TE Bvwg Erkenntnis 2021/9/6 W200 2240647-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 06.09.2021
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Entscheidungsdatum

06.09.2021

Norm

Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen §1
BBG §42
BBG §45
B-VG Art133 Abs4

Spruch


W200 2240647-1/9E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. SCHERZ als Vorsitzende und durch den Richter Dr. KUZMINSKI sowie die fachkundige Laienrichter Dr. MEIERSCHITZ als Beisitzerin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX gegen den Bescheid
des Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien, vom 16.11.2020, OB: 69435770700068, mit welchem der Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass abgewiesen wurde, zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid aufgehoben.

Die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass liegen vor.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer stellte am 13.03.2020 den gegenständlichen Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses, Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel“ in den Behindertenpass sowie auf Ausstellung eines Ausweises gemäß § 29b StVO. In weiterer Folge legte der Beschwerdeführer ein Konvolut medizinischer Unterlagen vor.

Bereits zuvor besaß der Beschwerdeführer seit 27.02.2019 einen befristeten Behindertenpass mit einem festgestellten Grad der Behinderung von 60% und einen befristeten Ausweis gemäß § 29b StVO. Aufgrund von COVID-19 erfolgte eine Verlängerung von Amts wegen bis 30.11.2020.

Das aufgrund des nunmehr gegenständlichen Antrags vom Sozialministeriumservice eingeholte Gutachten einer Ärztin für Allgemeinmedizin, Fachärztin für Unfallchirurgie vom 01.10.2020 ergab einen Gesamtgrad der Behinderung von 50 v. H. und hinsichtlich der Beurteilung der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel, dass keine Funktionsbeeinträchtigungen das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke, das Ein- und Aussteigen sowie den sicheren Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel nicht zuließen. Laut Gutachten würden keine höhergradigen Funktionsstörungen der unteren Extremitäten vorliegen. Der Beschwerdeführer könne unter Verwendung einer einfachen Gehhilfe eine kurze Wegstrecke von mehr als 300 Metern zu Fuß ohne Unterbrechung und ohne fremde Hilfe zurücklegen. Es würden zwei Unterarmstützkrücken benützt, wobei jedoch die vorhandenen Funktionsdefizite die behinderungsbedingte Notwendigkeit der dauerhaften Verwendung zweier Krücken nicht begründen könnten. Ein- und Aussteigen sei möglich, da beide Hüftgelenke über 90° gebeugt werden könnten und beide Knie- und Sprunggelenke ausreichend beweglich seien. Ein sicheres Anhalten sei ebenfalls möglich.

Im gewährten Parteiengehör teilte der Beschwerdeführer mit, nicht mit dem Ergebnis der Begutachtung einverstanden zu sein. Er zähle zur Risikogruppe und könne daher nicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren. Er sei zurzeit auf Rehabilitation nach zwei Operationen am linken Fußgelenk und werde Röntgenbilder und Fotos nachreichen.

In einer vom Sozialministeriumservice eingeholten Stellungnahme der Ärztin für Allgemeinmedizin, Fachärztin für Unfallchirurgie vom 13.11.2020 hielt diese fest, dass bei der orthopädischen Untersuchung keine höhergradigen Funktionseinschränkungen im Bereich der Hüft- und Sprunggelenke festgestellt werden hätten können. Insbesondere sei keine erhebliche Einschränkung des Bewegungsumfanges der Gelenke der unteren Extremitäten festgestellt worden. Befunde, die neue Tatsachen, noch nicht ausreichend berücksichtigte Leiden oder eine maßgebliche Verschlimmerung belegen könnten, seien nicht vorgelegt worden.

In weiterer Folge wurde dem Beschwerdeführer ein Behindertenpass ausgestellt und mit gegenständlichem Bescheid vom 16.11.2020 der Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass abgewiesen. Begründet wurde auf das eingeholte Gutachten samt Stellungnahme verwiesen. Über den Antrag auf Ausstellung eines Parkausweises wurde nicht abgesprochen.

