TE Bvwg Erkenntnis 2021/8/9 I408 2243552-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 09.08.2021
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Entscheidungsdatum

09.08.2021

Norm

BFA-VG §18 Abs3
BFA-VG §21 Abs7
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art8
FPG §67
FPG §67 Abs1
FPG §67 Abs2
FPG §67 Abs4
FPG §70 Abs3
StGB §146
StGB §147
StGB §148
VwGVG §24 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


I408 2243552-1/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Harald NEUSCHMID als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Italien, vertreten durch RA Dr. Gregor KLAMMER, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 04.05.2021, Zl. XXXX zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig. 

Text



Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Nach Verhängung der Untersuchungshaft teilte die belangte Behörde dem inhaftierten Beschwerdeführer mit Schreiben vom 27.07.2020 mit, dass gegen ihn die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes beabsichtigt sei. Die Möglichkeit, dazu binnen zehntägiger Frist eine schriftliche Stellungnahme zu erstatten, nutzte der Beschwerdeführer nicht.

Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 22.12.2020 wurde der Beschwerdeführer ua. wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt.

Mit dem im Spruch genannten Bescheid vom 04.05.2021 erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von sechs Jahren befristetes Aufenthaltsverbot (Spruchpunkt I.), erteilte ihm keinen Durchsetzungsaufschub (Spruchpunkt II.) und erkannte einer Beschwerde gegen dieses Aufenthaltsverbot die aufschiebende Wirkung ab (Spruchpunkt III.).

Gegen diesen Bescheid richtet sich die fristgerecht erhobene Beschwerde vom 03.06.2021.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der volljährige Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Italien. Seine Identität steht fest.

Er hält sich seit September 2008 in Österreich auf und es wurde ihm am 19.02.2009 eine unbefristete Anmeldebescheinigung (Arbeitnehmer) erteilt.

Der Beschwerdeführer leidet an keiner lebensbedrohlichen Erkrankung und ist arbeitsfähig.

Bereits vor dem gegenständlichen Verfahren trat der Beschwerdeführer wiederholt in anderen europäischen Staaten strafgerichtlich in Erscheinung. So wurde er in Italien 13 Mal verurteilt, wobei die jüngste Verurteilung auf unerlaubten Waffenbesitz mit einer Freiheitsstrafe von drei Jahren lautete. In Deutschland weist der Beschwerdeführer zwei Verurteilungen auf und wurde er zuletzt wegen des Handels von Suchtgiften zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und acht Monaten verurteilt.

In Österreich wurde er mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 22.12.2020, XXXX wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs. 1 fünfter Fall, Abs. 4 Z 3 SMG, des Verbrechens der Vorbereitung von Suchtgifthandel nach § 28 Abs. 1 erster Satz, erster und zweiter Fall, Abs. 2 SMG, der Vergehen nach § 50 Abs. 1 Z 1 und Z 2 WaffG und des Vergehens des schweren und gewerbsmäßigen Betrugs nach §§ 146, 147, Abs. 2, 148 erster Fall StGB zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren rechtskräftig verurteilt.

Der Verurteilung lag zugrunde, dass der Beschwerdeführer zwischen Juli 2018 und Juli 2020 eine das 76-fache der Grenzmenge übersteigende Menge Kokain (rund 1 Kilo), Cannabiskraut (rund 2,4 Kilo) und Speed (rund 1,5 Kilo) anderen überlassen und dadurch einen Umsatz iHv rund EUR 75.000,- erzielt hat. Am 10.07.2020 war er zudem im Besitz von 1 Kilo Kokain, rund 1,8 Kilo Speed und 372 Ecstasy-Tabletten und er hatte unbefugt zwei Revolver und eine Pistole samt Munition, drei Gehstöcke mit versteckter Klinge sowie eine Teleskopschlagrute mit aufgeschraubter Stahlkugel in Besitz.

Ausgehend von einem Strafrahmen von einem bis zu fünfzehn Jahren berücksichtigte das Strafgericht das umfassende Geständnis und die Sicherstellung als mildernd, erschwerend hingegen die zahlreichen Vorstrafen sowie das Zusammentreffen von zwei Verbrechen und drei Vergehen.

