Entscheidungsdatum
22.09.2021Norm
BBG §40Spruch
W218 2242137-1/4E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Benedikta TAURER als Vorsitzende und die Richterin Mag. Marion STEINER sowie die fachkundige Laienrichterin Mag. Bettina PINTER als Beisitzerinnen über die Beschwerde der XXXX , geboren am XXXX , bevollmächtigt vertreten durch RA Mag. Diana Anna RYSZEWSKA, Rechtsanwältin in Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Wien in der Fassung der Beschwerdevorentscheidung vom 04.03.2021, betreffend die Abweisung des Antrages auf Ausstellung eines Behindertenpasses, zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Mit Bescheid vom 19.10.2020 stellte das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (Kurzbezeichnung: Sozialministeriumservice; in der Folge belangte Behörde genannt) fest, dass mit einem Grad der Behinderung von 40 vH die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses nicht gegeben seien.
2. Gegen diesen Bescheid wurde von der bevollmächtigten Vertreterin fristgerecht Beschwerde erhoben. Unter Vorlage von Beweismitteln wurde im Wesentlichen vorgebracht, dass sich der Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin rapide verschlechtere und sie täglich starke Medikamente benötige. Durch einen Sturz im Frühjahr 2019 hätten die Schmerzen in den Beinen zudem massiv zugenommen.
Die Beschwerdeführerin leide weiters an einer Somatisierungsstörung, da sich die unerträglichen physischen Einschränkungen auf ihre Psyche auswirken würden. Es komme noch eine starke Beeinträchtigung der Lungenfunktion der Beschwerdeführerin hinzu.
Die belangte Behörde habe es unterlassen, amtswegig ein MRT zu veranlassen und sei die Einstufung des Grades der Behinderung betreffend degenerative Veränderung der Kniegelenke mit 10 vH nicht gerechtfertigt.
Das führende Leiden degenerative Veränderungen an der Wirbelsäule wäre mit einem Grad der Behinderung von mindestens 50 vH einzustufen gewesen bzw. wäre jedenfalls der Gesamtgrad der Behinderung aufgrund des maßgeblich ungünstigen Zusammenwirkens der anderen festgestellten Leiden, insbesondere am Hüftgelenk und an beiden Kniegelenken, mit 50 vH einzustufen gewesen. Bei richtiger Einstufung des Grades der Behinderung an beiden Kniegelenken, wäre der Grad der Behinderung jedenfalls mit über 20 vH zu bemessen gewesen und gesetzeskonform mit dem Grad der Behinderung des führenden Leidens zu addieren gewesen.
3. Mit Bescheid vom 04.03.2021 hat die belangte Behörde im Rahmen der Beschwerdevorentscheidung die Beschwerde gemäß §§ 40, 41 und 46 BBG iVm § 14 VwGVG abgewiesen.
Diesem Bescheid wurde die Stellungnahme einer Fachärztin für Orthopädie zugrunde gelegt.
4. Mit Schreiben, eingelangt bei der belangten Behörde am 28.04.2021, beantragte die bevollmächtigte Vertreterin die Vorlage der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.
5. Die gegenständliche Beschwerde und die Bezug habenden Verwaltungsakten langten am 04.05.2021 beim Bundesverwaltungsgericht ein.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der Gesamtgrad der Behinderung beträgt 40 vH.
Die Beschwerdeführerin leidet an folgenden Funktionseinschränkungen:
1. Degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, Pos.Nr.: 02.01.02, Grad der Behinderung 40%
2. Chronisch obstruktive Lungenerkrankung, Pos.Nr.: 06.06.01, Grad der Behinderung 20%
3. Arterielle Hypertonie bei dokumentierten Veränderungen der Herzklappen, Pos.Nr.: 05.01.02, Grad der Behinderung 20%
4. Diabetes mellitus II, Pos.Nr.: 09.02.01, Grad der Behinderung 20%
5. Degenerative Veränderungen der Kniegelenke, Pos.Nr.: 02.02.01, Grad der Behinderung 10%
6. Degenerative Veränderungen der Fingergelenke beider Hände, Pos.Nr.: 02.02.01, Grad der Behinderung 10%
7. Somatisierungsstörung, chronisches Schmerzsyndrom, depressive Störung, Pos.Nr.: 03.05.01, Grad der Behinderung 10%
8. Polyneuropathie, Pos.Nr.: 04.06.01, Grad der Behinderung 10%
Da die Beschwerdeführerin keinen Gesamtgrad der Behinderung von 50% (fünfzig v.H.) erreicht, sind die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses nicht erfüllt.
