Entscheidungsdatum
08.07.2021Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
I416 2172362-1/27E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Alexander BERTIGNOL als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. IRAK, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH - BBU, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 15.09.2017, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 10.05.2021 zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer, ein irakischer Staatsangehöriger, reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen in das Bundesgebiet ein und stellte am 11.12.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.
2. Der Beschwerdeführer gab anlässlich seiner Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 14.12.2015 zu seiner Fluchtroute an, dass er 20 Tage zuvor Bagdad zu Fuß verlassen habe und in die Türkei gereist sei. Seine Ehefrau sei nach ihm in die Türkei gekommen und sei er mit ihr zusammen schlepperunterstützt über Griechenland, Mazedonien, Serbien, Kroatien und Slowenien nach Österreich gelangt. Zu seinen Fluchtgründen gab er im Wesentlichen an, dass er sein Heimatland verlassen habe, da sein Vater im Jahr 2013 von dem Beschwerdeführer unbekannten Männern ermordet worden sei. Aus Angst, dass ihm dasselbe passieren werde, sei er für ein Jahr in die Türkei geflüchtet. Er sei dann wieder in den Irak zurückgekehrt, weil er dachte, dass sich die Sicherheitslage verbessert habe. Er habe täglich Angst um sein Leben und um das Leben seiner Familie gehabt. Im Falle seiner Rückkehr befürchte er, dass seine Ehefrau und sein ungeborenes Kind ermordet werden würden.
3. Am 29.08.2017 wurde der Beschwerdeführer von der belangten Behörde niederschriftlich einvernommen. Zu seinen persönlichen Verhältnissen führte er aus, dass er XXXX heiße, am XXXX im Bagdad im Irak geboren sei, der Volksgruppe der Araber, der muslimischen Religionsgemeinschaft und der sunnitischen Glaubensrichtung angehöre und irakischer Staatsangehöriger sei. Er sei gesund, verheiratet und habe einen Sohn. Im Irak habe er sechs Jahre die Grundschule und drei Jahre die Mittelschule besucht. Gearbeitet habe er als Sänger und zuletzt das Automechaniker. In Bagdad würden noch seine Mutter und seine beiden Schwestern leben, sein Bruder würde sich glaublich in Jordanien aufhalten und habe er wöchentlich ein bis zweimal Kontakt zu seinen Familienangehörigen. Befragt zu seinen Fluchtgründen erklärte der Beschwerdeführer, dass es zwei Fluchtgründe gäbe. Einerseits sei sein Vater getötet worden, und andererseits sei er durch die Familie seiner Frau bedroht worden. Er führte aus, dass sein Vater im September 2013 von unbekannten militärischen Milizen getötet worden sei, da er früher ein Mitglied von Al Baath gewesen sei und auch eine hohe Position in der Regierung von Saddam Hussein innegehabt habe. Sie hätten Mitte des Jahres 2006 viele Drohungen mittels SMS auf das Handy des Vaters bekommen und auch Drohbriefe erhalten. Im Jahr 2009 seien unbekannte bewaffnete Männer zu seiner Arbeitsstelle gekommen und hätten ihn bedroht. Diese Personen hätten ihm gesagt, dass sie seinen Vater suchen würden und dass es sie überraschen würde zu sehen, dass er Sänger sei, da dies eine Sünde nach dem islamischen Glauben sei und es deshalb erlaubt sei ihn umzubringen. Ein Leibwächter habe ihn beschützt, es kam zu einem Streit und sei er durch den Hinterausgang mit einem Taxi nach Hause geflohen. Er habe dies seiner Mutter erzählt und habe sein Vater daraufhin entschieden, dass alle flüchten müssen. Die gesamte Familie sei zusammen am nächsten Tag nach Diyala zu seinem Onkel geflohen. Von ihrem Onkel aus hätten sie ihre Nachbarn angerufen und hätten ihnen diese gesagt, dass bewaffnete Männer zu ihrem Haus gekommen seien, aber wieder gegangen seien, nachdem diese bemerkt hätten, dass niemand da sei. Sein Vater sei dann für ein Jahr nach Syrien gegangen, sie selbst seien wieder nach Bagdad zurückgekehrt. Diese Personen hätten sie dann bis September 2013 in Ruhe gelassen. Sein Vater sei Ende August wieder nach Bagdad zurückgekommen und sei auf dem Weg ins Krankenhaus erschossen worden. Da er der Fahrer des Fahrzeuges gewesen sei, mit dem sein Vater transportiert worden sei, sei er Zeuge des Geschehens geworden. In weiterer Folge seien sieben maskierte Männer in Zivil während der Trauertage um seinen Vater gekommen und hätten gesagt, dass sein Vater Sunnit und er Sänger gewesen sei, und er das gleiche Schicksal wie sein Vater haben werde. Er habe diesen dann gesagt, dass er seit Jahren nicht mehr als Sänger, sondern das Automechaniker arbeiten würde. Seine Freunde hätten diese Männer ersucht ihn in Ruhe zu lassen und seien die Männer daraufhin wieder gegangen. Er sei dann am selben Tag zu einem Freund geflüchtet und mit einem Visum in die Türkei gereist. Nach 1 ½ Jahren in der Türkei habe er seine Frau über das Internet kennengelernt und sei in den Irak zu seiner Schwester zurückgekehrt. Er habe sich mit dem Vater seiner Ehefrau getroffen und mit ihm über eine Heirat verhandelt, er sei jedoch nicht akzeptiert worden, da er Sänger und Sunnit sei und seine Ehefrau Schiitin. Seine Frau und er hätten beschlossen zu fliehen und hätten sich bei seiner Schwester versteckt. Der Vater seiner Frau habe nach ihnen gesucht und erfahren, wo sie sich aufhalten würden. Der Vater seiner Frau habe mit weiteren Familienmitgliedern das Haus seiner Schwester gestürmt und diese bedroht. Diese hätten seiner Schwester mitgeteilt, dass sie ihn und die Frau umbringen würden, weil sie den Stolz der Familie verletzt hätten. Er sei dann zu seinem Cousin geflüchtet, wo sie drei Monate geblieben seien. Der Vater seiner Frau habe jedoch die Mutter seiner Frau bedrängt und geschlagen, sodass diese den Aufenthaltsort bekannt gegeben habe, und seien er und seine Frau von der Mutter per SMS gewarnt worden. Die Familie des Vaters seiner Frau habe das Haus seines Cousins angezündet und seien sie danach in ein Hotel gegangen. Durch einen Freund habe er eine Wohnung gefunden wo sie vier Monate geblieben seien und habe er in dieser Zeit als Mechaniker gearbeitet. Eines Tages habe er den Vater seiner Frau in der Nähe seiner Arbeit gesehen und habe er da gewusst, dass diese nach ihm suchen würden, weshalb er sich entschieden habe den Irak zu verlassen. Er habe seine Sachen verkauft und habe ihn auch die Mutter seiner Frau unterstützt und ihm bei der Flucht geholfen. Er habe seine Frau zu ihrer Mutter gebracht und sei in die Türkei geflüchtet. Nachgefragt, wer die Personen gewesen seien, die ihn bedroht hätten, gab er an, dass er es nicht wisse. Er glaube allerdings, dass dies Islamisten und auch die Männer gewesen seien, die seinen Vater umgebracht hätten. Gefragt, warum er nie Hilfe bei irakischen Behörden, dem Militär, der Polizei oder dem Gericht gesucht habe, gab der Beschwerdeführer wörtlich zu Protokoll: „Das ist unmöglich, sie wissen wie es bei uns im Irak ist, ich frage mich immer, weiß unsere Regierung nicht was diese Männer mit uns machen.“ Er führte weiters aus, dass er in seinem Heimatland keine Probleme mit Polizei oder anderen staatlichen Stellen gehabt habe. Es sei auch kein Gerichtsverfahren gegen ihn anhängig und sei er auch nicht in Haft gewesen oder festgenommen worden. Gefragt, ob er jemals konkreten persönlichen Verfolgungshandlungen durch private Dritte und/oder heimatlichen Behörden, staatlichen Stellen aufgrund seiner politischen Gesinnung, religiösen Glaubenszugehörigkeit, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, Volksgruppenzugehörigkeit ausgesetzt gewesen sei, gab der Beschwerdeführer wörtlich zu Protokoll: „Im Irak werde ich verfolgt, weil ich Sunnit bin.“ Gefragt, was er im Falle einer Rückkehr befürchte, gab er an, dass er fürchte, dass er, seine Ehefrau oder sein Kind ermordet werden würden. Sie würden glauben, dass sein Sohn unrein sei, weil er aus einer Beziehung zwischen einem Sunniten und einer Schiitin stammen würde. Letztlich gab er zu Protokoll, dass der Vater seiner Frau ihn überall finden könne und er Sorge um seinen Sohn und seine Frau habe. Zur Möglichkeit zu den Länderberichten eine Stellungnahme abzugeben, verzichtete der Beschwerdeführer. Zu seinen persönlichen Lebensumständen im Bundesgebiet gab der Beschwerdeführer an, dass er einen Deutschkurs besuchen und von der Grundversorgung leben würde. Er habe viele Freunde im Bundesgebiet und würden auch seine Frau und sein minderjähriger unmündiger Sohn in Österreich leben. Auch könne er, wenn er einen positiven Bescheid bekomme, als Sänger arbeiten. Der Beschwerdeführer legte im Rahmen seiner Einvernahme einen irakischen Reisepass und eine Kursbesuchsbestätigung A1 vor.
