Entscheidungsdatum
20.07.2021Norm
AsylG 2005 §11Spruch
W150 2162054-1/26E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. KLEIN als Einzelrichter über die Beschwerde von Herrn XXXX , geb. XXXX 1957, StA. Syrien, gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 16.05.2017, Zl. XXXX , nach Durchführung zweier mündlicher Verhandlungen am 19.12.2018 sowie am 19.03.2021, zu Recht:
A)
Der Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt I. gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG in Verbindung mit § 3 Abs. 1 AsylG 2005 stattgegeben und XXXX der Status der Asylberechtigten zuerkannt.
Gemäß § 3 Abs. 5 leg. cit. wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt. Gemäß § 3 Abs. 4 leg. cit kommt XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als Asylberechtigter für drei Jahre zu.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer (in weiterer Folge auch: „BF“) hat am 28.11.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt, der nach Durchführung eines Ermittlungsverfahrens mit im Spruch bezeichneten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (in weiterer Folge auch: „BFA“) vom 16.05.2017, zugestellt am 18.05.2017, hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen, dem aber hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten stattgegeben wurde.
2. Gegen diesen Bescheid wurde mit am 12.06.2017 bei der erstinstanzlichen Behörde eingebrachtem Schriftsatz Beschwerde erhoben; selbiges Rechtsmittel wurde mit den relevanten Verwaltungsakten am 21.06.2017 dem Bundesverwaltungsgericht (in weiterer Folge auch: „BVwG“) vorgelegt und der nunmehr zuständigen Gerichtsabteilung zugewiesen.
3. Am 19.12.2018 wurde vor dem BVwG eine mündliche Verhandlung durchgeführt und aufgrund deren Ergebnisse durch Beschluss ein Gutachten durch einen Facharzt für Gerichtsmedizin in Auftrag gegeben.
4. Der zunächst bestellte Gutachter teilte dem BVwG am 06.10.2020 mit, dass er aus fachlichen Gründen dieses nicht erstatten könne.
5. Mit Beschluss vom 27.11.2020 wurde ein Facharzt für Unfallchirurgie mit der Gutachtenserstellung beauftragt. Dieses mit 05.02.2021 datierte Gutachten langte am 25.02.2021 beim BVwG ein.
6. Am 19.03.2021 wurde eine weitere mündliche Verhandlung durchgeführt, bei der die Parteien unter anderem mit dem Ergebnis des Gutachtens konfrontiert wurden. Im Zuge der Verhandlung legte der BF erstmals eine Haftentlassungsbestätigung aus Syrien vor.
7. Das oben unter Punkt 6. erwähnte Dokument wurde dem Bundeskriminalamt zur Überprüfung übermittelt.
8. Am 05.05.2021 wurde das Untersuchungsergebnis vom 04.05.2021 bezüglich des oben unter Punkt 6. erwähnten Dokumentes vom Bundeskriminalamt dem BVwG übermittelt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Der BF ist ein volljähriger syrischer Staatsangehöriger, dessen Identität feststeht und der in Österreich unbescholten ist.
1.2. Ursprünglich in der Stadt XXXX geboren und aufgewachsen, lebte der Beschwerdeführer bis zu seiner Ausreise auch weiterhin in seinem Geburtsort. Genannte Stadt befindet sich nach wie vor in der Hand des syrischen Regimes.
Der BF hat Syrien rechtswidrig verlassen, er ist nicht im Besitz eines syrischen Reisepasses verfügt aber demgegenüber über diverse andere Personaldokumente, wie etwa einen syrischen Personalausweis, einen syrischen Führerschein sowie ein syrisches Militärbuch.
Bereits in der Vergangenheit mehrfach willkürlich inhaftiert und gefoltert, hat dieser Syrien illegal und ohne Erlaubnis der zuständigen Behörden verlassen, da er Angst hatte, neuerlich festgenommen und lediglich gegen Zahlung hoher Lösegeldforderungen wieder freigelassen zu werden.
In weiterer Folge reisten seine damalige – zwischenzeitlich geschiedene – Ehegattin, welche zusammen mit dem gemeinsamen minderjährigen Sohn im Familienverfahren befindet, dem Beschwerdeführer ins Bundesgebiet hinterher.
