TE Bvwg Erkenntnis 2021/9/28 W166 2237712-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 28.09.2021
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Entscheidungsdatum

28.09.2021

Norm

BBG §40
BBG §41
BBG §45
B-VG Art133 Abs4

Spruch


W166 2237712-1/9E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Carmen LOIBNER-PERGER als Vorsitzende und die Richterin Mag. Ivona GRUBESIC sowie den fachkundigen Laienrichter
Mag. Gerald SOMMERHUBER als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX ,
geb. XXXX , vertreten durch RA Dr. Alexandra SEDELMAYER-PAMMESBERGER, gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien, vom 28.10.2020, wegen Abweisung des Antrages auf Ausstellung eines Behindertenpasses, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer stellte am 30.06.2020 beim Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (im Folgenden: belangte Behörde) einen Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses, und legte diverse medizinische Beweismittel vor.

In dem von der belangten Behörde eingeholten medizinischen Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Neurologie vom 26.08.2020 wurde, basierend auf der persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers, Nachfolgendes ausgeführt:

„Anamnese:

Epileptischer Anfall- Verdacht auf strukturelle Epilepsie bei Zustand nach offenem SHT 2018, allerdings bereits 1 Jahr zuvor erstmals Verdacht auf nächtlichen Epileptischen Anfall

Derzeitige Beschwerden:

Der AW kommt gehend ohne Hilfsmittel, er sei öffentlich gekommen.

Der letzte epileptische Anfall wäre im April 2020 gewesen, insgesamt hätte er 2 oder 3 Anfälle gehabt. Die antiepileptische Therapie, diese hätte er anfänglich unregelmäßig genommen, nehme er seit 2018. 2017 wäre bereits vor dem SH- Trauma ein fragliches Anfallsgeschehen gewesen, dies wäre von FA Dr. XXXX nicht bestätigt worden.

Der Gesichtsfeldausfall hätte sich gebessert. Er fühle sich überfordert und hätte Existenzängste. Die nächste Gerichtsverhandlung bei Zustand nach Verkehrsunfall sei im September 2020. Psychotherapie könne er sich nicht leisten.

Er sei seit Sommer 2018 beim AMS, er hätte wegen Arbeitsunfähigkeit eingereicht. Er sei gelernter Kellner, hätte eine Ausbildung zum Kommunikationstechniker (ohne LAP), zuletzt hätte er eine Ausbildung als Rauchfangkehrer (ohne LAP) gemacht.

Im ADL Bereich sei er selbstständig. Spazieren gehen könne er 30 Minuten.

Behandlung(en) / Medikamente / Hilfsmittel:

Behandlungen: keine

Medikamente: Levebon 1000 mg 1- 0 11/2, Trittico 150 mg 1x2/3

Hilfsmittel: keine

Sozialanamnese:

Ledig, wohne alleine im 6. Stock mit Lift. Keine Kinder: Beruf. AMS

Nik: 10/T

Alk: 0

Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):

KH XXXX , 26.04.2020

Diagnose: Epileptischer Anfall

Zusammenfassung: Die amb. Vorstellung erfolgte aufgrund eines Grand Mal Anfalles mit Zungenbiss, welcher durch die Freundin des Pat beobachtet wurde. Die antiepileptische Therapie wurde vor kurzem nach längerem anfallsfreien Intervall beendet. Zuvor V.a. strukturelle Epilepsie bei Z.n. offenem SHT 2018, allerdings bereits 1 Jahr vor dem Trauma erstmals V.a. nächtlichen Epi-Anfall…

MRT Neurokranium, DZU, 19.11.2019

Ergebnis:

Postkontusionelle Narbe rechts frontobasal. Fraktur der Schädelbasis auf Höhe der Keilbeinhöhle

mit 12 mm im Durchmesser haltender Meningocele. 8 mm großer Herd links okzipital (DD Kavernom oder eventuell auch kleine contre coup Läsion). Arachnoidalzyste links temporopolar.

Reha Zentrum XXXX , 22.08.2019

Diagnosen: Schweres offenes Schädelhirntrauma und Polytrauma i.R. eines Motorradunfalls am 24.05.2018

Epiduralhämatom links frontal, multiple Kontusionsblutung sowie traumatische Subarachnoidalblutung fronto-basal bds, - multiple Gesichts- & Gehirnschädelfrakturen

Kompressionsfraktur BWK6-8 mit Z.n. operativer Stabilsierung BWK5-10 &

Metallentfernung 04/2019, - obere & untere Schambeinastfraktur, - Radiusfraktur rechts

Sonstiger Unfall im privaten Bereich, nicht näher bezeichnet

Dringender V.a, Epilepsie mit fraglich rez nächtl tonisch klonisch Anfällen

(beobachteter Anfall am 25.07.2019 im RZM XXXX ), Abklärung bisher nicht erfolgt

Florider Nikotinabusus (ca 10 / Tag)

EPIKRISE:

Herr V wurde am 25.07.2019 bei Z.n. schwerem offenen Schädelhirntrauma 05/2018 im Rahmen eines Motorradunfalles zu weiteren rehabilitativen Maßnahmen stationär aufgenommen. In initial erhobenen neurologischen Status zeigte sich vor allem Defizite im Bereich der höheren kortikalen Funktionen (Konzentration, Aufmerksamkeit, Gedächtnis) ohne sonstiges fokal neurologisches Defizit.