4. Mit dem im Spruch angeführten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 15.09.2017, Zl. XXXX , wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten „gemäß § 3 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG 2005, BGBl I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF“ (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Irak gemäß „§ 8 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG“ (Spruchpunkt II.) als unbegründet abgewiesen. Zugleich wurde dem Beschwerdeführer kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen „gemäß § 57 AsylG“ erteilt, gemäß „§ 10 Absatz 1 Ziffer 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF“ gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung „gemäß § 52 Absatz 2 Ziffer 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl I Nr. 100/2005 (FPG) idgF“ erlassen und „gemäß § 52 Absatz 9 FPG“ festgestellt, dass seine Abschiebung „gemäß § 46 FPG“ in den Irak zulässig ist (Spruchpunkt III.). Eine Frist für seine freiwillige Ausreise wurde „gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG“ mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidungen festgestellt (Spruchpunkt IV.).
5. Mit Verfahrensanordnungen vom 20.09.2017 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG die ARGE Rechtsberatung – Diakonie und Volkshilfe, Wattgasse 48/3. Stock, 1170 Wien, als Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht zur Seite gestellt.
6. Gegen den Bescheid der belangten Behörde vom 15.09.2017 erhob der Beschwerdeführer durch seine ausgewiesene Rechtsvertretung mit Schriftsatz vom 29.09.2017 Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht und monierte inhaltliche Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung sowie Verletzung von Verfahrensvorschriften, bei deren Einhaltung für den Beschwerdeführer günstigerer Bescheid erzielt worden wäre. Begründend wurde zusammengefasst ausgeführt, dass die belangte Behörde ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren geführt habe und die herangezogenen Länderberichte unvollständig und teilweise unrichtig seien sowie sie sich nicht mit dem konkreten Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers auseinandergesetzt habe. Es wurde weiters ausgeführt, dass es die belangte Behörde unterlassen habe, den Beschwerdeführer darüber zu belehren, dass er die Möglichkeit habe, seine Vaterschaft zu seinem Kind durch unbedenkliche Urkunden oder sonstige geeignete Bescheinigungsmittel nachzuweisen. Zudem habe der Beschwerdeführer sein Vorbringen detailliert und lebensnah gestaltet und habe der Beschwerdeführer in seiner Einvernahme explizit angegeben, dass er aufgrund seines Glaubens (Sunnit) verfolgt werde und habe die belangte Behörde dies im Rahmen der Beweiswürdigung in keinster Weise berücksichtigt. Es werde daher beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge eine mündliche Beschwerdeverhandlung inklusive der Einvernahme des Beschwerdeführers und dessen Ehefrau anberaumen, den angefochtenen Bescheid allenfalls nach Verfahrensergänzung beheben und dem Beschwerdeführer den Status des Asylberechtigten zuerkennen, in eventu den angefochtenen Bescheid allenfalls nach Verfahrensergänzung bezüglich Spruchpunkt II. beheben und dem Beschwerdeführer den Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkennen, den angefochtenen Bescheid bezüglich Spruchpunkt III. aufheben bzw. dahingehend abändern, dass die Rückkehrentscheidung aufgehoben und für auf Dauer unzulässig erklärt wird und dem Beschwerdeführer einen Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK erteilen, in eventu den angefochtenen Bescheid ersatzlos beheben und zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Bundesamt zurückverweisen.
7. Beschwerde und Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 04.10.2017 vorgelegt.
8. Aufgrund der Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 25.09.2018 wurde die gegenständliche Rechtssache der Gerichtsabteilung L519 abgenommen und der Gerichtsabteilung I416 neu zugewiesen. Am 04.10.2019 langte der verfahrensgegenständliche Beschwerdeakt bei der zuständigen Gerichtsabteilung I416 ein.
9. Mit Eingabe vom 19.04.2018 wurden Unterlagen zum aktuellen Gesundheitszustand des Beschwerdeführers übermittelt, insbesondere bezüglich einer Schädelfraktur im Zuge eines Sturzes und der erfolgten Operation. Der Beschwerdeführer wurde nach seiner Operation am 10.04.2018 entlassen und wurde im Entlassungsbrief festgehalten, dass der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Entlassung selbstständig gewesen sei und keine Unterstützung durch professionelle Pflege bedürfe. Mit Eingabe vom 16.05.2018 wurde ein Befundbericht bezüglich des Beschwerdeführers vorgelegt, wonach dieser über innerliche Unruhe, Schlafstörungen, Antriebs- und Interessenlosigkeit, Müdigkeit, Energiemangel und depressiver Stimmung leide und wurden darin eine Medikation mit drei Medikamenten und eine Psychotherapie in der Muttersprache samt Verlaufskontrolle empfohlen.
10. Am 06.05.2021 wurde nach Übermittlung eines Auftrages per E-Mail vom 05.05.2021 von der zuständigen Rechtsvertreterin des Beschwerdeführers telefonisch Kontakt mit dem Bundesverwaltungsgericht aufgenommen und wurde diese im Rahmen des Gesprächs aufgefordert einen entsprechenden Nachweis hinsichtlich des Bestehens/Nichtbestehens der Vaterschaft beizubringen sowie die von ihr erwähnte Scheidungsklage vorzulegen. Mit E-Mail vom 06.05.2021 wurde die Scheidungsklage übermittelt, der von der Rechtsvertreterin im Telefonat erwähnte DNA Test wurde nicht übermittelt. Weiters wurde ein handgeschriebenes Empfehlungsschreiben datiert mit 05.05.2021 übermittelt.