2. Beweiswürdigung:
Die eingeholten ärztlichen Sachverständigengutachten sind schlüssig und nachvollziehbar, sie weisen keine Widersprüche auf. Es wurde auf die Art der Leiden und deren Ausmaß ausführlich eingegangen. Die getroffenen Einschätzungen, basierend auf dem im Rahmen persönlicher Untersuchung der Beschwerdeführerin erhobenen klinischen Befund, entsprechen den festgestellten Funktionseinschränkungen.
Im medizinischen Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Unfallchirurgie, MSc Orthopädie, wird, basierend auf der persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin, am 12.02.2020, sowie aufgrund der Aktenlage vom 18.08.2020, im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:
Die orthopädische Sachverständige stufte das führende Leiden 1 „Degenerative Veränderungen der Wirbelsäule“ schlüssig und nachvollziehbar unter der Positionsnummer 02.01.02 mit dem oberen Rahmensatz mit einem Grad der Behinderung von 40 vH ein. Bei der Beschwerdeführerin ist eine rezidivierende Lumboischialgie objektivierbar, welche zu geringgradigen funktionellen Einschränkungen ohne objektivierbares neurologisches Defizit führen. Die Beweglichkeit der Halswirbelsäule war im Zuge der ausführlichen persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin in allen Ebenen endlagig eingeschränkt, im Bereich der Brustwirbelsäule und Lendenwirbelsäule waren die Rotation und das Seitneigen endlagig eingeschränkt. Die Rückenmuskulatur ist symmetrisch ausgebildet. Aus dem MRT Befund vom 23.11.2020 geht eine höhergradige Degeneration der Segmente L2/3 und L5/S1 sowie eine höhergradige vorwiegend knöchern bedingte Neuroforminastenose hervor. Darüber hinaus wurde eine Schmorl’sche Knotenbildung mit breiten intraspongläsen Bandscheibenvorwölbungen befundet. Unter der Positionsnummer 02.01.02 mit einem Grad der Behinderung sind gemäß der Einschätzungsverordnung folgende Funktionseinschränkungen mittleren Grades mitberücksichtigt: „Rezidivierend und anhaltend, Dauerschmerzen eventuell episodische Verschlechterungen, radiologische und/oder morphologische Veränderungen, maßgebliche Einschränkungen im Alltag“. Im Vorgutachten, basierend auf der persönlichen Untersuchung am 11.04.2018, wurde dieses Leiden mit einem Grad der Behinderung von 30 vH eingestuft und wurde die objektivierbare Verschlechterung der führenden Funktionseinschränkung sohin ausreichend berücksichtigt. Da im Zuge der ausführlichen orthopädischen Untersuchung eine höhergradige Funktionseinschränkung im Bereich der Wirbelsäule nicht objektivierbar war und diese den vorliegenden Befunden nicht zu entnehmen ist, kann keine höhere Einstufung des Grades der Behinderung erfolgen.
Die medizinische Sachverständige stufte das Leiden 2 „Chronisch obstruktive Lungenerkrankung“ unter der Positionsnummer 06.06.01 mit einem Grad der Behinderung von 20 vH ein, da eine „insgesamt leichtgradige Einschränkung der respiratorischen Leistungsreserven ohne gehäufte akute Exazerbationen oder Einschränkungen der Atemgase vorliegen“, diese sind therapeutisch kompensiert. Aus dem Röntgenbefund der Lunge vom 20.07.2020 gehen geringe Überblähungszeichen hervor und zeigte sich kein Hinweis auf ein rezentes Infiltrat, daher kann keine höhere Einstufung des Grades der Behinderung erfolgen. Die postentzündlichen Residuen stellen kein behinderungsrelevantes Leiden dar und führen daher auch nicht zu einer Erhöhung des Grades der Behinderung.
Das Leiden 3 „Arterielle Hypertonie bei dokumentierten Veränderungen der Herzklappen“ wurde von der medizinischen Sachverständigen schlüssig und nachvollziehbar nach den Kriterien der Einschätzungsverordnung unter der Positionsnummer 05.01.02 mit dem fixen Rahmensatz von 20 vH eingestuft und wurde die laufende medikamentöse Kombinationstherapie bereits mitberücksichtig, Dekompensationszeichen sind nicht objektivierbar.