Seine Haftstrafe verbüßt der Beschwerdeführer in der Justizanstalt XXXX , errechnetes Strafende ist der 22.12.2023.

Seit 2018 ist der kinderlose Beschwerdeführer geschieden, hat sich jedoch mit seiner im Bundesgebiet lebenden Exfrau, einer italienischen Staatsangehörigen, wieder versöhnt und wird von ihr wöchentlich in der Justizanstalt besucht. Während seines gesamten Aufenthaltes war er immer wieder in verschiedenen Gastronomiebetrieben beschäftigt, welche jedoch jeweils nur wenige Tage bzw. Monate andauerten und von Bezügen von Arbeitslosengeld, Notstandshilfe und Krankengeld unterbrochen waren. Die letzten zwei Jahre bezog er in Österreich nur mehr Notstandshilfe iHv EUR 8.700.

Der Beschwerdeführer hat in Österreich soziale Anbindungen über Bekanntschaften und ein Patenkind, mit welchem er vor seiner Inhaftierung in regelmäßigem Kontakt stand. Wechselseitige Abhängigkeiten bestehen nicht.

2. Beweiswürdigung:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde, insbesondere in den bekämpften Bescheid und in den Beschwerdeschriftsatz. Ergänzend zum vorliegenden Akt wurden Auskünfte aus dem Strafregister, dem Zentralen Melderegister, der Grundversorgung und der Sozialversicherung eingeholt.

Die Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers, insbesondere zu seiner Volljährigkeit, Staatsangehörigkeit und Identität ergeben sich aus dem Verwaltungsakt. Die Identität des Beschwerdeführers steht aufgrund der Verifizierung seitens der österreichischen Strafbehörden und der Justiz fest.

Die Feststellungen zum Aufenthalt seit September 2008 und der am 19.02.2009 unbefristet erteilten Anmeldebescheinigung (Arbeitnehmer) waren aufgrund der entsprechenden Eintragungen im Melderegister und Fremdenregister zu treffen.

Im Beschwerdeschriftsatz wurde ausgeführt, dass der Beschwerdeführer an Asthma leidet (Rz 9), jedoch in Haft arbeitet (Rz 12), weshalb die entsprechenden Feststellungen zu Gesundheit und Arbeitsfähigkeit zu treffen waren.

Die Feststellungen zu den Verurteilungen in Italien und Deutschland beruhen auf den im rechtskräftigen Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 22.12.2020, XXXX getroffenen Feststellungen. Insoweit der Beschwerdeführer im Beschwerdeschriftsatz ausführt, dass die „Anzahl der Vorstrafen in Italien“ unrichtig wären und offensichtlich „hier Kräfte am Werk sind, die es schlecht mit mir [Anm. dem Beschwerdeführer] meinen, und auch die Staatsgewalt instrumentalisieren“ (Rz 16) so ist dies als reine Schutzbehauptung zu werten und nicht geeignet, ein Abweichen von den Feststellungen des rechtskräftigen Strafurteils zu tragen, zumal das Vorbringen des Beschwerdeführers völlig unsubstantiiert blieb und auch kein Beweis angeboten wurde.

Die Feststellungen zu den vom Beschwerdeführer begangenen Straftaten, zu seiner Verurteilung und zu den Erschwerungs- und Milderungsgründen basieren ebenfalls auf der im Akt einliegenden Ausfertigung des Strafurteils des Landesgerichtes XXXX vom 22.12.2020, XXXX . Die Rechtskraft der Verurteilung ist durch den entsprechenden Eintrag im österreichischen Strafregister belegt, in welchem keine weiteren Verurteilungen aufscheinen.

Die Feststellungen zum Vollzug der über den Beschwerdeführer verhängten Haftstrafe basieren auf der im Akt einliegenden Vollzugsinformation, die insoweit mit der Wohnsitzmeldung in der Justizanstalt XXXX laut ZMR und der Haftdauer unter Berücksichtigung der Vorhaftanrechnung laut Strafurteil korrespondiert.