Im Rahmen der dagegen erhobenen Beschwerde wurde ausgeführt, dass der Beschwerdeführer vom 26.11.2020 bis 11.12.2020 stationär in einer Privatklinik gewesen sei, da der am 24. August verplattete linke Knöchel erneut operiert worden sei und die Platte entfernt werden habe müssen, da sich die Wunde nicht schließen habe können. Dazu sei ein Krankenhauskeim gekommen, der aber erkannt und behandelt worden sei. Am 17. Dezember werde er erneut operiert, da er eine Spalthaut über die offene Wunde (Hauttransplantation) erhalte. Er müsse einen Plastikstiefel zur Stützung des Knöchels tragen. Mit zwei Stützkrücken sei er die nächsten Monate nicht in der Lage, weiter als 50 Meter zu gehen. Er könne die öffentlichen Verkehrsmittel daher nicht benützen.

Der Beschwerdeführer legte mit der Beschwerde weitere medizinische Unterlagen vor.

Aufgrund der Beschwerde holte das Sozialministeriumservice ein Gutachten eines Facharztes für Orthopädie vom 17.03.2021 ein, worin festgehalten wurde, dass im Vergleich zur Voruntersuchung zwischenzeitlich ein Wundinfekt aufgetreten sei, der die Entfernung des Osteosynthesematerials erforderlich gemacht habe. Im Dezember 2020 sei erfolgreich eine Spalthautdeckung vorgenommen worden. Unter Antibiose sei ein gutes Einheilen erzielt worden.

Hinsichtlich der Beurteilung der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wurde ausgeführt, dass keine höhergradigen Funktionsbehinderungen vorliegen würden. Durch die Sprunggelenksendoprothesenversorgung lägen im Bereich des linken Sprunggelenkes belastungsstabile Verhältnisse vor. Es ergebe sich daraus eine Einschränkung der maximalen Gehstrecke. Die Verwendung einfacher Gehbehelfe, z.B. einer Unterarmstützkrücke, verbessere die Belastung und Gehleistung. Weiters bestehe eine suffiziente orthopädische Schuhversorgung. In Zusammenschau fänden sich am Bewegungsapparat und an der unteren Extremität mittelgradige Funktionsbehinderungen, die aber die Bewältigung von kurzen Wegstrecken erlauben sowie das Überwinden von Niveauunterschieden gewährleisten würden. An der oberen Extremität würden keine maßgeblichen Funktionsbehinderungen vorliegen, die die Verwendung von Ausstiegshilfen oder Haltegriffen einschränkten.

In diesem Gutachten wurde auch auf einen vom Beschwerdeführer vorgelegten Befundbericht vom 08.02.2021 des ARTHROS Medical Center verwiesen, wonach „strikte körperliche Schonung bei Herzinsuffizienz bei maximaler Gehstrecke von 100m und Kontrolle in 3-6 Monaten“ aufgetragen wird. Dieser Befundbericht wurde vom begutachtenden Orthopäden jedoch nicht zum Akt genommen.

Das BVwG holte in weiterer Folge ein Gutachten einer Fachärztin für Innere Medizin und Rheumatologie vom 10.05.2021 ein. Die Gutachterin wurde ersucht, Folgendes bekanntzugeben: 1. Diagnoseliste der dauernden Gesundheitsschädigungen, 2. Ausführungen, in welchem Ausmaß die angeführten Leidenszustände vorliegen und wie sich diese auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirken, 3. Einschätzung, ob erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit vorliegen und eine Begründung der Beurteilung, 4. Einschätzung, ob eine hochgradige Immunschwäche vorliegt sowie 5. Bekanntgabe, ob eine vom aktuellen Ergebnis (orthopädisches GA vom 17.03.2021) abweichende Beurteilung vorliegt und bejahendenfalls diese zu begründen. Dem Beschwerdeführer wurde aufgetragen, den Befundbericht vom 08.02.2021 des ARTHROS Medical Centers zur Untersuchung mitzunehmen.