Der BF könnte nur über die Grenzübergänge zum Libanon oder über den Flughafen von DAMASKUS sicher und legal nach Syrien in die Stadt XXXX zurückkehren. Die genannten Grenzübergänge und der Flughafen von DAMASKUS befinden sich weiterhin in der Hand der syrischen Regierung. Es besteht das reale Risiko, wonach der Beschwerdeführer diesfalls am jeweils frequentierten Grenzübergang verhaftet und zumindest einer mit Folter verbundenen mehrtägigen Anhaltung zugeführt wird, da man diesen als illegal ausgereisten Syrer, der bereits mehrfach willkürlich festgenommen und inhaftiert war, eine potentielle oppositionelle politische Gesinnung unterstellen würde. Selbiges gilt sinngemäß für den Flughafen von DAMASKUS.
1.3. Asylausschluss- oder -endigungsgründe wurden seitens des BF nicht verwirklicht.
2. Beweiswürdigung:
Beweis wurde erhoben durch:
- Einsichtnahme in den Verwaltungsakt, insbesondere in das Protokoll der Erstbefragung vom 29.11.2015, der niederschriftlichen Einvernahme vom 20.01.2017, den angefochtenen Bescheid sowie in die Beschwerde vom 12.06.2017;
- Einsichtnahme in die vom Beschwerdeführer im gesamten Verfahren vorgelegten Urkunden;
- Fachärztliches Gutachten eines Facharztes für Unfallchirurgie vom 07.02.2021
- Ergebnis der kriminalpolizeilichen Untersuchung durch das Bundeskriminalamt vom 04.05.2021 bezüglich einer vom BF vorgelegten syrischen Haftentlassungsbestätigung
- Einvernahme des BF am 19.12.2018 und am 19.03.2021;
- Einsicht in das Strafregister.
2.1. Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:
Die Feststellungen zu 1.1. ergeben sich aus den Aussagen des BF; die zweifelsfreien Feststellungen zu dessen Identität ergeben sich aus den als Beweismittel im Verfahren präsentierten unbedenklichen Personaldokumenten. Die Unbescholtenheit ergibt sich aus der in das Verfahren eingeführten Strafregisterauskunft.
2.2. Zu den Feststellungen zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers:
Hinsichtlich der Feststellungen, wo konkret sich der BF in Syrien aufgehalten hat, ist auf dessen glaubwürdige Aussage zu verweisen, der auch das BFA nicht entgegengetreten ist.
Die Behauptung, derzufolge der Beschwerdeführer nie im Besitz eines Reisepasses war, wurde von ihm glaubhaft, weil im Verfahren gleichbleibend, dargelegt.
In Bezug auf die ins Treffen geführten wiederholten Inhaftierungen und Folterungen ist auf die in diesem Kontext vorgelegten Dokumente sowie die fachärztliche Stellungnahme zu verweisen; wenngleich eine definitive Bestätigung der vorgebrachten Verletzungsursachen ebensowenig wie eine zweifelsfreie Verifizierung der präsentierten Haftbestätigung seitens der kriminaltechnischen Analyseabteilung nicht gelang, so konnte in beiden Fällen auch nicht der angegebene Geschehnisablauf respektive der Verletzungshergang zweifelsfrei widerlegt werden. In Kombination mit den zu selbigen Themenkreisen glaubhaft und weitgehend widerspruchsfrei erstatteten Aussagen des BF werden die entsprechenden Beweismittel beziehungsweise Gutachten daher als glaubwürdigkeitserhöhend qualifiziert und wurden diese seitens der belangten Behörde auch nicht substantiell in Zweifel gezogen.
Über welche Grenzübergänge der Beschwerdeführer nach Syrien in die Stadt XXXX zurückkehren könnte, ergibt sich aus den Länderberichten; ebenso ergeben sich die mit hinreichender Wahrscheinlichkeit bestehenden Folgen der Rückkehr aus den Länderberichten, insbesondere aus dem Abschnitt über die Rückkehr (hinsichtlich der Relevanz von unterstellten politischen Gesinnungen und der Folgen der Rückkehr als illegal ausgereister Syrer).
2.3. Die Feststellungen zu 1.3. ergeben sich aus dem Umstand, dass keinerlei Hinweise auf das Vorliegen von Asylausschluss- oder -endigungsgründen zu sehen sind.
3. Rechtliche Beurteilung:
Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Zu A)
3.1. Gemäß § 3 AsylG 2005 ist Asylwerbern auf Antrag der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft gemacht wurde, dass diesen im Herkunftsstaat – dies ist im vorliegenden Fall gemäß § 2 Abs. 1 Z 17 AsylG 2005 zweifellos Syrien – Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK, droht und dem Fremden keine innerstaatliche Fluchtalternative gemäß § 11 AsylG 2005 offen steht und dieser auch keinen Asylausschlussgrund gemäß § 6 AsylG 2005 gesetzt hat.