11. Am 10.05.2021 erfolgte in Anwesenheit des Beschwerdeführers eine mündliche Beschwerdeverhandlung am Bundesverwaltungsgericht und wurden in deren Verlauf seitens des Beschwerdeführers diverse medizinische Unterlagen von 2018 bis Juni 2020 vorgelegt. Das Ermittlungsverfahren wurde gemäß §39 AVG iVm § 17 VwGVG geschlossen und wurde dem Beschwerdeführer der Auftrag erteilt, dem Gericht binnen vier Wochen einen tauglichen Nachweis seiner Vaterschaft (DNA-Test) vorzulegen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Die unter Punkt I. getroffenen Ausführungen werden als entscheidungswesentlicher Sachverhalt festgestellt. Darüber hinaus werden folgende weitere Feststellungen getroffen:
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
Der volljährige Beschwerdeführer ist irakischer Staatsangehöriger. Er gehört der Volksgruppe der Araber und dem Stamm Al-Janabi an und bekennt sich zum sunnitisch-muslimischen Glauben. Seine Identität steht fest.
Der Beschwerdeführer erlitt bei einem Sturz im Jahr 2018 eine Schädelfraktur mit Epiduralhämatom sowie einer kleinen Kontusionsblutung und einer kleinen kugelförmigen Blutung. Aufgrund dessen wurde er am 30.03.2018 operiert. Im Jahr 2018 war der Beschwerdeführer überdies aufgrund der Diagnose „Depressio bei Belastungsreaktion“ in fachärztlicher Behandlung. Im Mai 2020 wurden ihm die Diagnosen der akuten Cholecystitis (Gallenblasenentzündung) sowie des chronischen Alkoholabusus gestellt. Nach einer stationären Behandlung im Juli 2020 wurde ihm zudem eine chronische Pankreatitis (Entzündung der Bauchspeicheldrüse) sowie eine dekompensierte Zirrhosis hepatits nutritiv toxischer Genese (Leberzirrhose) diagnostiziert. Er leidet an keinen physischen oder psychischen Beeinträchtigungen, welche einer Rückkehr in den Herkunftsstaat entgegenstehen und gehört keiner Risikogruppe im Sinne der COVID-19-Pandemie an. Der Beschwerdeführer ist arbeitsfähig.
Im Jahr 2013 reiste der Beschwerdeführer in die Türkei und kehrte anschließend nach einem etwa eineinhalb-jährigen Aufenthalt wieder in den Irak zurück. Er reiste letztlich im Jahr 2015 dauerhaft aus dem Irak aus und gelangte schlepperunterstützt über die Türkei nach Griechenland, wo er erkennungsdienstlich behandelt wurde. Anschließend reiste er über Mazedonien, Serbien, Kroatien und Slowenien nach Österreich. Der Beschwerdeführer reiste (spätestens) am 11.12.2015 ins Bundesgebiet ein und hält sich seither durchgehend in Österreich auf.
Der Beschwerdeführer stammt aus Bagdad und besuchte dort die Grund- und Mittelschule. Anschließend verdiente er sich seinen Lebensunterhalt als Sänger und Automechaniker. In Bagdad leben noch Verwandte des Beschwerdeführers, jedoch kann nicht zweifelsfrei festgestellt werden, ob der Beschwerdeführer nach wie vor über Kontakt zu seinen Familienangehörigen verfügt.
Es kann nicht festgestellt werden, ob der Beschwerdeführer mit der irakischen Staatsbürgerin XXXX (M.A.), geb. am XXXX , verheiratet ist. Außerdem kann nicht festgestellt werden, ob der Beschwerdeführer der Vater des Kindes von M.A., XXXX (I.A.), geb. am XXXX , ist. M.A. und I.A. leben derzeit als Asylberechtigte in Österreich und besteht mit dem Beschwerdeführer kein gemeinsamer Haushalt und auch kein Kontakt.
Der Beschwerdeführer verfügt somit über keine familiären Anknüpfungspunkte in Österreich. Er hat jedoch während seinem bisherigen Aufenthalt diverse private Bekanntschaften in Österreich geschlossen, mit welchen er seine Freizeit verbringt.
Der Beschwerdeführer weist lediglich geringe Deutschkenntnisse auf und besuchte während seines Aufenthaltes in Österreich einen Deutschkurs auf den Niveau A1. Nicht festgestellt werden konnte, dass der Beschwerdeführer eine Sprachprüfung auf dem Niveau A1 positiv abgelegt hat. Er hat an keinen Aus- oder Weiterbildungen teilgenommen, ist kein Mitglied in einem Verein und verrichtet keine gemeinnützigen oder ehrenamtlichen Tätigkeiten. Der Beschwerdeführer geht in seiner Freizeit spazieren und trifft sich mit Freunden.
Seinen Lebensunterhalt in Österreich finanziert sich der Beschwerdeführer durch Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung und ging er während seinem Aufenthalt in Österreich keiner legalen Erwerbstätigkeit nach. Er ist nicht selbsterhaltungsfähig.
Eine entscheidungsrelevante Teilnahme des Beschwerdeführers am sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Leben in Österreich kann trotz seiner Aufenthaltsdauer von rund fünfeinhalb Jahren nicht festgestellt werden. Er weist in Österreich keinen Grad der Integration auf, der seiner Aufenthaltsdauer im Bundesgebiet entspricht. Es liegen keine Hinweise auf das Vorliegen von entscheidungsrelevanten Anknüpfungspunkten in sozialer, sprachlicher und wirtschaftlicher Natur in Österreich bzw. allenfalls gesetzter Integrationsschritte des Beschwerdeführers vor.
Der Beschwerdeführer ist strafgerichtlich unbescholten.
1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers
Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Irak aufgrund seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt war.
Der Beschwerdeführer konnte nicht glaubhaft machen, dass ihm im Irak Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht. Die vom Beschwerdeführer behauptete Bedrohung/Verfolgung durch die Familie „seiner Frau“ bzw. unbekannten Milizangehörigen aufgrund der früheren Mitgliedschaft seines Vaters bei Al Baath konnte mangels Glaubhaftmachung nicht festgestellt werden.
Es kann auch nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer unmittelbar vor seiner Ausreise einer individuellen und aktuellen Verfolgung aus den von ihm genannten Gründen im Herkunftsstaat ausgesetzt gewesen wäre bzw. im Fall seiner Rückkehr in den Irak der Gefahr einer solchen ausgesetzt sein würde.
Im Fall seiner Rückkehr in den Herkunftsstaat Irak wird der Beschwerdeführer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keiner asylrelevanten Verfolgung und auch keiner wie auch immer gearteten existentiellen Bedrohung ausgesetzt sein.
Es existieren keine Umstände, welche einer Abschiebung aus dem Bundesgebiet der Republik Österreich entgegenstünden. Es spricht nichts dafür, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in den Irak Verletzung von Art. 2, Art. 3 oder auch der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention nach sich ziehen würde. Der Beschwerdeführer ist auch nicht von willkürlicher Gewalt infolge eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts bedroht.
1.3. Zur Lage im Herkunftsstaat:
Dem Beschwerdeführer wurde im Zuge der Ladung zur mündlichen Verhandlung das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Irak übermittelt. Zudem wurden im Rahmen der Beschwerdeverhandlung folgende Berichte ergänzend eingebracht: EASO Bericht „Iraq Security situation“ vom Oktober 2020, der EASO Bericht „Country Guidance Iraq – Guidance note and common analysis“ vom Jänner 2021, der EASO Informationsbericht über das Herkunftsland „Irak Gezielte Gewalt gegen Individuen“ vom März 2019, der EASO Bericht „Irak Interne Mobilität“ vom Februar 2019, der EASO Bericht „Irak Zentrale sozioökonomische Indikatoren“ vom Februar 2019, der UNHCR-Bericht „UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus dem Irak fliehen [HCR/PC/IRQ/2019/05]“ vom Mai 2019, eine Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zum Irak bezüglich der Versorgungs- und Sicherheitslage in Bagdad vom 07.09.2020 und 21.01.2021 sowie Asylländerbericht der ÖB Amman vom Oktober 2020.
