt [Stand 2019] bei 11,7%, die Jugendarbeitslosigkeit (15 - 24-Jährige) bei 29,5% (WKO 2.2021); nach anderen Angaben bei 17% bzw. 50% (RLS 7.4.2020). In einer weiteren Quelle wird die Jugendarbeitslosigkeit mit Stand 2020 mit 30% angegeben, v.a. unter Frauen und höher Gebildeten (DI / DTDA 2020). Die Regierung anerkennt die Problematik der hohen Akademikerarbeitslosigkeit (ÖB 11.2020). Laut Weltbank betrug die Arbeitslosigkeit Ende 2019 12,3%; dieser Wert ist jedoch im Gefolge der COVID-Pandemie sicherlich angestiegen, aktuelle verlässliche Zahlen liegen nicht vor. Schwer zu beziffern ist der informelle Sektor, der laut UN-Quellen (inoffiziell) auf bis zu 60% des Landes geschätzt wird (ÖB 11.2020), nach anderen Angaben arbeiten 38% der Algerier im informellen Sektor (DI / DTDA 2020).

Das staatliche Arbeitsamt Agence national d’emploi / ANEM (http://www.anem.dz/) bietet Dienste an, es existieren auch private Jobvermittlungsagenturen (z.B. http://www.tancib.com/index.php?page=apropos). Seit Februar 2011 stehen jungen Menschen Starthilfekredite offen, wobei keine Daten darüber vorliegen, ob diese Mittel ausgeschöpft wurden. In manchen Regionen stellt der Staat kostenlos Land, Sach- sowie Geldmittel zur Verfügung, um landwirtschaftliche Unternehmungen zu erleichtern. Grundsätzlich ist anzumerken, dass allen staatlichen Genehmigungen/Unterstützungen eine (nicht immer deklarierte) sicherheitspolitische Überprüfung vorausgeht, und dass Arbeitsplätze oft aufgrund von Interventionen besetzt werden. Der offiziell erfasste Wirtschaftssektor ist von staatlichen Betrieben dominiert (ÖB 11.2020).

Quellen:

?        AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (11.7.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Demokratischen Volksrepublik Algerien (Stand: Juni 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2035826/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Demokratischen_Volksrepublik_Algerien_%28Stand_Juni_2020%29%2C_11.07.2020.pdf, Zugriff 12.3.2021

?        BS - Bertelsmann Stiftung (29.4.2020): BTI 2020 Country Report - Algeria, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_DZA.pdf, Zugriff 23.6.2020

?        DI / DTDA - Danish Industry / Danish Trade Union Development Agency [Dänemark] (2020): Labour Market Report Algeria - 2020, https://www.ulandssekretariatet.dk/wp-content/uploads/2020/06/LMR-Algeria-2020-final-version1.pdf, Zugriff 17.3.2021

?        ÖB - Österreichische Botschaft Algier [Österreich] (11.2020): Asylländerbericht Algerien, Quelle liegt bei der Staatendokumentation auf

?        RLS - Rosa-Luxemburg-Stiftung (7.4.2020): Zwischen Pandemie-Bekämpfung und politischer Repression, https://www.rosalux.de/news/id/41937/zwischen-pandemie-bekaempfung-und-politischer-repression?cHash=d0f52147ae9940a356cf04f0af11b4a9, Zugriff 17.6.2020

?        WKO - Wirtschaftskammer Österreich (2.2021): Länderprofil Algerien, https://wko.at/statistik/laenderprofile/lp-algerien.pdf, Zugriff 16.3.2021

Rückkehr

Letzte Änderung: 18.03.2021

Die illegale Ausreise, d.h. die Ausreise ohne gültige Papiere bzw. ohne eine Registrierung der Ausreise per Stempel und Ausreisekarte am Grenzposten, ist gesetzlich verboten (Art. 175 bis 1. algerisches Strafgesetzbuch, Gesetz 09-01 vom 25.2.2009, kundgemacht am 8.3.2009) (ÖB 11.2020; vgl. AA 11.7.2020). Das Gesetz sieht ein Strafmaß von zwei bis sechs Monaten und / oder eine Strafe zwischen 20.000 DA bis 60.000 DA [Anm.: ca. 126 - 378 Euro] vor (ÖB 11.2020).

Rückkehrer, die ohne gültige Papiere das Land verlassen haben, werden mitunter zu einer Bewährungsstrafe von sechs Monaten verurteilt. Für illegale Bootsflüchtlinge („harraga“) sieht das Gesetz Haftstrafen von zwei bis zu sechs Monaten und zusätzliche Geldstrafen vor. In der Praxis werden zumeist Bewährungsstrafen verhängt (AA 11.7.2020).

Eine behördliche Rückkehrhilfe ist der ÖB nicht bekannt. Ebenso sind der Botschaft keine NGOs bekannt, die solche Unterstützung leisten. Es gibt in Algerien 10.000 angemeldete Vereine, die meisten davon sind Wohltätigkeitsvereine - es ist allerdings nicht bekannt, ob von diesen spezielle Rückkehrhilfe geleistet wird. Generell kann davon ausgegangen werden, dass Familien zurückkehrende Mitglieder wieder aufnehmen und unterstützen. Die Botschaft kennt auch Fälle von finanzieller Rückkehrhilfe (1.000-2.000€) durch Frankreich, für Personen, die freiwillig aus Frankreich ausgereist sind. Ähnliches gibt es in unterschiedlicher Höhe auch für andere EU-Staaten (ÖB 11.2020).