Das vom BVwG eingeholte Gutachten vom 10.05.2021 gestaltet sich wie folgt:

„Zusammenfassung der Befunde:

SVG Dr. XXXX , FA für Orthopädie, 19.03.2019, ABL 17-21

SVG DDr.in XXXX , FÄ für Unfallchirurgie, 24.09.2020 Ärztin für Allgemeinmedizin, ABL 58-64:

Stellungnahme, 13.11.2020, DDr. XXXX , Orthopädie, ABL 72-73

SVG Dr. XXXX , 12.03.2021, ABL 127-133

Entlassungsbericht, 02.11.2018, evangelisches KH, ABL 8-10:

Posttraumatische periprothetische OSCH Fraktur rechts bei liegender Hüfttotalendoprothese mit Schaftlockerung und Nachsinken des Schaftes (OP am 12.10.2018)

Varisch subluxierte OSG links

Art. Hypertonie

Stp. Operation der linken Schulter 1992

St.p CHE

St.p. Clavikulafraktur beidseits

Befundbericht Rehabzentrum Kitzbühel, 30.01.2019-20.02.2019, ABL 11-16:

Rehabilitation nach komplexer Funktionsstörung der rechten UE bei Z.n. Sturz am 09.10.2018 mit periprothetischer Fraktur am 09.10.2018 und OP am 12.10.2018 mit Schaftwechsel, Osteosynthese

Z.n. Implantation einer HTEP

MRT des OSG links, 04.11.2019, ABL 42:

Hochgradige sekundäre posttraumatische OSG Arthrose, ältere teils zystisch transformierte Residuen einer medialen OD des Talus, Gelenkserguss, narbige Verbreiterung der Seitenbänder, wie beschrieben, perimalleoläres Weichteilödem

Resorptionszysten im Bereich des distalen fibulären Artikulation

Entlassungsbrief Privatklinik Döbling, 23.12.2020, ABL 85-86, ABL 113-114;

Fract. mall lat. sin. operat. Infect

Aufnahme zur Spalthauttransplantation am 17.12.2020

Anlegen eines Wundverbandes am OSCH und USCH, Aircast Walker bei nicht durchgeheilter Außenknöchelfraktur

Ärztlicher Befundbericht, ARTHROS Medical Center, Dr. XXXX , Kardiologie und Innere Medizin, 08.02.2021, ABL 129:

Diagnose: pVAV, CMP

proBNP 662, strikte körperliche Schonung bei Herzinsuffizienz mit maximaler Gehstrecke von 100m, engmaschige Verlaufskontrollen

Anamnese:

Hüfttotalendoprothese rechts, Z.n. Wechsel-OP und Osteosynthese bei periprothetischer Fraktur des rechten Oberschenkels

Hüftgelenksarthrose links

Sprunggelenksendoprothese links mit sekundärer Verplattung des Außenknöchels, sekundärer Wundheilungsstörung

Bluthochdruck

Vorhofflimmern, CMP - pro BNP 662,9 pg/ml

Derzeitige Beschwerden:

Der Pat. kommt an 1 UA Stützkrücke gehend in die Ordination, das Gangbild ist hinkend linksseitig.

Anhaltendes Wundmanagement 2 x wöchentlich zur Versorgung der Wundheilungsstörung am OSG links

Private Physiotherapie wird 3 x wöchentlich durchgeführt

Vorbekanntes Vorhofflimmern, sowie eine ausgeprägte Herzinsuffizienz mit pro BNP> 600, Therapie mit Eplerenon und Entresto ist etabliert, laufende Sedacorontherapie,

In der Echocardiografie vom 08.02.2020: EF 34,9%, geringgradiger Pericarderguss Eingeschränkte Belastbarkeit gegeben, körperliche Schonung indiziert

Medikamente

Entresto, Eliquis, Sedacoron, Eplerenon

Hilfsmittel: 2 UA Stützkrücken, orthopädische Schuhe

Status:

(…)

