Entscheidungsdatum
22.09.2021Norm
Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen §1Spruch
W141 2237001-1/21E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Gerhard HÖLLERER als Vorsitzenden und den Richter Mag. Stephan WAGNER sowie den fachkundigen Laienrichter Robert ARTHOFER als Beisitzer über die Beschwerde der XXXX ,
geboren am XXXX , vertreten durch den KOBV – Der Behindertenverband für Wien, Niederösterreich und Burgenland, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Niederösterreich, vom 05.10.2020, OB: XXXX , betreffend die Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass, zu Recht erkannt:
A)
Der Beschwerde wird Folge gegeben und der Bescheid vom 05.10.2020 behoben.
Frau XXXX erfüllt die Voraussetzungen für die Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang
1. Am 05.12.2019 hat die Beschwerdeführerin bei der belangten Behörde unter Vorlage eines Befundkonvolutes einen Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses, Eintragung des Zusatzvermerkes „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass und Ausstellung eines Ausweises gemäß §29b der Straßenverkehrsordnung gestellt.
2. Zur Überprüfung des Antrages wurde von der belangten Behörde ein Sachverständigengutachten von einer Fachärztin für Innere Medizin und Ärztin für Allgemeinmedizin, basierend auf der persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin am 08.07.2020, mit dem Ergebnis eingeholt, dass die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses auf Grund des in Höhe von 50 vH festgestellten Grades der Behinderung vorliegen und die Voraussetzungen für die Eintragung des Zusatzvermerkes „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass nicht vorliegen.
3. Mit Schreiben vom 25.08.2020 wurde der Beschwerdeführerin Parteiengehör gem § 45 AVG eingeräumt. Es wurde die Möglichkeit eingeräumt, innerhalb einer Frist von zwei Wochen ab Zustellung schriftlich Stellung zu nehmen.
4. Mit Schreiben vom 20.09.2020, eingelangt bei der belangten Behörde am 21.09.2020, hat die Beschwerdeführerin eine schriftliche Stellungnahme eingebracht. Die Beschwerdeführerin brachte im Wesentlichen unter Einbringung weiterer medizinischer Beweismittel vor, dass die Schmerzmedikamente erhöht worden seien und dabei teilweise ein rauschähnlicher Zustand entstehe. Weiters könne sie keine 20 Minuten spazieren gehen, sondern lediglich für ca. 20 Minuten täglich das Haus verlassen, um ein paar Minuten mit den Nachbarn zu sprechen und ein paar Meter im Garten zu gehen, dabei wären Rast- bzw. Sitzplätze vorhanden. Derzeit sei der Beschwerdeführerin eine Wegstrecke von ca. 100 m mit Schmerzen möglich, dann sei jedoch eine 15-minütige Sitz- oder Liegepause notwendig, dabei sei das Tragen von Gegenständen des täglichen Bedarfs nicht möglich. Die nächste öffentliche Haltestelle sei ca. 400 m bergab vom Haus entfernt. Stiegen steigen, sowie bergauf und bergab gehen sei der Beschwerdeführerin nur unter Schmerzen möglich. Weiters führt die Beschwerdeführerin aus, dass das Benützen von Krücken nicht möglich sei und sie mehrere Bandscheibenvorfälle habe.
5. Es wurde von der belangten Behörde eine Stellungnahme, datiert mit 02.10.2020, von derselben Fachärztin für Innere Medizin und Ärztin für Allgemeinmedizin eingeholt, mit dem Ergebnis, dass sich keine Änderung zum gegenständlichen Gutachten ergäbe.
6. Mit Bescheid vom 05.10.2020 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin vom 05.12.2019 auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass abgewiesen. Die belangte Behörde stützte sich auf das eingeholte medizinische Sachverständigengutachten. Nach dem eingeholten Gutachten lägen die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung nicht vor. Die Ergebnisse des ärztlichen Begutachtungsverfahrens seien der Beilage, die einen Bestandteil der Begründung bilde, zu entnehmen. Die Ergebnisse des ärztlichen Begutachtungsverfahrens seien als schlüssig erkannt und in freier Beweiswürdigung der Entscheidung zu Grunde gelegt worden.
7. Mit Schreiben vom 13.11.2020, eingelangt am 16.11.2020, erhob der bevollmächtigte Vertreter der Beschwerdeführerin Beschwerde gegen den abweisenden Bescheid vom 05.10.2020. Der bevollmächtigte Vertreter der Beschwerdeführerin gab an, dass die Beschwerdeführerin an Abnützungserscheinungen des gesamten Bewegungsapparates leide. Das Hauptproblem der Beschwerdeführerin sei eine Zyste im kleinen Becken, welche massive Schmerzausstrahlungen in das linke Bein verursache. Weiters leide die Beschwerdeführerin an einem Discusprolaps, Kniebeschwerden und Einschränkungen im Bereich der linken Hüfte, sowie im linken Vorfuß. Die Beschwerdeführerin sei auch wegen der Schmerzmedikation beeinträchtigt, jedoch sei es nicht möglich auf diese zu verzichten und eine Gehstrecke sei auf unter 300 m eingeschränkt. Der bevollmächtigte Vertreter der Beschwerdeführerin führte an, dass bis dato keine Sachverständigengutachten aus den Fachbereichen Orthopädie, Neurologie/Psychiatrie und Neurochirurgie durchgeführt wurden, sondern lediglich ein allgemeinmedizinisches Sachverständigengutachten. Es würde jedenfalls eine Unzumutbarkeit der Benützung der öffentlichen Verkehrsmittel vorliegen.