Um die selbsternannten Rehabilitationsziele, ausführliche kognitive Testung und weiterführende strukturierte Therapie bezüglich der höheren kognitiven Leistungen sowie Beweglichkeit der Brustwirbelsäule um wieder Outdoor-Aktivitäten nachkommen zu können und eine psychische Stabilisierung zu erreichen erfolgte intensive Physiotherapie, jedoch auch Kognitives Training in der Ergotherapie und neuropsychologischen Therapie. Zudem erfolgten supportiv psychologische Beratungsgespräche und Biofeedback. in der ausführlichen neuropsychologischen Testung zeigte sich ein altersgemäß kognitives Leistungsprofil, unterdurchschnittliche Werte ergaben sich lediglich in der Aufmerksamkeitsaktivierung,

In den Therapien nahm Herr Vötter an der Gedächtnisgruppe teil, auch in einem Einzelsetting wurde an der Gedächtnisfunktion trainiert. Es war dem Patienten zum Ende hin möglich Gesprächsinhalte auch nach einigen Tagen abzurufen bzw. Therapieinhalte wieder zu geben.

Insgesamt wirkte der Patient jedoch gestresst, weshalb supportiv auch psychologische Beratungsgespräche begonnen wurden…

Rehazentrum XXXX

Entlassungsdiagnosen:

Diagnosen bezgl. des Unfallgeschehens vom 24.05.2018

Schweres offenes Schädelhirntrauma mit Schädelfraktur fronto-parietal und Einstrahlung in die Schädelbasis, Hirnkontusionen frontobasal beidseits (re>ii), Epiduralhämatom frontal links, Subduralhämatom frontal rechts, traumatische Subarachnoidalblutung -

Komplexe Gesichtsschädelfraktur Le Fort III mit Jochbeinfraktur links, Orbitadach- und Orbitabodenfraktur beidseits, Hämatosinus frontal, maxillär beidseits und sphenoidai links

Prellung der rechten Schulter, Brustwirbelkörperfrakturen Th5 - Th8 mit Deckplattenimpression Th6 und Th8, Radiusfraktur (loco typico) rechts

Nicht dislozierte obere und untere Schambeinastfraktur beidseits

Rissquetschwunden im Bereich der Stirnglatze und am Kinn

Postoperativ blande Narbe dorsal im Bereich der Brustwirbelsäule

Mitgebrachte Befunde:

Dr. B. XXXX , Facharzt für Neurologie, 14.07.2020

Anamnese vom 9.6.2020:

Motorradunfall vor 2 Jahren mit Polytrauma. Ein Monat Krankenhausaufenthalt, danach ein Monat Rehabilitation in XXXX . Seit dem Motorradunfall mit Schädelhirntrauma.

Herr V nimmt Levebon 1000mg 1-0-1 ein. Der letzte Anfall war am 26.4.2020 bei vermutlich unregelmäßiger AK-Einnahme. Die Anfälle würden  immer beim Aufwachen auftreten. er berichtet, dass er manchmal gedankenabwesend ist. Weiters werden claustrophobe und soziophobe Symptome mit Schweißausbrüchen beschrieben.

Ein rezenter Levetiracetamspiegel beträgt 32.8 (Richtbereich 12*46). Levebon wird abends auf 1.5 Tabletten diskret erhöht.

MRT 11/2019: postkontusionelle Narbe rechts fronto basal. 12mm meningocele auf Höhe Fraktur der Keilbeinhöhe (Herd links occipital 8mm DD: Cavernom eventuell Contre coup), Arachnoidalzyste links temporopolar

Psychologische Testung 2.7.2020. Mag. XXXX . mit der Frage:

postkontusioneiles organisches Psychosyndrom?

In der dortigen Anamnese wird Folgendes berichtet: seit dem Unfall erhöhte Vergesslichkeit, findet keine Struktur im Leben, habe Schwierigkeiten Dinge zeitlich zu ordnen. Koordinationsschwierigkeiten und einen gestörten Schlaf.

Früher sei er stressresistenter gewesen, heute bringen zwei/drei Dinge ihn völlig aus der Bahn er sei aufbrausend, neue Situationen überfordern ihn. Er fühle sich ebenso motivationslos und angespannt, früher sei er aktiver gewesen. Zusammenfassung: ...in der Leistungsdiagnostik keine Auffälligkeiten erkennbar. Die kognitive Verarbeitungsgeschwindigkeit liegt leicht unter der Altersnorm. Im Persönlichkeitsbereich deutsch erhöhte Belastungssituation. erhöhte Werte im Bereich Aggressivität. Ängstlichkeit, depressiv, Somatisierung. Zwanghaftigkeit und phobische Angst. Ebenso liegen massive Existenzängste vor. Schlaf gestört. Affekt labil, posttraumatische Beschwerden konnten nicht erhoben werden.

Diagnose: F32.0 (leichte depressive Episode)

Eine Psychotherapie ist empfehlenswert, ebenso eine medikamentöse Behandlung mit einem Antidepressivum. Ende psychologische Testung.

Diagnosen:

Zustand nach Verkehrsunfall mit schwerem Schädelhirntrauma.