Herz: HT arrhythmisch, leise, rein, tachycard

Lunge: va, SKS, keine path RG's, Lungenbasen verschieblich

OE: frei beweglich

WS: unauffällig, keine Klopfdolenz

UE: HTEP rechts unauffällige Narbenverhältnisse, OSG rechts unauffällig, links - lokaler Verband in situ bei chronifizierter Wundheilungsstörung (Fotodokument vom 08.05.2021 wird vorgelegt) - dieser wird während der Untersuchung nicht entfernt, da professioneller Wundverband (Wundmanagement)

Geringe Beinödeme beidseits

(…)

Gehfähigkeit:

Pat. kommt langsam hinkend links an einer UA Stützkrücke in die Ordination, die Untersuchung wird im Sitzen durchgeführt, da Lagewechsel erschwert aber möglich, aufstehen erfolgt mit anhalten, freies stehen möglich aber erschwert.

Zusammenfassung und Fragen:

Frage 1.)

Diagnoseliste:

Hüftendoprothese rechts -Z.n. Wechsel OP und Osteosynthese bei Z.n. periprothetischer Fraktur

Hüftgelenksarthrose links

Sprunggelenksendoprothese links, Z.n. Außenknöchelverplattung links und anschließender Revision mit Plattenentfernung und sekundärer Wundheilungsstörung, intermittierende Anlage eines VAC Systems und anschließender Spalthautdeckung

Arterielle Hypertonie

Vorhofflimmern

Cardiomyopathie - pro BNP 662,9pg/ml

Frage 2.)

Aufgrund der cardialen Erkrankung mit einer Herzinsuffizienz (pro BNP > 600) besteht bei dem Pat. eine eingeschränkte Leistungsfähigkeit. Eine Mobilisierung, wie es für das Zurücklegen einer Wegstrecke von 300 bis 400 m in 10 min notwendig wäre, ist daher nicht mehr zumutbar.

Das Überwinden von Niveauunterschieden wie es zum Einsteigen in ein öffentliches Verkehrsmittel notwendig wäre, ist möglich, die UA Stützkrücke stellt nur ein geringgradiges Hindernis dar. Der Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel ist im Sitzen möglich, da der freie Stand erschwert ist aufgrund der orthopädischen Voroperationen (Hüftprothese rechts und Sprunggelenksendoprothese links mit sekundärer Wundheilungsstörung).

Frage 3.)

Aufgrund der cardialen Erkrankung besteht eine wesentliche Einschränkung der körperlichen Belastbarkeit (pro BNP 662,9pg/ml). Es besteht eine mittelgradige Einschränkung der Pumpfunktion mit einer EF von 34,9%.

Eine Belastung wie es zur normalen Bewältigung von 300 bis 400m in 10 min notwendig wäre ist aus diesem Grunde nicht mehr zumutbar. Es besteht eine komplexe cardiale medikamentöse Therapie mit keiner wesentlichen Therapiereserve.

Frage 4.)

Nicht zutreffend.

Frage 5.)

Im orthopädischen SVGA vom 17.03.2021 (ABL 127-133) wurden die orthopädischen Leiden aufgelistet und in die Beurteilung mit aufgenommen.

Das bestehende cardiale Leiden wurde im (orthopädischen) SVG nicht berücksichtigt.

Aufgrund der Berücksichtigung des cardialen Leidens wie o.g. wird hier eine abweichende Beurteilung zum vorliegenden SVGA vorgenommen und die Gehstrecke von 300 bis 400m in 10 min aufgrund des cardialen Leidens als nicht mehr zumutbar eingeschätzt nach EVO.“

Im gewährten Parteiengehör wurden keine Stellungnahmen abgegeben.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der Beschwerdeführer ist im Besitz eines Behindertenpasses mit einem Gesamtgrad der Behinderung in der Höhe von 50 von Hundert.

1.2. Dem Beschwerdeführer ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel nicht zumutbar.

1.2.1. Art und Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigungen:

Klinischer Statuts:

Herz: HT arrhythmisch, leise, rein, tachycard.

Lunge: va, SKS, keine path RG's, Lungenbasen verschieblich.

