TE Bvwg Erkenntnis 2021/9/22 W218 2241913-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 22.09.2021
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

22.09.2021

Norm

BBG §40
BBG §41
BBG §45
B-VG Art133 Abs4

Spruch


W218 2241913-1/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Benedikta TAURER als Vorsitzende und die Richterin Mag. Marion STEINER sowie die fachkundige Laienrichterin Mag. Bettina PINTER als Beisitzerinnen über die Beschwerde des XXXX , geboren am XXXX , bevollmächtigt vertreten durch den Kriegsopfer- und Behindertenverband für Wien, NÖ und Bgld., gegen den Bescheid des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Wien vom 18.01.2021, betreffend Abweisung des Antrages auf Ausstellung eines Behindertenpasses, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1.       Mit Bescheid vom 18.01.2021 stellte das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (Kurzbezeichnung: Sozialministeriumservice; in der Folge belangte Behörde genannt) fest, dass mit einem Grad der Behinderung von 40 vH die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses nicht gegeben seien.

2.       Gegen diesen Bescheid wurde vom bevollmächtigten Vertreter fristgerecht Beschwerde erhoben. Unter Vorlage von Beweismitteln wurde im Wesentlichen vorgebracht, dass der Beschwerdeführer aufgrund seines Diabetes mellitus viermal täglich Insulin spritzen müsse und trotzdem hohe Blutzuckeramplituden, Blutzuckerschwankungen und einen hohen HbA1C Wert aufweise. Durch die hohen Zuckerwerte leide der Beschwerdeführer zudem immer wieder an Sehstörungen und sei ein Gesichtsfelddefekt diagnostiziert worden. Aufgrund der viermaligen Insulinspritzen täglich und aufgrund der hohen Blutzuckeramplituden sowie des reduzierten Allgemeinzustandes sei daher die Richtsatzposition 09.02.04 heranzuziehen.

3.       Mit Bescheid vom 08.04.2021 hat die belangte Behörde im Rahmen der Beschwerdevorentscheidung die Beschwerde gemäß §§ 40, 41 und 46 BBG iVm § 14 VwGVG abgewiesen.

Diesem Bescheid wurde das Sachverständigengutachten, basierend auf der persönlichen Untersuchung am 07.04.2021, zugrunde gelegt.

4.       Mit Schreiben, eingelangt bei der belangten Behörde am 26.04.2021, beantragte der bevollmächtigte Vertreter die Vorlage der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.

5.       Die gegenständliche Beschwerde und die Bezug habenden Verwaltungsakten langten am 28.04.2021 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

6.       Am 28.07.2021 langten weitere Befunde des Beschwerdeführers ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.       Feststellungen:

Der Gesamtgrad der Behinderung beträgt 40 vH.

Der Beschwerdeführer leidet an folgenden Funktionseinschränkungen:

1. Diabetes mellitus, insulinpflichtig, Pos.Nr.: 09.02.02, Grad der Behinderung 40%

2. degenerative Wirbelsäulenveränderungen, Pos.Nr.: 02.01.01, Grad der Behinderung 10%

3. Schilddrüsenunterfunktion, Pos.Nr.: 09.01.01, Grad der Behinderung 10%

4. Neigung zu perianaler Hautinfektion, Pos.Nr.: 01.01.01, Grad der Behinderung 10%

Da der Beschwerdeführer keinen Gesamtgrad der Behinderung von 50% (fünfzig v.H.) erreicht, sind die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses nicht erfüllt.

2.       Beweiswürdigung:

Das eingeholte ärztliche Sachverständigengutachten ist schlüssig und nachvollziehbar, es weist keine Widersprüche auf. Es wurde auf die Art der Leiden und deren Ausmaß ausführlich eingegangen. Die getroffenen Einschätzungen, basierend auf dem im Rahmen persönlicher Untersuchung des Beschwerdeführers erhobenen klinischen Befund, entsprechen den festgestellten Funktionseinschränkungen.

