TE Bvwg Erkenntnis 2021/9/27 W261 2244848-1

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Veröffentlicht am 27.09.2021
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Entscheidungsdatum

27.09.2021

Norm

BBG §40
BBG §41
BBG §45
B-VG Art133 Abs4

Spruch


W261 2244848-1/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag.a Karin GASTINGER, MAS als Vorsitzende und die Richterin Mag.a Karin RETTENHABER-LAGLER sowie die fachkundige Laienrichterin Dr.in Christina MEIERSCHITZ als Beisitzerinnen über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien vom 15.07.2021, betreffend die Ausstellung eines Behindertenpasses mit einem Gesamtgrad der Behinderung von 70 von Hundert zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I.       Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer war in Deutschland seit 26.07.2002 Inhaber eines Schwerbehindertenausweises mit einem Grad der Behinderung von 100 %. Im Jahr 2010 zog er aus Deutschland nach Österreich.

2. Der Beschwerdeführer stellte am 08.04.2021 per Email einen Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses beim Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (auch Sozialministeriumservice, in der Folge belangte Behörde) und legte eine Reihe von Unterlagen vor.

3. Die belangte Behörde forderte den Beschwerdeführer mit Schreiben vom 09.04.2021 und vom 05.05.2021 auf aktuelle medizinische Befund vorzulegen. Der Beschwerdeführer kam dieser Aufforderung nach.

4. Die belangte Behörde holte zur Überprüfung des Antrages ein Sachverständigengutachten eines Arztes für Allgemeinmedizin ein. In dem auf Grundlage einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am 05.07.2021 erstatteten Gutachten vom selben Tag stellte der medizinische Sachverständige beim Beschwerdeführer die Funktionseinschränkungen reizloses Tracheostoma und koronare Herzkrankheit und einen Gesamtgrad der Behinderung in Höhe von 70 von Hundert (in der Folge vH) fest.

5. Die belangte Behörde übermittelte dem Beschwerdeführer dieses Sachverständigengutachten mit Schreiben vom 09.07.2021 im Rahmen des Parteiengehörs und teilte diesem mit, dass ein Behindertenpass mit einem Gesamtgrad der Behinderung ausgestellt werde und dass die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung „Gesundheitsschädigung gem. § 2 Abs. 1 dritter Teilstrich VO 303/1996 liegen vor“ (das ist ein Diäterfordernis für innere Erkrankungen) gegeben sind.

6. Mit Schreiben vom 15.07.2021 übermittelte die belangte Behörde dem Beschwerdeführer den Behindertenpass mit einem Gesamtgrad der Behinderung von 70 v.H. Dem Behindertenpass kommt Bescheidqualität zu.

7. Der Beschwerdeführer erhob gegen den Behindertenpass fristgerecht Beschwerde und brachte zusammengefasst vor, dass ein Gesamtgrad der Behinderung seinem unbeschränkt gültigen deutschen Schwerbehindertenausweis widerspreche, mit welchem ihm ein Grad der Behinderung von einhundert Prozent bestätigt werde. Es sei aus dem Bescheid nicht ersichtlich auf Grund welcher Grundlagen ihm nunmehr ein Behindertenpass mit einem Gesamtgrad der Behinderung von 70 v.H. ausgestellt werde. Er habe bei seiner Untersuchung nicht seine gesamte Krankengeschichte vorgelegt, sondern er habe, wie von der belangten Behörde gefordert, nur die aktuellen medizinischen Befunde vorgelegt. Daher erwarte er eine Berichtung und Ergänzung des Bescheides. Es sei seine Tendenz zum Bluthochdruck nicht gewürdigt worden. Diese werde seit Jahren mit Medikamenten therapiert. Es seien auch seine Durchblutungsstörungen in den Beinen nicht berücksichtigt worden. Es sei seine Diabeteserkrankung nicht entsprechend berücksichtigt worden, welche mit Tabletten behandelt werde. Er leide an einem unbehandelbaren doppelseitig langstreckigen Totalverschluss der Carotis Interna. Es komme dadurch immer wieder zu Schwindelanfällen und er sei bereits mehrfach in Ohnmacht gefallen. Auch seien seine Sehstörungen nicht entsprechend berücksichtigt worden. Abschließend wiederhole er noch einmal, dass er sich seinen derzeitigen Gesamtzustand durch eiserne Disziplin, trotz u.a. all der alterbedingten Widrigkeiten bei der Erhaltung der ärztlichen Empfehlungen erarbeitet habe und dies auch weiterhin fortzusetzen gedenke. Der Beschwerdeführer legte der Beschwerde keine ärztlichen Befunde, jedoch eine Kopie seines Schwerstbehindertenausweises aus Deutschland bei.