Der bevollmächtigte Vertreter der Beschwerdeführerin legte der Beschwerde weitere medizinische Befunde bei.
8. Am 18.11.2020 wurde der Beschwerdeakt dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt.
9. Zur Überprüfung des Beschwerdegegenstandes wurde vom Bundesverwaltungsgericht ein medizinisches Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Unfallchirurgie, Orthopädie und Allgemeinmedizin, basierend auf der persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin vom 21.01.2021, mit dem Ergebnis eingeholt, dass von medizinischer Seite weiterhin keine maßgebliche Erschwernis bei der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel bestätigt werden konnte.
10. Mit 25.05.2021 wurde das Gutachten vom 21.01.2021 dem Parteiengehör unterzogen. Es wurde die Möglichkeit eingeräumt, innerhalb einer Frist von zwei Wochen ab Zustellung schriftlich Stellung zu nehmen.
11. Mit Schreiben vom 10.06.2021 wurde eine Stellungnahme des bevollmächtigten Vertreters der Beschwerdeführerin abgegeben. Der bevollmächtigte Vertreter der Beschwerdeführerin brachte im Wesentlichen vor, dass die Beschwerdeführerin an einem neuropathischen Schmerzsyndrom im Bereich des linken Oberschenkels innenseitig mit Gefühlsstörungen bis zum Kniegelenk leide. Aus Sicht der Beschwerdeführerin sei jedenfalls ein neurologisches Gutachten erforderlich. Die Beschwerdeführerin müsse Morphium einnehmen. Weiters verschlechtere sich der Zustand laufend und Erhöhungen der Schmerzmitteldosis seien laufend erforderlich.
12. Von Seiten des BVwG wurde ein weiteres medizinisches Sachverständigengutachten von einem Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, basierend auf der persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin vom 19.08.2021, mit dem Ergebnis eingeholt, dass von medizinischer Seite eine maßgebliche Erschwernis bei der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel bestätigt werden konnte.
13. Mit 07.09.2021 wurden dem bevollmächtigten Vertreter der Beschwerdeführerin und der belangten Behörde die Gutachten vom 21.01.2021 und vom 19.08.2021 im Rahmen des Parteiengehör übermittelt. Es wurde die Möglichkeit eingeräumt, innerhalb einer Frist von zwei Wochen ab Zustellung schriftlich Stellung zu nehmen.
Es wurden von Seiten der belangten Behörde keine Einwendungen gegen das eingeholte Gutachten vorgebracht. Von Seiten des bevollmächtigten Vertreters der Beschwerdeführerin wurde das Sachverständigengutachten zur Kenntnis genommen und ersucht, ehestbaldigst von Seiten des Bundesverwaltungsgerichtes eine Entscheidung zu treffen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1.Feststellungen:
1.1. Die Beschwerdeführerin hat ihren Wohnsitz im Inland. Die Beschwerdeführerin verfügt über einen Behindertenpass mit einem Grad der Behinderung von 50 v.H.
1.2. Zur beantragten Zusatzeintragung:
Der Beschwerdeführerin ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel nicht zumutbar.
1.2.1. Art der Funktionseinschränkungen:
- degenerative Veränderungen der Wirbelsäule
- Neuropathisches Schmerzsyndrom li UE bei Zyste im kleinen Becken
- Abnützungserscheinungen des Bewegungsapparates
- Zustand nach OP eines Melanoms
- Zustand nach Magenband-OP
- Karpaltunnelsyndrom beidseits
- Depressio
1.2.2. Ausmaß der Funktionseinschränkungen:
Allgemeinzustand: gut
Ernährungszustand: gut
Größe 154 cm
Gewicht 61 kg
Alter: 47 Jahre
Caput/Collum: klinisch unauffälliges Hör- und Sehvermögen
Thorax: symmetrisch, elastisch
Atemexkursion seitengleich, sonorer Klopfschall, VA. HAT rein, rhythmisch
Abdomen: klinisch unauffällig, keine pathologischen Resistenzen tastbar, kein Druckschmerz
Integument: unauffällig
Schultergürtel und beide oberen Extremitäten:
Rechtshänder. Der Schultergürtel steht horizontal, symmetrische Muskelverhältnisse.
Die Durchblutung ist ungestört, die Sensibilität wird im Bereich von Mittelfinger und Ringfinger beidseits als gestört angegeben.
Thenar, Hypothenar beidseits unauffällig
Die Benützungszeichen sind seitengleich vorhanden.
Sämtliche Gelenke sind bandfest und klinisch unauffällig.
Aktive Beweglichkeit: Schultern, Ellbogengelenke, Unterarmdrehung, Handgelenke, Daumen und Langfinger seitengleich frei beweglich. Grob- und Spitzgriff sind uneingeschränkt durchführbar. Der Faustschluss ist komplett, Fingerspreizen beidseits unauffällig, die grobe Kraft in etwa seitengleich, Tonus und Trophik unauffällig.
Nacken- und Schürzengriff sind uneingeschränkt durchführbar.
Becken und beide unteren Extremitäten:
Die tiefe Hocke ist zu 1/3 möglich.