Daraus ergeben sich folgende entscheidungswesentliche Feststellungen:
Politische Lage:
Die politische Landschaft des Irak hat sich seit dem Sturz Saddam Husseins im Jahr 2003 enorm verändert (KAS 2.5.2018) und es wurde ein neues politisches System im Irak eingeführt (Fanack 2.9.2019). Gemäß der Verfassung vom 15.10.2005 ist der Irak ein islamischer, demokratischer, föderaler und parlamentarisch-republikanischer Staat (AA 12.1.2019; vgl. GIZ 1.2020a; Fanack 2.9.2019), der aus 18 Gouvernements (muhafaz?t) besteht (Fanack 2.9.2019). Artikel 47 der Verfassung sieht eine Gewaltenteilung zwischen Exekutive, Legislative und Judikative vor (RoI 15.10.2005). Die Kurdische Region im Irak (KRI) ist Teil der Bundesrepublik Irak und besteht aus den drei nördlichen Gouvernements Dohuk, Erbil und Sulaymaniyah. Sie wird von einer Regionalverwaltung, der kurdischen Regionalregierung (Kurdistan Regional Government, KRG), verwaltet und verfügt über eigene Streitkräfte (Fanack 2.9.2019). Beherrschende Themenblöcke der irakischen Innenpolitik sind Sicherheit, Wiederaufbau und Grundversorgung, Korruptionsbekämpfung und Ressourcenverteilung, die systemisch miteinander verknüpft sind (GIZ 1.2020a).
An der Spitze der Exekutive steht der irakische Präsident, der auch das Staatsoberhaupt ist. Der Präsident wird mit einer Zweidrittelmehrheit des irakischen Parlaments (majlis al-nuww?b, engl.: Council of Representatives, dt.: Repräsentantenrat) für eine Amtszeit von vier Jahren gewählt und kann einmal wiedergewählt werden. Er genehmigt Gesetze, die vom Parlament verabschiedet werden. Der Präsident wird von zwei Vizepräsidenten unterstützt, mit denen er den Präsidialrat bildet, welcher einstimmige Entscheidungen trifft (Fanack 2.9.2019).
Der Premierminister wird vom Präsidenten designiert und vom Parlament bestätigt (Fanack 2.9.2019; vgl. RoI 15.10.2005). Der Premierminister führt den Vorsitz im Ministerrat und leitet damit die tägliche Politik und ist auch Oberbefehlshaber der Streitkräfte (Fanack 27.9.2018).
Die gesetzgebende Gewalt, die Legislative, wird vom irakischen Repräsentantenrat (Parlament) ausgeübt (Fanack 2.9.2019). Er besteht aus 329 Abgeordneten (CIA 28.2.2020; vgl. GIZ 1.2020a). Neun Sitze werden den Minderheiten zur Verfügung gestellt, die festgeschriebene Mindest-Frauenquote im Parlament liegt bei 25% (GIZ 1.2020a).
Nach einem ethnisch-konfessionellen System (Muhasasa) teilen sich die drei größten Bevölkerungsgruppen des Irak - Schiiten, Sunniten und Kurden - die Macht durch die Verteilung der Ämter des Präsidenten, des Premierministers und des Parlamentspräsidenten (AW 4.12.2019). So ist der Parlamentspräsident gewöhnlich ein Sunnit, der Premierminister ist ein Schiit und der Präsident der Republik ein Kurde (Al Jazeera 15.9.2018). Viele sunnitische Iraker stehen der schiitischen Dominanz im politischen System kritisch gegenüber. Die Machtverteilungsarrangements zwischen Sunniten, Schiiten und Kurden festigen den Einfluss ethnisch-religiöser Identitäten und verhindern die Herausbildung eines politischen Prozesses, der auf die Bewältigung politischer Sachfragen abzielt (AA 12.1.2019).
Am 12.5.2018 fanden im Irak Parlamentswahlen statt, die fünfte landesweite Wahl seit der Absetzung Saddam Husseins im Jahr 2003. Die Wahl war durch eine historisch niedrige Wahlbeteiligung und Betrugsvorwürfe gekennzeichnet, wobei es weniger Sicherheitsvorfälle gab als bei den Wahlen in den Vorjahren (ISW 24.5.2018). Aufgrund von Wahlbetrugsvorwürfen trat das Parlament erst Anfang September zusammen (ZO 2.10.2018).
Am 2.10.2018 wählte das neu zusammengetretene irakische Parlament den moderaten kurdischen Politiker Barham Salih von Patriotischen Union Kurdistans (PUK) zum Präsidenten des Irak (DW 2.10.2018; vgl. ZO 2.10.2018; KAS 5.10.2018). Dieser wiederum ernannte den schiitischen Politik-Veteranen Adel Abd al-Mahdi zum Premierminister und beauftragte ihn mit der Regierungsbildung (DW 2.10.2018). Nach langen Verhandlungsprozessen und zahlreichen Protesten wurden im Juni 2019 die letzten und sicherheitsrelevanten Ressorts Innere, Justiz und Verteidigung besetzt (GIZ 1.2020a).
Im November 2019 trat Premierminister Adel Abdul Mahdi als Folge der seit dem 1.10.2019 anhaltenden Massenproteste gegen die Korruption, den sinkenden Lebensstandard und den ausländischen Einfluss im Land, insbesondere durch den Iran, aber auch durch die Vereinigten Staaten (RFE/RL 24.12.2019; vgl. RFE/RL 6.2.2020). Präsident Barham Salih ernannte am 1.2.2020 Muhammad Tawfiq Allawi zum neuen Premierminister (RFE/RL 6.2.2020). Dieser scheiterte mit der Regierungsbildung und verkündete seinen Rücktritt (Standard 2.3.2020; vgl. Reuters 1.3.2020). Am 17.3.2020 wurde der als sekulär geltende Adnan al-Zurfi, ehemaliger Gouverneur von Najaf als neuer Premierminister designiert (Reuters 17.3.2020).
Im Dezember 2019 hat das irakische Parlament eine der Schlüsselforderung der Demonstranten umgesetzt und einem neuen Wahlgesetz zugestimmt (RFE/RL 24.12.2019; vgl. NYT 24.12.2019). Das neue Wahlgesetz sieht vor, dass zukünftig für Einzelpersonen statt für Parteienlisten gestimmt werden soll. Hierzu soll der Irak in Wahlbezirke eingeteilt werden. Unklar ist jedoch für diese Einteilung, wie viele Menschen in den jeweiligen Gebieten leben, da es seit über 20 Jahren keinen Zensus gegeben hat (NYT 24.12.2019).