Das unter laufender Nummer 4 angeführte Leiden „Diabetes mellitus II“ wurde von der medizinischen Sachverständigen schlüssig und nachvollziehbar unter der Positionsnummer 09.02.01 mit einem Grad der Behinderung von 20 vH eingestuft. Die Beschwerdeführerin wird mittels Einnahme von oraler antidiabetischer Medikamente behandelt und kann dadurch bereits eine befriedigende Stoffwechselsituation hergestellt werden.
Die orthopädische Sachverständige stufte das Leiden 5 „Degenerative Veränderungen der Kniegelenke“ schlüssig und nachvollziehbar nach den Kriterien der Einstufungsverordnung unter der Positionsnummer 02.02.01 mit einem Grad der Behinderung von 10 vH ein, da keine maßgeblichen funktionellen Einschränkungen objektivierbar sind. Im Zuge der umfangreichen orthopädischen Untersuchung war der Beschwerdeführerin die Ausführung der tiefen Hocke zu einem Drittel möglich. Die Kniegelenke zeigten sich äußerlich unauffällig ohne Umfangsvermehrung und Überwärmung. Die Kniegelenke waren stabil und waren keine Beugeschmerzen auslösbar. Die Kniegelenke waren seitengleich frei beweglich. Im Zuge der persönlichen Untersuchung war der Beschwerdeführerin das Gehen ohne Anhalten annähernd unauffällig möglich, das Gangbild war geringgradig verlangsamt. Aus dem MRT Befund vom 23.11.2020 geht eine komplexe Rissbildung des lateralen Meniskus rechts und ein Verdacht auf eine beginnende Rissbildung im lateralen Meniskushinterhorn links hervor sowie eine höhergradige Chondropathie Patellae und ein geringgradiger Gelenkserguss beidseits. Dieser Befund wurde von der orthopädischen Sachverständigen im Rahmen der Stellungnahme vom 31.01.2021 berücksichtigt, doch konnten daraus keine neuen Erkenntnisse gezogen werden, welche das Begutachtungsergebnis entkräften hätte können. Eine höhere Funktionseinschränkung als durch die ausführliche orthopädische Untersuchung durch die medizinische Sachverständige konnte nicht objektiviert werden.
Die orthopädische Sachverständige stufte das Leiden 6 „Degenerative Veränderungen der Fingergelenke beider Hände“ schlüssig und nachvollziehbar unter der Positionsnummer 02.02.01 mit einem Grad der Behinderung von 10 vH ein, da keine maßgeblichen funktionellen Einschränkungen objektivierbar sind und die Greif- und Haltefunktion jedenfalls erhalten sind. Im Bereich der Zeigefinger waren im Zuge der persönlichen Untersuchung Herberden’sche Arthrosen objektivierbar, welche zu einer geringgradigen Achsenabweichung führten, die Daumensattelgelenke zeigten eine mäßige Subluxationsstellung und war sowohl die Opponensfunktion als auch die Abduktion möglich. Die Daumen als auch die Langfinger waren im Zuge der persönlichen Untersuchung seitengleich frei beweglich, der Faustschluss und das Fingerspreizen beidseitig komplett durchführbar.
Im medizinischen Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie, wird, basierend auf der persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin, am 08.10.2020, im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:
Die im Gesamtgutachten als Leiden 7 angeführte Funktionseinschränkung „Somatisierungsstörung, chronisches Schmerzsyndrom, depressive Störung“ wurde von der psychiatrischen und neurologischen Sachverständigen unter der Positionsnummer 03.05.01 mit dem unteren Rahmensatz mit einem Grad der Behinderung von 10 vH eingestuft, da eine affektive Symptomatik objektivierbar ist, aber keine kognitive Störung. Im Zuge der persönlichen Untersuchung erhob die Sachverständige auch den Status Psychicus als „Kooperativ und freundlich, gut auskunftsfähig, bewußtseinsklar, voll orientiert, kein kognitiv-mnestisches Defizit, Gedankenductus: geordnet, kohärent; Konzentration und Antrieb unauffällig; Stimmungslage ausgeglichen, stabil, Befindlichkeit negativ getönt, in beiden Bereichen affizierbar; Affekte: angepasst, keine produktive Symptomatik“. Das unter Leiden 7 mitangeführte psychische Leiden ergibt keinen eigenständigen Grad der Behinderung. Das Leiden 7 wurde im Vergleich zum Vorgutachten, basierend auf der persönlichen Untersuchung am 11.04.2018 neu in die Liste der Funktionseinschränkungen aufgenommen, da es nunmehr befundmäßig dokumentiert ist. Die Beschwerdeführerin legte ein Schreiben eines Facharztes für Psychiatrie und Neurologie vom 14.07.2020 vor, aus dem die Somatisierungsstörung zweifelsfrei ableitbar ist. Die weiteren Ausführungen zum Gesamtgrad der Behinderung werden zwar zur Kenntnis genommen, doch ist die Einstufung des Gesamtgrades der Behinderung ausschließlich nach den Kriterien der Einschätzungsverordnung vorzunehmen.