Die Beinachse ist im Lot. Symmetrische Muskelverhältnisse: Bandmaß Oberschenkel beidseits 44 cm, Unterschenkel beidseits 33 cm.
Beinlänge ident, keine Beinlängendifferenz
Die Durchblutung ist ungestört, keine Ödeme, keine Varizen, die Sensibilität wird am Oberschenkel innenseitig bis unter das Knie als gestört angegeben. Die Beschwielung ist in etwa seitengleich.
Hüftgelenk links: Rotationsschmerzen, sonst unauffällig Kniegelenk beidseits: unauffällig Narbe linke Kniekehle nach Melanom-Exstirpation Sprunggelenk, Fuß links: unauffällig
Wirbelsäule:
Schultergürtel und Becken stehen horizontal, in etwa im Lot, regelrechte Krümmungsverhältnisse.
Die Rückenmuskulatur ist symmetrisch ausgebildet, mäßig Hartspann, Klopfschmerz über der unteren LWS.
Aktive Beweglichkeit:
HWS: in allen Ebenen frei beweglich
BWS/LWS: FBA: 20 cm, Rotation und Seitneigen 20°
Lasegue bds. negativ, Muskeleigenreflexe seitengleich mittellebhaft auslösbar.
Gesamtmobilität – Gangbild:
Das Gangbild ist schmerzgehemmt hinkend mit 2 Krücken.
Das Aus- und Ankleiden wird selbständig im Sitzen, zum Teil mit Hilfe, durchgeführt.
Es liegen keine erheblichen Einschränkungen der oberen Extremitäten vor.
Die Greif- und Haltefunktion ist beidseits unauffällig gegeben.
Neurostatus:
Die Hirnnerven sind unauffällig, die Optomotorik ist intakt, an den oberen Extremitäten bestehen keine Paresen.
Die Muskeleigenreflexe sind seitengleich mittellebhaft auslösbar, die Koordination ist intakt, an den unteren Extremitäten bestehen keine Paresen, die Beweglichkeit der li UE ist deutlich schmerzgehemmt eingeschränkt, fast immer in Schonhaltung
Fersen/ Zehenspitzen/ Einbeinstand nicht prüfbar, die Muskeleigenreflexe sind seitengleich untermittellebhaft auslösbar.
Die Pyramidenzeichen sind an den oberen und unteren Extremitäten negativ. Die Sensibilität wird in den OE zeitweise mit pm im Ausbreitungsgebiet des N. medianus bds als gestört angegeben, einschießende Schmerzen an der Innenseite der li UE.
Psychiatrischer Status:
Örtlich, zeitlich, zur Person und situativ ausreichend orientiert, keine Antriebsstörung, Auffassung regelrecht, Affekt labil, Stimmungslage depressiv, in beiden Skalenbereichen affizierbar, Ein- und Durchschlafstörung, keine produktive Symptomatik, keine Suizidalität.
1.2.3. Zu den Auswirkungen der festgestellten Funktionseinschränkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel:
Es besteht eine deutliche schmerzbedingte Bewegungseinschränkung der linken unteren Extremitäten. Die einschießenden neuropathischen Schmerzen, bisher therapieresistent, wirken sich maßgeblich auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel aus. Eine Wegstrecke von ca. 300-400m kann nicht ohne Pause zurückgelegt werden, dass Ein- und Aussteigen ist deutlich beeinträchtigt, ein sicherer Transport ist nicht gegeben.
Die Schmerzen haben sich trotz Therapieumstellung verschlechtert, es bestehen weiterhin therapieresistente neuropathische Schmerzen. Die Befunde beschreiben eine Zyste, die mit hoher Wahrscheinlichkeit für die neuropathischen Schmerzen verantwortlich ist.
Es besteht eine Änderung im Vergleich zum Vorgutachten, da eine Verschlechterung der bisher therapierefraktären neuropathischen Schmerzen gegeben ist. Eine Nachuntersuchung mit 08/23 ist erforderlich, da eine Besserung möglich ist.
2.Beweiswürdigung:
Die Feststellungen zu den allgemeinen Voraussetzungen ergeben sich aus dem vorgelegten Verwaltungsakt und dem vorliegenden Gerichtsakt.
Aufgrund der vorliegenden Beweismittel und des Aktes der belangten Behörde ist das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) in der Lage, sich vom entscheidungsrelevanten Sachverhalt im Rahmen der freien Beweiswürdigung ein ausreichendes Bild zu machen. Die freie Beweiswürdigung ist ein Denkprozess, der den Regeln der Logik zu folgen hat und im Ergebnis zu einer Wahrscheinlichkeitsbeurteilung eines bestimmten historisch empirischen Sachverhalts, also von Tatsachen, führt. Der Verwaltungsgerichtshof führt dazu präzisierend aus, dass eine Tatsache in freier Beweiswürdigung nur dann als erwiesen angenommen werden darf, wenn die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens ausreichende und sichere Anhaltspunkte für eine derartige Schlussfolgerung liefern (VwGH 28.09.1978, Zahl 1013, 1015/76).
Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens, 5. Auflage, § 45 AVG, E 50, Seite 305, führen beispielsweise in Zitierung des Urteils des Obersten Gerichtshofs vom 29.02.1987, Zahl 13 Os 17/87, aus: „Die aus der gewissenhaften Prüfung aller für und wider vorgebrachten Beweismittel gewonnene freie Überzeugung der Tatrichter wird durch eine hypothetisch denkbare andere Geschehensvariante nicht ausgeschlossen. Muss doch dort, wo ein Beweisobjekt der Untersuchung mit den Methoden einer Naturwissenschaft oder unmittelbar einer mathematischen Zergliederung nicht zugänglich ist, dem Richter ein empirisch-historischer Beweis genügen. Im gedanklichen Bereich der Empirie vermag daher eine höchste, ja auch eine (nur) hohe Wahrscheinlichkeit die Überzeugung von der Richtigkeit der wahrscheinlichen Tatsache zu begründen, (…)“.
Zu 1.1) Die Feststellungen zu den allgemeinen Voraussetzungen ergeben sich aus dem diesbezüglich unbedenklichen, widerspruchsfreien und unbestrittenen Akteninhalt.
Zu 1.2) Die Feststellungen zu Art und Ausmaß der Funktionseinschränkungen gründen sich – in freier Beweiswürdigung – in nachstehend ausgeführtem Umfang auf die vorgelegten und eingeholten Beweismittel.
Die eingeholten ärztlichen Sachverständigengutachten sind schlüssig und nachvollziehbar.
Es wurde auf die Art der Leiden und deren Ausmaß ausführlich eingegangen. Auch wurde zu den Auswirkungen der festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ausführlich Stellung genommen. Die getroffenen Einschätzungen, basierend auf den im Rahmen der persönlichen Untersuchungen der Beschwerdeführerin erhobenen klinischen Befunden, entsprechen unter Berücksichtigung der vorgelegten Beweismittel den festgestellten Funktionseinschränkungen.
Die Fachärztin für Unfallchirurgie und Ärztin für Allgemeinmedizin hat in ihrem Gutachten vom 21.01.2021 detailliert ausgeführt, dass sich aus Fach- und allgemeinärztlicher Sicht keine erheblichen Einschränkungen der Gelenksfunktion der unteren Extremitäten objektivieren lassen. Im Bereich des linken Hüftgelenks konnte zwar eine geringgradige funktionelle Einschränkung festgestellt werden, diese stellt laut Sachverständiger jedoch kein höhergradiges Defizit dar. Zudem konnte weder ein radikuläres Defizit objektiviert noch eine Vorfußheberschwäche oder Vorfußsenkerschwäche festgestellt werden.
Erhebliche Komorbiditäten der oberen Extremitäten liegen laut Fach- und allgemeinmedizinischem Gutachten nicht vor. Die Sachverständige führt diesbezüglich aus, dass das Erreichen und Festhalten von Haltegriffen für die Beschwerdeführerin möglich ist, da ausreichend Kraft und Beweglichkeit im Bereich der oberen Extremitäten beidseits vorliegen.
Weiters konnten im Rahmen der klinischen Untersuchung am 21.01.2021 weder eine kardiopulmonale Funktionseinschränkung noch anderweitige Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit objektiviert werden.
Aus dem nervenärztlichen Sachverständigengutachten vom 19.08.2021 geht jedoch hervor, dass aus neurologischer Sicht eine deutliche schmerzbedingte Bewegungseinschränkung der linken unteren Extremitäten besteht.
Im Rahmen des nervenfachärztlichen sowie des allgemeinmedizinischen Gutachtens konnten bei der Beschwerdeführerin keine erheblichen Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten festgestellt werden. Die allgemeinmedizinische Sachverständige führt diesbezüglich nachvollziehbar aus, dass zwar ein neuropathisches Schmerzsyndrom im Bereich des linken Oberschenkels innenseitig mit Gefühlsstörungen bis zum Kniegelenk dokumentiert wurde, da das Schmerzsyndrom jedoch medikamentös behandelt wird führt es bloß zu einer mäßigen Gangbildbeeinträchtigung. Eine hochgradige Gangunsicherheit bzw. Gangbildbeeinträchtigung, die die ständige Verwendung von zwei Unterarmstützkrücken behinderungsbedingt erfordert, liegt laut Sachverständige nicht vor.
Darüber hinaus ist laut nervenfachärztlichem und allgemeinmedizinischem Gutachten eine schwere und anhaltende Erkrankung des Immunsystems befundmäßig nicht belegt und liegt nicht vor. Ebenso wenig liegt eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit vor.
Im Hinblick auf die Frage wie sich die festgestellten Leiden auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirken führt die fach- und allgemeinmedizinische Sachverständige aus, dass die degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule mit Bandscheibenschäden geringen Ausmaßes und ohne Bedrängung neuronaler Strukturen zu keinem neurologischen Defizit führen. Eine höhergradige Funktionseinschränkungen im Bereich der Wirbelsäule ist daher nicht objektivierbar, insbesondere keine höhergradige Einschränkung der Beweglichkeit.
Weiters geht aus dem fach- und allgemeinmedizinischen Sachverständigengutachten hervor, dass das neuropathische Schmerzsyndrom am linken Oberschenkel bei der Zyste im kleinen Becken soweit medikamentös beherrschbar ist, dass das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke von 300-400 m, sowie das Besteigen und Entsteigen öffentlicher Verkehrsmittel nicht erheblich erschwert wird.