8. Die belangte Behörde legte den Aktenvorgang dem Bundesverwaltungsgericht mit Schreiben vom 29.07.2021 vor, wo dieser am selben Tag einlangte.

9. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 03.08.2021 eine Abfrage im Zentralen Melderegister durch, wonach der Beschwerdeführer österreichischer Staatsbürger ist, und seinen ordentlichen Wohnsitz im Inland hat.

II.     Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.       Feststellungen:

Der Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses langte am 08.04.2021 bei der belangten Behörde ein.

Der Beschwerdeführer erfüllt die allgemeinen Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses. Der Beschwerdeführer hat seinen Wohnsitz im Inland.

Ausmaß der Funktionseinschränkungen:

Anamnese:

Nasenpolypenentfernung, 1988 Herzinfarkt und als Zufallsbefund langstreckiger doppelter Totalverschluß der Caotis interna (ohne vorgelegten Befund), 2006 aortocoronarer Bypassoperation in Heidelberg, 2020 Ausfräsung eines fast völlig verschlossenen Bypasses und Einsetzung zweier Stents im AKH XXXX .

1993 Karzinoid am Übergang von Dick - zu Dünndarm (ohne vorgelegten Befund), 1994 Geschwüre an den Stimmbändern - Laserablation (ohne vorgelegten Befund), 1995 Kehlkopfkarzinom mit Kehlkopf Total Entfernung und Neck dissektion, Kobaltbestrahlung in Heidelberg (ohne vorgelegten Befund) - verbliebenes Tracheostoma, 1996 Diabeteserkrankung festgestellt, keine Insulinbehandlung (ohne vorgelegten Befund), 2021 wegen Sehschwäche grauer Star Operation verschoben.

Wegen der Schilddrüse müsse er Medikamente nehmen.

Derzeitige Beschwerden:

Der Beschwerdeführer klagt „über Schwindelanfälle, verständliches Sprechen sei bei unverschlossenem Tracheostoma nicht möglich. Er habe auch einen Grünen Star."

Keine spezifizierte Allergie bekannt.

Anderwärtige schwere Krankheiten, Operationen oder Spitalsaufenthalte werden negiert. Lt. eigenen Angaben mit öffentlichen Verkehrsmittel zur Untersuchung gekommen.

Medikamente:

Euthyrox, Metohexal, Ramipril, Makula, Finasterid Forxiga, Ispra, Agladin, Brilique, Jenttaduettl, ASS, Azopt

Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):

2021-4 mitgebrachter Befund, Allgemeines Krankenhaus XXXX , ateriosklerotische HerzKreislaufkrankheit, Z. n. aortocoronarer Bypassoperation, Z. n. Cx-CTO Intervention 5-2020, ohne Restenosen oder Befundprogredienz.

2002-7 deutscher Schwerbehindertenausweis mit 100%.

Untersuchungsbefund:

Allgemeinzustand:

77-jähriger Mann in gutem AZ kommt alleine ins Untersuchungszimmer, Rechtshänder.

Ernährungszustand: gut.