Algerien erklärt sich bei Treffen mit EU-Staatenvertretern immer wieder dazu bereit, Rückkehrer aufzunehmen, sofern zweifelsfrei feststehe, dass es sich um algerische Staatsbürger handle. Nachfragen bei EU-Botschaften bestätigen, dass Algerien bei Rückübernahmen kooperiert, allerdings ist der Rhythmus relativ langsam, angeblich maximal 5-10 pro Tag, bzw. auch pro Woche. Algerien behauptet, dass dies auf die insgesamt vielen Rückübernahmen aus zahlreichen Staaten zurückzuführen ist, weil die Aufnahmebehörden sonst überlastet wären. Zwischen Algerien und einzelnen EU-Mitgliedsstaaten bestehen bilaterale Rückübernahmeabkommen (ÖB 11.2020).

Quellen:

?        AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (11.7.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Demokratischen Volksrepublik Algerien (Stand: Juni 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2035826/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Demokratischen_Volksrepublik_Algerien_%28Stand_Juni_2020%29%2C_11.07.2020.pdf, Zugriff 12.3.2021

?        ÖB - Österreichische Botschaft Algier [Österreich] (11.2020): Asylländerbericht Algerien, Quelle liegt bei der Staatendokumentation auf

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zum Sachverhalt:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde unter zentraler Berücksichtigung der Angaben des Beschwerdeführers vor dieser und den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, in den bekämpften Bescheid und in den Beschwerdeschriftsatz sowie in die zitierten Länderberichte zu Algerien.

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des Bundesamtes und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.

Ergänzend wurden Auszüge aus dem Informationsverbund zentrales Fremdenregister, dem zentralen Melderegister, dem Hauptverband österreichischer Sozialversicherungsträger, der "Betreuungsinformation (Grundversorgung)" und dem Strafregister eingeholt.

2.2. Zur Person des Beschwerdeführers:

Da der Beschwerdeführer entweder nicht imstande oder nicht willens war, den österreichischen Behörden identitätsbezeugende Dokumente vorzulegen und darüber hinaus mit unterschiedlichen Alias-Identitäten vor den österreichischen sowie deutschen Behörden aufgetreten ist, steht seine Identität nicht fest.

Die Feststellungen zu seiner Volljährigkeit, seiner Herkunft, seinen Lebensumständen, seinen Familienverhältnissen, seiner Schulbildung und Berufserfahrung, seinem Gesundheitszustand, seiner Erwerbsfähigkeit, seiner Staatsangehörigkeit, seiner Volksgruppenzugehörigkeit und seiner Konfession ergeben sich aus den diesbezüglich glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers im Verfahren.

Die Feststellungen zum Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich zunächst (spätestens) ab 24.01.2016 und nunmehr neuerlich seit 17.06.2021, wobei er im Bundesgebiet ausschließlich in Flüchtlingsunterkünften untergebracht war, ergeben sich aus dem Verwaltungsakt in Zusammenschau mit eingeholten Auskünften aus dem zentralen Melderegister sowie der Applikation "Betreuungsinformation (Grundversorgung)".

Dass der Beschwerdeführer in Österreich zu keinem Zeitpunkt einer legalen Erwerbstätigkeit nachging, ergibt sich aus einer Abfrage im Hauptverband österreichischer Sozialversicherungsträger. Dass er seinen Lebensunterhalt über die staatliche Grundversorgung bestreitet, ergibt sich aus einer Abfrage in der Applikation "Betreuungsinformation (Grundversorgung)".

Dass der Beschwerdeführer keine maßgeblichen Integrationsmerkmale in sprachlicher, gesellschaftlicher oder kultureller Hinsicht aufweist, ergibt sich aus dem Umstand, dass er solche im Verfahren weder behauptete noch formell nachzuweisen vermochte.

Die strafgerichtliche Unbescholtenheit des Beschwerdeführers ergibt sich aus einer Abfrage des Strafregisters der Republik.

2.3. Zu den Fluchtgründen und zu einer Rückkehrgefährdung des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer begründete seinen verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz im Wesentlichen damit, dass er in Algerien der Gefahr einer Verfolgung durch Privatpersonen in Gestalt der Angehörigen eines Mädchens, mit welchem er eine Beziehung geführt habe, ausgesetzt sei. Diese Beziehung habe von Anfang des Jahres 2012 bis Ende des Jahres 2013 angedauert und wären insbesondere die drei Brüder des Mädchens aus traditionellen Gründen dagegen gewesen. Ab Ende des Jahres 2012 hätten die Brüder den Beschwerdeführer mehrfach geschlagen oder andere Leute bezahlt, um ihn zu schlagen, und ihn überdies, u.a. unter Verwendung eines Messers, mit dem Umbringen bedroht. Auch der Mutter des Beschwerdeführers gegenüber hätten sie gedroht, ihn umzubringen. Die letzte Bedrohungshandlung habe im Jahr 2013 auf offener Straße stattgefunden – danach sei der Beschwerdeführer zu einer Tante nach Algier gezogen und hätten weder er noch seine Familie je wieder Probleme oder Kontakt mit den Brüdern oder anderen Angehörigen seiner vormaligen Freundin gehabt. Dennoch befürchte er im Falle seiner Rückkehr, von den Brüdern des Mädchens „entweder selbst oder über deren Auftrag“ getötet zu werden (vgl. AS 44 sowie 131ff).