Im Gegensatz dazu wird im neurologischen Sachverständigengutachten nachvollziehbar und schlüssig dargestellt, dass sich die einschießenden neuropathischen Schmerzen der Beschwerdeführerin, die bisher therapieresistent waren, maßgeblich auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirken. Aus nervenärztlicher Sicht kann eine Wegstrecke von ca. 300-400 m daher nicht ohne Pause zurückgelegt werden. Auch das Ein- und Aussteigen ist laut neurologischem Sachverständigengutachten deutlich beeinträchtigt, weshalb ein sicherer Transport nicht gegeben ist.
Die Beschwerdeführerin führt in ihrer Beschwerde unter anderem an, dass sie aufgrund einer Zyste im kleinen Becken unter massiven Schmerzen mit Ausstrahlung in das linke Bein sowie unter Diskusprolaps, Kniebeschwerden und Einschränkungen im Bereich der linken Hüfte leide. Die Beschwerdeführerin sei dadurch so stark beeinträchtigt, dass sie trotz Schmerzmedikation keine 300 m gehen könne, weshalb ihr das Benützen öffentlicher Verkehrsmittel nicht möglich sei. Dies wird von dem nervenärztlichen Sachverständigen als nachvollziehbar beschrieben und dahingehend bestätigt, dass sich die Beschwerden trotz Therapieumstellung verschlechtert haben. Laut neurologischem Gutachten bestehen weiterhin therapieresistente neuropathische Schmerzen.
Bezugnehmend auf die von der Beschwerdeführerin vorgelegten Befunde vom 13.05.2019, 11.08.2020 und 18.09.2020 führt der neurologische Sachverständige weiter aus, dass die Befunde (Magnetresonanztomographie) eine Zyste beschreiben, die mit hoher Wahrscheinlichkeit für die neuropathischen Schmerzen verantwortlich ist.
Aus dem nervenärztlichen Sachverständigengutachten vom 19.08.2021 geht somit hervor, dass Änderungen im Vergleich zum Vorgutachten festgestellt wurden, da eine Verschlechterung der bisher therapierefraktären neuropathischen Schmerzen gegeben ist.
Der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie kommt demzufolge im Vergleich zum Orthopädischen und allgemeinmedizinischen Sachverständigengutachten bezüglich der Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zu einer geänderten Einschätzung.
Die Krankengeschichte der Beschwerdeführerin wurde umfassend und differenziert nach den konkret vorliegenden Krankheitsbildern auch im Zusammenwirken zueinander berücksichtigt.
Die Sachverständigengutachten stehen mit den Erfahrungen des Lebens, der ärztlichen Wissenschaft und den Denkgesetzen nicht im Widerspruch. Auch war dem Vorbringen sowie den eingeholten und vorgelegten Beweismitteln kein Anhaltspunkt zu entnehmen, die Tauglichkeit der befassten Sachverständigen oder deren Beurteilung beziehungsweise Feststellungen in Zweifel zu ziehen.
Die Angaben der Beschwerdeführerin in der Beschwerde und die vorgelegten Befunde waren sohin geeignet, das der angefochtenen Entscheidung zugrunde gelegte Sachverständigengutachten zu entkräften und eine geänderte Beurteilung herbeizuführen.
Zur Erörterung der Rechtsfrage, ob der Beschwerdeführerin die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar ist, siehe die rechtlichen Erwägungen unter Punkt II 3.1.
Zu 1.3.) Der Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses weist am Eingangsvermerk der belangten Behörde das Datum 05.12.2019 auf.
Zu 1.4.) Das Schreiben mit welchem die Beschwerdevorlage durch die belangte Behörde erfolgt ist weist am Eingangsvermerk des Bundesverwaltungsgerichtes das Datum 18.11.2020 auf.
Zu den Auswirkungen der festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen der Beschwerdeführerin im Hinblick auf die beantragte Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ wurde in den oben wiedergegebenen, schlüssigen Sachverständigengutachten vom 21.01.2021 von Mag. DDr. Ingeborg Greutter, Fachärztin für Unfallchirurgie und Ärztin für Allgemeinmedizin, und vom 19.08.2021 von Dr. Johannes Schneider, Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, die vom Bundesverwaltungsgericht eingeholt wurden, ausführlich und nachvollziehbar Stellung genommen. Die getroffenen Einschätzungen, basierend auf persönlichen Untersuchungen der Beschwerdeführerin mit erhobenen klinischen Befunden und den schlüssigen und nachvollziehbaren gutachterlichen Äußerungen, entsprechen den festgestellten Funktionseinschränkungen.
Der medizinische Sachverständige Dr. Johannes Schneider hat in seinem Gutachten vom 19.08.2021 nachvollziehbar dargelegt, dass sich im Vergleich zum Sachverständigengutachten von Mag. DDr. Ingeborg Greutter vom 21.01.2021 nunmehr eine abweichende Beurteilung ergibt.
Aufgrund einschießender neuropathischer Schmerzen, welche sich trotz Therapieumstellung verschlechtert haben und für die mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Zyste verantwortlich ist, ist aus aktueller gutachterlicher Sicht das Zurücklegen einer Wegstrecke von 300-400 m, das Be- und Entsteigen sowie die sichere Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auf erhebliche Weise erschwert und es liegen die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel" daher vor.
