TE Vwgh Erkenntnis 1996/12/19 96/06/0053

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Veröffentlicht am 19.12.1996
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Index

L37156 Anliegerbeitrag Aufschließungsbeitrag Interessentenbeitrag
Steiermark;
L82000 Bauordnung;
L82006 Bauordnung Steiermark;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §8;
BauO Stmk 1968 §61 Abs2;
BauRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Degischer und die Hofräte Dr. Giendl, Dr. Bernegger, Dr. Waldstätten und Dr. Köhler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. König, über die Beschwerde der

E GmbH in S, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in G, gegen den Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung vom 15. Jänner 1996, Zl. 03-12.10 S 49-96/1, betreffend Zuerkennung der Parteistellung im Bauverfahren (mitbeteiligte Parteien:

1. R in S; 2. Gemeinde S, vertreten durch den Bürgermeister), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Land Steiermark Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin suchte im Mai 1995 um die Erteilung der Baubewilligung zur Errichtung eines Mehrfamilienwohnhauses mit 14 Wohneinheiten, einer Tiefgarage mit 21 Abstellplätzen und 6 Besucherparkplätzen auf dem Baugrundstück Nr. 355/11, EZ 377, KG S, an. Der Erstmitbeteiligte, dessen Grundstück durch eine 8 m breite Verkehrsfläche getrennt ca. 17 m nordwestlich zum nordwestlichen Eckpunkt der zu bebauenden Liegenschaft und gerade nicht mehr gegenüber dem Baugrundstück liegt, beantragte in der mündlichen Verhandlung vom 8. Juni 1996 die Zuerkennung der Parteistellung und erhob Einwendungen. Es seien entsprechende Schallschutzmaßnahmen vorzunehmen, die die zukünftigen Wohnungseigentümer vor dem Verkehrslärm, welcher durch die Zu- und Abfahrt sowie die Parkmanipulationen auf seinem Grundstück (Betrieb eines Bootshandels und eines Cafe"s) entstünden, schützen würden.

Das lärmtechnische Gutachten vom 19. Juni 1995, das letztlich zu dem Ergebnis kam, es bestünden keine Bedenken gegen die Errichtung der neuen Tiefgarage mit

21 PKW-Abstellplätzen und 6 freien PKW-Abstellplätzen, führt als einen Meßpunkt (IP 4) einen Punkt an der Grundgrenze des Beschwerdeführers an.

Mit Bescheid des Bürgermeisters der zweitmitbeteiligten Partei vom 18. August 1995 wurde unter Spruchpunkt I. die beantragte Baubewilligung unter Vorschreibung von Auflagen erteilt. Unter Spruchpunkt IV. wurde der Antrag des Erstmitbeteiligten auf Zuerkennung der Parteistellung als Nachbar abgewiesen und es wurden die in der Bauverhandlung vom 8. Juni 1995 erhobenen Einwendungen als unzulässig zurückgewiesen. Diese Entscheidung war im wesentlichen damit begründet, daß die vorliegende Errichtung von 14 Wohnungen samt entsprechenden Tiefgaragenplätzen und oberirdischen Abstellplätzen im allgemeinen Wohngebiet, das in einem Umkreis von mehr als 125 m nach Westen, Süden und Norden ausschließlich von allgemeinem Wohngebiet umgeben sei und lediglich in einer Entfernung von ca. 75 m im Nordosten von Industrie- und Gewerbegebiet I und im Osten in gleicher Entfernung von Kern-, Büro- und Geschäftsgebiet begrenzt werde, gleichsam die Möglichkeit von Rückwirkungen auszuschließen sei, wie auch von einem im Wohngebiet ortsüblichen Ausmaß an Immissionen auszugehen sei. Das führe zu dem Schluß, daß für eine seitlich (westlich) versetzte Liegenschaft, welche durch eine 8 m breite öffentliche Straße vom Baugrundstück getrennt werde und zum Baugrundstück (nicht zum Bauobjekt) eine kürzeste Entfernung von 17 m aufweise (während die Entfernung von der Grundgrenze zum eigentlichen Objekt ca. 48 m und die Entfernung von der Grundgrenze zur Zu- und Abfahrt der Tiefgarage rund 70 m betrage), nicht einmal mit der Möglichkeit von Rückwirkungen gerechnet werden könne. Die vom Erstmitbeteiligten geltend gemachte mögliche Beeinflussung durch die gegenständliche Liegenschaft auf sein Grundstück könne bei einer Nutzung des Grundstückes Nr. 354/20, KG S, im Sinne der Bestimmungen des § 23 Abs. 5 lit. b Stmk. Raumordnungsgesetz 1974 keinesfalls eintreten. Beide Grundstücke seien im rechtswirksamen Flächenwidmungsplan 2.0 der zweitmitbeteiligten Partei als allgemeines Wohngebiet gemäß § 23 Abs. 5 lit. b

Stmk. Raumordnungsgesetz 1974 ausgewiesen. Eine flächenwidmungsplanwidrige Nutzungsform wäre daher nicht bewilligungsfähig und müßte nach bau- und raumordnungsrechtlichen Bestimmungen behoben werden.

Die dagegen erhobene Berufung des Erstmitbeteiligten wurde mit Bescheid des Gemeinderates der zweitmitbeteiligten Partei vom 13. September 1995 als unbegründet abgewiesen.

Der dagegen erhobenen Vorstellung des Erstmitbeteiligten wurde mit dem angefochtenen Bescheid Folge gegeben, der Berufungsbescheid wegen Verletzung von Rechten des Erstmitbeteiligten behoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an den Gemeinderat der zweitmitbeteiligten Partei verwiesen. Nach Anführung der maßgebliche Rechtslage wurde die Entscheidung im wesentlichen damit begründet, daß sich das verfahrensgegenständliche Baugrundstück im allgemeinen Wohngebiet gemäß § 23 Abs. 5 lit. b Stmk. Raumordnungsgesetz 1974 befinde. Es sei grundsätzlich kein Widerspruch ersichtlich, daß in einem allgemeinen Wohngebiet Mehrfamilienwohnhäuser mit den dazugehörigen Parkplätzen errichtet würden. Dennoch könne nicht von vornherein davon ausgegangen werden, daß dem Nachbarn, dessen Grundstück nicht direkt an das zu bebauende Grundstück angrenze, keine Parteistellung zustehe. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes seien Nachbarn Eigentümer jener Liegenschaften, die zu der zur Bebauung vorgesehenen Liegenschaft in einem solchen räumlichen Verhältnis stehen, daß durch den Bestand oder die konsensgemäße Benützung des geplanten Bauwerkes mit Einwirkungen auf diese Liegenschaft zu rechnen sei, zu deren Abwehr die Bauordnung eine Handhabe biete. Schon die Möglichkeit einer Rechtsverletzung begründe somit die Parteistellung gemäß § 61 Abs. 2 Stmk. Bauordnung und nicht erst das tatsächliche Eintreten nachteiliger Auswirkungen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 18. Dezember 1986, Zlen. 86/06/0185, 0195, BauSlg. Nr. 835). Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ändere der Umstand, daß die Liegenschaft des Bauwerbers von der des Nachbarn durch eine 15 m breite Straße getrennt sei, nichts an der Parteistellung des Anrainers. Aus der angeführten Judikatur gehe eindeutig hervor, daß die Möglichkeit einer Rechtsverletzung schon dann eine Parteistellung begründe, wenn mit Einwirkungen auf die Liegenschaft zu rechnen sei, zu deren Abwehr die Bauordnung eine Handhabe biete. § 61 Abs. 2 lit. b Stmk. Bauordnung 1968 bestimme, daß die Übereinstimmung des Bauvorhabens mit dem Flächenwidmungsplan, Bebauungsplan und den Bebauungsrichtlinien, soweit damit ein Immissionsschutz verbunden sei (§ 3 Abs. 2), als ein derartiges subjektiv-öffentliches Recht anzusehen sei und von den Nachbarn geltend gemacht werden könne. Ebenso normiere § 61 Abs. 2 lit. k Stmk. Bauordnung 1968, daß die Nichtüberschreitung der ortsüblichen Belastungen durch Immissionen ein derartiges subjektiv-öffentliches Nachbarrecht darstelle. Auch hier werde auf die Ortsüblichkeit abgestellt und habe somit ein Nachbar ortsübliche Belastungen hinzunehmen. Er habe nur bezüglich einer Überschreitung der ortsüblichen Belastungen einen verfolgbaren Anspruch. Demzufolge biete die Stmk. Bauordnung eine Handhabe zur Abwehr dieser Immissionen, weshalb auch die Nachbareigenschaft des Erstmitbeteiligten zu bejahen sei. Ob der Nachbar tatsächlich beeinträchtigt werde, sei im weiteren Verfahren, in welchem dem Erstmitbeteiligten Parteistellung zukomme, zu klären. Zum Einwand des Erstmitbeteiligten, daß auf der öffentlichen Straße mit einem zunehmenden Verkehrsaufkommen zu rechnen sei und dadurch seine Liegenschaft beeinträchtigt werde, werde darauf hingewiesen, daß die mit der Verwirklichung eines Bauvorhabens verbundene Zunahme des Verkehrs auf öffentlichen Straßen von Nachbarn nicht ins Treffen geführt werden könne.

In der dagegen erhobenen Beschwerde wird die Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend gemacht. Die Beschwerdeführerin erachtet sich durch den angefochtenen Bescheid beschwert, weil er dazu führe, daß die bereits eingetretene Rechtskraft der erteilten Baubewilligung beseitigt würde und dadurch, daß dem Erstmitbeteiligten entgegen herrschender Rechtsprechung die Eigenschaft als Nachbar zuerkannt worden sei.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt, eine Gegenschrift erstattet und die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt. Die Beschwerdeführerin replizierte auf die Äußerung der belangten Behörde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 119 Abs. 2 Stmk. Baugesetz, LGBl. Nr. 59/1995, sind die im Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes (1. September 1995) anhängigen Verfahren nach den bisher geltenden Bestimmungen zu Ende zu führen. Das vorliegende Bauverfahren, in dem die Zuerkennung der Parteistellung beantragt und Einwendungen erhoben worden waren, war im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Stmk. Baugesetzes anhängig. Zur Klärung der Frage der Parteistellung des Erstmitbeteiligten war somit die Steiermärkische Bauordnung 1968, LGBl. Nr. 149 in der vor ihrer Aufhebung durch das Stmk. Baugesetz geltenden Fassung LGBl. Nr. 54/1992, heranzuziehen. Gemäß § 61 Abs. 2 Stmk. Bauordnung 1968 in der Fassung der Novelle

LGBl. Nr. 14/1989 kann der Nachbar gegen die Erteilung der Baubewilligung Einwendungen erheben, wenn diese sich auf Bauvorschriften beziehen, die nicht nur dem öffentlichen Interesse, sondern auch dem Interesse der Nachbarn dienen. Im folgenden führt der Gesetzgeber jene Bestimmungen an, die dafür in Betracht kommen (u.a. Bestimmungen über die Nichtüberschreitung der ortsüblichen Belastungen durch Immissionen in § 61 Abs. 2 lit. k leg. cit.).

Die Stmk. Bauordnung 1968 definiert den Begriff des Nachbarn nicht. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. das hg. Erkenntnis vom 14. Februar 1978, Slg. Nr. 9485/A) sind Nachbarn Eigentümer jener Liegenschaften, die zu der zur Bebauung vorgesehenen Liegenschaft in einem solchen räumlichen Verhältnis stehen, daß durch den Bestand oder die konsensgemäße Benützung des geplanten Bauwerkes mit Einwirkungen auf diese Liegenschaft zu rechnen ist, zu deren Abwehr die Bauordnung eine Handhabe bietet. Schon die Möglichkeit einer Rechtsverletzung begründet die Parteistellung gemäß § 61 Abs. 2 Stmk. Bauordnung 1968 und nicht erst das tatsächliche Eintreten nachteiliger Auswirkungen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 7. November 1996, Zl. 96/06/0220, und die dort zitierte Vorjudikatur).

Die belangte Behörde hat sich - entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin - mit der Frage, ob der Erstmitbeteiligte Nachbar im vorliegenden Bauverfahren sei, auseinandergesetzt. So hat sie der Argumentation der Berufungsbehörde, das verfahrensgegenständliche Mehrfamilienhaus entspreche der Widmung allgemeines Wohngebiet, zu Recht entgegengehalten, daß deshalb noch nicht von vornherein davon ausgegangen werden könne, der Erstmitbeteiligte, der kein direkter Nachbar des Baugrundstückes sei, habe keine Parteistellung. Die belangte Behörde verwies weiters im Einklang mit der hg. Judikatur darauf, daß für die Frage der Parteistellung als Nachbar im Bauverfahren maßgeblich ist, ob durch den Bestand oder die konsensgemäße Benützung des geplanten Bauwerkes mit Einwirkungen auf die benachbarte Liegenschaft zu rechnen ist. Es kommt also - wie die belangte Behörde zutreffend erkannt hat - allein auf die Möglichkeit einer Rechtsverletzung in Nachbarrechten gemäß § 61 Abs. 2 Stmk. Bauordnung 1968 an und nicht auf das tatsächliche Eintreten einer solchen Rechtsverletzung. Im Hinblick auf das in § 61 Abs. 2 lit. k Stmk. Bauordnung 1968 verankerte Nachbarrecht der Nichtüberschreitung der ortsüblichen Belastungen durch Immissionen hat die belangte Behörde der erstmitbeteiligten Partei die Parteistellung zuerkannt. Auch für die belangte Behörde war dabei offensichtlich die tatsächliche Entfernung des Bauplatzes zum Grundstück des Nachbarn maßgeblich (die kürzeste Entfernung zwischen den beiden Grundstücksgrenzen beträgt im vorliegenden Fall 17 m), wenn sie auf das hg. Erkenntnis vom 3. Mai 1979, Zl. 1511/78, verwies, nach dem eine 15 m breite Straße zwischen der Liegenschaft des Bauwerbers und der des Nachbarn nichts an der Parteistellung des Nachbarn ändern könne. Die belangte Behörde hat nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes zu Recht angenommen, daß die Möglichkeit von Einwirkungen im Sinne des § 61 Abs. 2 lit. k Stmk. Bauordnung 1968 durch das von der Beschwerdeführerin geplante Bauvorhaben auf das Grundstück des Erstmitbeteiligten besteht. Dies wird auch dadurch unterstützt, daß in dem Gutachten betreffend die Lärmimmissionen durch die Errichtung der neuen Tiefgarage mit 21 PKW-Abstellplätzen und 6 freien PKW-Abstellplätzen ein Meßpunkt (IP 4) an der Grundgrenze des Grundstückes des Erstmitbeteiligten angenommen wurde. Daß der Gutachter nicht nur in bezug auf den Meßpunkt (IP 4) sondern auch in bezug auf die Meßpunkte IP 1 und IP 3 (an den Grundgrenzen von dem Baugrundstück gegenüber einer Verkehrsfläche liegenden Grundstücken) zu einer für die Nachbarn unbedenklichen Lärmsituation gekommen ist, also feststellte, daß tatsächlich keine das gesetzliche Ausmaß überschreitenden Lärmimmissionen eintreten, ist für die Frage der Parteistellung nicht von Bedeutung. Das von der Beschwerdeführerin ins Treffen geführte hg. Erkenntis vom 15. September 1983, Zl. 83/06/0093, ist mit dem vorliegenden Beschwerdefall nicht vergleichbar, betrug doch in jenem Fall schon die kürzeste Entfernung zwischen dem Grundstück des Bauwerbers und dem des Nachbarn 30 m (im vorliegenden Fall 17 m) und lag überdies ein Grundstück zwischen den beiden Liegenschaften, das zudem bebaut war. Das Stmk. Baugesetz 1994 war im vorliegenden Fall - wie dargelegt - noch nicht anzuwenden. Zu den Ausführungen der Beschwerdeführerin betreffend Regelungen des Stmk. Baugesetzes wird allerdings angemerkt, daß das Grundstück des Erstmitbeteiligten im Sinne des § 22 Abs. 2 Z. 4 Stmk. Baugesetz 1994 in das danach vorzulegende Verzeichnis von Grundstücken aufzunehmen wäre, da die Entfernung zwischen den Bauplatzgrenzen der beiden Grundstücke weniger als 30 m beträgt.

Die belangte Behörde hat daher den bekämpften Berufungsbescheid zu Recht aufgehoben, weil der erstmitbeteiligten Partei im gemeindebehördlichen Verfahren keine Parteistellung zuerkannt worden war.

Die Beschwerde war sohin gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1996:1996060053.X00

Im RIS seit

03.05.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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