Die nächsten Wahlen im Irak sind die Provinzwahlen am 20.4.2020, wobei es sich um die zweite Verschiebung des ursprünglichen Wahltermins vom 22.12.2018 handelt. Es ist unklar, ob die Wahl in allen Gouvernements des Irak stattfinden wird, insbesondere in jenen, die noch mit der Rückkehr von IDPs und dem Wiederaufbau der Infrastruktur zu kämpfen haben. Die irakischen Provinzwahlen umfassen nicht die Gouvernements Erbil, Sulaymaniyah, Duhok und Halabja, die alle Teil der KRI sind, die von ihrer eigenen Wahlkommission festgelegte Provinz- und Kommunalwahlen durchführt (Kurdistan24 17.6.2019).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020
- Al Jazeera (15.9.2018): Deadlock broken as Iraqi parliament elects speaker, https://www.aljazeera.com/news/2018/09/deadlock-broken-iraqi-parliament-elects-speaker-180915115434675.html, Zugriff 13.3.2020
- AW - Arab Weekly, The (4.12.2019): Confessional politics ensured Iran’s colonisation of Iraq, https://thearabweekly.com/confessional-politics-ensured-irans-colonisation-iraq, Zugriff 13.3.2020
- CIA - Central Intelligence Agency (28.2.2020): The World Factbook – Iraq, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/iz.html, Zugriff 13.3.2020
- DW - Deutsche Welle (2.10.2018): Iraqi parliament elects Kurdish moderate Barham Salih as new president, https://www.dw.com/en/iraqi-parliament-elects-kurdish-moderate-barham-salih-as-new-president/a-45733912, Zugriff 13.3.2020
- Fanack (2.9.2019): Governance & Politics of Iraq, https://fanack.com/iraq/governance-and-politics-of-iraq/, Zugriff 13.3.2020
- GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (1.2020a): Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/irak/geschichte-staat/, Zugriff 13.3.2020
- ISW - Institute for the Study of War (24.5.2018): Breaking Down Iraq's Election Results, http://www.understandingwar.org/backgrounder/breaking-down-iraqs-election-results, Zugriff 13.3.2020
- KAS - Konrad Adenauer Stiftung (5.10.2018): Politische Weichenstellungen in Bagdad und Wahlen in der Autonomen Region Kurdistan, https://www.kas.de/c/document_library/get_file?uuid=e646d401-329d-97e0-6217-69f08dbc782a&groupId=252038, Zugriff 13.3.2020
- KAS - Konrad Adenauer Stiftung (2.5.2018): Mapping the Major Political Organizations and Actors in Iraq since 2003, http://www.kas.de/wf/doc/kas_52295-1522-1-30.pdf?180501131459, Zugriff 13.3.2020
- Kurdistan24 (17.6.2019): Iraq's electoral commission postpones local elections until April 2020, https://www.kurdistan24.net/en/news/80728bf3-eb95-4e76-a30f-345cf9a48d3c, Zugriff 13.3.2020
- NYT - The New York Times (24.12.2019): Iraq’s New Election Law Draws Much Criticism and Few Cheers, https://www.nytimes.com/2019/12/24/world/middleeast/iraq-election-law.html, Zugriff 13.3.2020
- Reuters (17.3.2020): Little-known ex-governor Zurfi named as new Iraqi prime minister-designate, https://www.reuters.com/article/us-iraq-pm-designate/iraqi-president-salih-names-adnan-al-zurfi-as-new-prime-minister-designate-state-tv-says-idUSKBN21419J?il=0, Zugriff 17.3.2020
- Reuters (1.3.2020): Iraq's Allawi withdraws his candidacy for prime minister post: tweet, https://www.reuters.com/article/us-iraq-politics-primeminister/iraqs-allawi-withdraws-his-candidacy-for-prime-minister-post-tweet-idUSKBN20O2AD, Zugriff 13.3.2020
- RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (6.2.2020): Iraqi Protesters Clash With Sadr Backers In Deadly Najaf Standoff, https://www.ecoi.net/en/document/2024704.html, Zugriff 13.3.2020
- RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (24.12.2019): Iraqi Parliament Approves New Election Law, https://www.ecoi.net/de/dokument/2021836.html, Zugriff 13.3.2020
- RoI - Republic of Iraq (15.10.2005): Constitution of the Republic of Iraq, http://www.refworld.org/docid/454f50804.html, Zugriff 13.3.2020
- Standard, Der (2.3.2020): Designierter irakischer Premier Allawi bei Regierungsbildung gescheitert, https://www.derstandard.at/story/2000115222708/designierter-irakischer-premier-allawi-bei-regierungsbildung-gescheitert, Zugriff 13.3.2020
- ZO - Zeit Online (2.10.2018): Irak hat neuen Präsidenten gewählt, https://www.zeit.de/politik/ausland/2018-10/barham-salih-irak-praesident-wahl, Zugriff 13.3.2020
Sicherheitslage
Im Dezember 2017 erklärte die irakische Regierung den militärischen, territorialen Sieg über den Islamischen Staat (IS) (Reuters 9.12.2017; vgl. AI 26.2.2019). Die Sicherheitslage hat sich, seitdem verbessert (FH 4.3.2020). Ende 2018 befanden sich die irakischen Sicherheitskräfte (ISF) in der nominellen Kontrolle über alle vom IS befreiten Gebiete (USDOS 1.11.2019).
Derzeit ist es staatlichen Stellen nicht möglich, das Gewaltmonopol des Staates sicherzustellen. Insbesondere schiitische Milizen, aber auch sunnitische Stammesmilizen handeln eigenmächtig. Die im Kampf gegen den IS mobilisierten, zum Teil vom Iran unterstützten Milizen sind nur eingeschränkt durch die Regierung kontrollierbar und stellen eine potenziell erhebliche Bedrohung für die Bevölkerung dar. Durch die teilweise Einbindung der Milizen in staatliche Strukturen (zumindest formaler Oberbefehl des Ministerpräsidenten, Besoldung aus dem Staatshaushalt) verschwimmt die Unterscheidung zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren (AA 12.1.2019).
In der Wirtschaftsmetropole Basra im Süden des Landes können sich die staatlichen Ordnungskräfte häufig nicht gegen mächtige Stammesmilizen mit Verbindungen zur Organisierten Kriminalität durchsetzen. Auch in anderen Landesteilen ist eine Vielzahl von Gewalttaten mit rein kriminellem Hintergrund zu beobachten (AA 12.1.2019). Insbesondere in Bagdad kommt es zu Entführungen durch kriminelle Gruppen, die Lösegeld für die Freilassung ihrer Opfer fordern (FIS 6.2.2018). Die Zahl der Entführungen gegen Lösegeld zugunsten extremistischer Gruppen wie dem IS oder krimineller Banden ist zwischenzeitlich zurückgegangen (Diyaruna 5.2.2019), aber UNAMI berichtet, dass seit Beginn der Massenproteste vom 1.10.2019 fast täglich Demonstranten in Bagdad und im gesamten Süden des Irak verschwunden sind. Die Entführer werden als „Milizionäre“, „bewaffnete Organisationen“ und „Kriminelle“ bezeichnet (New Arab 12.12.2019).
Die zunehmenden Spannungen zwischen dem Iran und den USA stellen einen zusätzlichen, die innere Stabilität des Irak gefährdenden Einfluss dar (ACLED 2.10.2019a). Nach einem Angriff auf eine Basis der Volksmobilisierungskräfte (PMF) in Anbar, am 25. August (Al Jazeera 25.8.2019), erhob der irakische Premierminister Mahdi Ende September erstmals offiziell Anschuldigungen gegen Israel, für eine Reihe von Angriffen auf PMF-Basen seit Juli 2019 verantwortlich zu sein (ACLED 2.10.2019b; vgl. Reuters 30.9.2019). Raketeneinschläge in der Grünen Zone in Bagdad, nahe der US-amerikanischen Botschaft am 23. September 2019, werden andererseits pro-iranischen Milizen zugeschrieben, und im Zusammenhang mit den Spannungen zwischen den USA und dem Iran gesehen (ACLED 2.10.2019b; vgl. Al Jazeera 24.9.2019; Joel Wing 16.10.2019).