Gegen die schlüssigen und ausführlichen Erörterungen des Gutachters Dr. Johannes Schneider, Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, vom 19.08.2021 wurden auch im Rahmen des Parteiengehörs keine Einwendungen mehr erhoben.
3.Rechtliche Beurteilung:
Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz – BVwGG) entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Gemäß § 45 Abs. 3 BBG hat in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.
Gegenständlich liegt somit Senatszuständigkeit vor.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichts-verfahrensgesetz - VwGVG) geregelt (§ 1 leg.cit.).
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist. In der gegenständlichen Sachverhaltskonstellation liegen die Voraussetzungen für eine meritorische Entscheidung vor (Vgl. VwGH vom 26.06.2014, Zl. Ro 2014/03/0063; VwGH vom 10.09.2014, Zl. Ra 2014/08/0005).
3.1.Zu Spruchpunkt A)
Gemäß § 1 Abs. 2 BBG ist unter Behinderung im Sinne dieses Bundesgesetzes die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten.
Gemäß § 40 Abs. 1 BBG ist behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpass auszustellen, wenn
1. ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist oder
2. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften wegen Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit oder dauernder Erwerbsunfähigkeit Geldleistungen beziehen oder
3. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften ein Pflegegeld, eine Pflegezulage, eine Blindenzulage oder eine gleichartige Leistung erhalten oder
4. für sie erhöhte Familienbeihilfe bezogen wird oder sie selbst erhöhte Familienbeihilfe beziehen oder
5. sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, angehören.
Gemäß § 40 Abs. 2 BBG ist behinderten Menschen, die nicht dem im Abs. 1 angeführten Personenkreis angehören, ein Behindertenpass auszustellen, wenn und insoweit das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen auf Grund von Vereinbarungen des Bundes mit dem jeweiligen Land oder auf Grund anderer Rechtsvorschriften hiezu ermächtigt ist.
Gemäß § 41 Abs. 1 BBG gilt als Nachweis für das Vorliegen der im § 40 genannten Voraussetzungen der letzte rechtskräftige Bescheid eines Rehabilitationsträgers (§ 3), ein rechtskräftiges Urteil eines Gerichtes nach dem Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, BGBl. Nr. 104/1985, ein rechtskräftiges Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes oder die Mitteilung über die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs. 5 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, BGBl. Nr. 376. Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen hat den Grad der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen, wenn
1. nach bundesgesetzlichen Vorschriften Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden und die hiefür maßgebenden Vorschriften keine Einschätzung vorsehen oder
2. zwei oder mehr Einschätzungen nach bundesgesetzlichen Vorschriften vorliegen und keine Gesamteinschätzung vorgenommen wurde oder
3. ein Fall des § 40 Abs. 2 vorliegt.
Gemäß § 42 Abs. 1 BBG hat der Behindertenpass den Vornamen sowie den Familien- oder Nachnamen, das Geburtsdatum eine allfällige Versicherungsnummer und den festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.
Gemäß § 42 Abs. 2 BBG ist der Behindertenpass unbefristet auszustellen, wenn keine Änderung in den Voraussetzungen zu erwarten ist.
Gemäß § 45 Abs. 1 BBG sind Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.
Gemäß § 45 Abs. 2 BBG ist ein Bescheid nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.
Gemäß § 47 BBG ist der Bundesminister für Arbeit und Soziales ermächtigt, mit Verordnung die näheren Bestimmungen über den nach § 40 auszustellenden Behindertenpaß und damit verbundene Berechtigungen festzusetzen.
Die Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, BGBl. II 495/2013, wurde mit BGBl II Nr. 263/2016 novelliert. Gemäß § 5 Abs. 3 der Novelle ist § 1 dieser Verordnung mit Ablauf des 21.09.2016 in Kraft getreten.
Gemäß § 1 Abs. 2 der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen (Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen), BGBl. II Nr. 495/2013 idgF, hat der Behindertenpass auf der Vorderseite zu enthalten:
1. die Bezeichnung „Behindertenpass“ in deutscher, englischer und französischer Sprache;
2. den Familien- oder Nachnamen, Vorname(n), akademischen Grad oder Standesbezeichnung des Menschen mit Behinderung;
3. das Geburtsdatum;
4. den Verfahrensordnungsbegriff;
5. den Grad der Behinderung oder die Minderung der Erwerbsfähigkeit;
6. das Antragsdatum;
7. das Ausstellungsdatum;
8. die ausstellende Behörde;
9. eine allfällige Befristung;
10. eine Braillezeile mit dem Ausdruck „Behindertenpass“;
11. ein Hologramm in Form des Bundeswappens mit dem Schriftzug „Sozialministeriumservice“ im Hintergrund;
12. das Logo des Sozialministeriumservice;
13. einen QR-Code, mit dem auf der Homepage des Sozialministeriumservice nähere Informationen zum Behindertenpass und den einzelnen Zusatzeintragungen abgerufen werden können sowie
14. ein der Bestimmung des § 4 der Passgesetz-Durchführungsverordnung, BGBl. II Nr. 223/2006, entsprechendes Lichtbild.
Gemäß § 1 Abs. 4 Z 3 Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen ist auf Antrag des Menschen mit Behinderung jedenfalls die Feststellung einzutragen, dass dem Inhaber/der Inhaberin des Passes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist; die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist insbesondere dann nicht zumutbar, wenn das 36. Lebensmonat vollendet ist und
? erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten oder
? erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder
? erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten, Funktionen oder
? eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder
? eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach § 1 Abs. 4 Z 1 lit. b oder d
vorliegen.