Im medizinischen Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Innere Medizin, wird, basierend auf der persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers, am 07.04.2021, im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:

Die internistische Sachverständige stufte das Leiden 1 „Diabetes mellitus, insulinpflichtig“ schlüssig und nachvollziehbar nach den Kriterien der Einschätzungsverordnung unter der Positionsnummer 09.02.02 mit dem oberen Rahmensatz mit einem Grad der Behinderung von 40 vH ein, da eine funktionelle Insulintherapie notwendig ist, ketoazitotische Stoffwechselentgleisungen aber nicht vorliegen. Beim Beschwerdeführer liegt ein guter Allgemeinzustand und ein normaler Ernährungszustand vor. Unter dem oberen Rahmensatz der Positionsnummer 09.02.02 „Insulinpflichtiger Diabetes bei stabiler Stoffwechsellage“ ist angeführt: „Bei höherer zweimaliger Insulindosis und gutem Allgemeinzustand Bei funktioneller Diabeteseinstellung (Basis-Bolus-Therapie), gutem Allgemeinzustand und stabiler Stoffwechsellage“. Die HbA1C Werte des Beschwerdeführers schwankten bei den letzten vorliegenden Blutbefunden von Dezember 2019 und Jänner 2021, die erhobenen – erhöhten – Werte wurden von der internistischen Sachverständigen im Zuge der Beurteilung auch ausreichend berücksichtigt. Aus der Ambulanzkartei der Diabetesambulanz vom 13.01.2021 geht hervor, dass das Insulin beim Beschwerdeführer noch eingestellt wird und notwendige Dosisadaptionen im Zuge der Behandlung jedenfalls erfolgen werden, sodass der Beschwerdeführer nach erfolgreicher Einstellung keine Blutzuckerentgleisungen mehr aufweist. Der allgemeinmedizinische Sachverständige aus dem Antragsverfahren führte im Zuge der Stellungnahme vom 16.02.2021 im Zuge des Beschwerdevorprüfungsverfahrens bereits aus, dass die Einstellungsphase der funktionellen Insulintherapie noch nicht abgeschlossen ist und jedenfalls mit einer Stabilisierung der Stoffwechselsituation zu rechnen ist. Eine höhere Einstufung des Grades der Behinderung ist daher nicht vorzunehmen.

Das Leiden 2 „degenerative Wirbelsäulenveränderungen“ wurde im Beschwerdevorprüfungsverfahren von der internistischen Sachverständigen übereinstimmend zum allgemeinmedizinischen Sachverständigengutachten unter der Positionsnummer 02.01.01 mit einem Grad der Behinderung von 10 vH eingestuft, da nur geringe funktionelle Beeinträchtigungen objektivierbar sind.

Das Leiden 3 „Schilddrüsenunterfunktion“ wurde von der internistischen Sachverständigen unter der Positionsnummer 09.01.01 mit einem Grad der Behinderung von 10 vH unter der Positionsnummer 09.01.01 eingestuft, da dieses nunmehr medikamentös stabilisiert ist. Aus dem Blutbefund vom 27.01.2021 geht ein normaler TSH-Ultrasensitivwert hervor.

Das Leiden 4 „Neigung zu perianaler Hautinfektion“ wurde von der internistischen Sachverständigen unter der Positionsnummer 01.01.01 mit einem Grad der Behinderung von 10 vH eingestuft.

Der Gesamtgrad der Behinderung wurde von der medizinischen Sachverständigen schlüssig und nachvollziehbar mit 40 vH eingestuft, da das führende Leiden 1 aufgrund der geringen funktionellen Relevanz der Leiden 2 bis 4 nicht weiter erhöht wird.

Das im Antragsverfahren vom allgemeinmedizinischen Sachverständigen unter laufender Nummer 5 aufgenommene Leiden „Einschränkung des Sehvermögens beidseits“ wurde von der internistischen Sachverständigen im Beschwerdevorprüfungsverfahren nicht mehr in die Liste der Funktionseinschränkungen aufgenommen, da dieses keinen Grad der Behinderung erreicht. Bereits im allgemeinmedizinischen Sachverständigengutachten wurde das Leiden mit einem Grad der Behinderung von 0 vH eingestuft, da keine Sehstörung objektivierbar ist, welche nicht mit handelsüblichen Sehbehelfen korrigierbar ist.