Als Reaktion auf die Ermordung des stellvertretenden Leiters der PMF-Kommission, Abu Mahdi Al-Muhandis, sowie des Kommandeurs der Quds-Einheiten des Korps der Islamischen Revolutionsgarden des Iran, Generalmajor Qassem Soleimani, durch einen Drohnenangriff der USA am 3.1.2020 (Al Monitor 23.2.2020; vgl. MEMO 21.2.2020; Joel Wing 15.1.2020) wurden mehrere US-Stützpunkte durch den Iran und PMF-Milizen mit Raketen und Mörsern beschossen (Joel Wing 15.1.2020).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020
- ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (2.10.2019a): Mid-Year Update: Ten Conflicts to Worry About in 2019, https://www.acleddata.com/2019/08/07/mid-year-update-ten-conflicts-to-worry-about-in-2019/, Zugriff 13.3.2020
- ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (2.10.2019b): Regional Overview – Middle East 2 October 2019, https://www.acleddata.com/2019/10/02/regional-overview-middle-east-2-october-2019/, Zugriff 13.3.2020
- AI - Amnesty International (26.2.2019): Human rights in the Middle East and North Africa: Review of 2018 - Iraq [MDE 14/9901/2019], https://www.ecoi.net/en/file/local/2003674/MDE1499012019ENGLISH.pdf, Zugriff 13.3.2020
- Al Jazeera (24.9.2019): Two rockets 'hit' near US embassy in Baghdad's Green Zone, https://www.aljazeera.com/news/2019/09/rockets-hit-embassy-baghdad-green-zone-190924052551906.html, Zugriff 13.3.2020
- Al Jazeera (25.8.2019): Iraq paramilitary: Israel behind drone attack near Syria border, https://www.aljazeera.com/news/2019/08/iraq-paramilitary-israel-drone-attack-syria-border-190825184711737.html, Zugriff 13.3.2020
- Al Monitor (23.2.2020): Iran struggles to regain control of post-Soleimani PMU, https://www.al-monitor.com/pulse/originals/2020/02/iraq-iran-soleimani-pmu.html, Zugriff 13.3.2020
- Diyaruna (5.2.2019): Baghdad sees steep decline in kidnappings, https://diyaruna.com/en_GB/articles/cnmi_di/features/2019/02/05/feature-02, Zugriff 13.3.2020
- FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Iraq, https://freedomhouse.org/country/iraq/freedom-world/2020, Zugriff 13.3.2020
- FIS - Finnish Immigration Service (6.2.2018): Finnish Immigration Service report: Security in Iraq variable but improving, https://yle.fi/uutiset/osasto/news/finnish_immigration_service_report_security_in_iraq_variable_but_improving/10061710, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (15.1.2020): Pro-Iran Hashd Continue Attacks Upon US Interests In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/01/pro-iran-hashd-continue-attacks-upon-us.html, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (16.10.2019): Islamic State Not Following Their Usual Pattern In Attacks In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/10/islamic-state-not-following-their-usual.html, Zugriff 13.3.2020
- MEMO - Middle East Monitor (21.1.2020): Iraq’s PMF appoints new deputy head as successor to Al-Muhandis, https://www.middleeastmonitor.com/20200221-iraqs-pmf-appoints-new-deputy-head-as-successor-to-al-muhandis/, Zugriff 13.3.2020
- New Arab, The (12.12.2019): 'We are not safe': UN urges accountability over spate of kidnappings, assassinations in Iraq, https://www.alaraby.co.uk/english/news/2019/12/11/un-urges-accountability-over-spate-of-iraq-kidnappings-assassinations, Zugriff 13.3.2020
- Reuters (9.12.2017): Iraq declares final victory over Islamic State, https://www.reuters.com/article/us-mideast-crisis-iraq-islamicstate/iraq-declares-final-victory-over-islamic-state-idUSKBN1E30B9, Zugriff 13.3.2020
- Reuters (30.9.2019): Iraqi PM says Israel is responsible for attacks on Iraqi militias: Al Jazeera, https://www.reuters.com/article/us-iraq-security/iraqi-pm-says-israel-is-responsible-for-attacks-on-iraqi-militias-al-jazeera-idUSKBN1WF1E5, Zugriff 13.3.2020
- USDOS - US Department of State (1.11.2019): Country Report on Terrorism 2018 - Chapter 1 - Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2019162.html, Zugriff 13.3.2020
Sicherheitsrelevante Vorfälle, Opferzahlen
Vom Irak-Experten Joel Wing wurden im Lauf des Monats November 2019 für den Gesamtirak 55 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 47 Toten und 98 Verletzten verzeichnet, wobei vier Vorfälle, Raketenbeschuss einer Militärbasis und der „Grünen Zone“ in Bagdad (Anm.: ein geschütztes Areal im Zentrum Bagdads, das irakische Regierungsgebäude und internationale Auslandvertretungen beherbergt), pro-iranischen Volksmobilisierungskräften (PMF) zugeschrieben werden (Joel Wing 2.12.2019). Im Dezember 2019 waren es 120 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 134 Toten und 133 Verletzten, wobei sechs dieser Vorfälle pro-iranischen Gruppen zugeschrieben werden, die gegen US-Militärlager oder gegen die Grüne Zone gerichtet waren (Joel Wing 6.1.2020). Im Jänner 2020 wurden 91 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 53 Toten und 139 Verletzten verzeichnet, wobei zwölf Vorfälle, Raketen- und Mörserbeschuss, pro-iranischen PMF, bzw. dem Iran zugeschrieben werden, während der Islamische Staat (IS) für die übrigen 79 verantwortlich gemacht wird (Joel Wing 3.2.2020). Im Febraur 2020 waren es 85 Vorfälle, von denen drei auf pro-iranischen PMF zurückzuführen sind (Joel Wing 5.3.2020).
Der Rückgang an Vorfällen mit IS-Bezug Ende 2019 wird mit den Anti-Regierungsprotesten in Zusammenhang gesehen, da der IS bereits in den vorangegangenen Jahren seine Angriffe während solcher Proteste reduziert hat. Schließlich verstärkte der IS seine Angriffe wieder (Joel Wing 3.2.2020).
Die folgende Grafik von ACCORD zeigt im linken Bild, die Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle mit mindestens einem Todesopfer im vierten Quartal 2019, nach Gouvernements aufgeschlüsselt. Auf der rechten Karte ist die Zahl der Todesopfer im Irak, im vierten Quartal 2019, nach Gouvernements aufgeschlüsselt, dargestellt (ACCORD 26.2.2020).
(ACCORD 26.2.2020)
Die folgenden Grafiken von Iraq Body Count (IBC) stellen die von IBC im Irak dokumentierten zivilen Todesopfer dar. Seit Februar 2017 sind nur vorläufige Zahlen (in grau) verfügbar. Das erste Diagramm stellt die von IBC dokumentierten zivilen Todesopfer im Irak seit 2003 dar (pro Monat jeweils ein Balken) (IBC 2.2020).
(IBC 2.2020)
Die zweite Tabelle gibt die Zahlen selbst an. Laut Tabelle dokumentierte IBC im Oktober 2019 361 zivile Todesopfer im Irak, im November 274 und im Dezember 215, was jeweils einer Steigerung im Vergleich zum Vergleichszeitraum des Vorjahres entspricht. Im Jänner 2020 wurden 114 zivile Todesopfer verzeichnet, was diesen Trend im Vergleich zum Vorjahr wieder umdrehte (IBC 2.2020).