Größe: 175,00 cm Gewicht: 71,00 kg Blutdruck: 130/90

Klinischer Status - Fachstatus:

Haut: und sichtbare Schleimhäute gut durchblutet, kein Ikterus, keine periphere oder zentrale Zyanose. Caput: HNAP frei, kein Meningismus, sichtbare Schleimhäute: unauffällig Zunge feucht, wird gerade hervorgestreckt, normal PR unauffällig, Rachen: bland, Gebiß: prothetisch, Hörvermögen ohne Hörgerät unauffällig.

Collum: verbliebenes Tracheostoma nach Halsoperation, Flüstersprache durch Stoma kaum verständlich, schreibt das meiste auf, keine Einflussstauung, keine Stenosegeräusche.

Thorax: symmetrisch, blande Narbenverhältnisse nach Sternotomie. Cor: Herztöne rhythmisch, mittellaut, normfrequent. Puls: 72 / min. Pulmo: sonorer KS, Vesikuläratmen, Basen atemverschieblich, keine Dyspnoe in Ruhe und beim Gang im Zimmer.

Abdomen: Bauchdecken im Thoraxniveau, Hepar nicht vergrößert, Lien nicht palpabel, keine pathologischen Resistenzen tastbar, indolent, blande NVH Bauchdeckenschnitt linker UB, reponibler kleiner Nabelbruch. NL bds. frei.

Extremitäten:

Obere Extremitäten:

Tonus, Trophik und grobe Kraft altersentsprechend unauffällig. Nacken und Schürzengriff gut möglich. In den Gelenken altersentsprechend frei beweglich, Faustschluss beidseits unauffällig, eine Sensibilitätsstörung wird nicht angegeben Feinmotorik und Fingerfertigkeit ungestört.

Untere Extremitäten:

Tonus, Trophik und grobe Kraft altersentsprechend unauffällig. in den Gelenken altersentsprechend frei beweglich, Bandstabilität, keine Sensibilitätsausfälle, selbständige Hebung beider Beine von der Unterlage möglich, Grobe Kraft an beiden Beinen seitengleich normal. Fußpulse tastbar, verstärkte Venenzeichnung keine Ödeme PSR: seitengleich unauffällig, Nervenstämme: frei, Lasegue: neg.

Wirbelsäule:

In der Aufsicht gerade, weitgehend im Lot, in der Seitenansicht gering verstärkte Brustkyphose FBA: 10 cm, Aufrichten frei, kein Klopfschmerz, Schober: Ott: unauffällig, altersentsprechend freie Beweglichkeit der WS, Kinn-Brustabstand: 2 cm, Hartspann der paravertebralen Muskulatur.

Gesamtmobilität - Gangbild:

Kommt mit Halbschuhen freigehend weitgehend unauffällig, Zehenballen- und Fersengang sowie Einbeinstand beidseits gut möglich. Die tiefe Hocke wird ohne Anhalten nahezu vollständig durchgeführt. Vermag sich selbständig aus- und wieder anzuziehen.

Status Psychicus:

Bewusstsein klar.

Beim Beschwerdeführer bestehen folgende Funktionseinschränkungen, die voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:

1.       Reizloses Tracheostoma

2.       Koronare Herzkrankheit

Der Gesamtgrad der Behinderung beträgt 70 v. H.

Leiden 1 wird durch Leiden 2 um eine Stufe erhöht, weil eine wechselseitige Leidensbeeinflussung vorliegt.

Ein einschätzungsrelevanter Diabetes und eine maßgebliche Sehbehinderung ist nicht durch entsprechende medizinische Befunde objektivierbar.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen hinsichtlich der Antragsstellung basieren auf dem Akteninhalt.

Die Feststellungen zum Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt des Beschwerdeführers im Inland basieren auf dem vom Bundesverwaltungsgericht eingeholten Auszug aus dem Zentralen Melderegister.

