TE Bvwg Erkenntnis 2021/8/12 I415 2204641-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 12.08.2021
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Entscheidungsdatum

12.08.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §54 Abs1 Z1
AsylG 2005 §54 Abs2
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §55 Abs1 Z1
AsylG 2005 §55 Abs1 Z2
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58 Abs1 Z2
AsylG 2005 §58 Abs11
AsylG 2005 §58 Abs2
AsylG 2005 §58 Abs7
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §9 Abs2
BFA-VG §9 Abs3
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50
FPG §52
FPG §55 Abs2
IntG §9
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §27
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


I415 2204641-1/19E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Hannes LÄSSER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX (alias XXXX ), geb. XXXX , StA. IRAK, vertreten durch die BBU Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, gegen den Bescheid des BFA RD XXXX Außenstelle XXXX ( XXXX ) vom 19.07.2018, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 02.08.2021, zu Recht erkannt:

A)

I.       Die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. bis III. des angefochtenen Bescheides wird als unbegründet abgewiesen.

II.      Den Beschwerden gegen die Spruchpunkte IV. bis VI. des angefochtenen Bescheides wird stattgegeben, diese werden behoben und festgestellt, dass gemäß § 9 Abs. 2 und 3 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist.

III.     XXXX (alias XXXX ) wird gemäß §§ 54, 55 Abs. 1 Z 1 und Z 2 und 58 Abs. 2 Asylgesetz 2005 der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus“ für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.

B)


Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1.       Der Beschwerdeführer (im Folgenden BF), ein irakischer Staatsangehöriger, reiste illegal ins Bundesgebiet ein und stellte mit Datum 12.09.2015 vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes einen Antrag auf internationalen Schutz.

2.       Am selben Tag wurde der BF hinsichtlich seines Antrages auf internationalen Schutz vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt. Dabei führte der BF im Wesentlichen hinsichtlich seiner Fluchtgründe aus, es gäbe keine Sicherheit und keine Zukunft in seinem Land und er fürchte um sein Leben. Weitere Fluchtgründe brachte der BF nicht vor.

3.       Mit Schriftsatz vom 21.10.2016, eingelangt beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: belangte Behörde oder BFA) am 25.10.2016, brachte der BF in einer Stellungnahme vor, dass er bei der Erstbefragung vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes nicht ausreichend Zeit gehabt habe, sämtliche Fluchtgründe darzulegen. Zusätzlich gab er an, er sei von schiitischen Milizen bedroht worden, da er nicht nach den islamischen Regeln lebe. Er habe einen Drohbrief erhalten und sein Vater sei von den schiitischen Milizen durch eine Schusswaffe verletzt worden, zudem habe man sich bereits mehrmals nach dem BF und seinem Bruder erkundigt. Im Irak würde man dem BF Abfall vom Islam vorwerfen. Er habe keinerlei Schutz durch den irakischen Staat, da die Milizen von der Regierung unterstützt werden.

3.       Am 22.02.2018 erfolgte die niederschriftliche Einvernahme des BF vor der belangten Behörde. Befragt nach seinen Flucht- und Asylgründen führte der BF im Wesentlichen aus, er habe im Irak aufgrund seiner Glaubenseinstellung als Sunnit ein Leben führen müssen, welches er nicht wollte. Er habe in einem Viertel gelebt, welches vornehmlich von schiitischen Milizen besetzt war. Von der Al Mahdi Armee sei er zwei Mal auf der Straße mitgenommen worden und habe er ein Dokument unterschreiben müssen, dass er die Al Mahdi Armee respektiere und er sich verhalten würde, wie man es von ihm verlange. Auch sei er und seine Familie von diesen geschlagen worden. Nun wolle er keiner Religion mehr zugehörig sein und in einem freien Land leben.