Fraktur fronto-parietal, Hirnkontusion frontobasal beids., Epiduralhämatom, SAB

inkomplette Hemianopsie nach rechts

Wirbelsäulenstabilisierung

Traumatische (symptomatische) Epilepsie mit beschriebenen

vorwiegend nächtlich tonischen klonischen Anfällen, letztmalig 26.4.2020

Leichtgradig depressive Episode mit claustrophoben/soziophoben Symptomen sowie Zwanghaftigkeit und phobischer Angst

Therapie: Trittico.

Kontrolle hierorts terminisiert. EEG-Verlaufskontrollle… Beginn eine Psychotherapie ist zu besprechen

EEG, Dr. XXXX , 20.08.2020

Beurteilung:

Ähnlich zum Vorbefund vom Mai 2017 findet sich im wesentl. regelrechtes EEG. Weiterhin keine Herdzeichen und insbesondere keine Paroxysmen Empfehle Verlaufskontrolle.

Untersuchungsbefund:

Allgemeinzustand:

Gut

Ernährungszustand:

reduziert

Größe: 175,00 cm  Gewicht: 55,00 kg  Blutdruck:

Klinischer Status – Fachstatus:

Neurologischer Status gemäß COVID-19 Regelung:

wach, voll orientiert, kein Meningismus

Caput: HN unauffällig (GF grob fingerperimetrisch unauffällig)

OE: Rechtshändigkeit, Trophik unauffällig, Tonus unauffällig, grobe Kraft proximal und distal 5/5, Vorhalteversuch der Arme: Spur Haltetremor bds, Finger-Nase-Versuch: keine Ataxie, MER (RPR, BSR, TSR) seitengleich mittellebhaft auslösbar, Eudiadochokinese beidseits, Pyramidenzeichen negativ.

UE: Trophik unauffällig, Tonus seitengleich unauffällig, grobe Kraft proximal und distal 5/5, Positionsversuch der Beine: unauffällig, Knie-Hacke-Versuch: keine Ataxie, MER (PSR, ASR) seitengleich mittellebhaft auslösbar, Pyramidenzeichen negativ.

Sensibilität: intakte Angabe. Sprache: unauffällig

Romberg: unauffällig

Unterberger: unauffällig

Fersen- und Zehengang: unauffällig.

Gesamtmobilität – Gangbild:

Mobilitätsstatus: Gangbild: sicher ohne Hilfsmittel, Standvermögen: sicher, prompter Lagewechsel.

Führerschein vorhanden, fahre nicht

Status Psychicus: wach, in allen Qualitäten orientiert, Duktus kohärent, Denkziel wird erreicht, Aufmerksamkeit Spur reduziert, keine kognitiven Defizite, Affekt unauffällig, Stimmungslage gedrückt, Antrieb unauffällig, Konzentration gering reduziert, keine produktive Symptomatik, Schlafstörungen

Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:

Lfd. Nr.  Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:

Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:  Pos.Nr.  Gdb %

1 Strukturelle Epilepsie bei Zustand nach offenem SHT 2018  04.10.01 40

Im oberen Rahmensatz bei seltener Anfallsfrequenz (und anfänglich unregelmäßiger Medikamenteneinnahme); leichtgradig depressive Episode mit claustrophoben soziophoben Symptomen, Zwanghaftigkeit und phobischer Angst im Rahmensatz inkludiert -hier allerdings Therpieoptionen noch unausgeschöpft  04.10.01  40

Gesamtgrad der Behinderung  40 v. H.“

Im Rahmen des dem Beschwerdeführer zum durchgeführten Ermittlungsergebnis gewährten Parteiengehörs legte der Beschwerdeführer ein unfallchirurgisch-orthopädisches Gutachten vor. Zur Beurteilung dieses Beweismittels wurde seitens der belangten Behörde ein medizinisches Aktengutachten eines Facharztes für Orthopädie vom 30.09.2020 eingeholt, in welchem Nachfolgendes ausgeführt wurde:

„Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):

Vorgutachten 26.08.2020, Gesamt GdB 40v.H.

Strukturelle Epilepsie bei Zustand nach offenen SHT 40 v.H.

07.11.2019 Gutachten für private Unfallversicherung Dr. XXXX :

Anamnestisch werden Schmerzen in der Wirbelsäule beim Tragen schwerer Gegenstände angegeben.

Bruch und operative Stabilisierung der Brustwirbel 6-8 (April 2019 Entfernung des Osteosynthesematerials)

Bruch der rechten Speiche an typische Stelle

Bruch des oberen und unteren Schambeinastes.

Im Untersuchungsbefund nur eine geringe Einschränkung beim Vor und Rückneigen (Ott 30/32 (normal 30/33), Schober 10/14 (normal 19/15cm).

Im Bereich des rechten Handgelenkes keine Bewegungseinschränkung und Achsabweichung.

Stabiles Becken, keine Bewegungseinschränkung der Hüftgelenke.

Behandlung/en / Medikamente / Hilfsmittel:

Keine.

Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:

Lfd. Nr.  Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:

Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:  Pos.Nr.  Gdb %

1 Epilepsie, Epilepsie - leichte Form mit sehr seltenen Anfällen 04.10.01 40

Im oberen Rahmensatz bei seltener Anfallsfrequenz (und anfänglich unregelmäßiger Medikamenteneinnahme); leichtgradige Depressive Episode mit claustrophoben soziophoben Symptomen, Zwanghaftigkeit und phobischer Angst im Rahmensatz inkludiert - her allerdings die Therapieoptionen noch unausgeschöpft.  