Der Gesamtgrad der Behinderung gründet sich auf das seitens der belangten Behörde eingeholte Sachverständigengutachten eines Arztes für Allgemeinmedizin vom 05.07.2021, basierend auf einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am selben Tag.

Darin wird auf die Art und das Ausmaß der Leiden des Beschwerdeführers, insoweit diese durch aktuelle medizinische Befunde objektivierbar sind, vollständig, nachvollziehbar und widerspruchsfrei eingegangen. Der medizinische Gutachter setzt sich auch umfassend und nachvollziehbar mit den vorgelegten Befunden sowie mit der Frage der wechselseitigen Leidensbeeinflussungen und dem Zusammenwirken der zu berücksichtigenden Gesundheitsschädigungen auseinander. Die getroffenen Einschätzungen, basierend auf den im Rahmen einer persönlichen Untersuchung erhobenen Befunden, entsprechen auch den festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen; die Gesundheitsschädigungen sind nach der Einschätzungsverordnung richtig eingestuft.

Sämtliche vom Beschwerdeführer in seiner Beschwerde aufgelisteten Leiden und Funktionseinschränkungen finden sich in der Anamnese des medizinischen Sachverständigengutachtens. Es lag am Beschwerdeführer im Rahmen der ihn in Verwaltungsverfahren treffenden Mitwirkungsverpflichtung für alle Leiden unter welchen er aktuell noch leidet, aktuelle medizinische Befunde vorzulegen. Nur dann, wenn diese medizinischen Befunde vorgelegt werden, gelten diese Leiden als medizinisch objektiviert und können bei der Bemessung des Gesamtgrades der Behinderung vom medizinischen Sachverständigen mitberücksichtigt werden.

Wenn der Beschwerdeführer mehrfach ausführt, dass er in Deutschland seit dem Jahr 2002 Inhaber eines Schwerstbehindertenausweises mit einem Grad der Behinderung von 100 % gewesen ist, so ist dazu auszuführen, dass die Einschätzung des Grades der Behinderung in Österreich und in Deutschland aufgrund unterschiedlicher rechtlicher Grundlagen erfolgt. Der Beschwerdeführer stellte im April 2021 einen Antrag auf Ausstellung eines österreichischen Behindertenpass, weswegen die belangte Behörde richtigerweise das hierzu in Österreich vorgesehene Ermittlungsverfahren einleitete und ein Sachverständigengutachten einholte. In diesem Sachverständigengutachten wird anhand der vorgelegten aktuellen medizinischen Befunde und dem Ergebnis der Untersuchung eine Einschätzung der medizinisch objektivierbaren Leiden nach der Einschätzungsverordnung vorgenommen. Allein der Umstand, dass der Beschwerdeführer vor 19 Jahren in Deutschland einen Schwerstbehindertenausweis erhielt, besagt noch nichts über seinen aktuellen Gesundheitszustand, und nur dieser ist für die Ausstellung des Behindertenpasses von Relevanz. Daher geht dieses Argument des Beschwerdeführers ins Leere.

Der Sachverständige geht in seinem Gutachten vom 05.07.2021 ausführlich auf sämtliche vorgelegten Befunde des Beschwerdeführers ein. Der Beschwerdeführer ist damit den Ausführungen des medizinischen Sachverständigen nicht und damit insbesondere auch nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten, steht es dem Antragsteller, so er der Auffassung ist, dass seine Leiden nicht hinreichend berücksichtigt wurden, nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes doch frei, das im Auftrag der Behörde erstellte Gutachten durch die Beibringung eines Gegengutachtens eines Sachverständigen seiner Wahl zu entkräften (vgl. etwa VwGH 27.06.2000, 2000/11/0093).

Seitens des Bundesverwaltungsgericht bestehen folglich keine Zweifel an der Richtigkeit, Vollständigkeit, Widerspruchsfreiheit und Schlüssigkeit des vorliegenden Sachverständigengutachtens vom 05.07.2021. Es wird daher in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung zu Grunde gelegt.