Die Behörde (bzw. das Gericht) hat ein Gutachten auf seine Vollständigkeit und Schlüssigkeit zu überprüfen. Weitere Gutachten hat die Behörde nur dann einzuholen, wenn sich die vorliegenden Gutachten als nicht vollständig oder nicht schlüssig und damit als nicht ausreichend erweisen; will eine Partei außer dem vorliegenden schlüssigen und vollständigen Gutachten noch ein weiteres in das Verfahren einbezogen wissen, steht es ihr frei, selbst ein Gutachten eines privaten Sachverständigen zu beschaffen und vorzulegen. Die belangte Behörde und der Beschwerdeführer sind den getroffenen Feststellungen nicht entgegengetreten, weshalb das Gericht die im Gutachten getroffenen Feststellungen ohne weitere Ermittlungen dem Sachverhalt zugrunde gelegt hat.

Mit dem Beschwerdevorbringen hat sich das seitens der belangten Behörde im Beschwerdevorprüfungsverfahren eingeholte Sachverständigengutachten ausführlich auseinandergesetzt. Die beauftragte Sachverständige hält – nach einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers und unter Beachtung der vorgelegten Befunde – zusammengefasst fest, dass eine höhere Einstufung des führenden Leidens 1 mangels Vorliegen einer ketoazitotischen Stoffwechselentgleisung trotz funktioneller Insulintherapie nicht vorzunehmen ist.

Es wurde dem Vorbringen des Beschwerdeführers somit nachvollziehbar, schlüssig und vollständig entgegen getreten und kann den Einwendungen des Beschwerdeführers angesichts des Inhalts des Gutachtens nicht gefolgt werden. Der Beschwerdeführer konnte weder eine Unschlüssigkeit oder Unvollständigkeit des Gutachtens aufzeigen noch ist er ihm auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten. Auch sind an der Person der Sachverständigen keine Bedenken aufgetreten.

Das Bundesverwaltungsgericht erachtet das eingeholte Sachverständigengutachten daher als schlüssig, vollständig und nachvollziehbar. In einer Zusammenschau der vorliegenden Befunde, des Gutachtens und dem Umstand, dass der Beschwerdeführer dem Gutachten nicht entgegentreten ist, geht der erkennende Senat davon aus, dass das Sachverständigengutachten bzw. der darin festgelegte Grad der Behinderung von 40 v.H. der Entscheidung zugrunde zu legen ist.

Das eingeholte Sachverständigengutachten steht mit den Erfahrungen des Lebens, der ärztlichen Wissenschaft und den Denkgesetzen nicht in Widerspruch. Auch war dem Vorbringen sowie den eingeholten und vorgelegten Beweismitteln kein Anhaltspunkt zu entnehmen, die Tauglichkeit der befassten Sachverständigen oder deren Beurteilung beziehungsweise Feststellungen in Zweifel zu ziehen.

Auch wurde im Antragsverfahren und Verfahren ein allgemeinmedizinisches Gutachten sowie im Beschwerdevorprüfungsverfahren eine Stellungnahme eines Arztes für Allgemeinmedizin eingeholt, welche im Ergebnis mit dem neuerlich erstellten Sachverständigengutachten übereinstimmen.

Das Sachverständigengutachten wird daher in freier Beweiswürdigung der Entscheidung zu Grunde gelegt.

Zu den nachträglich vorgelegten Befunden ist festzuhalten, dass diese dem Neuerungsverbot unterliegen und daher keinen Einfluss auf das laufende Verfahren haben. Im Falle einer Verschlechterung seines Gesundheitszustandes steht es dem Beschwerdeführer jederzeit frei, einen neuen Antrag zu stellen.

3.       Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 45 Abs. 3 BBG hat in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen. Gegenständlich liegt somit Senatszuständigkeit vor.