2 Geheilter, operierter Bruch der Brustwirbelkörper 6-8  02.01.01 10

Unterer Rahmensatz, da Belastungsschmerzen ohne Achsfehlstellung und Buckelbildung.  
Gesamtgrad der Behinderung          40 v. H.

Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung:

Es besteht keine ungünstige wechselseitige Leidensbeeinflussung.

Folgende beantragten bzw. in den zugrunde gelegten Unterlagen diagnostizierten Gesundheitsschädigungen erreichen keinen Grad der Behinderung:

Geheilter Bruch der rechten Speiche ohne Funktionseinschränkung erreicht keinen GdB.

Stellungnahme zu gesundheitlichen Änderungen im Vergleich zum Vorgutachten:

Das orthopädische Leiden ist in der Diagnosenliste ergänzt.

Die Beurteilung des AUBV Gutachten ist nicht verwertbar, da im gegenständlichen Verfahren unterschiedliche Bewertungsbedingungen bestehen.

Begründung für die Änderung des Gesamtgrades der Behinderung:

In der Gesamtbeurteilung keine Änderungen.“

Im Rahmen des dem Beschwerdeführer zum durchgeführten Ermittlungsergebnis gewährten Parteiengehörs teilte der Beschwerdeführer mit, sein Zustand habe sich verschlechtert und er ersuche um Begutachtung durch einen Orthopäden.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 28.10.2020 hat die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf Ausstellung eines Behindertenpasses mangels Vorliegen der Voraussetzungen abgewiesen und einen Grad der Behinderung (GdB) von 40 v.H. festgestellt. Beweiswürdigend wurde dazu ausgeführt, dass die ärztliche Begutachtung einen Grad der Behinderung von 40 v.H. ergeben habe. Gemäß § 40 Abs. 1 BBG sei behinderten Menschen erst ab einem Grad der Behinderung von mindestens 50 v.H. ein Behindertenpass auszustellen.

Gegen den angefochtenen Bescheid erhob der Beschwerdeführer, vertreten durch eine Rechtsanwältin, fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde, in welcher er ausführte, das bei ihm diagnostizierte posttraumatische organische Psychosyndrom sei unberücksichtigt geblieben, und er beantrage die Einholung eines Gutachtens aus dem Bereich der Psychiatrie/Neurologie und der klinischen Psychologie. Diesbezügliche medizinische Beweismittel wurden nicht vorgelegt.

Die Beschwerde samt dem Verwaltungsakt wurde dem Bundesverwaltungsgericht von der belangten Behörde am 14.12.2020 vorgelegt.

Mit Schreiben vom 18.12.2020 wurde dem anwaltlich vertretenen Beschwerdeführer seitens des ho. Gerichtes mitgeteilt, dass im vorliegenden Verwaltungsakt kein medizinisches Beweismittel einliegend ist, dem die Diagnose „Posttraumatisches, organisches Psychosyndrom“ zu entnehmen ist, und wurde er aufgefordert, entsprechende fachärztliche Beweismittel vorzulegen.

Mit Schriftsatz vom 23.12.2020 wurde ein nervenfachärztliches Sachverständigengutachten vom 30.09.2019 vorgelegt, aus dem sich ein organisches Psychosyndrom ergäbe.

Zur Beurteilung des fachärztlichen Beweismittels wurde seitens des Bundesverwaltungsgerichtes ein medizinisches Sachverständigengutachten eines Facharztes für Neurologie vom 23.02.2021 - basierend auf der persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers - eingeholt, in welchem Nachfolgendes ausgeführt wurde:

„Anamnese: Kommt ohne Begleitung. ES besteht ein Zustand nach einem Schädelhirntrauma 7/2018 (VU). Es bestehen Restzustände mit Vergesslichkeit, es traten seit dem Unfall mehrere epileptische Anfälle auf, zuletzt 4/20 (kein Anfallskalender), er stehe in FA Behandlung, mache sonst keine Gesprächstherapie

Nervenärztliche Betreuung: Dr. XXXX alle 1-2 Monate

Subjektive derzeitige Beschwerden: Schmerzen im Bereich der Wirbelsäule, Vergesslichkeit, verminderte Stressresistenz

Sozialanamnese: lebt mit LG, AMS, kein Pflegegeld, keine Erwachsenenvertretung

Medikamente (neurologisch/ psychiatrisch): Levebon 2500mg /d, Trittico 150mg ret. Escitalopram 15mg

Neurostatus:

Die Hirnnerven sind unauffällig, die Optomotorik ist intakt, an den oberen Extremitäten bestehen keine Paresen.

Die Muskeleigenreflexe sind seitengleich mittellebhaft auslösbar, die Koordination ist intakt, an den unteren Extremitäten bestehen keine Paresen,

Fersen/ Zehenspitzen/ Einbeinstand bds. möglich die Muskeleigenreflexe sind seitengleich mittellebhaft auslösbar.

Die Koordination ist intakt, die Pyramidenzeichen sind an den oberen und unteren Extremitäten negativ. Die Sensibilität wird allseits als intakt angegeben

Das Gangbild ist ohne Hilfsmittel unauff.

Psychiatrischer Status:

Örtlich, zeitlich, zur Person und situativ ausreichend orientiert,

Antriebsstörung, Auffassung regelrecht, subjektiv kognitive Einschränkungen, kann relativ gut biographische Angaben machen,

Affekt ausgeglichen, Stimmungslage dysthym, in beiden Skalenbereichen affizierbar, Ein und Durchschlafstörung, keine produktive Symptomatik, keine Suizidalität.