(IBC 2.2020)
Quellen:
- ACCORD (26.2.2020): Irak, 4. Quartal 2018: Kurzübersicht über Vorfälle aus dem Armed Conflict Location & Event Data Project (ACLED), https://www.ecoi.net/en/file/local/2025321/2018q4Iraq_de.pdf, Zugriff 13.3.2020
- IBC - Iraq Bodycount (2.2020): Monthly civilian deaths from violence, 2003 onwards, https://www.iraqbodycount.org/database/, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (5.3.2020): Violence Largely Unchanged In Iraq In February 2020, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/03/violence-largely-unchanged-in-iraq-in.html, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (3.2.2020): Violence Continues Its Up And Down Pattern In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/02/violence-continues-its-up-and-down.html, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (6.1.2020): Islamic State Makes Its Return In December 2019, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/01/islamic-state-makes-its-return-in.html, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (2.12.2019): Islamic State Waits Out The Protests In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/12/islamic-state-waits-out-protests-in-iraq.html, Zugriff 13.3.2020
Sicherheitslage Bagdad
Das Gouvernement Bagdad ist das kleinste und am dichtesten bevölkerte Gouvernement des Irak mit einer Bevölkerung von mehr als sieben Millionen Menschen. Die Mehrheit der Einwohner Bagdads sind Schiiten. In der Vergangenheit umfasste die Hauptstadt viele gemischte schiitische, sunnitische und christliche Viertel, der Bürgerkrieg von 2006-2007 veränderte jedoch die demografische Verteilung in der Stadt und führte zu einer Verringerung der sozialen Durchmischung sowie zum Entstehen von zunehmend homogenen Vierteln. Viele Sunniten flohen aus der Stadt, um der Bedrohung durch schiitische Milizen zu entkommen. Die Sicherheit des Gouvernements wird sowohl vom „Baghdad Operations Command“ kontrolliert, der seine Mitglieder aus der Armee, der Polizei und dem Geheimdienst bezieht, als auch von den schiitischen Milizen, die als stärker werdend beschrieben werden (OFPRA 10.11.2017).
Entscheidend für das Verständnis der Sicherheitslage Bagdads und der umliegenden Gebiete sind sechs mehrheitlich sunnitische Regionen (Latifiya, Taji, al-Mushahada, al-Tarmia, Arab Jibor und al-Mada'in), die die Hauptstadt von Norden, Westen und Südwesten umgeben und den sogenannten „Bagdader Gürtel“ (Baghdad Belts) bilden (Al Monitor 11.3.2016). Der Bagdader Gürtel besteht aus Wohn-, Agrar- und Industriegebieten sowie einem Netz aus Straßen, Wasserwegen und anderen Verbindungslinien, die in einem Umkreis von etwa 30 bis 50 km um die Stadt Bagdad liegen und die Hauptstadt mit dem Rest des Irak verbinden. Der Bagdader Gürtel umfasst, beginnend im Norden und im Uhrzeigersinn die Städte: Taji, Tarmiyah, Baqubah, Buhriz, Besmaja und Nahrwan, Salman Pak, Mahmudiyah, Sadr al-Yusufiyah, Fallujah und Karmah und wird in die Quadranten Nordosten, Südosten, Südwesten und Nordwesten unterteilt (ISW 2008).
Fast alle Aktivitäten des Islamischen Staate (IS) im Gouvernement Bagdad betreffen die Peripherie der Hauptstadt, den „Bagdader Gürtel“ im äußeren Norden, Süden und Westen (Joel Wing 5.8.2019; vgl. Joel Wing 16.10.2019; Joel Wing 6.1.2020; Joel Wing 5.3.2020), doch der IS versucht seine Aktivitäten in Bagdad wieder zu erhöhen (Joel Wing 5.8.2019). Die Bestrebungen des IS, wieder in der Hauptstadt Fuß zu fassen, sind Ende 2019 im Zuge der Massenproteste ins Stocken geraten, scheinen aber mittlerweile wieder aufgenommen zu werden (Joel Wing 3.2.2020; vgl. Joel Wing 5.3.2020).
Dabei wurden am 7. und 16.9.2019 jeweils fünf Vorfälle mit „Unkonventionellen Spreng- und Brandvorrichtungen“ (IEDs) in der Stadt Bagdad selbst verzeichnet (Joel Wing 16.10.2019). Seit November 2019 setzt der IS Motorrad-Bomben in Bagdad ein. Zuletzt detonierten am 8. und am 22.2.2020 jeweils fünf IEDs in der Stadt Bagdad (Joel Wing 5.3.2020).
Für den Zeitraum von November 2019 bis Jänner 2020 wurden im Gouvernement Bagdad 60 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 42 Toten und 61 Verletzten verzeichnet (Joel Wing 2.12.2019; vgl. Joel Wing 6.1.2020; Joel Wing 3.2.2020), im Februar 2020 waren es 25 Vorfälle mit zehn Toten und 35 Verletzten (Joel Wing 5.3.2020). Die meisten dieser sicherheitsrelevanten Vorfälle werden dem IS zugeordnet, jedoch wurden im Dezember 2019 drei dieser Vorfälle pro-iranischen Milizen der Volksmobilisierungskräfte (PMF) zugeschrieben, ebenso wie neun Vorfälle im Jänner 2020 und ein weiterer im Februar (Joel Wing 6.1.2020; vgl Joel Wing 5.3.2020)
Die Ermordung des iranischen Generals Suleimani und des stellvertretenden Kommandeurs der PMF, Abu Muhandis, durch die USA führte unter anderem in der Stadt Bagdad zu einer Reihe von Vergeltungsschlägen durch pro-iranische PMF-Einheiten. Es wurden neun Raketen und Mörserangriffe verzeichnet, die beispielsweise gegen die Grüne Zone und die darin befindliche US-Botschaft sowie das Militärlager Camp Taji gerichtet waren (Joel Wing 3.2.2020).
Seit 1.10.2019 kommt es in mehreren Gouvernements, darunter auch in Bagdad, zu teils gewalttätigen Demonstrationen.
Quellen:
- Al Monitor (11.3.2016): The rise of Islamic State sleeper cells in Baghdad, https://www.al-monitor.com/pulse/originals/2016/03/iraq-baghdad-belts-harbor-islamic-state.html, Zugriff 13.3.2020
- ISW - Institute for the Study of War (2008): Baghdad Belts, http://www.understandingwar.org/region/baghdad-belts, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (5.3.2020): Violence Largely Unchanged In Iraq In February 2020, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/03/violence-largely-unchanged-in-iraq-in.html, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (3.2.2020): Violence Continues Its Up And Down Pattern In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/02/violence-continues-its-up-and-down.html, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (6.1.2020): Islamic State Makes Its Return In December 2019, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/01/islamic-state-makes-its-return-in.html, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (2.12.2019): Islamic State Waits Out The Protests In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/12/islamic-state-waits-out-protests-in-iraq.html, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (16.10.2019): Islamic State Not Following Their Usual Pattern In Attacks In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/10/islamic-state-not-following-their-usual.html, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (5.8.2019): Islamic State’s Offensive Could Be Winding Down, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/08/islamic-states-offensive-could-be.html, Zugriff 13.3.2020
- OFPRA - Office Français de Protection des Réfugiés et Apatrides (10.11.2017): The Security situation in Baghdad Governorate, https://www.ofpra.gouv.fr/sites/default/files/atoms/files/39_irq_security_situation_in_baghdad.pdf, Zugriff 13.3.2020
Im Einklang mit der allgemeinen Verbesserung der Sicherheitslage im Jahr 2018 und im bisherigen Jahr 2019 wird auch über Bagdad berichtet, dass sich die Sicherheitslage dort weitgehend stabilisiert hat. Über das Jahr 2018 hinweg blieben Überreste von ISIS in den Vororten von Bagdad („Bagdad-Gürtel“) aktiv und starteten gelegentliche USBV-Angriffe auf zivile Ziele. Es wird jedoch berichtet, dass die Fähigkeit von ISIS, Großanschläge mit hohen Opferzahlen durchzuführen, signifikant zurückgegangen ist. Anfang 2019 wurde berichtet, dass ISIS sich weitgehend zurückgezogen hat, während die ISF ihre Kontrolle über den „Bagdad-Gürtel“ verstärkte, wodurch die Sicherheitsvorfälle noch weiter abnahmen. Jedoch soll ISIS im April 2019 versucht haben, seine Stützzone in den südwestlichen Gegenden des Bagdad-Gürtels auszudehnen. Während es in den vergangenen Jahren Berichte über fast tägliche Entführungen aus politischen Gründen oder gegen Lösegeld gab, wurde für das Jahr 2018 und Anfang 2019 diesbezüglich von einem Rückgang berichtet. In Bagdad ereignen sich nach wie vor Fälle gezielter Tötungen hochrangiger Persönlichkeiten statt.