Die Feststellungen zur Kinderlosigkeit, zum Familienstand und zur Versöhnung mit seiner Exfrau sowie zu den sozialen Anbindungen in Österreich entsprechen dem Vorbringen des Beschwerdeführers im Beschwerdeschriftsatz. Wechselseitige Abhängigkeiten wurden nicht behauptet. Die Erwerbstätigkeiten sowie die Bezüge von Arbeitslosengeld, Krankengeld und Notstandshilfe sind aus dem eingeholten Sozialversicherungsauszug ersichtlich.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Abweisung der Beschwerde

Vorab ist zur in der Beschwerde monierten Verletzung von Ermittlungspflichten (bzw. des Parteiengehörs) auszuführen, dass der Beschwerdeführer durch die belangte Behörde von der beabsichtigten Erlassung eines Aufenthaltsverbots mit Schreiben vom 27.07.2020 verständigt wurde. Darin wurde er mit konkreten Fragen zu seiner privaten und familiären Situation und zu den Voraussetzungen für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes zur Stellungnahme aufgefordert. Der Beschwerdeführer hatte somit Gelegenheit, sich entsprechend zu äußern und konkrete Angaben, etwa zu seinen privaten und familiären Anknüpfungspunkten, zu machen. Der Beschwerdeführer erstattete keine Stellungnahme. Aufgrund der ihm im Rahmen des Beschwerdeverfahrens gebotenen Möglichkeit, sich zum Inhalt des angefochtenen Bescheids zu äußern, ist jedenfalls von der Sanierung einer allfälligen Verletzung des Parteiengehörs auszugehen zumal der angefochtene Bescheid die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens vollständig wiedergibt und das Vorbringen des Beschwerdeführers der gegenständlichen Entscheidung zu Grunde gelegt wurde (vgl. VwGH 20.12.2017, Ra 2017/03/0069).

3.1.    Zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes (Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides):

Gemäß § 67 Abs. 1 FPG ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde.

Gemäß § 67 Abs. 2 FPG kann ein Aufenthaltsverbot, vorbehaltlich des Abs. 3, für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden.

Gemäß § 9 Abs. 1 BFA-VG ist die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG, wenn dadurch in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird, zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK sind insbesondere die in § 9 Abs. 2 Z 1 bis 9 BFA-VG aufgezählten Gesichtspunkte zu berücksichtigen (die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration, die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist).

Der Beschwerdeführer ist als Staatsangehöriger von Italien EWR-Bürger iSd § 2 Abs. 4 Z 8 FPG. Mit dem verfahrensgegenständlichen Bescheid wurde gegen ihn ein auf die Dauer von sechs Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen. Der Beschwerdeführer weist im Bundesgebiet eine strafgerichtliche Verurteilung wegen der Verbrechen des Suchtgifthandels und der Vorbereitung des Suchtgifthandels, des Vergehens des schweren und gewerbsmäßigen Betrugs und Verstößen gegen das Waffengesetz zu einer dreijährigen Freiheitsstrafe auf.

Aufgrund seines mehr als zehn Jahre andauernden Aufenthaltes in Österreich, kommt der qualifizierte Tatbestand des § 67 Abs. 1 fünfter Satz FPG (nachhaltige und maßgebliche Gefährdung der öffentlichen Sicherheit der Republik Österreich durch den Verbleib im Bundesgebiet) als Prüfungsmaßstab des vorliegenden Aufenthaltsverbots zur Anwendung.

Bei der Erstellung der für jedes Aufenthaltsverbot zu treffenden Gefährdungsprognose ist das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils maßgebliche Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der nach § 67 Abs. 1 FPG zu erstellenden Gefährdungsprognose geht schon aus dem Gesetzeswortlaut klar hervor, dass auf das „persönliche Verhalten“ des Fremden abzustellen ist und strafgerichtliche Verurteilungen allein nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot begründen können (vgl. VwGH 05.03.2021, Ra 2020/21/0289).