Diagnosen:

1. Epilepsie 04.10.01 40%

Oberer Rahmensatz, da seltene generalisierte Anfälle ohne Anfallskalender

2. Organisches Psychosyndrom 03.01.01 20%      

1 Stufe Über unterem Rahmensatz, da gering ausgeprägt mit Begleitdepressio mit Therapieoptionen.

3. geheilter, operierter Bruch der Brustwirbelkörper 6-8 02.01.01 10%

Unterer Rahmensatz, da Belastungsschmerzen ohne Achsfehlstellung und Buckelbildung

Gesamt GdB: 40%

Das führende Leiden wird durch Leiden Nr.2+3 nicht angehoben, da der Gesamtleidenszustand durch Leiden 2+3 nicht wesentlich negativ beeinflusst wird.

Es wird eine Beschwerde vorgebracht, dass das organische Psychosyndrom nicht ausreichend eingeschätzt wurde, es wird ein FA Befund (Gutachten FA Dr.! Simon 30.9.19) vorgelegt, der ein organisches Psychosyndrom beschreibt (sehr geringen Grades mit MdE 10%).

Es wird nunmehr diese Position gesondert eingestuft.

Keine Änderung des Gesamt GdB im Vergleich zum Vorgutachten, da eine Verschlechterung der Funktionsausfälle klinisch und befundmäßig nicht objektiviert werden kann.“

Mit Schreiben vom 06.04.2021 wurden dem anwaltlich vertretenen Beschwerdeführer, nachweislich zugestellt am 06.04.2021, und der belangten Behörde gemäß § 45 Abs. 3 AVG das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens nachweislich zur Kenntnis gebracht und die Möglichkeit eingeräumt binnen zwei Wochen ab Zustellung eine Stellungnahme abzugeben.

Es wurden keine Stellungnahmen eingebracht.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Beschwerdeführer stellte am 30.06.2020 einen Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses.

Der Beschwerdeführer hat seinen Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt im Inland.

Beim Beschwerdeführer liegen folgende Funktionseinschränkungen vor:

1        Epilepsie                       04.10.01 40

2        Organisches Psychosyndrom                           03.01.01 20

3        geheilter, operierter Bruch der Brustwirbelkörper 6-8 02.01.01 10

Das Leiden 2 wurde nunmehr gesondert eingestuft.

Das führende Leiden 1 wird durch die Leiden 2 und 3 nicht angehoben, da keine maßgebliche wechselseitige ungünstige Leidensbeeinflussung vorliegt, und der Gesamtleidenszustand durch die Leiden 2 und 3 nicht wesentlich negativ beeinflusst wird.

Der Gesamtgrad der Behinderung beträgt 40 v.H.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen zum Datum der Einbringung des Antrages auf Ausstellung eines Behindertenpasses und zum Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt ergeben sich aus dem Akteninhalt.

Die Feststellungen zu den behinderungsrelevanten Funktionseinschränkungen und zum Grad der Behinderung ergeben sich aus den eingeholten Sachverständigengutachten zweier Fachärzte für Neurologie vom 26.08.2020 und vom 23.02.2021 - basierend auf persönlichen Untersuchungen des Beschwerdeführers - sowie auf dem Aktengutachten eines Facharztes für Orthopädie vom 30.09.2020.

In den fachärztlichen Gutachten wurde – unter Zugrundelegung der vorgelegten Befunde – ausführlich auf die Art der Leiden des Beschwerdeführers und deren Ausmaß eingegangen.

In den neurologischen Sachverständigengutachten vom 26.08.2020 und vom 23.02.2021 wurden das Leiden 1 Epilepsie entsprechend der Einschätzungsverordnung (EVO) unter der Positionsnummer (Pos.Nr.) 04.10.01 mit einem Grad der Behinderung (GdB) im Ausmaß von 40 v.H. und dem oberen Rahmensatz, da seltene generalisierte Anfälle ohne Anfallskalender, und das Leiden 2 Organisches Psychosyndrom entsprechend der EVO unter der Pos.Nr. 03.01.01 mit einem GdB im Ausmaß von 20 v.H. und einer Stufe über dem unteren Rahmensatz, da gering ausgeprägt mit Begleitdepressio mit Therapieoptionen, eingeschätzt.

In dem orthopädischen Aktengutachten vom 30.09.2020 wurde Leiden 3 entsprechend der EVO unter der Pos.Nr. 02.01.01 mit einem GdB im Ausmaß von 10 v.H. und dem unteren Rahmensatz, da Belastungsschmerzen ohne Achsfehlstellung und Buckelbildung eingeschätzt. In dem orthopädischen Gutachten wurde weiters ausgeführt, dass ein geheilter Bruch der rechten Speiche ohne Funktionseinschränkung keinen GdB erreicht, und ebenso verhält es sich mit dem geheilten Bruch des oberen und unteren Schambeinastes. Im Untersuchungsbefund ergab sich nur eine geringe Einschränkung beim Vor- und Rückneigen. Im Bereich des rechten Handgelenkes war keine Bewegungseinschränkung und Achsabweichung feststellbar, ebenso keine Bewegungseinschränkung der Hüftgelenke, das Becken war stabil.