4.       Am 01.03.2018 nahm der BF Stellung zum Landesinformationsblatt vom Irak und gab an, es drohe ihm Gefahr im Falle einer Rückkehr in seine Heimat von frommen Moslem und Extremisten. Seine Familie sei streng gläubig, weshalb sein Verhalten eine Verletzung der Familienehre darstelle. Deshalb drohe ihm ein Ehrenmord sowie eine Verfolgungsgefahr. Zusätzlich brachte er ein Schriftstück der BH XXXX ein, in welchem sein Austritt aus der islamischen Glaubensgemeinschaft mit 01.03.2018 bestätigt wurde.
4.         Mit Bescheid vom 19.07.2018, Zl. XXXX , wies die belangte Behörde den Antrag des BF auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und des Status des Subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) ab und erteilte sie ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.). Sie erließ über den BF eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.), erklärte seine Abschiebung in den Irak für zulässig (Spruchpunkt V.) und gewährte ihm eine Frist für seine freiwillige Ausreise von 14 Tagen (Spruchpunkt VI.).

5.       Gegen den Bescheid erhob der BF mit Schriftsatz vom 14.08.2018 fristgerecht Beschwerde und gab im Wesentlichen an, er habe immer wieder Probleme mit schiitischen Milizen gehabt, nachdem er Atheist geworden sei. Er habe mit seiner Familie darüber sprechen wollen, doch diese hätten ihn verstoßen. Dies sei der Grund gewesen, weshalb der BF seine Heimat schlussendlich verlassen habe.

6.       Mit Schriftsatz vom 27.08.2018, beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt am 30.08.2018, legte die belangte Behörde dem Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde samt Verwaltungsakt vor.

7.        Mit Beschluss des Geschäftsverteilungsausschusses vom 25.09.2018 wurde die gegenständliche Rechtsache der Gerichtsabteilung L504 des Bundesverwaltungsgerichtes abgenommen und der Gerichtsabteilung I415 neu zugewiesen.

8.       Mit Beschluss vom 15.11.2018, GZ XXXX , wurde das Asylverfahren nach § 24 Abs 2 AsylG 2005 eingestellt. Mit Schriftsatz vom 11.02.2019 wurde der Antrag auf Fortsetzung des Verfahrens eingebracht.

9.       Am 02.08.2021 wurde vor dem Bundesverwaltungsgericht, Außenstelle Innsbruck, eine mündliche Beschwerdeverhandlung in Anwesenheit des BF, seiner Rechtsvertretung und eines Dolmetschers für die arabische Sprache abgehalten. Ein Vertreter der belangten Behörde ist nicht erschienen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die unter Punkt I. getroffenen Ausführungen werden als entscheidungswesentlicher Sachverhalt festgestellt. Darüber hinaus werden folgende weitere Feststellungen getroffen:

1.1.    Zu der Person des Beschwerdeführers:

Der BF führt den im Spruch angeführten Namen, ist irakischer Staatangehöriger, ledig, kinderlos, Angehöriger der Volksgruppe der Araber und wurde als sunnitischer Moslem erzogen und sozialisiert. Die Identität des BF steht fest.

Der BF sieht sich mittlerweile selbst als Atheist. Den Lehren des Islam – insbesondere religiösen Verhaltensvorschriften bzw. Verboten – steht der BF kritisch gegenüber.

Der BF ist ein körperlich gesunder, arbeitsfähiger Mann, stammt aus Bagdad und verfügt über eine Schulbildung mit Matura, sowie einen Universitätsabschluss in XXXX . Er verfügt über Berufserfahrung in verschiedenen Bereichen und arbeitete zuletzt als Buchhalter bei einer Mobilfunk-Firma.

Bis zu seiner Ausreise im August 2015 lebte der BF in seinem Familienhaus in Bagdad. Von dort aus reiste der BF per Flugzeug in die Türkei, weiter mit dem Bus nach Marmaris und von dort schlepperunterstützt nach Symi/Griechenland, von wo aus er mit einer Fähre nach Athen gelangte. Von dort aus reiste er über Mazedonien, Serbien und Ungarn bis er schließlich nach Österreich gelangte. Er reiste illegal ins Bundesgebiet ein und stellte schließlich am 12.09.2015 vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes einen Antrag auf internationalen Schutz. Seither ist der BF, bis zu einer Unterbrechung vom 11.09.2018 bis zum 10.02.2019, durchgehend in Österreich aufhältig und seit 22.09.2015 melderechtlich erfasst.

In seiner Heimat leben nach wie vor die Eltern, die drei Brüder und die drei Schwestern des BF. Den Verwandten des BF im Irak geht es soweit gut. Der BF hat regelmäßig Kontakt mit seinen Eltern, zwischendurch auch mit seinen Geschwistern, wobei dieser Kontakt auf Höflichkeiten beschränkt ist. Der BF spricht arabisch und verfügt über Kenntnisse der englischen, persischen, kurdischen und deutschen Sprache.