Obere Extremität: frei beweglich.

Wirbelsäule: unauffällig, keine Klopfdolenz.

Untere Extremität: HTEP rechts unauffällige Narbenverhältnisse, OSG rechts unauffällig, links - lokaler Verband in situ bei chronifizierter Wundheilungsstörung (Fotodokument vom 08.05.2021 wird vorgelegt) - dieser wird während der Untersuchung nicht entfernt, da professioneller Wundverband (Wundmanagement). Geringe Beinödeme beidseits.

Gesamtmobilität – Gangbild:

Langsam hinkend links an einer Unterarmstützkrücke, Untersuchung wurde im Sitzen durchgeführt, da Lagewechsel erschwert aber möglich, das Aufstehen erfolgt mit anhalten, freies Stehen möglich aber erschwert.

Funktionseinschränkungen: Hüftendoprothese rechts - Z.n. Wechsel OP und Osteosynthese bei Z.n. periprothetischer Fraktur; Hüftgelenksarthrose links; Sprunggelenksendoprothese links, Z.n. Außenknöchelverplattung links und anschließender Revision mit Plattenentfernung und sekundärer Wundheilungsstörung, intermittierende Anlage eines VAC Systems und anschließender Spalthautdeckung; Arterielle Hypertonie; Vorhofflimmern; Cardiomyopathie - pro BNP 662,9pg/ml.

1.2.2. Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel:

Die festgestellte Funktionseinschränkung "Cardiomyopathie – pro BNP 662,9pg/ml" wirkt sich in erheblichem Ausmaß negativ auf die Benutzung der öffentlichen Verkehrsmittel aus. Es besteht bei cardialer Erkrankung mit einer Herzinsuffizienz (pro BNP > 600) eine eingeschränkte Leistungsfähigkeit. Es besteht eine mittelgradige Einschränkung der Pumpfunktion mit einer EF von 34,9%. Der Beschwerdeführer kann sich im öffentlichen Raum keine 300 – 400m fortbewegen. Es besteht eine erhebliche Einschränkung der Mobilität durch die festgestellten Funktionseinschränkungen.

2. Beweiswürdigung:

Zur Klärung des Sachverhaltes war von der belangten Behörde (zuletzt) ein orthopädisches Sachverständigengutachten vom 17.03.2021 eingeholt worden. Dem vorzitierten Gutachten wurden sämtliche vom Beschwerdeführer dem Sozialministeriumservice vorgelegten medizinischen Unterlagen zu Grunde gelegt und im Gutachten der Zustand des Beschwerdeführers im Detail dargelegt und festgestellt, dass keine erhebliche Einschränkung der Mobilität durch die festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen vorliegt.

Jedoch wurde in diesem Gutachten auch auf einen vom Beschwerdeführer vorgelegten Befundbericht vom 08.02.2021 des ARTHROS Medical Center verwiesen, wonach „strikte körperliche Schonung bei Herzinsuffizienz bei maximaler Gehstrecke von 100m und Kontrolle in 3-6 Monaten“ aufgetragen wird. Dieser Befundbericht wurde vom begutachtenden Orthopäden jedoch nicht zum Akt genommen.

Eine vom BVwG beauftragte und bisher nicht mit dem Akt befasste Fachärztin für Innere Medizin und Rheumatologie erstellte unter Zugrundelegung der vorliegenden Ergebnisse ein Gutachten und kam darin unter Berücksichtigung des Befundberichts vom 08.02.2021 des ARHTHROS Medical Centers nachvollziehbar zu dem Schluss, dass beim Beschwerdeführer aufgrund der cardialen Erkrankung mit einer Herzinsuffizienz (pro BNP > 600) eine eingeschränkte Leistungsfähigkeit besteht. Eine Mobilisierung wie es für das Zurücklegen einer Wegstrecke von 300 bis 400 m notwendig wäre, ist nicht mehr zumutbar. Es besteht eine erhebliche Einschränkung der körperlichen Belastbarkeit (pro BNP 662,9pg/ml) und eine mittelgradige Einschränkung der Pumpfunktion mit einer EF von 34,9%. Eine Belastung, wie es zur normalen Bewältigung von 300 bis 400 m notwendig wäre, ist aus diesem Grund nicht mehr zumutbar. Es besteht eine komplexe cardiale medikamentöse Therapie mit keiner wesentlichen Therapiereserve. Schlüssig hält die Gutachterin zudem fest, dass im orthopädischen Gutachten vom 17.03.2021 zwar die orthopädischen Leiden aufgelistet und in die Beurteilung aufgenommen wurden. Das bestehende cardiale Leide wurde in diesem Gutachten aber nicht berücksichtigt.