Zusammenfassend wurde gutachterlich ausgeführt, dass das führende Leiden 1 durch die Leiden 2 und 3 nicht angehoben wird, da keine maßgebliche wechselseitige ungünstige Leidensbeeinflussung vorliegt, und der Gesamtleidenszustand durch die Leiden 2 und 3 nicht wesentlich negativ beeinflusst wird. Im fachärztlichen Gutachten vom 23.02.2021 wurde weiters ausgeführt, dass sich im Vergleich zum Vorgutachten keine Änderung im Gesamtgrad der Behinderung ergibt, da eine Verschlechterung von Funktionsausfällen klinisch und befundmäßig nicht objektiviert werden konnte.

Entsprechend dem Einwand des Beschwerdeführers in der Beschwerde, das organische Psychosyndrom sei nicht berücksichtigt worden, wurde dieses nunmehr als Leiden 2 gesondert eingestuft. Der Beschwerdeführer ist dem neurologischen Sachverständigengutachten vom 23.02.2021 nicht entgegengetreten, er hat im Rahmen des ihm zu diesem Ermittlungsergebnis eingeräumten Parteiengehörs keine Stellungnahme abgegeben.

Seitens des Bundesverwaltungsgerichtes bestehen keine Zweifel an der Richtigkeit, Vollständigkeit und Schlüssigkeit der gegenständlichen fachärztlichen Sachverständigengutachten vom 26.08.2020, vom 30.09.2020 und vom 23.02.2021, und wurden diese daher in freier Beweiswürdigung der Entscheidung zu Grunde gelegt.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gemäß § 45 Abs. 3 BBG hat in Verfahren auf Antragstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch Senat zu erfolgen. Gegenständlich liegt somit Senatszuständigkeit vor.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Zu Spruchpunkt A) Abweisung der Beschwerde

Gemäß § 40 Abs. 1 Bundesbehindertengesetz (BBG) ist behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpass auszustellen, wenn

1.       ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist oder

2.       sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften wegen Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit oder dauernder Erwerbsunfähigkeit Geldleistungen beziehen oder

3.       sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften ein Pflegegeld, eine Pflegezulage, eine Blindenzulage oder eine gleichartige Leistung erhalten oder

4.       für sie erhöhte Familienbeihilfe bezogen wird oder sie selbst erhöhte Familienbeihilfe beziehen oder

5.       sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. 2r. 22/1970, angehören.

Gemäß § 40 Abs. 2 BBG ist Menschen, die nicht dem im Abs. 1 angeführten Personenkreis angehören, ein Behindertenpass auszustellen, wenn und insoweit das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen auf Grund von Vereinbarungen des Bundes mit dem jeweiligen Land oder auf Grund anderer Rechtsvorschriften hierzu ermächtigt ist.

Gemäß § 41 Abs. 1 BBG gilt als Nachweis für das Vorliegen der im § 40 genannten Voraussetzungen der letzte rechtskräftige Bescheid eines Rehabilitationsträgers /§ 3), ein rechtskräftiges Urteil eines Gerichtes nach dem Arbeits- und Sozialgerichtsgesetzes, BGBl. Nr. 104/1985, ein rechtskräftiges Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes oder die Mitteilung über die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs. 5 des Familienlastenausgleichgesetzes 1967, BGBl. Nr. 376. Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen hat den Grad der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) unter Mitwirkung von ärztlichen sachverständigen einzuschätzen, wenn

1.       nach bundesgesetzlichen Vorschriften Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden und die hierfür maßgebenden Vorschriften keine Einschätzung vorgesehen oder

2.       zwei oder mehr Einschätzungen nach bundesgesetzlichen Vorschriften vorliegen und keine Gesamteinschätzung vorgenommen wurde oder

3.       ein Fall des § 40 Abs. 2 vorliegt.

Gemäß § 42 Abs. 1 BBG hat der Behindertenpass den Vornamen sowie den Familien- oder Nachnamen, das Geburtsdatum, eine allfällige Versicherungsnummer und den festgestellten Grad der Behinderung oder Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.

Gemäß § 42 Abs. 2 BBG ist der Behindertenpass unbefristet auszustellen, wenn keine Änderung in den Voraussetzungen zu erwarten ist.

Gemäß § 45 Abs. 1 BBG sind Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung unter Anschluss der erforderlichen Nachweise beim Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.

Gemäß § 45 Abs. 2 BBG ist ein Bescheid nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 leg. cit. nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.

Gemäß § 35 Abs. 1 EStG steht dem Steuerpflichtigen, der außergewöhnliche Belastungen durch eine eigene körperliche oder geistige Behinderung hat und weder der Steuerpflichtige nach sein (Ehe-)Partner noch sein Kind eine pflegebedingte Geldleistung (Pflegegeld, Pflegezulage, Blindengeld oder Blindenzulage) erhält, ein Freibetrag gemäß Abs. 3 leg. cit. zu.

Gemäß § 35 Abs. 2 EStG bestimmt sich die Höhe des Freibetrages nach dem Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit (Grad der Behinderung). Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (Grad der Behinderung) richtet sich in Fällen,

1. in denen Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden, nach der hierfür maßgebenden Einschätzung,

2. in denen keine eigenen gesetzlichen Vorschriften für die Einschätzung bestehen, nach § 7 und § 9 Abs. 1 des Kriegsopferversorgungsgesetzes 1957 bzw. nach der Einschätzungsverordnung, BGBl. II Nr. 162/2010, die die von ihr umfassten Bereiche.