Das Bundesverwaltungsgericht gelangt zum Schluss, dass das betreffende Vorbringen des Beschwerdeführers nicht glaubhaft ist. Dies aufgrund nachfolgender Erwägungen:

Eingangs ist festzuhalten, dass der Beschwerdeführer im Rahmen seines ersten Asylverfahrens in Österreich im Jahr 2016 noch ein gänzlich anders gelagertes Fluchtvorbringen erstattet und hierbei behauptet hatte, Staatsangehöriger von Syrien zu sein und seinen Herkunftsstaat aufgrund der dort vorherrschenden Bürgerkriegssituation verlassen zu haben. Bereits dieser Umstand lässt in Zusammenschau mit der Tatsache, dass er sich diesem Verfahren entzogen hatte ohne den Ausgang abzuwarten, erhebliche Zweifel an der Glaubhaftigkeit seines nunmehrigen Fluchtvorbringens aufkommen.

Zudem erwiesen sich die Schilderungen des Beschwerdeführers bezüglich seines nunmehrigen Fluchtvorbringens als äußerst oberflächlich und erschöpften sie sich im Wesentlichen in der Darlegung von Eckpfeilern einer allgemein gehaltenen, vagen Rahmengeschichte. Auch vermochte er beispielsweise auf konkrete Nachfrage des Einvernahmeleiters nicht einmal die Namen jener drei Brüder des Mädchens, von denen er angeblich verfolgt worden sei, zu benennen (vgl. AS 133: „LA: Wie heißen ihre Brüder? VP: Nicht sicher. Einer heißt Mohammed. Bei den Namen der anderen beiden bin ich mir nicht sicher.“), was vor dem Hintergrund einer behaupteten, annähernd zweijährigen Beziehung, welche er mit dem Mädchen geführt habe, nicht nachvollziehbar erscheint. Das Beschwerdevorbringen, wonach der Beschwerdeführer im Rahmen der freien Erzählung sowie auch auf Nachfrage „konkrete und detaillierte Angaben zu seinem Fluchtgrund vorgebracht“ habe (AS 223), ist jedenfalls nicht mit dem Inhalt des im Akt enthaltenen Einvernahmeprotokolls in Einklang zu bringen.

Darüber hinaus ist auch keinerlei zeitlicher Konnex zwischen den behaupteten Bedrohungen und Misshandlungen, welcher der Beschwerdeführer seitens der Brüder seiner vormaligen Freundin erfahren habe, und seiner Ausreise aus seinem Herkunftsstaat erkenntlich. So hatte er vor dem BFA ausdrücklich zu Protokoll gegeben, dass sich die letzte Bedrohungshandlung im Jahr 2013 ereignet habe (vgl. AS 135: „Der letzte Vorfall war 2013.“), danach sei er zu einer Tante nach Algier gezogen und „dort hatte ich Ruhe“ (AS 135). Auch die Familie des Beschwerdeführers sei nach seinem Umzug nach Algier seitens der Angehörigen seiner vormaligen Freundin nicht mehr behelligt worden (vgl. AS 137: „Meiner Mutter wurde von den Brüdern gesagt, dass sie mich fertig machen, wenn sie mich sehen. 1-2 Male waren sie bei ihr. 2012 und 2013. Seitdem nicht mehr.“). Dennoch habe der Beschwerdeführer (ausgehend von seinen diesbezüglich stringenten Angaben sowohl in der Erstbefragung als auch in der Einvernahme vor dem BFA) Algerien erst Jahre später, im „November 2015“ (AS 42) bzw. „Ende 2015“ (AS 133), verlassen, was in Anbetracht seiner ersten Asylantragstellung in Österreich am 24.01.2016 durchaus glaubhaft erscheint. Nicht glaubhaft erscheint ausgehend von den Angaben des Beschwerdeführers hingegen, dass er Algerien Ende des Jahres 2015 aufgrund einer damals noch aktuellen Verfolgungsgefahr verlassen habe, wären doch die behaupteten Vorfälle mit den Brüdern seiner vormaligen Freundin zum betreffenden Zeitpunkt zumindest bereits zwei Jahre zurückgelegen.

Darüber hinaus hat der Beschwerdeführer durch seine eigenen Angaben, wonach er ab dem Jahr 2013 unbehelligt in Algier bei einer Tante gelebt habe, bereits implizit das Bestehen einer innerstaatlichen Fluchtalternative eingeräumt, weshalb seinem Vorbringen selbst bei hypothetischer

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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