Der BF war von 18.07.2017 bis 31.07.2017, von 25.08.2017 bis 31.08.2017 und von 17.05.2019 bis 31.05.2019 als geringfügig Beschäftigter bei W.K. und ist seit 02.07.2021 in Vollzeit bei W.P. als Arbeiter tätig, wobei er netto knapp € 1.300,- ins Verdienen bringt.

Der Beschwerdeführer ist alleinstehend und hat in Österreich keine familiären Anknüpfungspunkte und er lebt in keiner Beziehung oder Lebensgemeinschaft. Er pflegt normale soziale Kontakte zu seinem Freundeskreis und ist für keine Person im Bundesgebiet sorgepflichtig.

Der BF verfügt über Deutschkenntnisse auf dem Sprachniveau B1 und legte diesbezüglich auch eine Deutschsprachprüfung ab. Der BF ging in Österreich zahlreichen ehrenamtlichen und gemeinnützigen Tätigkeiten nach, so war er etwa beim XXXX und drei Gemeinden tätig. Er hat einen Erste-Hilfe-Kurs besucht. Der BF konnte zudem diverse Unterstützungsschreiben zur Vorlage bringen.

Zwei ehrenamtliche Helfer im Asylheim attestierte dem BF Hilfsbereitschaft, Kontaktfreudigkeit und Kameradschaftlichkeit. Des Weiteren bescheinigten sie ihm bereits 2018 die Deutschprüfung B1 bestanden zu haben und ehrenamtlich sowohl bei drei Gemeinden und beim XXXX tätig gewesen zu sein. Weitere Unterstützer attestieren ihm Engagement, Kommunikationsfreude, Herzlichkeit, Freundlichkeit, Hilfsbereitschaft, Sozialkompetenz, den Willen zur Integration und zum kulturellen Austausch sowie Bemühen beim Erlernen der deutschen Sprache. Ein vereinsmäßiges Engagement des BF ist nicht feststellbar.

Insgesamt liegen maßgebliche Anhaltspunkte für eine Integration des BF in Österreich in sprachlicher, beruflicher und gesellschaftlicher Hinsicht vor.

Der BF ist strafrechtlich unbescholten.

1.2. Zu den Fluchtmotiven des Beschwerdeführers:

Der BF führte zu den Gründen für das Verlassen seines Herkunftsstaates insbesondere aus, er habe den Irak verlassen, weil ihm Verfolgung aufgrund seiner religiösen Zugehörigkeit drohe, da er Atheist sei und dies sowohl gegenüber den schiitischen Milizen sowie seiner Familie zu einer Bedrohung für ihn führen könnte. Weitere Gründe für das Verlassen des Herkunftsstaates wurden nicht vorgebracht.

Der BF war vor der Ausreise aus seiner Heimat in dieser keiner aktuellen sowie unmittelbaren persönlichen und konkreten Verfolgung, Bedrohung oder sonstigen Gefährdung ausgesetzt. Im Falle seiner Rückkehr dorthin wäre er mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keiner solchen aktuellen sowie unmittelbaren persönlichen und konkreten Verfolgung, Bedrohung oder sonstigen Gefährdung ausgesetzt.

Der BF selbst gab bei der Erstbefragung vor einer Landespolizeidirektion am 12.09.2015 zunächst an, dem sunnitischen Islam anzugehören. Erst in seiner Stellungnahme vom 21.10.2016 führte er an, er übe den sunnitischen Glauben nicht aus und wolle nicht nach den islamischen Regeln leben. Ihm würde der Abfall vom Islam in seiner Heimat vorgeworfen werden. Vor dem BFA am 22.02.2018 bezeichnet er sich erstmals selbst als Atheist. Er zeigte seinen Austritt aus der islamischen Glaubensgemeinschaft bei der BH XXXX am 01.03.2018 an. Der BF hat aus innerer Überzeugung und als identitätsstiftendes Merkmal seine Religionszugehörigkeit aufgegeben und abgelegt. Ihm droht im Irak jedoch nicht die Gefahr aufgrund eines Abfalls vom Islam physischer und/oder psychischer Gewalt ausgesetzt zu sein.