3.       Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

1.       Zur Entscheidung in der Sache

Die gegenständlich maßgeblichen Bestimmungen des Bundesbehindertengesetzes (BBG) lauten:

„§ 40 (1) Behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% ist auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpass auszustellen, wenn

1. ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist oder

2.       sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften wegen Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit oder dauernder Erwerbsunfähigkeit Geldleistungen beziehen oder

3.       sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften ein Pflegegeld, eine Pflegezulage, eine Blindenzulage oder eine gleichartige Leistung erhalten oder

5.       sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, angehören.

(2) Behinderten Menschen, die nicht dem im Abs. 1 angeführten Personenkreis angehören, ist ein Behindertenpaß auszustellen, wenn und insoweit das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen auf Grund von Vereinbarungen des Bundes mit dem jeweiligen Land oder auf Grund anderer Rechtsvorschriften hiezu ermächtigt ist.

§ 41 (1) Als Nachweis für das Vorliegen der im § 40 genannten Voraussetzungen gilt der letzte rechtskräftige Bescheid eines Rehabilitationsträgers (§ 3) oder ein rechtskräftiges Urteil eines Gerichtes nach dem Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, BGBl. Nr. 104/1985, ein rechtskräftiges Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes oder die Mitteilung über die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs. 5 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, BGBl. Nr. 376. Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen hat den Grad der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen, wenn

1.       nach bundesgesetzlichen Vorschriften Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden und die hiefür maßgebenden Vorschriften keine Einschätzung vorsehen oder

2. zwei oder mehr Einschätzungen nach bundesgesetzlichen Vorschriften vorliegen und keine Gesamteinschätzung vorgenommen wurde oder

3.       ein Fall des § 40 Abs. 2 vorliegt.

(2) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind ohne Durchführung eines Ermittlungsverfahrens zurückzuweisen, wenn seit der letzten rechtskräftigen Entscheidung noch kein Jahr vergangen ist. Dies gilt nicht, wenn eine offenkundige Änderung einer Funktionsbeeinträchtigung glaubhaft geltend gemacht wird.

§ 42 (1) Der Behindertenpass hat den Vornamen sowie den Familien- oder Nachnamen, das Geburtsdatum, eine allfällige Versicherungsnummer, den Wohnort und einen festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.

§ 45 (1) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.

(2) Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.

(3) In Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung hat die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.

(4) Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß Abs. 3 hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die fachkundigen Laienrichterinnen oder Laienrichter (Ersatzmitglieder) haben für die jeweiligen Agenden die erforderliche Qualifikation (insbesondere Fachkunde im Bereich des Sozialrechts) aufzuweisen.

§ 46 Die Beschwerdefrist beträgt abweichend von den Vorschriften des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes, BGBl. I Nr. 33/2013, sechs Wochen. Die Frist zur Erlassung der Beschwerdevorentscheidung beträgt 12 Wochen. In Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht dürfen neue Tatsachen und Beweismittel nicht vorgebracht werden.“

Die maßgebenden Bestimmungen der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend nähere Bestimmungen über die Feststellung des Grades der Behinderung (Einschätzungsverordnung, BGBl. II. Nr. 261/2010 idgF BGBl II. Nr. 251/2012) lauten auszugsweise wie folgt:

"Behinderung

§ 1 Unter Behinderung im Sinne dieser Verordnung ist die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft, insbesondere am allgemeinen Erwerbsleben, zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten.

Grad der Behinderung

§ 2 (1) Die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen sind als Grad der Behinderung zu beurteilen. Der Grad der Behinderung wird nach Art und Schwere der Funktionsbeeinträchtigung in festen Sätzen oder Rahmensätzen in der Anlage dieser Verordnung festgelegt. Die Anlage bildet einen Bestandteil dieser Verordnung.

(2) Bei Auswirkungen von Funktionsbeeinträchtigungen, die nicht in der Anlage angeführt sind, ist der Grad der Behinderung in Analogie zu vergleichbaren Funktionsbeeinträchtigungen festzulegen.