Zu A)

1.       Zur Entscheidung in der Sache:

Unter Behinderung im Sinne dieses Bundesgesetzes ist die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten. (§ 1 Abs. 2 BBG)

Behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% ist auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpaß auszustellen, wenn

1.       ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist oder

2.       sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften wegen Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit oder dauernder Erwerbsunfähigkeit Geldleistungen beziehen oder

3.       sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften ein Pflegegeld, eine Pflegezulage, eine Blindenzulage oder eine gleichartige Leistung erhalten oder

4.       für sie erhöhte Familienbeihilfe bezogen wird oder sie selbst erhöhte Familienbeihilfe beziehen oder

5.       sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderten-einstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, angehören.

(§ 40 Abs. 1 BBG)

Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen hat den Grad der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen, wenn

1.       nach bundesgesetzlichen Vorschriften Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden und die hiefür maßgebenden Vorschriften keine Einschätzung vorsehen oder

2.       zwei oder mehr Einschätzungen nach bundesgesetzlichen Vorschriften vorliegen und keine Gesamteinschätzung vorgenommen wurde oder

3.       ein Fall des § 40 Abs. 2 vorliegt.

(§ 41 Abs. 1 BBG)

Auszug aus der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend nähere Bestimmungen über die Feststellung des Grades der Behinderung (Einschätzungsverordnung) idgF:

„Grad der Behinderung

§ 2. (1) Die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen sind als Grad der Behinderung zu beurteilen. Der Grad der Behinderung wird nach Art und Schwere der Funktionsbeeinträchtigung in festen Sätzen oder Rahmensätzen in der Anlage dieser Verordnung festgelegt. Die Anlage bildet einen Bestandteil dieser Verordnung.

(2) Bei Auswirkungen von Funktionsbeeinträchtigungen, die nicht in der Anlage angeführt sind, ist der Grad der Behinderung in Analogie zu vergleichbaren Funktionsbeeinträchtigungen festzulegen.

(3) Der Grad der Behinderung ist nach durch zehn teilbaren Hundertsätzen festzustellen. Ein um fünf geringerer Grad der Behinderung wird von ihnen mit umfasst. Das Ergebnis der Einschätzung innerhalb eines Rahmensatzes ist zu begründen.

Gesamtgrad der Behinderung

§ 3. (1) Eine Einschätzung des Gesamtgrades der Behinderung ist dann vorzunehmen, wenn mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen. Bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung sind die einzelnen Werte der Funktionsbeeinträchtigungen nicht zu addieren. Maßgebend sind die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander.

(2) Bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung ist zunächst von jener Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, für die der höchste Wert festgestellt wurde. In der Folge ist zu prüfen, ob und inwieweit dieser durch die weiteren Funktionsbeeinträchtigungen erhöht wird. Gesundheitsschädigungen mit einem Ausmaß von weniger als 20 vH sind außer Betracht zu lassen, sofern eine solche Gesundheitsschädigung im Zusammenwirken mit einer anderen Gesundheitsschädigung keine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung verursacht.

Bei Überschneidungen von Funktionsbeeinträchtigungen ist grundsätzlich vom höheren Grad der Behinderung auszugehen.

(3) Eine wechselseitige Beeinflussung der Funktionsbeeinträchtigungen, die geeignet ist, eine Erhöhung des Grades der Behinderung zu bewirken, liegt vor, wenn
-         sich eine Funktionsbeeinträchtigung auf eine andere besonders nachteilig auswirkt,
-         zwei oder mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen, die gemeinsam zu einer wesentlichen Funktionsbeeinträchtigung führen.

(4) Eine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung ist dann gegeben, wenn das Gesamtbild der Behinderung eine andere Beurteilung gerechtfertigt erscheinen lässt, als die einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen alleine.

Grundlage der Einschätzung

§ 4. (1) Die Grundlage für die Einschätzung des Grades der Behinderung bildet die Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen im körperlichen, geistigen, psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung in Form eines ärztlichen Sachverständigengutachtens. Erforderlichenfalls sind Experten aus anderen Fachbereichen - beispielsweise Psychologen - zur ganzheitlichen Beurteilung heran zu ziehen.