Gemäß § 1 Abs. 5 der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen bildet die Grundlage für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen für die in Abs. 4 genannten Eintragungen erfüllt sind, ein Gutachten eines ärztlichen Sachverständigen des Bundessozialamtes. Soweit es zur ganzheitlichen Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen erforderlich erscheint, können Experten/Expertinnen aus anderen Fachbereichen beigezogen werden. Bei der Ermittlung der Funktionsbeeinträchtigungen sind alle zumutbaren therapeutischen Optionen, wechselseitigen Beeinflussungen und Kompensationsmöglichkeiten zu berücksichtigen.
In den auf der Homepage des Bundesministeriums für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz veröffentlichten Erläuterungen zur oben genannten Verordnung wird auszugsweise Folgendes ausgeführt:
Zu § 1 Abs. 2 (auszugsweise): Abs. 2 unterscheidet zwei Arten von Eintragungen; solche, die die Art der Behinderung des Passinhabers/der Passinhaberin betreffen und jene, die Feststellungen über Erfordernisse des Menschen mit Behinderung im täglichen Leben treffen, etwa die behinderungsbedingte Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel.
Zu § 1 Abs. 4 Z 3 (vormals § 1 Abs. 2 Z 3) (auszugsweise):
Mit der vorliegenden Verordnung sollen präzisere Kriterien für die Beurteilung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel festgelegt werden. Die durch die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes bisher entwickelten Grundsätze werden dabei berücksichtigt.
Grundsätzlich ist eine Beurteilung nur im Zuge einer Untersuchung des Antragstellers/der Antragstellerin möglich. Im Rahmen der Mitwirkungspflicht des Menschen mit Behinderung sind therapeutische Möglichkeiten zu berücksichtigen. Therapierefraktion – das heißt keine therapeutische Option ist mehr offen – ist in geeigneter Form nachzuweisen. Eine Bestätigung des Hausarztes/der Hausärztin ist nicht ausreichend.
Durch die Verwendung des Begriffes „dauerhafte Mobilitätseinschränkung“ hat schon der Gesetzgeber (StVO-Novelle) zum Ausdruck gebracht, dass es sich um eine Funktionsbeeinträchtigung handeln muss, die zumindest 6 Monate andauert. Dieser Zeitraum entspricht auch den grundsätzlichen Voraussetzungen für die Erlangung eines Behindertenpasses.
Nachfolgende Beispiele und medizinische Erläuterungen sollen besonders häufige, typische Fälle veranschaulichen und richtungsgebend für die ärztlichen Sachverständigen bei der einheitlichen Beurteilung seltener, untypischer ähnlich gelagerter Sachverhalte sein. Davon abweichende Einzelfälle sind denkbar und werden von den Sachverständigen bei der Beurteilung entsprechend zu begründen sein.
Die Begriffe „erheblich“ und „schwer“ werden bereits jetzt in der Einschätzungsverordnung je nach Funktionseinschränkung oder Erkrankungsbild verwendet und sind inhaltlich gleich bedeutend.
Unter erheblicher Einschränkung der Funktionen der unteren Extremitäten sind ungeachtet der Ursache eingeschränkte Gelenksfunktionen, Funktionseinschränkungen durch Erkrankungen von Knochen, Knorpeln, Sehnen, Bändern, Muskeln, Nerven, Gefäßen, durch Narbenzüge, Missbildungen und Traumen zu verstehen.
Zusätzlich vorliegende Beeinträchtigungen der oberen Extremitäten und eingeschränkte Kompensationsmöglichkeiten sind zu berücksichtigen. Eine erhebliche Funktionseinschränkung wird in der Regel ab einer Beinverkürzung von 8 cm vorliegen.
Erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit betreffen vorrangig cardiopulmonale Funktionseinschränkungen. Bei den folgenden Einschränkungen liegt jedenfalls eine Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel vor:
? arterielle Verschlusskrankheit ab II/B nach Fontaine bei fehlender therapeutischer Option
? Herzinsuffizienz mit hochgradigen Dekompensationszeichen
? hochgradige Rechtsherzinsuffizienz
? Lungengerüsterkrankungen unter Langzeitsauerstofftherapie
? COPD IV mit Langzeitsauerstofftherapie
? Emphysem mit Langzeitsauerstofftherapie
? mobiles Gerät mit Flüssigsauerstoff muss nachweislich benützt werden
Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu dieser Zusatzeintragung ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel dann unzumutbar, wenn eine kurze Wegstrecke nicht aus eigener Kraft und ohne fremde Hilfe, allenfalls unter Verwendung zweckmäßiger Behelfe ohne Unterbrechung zurückgelegt werden kann oder wenn die Verwendung der erforderlichen Behelfe die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in hohem Maße erschwert. Die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist auch dann nicht zumutbar, wenn sich die dauernde Gesundheitsschädigung auf die Möglichkeit des Ein- und Aussteigens und die sichere Beförderung in einem öffentlichen Verkehrsmittel unter Berücksichtigung der beim üblichen Betrieb dieser Verkehrsmittel gegebenen Bedingungen auswirkt (VwGH vom 22.10.2002, Zl. 2001/11/0242).