Mit der Bestimmung des § 67 Abs. 1 fünfter Satz FPG soll Art. 28 Abs. 3 lit. a der Unionsbürger-RL (§ 2 Abs. 4 Z 18 FPG) umgesetzt werden, wozu der EuGH bereits judizierte, dass hierauf gestützte Maßnahmen auf „außergewöhnliche Umstände“ begrenzt sein sollen; es ist vorausgesetzt, dass die vom Betroffenen ausgehende Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit einen „besonders hohen Schweregrad“ aufweist, was etwa bei bandenmäßigem Handeln mit Betäubungsmitteln der Fall sein kann (vgl. EuGH 23.11.2010, C-145/09; EuGH 22.5.2012, C-348/09, wo überdies darauf hingewiesen wurde, dass es „besonders schwerwiegende(r) Merkmale“ bedarf.) Hat der Fremde „mehrfach Probezeiten bestanden“, ist er nunmehr erstmals wegen Suchtgifthandels und dem Überlassen und Anbieten von Suchtgift an Dritte verurteilt worden, wobei „kein professionell strukturierter Suchtgifthandel“ vorliegt, und ist er erstmals für längere Zeit in Haft gewesen, konnte bedingt entlassen werden und hat er vor, seine Drogensucht behandeln zu lassen, kann nicht von „außergewöhnlichen Umständen“ mit „besonders hohem Schweregrad“ bzw. von „besonders schwerwiegenden Merkmalen“ der vom Fremden begangenen Straftaten gesprochen werden (vgl. VwGH 22.08.2019, Ra 2019/21/0091).

Es ist der belangten Behörde dahingehend zuzustimmen, dass im gegenständlichen Fall derart „außergewöhnliche Umstände“ vorliegen und die durch das Verhalten des Beschwerdeführers ausgehende Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit einen „besonders hohen Schweregrad“ aufweist, dass der Gefährdungsmaßstab des § 67 Abs. 1 fünfter Satz FPG erfüllt ist und die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes somit zulässig ist:

So handelt es sich bei der gegenständliche Verurteilung in Österreich wegen der Verbrechen des Suchtgifthandels und der Vorbereitung des Suchtgifthandels, des Vergehens des schweren und gewerbsmäßigen Betrugs und Verstößen gegen das Waffengesetz zwar um die erste strafgerichtliche Verurteilung in Österreich, allerdings trat der Beschwerdeführer in anderen europäischen Staaten regelmäßig in Erscheinung und wurde er 13 Mal in Italien und zwei Mal in Deutschland (ebenfalls wegen des Handels von Suchtgiften), strafgerichtlich verurteilt. Dies zeigt eindeutig, dass entgegen dem Vorbringen im Beschwerdeschriftsatz keineswegs von einer „kurzen schlechten Phase in der Mid-Life-Crisis“ (Rz 11) gesprochen werden kann, sondern der Beschwerdeführer über viele Jahre hinweg eine massive kriminelle Energie - gerade in Bezug auf den Handel mit Suchtgiften - gezeigt hat. Dabei hat der Beschwerdeführer auch eindrücklich unter Beweis gestellt, dass ihn strafgerichtliche Sanktionen nicht von neuerlicher Delinquenz abzuhalten vermögen, zumal er bereits mehrfach unbedingte Freiheitsstrafen verbüßte. Für diese Einschätzung spricht auch die enorme Quantität des vom Beschwerdeführer gehandelten Suchtgiftes von mehreren Kilo, der erzielte Umsatz von EUR 75.000,- und der Zeitraum der Begehung von zwei Jahren.

Bereits die belangte Behörde hat das ausgesprochene Aufenthaltsverbot nicht (bloß) auf die Tatsache seiner Verurteilungen und der daraus resultierenden Strafhöhe, sohin gerade nicht auf eine reine Rechtsfrage abgestellt. Vielmehr hat sie unter Berücksichtigung des Systems der abgestuften Gefährdungsprognosen, das dem FPG inhärent ist (vgl. VwGH 20.12.2016, Ra 2016/21/0109) sowie unter Würdigung des individuellen, vom Beschwerdeführer durch sein persönliches Verhalten im Bundesgebiet gezeichneten Charakterbildes eine Gefährdungsprognose getroffen und diese Voraussage ihrer administrativrechtlichen Entscheidung zugrunde gelegt. Dabei hob sie besonders hervor, dass aufgrund seiner wirtschaftlichen Situation mit einer Fortsetzung seines delinquenten Verhaltens zu rechnen sei.