Der BF war im Irak nicht politisch tätig und hatte weder mit den Behörden des Herkunftsstaates noch sonst Schwierigkeiten aufgrund seiner politischen Überzeugung, seiner Volksgruppenzugehörigkeit (Araber), seiner Religionszugehörigkeit oder sonstige Probleme zu gewärtigen. Der BF hatte außerdem vor seiner Ausreise keine Schwierigkeiten mit Behörden, Gerichten oder Sicherheitskräften seines Herkunftsstaates zu gewärtigen.

Der BF war vor seiner Ausreise keiner individuellen Gefährdung oder psychischer und/oder physischer Gewalt durch staatliche Organe oder durch Dritte aufgrund seiner religiösen Anschauungen ausgesetzt und wird im Falle einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat auch keiner mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eintretenden individuellen Gefährdung oder psychischer und/oder physischer Gewalt aufgrund seiner religiösen Anschauungen ausgesetzt sein.

Es kann nicht festgestellt werden, dass dem BF im Falle einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat die Todesstrafe droht. Ebenso kann keine anderweitige individuelle Gefährdung des BF festgestellt werden, insbesondere im Hinblick auf eine drohende unmenschliche Behandlung, Folter oder Strafe sowie kriegerische Ereignisse oder extremistische Anschläge im Irak.

Ein konkreter Anlass für das (fluchtartige) Verlassen des Herkunftsstaates im August 2015 konnte nicht festgestellt werden. Auch sonstige Gründe, die einer Rückkehr oder Rückführung (Abschiebung) in den Herkunftsstaat allenfalls entgegenstehen würden, konnten nicht festgestellt werden.

Er wird im Falle seiner Rückkehr in den Irak mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keiner wie auch immer gearteten existentiellen Bedrohung ausgesetzt sein. Weder wird ihm seine Lebensgrundlage gänzlich entzogen, noch besteht für ihn die reale Gefahr einer ernsthaften Bedrohung seines Lebens oder seiner Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes.

1.3. Zur Lage im Herkunftsland Irak:

Zur Lage von Atheisten, säkular eingestellten Personen und Personen, die sich vom Islam abgewandt haben, werden folgende Feststellungen getroffen:

Das Europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen (European Asylum Support Office, EASO) gibt in einer Mitschrift eines Herkunftsländertreffens bezüglich Irak vom Juli 2017 die Aussage von Mark Lattimer, dem Leiter der Initiative Ceasefire Centre for Civilian Rights zum Thema Atheismus im Irak wieder. Laut Lattimer seien im Irak junge Menschen einer Reihe von Einflüssen ausgesetzt und es gebe auch eine Menge älterer Leute, die nicht religiös seien. Nur weil das Land immer stärker konfessionell geprägt sei, bedeute dies nicht notwendigerweise, dass alle Menschen religiöser würden. Es gebe eine starke kommunistische Strömung mit einer säkularen Einstellung im Irak, die immer noch stark in der irakischen Zivilgesellschaft verankert sei. Religion werde unterschiedlich stark praktiziert, dies heiße jedoch nicht, dass es leicht sei, sich als Atheist zu identifizieren, und nur selten geschehe so etwas öffentlich. Manchmal würden Personen angeben, sie seien Muslime, würden sich aber im Privaten als Atheisten definieren.

Die in den USA ansässige Online-Zeitung Al-Monitor berichtet in mehreren Artikeln über Atheismus im Irak. In einem älteren Artikel vom März 2013 wird die Auffassung vertreten, dass der Atheismus im Irak tiefgehende historische Wurzeln habe, seine Verbreitung in allen gesellschaftlichen Gruppen und Altersgruppen allerdings neu sei. Zusätzlich zum Atheismus gebe es Personen, die sich als Agnostiker bezeichnen würden, und solche, die gewisse religiöse Erscheinungsformen oder Überzeugungen kritisieren würden, ohne den allgemeinen Rahmen der Religiosität zu verlassen. Al-Monitor habe sich mit einer Reihe von nicht gläubigen Personen getroffen, um über ihre Forderungen zu erfahren. Unter anderem hätten sie die Notwendigkeit einer rechtlichen und sozialen Anerkennung ihrer Existenz, einer Richtigstellung des Bildes, das die Gesellschaft von ihnen habe, sowie einer Gewährleistung öffentlicher Freiheiten betont. Die vorherrschende gesellschaftliche Meinung sei, dass es sich bei ihnen um moralisch verdorbene Personen oder Agenten ausländischer Gruppen wie den Zionisten oder Freimaurern („Masons“) handle. Es sei notwendig, Atheisten, Agnostiker und Säkularisten vor religiösem Fundamentalismus zu schützen. Atheisten, Agnostiker und Säkularisten wären als Gruppe nicht anerkannt und es gebe keine irakischen oder internationalen Einrichtungen, die sie schützen oder verteidigen würden.