Zu prüfen ist die konkrete Fähigkeit öffentliche Verkehrsmittel zu benützen. Zu berücksichtigen sind insbesondere zu überwindende Niveauunterschiede beim Aus- und Einsteigen, Schwierigkeiten beim Stehen, bei der Sitzplatzsuche, bei notwendig werdender Fortbewegung im Verkehrsmittel während der Fahrt (VwGH vom 14.05.2009, 2007/11/0080).
Für die Berechtigung der zusätzlichen Eintragung in den Behindertenpass hinsichtlich der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel kommt es entscheidend auf die Art und die Schwere der dauernden Gesundheitsschädigung und deren Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel an, nicht aber auf andere Umstände, die die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel erschweren.
Aus diesem Grund ist der Umstand betreffend die mangelnde Infrastruktur (Vorhandensein und Erreichbarkeit, Entfernung zum nächsten öffentlichen Verkehrsmittel, „Leben am Land“) oder den Transport von schweren Gepäckstücken und das Tätigen von Einkäufen rechtlich nicht von Relevanz und kann daher bei der Beurteilung der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel nicht berücksichtigt werden (VwGH vom 22.10.2002, Zl. 2001/11/0258).
Zu den Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens wird auf die obigen Erörterungen verwiesen.
Da festgestellt worden ist, dass die dauernden Gesundheitsschädigungen der Beschwerdeführerin ein Ausmaß erreichen, welches die Eintragung des Zusatzvermerkes „Der Beschwerdeführerin ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung unzumutbar“ rechtfertigt, war spruchgemäß zu entscheiden.
3.2.Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung:
Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.
Gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn
1. der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder
2. die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist.
Gemäß § 24 Abs. 3 VwGVG hat der Beschwerdeführer die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Den sonstigen Parteien ist Gelegenheit zu geben, binnen angemessener, zwei Wochen nicht übersteigender Frist einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden.
Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen
Weiters kann das Verwaltungsgericht gemäß § 24 Abs. 5 VwGVG von der Durchführung (Fortsetzung) einer Verhandlung absehen, wenn die Parteien ausdrücklich darauf verzichten. Ein solcher Verzicht kann bis zum Beginn der (fortgesetzten) Verhandlung erklärt werden.
Der EGMR hat in seinen Entscheidungen vom 10. Mai 2007, Nr. 7401/04 (Hofbauer/Österreich Nr. 2), und vom 3. Mai 2007, Nr. 17.912/05 (Bösch/Österreich), unter Hinweis auf seine frühere Rechtsprechung dargelegt, dass der Beschwerdeführer grundsätzlich ein Recht auf eine mündliche Verhandlung vor einem Tribunal hat, außer es lägen außergewöhnliche Umstände vor, die eine Ausnahme davon rechtfertigten. Der EGMR hat das Vorliegen solcher außergewöhnlichen Umstände angenommen, wenn das Verfahren ausschließlich rechtliche oder "hoch-technische" Fragen ("exclusively legal or highly technical questions") betrifft. Der Gerichtshof verwies im Zusammenhang mit Verfahren betreffend ziemlich technische Angelegenheiten ("rather technical nature of disputes") auch auf das Bedürfnis der nationalen Behörden nach zweckmäßiger und wirtschaftlicher Vorgangsweise, das angesichts der sonstigen Umstände des Falles zum Absehen von einer mündlichen Verhandlung berechtige (VwGH 03.10.2013, Zl. 2012/06/0221).
In seinem Urteil vom 18. Juli 2013, Nr. 56.422/09 (Schädler-Eberle/Liechtenstein) hat der EGMR in Weiterführung seiner bisherigen Judikatur dargelegt, dass es Verfahren geben würde, in denen eine Verhandlung nicht geboten sei, etwa wenn keine Fragen der Beweiswürdigung auftreten würden oder die Tatsachenfeststellungen nicht bestritten seien, sodass eine Verhandlung nicht notwendig sei und das Gericht auf Grund des schriftlichen Vorbringens und der schriftlichen Unterlagen entscheiden könne (VwGH 03.10.2013, Zl. 2012/06/0221).
Hinsichtlich der bekämpften Abweisung der Zusatzeintragung ist im gegenständlichen Fall für die Entscheidung maßgebend, ob die dauernden Gesundheitsschädigungen der BF ein Ausmaß erreichen, welches die Eintragung der „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ rechtfertigt. Zur Klärung des Sachverhaltes wurden zwei ergänzende ärztliche Sachverständigengutachten vom Bundesverwaltungsgericht eingeholt. Gegen diese Gutachten vom 21.01.2021 und 19.08.2021 wurden im Rahmen des Parteiengehörs keine Einwendungen erhoben. Wie bereits oben ausgeführt wurde, wurden diese als nachvollziehbar und schlüssig erachtet. Der Sachverhalt ist geklärt und daher konnte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung unterbleiben.
3.3.Zu Spruchpunkt B)
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung (vgl. VwGH vom 24.04.2014, Zl. Ra 2014/01/0010; VwGH vom 24.03.2014, Zl. Ro 2014/01/0011) zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.
Schlagworte
Behindertenpass Sachverständigengutachten Unzumutbarkeit ZusatzeintragungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:W141.2237001.1.00Im RIS seit
25.10.2021Zuletzt aktualisiert am
25.10.2021