Dieser Einschätzung schließt sich das erkennende Gericht vollinhaltlich an und kommt es aufgrund der Verurteilung des Beschwerdeführers und des sich hieraus ergebenden Persönlichkeitsbildes und der Gefährdungsprognose ebenso zur Überzeugung, dass im gegenständlichen Fall derart „außergewöhnliche Umstände“ vorliegen und die durch das Verhalten des Beschwerdeführers ausgehende Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit einen „besonders hohen Schweregrad“ aufweist, welche ein Aufenthaltsverbot im gegenständlichen Fall zu rechtfertigen vermag.

Diese Einschätzung wird auch maßgeblich von dem Umstand getragen, dass der Beschwerdeführer sich nicht nur mit dem Handel von Suchtgift in einer das 76-fache der Grenzmenge übersteigenden Menge begnügte, sondern währenddessen Notstandshilfe in Österreich bezog und somit das Delikt des schweren und gewerbsmäßigen Betrugs verwirklichte. Gerade dem Aspekt der Gewerbsmäßigkeit kommt dabei große Bedeutung zu, da gerade die in der gewerbsmäßigen Tatbegehung gelegene Tendenz des Fremden, sich durch die wiederkehrende Begehung einer strafbaren Handlung eine fortlaufende Einnahme zu sichern, für sich eine erhebliche Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit darstellt (vgl. VwGH 24.05.2005, 2002/18/0289). Auch dass der Beschwerdeführer im Besitz mehrerer verbotener Schuss-, Stich- und Hiebwaffen war, stellt ein weiteres Indiz für die von ihm ausgehende große Gefährdung der öffentlichen Sicherheit dar.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist der Gesinnungswandel eines Straftäters grundsätzlich daran zu messen, ob und wie lange er sich - nach dem Vollzug einer Haftstrafe - in Freiheit wohlverhalten hat; für die Annahme eines Wegfalls der aus dem bisherigen Fehlverhalten ableitbaren Gefährlichkeit eines Fremden ist somit in erster Linie das Verhalten in Freiheit maßgeblich. Dabei ist der Beobachtungszeitraum umso länger anzusetzen, je nachdrücklicher sich die Gefährlichkeit des Fremden in der Vergangenheit manifestiert hat (VwGH 04.04.2019, Ra 2019/21/0060). Durch den derzeitigen Haftaufenthalt ist die Zeit jedenfalls noch zu wenig weit fortgeschritten, um dem Beschwerdeführer einen allenfalls gegebenen positiven Gesinnungswandel zu attestieren (vgl. VwGH 19.12.2019, Ra 2019/21/0276). Zudem besteht auch keinerlei Anhaltspunkt für einen erfolgten Gesinnungswandel, zumal sich der Beschwerdeführer zwar hinsichtlich seiner Verurteilung in Österreich reumütig zeigte, er jedoch bis zuletzt im Beschwerdeschriftsatz seine zahlreichen Vorverurteilungen abstritt.

Die Erheblichkeit der vom Beschwerdeführer ausgehenden Gefahr ergibt sich aus seiner massiven Suchtmitteldelinquenz, zumal es sich bei verwirklichten Delikten iSd § 28a SMG, um qualifizierte Formen der Suchtgiftdelinquenz handelt. Der Verwaltungsgerichtshof hat in Bezug auf Suchtgiftdelinquenz bereits wiederholt festgehalten, dass diese ein besonders verpöntes Fehlverhalten darstellt, bei dem erfahrungsgemäß eine hohe Wiederholungsgefahr gegeben ist und an dessen Verhinderung ein besonders großes öffentliches Interesse besteht (vgl. VwGH 28.11.2019, Ra 2019/19/0359).