Seitens des Bundesverwaltungsgerichtes bestehen in Gesamtbetrachtung keine Zweifel an der Richtigkeit, Vollständigkeit und Schlüssigkeit des vom BVwG eingeholten Sachverständigengutachtens. Dieses wurde daher in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung zu Grunde gelegt.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 45 Abs. 3 BBG hat in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen. Gegenständlich liegt somit Senatszuständigkeit vor.

Zu A)

Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen (§ 45 Abs. 1 BBG).

Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben oder der Pass eingezogen wird (§ 45 Abs. 2 BBG).

Zur Frage der Unzumutbarkeit der Benützung der öffentlichen Verkehrsmittel:

Gemäß § 1 Abs. 2 Z. 3 der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen BGBl. II Nr. 495/2013 ist die Feststellung, dass dem Inhaber/der Inhaberin des Passes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist, einzutragen; die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist insbesondere dann nicht zumutbar, wenn das 36. Lebensmonat vollendet ist und
-         erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten oder
-         erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder
-         erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Funktionen oder
-         eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder
-         eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach § 1 Abs. 2 Z 1 lit. b oder d

vorliegen.

Entscheidend für die Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist, wie sich eine bestehende Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt (VwGH vom 20.10.2011, Zl. 2009/11/0032).

Ausgehend von den bisherigen durch die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes entwickelten Beurteilungskriterien zur Frage "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel" sind Funktionseinschränkungen relevant, die die selbstständige Fortbewegung im öffentlichen Raum sowie den sicheren, gefährdungsfreien Transport im öffentlichen Verkehrsmittel erheblich einschränken. Als Aktionsradius ist eine Gehstrecke von rund 10 Minuten, entsprechend einer Entfernung von rund 200 bis 300 m anzunehmen.

Grundsätzlich ist eine Beurteilung nur im Zuge einer Untersuchung des Antragstellers/der Antragstellerin möglich. Alle therapeutischen Möglichkeiten sind zu berücksichtigen. Therapierefraktion - das heißt keine therapeutische Option ist mehr offen - ist in geeigneter Form nachzuweisen. Eine Bestätigung des behandelnden Arztes/der behandelnden Ärztin ist nicht ausreichend.

Erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit betreffen vorrangig cardiopulmonale Funktionseinschränkungen.

Bei den folgenden Einschränkungen liegt jedenfalls eine Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel vor:

- arterielle Verschlusskrankheit ab II/B nach Fontaine bei fehlender therapeutischer Option