Das Leiden 8 „Polyneuropathie“ wurde von der neurologischen Sachverständigen schlüssig und nachvollziehbar nach den Kriterien der Einschätzungsverordnung unter der Positionsnummer 04.06.01 mit einem Grad der Behinderung von 10 vH eingestuft, da zwar „stutzenförmige Gefühlsstörungen der UE mit rezidivierenden Missempfindungen“ objektivierbar sind, aber keine motorischen Einbußen vorliegen. Die neurologische Sachverständige untersuchte die Funktionen der unteren Extremitäten der Beschwerdeführerin ausführlich. Sowohl der Gang als auch der Stand waren unauffällig und sicher, es zeigte sich kein eindeutiges Kraftdefizit und keine eingeschränkte Mobilität. Der PSR war seitengleich schwach und der ASR nicht sicher auslösbar. Es liegen daher lediglich sensible und motorische Ausfälle leichten Grades vor. Eine höhere Einstufung des Grades der Behinderung ist nicht vorzunehmen. Im Vergleich zum Vorgutachten, basierend auf der persönlichen Untersuchung am 11.04.2018, wurde das Leiden 8 erstmalig eingestuft, da es nunmehr befundmäßig belegt ist.
Der Gesamtgrad der Behinderung wurde von der orthopädischen und allgemeinmedizinischen Sachverständigen mit 40 vH eingestuft, da das führende Leiden 1 „Degenerative Veränderungen der Wirbelsäule“ durch die Leiden 2 bis 4 mangels Vorliegens einer ungünstigen wechselseitigen Leidensbeeinflussung nicht weiter erhöht wird. Die Leiden 5 bis 8 erhöhen mangels maßgeblichem ungünstigem Zusammenwirkens das Leiden 1 nicht weiter. Die neurologische Sachverständige führte zudem aus, dass das führende Leiden 1 durch die Leiden 7 und 8 nicht weiter erhöht wird, da diese von zu geringer funktioneller Relevanz sind. In Gesamtbetrachtung des objektivierbaren Leidensbildes der Beschwerdeführerin kamen die ins Verfahren einbezogene orthopädische und die neurologische Fachärztin zu dem Schluss, dass der Gesamtgrad der Behinderung mit 40 vH einzustufen ist.
Die Behörde (bzw. das Gericht) hat ein Gutachten auf seine Vollständigkeit und Schlüssigkeit zu überprüfen. Weitere Gutachten hat die Behörde nur dann einzuholen, wenn sich die vorliegenden Gutachten als nicht vollständig oder nicht schlüssig und damit als nicht ausreichend erweisen; will eine Partei außer dem vorliegenden schlüssigen und vollständigen Gutachten noch ein weiteres in das Verfahren einbezogen wissen, steht es ihr frei, selbst ein Gutachten eines privaten Sachverständigen zu beschaffen und vorzulegen. Die belangte Behörde und der Beschwerdeführer sind den getroffenen Feststellungen nicht entgegengetreten, weshalb das Gericht die im Gutachten getroffenen Feststellungen ohne weitere Ermittlungen dem Sachverhalt zugrunde gelegt hat.
Mit dem Beschwerdevorbringen hat sich die Sachverständige in der seitens der belangten Behörde eingeholten Stellungnahme ausführlich auseinandergesetzt. Die beauftragte Sachverständige hält – unter Beachtung der vorgelegten Befunde – zusammengefasst fest, dass keine höhergradigen Funktionseinschränkungen im Bereich der Wirbelsäule und des Bewegungsapparates feststellbar sind. Die bei der Beschwerdeführerin vorliegenden rezidivierenden Beschwerden führen zu keinen relevanten funktionellen Einschränkungen und sind nicht geeignet, den Grad der Behinderung wegen maßgeblicher ungünstigen Zusammenwirkens zu erhöhen.