Die Verhinderung von strafbaren Handlungen, insbesondere von Suchtgiftdelikten, ist angesichts der massiven negativen Konsequenzen des Konsums illegaler Drogen ein Grundinteresse der Gesellschaft, insbesondere zum Schutz der Gesundheit der Bevölkerung. Das gegen den Beschwerdeführer erlassene Aufenthaltsverbot ist daher zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, zur Verhinderung von strafbaren Handlungen sowie zum Schutz der Gesundheit und der Rechte und Freiheiten anderer dringend geboten. Aufgrund des persönlichen Verhaltens des Beschwerdeführers, welches die Verhängung einer mehrjährigen unbedingten Freiheitstrafe wegen Suchtgifthandels notwendig machte, ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbots unerlässlich, um ihn von der Begehung weiterer Straftaten im Bundesgebiet abzuhalten. Auch der Umstand, dass er seine strafbaren Handlungen aus Gewinnbestrebung und zur Finanzierung seines Lebensunterhaltes beging und trotz seines hohen Einkommens noch in betrügerischer Weise Notstandshilfe bezog, indiziert, dass von ihm auch zukünftig eine nachhaltige und maßgebliche Gefährdung der öffentlichen Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet ausgehen wird.

Auch die im Lichte des § 9 BFA-VG gebotene Abwägung der privaten und familiären Interessen des Beschwerdeführers mit den entgegenstehenden öffentlichen Interessen konnte eine Abstandnahme von der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes nicht rechtfertigen. Auch wenn sich der Beschwerdeführer und seine Exfrau nach ihrer Scheidung im Jahr 2018 wieder versöhnt haben, liegt derzeit kein Familienleben vor. Das schon ob des langjährigen Aufenthaltes durchaus vorhandene Privatleben des Beschwerdeführers wird nicht verkannt, jedoch haben die privaten Beziehungen im Ergebnis eine Relativierung hinzunehmen und hinter die massive Delinquenz des Beschwerdeführers zurückzutreten. Die mit einem Aufenthaltsverbot einhergehenden gegenständlichen Auswirkungen auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers sind im öffentlichen Interesse in Kauf zu nehmen (vgl. VwGH 15.04.2020, Ra 2019/18/0270) und wäre selbst eine durch eine aufenthaltsbeendende Maßnahme bewirkte Trennung von Familienangehörigen im großen öffentlichen Interesse an der Verhinderung von Suchtgiftkriminalität in einer Konstellation wie der Vorliegenden in Kauf zu nehmen (vgl. VwGH 15.04.2020; Ra 2019/18/0270), sodass dies umso mehr für das gegenständliche Privatleben gelten muss. Die Aufrechterhaltung des Kontaktes zu seiner Lebensgefährtin und seinem Patenkind wird dem Beschwerdeführer jedenfalls auch in Italien durch Besuche - wie derzeit in Haft - oder auf telefonischem bzw. elektronischem Weg möglich sein.

Angesichts des zuvor aufgezeigten und in seiner Gesamtheit derart gravierenden Fehlverhaltens des Beschwerdeführers ist davon auszugehen, dass das gegen ihn erlassene Aufenthaltsverbot gemäß § 9 BFA-VG zulässig und zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele (Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, Verhinderung von weiteren strafbaren Handlungen durch den Beschwerdeführer) auch dringend geboten ist.

Die öffentlichen Interessen an der Erlassung des Aufenthaltsverbotes sind demnach höher zu gewichten als die gegenläufigen privaten Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib in Österreich. Unter diesen Umständen ist die Erlassung des Aufenthaltsverbotes im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung nach § 9 BFA-VG als zulässig zu werten (vgl. VwGH 06.12.2019, Ra 2019/18/0437).