Die Tatsache der Behinderung und das Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit (Grad der Behinderung) sind durch eine amtliche Bescheinigung der für diese Feststellung zuständige Stelle nachzuweisen.

Zuständige Stelle ist:

- der Landeshauptmann bei Empfängern einer Opferrente (§ 11 Abs. 2 des Opferfürsorgegesetzes, BGBl. Nr. 183/1947)-

- Die Sozialversicherungsträger bei Berufskrankheiten oder Berufsunfällen von Arbeitnehmern.

- In allen übrigen Fällen sowie beim Zusammentreffen von Behinderungen verschiedener Arten das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen; diese hat den Grad der Behinderung durch Ausstellung eines Behindertenpasses nach §§ 40 ff des Bundesbehindertengesetzes, im negativen Fall durch einen in Vollziehung diese Bestimmungen ergangen Bescheid zu erstellen.

Die maßgebenden Bestimmungen der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend nähere Bestimmungen über die Feststellung des Grades der Behinderung, BGBl. II 261/2010 idF BGBl II 251/2012 (Einschätzungsverordnung), lauten auszugsweise:

….

Grad der Behinderung

§ 2. (1) Die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen sind als Grad der Behinderung zu beurteilen. Der Grad der Behinderung wird nach Art und Schwere der Funktionsbeeinträchtigung in festen Sätzen oder Rahmensätzen in der Anlage dieser Verordnung festgelegt. Die Anlage bildet einen Bestandteil dieser Verordnung.

(2) Bei Auswirkungen von Funktionsbeeinträchtigungen, die nicht in der Anlage angeführt sind, ist der Grad der Behinderung in Analogie zu vergleichbaren Funktionsbeeinträchtigungen festzulegen.

(3) Der Grad der Behinderung ist nach durch zehn teilbaren Hundertsätzen festzustellen. Ein um fünf geringerer Grad der Behinderung wird von ihnen mit umfasst. Das Ergebnis der Einschätzung innerhalb eines Rahmensatzes ist zu begründen.

Gesamtgrad der Behinderung

§ 3. (1) Eine Einschätzung des Gesamtgrades der Behinderung ist dann vorzunehmen, wenn mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen. Bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung sind die einzelnen Werte der Funktionsbeeinträchtigungen nicht zu addieren. Maßgebend sind die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander.

(2) Bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung ist zunächst von jener Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, für die der höchste Wert festgestellt wurde. In der Folge ist zu prüfen, ob und inwieweit dieser durch die weiteren Funktionsbeeinträchtigungen erhöht wird. Gesundheitsschädigungen mit einem Ausmaß von weniger als 20 v.H. sind außer Betracht zu lassen, sofern eine solche Gesundheitsschädigung im Zusammenwirken mit einer anderen Gesundheitsschädigung keine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung verursacht.

Bei Überschneidungen von Funktionsbeeinträchtigungen ist grundsätzlich vom höheren Grad der Behinderung auszugehen.

(3) Eine wechselseitige Beeinflussung der Funktionsbeeinträchtigungen, die geeignet ist, eine Erhöhung des Grades der Behinderung zu bewirken, liegt vor, wenn

sich eine Funktionsbeeinträchtigung auf eine andere besonders nachteilig auswirkt,

zwei oder mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen, die gemeinsam zu einer wesentlichen Funktionsbeeinträchtigung führen.

(4) Eine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung ist dann gegeben, wenn das Gesamtbild der Behinderung eine andere Beurteilung gerechtfertigt erscheinen lässt, als die einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen alleine.

Wie bereits in der Beweiswürdigung ausgeführt, wurde das führende Leiden 1 durch die Leiden 2 und 3 nicht angehoben, da keine maßgebliche wechselseitige ungünstige Leidensbeeinflussung vorliegt, und der Gesamtleidenszustand durch die Leiden 2 und 3 nicht wesentlich negativ beeinflusst wird.

Grundlage der Einschätzung

§ 4. (1) Die Grundlage für die Einschätzung des Grades der Behinderung bildet die Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen im körperlichen, geistigen, psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung in Form eines ärztlichen Sachverständigengutachtens. Erforderlichenfalls sind Experten aus anderen Fachbereichen - beispielsweise Psychologen - zur ganzheitlichen Beurteilung heran zu ziehen.

(2) Das Gutachten hat neben den persönlichen Daten die Anamnese, den Untersuchungsbefund, die Diagnosen, die Einschätzung des Grades der Behinderung, eine Begründung für die Einschätzung des Grades der Behinderung innerhalb eines Rahmensatzes sowie die Erstellung des Gesamtgrades der Behinderung und dessen Begründung zu enthalten.

Betreffend die beim Beschwerdeführer vorliegenden Leiden ist der Anlage zur Einschätzungsverordnung Nachfolgendes zu entnehmen:

„02 Muskel - Skelett - und Bindegewebssystem - Haltungs- und Bewegungsapparat

Allgemeine einschätzungsrelevante Kriterien: Beweglichkeit und Belastbarkeit - den allgemeinen Kriterien der Gelenksfunktionen, der Funktionen der Muskel, Sehen, Bänder und Gelenkskapsel sind gegenüber den alleinigen Messungen des Bewegungsradius eine stärkere Gewichtung zu geben. Entzündungsaktivität (Schmerzen, Schwellung). Bei radiologischen Befunden ist die Korrelation mit der klinischen Symptomatik für die Einschätzung relevant. Ausmaß der beteiligten Gelenke, Körperregionen und organische Folgebeteiligung.