Es wurde dem Vorbringen der Beschwerdeführerin somit nachvollziehbar, schlüssig und vollständig entgegen getreten und kann den Einwendungen der Beschwerdeführerin angesichts des Inhalts des Gutachtens nicht gefolgt werden. Die Beschwerdeführerin konnte weder eine Unschlüssigkeit oder Unvollständigkeit des Gutachtens aufzeigen noch ist siey ihm auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten. Auch sind an der Person der Sachverständigen keine Bedenken aufgetreten.
Die eingeholten Sachverständigengutachten stehen mit den Erfahrungen des Lebens, der ärztlichen Wissenschaft und den Denkgesetzen nicht in Widerspruch. Auch war dem Vorbringen sowie den eingeholten und vorgelegten Beweismitteln kein Anhaltspunkt zu entnehmen, die Tauglichkeit der befassten Sachverständigen oder deren Beurteilung beziehungsweise Feststellungen in Zweifel zu ziehen.
Die Sachverständigengutachten werden daher in freier Beweiswürdigung der Entscheidung zu Grunde gelegt.
Der Vollständigkeit halber wird angeführt, dass Gegenstand des Verfahrens ausschließlich die Abweisung des Antrages auf Ausstellung eines Behindertenpasses ist und daher auf die Ausführungen betreffend Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel nicht näher einzugehen ist.
3. Rechtliche Beurteilung:
Gemäß § 45 Abs. 3 BBG hat in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen. Gegenständlich liegt somit Senatszuständigkeit vor.
Zu A)
1. Zur Entscheidung in der Sache:
Unter Behinderung im Sinne dieses Bundesgesetzes ist die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten. (§ 1 Abs. 2 BBG)
Behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% ist auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpaß auszustellen, wenn
1. ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist oder
2. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften wegen Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit oder dauernder Erwerbsunfähigkeit Geldleistungen beziehen oder
3. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften ein Pflegegeld, eine Pflegezulage, eine Blindenzulage oder eine gleichartige Leistung erhalten oder
4. für sie erhöhte Familienbeihilfe bezogen wird oder sie selbst erhöhte Familienbeihilfe beziehen oder
5. sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderten-einstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, angehören.
Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen hat den Grad der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen, wenn
1. nach bundesgesetzlichen Vorschriften Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden und die hiefür maßgebenden Vorschriften keine Einschätzung vorsehen oder
2. zwei oder mehr Einschätzungen nach bundesgesetzlichen Vorschriften vorliegen und keine Gesamteinschätzung vorgenommen wurde oder
3. ein Fall des § 40 Abs. 2 vorliegt.
Auszug aus der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend nähere Bestimmungen über die Feststellung des Grades der Behinderung (Einschätzungsverordnung) idgF:
„Grad der Behinderung
§ 2. (1) Die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen sind als Grad der Behinderung zu beurteilen. Der Grad der Behinderung wird nach Art und Schwere der Funktionsbeeinträchtigung in festen Sätzen oder Rahmensätzen in der Anlage dieser Verordnung festgelegt. Die Anlage bildet einen Bestandteil dieser Verordnung.
(2) Bei Auswirkungen von Funktionsbeeinträchtigungen, die nicht in der Anlage angeführt sind, ist der Grad der Behinderung in Analogie zu vergleichbaren Funktionsbeeinträchtigungen festzulegen.
(3) Der Grad der Behinderung ist nach durch zehn teilbaren Hundertsätzen festzustellen. Ein um fünf geringerer Grad der Behinderung wird von ihnen mit umfasst. Das Ergebnis der Einschätzung innerhalb eines Rahmensatzes ist zu begründen.
Gesamtgrad der Behinderung
§ 3. (1) Eine Einschätzung des Gesamtgrades der Behinderung ist dann vorzunehmen, wenn mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen. Bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung sind die einzelnen Werte der Funktionsbeeinträchtigungen nicht zu addieren. Maßgebend sind die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander.
(2) Bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung ist zunächst von jener Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, für die der höchste Wert festgestellt wurde. In der Folge ist zu prüfen, ob und inwieweit dieser durch die weiteren Funktionsbeeinträchtigungen erhöht wird. Gesundheitsschädigungen mit einem Ausmaß von weniger als 20 vH sind außer Betracht zu lassen, sofern eine solche Gesundheitsschädigung im Zusammenwirken mit einer anderen Gesundheitsschädigung keine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung verursacht.