Im Lichte dieser Indikatoren schließt EASO, dass im Gouvernement Bagdad willkürliche Gewalt auf keinem so hohen Grad vorkommt und höherer individuelle Elemente vorliegen müssen, um substanzielle Gründe annehmen zu können, dass eine Zivilperson, die in diese Gegend zurückkehrt, einem realen Risiko eines ernsten Schadens iSd Art 15 (c) der Statusrichtlinie begegnet. Die Grundversorgung mit Lebensmitteln, Wasser, Strom, Gütern des täglichen Bedarfs und medizinischer Versorgung ist in Bagdad gesichert, wobei rund die Hälfte der Bewohner Bagdads gut und eine weitere Hälfte ausreichend versorgt ist. Ca 1 % der Bevölkerung in Bagdad ist nicht ausreichend versorgt (EASO, socio-economic indicators). Hieraus ist – im Einklang mit der aktuellen Sicherheitslage und der diese nicht einbeziehende, auf der Entwicklung im Irak bis 2018 aufbauenden Einschätzung des UNHCR zur Möglichkeit, wieder in Bagdad selbst ohne familiären Rückhalt Fuß fassen zu können – abzuleiten, dass eine Rückkehr von Personen, die keine besonderen Vulnerabilitäten aufweisen und noch über familiäre Anknüpfungspunkte verfügen, keine Verletzung der in Art 2 und 3 EMRK und dem 6. und 13. ZPEMRK gewährleisteten Rechte zu befürchten haben. Ebensowenig besteht ein reales Risiko als Zivilperson Opfer von Gewalt aufgrund eines innerstaatlichen oder zwischenstaatlichen Konfliktes zu werden. Aufgrund der durch die COVID-19 Pandemie hervorgerufenen Überforderung des Gesundheitswesens und der mit der Bekämpfung der Pandemie einhergehenden Probleme, insbesondere der Schwierigkeiten gegenwärtig einen Arbeitsplatz zu finden und der mit der COVID-19-Pandemie zusammenhängenden Problematik für Rückkehrer im Zusammenhang mit Unsicherheiten in der Ernährungslage, die jedoch nicht derart sind, dass eine nicht einer COVID-19-Risikogruppe angehörende Person, die nach Irak zurückkehrt, in eine ausweglose Lage geraten würde und daher eine Verletzung der in Art 2 und 3 EMRK geschützten Rechte nicht droht.
Quellen:
- UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus dem Irak fliehen: https://www.unhcr.org/dach/wp-content/uploads/sites/27/2020/01/Schutzerw%C3%A4gungen-Irak-2019-korrigiert.pdf, S 23f sowie S 141, Zugriff 02.07.2020
- EASO; EASO-Leitlinien zum Irak (Verfolger; Flüchtlingsstatus; subsidiärer Schutz; staatlicher Schutz; interne Schutzalternative; Ausschlussgründe), https://www.ecoi.net/en/file/local/2045437/Country_Guidance_Iraq_2021.pdf; Zugriff 15.04.2021;
- EASO-Bericht zur Sicherheitslage (jüngste Konflikte; interne Spannungen; türkisches und iranisches Eindringen; bewaffnete Akteure; staatliche Fähigkeit, Recht und Ordnung zu sichern; Auswirkungen der Gewalt auf die Zivilbevölkerung; Lage nach Region / Gouvernement)https://www.ecoi.net/en/file/local/2040056/10_2020_EASO_COI_Report_Iraq_Security_situation.pdf; Zugriff 15.04.2021
Rechtsschutz/Justizwesen:
Die irakische Gerichtsbarkeit besteht aus dem Obersten Justizrat, dem Obersten Gerichtshof, dem Kassationsgericht, der Staatsanwaltschaft, der Justizaufsichtskommission, dem Zentralen Strafgericht und anderen föderalen Gerichten mit jeweils eigenen Kompetenzen (Fanack 2.9.2019). Das Oberste Bundesgericht erfüllt die Funktion eines Verfassungsgerichts (AA 12.1.2019).
Die Verfassung garantiert die Unabhängigkeit der Justiz (Stanford 2013; vgl. AA 12.1.2019; USDOS 11.3.2020). Jedoch schränken bestimmte gesetzliche Bestimmungen die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Justiz ein (USDOS 11.3.2020). Die Rechtsprechung ist in der Praxis von einem Mangel an kompetenten Richtern, Staatsanwälten sowie Justizbeamten gekennzeichnet. Eine Reihe von Urteilen lassen auf politische Einflussnahme schließen. Hohe Richter werden oftmals auch unter politischen Gesichtspunkten ausgewählt (AA 12.1.2019). Zudem ist die Justiz von Korruption, politischem Druck, Stammeskräften und religiösen Interessen beeinflusst. Aufgrund von Misstrauen gegenüber Gerichten oder fehlendem Zugang wenden sich viele Iraker an Stammesinstitutionen, um Streitigkeiten beizulegen, selbst wenn es sich um schwere Verbrechen handelt (FH 4.3.2020).
Eine Verfolgung von Straftaten findet nur unzureichend statt (AA 12.1.2019). Strafverfahren sind zutiefst mangelhaft. Willkürliche Verhaftungen, einschließlich Verhaftungen ohne Haftbefehl, sind üblich (FH 4.3.2020). Eine rechtsstaatliche Tradition gibt es nicht. Häufig werden übermäßig hohe Strafen verhängt. Obwohl nach irakischem Strafprozessrecht Untersuchungshäftlinge binnen 24 Stunden einem Untersuchungsrichter vorgeführt werden müssen, wird diese Frist nicht immer respektiert und zuweilen auf 30 Tage ausgedehnt. Es gibt häufig Fälle überlanger Untersuchungshaft, ohne dass die Betroffenen, wie vom irakischen Gesetz vorgesehen, einem Richter oder Staatsanwalt vorgeführt würden. Freilassungen erfolgen mitunter nur gegen Bestechungszahlungen. Insbesondere Sunniten beschweren sich über „schiitische Siegerjustiz“ und einseitige Anwendung der bestehenden Gesetze zu ihren Lasten. Das seit 2004 geltende Notstandsgesetz ermöglicht der Regierung Festnahmen und Durchsuchungen unter erleichterten Bedingungen (AA 12.1.2019).
Korruption oder Einschüchterung beeinflussen Berichten zufolge einige Richter in Strafsachen auf der Prozessebene und bei der Berufung vor dem Kassationsgericht. Zahlreiche Drohungen und Morde durch konfessionelle, extremistische und kriminelle Elemente oder Stämme beeinträchtigten die Unabhängigkeit der Justiz. Richter, Anwälte und ihre Familienangehörigen sind häufig mit Morddrohungen und Angriffen konfrontiert (USDOS 11.3.2020; vgl. AI 26.2.2019). Nicht nur Richter, sondern auch Anwälte, können dem Druck einflussreicher Personen, z.B. der Stämme, ausgesetzt sein. Dazu kommt noch Überlastung. Ein Untersuchungsrichter kann beispielsweise die Verantwortung über ein Gebiet von einer Million Menschen haben, was sich negativ auf die Rechtsstaatlichkeit auswirkt (LIFOS 8.5.2014).
Die Verfassung garantiert das Recht auf einen fairen und öffentlichen Prozess für alle Bürger (USDOS 11.3.2020) und das Recht auf Rechtsbeistand für alle verhafteten Personen (CEDAW 30.9.2019; vgl. HRW 14.1.2020). Dennoch verabsäumen es Beamte routinemäßig, Angeklagte unverzüglich oder d