(3) Der Grad der Behinderung ist nach durch zehn teilbaren Hundertsätzen festzustellen. Ein um fünf geringerer Grad der Behinderung wird von ihnen mit umfasst. Das Ergebnis der Einschätzung innerhalb eines Rahmensatzes ist zu begründen.

Gesamtgrad der Behinderung

§ 3 (1) Eine Einschätzung des Gesamtgrades der Behinderung ist dann vorzunehmen, wenn mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen. Bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung sind die einzelnen Werte der Funktionsbeeinträchtigungen nicht zu addieren. Maßgebend sind die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander.

(2) Bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung ist zunächst von jener Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, für die der höchste Wert festgestellt wurde. In der Folge ist zu prüfen, ob und inwieweit dieser durch die weiteren Funktionsbeeinträchtigungen erhöht wird. Gesundheitsschädigungen mit einem Ausmaß von weniger als 20 v.H. sind außer Betracht zu lassen, sofern eine solche Gesundheitsschädigung im Zusammenwirken mit einer anderen Gesundheitsschädigung keine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung verursacht. Bei Überschneidungen von Funktionsbeeinträchtigungen ist grundsätzlich vom höheren Grad der Behinderung auszugehen.

(3) Eine wechselseitige Beeinflussung der Funktionsbeeinträchtigungen, die geeignet ist, eine Erhöhung des Grades der Behinderung zu bewirken, liegt vor, wenn

-        sich eine Funktionsbeeinträchtigung auf eine andere besonders nachteilig auswirkt,

-        zwei oder mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen, die gemeinsam zu einer wesentlichen Funktionsbeeinträchtigung führen.

(4) Eine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung ist dann gegeben, wenn das Gesamtbild der Behinderung eine andere Beurteilung gerechtfertigt erscheinen lässt, als die einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen alleine.

Grundlage der Einschätzung

§ 4 (1) Die Grundlage für die Einschätzung des Grades der Behinderung bildet die Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen im körperlichen, geistigen, psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung in Form eines ärztlichen Sachverständigengutachtens. Erforderlichenfalls sind Experten aus anderen Fachbereichen - beispielsweise Psychologen - zur ganzheitlichen Beurteilung heran zu ziehen.
(2) Das Gutachten hat neben den persönlichen Daten die Anamnese, den Untersuchungsbefund, die Diagnosen, die Einschätzung des Grades der Behinderung, eine Begründung für die Einschätzung des Grades der Behinderung innerhalb eines Rahmensatzes sowie die Erstellung des Gesamtgrades der Behinderung und dessen Begründung zu enthalten.

...“

Zunächst ist rechtlich festzuhalten, dass der Grad der Behinderung im Beschwerdefall - wie dies auch die belangte Behörde zu Recht annahm - nach der Einschätzungsverordnung einzuschätzen war, was im Verfahren auch unbestritten geblieben ist.

Das Leiden 1 des Beschwerdeführers ist ein reizloses Tracheostoma, welches der medizinische Sachverständige richtig nach Position 12.05.03 der Einschätzungsverordnung mit einem Grad der Behinderung von 60 % einstufte. Dabei berücksichtigte der medizinische Sachverständige, dass beim Beschwerdeführer ein Kehlkopfverlust mit einer schwer verständlichen Ersatzstimme, jedoch ohne dokumentierte chronische Entzündungen vorliegt.

Das Leiden 2, die koronare Herzerkrankung stufte der medizinische Sachverständige richtig nach Position 05.05.02 der Einschätzungsverordnung mit einem Grad der Behinderung von 40 % einstufte. Bei dieser Einschätzung berücksichtigte der medizinische Sachverständige, dass beim Beschwerdeführer ein Zustand nach erfolgreicher aortocornaer Bypassperation mit Intervention 2020 ohne Reststenosen vorliegt.