Bei Überschneidungen von Funktionsbeeinträchtigungen ist grundsätzlich vom höheren Grad der Behinderung auszugehen.
(3) Eine wechselseitige Beeinflussung der Funktionsbeeinträchtigungen, die geeignet ist, eine Erhöhung des Grades der Behinderung zu bewirken, liegt vor, wenn
- sich eine Funktionsbeeinträchtigung auf eine andere besonders nachteilig auswirkt,
- zwei oder mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen, die gemeinsam zu einer wesentlichen Funktionsbeeinträchtigung führen.
(4) Eine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung ist dann gegeben, wenn das Gesamtbild der Behinderung eine andere Beurteilung gerechtfertigt erscheinen lässt, als die einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen alleine.
Grundlage der Einschätzung
§ 4. (1) Die Grundlage für die Einschätzung des Grades der Behinderung bildet die Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen im körperlichen, geistigen, psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung in Form eines ärztlichen Sachverständigengutachtens. Erforderlichenfalls sind Experten aus anderen Fachbereichen - beispielsweise Psychologen - zur ganzheitlichen Beurteilung heran zu ziehen.
(2) Das Gutachten hat neben den persönlichen Daten die Anamnese, den Untersuchungsbefund, die Diagnosen, die Einschätzung des Grades der Behinderung, eine Begründung für die Einschätzung des Grades der Behinderung innerhalb eines Rahmensatzes sowie die Erstellung des Gesamtgrades der Behinderung und dessen Begründung zu enthalten.“
Da ein Grad der Behinderung von 40 (vierzig) vH festgestellt wurde und somit die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses nicht erfüllt sind, war spruchgemäß zu entscheiden.
2. Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung:
Gemäß § 24 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013 idgF hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. In diesem Sinne ist eine Verhandlung als erforderlich anzusehen, wenn es nach Art. 6 EMRK bzw. Art. 47 Abs. 2 GRC geboten ist, wobei gemäß Rechtsprechung des VfGH der Umfang der Garantien und des Schutzes der Bestimmungen ident sind.
Der Rechtsprechung des EGMR kann entnommen werden, dass er das Sozialrecht auf Grund seiner technischen Natur und der oftmaligen Notwendigkeit, Sachverständige beizuziehen, als gerade dazu geneigt ansieht, nicht in allen Fällen eine mündliche Verhandlung durchzuführen (vgl. Eriksson v. Sweden, EGMR 12.4.2012; Schuler-Zgraggen v. Switzerland, EGMR 24.6.1993).
Im Erkenntnis vom 18.01.2005, GZ. 2002/05/1519, nimmt auch der Verwaltungsgerichtshof auf die diesbezügliche Rechtsprechung des EGMR (Hinweis Hofbauer v. Österreich, EGMR 2.9.2004) Bezug, wonach ein mündliches Verfahren verzichtbar erscheint, wenn ein Sachverhalt in erster Linie durch seine technische Natur gekennzeichnet ist. Darüber hinaus erkennt er bei Vorliegen eines ausreichend geklärten Sachverhalts das Bedürfnis der nationalen Behörden nach zweckmäßiger und wirtschaftlicher Vorgangsweise an, welches das Absehen von einer mündlichen Verhandlung gestatte (vgl. VwGH vom 4.3.2008, 2005/05/0304).
Der im gegenständlichen Fall entscheidungsrelevante Sachverhalt wurde auf gutachterlicher Basis ermittelt. Zudem wurde von der beschwerdeführenden Partei in der Beschwerde kein Vorbringen erstattet, welches eine weitere Erörterung notwendig erschienen ließ.
Im Hinblick auf obige Überlegungen sah der erkennende Senat daher unter Beachtung der Wahrung der Verfahrensökonomie und -effizienz von einer mündlichen Verhandlung ab, zumal auch eine weitere Klärung der Rechtssache hierdurch nicht erwartbar war.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG) hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Vielmehr hängt die Entscheidung von Tatsachenfragen ab. Maßgebend sind die Art des Leidens und das festgestellte Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigungen.
Schlagworte
Behindertenpass Grad der Behinderung SachverständigengutachtenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:W218.2242137.1.00Im RIS seit
25.10.2021Zuletzt aktualisiert am
25.10.2021