02.01 Wirbelsäule

02.01.01   Funktionseinschränkungen geringen Grades   10 – 20%

Akute Episoden selten (2-3 Mal im Jahr) und kurzdauernd (Tage) Mäßige radiologische Veränderungen Im Intervall nur geringe Einschränkungen im Alltag und Arbeitsleben Keine Dauertherapie erforderlich

03 Psychische Störungen

03.01 Kognitive Leistungseinschränkung

Die Beurteilung der kognitiven Leistungsbreite erfolgt unabhängig der Ursachen (angeborene, posttraumatische, genetische, entzündliche oder toxisch bedingte Leistungsminderung) abhängig vom Ausmaß der Einschränkungen. Auf kognitive Funktionsbehinderungen zurückgeführte Sprach – und Artikulationsstörungen bis hin zur Aphasie sind zu berücksichtigen. 03.01.01   Teilleistungsschwächen geringen Grades    10 – 20 % Ohne wesentliche Beeinträchtigungen im Alltags- und Arbeitsleben bzw. der schulischen Leistungen Lese-, Rechtschreib- und Rechenstörung leichten Ausmaßes

04 Nervensystem

04.10 Epilepsie

04.10.01   Leichte Formen mit sehr seltenen Anfällen    20 – 40 %

20 %: Nach 3 Jahren Anfallsfreiheit unter antikonvulsiver Therapie

30-40 %: Sehr seltene generalisierte große und komplex-fokale Anfälle mit einem Intervall von mehr als einem Jahr Kleine und einfache fokale Anfälle mehrmals jährlich mit einem Intervall von Monaten“

In den gegenständlichen ärztlichen Sachverständigengutachten, die vom Bundesverwaltungsgericht als schlüssig, nachvollziehbar und widerspruchsfrei gewertet wurden, wurde ein Grad der Behinderung von 40 v.H. festgestellt und waren die Voraussetzungen zur Ausstellung eines Behindertenpasses damit nicht erfüllt.

Es ist allerdings darauf hinzuweisen, dass bei einer späteren Verschlechterung des Leidenszustandes die neuerliche Beurteilung des Grades der Behinderung in Betracht kommt.

In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass gemäß § 41 Abs. 2 BBG, falls der nochmalige Antrag innerhalb eines Jahres seit der letzten rechtskräftigen Entscheidung gestellt wird, eine offenkundige Änderung des Leidenszustandes glaubhaft geltend zu machen ist, ansonsten der Antrag ohne Durchführung eines Ermittlungsverfahrens zurückzuweisen ist (vgl. VwGH vom 16.09.2008, Zl. 2008/11/0083).

Aus den dargelegten Gründen war spruchgemäß zu entscheiden und die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

Gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn

1. der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarere verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder

2. die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist.

Gemäß § 24 Abs. 3 VwGVG hat der Beschwerdeführer die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Den sonstigen Parteien ist Gelegenheit zu geben, binnen angemessener, zwei Wochen nicht übersteigender Frist einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden.

Gemäß § 24 Abs.4 VwGVG kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrages von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen.

Im gegenständlichen Fall wurde der Grad der Behinderung des Beschwerdeführers unter Mitwirkung von fachärztlichen Sachverständigen und nach Durchführung von persönlichen Untersuchungen nach den Bestimmungen der Anlage zur Einschätzungsverordnung eingeschätzt. Dem Beschwerdeführer wurde vom Bundesverwaltungsgericht zum Ermittlungsergebnis (Neurologisches Sachverständigengutachten vom 23.02.2021) im Rahmen des Parteiengehörs die Möglichkeit zur Stellungnahme gegeben, wovon der Beschwerdeführer nicht Gebrauch machte. Für das Bundesverwaltungsgericht ergaben sich keine weiteren Fragen an den Beschwerdeführer oder an die befassten Sachverständigen. Die fachärztlichen Sachverständigengutachten sind schlüssig und der Sachverhalt ist als geklärt anzusehen, sodass im Sinne der Judikatur des EGMR und der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 16.12.2013, Zl. 2011/11/0180) eine mündliche Verhandlung nicht geboten war. Art. 6 EMRK bzw. Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union stehen somit dem Absehen von einer mündlichen Verhandlung gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG entgegen. Dies lässt die Einschätzung zu, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten ließ und eine Entscheidung ohne vorherige Verhandlung im Beschwerdefall nicht nur mit Art. 6 EMRK und Art. 47 GRC kompatibel ist, sondern auch im Sinne des Gesetzes (§ 24 Abs. 1 VwGVG) liegt, weil damit dem Grundsatz der Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis (§ 39 Abs. 2a AVG) gedient ist, gleichzeitig aber das Interesse der materiellen Wahrheit und der Wahrung des Parteiengehörs nicht verkürzt wird (vgl. dazu die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes vom 09.06.2017, Zl. E 1162/2017-5).

Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde vom Beschwerdeführer in der Beschwerde auch nicht beantragt.

Zu Spruchpunkt B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden, noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.

Schlagworte

Behindertenpass Grad der Behinderung Sachverständigengutachten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W166.2237712.1.00

Im RIS seit

25.10.2021

Zuletzt aktualisiert am

25.10.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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