Was die Bemessung der Dauer des Aufenthaltsverbotes betrifft, erscheint diese angesichts des Verhaltens des Beschwerdeführers auch keineswegs als zu lang. Insbesondere wird berücksichtigt, dass der Beschwerdeführer bereits vor seiner erstmaligen Verurteilung in Österreich mehrfach straffällig wurde und nunmehr zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt wurde. Es war weiter zu berücksichtigen, dass er seine Taten in Bezug auf ein Vielfaches der 25fachen Grenzmenge, nämlich mehrere Kilo Kokain, Speed und Cannabis, beging, was von einer besonderen Verwerflichkeit seiner Delinquenz zeugt. Selbiges gilt für den betrügerischen Bezug von Notstandshilfe über mehrere Jahre, trotz des erheblichen Einkommens als Suchtgifthändler. Das von der belangten Behörde gewählte Maß des Aufenthaltsverbotes von sechs Jahren erweist sich bei einer höchstmöglichen Dauer von zehn Jahren daher keineswegs als zu lang, insbesondere da im Falle des Beschwerdeführers aufgrund des bisher gezeigten Verhaltens eine neuerliche Begehung gleichgelagerter Straftaten zur Finanzierung seines Lebensunterhaltes durchaus als nicht unwahrscheinlich anzusehen ist. Es bedarf daher eines entsprechend langen Zeitraums der Beobachtung seines Wohlverhaltens, um sicherzustellen, dass er im Inland keine Straftaten mehr begehen wird. Aufgrund dieser Überlegungen war die Dauer des Aufenthaltsverbotes von sechs Jahren nicht zu beanstanden.

Die Beschwerde war daher hinsichtlich des Spruchpunktes I. des angefochtenen Bescheides als unbegründet abzuweisen.

3.2. Zur Nichtgewährung eines Durchsetzungsaufschubes und zur Aberkennung der aufschiebenden Wirkung (Spruchpunkt II. und III. des angefochtenen Bescheides):

Gemäß § 70 Abs. 3 FPG ist EWR-Bürgern bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbots von Amts wegen ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat zu erteilen, es sei denn, die sofortige Ausreise wäre im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich.

Gemäß § 18 Abs. 3 BFA-VG kann die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen ein Aufenthaltsverbot aberkannt werden, wenn die sofortige Ausreise oder die sofortige Durchsetzbarkeit im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich ist.

Wie die umseitigen Ausführungen zeigen, geht vom Beschwerdeführer eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit aus und hat er anhand seines Gesamtfehlverhaltens unzweifelhaft gezeigt, dass er nicht gewillt war, sich an die österreichische (und italienische sowie deutsche) Rechtsordnung zu halten. Es ist daher der belangten Behörde insofern beizupflichten, dass seine sofortige Ausreise nach der Haftentlassung im Interesse der öffentlichen Ordnung und Sicherheit erforderlich ist.

Weder die Nichterteilung eines Durchsetzungsaufschubes gemäß § 70 Abs. 3 FPG noch die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 18 Abs. 3 BFA-VG sind somit zu beanstanden, sodass die Beschwerde auch in Bezug auf die Spruchpunkte II. und III. des angefochtenen Bescheids als unbegründet abzuweisen war.

4. Zum Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.

Das Gericht musste sich keinen persönlichen Eindruck vom Beschwerdeführer verschaffen, da es sich um einen solchen eindeutigen Fall in dem Sinne handelt, dass auch bei Berücksichtigung aller zugunsten des Beschwerdeführers sprechenden Fakten für ihn kein günstigeres Ergebnis zu erwarten ist, wenn der persönliche Eindruck ein positiver ist (vgl. VwGH 01.07.2021, Ra 2021/21/0017). Zudem wurde das Vorbringen des Beschwerdeführers in der Beschwerde der gegenständlichen Entscheidung zugrunde gelegt und wäre auch bei einem positiven Eindruck keine Reduzierung oder gar ein Entfall des verhängten Aufenthaltsverbotes möglich.

Die Abhaltung einer Verhandlung konnte demnach unterbleiben.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die einzelfallbezogene Erstellung einer Gefährdungsprognose und die Bemessung der Dauer eines Einreise- oder Aufenthaltsverbots sind im Allgemeinen nicht revisibel (VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0284). Die Revision war nicht zuzulassen, weil sich das BVwG an bestehender höchstgerichtlicher Rechtsprechung orientieren konnte und keine darüber hinausgehende grundsätzliche Rechtsfrage iSd Art. 133 Abs. 4 B-VG zu lösen war.

Schlagworte

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European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:I408.2243552.1.00

Im RIS seit

25.10.2021

Zuletzt aktualisiert am

25.10.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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