- Herzinsuffizienz mit hochgradigen Dekompensationszeichen

- hochgradige Rechtsherzinsuffizienz

- Lungengerüsterkrankungen unter Langzeitsauerstofftherapie

- COPD IV mit Langzeitsauerstofftherapie

- Emphysem mit Langzeitsauerstofftherapie

- mobiles Gerät mit Flüssigsauerstoff muss nachweislich benützt werden

Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu dieser Zusatzeintragung ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel dann unzumutbar, wenn eine kurze Wegstrecke nicht aus eigener Kraft und ohne fremde Hilfe, allenfalls unter Verwendung zweckmäßiger Behelfe ohne Unterbrechung zurückgelegt werden kann oder wenn die Verwendung der erforderlichen Behelfe die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in hohem Maße erschwert. Die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist auch dann nicht zumutbar, wenn sich die dauernde Gesundheitsschädigung auf die Möglichkeit des Ein- und Aussteigens und die sichere Beförderung in einem öffentlichen Verkehrsmittel unter Berücksichtigung der beim üblichen Betrieb dieser Verkehrsmittel gegebenen Bedingungen auswirkt. Zu prüfen ist die konkrete Fähigkeit öffentliche Verkehrsmittel zu benützen. Zu berücksichtigen sind insbesondere zu überwindende Niveauunterschiede beim Aus- und Einsteigen, Schwierigkeiten beim Stehen, bei der Sitzplatzsuche, bei notwendig werdender Fortbewegung im Verkehrsmittel während der Fahrt. (VwGH 22.10.2002, Zl. 2001/11/0242; 14.05.2009, 2007/11/0080).

Beim Beschwerdeführer liegt nach Ansicht des erkennenden Senates eine erhebliche Einschränkung der körperlichen Belastbarkeit vor bzw. entspricht diese rechtliche Einschätzung auch dem Willen des Gesetzgebers. Er leidet an einer cardialen Erkrankung mit einer Herzinsuffizienz (pro BNP 662,9pg/ml), die eine erhebliche Einschränkung der körperlichen Belastbarkeit bewirkt. Es besteht auch eine mittelgradige Einschränkung der Pumpfunktion mit einer EF von 34,9%. Er leidet somit an einer Herzinsuffizienz mit hochgradigen Dekompensationszeichen.

Beim Beschwerdeführer liegen somit die Voraussetzungen für die Vornahme der beantragten Zusatzeintragung vor.

In weiterer Folge wird vom SMS auch noch über den Antrag auf Ausstellung eines Ausweises gemäß § 29b StVO zu entscheiden sein.

Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung:

Das Verwaltungsgericht hat auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. (§ 24 Abs. 1 VwGVG)

Die Verhandlung kann entfallen, wenn der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist. (§ 24 Abs. 2 Z.1 VwGVG)

Der Beschwerdeführer hat die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Den sonstigen Parteien ist Gelegenheit zu geben, binnen angemessener, zwei Wochen nicht übersteigender Frist einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden. (§ 24 Abs. 3 VwGVG)

Soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, kann das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen. (§ 24 Abs. 4 VwGVG)

Das Verwaltungsgericht kann von der Durchführung (Fortsetzung) einer Verhandlung absehen, wenn die Parteien ausdrücklich darauf verzichten. Ein solcher Verzicht kann bis zum Beginn der (fortgesetzten) Verhandlung erklärt werden. (§ 24 Abs. 5 VwGVG)

In seinem Urteil vom 18. Juli 2013, Nr. 56.422/09 (Schädler-Eberle/Liechtenstein) hat der EGMR in Weiterführung seiner bisherigen Judikatur dargelegt, dass es Verfahren geben würde, in denen eine Verhandlung nicht geboten sei, etwa wenn keine Fragen der Beweiswürdigung auftreten würden oder die Tatsachenfeststellungen nicht bestritten seien, sodass eine Verhandlung nicht notwendig sei und das Gericht auf Grund des schriftlichen Vorbringens und der schriftlichen Unterlagen entscheiden könne (VwGH 03.10.2013, Zl. 2012/06/0221).

Der Sachverhalt erscheint geklärt, dem Bundesverwaltungsgericht liegt kein Beschwerdevorbringen vor, das mit dem Beschwerdeführer mündlich zu erörtern gewesen wäre - wie unter II.3. ausgeführt, wurde der Entscheidung die Erläuterung zur Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen BGBl. II Nr. 495/2013 zu Grunde gelegt, und konnte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung unterbleiben.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG) hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, sondern von Tatsachenfragen. Maßgebend ist das festgestellte Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigungen.

Schlagworte

Behindertenpass Sachverständigengutachten Unzumutbarkeit Zusatzeintragung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W200.2240647.1.00

Im RIS seit

25.10.2021

Zuletzt aktualisiert am

25.10.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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