(2) Das Gutachten hat neben den persönlichen Daten die Anamnese, den Untersuchungsbefund, die Diagnosen, die Einschätzung des Grades der Behinderung, eine Begründung für die Einschätzung des Grades der Behinderung innerhalb eines Rahmensatzes sowie die Erstellung des Gesamtgrades der Behinderung und dessen Begründung zu enthalten.“

Falls sich der Leidenszustand maßgebend verschlechtert hat bzw. sich die Funktionseinschränkungen künftig verschlechtern, ist es zulässig, abermals einen Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses zu stellen und kommt eine neuerliche Feststellung des Grades der Behinderung in Betracht.

Mit der Novelle BGBl. I 57/2015 hat der Gesetzgeber für das Verfahren zur Feststellung der Zugehörigkeit zum Personenkreis der Behinderten (in § 19 Abs. 1 BEinstG) und für das Verfahren nach dem Bundesbehindertengesetz (§ 46 BBG) ein - eingeschränktes - Neuerungsverbot eingeführt, das in den Gesetzesmaterialien als "Neuerungsbeschränkung" bezeichnet wird. § 46 BBG in der Fassung BGBl. I 57/2015 bestimmt, dass im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht neue Tatsachen und Beweismittel nicht vorgebracht werden dürfen. Die vom Beschwerdeführer im Rahmen seiner Eingabe vorgelegten Befund waren daher bei der Entscheidungsfindung nicht heranzuziehen.

Da ein Grad der Behinderung von 40 (vierzig) vH festgestellt wurde und somit die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses nicht erfüllt sind, war spruchgemäß zu entscheiden.

2.       Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 24 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013 idgF hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. In diesem Sinne ist eine Verhandlung als erforderlich anzusehen, wenn es nach Art. 6 EMRK bzw. Art. 47 Abs. 2 GRC geboten ist, wobei gemäß Rechtsprechung des VfGH der Umfang der Garantien und des Schutzes der Bestimmungen ident sind.

Der Rechtsprechung des EGMR kann entnommen werden, dass er das Sozialrecht auf Grund seiner technischen Natur und der oftmaligen Notwendigkeit, Sachverständige beizuziehen, als gerade dazu geneigt ansieht, nicht in allen Fällen eine mündliche Verhandlung durchzuführen (vgl. Eriksson v. Sweden, EGMR 12.4.2012; Schuler-Zgraggen v. Switzerland, EGMR 24.6.1993).

Im Erkenntnis vom 18.01.2005, GZ. 2002/05/1519, nimmt auch der Verwaltungsgerichtshof auf die diesbezügliche Rechtsprechung des EGMR (Hinweis Hofbauer v. Österreich, EGMR 2.9.2004) Bezug, wonach ein mündliches Verfahren verzichtbar erscheint, wenn ein Sachverhalt in erster Linie durch seine technische Natur gekennzeichnet ist. Darüber hinaus erkennt er bei Vorliegen eines ausreichend geklärten Sachverhalts das Bedürfnis der nationalen Behörden nach zweckmäßiger und wirtschaftlicher Vorgangsweise an, welches das Absehen von einer mündlichen Verhandlung gestatte (vgl. VwGH vom 4.3.2008, 2005/05/0304).

Der im gegenständlichen Fall entscheidungsrelevante Sachverhalt wurde auf gutachterlicher Basis ermittelt. Zudem wurde von der beschwerdeführenden Partei in der Beschwerde kein Vorbringen erstattet, welches eine weitere Erörterung notwendig erschienen ließ.

Im Hinblick auf obige Überlegungen sah der erkennende Senat daher unter Beachtung der Wahrung der Verfahrensökonomie und -effizienz von einer mündlichen Verhandlung ab, zumal auch eine weitere Klärung der Rechtssache hierdurch nicht erwartbar war.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG) hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Vielmehr hängt die Entscheidung von Tatsachenfragen ab. Maßgebend sind die Art des Leidens und das festgestellte Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigungen.

Schlagworte

Behindertenpass Grad der Behinderung Sachverständigengutachten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W218.2241913.1.00

Im RIS seit

25.10.2021

Zuletzt aktualisiert am

25.10.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten