Entscheidungsdatum
09.06.2021Norm
AsylG 2005 §2 Abs1 Z22Spruch
W174 2187360-1/26E
W174 2187363-1/25E
W174 2187366-1/19E
W174 2187356-1/19E
W174 2187343-1/19E
W174 2195606-1/18E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Viktoria Mugli-Maschek, als Einzelrichterin über die Beschwerden 1.) der XXXX , geboren am XXXX , 2.) des XXXX , geboren am XXXX , 3.) der XXXX , geboren am XXXX , gesetzlich vertreten durch XXXX , 4.) des XXXX , geboren am XXXX , gesetzlich vertreten durch XXXX , 5.) der XXXX , geboren am XXXX , gesetzlich vertreten durch XXXX und 6.) der XXXX geboren am XXXX , gesetzlich vertreten durch XXXX , alle StA. Afghanistan, alle vertreten durch die BBU GmbH, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 19.01.2018, jeweils betreffend 1.) Zl. 1094709601-151636810, 2.) Zl. 1094709503-151636801, 3.) Zl. 1094710003-151636828, 4.) Zl. 1094709710-151636836 5.) Zl. 1094709906-151636844 und 6.) vom 17.05.2018, Zl. 1185995201-180304829 nach einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:
A)
Den Beschwerden wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 der Status des/der Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 Asylgesetz 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Die Beschwerdeführer sind afghanische Staatsangehörige. Die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer sind Ehegatten und die Eltern der minderjährigen Dritt- bis Sechstbeschwerdeführer. Die Erstbeschwerdeführerin, der Zweitbeschwerdeführer, die Drittbeschwerdeführerin, der Viertbeschwerdeführer und die Fünftbeschwerdeführerin reisten nach Österreich ein und stellten am 15.10.2015 Anträge auf internationalen Schutz.
2. Im Rahmen ihrer Erstbefragung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 13.11.2015 gab die Erstbeschwerdeführerin im Wesentlichen an, aus der Provinz Wardak zu stammen, Analphabetin, schiitischen Glaubens, Hazara und mit dem Zweitbeschwerdeführer traditionell und standesamtlich verheiratet zu sein.
Zu ihrem Fluchtgrund brachte sie vor, sie habe in Afghanistan nicht die Schule besuchen dürfen und ihre Eltern seien gegen ihre Hochzeit gewesen. Man hätte sie zwingen wollen, ihren Cousin zu heiraten, was sie abgelehnt habe und weswegen sie mit dem Zweitbeschwerdeführer in den Iran geflüchtet sei, wo sie acht Jahre gemeinsam gelebt hätten. Als afghanische Staatsbürger seien sie dort illegal gewesen und die Kinder hätten die Schule nicht besuchen dürfen. Zudem hätten sie die iranischen Behörden damit bedroht, dass sie nach Afghanistan zurückmüssten. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan würde sie von ihren Brüdern und ihren Cousin umgebracht.
Der Zweitbeschwerdeführer erklärte im Wesentlichen, er stamme aus Wardak, sei schiitischer Moslem und Hazara, habe drei Jahre in Kabul die Schule besucht und zuletzt Teppiche repariert. Als afghanische Staatsbürger hätten sie sich illegal im Iran aufgehalten und die Kinder nicht die Schule besuchen dürfen. Da seine Schwiegereltern mit der Ehe nicht einverstanden gewesen seien, wäre bei einer Rückkehr nach Afghanistan sein Leben bedroht, er und seine Frau könnten von den Schwiegereltern getötet werden.
3. Anlässlich ihrer niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: Bundesamt oder belangte Behörde) am 9.8.2017 brachte die Erstbeschwerdeführerin im Wesentlichen vor, ca. im dritten Monat schwanger, afghanische Staatsbürgerin, im Distrikt Behsud in der Provinz Wardak geboren, Hazara und schiitischen Glaubens zu sein. Bis zu ihrem 13. Lebensjahr habe sie mit ihren Eltern in ihrem Heimatdistrikt gelebt und anschließend in Kabul. Afghanistan habe sie vor ca. zehn Jahren verlassen und kurz nach ihrer Ankunft im Iran in Teheran den Zweitbeschwerdeführer geheiratet. Wegen der Probleme mit ihrer Familie stehe sie nicht in Kontakt zu ihren Angehörigen in der Heimat.
Schule habe die Erstbeschwerdeführerin keine besucht und sei auch nicht berufstätig gewesen, ihr Mann habe die Familie versorgt. Im Iran habe sie acht Jahre lang gemeinsam mit ihrem Mann gelebt und sei Hausfrau und Mutter gewesen. Die Einkäufe habe sie selbst erledigt und sei verstanden worden, wenn sie Dari gesprochen habe.
Ausgereist sei die Erstbeschwerdeführerin, weil sie ihrem um 20 Jahre älteren Cousin, dem Sohn ihres Onkels väterlicherseits, versprochen gewesen sei, obwohl sie ihn nicht geliebt und er schon eine andere Frau gehabt habe. Sie selbst sei dagegen gewesen, ihr Vater und ihre Brüder hätten jedoch nicht auf sie gehört. Ihre Familie sei sehr strenggläubig und auch sehr streng zur Beschwerdeführerin gewesen. Der Cousin habe seine Frau geschlagen und sie habe nicht mit einem gewalttätigen Mann verheiratet sein wollen. Auch sei ihr Traum gewesen, die Schule zu besuchen, was ihr ihre Familie aber mit der Begründung verboten habe, eine Frau wäre nur dazu da, einen Haushalt zu führen. Beim Verlassen des Hauses habe die Beschwerdeführerin einen Ganzkörperschleier tragen und nicht nach links oder rechts schauen dürfen. Zudem habe ihr Bruder sie begleitet. Ihre Brüder hätten sie misshandelt und geschlagen. Im Falle einer Rückkehr habe sie Angst vor ihrer Familie.
Die Beschwerdeführerin wünsche sich, dass ihre Kinder die Schule besuchen können und nicht durchmachen müssen, was sie erlebt habe. Sie wolle nicht, dass ihre Tochter so wie sie selbst ungebildet bleibe.
In Österreich befänden sich ihr Mann und ihre Kinder. Die Erstbeschwerdeführerin habe freiwillig in der Unterkunft geholfen und besuche einen Alphabetisierungskurs. Einmal wöchentlich habe sie in der Unterkunft einen Integrationskurs, sie treffe sich mit ein paar österreichischen Frauen mit denen sie gemeinsam Fußball spiele. Zudem mache sie einen Schneiderkurs.
Sie sei hier sehr glücklich und frei. Früher habe sie eine Abscheu davor gehabt, eine Frau zu sein, das habe sie nun abgelegt und sei froh darüber.
Die Erstbeschwerdeführerin legte Ultraschallfotos, Kursbesuchsbestätigungen für sich, Schulbesuchsbestätigungen für die Kinder sowie eine im Iran von einem afghanischen Mullah ausgestellte Heiratsurkunde vor.
Nach vorheriger Manuduktion stellte die Erstbeschwerdeführerin im Rahmen ihrer Einvernahme für ihre Kinder (Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer) Anträge im Familienverfahren gemäß § 34 Asylgesetz und erklärte, dass sich diese Anträge auf ihr („mein“) Asylverfahren beziehen sollen.
Der Zweitbeschwerdeführer erklärte im Wesentlichen, der Volksgruppe der Hazara anzugehören und schiitischer Moslem zu sein. Geboren sei er in Wardak, wo er bis zu seinem fünften oder sechsten Lebensjahr gewohnt habe, anschließend sei er bis zu seinem zehnten Lebensjahr in Kabul gewesen, wo er drei Jahre die Schule besucht habe. Bei Ausbruch der Kämpfe sei er schließlich mit seiner Familie in den Iran gezogen, und zwar nach Teheran. 16 Jahre später wäre er nach Afghanistan abgeschoben worden und dann eineinhalb Monate in Kabul geblieben, bevor er nach Teheran zurückgekehrt und dort bis zu seiner Flucht nach Europa acht Jahre lang geblieben sei. Geheiratet habe er die Erstbeschwerdeführerin im Juli 2007 in Teheran.
Im Iran habe der Beschwerdeführer als Schuhmacher gearbeitet und Teppiche repariert.
Zu seinem Fluchtgrund brachte der Beschwerdeführer vor, nach seiner Abschiebung nach Afghanistan habe er eineinhalb Monate im Haus seiner Schwester in Kabul verbracht, die mit der Nachbarin, der nunmehrigen Erstbeschwerdeführerin, befreundet gewesen sei. Neben dem Haus habe es einen Gemeinschaftsbackofen gegeben und seine jetzige Frau habe bei seiner Schwester darauf gewartet, an die Reihe zu kommen. Seine Schwester habe dem Beschwerdeführer mitgeteilt, dass jene bereits seit einigen Monaten ihrem Cousin versprochen und darüber unglücklich gewesen wäre. Der Beschwerdeführer habe sich getraut, sie anzusprechen und nach dem Kennenlernen hätte sie ihm mitgeteilt, dass es nicht möglich wäre, zu heiraten. Bis jetzt habe sie bei ihrem Vater gelebt, der sie eingesperrt und ihr den Schulbesuch verwehrt habe. Der Zweitbeschwerdeführer habe ihr dann vorgeschlagen, „abzuhauen“ und sie habe ihm ca. zehn Tage später geantwortet, sie würde mit ihm das Land verlassen.
Bei einer Rückkehr in die Heimat würden ihn diese Leute nicht lebendig davonkommen lassen und auch seine Frau und die Kinder töten.
Vorgelegt wurden mehrere Unterlagen zu Deutschkursen sowie zwei Empfehlungsschreiben. Sie hätten Bekannte über den Deutschkurs, eine Frau, die seine Gattin unterrichtet habe, sei ab und zu zu ihnen gekommen. Er und seine Frau stünden früh auf, um die Kinder für die Schule fertig zu machen. Als seine Frau beim Deutschkurs gewesen sei, habe er auf die Kleinen aufgepasst.
4. Am 22.8.2017 erstatteten die Beschwerdeführer eine Stellungnahme zu den damals aktuellen Länderfeststellungen.
Am 12.12.2017 wurde den Beschwerdeführern ein schriftliches Parteiengehör zugestellt, dessen Beantwortung am 20.12.2017 beim Bundesamt einlangte.
5. Mit den gegenständlichen im Spruch genannten Bescheiden des Bundesamtes wurden die Anträge der Erstbeschwerdeführerin, des Zweitbeschwerdeführers, der Drittbeschwerde-führerin, des Viertbeschwerdeführers und der Fünftbeschwerdeführerin auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 – hinsichtlich der Zweit- bis Fünftbeschwerdeführer iVm § 34 Abs. 3 AsylG - wurde ihnen der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und die befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG bis 19.1.2019 erteilt (Spruchpunkt III.).
6. Gegen Spruchpunkt I. wurde rechtzeitig mit gemeinsamem Schriftsatz Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht erhoben.
7. Am 29.3.2018 wurde für die nachgeborene Sechstbeschwerdeführerin unter Vorlage der Geburtsurkunde durch die Erstbeschwerdeführerin als gesetzliche Vertretung ein Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 34 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 eingebracht.
Anlässlich der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt am 15.5.2018 gab die Erstbeschwerdeführerin im Wesentlichen an, dass ihre Tochter gesund, afghanische Staatsbürgerin, Hazara und schiitische Muslima sei.
Nach vorheriger Manuduktion erklärte die Erstbeschwerdeführerin, dass sie für ihr Kind einen Antrag auf ein Familienverfahren gem. § 34 AsylG stelle. Dieser Antrag solle sich auf ihr eigenes Verfahren (1094709601) beziehen, ihre Tochter habe keine eigenen Fluchtgründe.
8. Mit dem im Spruch sechstgenannten Bescheid des Bundesamtes wurde der Antrag der Sechstbescherdeführerin auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 3 AsylG wurde ihr der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und die befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG bis 19.1.2019 erteilt (Spruchpunkt III.).
9. Gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheides wurde rechtzeitig Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht erhoben.
10. Am 16.12.2019 langten beim Bundesverwaltungsgericht diverse Kursbesuchsbestätigungen sowie Bestätigungen über ehrenamtliche Tätigkeiten der Erstbeschwerdeführerin ein.
11. Am 17.12.2019 führte das Bundesverwaltungsgericht unter Beiziehung eines Dolmetsches für die Sprache Dari eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der das Bundesamt als Verfahrenspartei entschuldigt mich teilnahm.
Die Erstbeschwerdeführerin erklärte im Wesentlichen zunächst wie bisher, schiitische Hazara zu sein. In Österreich habe sie einen Alphabetisierungskurs absolviert und besuche zurzeit einen A1 Kurs. Zudem habe sie ehrenamtlich in einer Kirche gearbeitet. Ihren moslemischen Glauben übe sie nicht aus und bete auch sehr selten.
Zwei ihrer Kinder besuchten die Schule und eines den Kindergarten. Entweder sie oder ihr Gatte besuchten die Elternabende, sie selbst verstehe vieles, aber traue sich nicht zu sprechen. Da sie viel Zeit mit ihrem Baby verbracht habe, verstehe sie weniger als ihr Mann. Sie habe mehrere Deutschkurse besucht, da sie in Farsi keine Schule absolviert habe, tue sie sich beim Lernen schwer, könne sich aber z.B. mit dem Arzt unterhalten und verständigen. Überdies habe sie ein eigenes Bankkonto, wozu sie auch ihre Bankomatkarte vorlegte.
Im Leben wolle sie Fortschritte machen, sich sehr bemühen, die Sprache zu lernen und unbedingt einen Beruf ausüben. Die Erstbeschwerdeführerin habe sich diesbezüglich bereits beim Roten Kreuz erkundigt, wo man ihr mitgeteilt habe, sie solle sich noch einmal melden, wenn sie den A2-Deutschkurs absolviert habe. Sie wolle auf ihren eigenen Beinen stehen, in einem Altersheim arbeiten und sich auch um ihre Kinder kümmern, damit diese die Schule fertigmachen. Vor allem ihre Töchter sollten unbedingt einen Beruf erlernen, sie wisse, wie schwierig es als Analphabet sei. Nach dem Wunsch der Erstbeschwerdeführerin solle ihre große Tochter Ärztin werden, diese selbst wolle aber lieber Künstlerin sein und das solle sie machen.
Täglich bereiteten die Erstbeschwerdeführerin und ihr Gatte die Kinder für die Schule vor, nach dem Frühstück gingen die Kinder in die Schule und sie bringe ihre Tochter in den Kindergarten, bevor sie den Deutschkurs besuche. Da ihr Gatte zurzeit keine Beschäftigung habe, mache er inzwischen die Hausarbeit. Gegen Mittag kehre die Beschwerdeführerin zum gemeinsamen Essen nach Hause zurück, am Nachmittag erledigten sie mit den Kindern gemeinsam die Hausaufgaben und lernten Deutsch. Sie habe auch österreichische Freunde, von denen sie drei heute begleitet hätten. Diese unterstützten sie und die Kinder auch beim Lernen. Zudem habe die Erstbeschwerdeführerin viele Freunde im Sprachcafé, das sie zweimal wöchentlich besuche, während der Zweitbeschwerdeführer auf die Kinder aufpasse.
Nach Ihrem Wunsch sollten ihre Kinder studieren und sie selbst die deutsche Sprache richtig können und eine Arbeit haben, unabhängig sein und in Ruhe leben. In Afghanistan habe sie keine Fortschritte im Leben machen können, deshalb bemühe sie sich hier sehr um weitere Integration. Auch wolle sie sich darum kümmern, dass ihre Töchter einen Beruf erlangten. Wenn ihre kleinen Kinder den Kindergarten und später die Schule besuchten, werde sie Zeit dafür haben. Ihr Gatte unterstütze sie immer, motiviere sie, die Sprache zu lernen und einen Kurs zu besuchen.
In ihrem Heimatort hätten Frauen Kopftücher oder Burka getragen, auch die Hazara. Sie selbst habe dort keine Schule besucht.
Den Zweitbeschwerdeführer habe sie durch dessen Schwester kennen gelernt, neben deren Haus es eine Bäckerei für Frauen gegeben habe. Die Schwester habe daneben gelebt und die Beschwerdeführerin sei immer wieder zu ihr gegangen und habe ihr erzählt, dass sie mit ihrem Cousin zwangsverheiratet werden solle. Bei diesen Besuchen habe sie ihren nunmehrigen Gatten getroffen und ihm erzählt, dass sie mit einem älteren und bereits verheirateten Cousin väterlicherseits verlobt sei, woraufhin er Mitleid mit ihr gehabt habe.
Die Flucht mit dem Zweitbeschwerdeführer sei die einzige Möglichkeit gewesen. Ihr Cousin hätte immer seine Frau geschlagen und sie selbst habe nicht die Zweite sein wollen. Da ihr Vater und ihre Brüder unbedingt die Heirat mit ihrem Cousin gewollt hätten, habe sie beschlossen, mit ihrem jetzigen Mann davonzulaufen.
Bei einer Rückkehr habe sie große Angst vor ihrer Familie. Sie hasse ihr Land, habe dort keine Freiheiten gehabt und nur bis zur Bäckerei gehen dürfen.
Vorgelegt wurde ein Empfehlungsschreiben für die Erstbeschwerdeführerin.
In weiterer Folge wurde der Zweitbeschwerdeführer einvernommen und gab im Wesentlichen an, die Erstbeschwerdeführerin im Haus seiner Schwester in Kabul kennengelernt zu haben. Von letzterer habe er erfahren, dass jene mit ihrem Cousin väterlicherseits verlobt sei. Er und seine nunmehrige Gattin hätten viel miteinander gesprochen und er habe ihr vorgeschlagen, gemeinsam in den Iran zugehen, wo sie niemand finden könne. Bei einer Rückkehr fürchte er die Rache der Angehörigen der Erstbeschwerdeführerin an sich und seiner Familie.
Wenn die Erstbeschwerdeführerin Arbeit finde und er nicht, würde er bei den Kindern zu Hause bleiben. Zurzeit besuche sie einen Deutschkurs und er kümmere sich um das Baby, damit sie in Ruhe lernen könne.
12. Nach Zuteilung des Verfahrens an die Gerichtabteilung der erkennenden Richterin führte das Bundesverwaltungsgericht am 7.12.2020 unter Beiziehung einer Dolmetscherin für die Sprache Dari erneut eine öffentliche mündliche Verhandlung durch.
Die Erstbeschwerdeführerin brachte hierbei zunächst vor, verheiratet und Mutter von vier Kindern zu sein. Sie gehöre der Volksgruppe der Hazara an, ihre Muttersprache sei Dari, sie spreche auch ein bisschen Deutsch. Mit den Kindern unterhalte sie sich in beiden Sprachen. Sie selbst sei Schiitin, die Kinder ohne Bekenntnis. Geboren sei die Beschwerdeführerin im Distrikt Behsud in der Provinz Maidan Wardak und habe bis zu ihrem 13. Lebensjahr dort gelebt. Anschließend habe sie bis zu ihrer Flucht aus Afghanistan vor 13 Jahren gemeinsam mit ihren Eltern und den beiden Brüdern im Eigentumshaus ihres Vaters in Kabul gewohnt. Schuldbildung habe sie keine, ihre Familie habe es ihr nicht erlaubt, obwohl sie sehr gerne in die Schule gegangen wäre. Ihre Brüder hätten eine Schulbildung erhalten, zu der Beschwerdeführerin habe man jedoch gesagt, dass sie als Frau zu Hause sein und sich um den Haushalt kümmern müsse. Die finanzielle Situation ihrer Familie in Afghanistan sei überdurchschnittlich gewesen. In der Heimat habe sie beim Verlassen des Hauses eine Burka tragen müssen und ihr Bruder habe sie überall hingefahren. Nur die Bäckerei für Frauen hätte sie alleine aufsuchen dürfen.
Den Zweitbeschwerdeführer habe sie durch seine Schwester kennen gelernt, mit der sie sich bei der Bäckerei angefreundet habe. Getroffen habe sie den Zweitbeschwerdeführer erstmals vor ca. 13 Jahren vor dieser Bäckerei. Er habe sie dort gesehen, sie habe ihm gefallen und er seine Schwester nach Ihrem Familienstand gefragt. Jene habe ihm erklärt, dass die Erstbeschwerdeführerin mit ihrem viel älteren und bereits verheirateten Cousin verlobt aber damit nicht einverstanden gewesen wäre. Die beiden Beschwerdeführer hätten sich dann in der Gasse vor der Bäckerei getroffen. Vor dem ersten Treffen habe die Schwester ihres Mannes sie dorthin geschickt, verabredet hätten sie sich in der Folge beim Beschwerdeführer zu Hause und auf der Gasse.
Die Erstbeschwerdeführerin habe sich vielleicht 20 bis 30 Tage nach dem ersten Treffen zur gemeinsamen Ausreise entschlossen. Grund dafür sei gewesen, dass ihre Familie sie gegen ihren Willen mit ihrem Cousin habe verheiraten wollen. Dieser habe bereits eine Ehefrau gehabt und sei schon etwas alt gewesen. Die Beschwerdeführerin habe gehört, dass er seine Ehefrau immer wieder geschlagen habe. Sie habe keinen aggressiven Mann heiraten und auch keine Ersatzfrau sein wollen. Ihre Familie habe nicht akzeptiert, dass sie lieber ihren jetzigen Gatten heiraten habe wollen, weshalb die beiden die Flucht ergriffen hätten. Als sie sich geweigert habe, den Cousin zu heiraten, sei sie geschlagen worden. Dabei habe ihr ihr Bruder einmal den Arm gebrochen und beim zweiten Mal ihre Nase blutig geschlagen.
Kurze Zeit nach der Ankunft im Iran hätten die Beschwerdeführer geheiratet. Wegen fehlender Aufenthaltsdokumente für den Iran sei ihr Leben dort sehr schwierig gewesen und die Kinder hätten nicht zur Schule gehen können. Aus diesem Grund hätten sie auch den Iran verlassen.
Die Entscheidung zur gemeinsamen Ausreise von dort habe die Erstbeschwerdeführerin getroffen, ihr Mann hätte große Angst vor der Fluchtroute gehabt. Sie habe ihn überzeugt, indem sie ihm erklärt habe, dass ihre Kinder dort ohne Schulbildung aufwachsen und keine Aussicht auf eine Zukunft haben würden. Organisiert habe die Reise dann ihr Gatte.
Kontakt zu ihrer Familie habe die Erstbeschwerdeführerin seit ihrer Ausreise nie gehabt und sie stehe auch nicht in Verbindung zu sonstigen Personen in Afghanistan.
Zu ihren Gatten befragt erklärte sie, er sei ein guter Mensch, weil er sie vor ihrer Familie gerettet habe. Er motiviere sie dahingehend, etwas zu lernen und in Zukunft einen Beruf auszuüben, was für sie sehr wertvoll sei. Sie könne schon ganz gut lesen, aber das Sprechen falle ihr schwer. Ihr Mann sei immer sehr ruhig und sehr freundlich und sie kämen gut miteinander aus. Beschimpft oder geschlagen habe er sie niemals. Sie sei seit 13 Jahren mit ihm verheiratet und kenne ihn gut genug, um behaupten zu können, er würde sie niemals schlagen. Sollte er einmal hypothetisch durchdrehen, würde sie sofort die Polizei rufen. Sie selbst trage normale Kleidung, passend zur Jahreszeit. Zuhause ziehe sie etwas Bequemeres an, eine lockere Hose mit einem lockeren Oberteil. Heute trage sie eine warme Hose und einen Pullover, damit ihr nicht kalt sei. Über ihre Kleidung entscheide sie selbst.
In Afghanistan und auch im Iran sei es Zwang gewesen, dass Frauen sich komplett bedeckten. In der Heimat habe sie unter der Burka ein langes Kleid und darunter noch eine Hose anziehen müssen, im Iran über ihre Bekleidung einen langen Mantel. Jetzt gebe es keinen gesellschaftlichen Zwang und sie könne sich ihren Bekleidungsstil frei aussuchen. Es sei für sie nicht in Ordnung gewesen, wie sie sich in Afghanistan und im Iran habe kleiden müssen. Am meisten habe sie gestört, dass es ihr aufgezwungen worden sei.
Seitens der erkennenden Richterin wurde vermerkt, dass die Erstbeschwerdeführerin eine Jeans trägt, dazu einen Wollpullover und Stiefletten. Sie habe lackierte Fingernägel, sei ein wenig geschminkt und trage ihre halblangen Haare offen.
Befragt zu ihrem Leben hier in Österreich gab die Erstbeschwerdeführerin an, in den letzten Wochen sei die gesamte Familie um 6:00 Uhr aufgestanden und habe gefrühstückt. Die Kinder hätten zu Hause gelernt und ihre Aufgaben erledigt. Eine der Töchter (die Fünftbeschwerdeführerin) habe die Erstbeschwerdeführerin zweimal wöchentlich in die Schule und wieder nach Hause gebracht. Nach den Aufgaben schaue die Familie nachmittags einen Film, wegen der Ausgehbeschränkungen sei die Erstbeschwerdeführerin nicht viel draußen gewesen.
Nachdem sie ihre Tochter in die Schule gebracht habe, besuche die Erstbeschwerdeführerin einen Deutschkurs, wenn es einen gebe, bevor sie die Tochter wieder abhole und mit ihr nach Hause zurückkehre. Nach dem Essen erledigten alle Kinder ihre Hausaufgaben und danach gehe die ganze Familie in den Park.
Sie selbst gehe regelmäßig alleine einkaufen, ihre Deutschkenntnisse reichten dafür aus. Die Erstbeschwerdeführerin gehe auch alleine zum Arzt und bringe ihre Kinder dorthin, ihr Mann sei bis 18:00 Uhr in der Arbeit. Deutsch spreche sie zwar nicht fehlerfrei, aber sie könne dem Arzt erklären, worum es gehe. Dieses Jahr habe sie die Absicht gehabt, mit ihrer großen Tochter schwimmen zu gehen, was aber coronabedingt nicht möglich gewesen sei. Manchmal machten sie gemeinsam zu Hause ein bisschen Sport. Als sie noch im Heim gewohnt habe, habe die Erstbeschwerdeführerin Fußball gespielt, die Fotos seien auf irgendeiner Website veröffentlicht worden. Getragen habe sie dabei eine Sporthose mit einem T-Shirt. Wenn sie mit ihrer Tochter schwimmen gehe, trage sie Schwimmsachen, gemeint einen Badeanzug.
Außer mit den heute anwesenden Vertrauenspersonen, bei denen es sich um österreichische Freunde handle, sei sie auch noch mit einer weiteren Frau befreundet, die sie zur letzten Verhandlung begleitet habe. Wegen ihres positiv getesteten Ehemannes befinde sich diese jedoch derzeit in Heimquarantäne. Beide Freunde kämen zur Familie, die namentlich genannte Freundin treffe sie bei Veranstaltungen in der Kirche. Zudem habe sie noch andere Freunde und Bekannte und sei auch mit anderen Afghanen und Irakern befreundet, Familien oder Einzelpersonen.
Wenn sie selbst nicht zu Hause sei, kümmere ihr Mann sich um die Kinder, sofern er nicht arbeite. Die Familie erhalte Geld vom Sozialamt und überdies arbeite der Zweitbeschwerdeführer als Security.
Sie selbst sei einmal wöchentlich freiwillig in der Kirche tätig und könne sich vorstellen, zu arbeiten. Solange die Kinder noch jung seien, versuche sie Deutsch zu lernen. Wenn sie Deutsch beherrsche, seien die Kinder groß genug, um genauso wie ihr Mann arbeiten zu gehen. Das Geld der Familie verwalte die Erstbeschwerdeführerin, die auch ein eigenes Bankkonto habe. Vor allem sei sie der Meinung, dass eine Frau jede Entscheidung selbst treffen, selbstbestimmt leben und dazu beitragen sollte, eine Zukunft aufzubauen.
Der größte Unterschied zu Afghanistan wäre, dass sie hier frei sei und frei über ihr Leben bestimmen könne. Ihre Kinder, vor allem die Töchter, könnten hier in die Schule gehen.
Für die Zukunft plane die Erstbeschwerdeführerin, in der Altenpflege zu arbeiten. Sie sei bereits dem Roten Kreuz gewesen, wo man ihr mitgeteilt habe, dass sie die Deutschkurse A1 und A2 positiv abschließen und dann wiederkommen solle. Zurzeit erhalte sie einmal wöchentlich Unterricht von ihrer Freundin und gehe einmal wöchentlich zur Freiwilligenarbeit. Die Kinder seien alle mit den Schulen und dem Lernen beschäftigt, es gehe ihnen gut und sie seien glücklich. Das jüngste Kind habe sie bereits im Kindergarten angemeldet. Die ältere Tochter gehe alleine in die Schule, die beiden jüngeren Kinder begleitete die Erstbeschwerdeführerin. Sie selbst sei auch schon am Sprechtag für die Eltern gewesen und zwar ohne ihren Gatten.
Ihre Kinder könnten hier alles machen, im Unterschied zu Afghanistan, es gebe keine Unterschiede zwischen ihren Töchtern und ihren Sohn. Sie lasse ihren Kindern ihren Freiraum, um gewisse Entscheidungen selbst zu treffen. Sie wolle ihnen auch ihren Glauben nicht aufzwingen und sie sollten sich im Alter von 14 oder 15 Jahren selbst aussuchen können, ob sie sich einer Religion zugehörig fühlen wollen oder nicht. In zehn Jahren würden die beiden älteren studieren und sie selbst sich mit beiden Füssen im Berufsleben befinden.
Im Falle einer Rückkehr befürchte sie, dass sie getötet und ihren Kindern geschadet werde.
Der Zweitbeschwerdeführer gab zunächst an, der Volksgruppe der Hazara anzugehören, seine Muttersprache sei Dari und er habe Deutsch auf B1 Niveau gelernt. Mit den Kindern spreche er beide Sprachen gemischt. Er selbst sei schiitischer Moslem, die Kinder hätten das Alter noch nicht erreicht, um sich ihren Glauben selbst aussuchen zu können.
Die Erstbeschwerdeführerin habe ca. zehn Tage gebraucht, um über seinen Vorschlag, gemeinsam wegzugehen, nachzudenken.
Bedauerlicherweise habe sie in Afghanistan keine Schule besucht, obwohl sie das gerne getan hätte. Sie wolle keine Analphabetin sein und interessiere sich auch in Österreich sehr für das Lernen.
Die Entscheidung, den Iran zu verlassen, habe seine Frau getroffen, weil ihre Kinder wegen des illegalen Aufenthaltes nicht zur Schule hätten gehen können. Es sei für sie eine bittere Erfahrung, Analphabetin zu sein, weshalb sie das ihren Kindern ersparen wolle. Seine Gattin sei eine sehr liebe, fleißige, freundliche Person, die bemüht sei, Deutsch zu lernen und immer freiwillig zur Nachhilfe gehe. Er habe den Eindruck, dass sie eine mutige und selbstbewusste Frau sei, sie wirke manchmal schüchtern, weil sie sich nicht gut ausdrücken könne. Jedoch habe sie „unser“ Leben fest im Griff.
Zu Hause trage sie meistens eine gemütliche Hose und ein T-Shirt, außer Haus normale Hosen, meistens Jeans und einen Pullover. Sie entscheide selbst über ihre Bekleidung, manchmal frage sie ihn nur, ob zum Beispiel ein Oberteil zu einer Hose passe. Ihr Kleidungsstil habe sich nach der Ausreise aus Afghanistan und später dem Iran sehr verändert. Er selbst sei absolut einverstanden damit, es sei doch wichtig, dass man sich an die Gegebenheiten einer Gesellschaft anpasse.
Meist erledige seine Frau die Einkäufe, weil er in der Arbeit sei, wenn er Zeit habe, helfe er ihr gerne beim Tragen. Auch bringe sie ihre Tochter in die Schule, sei zum Deutschkurs gegangen und habe Freunde. Meistens gehe sie alleine zum Beispiel zum Arzt und bringe auch alleine die Kinder dorthin. Sie verstehe besser Deutsch als der Zweitbeschwerdeführer, könne sich aber nicht immer ausdrücken, sie gebe sich sehr viel Mühe und könne ihren Alltag meistern.
In der Flüchtlingsunterkunft habe sie gemeinsam mit anderen Frauen im Kellergeschoss an einem Tanzkurs teilgenommen und manchmal Fußball und andere Ballspiele gespielt. Seit sie in der Wohnung lebten, mache sie wegen des Virus zu Hause Bewegung. Sobald alles wieder öffne, werde sie sich bemühen, zunächst die Sprache zu erlernen. Er wisse, dass die Erstbeschwerdeführerin im Sommer oft mit ihren Freundinnen am Fluss gewesen sei.
Sie hätten viele österreichische Freunde, vor der Pandemie hätten sie sich wöchentlich getroffen.
Wenn seine Gattin nicht zu Hause sei, kümmere der Zweitbeschwerdeführer sich um die Kinder. Letztes Jahr, als sie vormittags einen Deutschkurs besucht habe, habe er sich um die Jüngste gekümmert. Derzeit arbeite er und verdiene monatlich etwa 1200 Euro, seine Gattin erhalte Sozialhilfe.
Wenn er selbst in Österreich keine Arbeit habe, würde seine Gattin versuchen, eine zu finden. Es sei seine Aufgabe, dann auf die Kinder zu schauen.
Um die Finanzen kümmere sich die Erstbeschwerdeführerin, sie gebe ihm 100 Euro für seine monatlichen Ausgaben. So könnten sie etwas Geld für die Zukunft der Kinder sparen. Auch habe die Erstbeschwerdeführerin ein eigenes Bankkonto.
Der größte Unterschied zu Afghanistan sei, dass seine Frau, die Kinder, aber auch er selbst in Freiheit leben. Sie sei nicht gezwungen, aus Angst irgendwelche gesellschaftlichen Vorschriften einzuhalten. Die Gattin könne sich kleiden wie sie wolle und jederzeit außer Haus geben, auch alleine. Für sie sei die Zukunft der Kinder und ihre eigene Zukunft das wichtigste und sie habe das Anliegen, dass sie und die Kinder etwas lernen und in Zukunft jeder arbeite und Geld verdiene. Für ihn selbst sei bezüglich der Kinder Schulbildung das wichtigste, nur dann könnten sie etwa studieren oder einen Beruf erlernen.
Seine Gattin würde gerne in einem Altenheim oder in einem Krankenhaus mit alten Menschen arbeiten. Sein Standort als Security Personal sei derzeit in einem Spital, er versuche dort Kontakte zu knüpfen, um ihr eine Ausbildung zu ermöglichen.
Der Zweitbeschwerdeführer habe die Sprachkurse bis B1 besucht und danach nur mehr gearbeitet. Ein Kurs für Jobqualifikation sei coronabedingt unterbrochen worden. Außer den Sprachkursen habe er noch den Integrationskurs und unter anderem eine Schulung für den Staplerschein besucht.
Manchmal hole er die Tochter von der Schule ab und nehme auch an Elternabenden teil, meistens mache das jedoch seine Frau. Die Kinder hätten hier uneingeschränkten Zugang zur Bildung, die Töchter genauso wie der Sohn.
Für seine Kinder wünsche er sich, dass sie gute Noten schreiben, damit sie in zehn Jahren studieren oder einen Beruf Ihrer Wahl erlernen können. Für seine Gattin wünsche er sich, dass sie in der Lage sei, gut Deutsch zu lernen und er sei bemüht, einen Ausbildungsplatz in der Altenpflege für sie zu finden.
Bei einer Rückkehr befürchte er, dass die Familie seiner Gattin ihm und seiner Familie etwas antun könnte, weil er unerlaubt und ohne Einverständnis ihrer Eltern mit seiner Gattin die Ehe geschlossen habe.
In weiterer Folge wurden die Drittbeschwerdeführerin und der Viertbeschwerdeführer befragt und gaben an, sich zu Hause manchmal Deutsch und manchmal „Afghanisch“ zu unterhalten. Die Drittbeschwerdeführerin besuche die Neue Mittelschule und gehe alleine dorthin, der Viertbeschwerdeführer eine Volkschule und gehe mit seiner kleinen Schwester und manchmal mit der Mutter.
Wegen der Pandemie gebe es dieses Jahr keine Elternabende, aber letztes Jahr schon. Manchmal gingen die Mutter und manchmal der Vater dorthin. Die Drittbeschwerdeführerin habe viele Freundinnen.
Vorgelegt wurden ÖIF Kurs Teilnahmebestätigungen A1 sowie eine Bestätigung über ehrenamtliche Mitarbeit der Erstbeschwerdeführerin.
Seitens der erkennenden Richterin wurde auf das vorliegende Informationsmaterial zur aktuellen Situation im Herkunftsstadt verwiesen. Die rechtliche Vertreterin verzichtete auf die Einbringung einer Stellungnahme und verwies auf die bisherigen.
13. Am 25.1.2021 langte beim Bundesverwaltungsgericht eine Stellungnahme zu dem im Vorfeld übermittelten damals aktuellen Länderinformationsblatt der Staatendokumentation ein, in der im Wesentlichen auf die westliche Orientierung der Familie hingewiesen wurde.
14. Mit Schriftsatz vom 19.4.2021 wurde den Beschwerdeführern das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Stand 1.4.2021, unter Einräumung einer Stellungnahmefrist von einer Woche ab Zustellung übermittelt.
In der am 23.4.2021 eingelangten Stellungnahme wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass sich die Beschwerdeführer seit über fünf Jahren durchgehend im österreichischen Bundesgebiet befänden und diese Zeit äußerst erfolgreich genutzt hätten, um sich in vielerlei Hinsicht über das übliche Maß hinausgehend in die österreichische Gesellschaft zu integrieren. Sie verfolgten kontinuierlich den Erwerb der deutschen Sprache und verfügten mittlerweile über sehr gute Deutschkenntnisse. Dabei sei zu berücksichtigen, dass sie aufgrund der herrschenden COVID 19 Situation derzeit nicht so viel unternehmen könnten, wie vor der Pandemie.
Der Zweitbeschwerdeführer befinde sich nach wie vor in einem aufrechten Dienstverhältnis und habe in der Zwischenzeit den Führer- und Staplerschein erworben. Auch die Erstbeschwerdeführerin sei nach wie vor sehr um gute Integration bemüht und nehme trotz der Pandemie regelmäßig an Deutschkursen teil (derzeit online) und das neben der Erziehung von vier Kindern. Darüber hinaus engagiere sie sich ehrenamtlich in verschiedenen Bereichen. Auch die Kinder besuchten die Schule und hätten bereits viele Freunde in Österreich, der Sohn sei zwischenzeitlich in einem Gymnasium aufgenommen worden.
Im Anhang wurden die Schulnachrichten der Kinder samt Zusage für die Aufnahme in die erste Klasse eines Gymnasiums bezüglich des Viertbeschwerdeführers, die Anmeldebestätigung zu einem Basisbildungskurs sowie eine Bestätigung über ehrenamtliche Tätigkeiten der Erstbeschwerdeführerin, Abrechnungsbelege und Gehaltsbestätigungen sowie ein Fachkenntnisnachweis und der Führerschein des Zweitbeschwerdeführers und Badekarten der Drittbeschwerdeführerin und des Viertbeschwerdeführers vorgelegt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Das Bundesverwaltungsgericht geht aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens von folgendem, für die Entscheidung maßgeblichem Sachverhalt aus:
1.1. Zur Person der Beschwerdeführer:
Die Beschwerdeführer sind afghanische Staatsangehörige. Die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer sind Ehegatten und die Eltern der minderjährigen Dritt- bis Sechstbeschwerdeführer.
Die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer stammen ursprünglich aus dem Distrikt Behsud in der Provinz Maidan Wardak, gehören der Volksgruppe der Hazara an und sind schiitischen Glaubens.
Die Erstbeschwerdeführerin lebte bis zu ihrem 13. Lebensjahr in ihrem Heimatdistrikt und anschließend bis zu ihrer Ausreise in den Iran mit ihren Eltern und den beiden Brüdern in Kabul. Seitens ihrer Familie war ihr nicht erlaubt worden, die Schule zu besuchen oder das Haus alleine zu verlassen, ausgenommen der Besuch der „Frauenbäckerei“.
Der Zweitbeschwerdeführer lebte bis zu seinem fünften oder sechsten Lebensjahr in Behsud, anschließend bis zu seinem zehnten Lebensjahr in Kabul, wo er drei Jahre die Schule besuchte, bevor er Anfang der 90er Jahre mit seiner Familie in den Iran - nach Teheran – zog und als Schuhmacher arbeitete und Teppiche reparierte. 16 Jahre später wurde er nach Afghanistan abgeschoben und hielt sich eineinhalb Monate in Kabul auf, bevor er nach Teheran zurückkehrte und dort bis zu seiner Flucht nach Europa acht Jahre lang blieb.
Die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer heirateten 2007 in Teheran, wo auch die Drittbeschwerdeführerin, der Viertbeschwerdeführer und die Fünftbeschwerdeführerin geboren wurden. Die Sechstbeschwerdeführerin kam im Bundesgebiet auf die Welt.
Die Erstbeschwerdeführerin, die Drittbeschwerdeführerin, die Fünftbeschwerdeführerin und die Sechstbeschwerdeführerin gehören zur sozialen Gruppe der afghanischen Frauen bzw. Mädchen. Die Erstbeschwerdeführerin führt mittlerweile einen westlich orientierten, selbstständigen und selbstbestimmten Lebensstil. Diese Lebensführung ist zu solch einem Bestandteil ihrer Identität geworden, dass nicht erwartet werden kann, dieses Verhalten im Heimatland zu unterdrücken. Die Kinder werden im Bundesgebiet westlich sozialisiert, die gesamte Familie ist westlich orientiert.
1.2. Zur Lage im Herkunftsland:
Das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan, Stand 1.4.2012, die Kurzinfo der Staatendokumentation zur COVID-19-Situation in Afghanistan vom 21.7.2020, die UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarf afghanischer Asylsuchender, Stand 30.08.2018, die EASO Guidelines, die Analyse der Staatendokumentation Gesellschaftlichen Einstellung zu Frauen in Afghanistan, Stand 25.6.2020 sowie die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation Afghanistan vom 3.5.2019 über Kinderehen, Zwangsehen stellen einen integrierten Bestandteil dieses Erkenntnisses dar und werden als Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat herangezogen.
2. Beweiswürdigung:
Die getroffenen Feststellungen ergeben sich aus den vorliegenden Verwaltungsakten der belangten Behörde, den vorliegenden Gerichtsakten und dem vom Bundesverwaltungsgericht durchgeführten Ermittlungsverfahren, vor allem der Einvernahme der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung und dem persönlichen Eindruck, den die erkennende Richterin dort gewinnen konnte.
2.1. Die oben genannten Feststellungen zu Person und Herkunft der Beschwerdeführer resultieren aus ihren dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Verfahrensakten, den vorgelegten Dokumenten und ihren diesbezüglich einheitlichen und glaubwürdigen Angaben und Sprachkenntnissen.
Die Feststellungen zur Erstbeschwerdeführerin als eine am westlichen Frauen- und Gesellschaftsbild orientierten afghanischen Frau ergeben sich aus den diesbezüglich glaubhaften Angaben der Erstbeschwerdeführerin und ihres Gatten (des Zweitbeschwerdeführers) sowie der beiden größeren Kinder (der Drittbeschwerdeführerin und des Viertbeschwerdeführers) in der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht und dem persönlichen Eindruck, der dort gewonnen werden konnte.
Die Erstbeschwerdeführerin vermochte zu überzeugen, dass sie sich aus innerer Überzeugung einer westlichen Wertehaltung und einem westlichen Frauen- und Gesellschaftsbild zugewandt hat, danach lebt und daran festzuhalten gewillt ist, wobei ihr westlich orientierter Lebensstil auch von ihrem in Österreich lebenden Ehegatten mitgetragen wird. Die von der belangten Behörde in ihrer Entscheidung begründend angeführte Einschätzung, der Erstbeschwerdeführerin mangle es bei ihrer westlichen Orientierung an der inneren Überzeugung, findet keine Bestätigung in ihren Angaben.
Die erkennende Richterin gewann im Rahmen der Verhandlung den Eindruck, dass es sich bei der Erstbeschwerdeführerin um eine Frau handelt, die das streng konservativ-afghanische Frauenbild und die konservativ-afghanische Tradition ablehnt, demgegenüber bereits stark westliche Werte verinnerlicht hat und – aus Überzeugung und in Abkehr zu der konservativ-afghanischen Tradition – auch danach lebt.
Die Erstbeschwerdeführerin hat in der Beschwerdeverhandlung verdeutlicht, dass sie ihr Äußeres und ihre Lebensführung an das Leben westlicher Frauen anpasst und dass sie sich vor – in Afghanistan für Frauen üblichen – traditionellen Einschränkungen und gesellschaftlichen Vorgaben fürchtet. Sie hat glaubhaft dargelegt, vom Willen getragen zu sein, den Alltag selbstständig und ohne Hilfe ihres Ehemannes zu bestreiten, sich in Österreich entsprechend weiterzubilden und beruflich Fuß zu fassen. Sie verwaltet alleine das Geld der Familie, verfügt über ein eigenes Bankkonto, geht alleine einkaufen, zu (österreichischen) Freunden – unter denen es auch Männer gibt - und Ärzten oder bringt die jüngeren Kinder in die Schule bzw. in den Kindergarten und besucht Elternabende. Ihre (westliche) Kleidung sucht sie sich selbst aus. Auch besuchte sie bereits Alphabetisierungs- und Sprachkurse und nahm vor der Pandemie zweimal wöchentlich am Sprachcafé teil, ist regelmäßig in einer Kirche ehrenamtlich tätig und strebt einen Beruf im Pflege- bzw. Altenbetreuungsbereich an. Sie erkundigte sich bereits bezüglich der Voraussetzungen für eine Berufsausübung. Zudem war sie es, die für die Familie den Entschluss zur Ausreise aus dem Iran gefasst hat, weil ihren Kindern dort kein Schulbesuch möglich war.
Überdies betreibt sie Sport, spielte früher in der Asylunterkunft u.a. Fußball und tanzte. Dabei trug sie Sportbekleidung. Da wegen der coronabedingten Beschränkungen keine Möglichkeit zu anderen Sportaktivitäten bestand, macht die Erstbeschwerdeführerin mittlerweile zuhause mit ihrer Tochter Yoga. Wenn es wieder zulässig ist, will sie mit ihr gemeinsam schwimmen gehen.
Für sich und ihre Kinder (vor allem auch die Töchter) wünscht sie sich ein selbstbestimmtes und unabhängiges Leben und es ist ihr sehr wichtig, dass ihre Kinder – auch die Töchter – sich ausbilden und einen selbstgewählten Beruf ausüben. Sie konnte glaubhaft versichern, dass sie unter den Repressionen in der Heimat, die es ihr nicht ermöglicht hatten, die Schule zu besuchen oder sich frei zu bewegen, gelitten hat und es ihr ein Anliegen ist, sich trotz der Schwierigkeiten, die sie wegen ihres Analphabetismus hat, weiterzubilden und arbeiten zu gehen.
Festzuhalten ist auch, dass sie sich als nicht gläubig betrachtet und für ihre Kinder vorsieht, dass diese, wenn sie alt genug sind, ihre Religion frei wählen.
Während der Befragung durch die erkennende Richterin brachte die Beschwerdeführerin insgesamt mehrfach glaubhaft zum Ausdruck, dass sie jeden Zwang ablehnt und sich ihre Einstellung als Frau zu sich selbst gewandelt hat. Sie wünscht sich, dass ihre Töchter nicht so werden, wie sie selbst es früher war.
All dies wird auch von ihrem Gatten – dem Zweitbeschwerdeführer – unterstützt.
Insgesamt führt die Erstbeschwerdeführerin mittlerweile einen westlichen, selbstständigen und selbstbestimmten Lebensstil, der zu solch einem Bestandteil ihrer Identität geworden ist, dass nicht erwartet werden kann, dieses Verhalten im Heimatland zu unterdrücken.
2.2. Die getroffenen Feststellungen zur Lage in Afghanistan beruhen auf den angeführten Quellen. Diese Berichte verschiedener anerkannter und zum Teil in Afghanistan agierenden Institutionen, ergeben in ihrer Gesamtheit ein nachvollziehbares und schlüssiges Bild über die Lage im Heimatland der Beschwerdeführer. Angesichts der Seriosität der angeführten Erkenntnisquellen und der Plausibilität der Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Darstellung zu zweifeln. Die Länderfeststellungen wurden den Beschwerdeführern vorgehalten und es wurde ihnen nicht entgegengetreten.
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1. Zuständigkeit und verfahrensrechtliche Grundlagen:
Mit 01.01.2006 ist das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl in Kraft getreten (AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 in der geltenden Fassung) und ist auf die ab diesem Zeitpunkt gestellten Anträge auf internationalen Schutz, sohin auch auf die vorliegenden anzuwenden.
Gemäß § 6 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz (BVwGG), BGBl. I Nr. 10/2013 in der geltenden Fassung entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, liegt gegenständlich die Zuständigkeit der nach der geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichts zuständigen Einzelrichterin vor.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte ist mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts durch das Verwaltungsgerichtsverfahrens (VwGVG) geregelt. Gemäß § 58 Abs 2 VwGVG idgF bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zweck des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG idgF sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art 130 Abs 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Gemäß § 7 Abs 1 Z 1 des BFA-Verfahrensgesetz - BFA-VG entscheidet über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) das Bundesverwaltungsgericht.
Gemäß §§ 16 Abs 6 und 18 Abs 7 BFA-VG idgF sind die §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anwendbar.
3.2. Zu Spruchpunkt A)
Gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 idgF ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs 1 Z 13 gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955 idF des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974 (Genfer Flüchtlingskonvention - GFK), droht. Damit will der Gesetzgeber an die Gesamtheit der aufeinander bezogenen Elemente des Flüchtlingsbegriffs der GFK anknüpfen (VwGH 24.3.2011, 2008/23/1443). Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG 2005 ist der Asylantrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005) offen steht oder wenn er einen Asylausschlussgrund (§ 6 AsylG 2005) gesetzt hat.
Als Flüchtling im Sinne des Art 1 Abschnitt A Z 2 der GFK ist anzusehen, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffs ist nach ständiger Rechtsprechung des VwGH die "begründete Furcht vor Verfolgung" (VwGH 22.12.1999, Zl. 99/01/0334; 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131; 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011). Eine solche liegt dann vor, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0370; 21.09.2000, Zl. 2000/20/0286).
Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthalts zu begründen (VwGH 24.11.1999, Zl. 99/01/0280). Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131; 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011 ua).
Auch wenn in einem Staat allgemein schlechte Verhältnisse bzw. sogar bürgerkriegsähnliche Zustände herrschen sollten, so liegt in diesem Umstand für sich alleine noch keine Verfolgungsgefahr im Sinne der Flüchtlingskonvention. Um asylrelevante Verfolgung erfolgreich geltend zu machen, bedarf es daher einer zusätzlichen, auf asylrelevante Gründe gestützten Gefährdung des Asylwerbers, die über die gleichermaßen die anderen Staatsbürger des Heimatstaates treffenden Unbilligkeiten hinausgeht (vgl. hiezu VwGH 21.01.1999, 98/18/0394; 19.10.2000, 98/20/0233, mwH).
Eine allgemeine desolate wirtschaftliche und soziale Situation kann nach ständiger Judikatur nicht als hinreichender Grund für eine Asylgewährung herangezogen werden (vgl. VwGH vom 17.06.1993, Zl. 92/01/1081; VwGH vom 14.03.1995, Zl. 94/20/0798).
Die Verfolgungsgefahr muss aktuell sein, was bedeutet, dass sie zum Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen muss (VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0318; 19.10.2000, Zl. 98/20/0233). Bereits gesetzte vergangene Verfolgungshandlungen können im Beweisverfahren ein wesentliches Indiz für eine bestehende Verfolgungsgefahr darstellen, wobei hierfür dem Wesen nach, eine Prognose zu erstellen ist (VwGH 05.11.1992, Zl. 92/01/0792; 09.03.1999, Zl. 98/01/0318). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der GFK genannten Gründen haben, welche Art 1 Abschnitt A Z 2 nennt, und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatstaates bzw. des Staates ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein, wobei Zurechenbarkeit nicht nur ein Verursachen bedeutet, sondern eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr bezeichnet (VwGH 16.06.1994, Zl. 94/19/0183).
Eine Verfolgungsgefahr kann nicht ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Einzelverfolgungsmaßnahmen abgeleitet werden, vielmehr kann sie auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein (VwGH 09.03.1999, Zahl 98/01/0370; 22.10.2002, Zahl 2000/01/0322).
Ein in seiner Intensität asylrelevanter Eingriff in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen führt dann zur Flüchtlingseigenschaft, wenn er an einem in Art 1 Abschnitt A Z 2 der GFK festgelegten Grund, nämlich die Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politische Gesinnung anknüpft.
Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Es ist erforderlich, dass der Schutz generell infolge Fehlens einer funktionierenden Staatsgewalt nicht gewährleistet wird (vgl. VwGH 01.06.1994, Zl. 94/18/0263; 01.02.1995, Zl. 94/18/0731). Die mangelnde Schutzfähigkeit hat jedoch nicht zur Voraussetzung, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht - diesfalls wäre fraglich, ob von der Existenz eines Staates gesprochen werden kann -, die ihren Bürgern Schutz bietet. Es kommt vielmehr darauf an, ob in dem relevanten Bereich des Schutzes der Staatsangehörigen vor Übergriffen durch Dritte aus den in der GFK genannten Gründen eine ausreichende Machtausübung durch den Staat möglich ist. Mithin kann eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewendet werden kann (VwGH 22.03.2000, Zl. 99/01/0256). Die Voraussetzungen der GFK sind nur bei jenem Flüchtling gegeben, der im gesamten Staatsgebiet seines Heimatlandes keinen ausreichenden Schutz vor der konkreten Verfolgung findet (VwGH 08.10.1980, VwSlg. 10.255 A). Steht dem Asylwerber die Einreise in Landesteile seines Heimatstaates offen, in denen er frei von Furcht leben kann, und ist ihm dies zumutbar, so bedarf er des asylrechtlichen Schutzes nicht; in diesem Fall liegt eine sog. "inländische Fluchtalternative" vor. Der Begriff "inländische Fluchtalternative" trägt dem Umstand Rechnung, dass sich die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung iSd. Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK, wenn sie die Flüchtlingseigenschaft begründen soll, auf das gesamte Staatsgebiet des Heimatstaates des Asylwerbers beziehen muss (VwGH 08.09.1999, Zl. 98/01/0503 und Zl. 98/01/0648).
Die Erstbeschwerdeführerin gehört zur sozialen Gruppe der afghanischen Frauen.
Nach der Rechtsprechung des VwGH können Frauen Asyl beanspruchen, die aufgrund eines gelebten "westlich" orientierten Lebensstils bei Rückkehr in ihren Herkunftsstaat verfolgt würden (vgl. etwa VwGH vom 28. Mai 2014, Ra 2014/20/0017-0018, mwN). Gemeint ist damit eine von ihnen angenommene Lebensweise, in der die Anerkennung, die Inanspruchnahme oder die Ausübung ihrer Grundrechte zum Ausdruck kommt. Voraussetzung ist, dass diese Lebensführung zu einem solch wesentlichen Bestandteil der Identität der Frauen geworden ist, dass von ihnen nicht erwartet werden kann, dieses Verhalten im Heimatland zu unterdrücken, um einer drohenden Verfolgung wegen Nichtbeachtung der herrschenden politischen und/oder religiösen Normen zu entgehen. Dabei kommt es nicht darauf an, dass diese Verfolgung vom Heimatstaat ausgeht. Auch eine private Verfolgung kann insoweit maßgeblich sein, als der Heimatstaat nicht gewillt oder in der Lage ist, Schutz vor solcher Verfolgung zu gewähren. Es sind daher konkrete Feststellungen zur Lebensweise der Asylwerberin im Entscheidungszeitpunkt zu treffen und ist ihr diesbezügliches Vorbringen einer Prüfung zu unterziehen (VwGH 22.03.2017, Ra 2016/18/0388).
Wie oben in den Feststellungen und der Beweiswürdigung gezeigt, führt die Erstbeschwerdeführerin mittlerweile einen westlichen, selbstständigen und selbst-bestimmten Lebensstil. Diese Lebensführung ist zu solch einem Bestandteil ihrer Identität geworden, dass nicht erwartet werden kann, dieses Verhalten im Heimatland zu unterdrücken.
Den getroffenen Länderfeststellungen sowie den UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.8.2018 (siehe Abschnitt III.A.7f.) ist zu entnehmen, dass die Fortführung dieser Lebensweise in Afghanistan zu einer asylrelevanten Verfolgung wegen Nichtbeachtung der herrschenden politischen und/oder religiösen Normen führen würde.
Auf Grund der Ermittlungsergebnisse ist daher davon auszugehen, dass sich Erstbeschwerdeführerin aus wohlbegründeter Furcht vor asylrelevanter Verfolgung, nämlich aus Gründen ihrer politischen Gesinnung bzw. Religion (überwiegende Orientierung an dem als "westlich“ zu bezeichnenden Frauen- und Gesellschaftsbild) und ihrer Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der westlich orientierten afghanischen Frauen außerhalb Afghanistans befindet und im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Eine innerstaatliche Fluchtalternative besteht für die Erstbeschwerdeführerin nicht, weil im gesamten Staatsgebiet von Afghanistan von einer derartigen Verfolgung auszugehen wäre.
§ 34 Abs. 2 AsylG 2005 hat die Behörde aufgrund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen hat, wenn 1. dieser nicht straffällig geworden ist und (Anm.: Z 2 aufgehoben durch Art 3 Z13, BGBl. I Nr. 84/2017) 3. gegen den Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung des Asylstatus anhängig ist (§ 7).
Gemäß Abs. 4 leg. cit. hat die Behörde Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen, und es erhalten unter den Voraussetzungen der Absätze 2 und 3 alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Entweder ist der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wobei die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten vorgeht, es sei denn, alle Anträge wären als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen. Jeder Asylwerber erhält einen gesonderten Bescheid. Ist einem Fremden der faktische Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs. 4 zuzuerkennen, ist dieser auch seinen Familienangehörigen zuzuerkennen.
Gemäß Abs. 5 leg. cit. gelten die Bestimmungen der Abs. 1 bis 4 sinngemäß für das Verfahren beim Bundesverwaltungsgericht.
Gemäß § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005 ist "Familienangehöriger", a. der Elternteil eines minderjährigen Asylwerbers, Asylberechtigten oder subsidiär Schutzberechtigten; b. der Ehegatte oder eingetragene Partner eines Asylberechtigten oder subsidiär Schutzberechtigten, sofern die Ehe oder eingetragenen Partnerschaft bereits vor der Einreise bestanden hat; c. ein zum Zeitpunkt der Ant