3.2. Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK, droht einer Person, die sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb des Herkunftsstaates befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; ebenso droht entsprechende Verfolgung einer Person, die staatenlos ist und sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes ihres gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in den Herkunftsstaat zurückzukehren. Es ist auszuführen, dass § 3 Abs. 1 AsylG 2005 auf den Flüchtlingsbegriff (drohende Verfolgung im Herkunftsstaat) im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z. 2 GFK verweist. Danach ist entscheidend, ob glaubhaft ist, dass den Fremden in ihrem Herkunftsstaat Verfolgung droht. Dies ist dann der Fall, wenn sich eine mit Vernunft begabte Person in der konkreten Situation der Asylwerber unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat fürchten würde (VwGH 24.06.2010, 2007/01/1199). Weiters setzt die Annahme einer begründeten Furcht vor Verfolgung nicht voraus, dass der Asylwerber vor seiner Ausreise eine individuell gegen ihn gerichtete Verfolgungshandlung bereits erlitten haben müsste oder ihm zumindest eine solche bereits konkret angedroht worden wäre; eine derartige Befürchtung ist auch dann gerechtfertigt, wenn die Verhältnisse im Heimatland des Asylwerbers dergestalt sind, dass die Angst vor der vorgebrachten, drohenden Verfolgung objektiv nachvollziehbar ist (siehe VwGH 25.01.1996, 95/19/0008, wenn auch zum AsylG 1991 jedoch unter Bezugnahme auf den Flüchtlingsbegriff der GFK).
Der Beschwerdeführer würde im Falle seiner Rückkehr nach Syrien mit hinreichender Wahrscheinlichkeit im Rahmen der Einreise über einen vom Regime kontrollierten Grenzübergang wegen seiner rechtswidrigen Ausreise genauer überprüft werden. Dabei würde mit hinreichender Wahrscheinlichkeit festgestellt werden, demzufolge selbiger bereits in der Vergangenheit mehrfach inhaftiert war. Daher besteht die hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass man den Beschwerdeführer festnehmen, diesen wegen der illegalen Ausreise sowie wegen der ob genannten Haftstrafen eine oppositionelle politische Gesinnung unterstellen und diesen zumindest für einige Tage anhalten, befragen und im Rahmen dieser Anhaltung abermals der Folter unterwerfen würde.
Daher liegt eine dem Beschwerdeführer objektiv drohende asylrelevante Verfolgung vor.
3.3. Die rechtskräftige Gewährung von subsidiärem Schutz durch das BFA steht mangels einer diesbezüglichen relevanten Änderung der Rechts- oder Tatsachenlage einer Prüfung einer innerstaatlichen Fluchtalternative entgegen (VwGH 23.11.2016, Ra 2016/18/0054).
3.4. Da darüber hinaus keine vom BF verwirklichte Asylausschluss- oder -endigungsgründe festzustellen sind, ist der Beschwerde stattzugeben, dem Beschwerdeführer der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen und auszusprechen, dass diesem somit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
Gemäß § 3 Abs. 4 AsylG kommt dem BF damit eine auf drei Jahre befristete Aufenthaltsberechtigung als Asylberechtigter zu.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Die hier anzuwendenden Regelungen erweisen sich als klar und eindeutig (vgl. dazu auch OGH 22.3.1992, 5 Ob 105/90; vgl. zur Unzulässigkeit der Revision bei eindeutiger Rechtslage trotz fehlender Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes etwa VwGH 28.05.2014, Ro 2014/07/0053).
Die Abweisung der Beschwerde ergeht in Anlehnung an die zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den maßgeblichen Bestimmungen des Asylgesetzes 2005, in der jeweiligen Fassung.
Schlagworte
Asyl auf Zeit Asylgewährung asylrechtlich relevante Verfolgung Asylverfahren befristete Aufenthaltsberechtigung begründete Furcht vor Verfolgung Bürgerkrieg Fluchtgründe Flüchtlingseigenschaft Folter Folterspuren Glaubhaftmachung Glaubwürdigkeit Gutachten illegale Ausreise inländische Schutzalternative innerstaatliche Fluchtalternative mündliche Verhandlung politische Gesinnung Sachverständigengutachten unterstellte politische Gesinnung Verfolgungsgefahr Verfolgungshandlung wohlbegründete FurchtEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:W150.2162054.1.00Im RIS seit
22.10.2021Zuletzt aktualisiert am
22.10.2021