Für die anderen in der Beschwerde angeführten Leiden, wie den Diabetes, die Sehstörung, die Durchblutungsstörung in den Beinen und den Bluthochdruck legte der Beschwerdeführer keine aktuellen medizinischen Befunde vor, weswegen diese Leiden nicht medizinisch objektivierbar sind.

Die Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung hat bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen nicht im Wege der Addition der einzelnen Werte der Funktionsbeeinträchtigungen zu erfolgen, sondern es ist bei Zusammentreffen mehrerer Leiden zunächst von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, für welche der höchste Wert festgestellt wurde, und dann ist zu prüfen, ob und inwieweit durch das Zusammenwirken aller zu berücksichtigenden Funktionsbeeinträchtigungen eine höhere Einschätzung des Grades der Behinderung gerechtfertigt ist (vgl. den eindeutigen Wortlaut des § 3 der Einschätzungsverordnung, sowie die auf diese Rechtslage übertragbare Rechtsprechung, VwGH 17.07.2009, 2007/11/0088; 22.01.2013, 2011/11/0209 mwN).

Wie oben unter Punkt 2. (Beweiswürdigung) ausgeführt, wird der gegenständlichen Entscheidung das seitens der belangten Behörde eingeholte Sachverständigengutachten eines Arztes für Allgemeinmedizin vom 05.07.2021 beruhend auf einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am selben Tag zu Grunde gelegt.

Der medizinische Sachverständige stellt in diesem Sachverständigengutachten fest, dass eine ungünstige wechselseitige Leidensbeeinflussung der beiden Leiden des Beschwerdeführers besteht, woraus sich ein Gesamtgrad der Behinderung von 70 v.H. ergibt.

Damit erfolgte die Einschätzung des Gesamtgrades der Behinderung von 70 v.H. entsprechend den Vorgaben der Einschätzungsverordnung. Die in der Beschwerde vorgebrachten Argumente waren nicht geeignet, eine andere Einstufung zu rechtfertigen.

Im Übrigen ist aber auch darauf hinzuweisen, dass bei einer späteren Verschlechterung des Leidenszustandes bzw. bei Vorlage aktueller medizinischer Befunde hinsichtlich der bisher nach den Ausführungen in der Beschwerde noch nicht berücksichtigter Leiden die neuerliche Einschätzung des Grades der Behinderung nach Maßgabe des § 41 Abs. 2 BBG in Betracht kommt.

Die Beschwerde war daher spruchgemäß abzuweisen.

2.       Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung

Der im Beschwerdefall maßgebliche Sachverhalt ergibt sich aus dem Akt der belangten Behörde und insbesondere auf das von der belangten Behörde eingeholte medizinische Sachverständigengutachten, das auf einer persönlichen Untersuchung beruht, auf alle Einwände und die im Verfahren vorgelegten Atteste des Beschwerdeführers in fachlicher Hinsicht eingeht, und welchem der Beschwerdeführer nicht substantiiert entgegengetreten ist. Die strittige Tatsachenfrage, genauer die Art und das Ausmaß der Funktionseinschränkungen des Beschwerdeführers sind einem Bereich zuzuordnen, der von einem Sachverständigen zu beurteilen ist. Beide Parteien haben keinen Verhandlungsantrag gestellt. All dies lässt die Einschätzung zu, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und eine Entscheidung ohne vorherige Verhandlung im Beschwerdefall nicht nur mit Art. 6 EMRK und Art. 47 GRC kompatibel ist, sondern der Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis (§ 39 Abs. 2a AVG) gedient ist, gleichzeitig aber das Interesse der materiellen Wahrheit und der Wahrung des Parteiengehörs nicht verkürzt wird.

Zu Spruchteil B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.

Schlagworte

Behindertenpass Grad der Behinderung Sachverständigengutachten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W261.2244848.1.00

Im RIS seit

25.10.2021

Zuletzt aktualisiert am

25.10.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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