In einem Artikel vom 06.04.2014 wird ebenfalls dargelegt, dass der Atheismus im Irak tiefe historische Wurzeln bis ins 9. Jahrhundert habe. Neu sei jedoch die breite und umfassende Verbreitung durch alle Gesellschafts- und Altersklassen. Während es Atheismus ein „elitäres Phänomen“ gewesen sei, das auf Intellektuelle und Gelehrte beschränkt war, sei es heutzutage ein allumfassendes Phänomen und nehme immer mehr zu. Der Artikel stellt fest, dass einer der möglichen Gründe dafür der religiöse Extremismus sein könnte, der in den letzten zwei Jahrzehnten im Irak präsent sei sowie die Auswirkungen von Religiosität auf das tägliche Leben sowie seinen autoritären Einfluss auf die Gesellschaft. Es gebe neben Atheisten auch jene Iraker, die sich als Agnostiker und nicht als vollwertige Atheisten bezeichnen. Darüber hinaus gebe es auch eine große Anzahl von Menschen, die bestimmte religiöse Manifestationen oder Glaubensvorstellungen kritisieren, jedoch den allgemeinen Rahmen der Religiosität nicht aufgeben. Viele von ihnen wären Absolventen religiöser Schulen. Al-Monitor stellt jedoch fest, dass das Phänomen (Atheismus und Agnostizismus) nicht auf junge Menschen beschränkt ist.

Im Jahr 2017 berichtet Al-Monitor in einem weiteren Artikel vom 22.06.2017, dass islamische Bewegungen im Irak in den letzten Wochen ihre gegen Atheismus gerichtete Rhetorik intensiviert hätten, Iraker über die Verbreitung des Phänomens gewarnt und von einer Notwendigkeit gesprochen hätten, Atheisten entgegenzutreten. Die islamischen Bewegungen und Parteien seien besorgt, dass die öffentliche Stimmung sich gegen sie richten und sich dies wiederum auf die Wahlen auswirken könne, die für Ende 2017/Anfang 2018 angesetzt seien. Ammar al-Hakim, der Führer des zumeist schiitischen Parteienbündnisses Irakische Nationalallianz, das die große Mehrheit im Parlament und in der Regierung stelle, habe gegen die Verbreitung des Atheismus gewarnt. Er rufe dazu auf, diesen fremden atheistischen Ideen mit gutem Denken zu konfrontieren und den Unterstützern solchen Gedankengutes mit einer „eisernen Faust“ entgegenzutreten, indem man die Methoden offenlege, mit denen sie ihre Ideen propagieren würden. Hakims Aufruf richte sich gegen die irakische Verfassung, die Glaubensfreiheit und freie Meinungsäußerung garantiere sowie Anstiftung gegen Andere und Zwang, eine bestimmte Glaubensrichtung zu übernehmen oder abzulehnen, kriminalisiere. Während des Ramadan hätten religiöse Predigten in schiitischen Städten im Zentral- und Südirak die Verbreitung säkularer und atheistischer Ideen angegriffen, da diese als Bedrohung der irakischen Gesellschaft aufgefasst würden. Wer die fundamentalen Glaubensvorstellungen des Islam und / oder die Grundprinzipien von Religion im Allgemeinen in Frage stellen würde, würde von der Gesellschaft geächtet.

Al-Monitor berichtet weiter zum Phänomen Atheismus im Irak, dass ein bekannter Buchladen in Bagdad eine steigende Anzahl junger Leute verzeichnet habe, die Bücher über Atheismus kaufen würden. Selbst in der heiligen Stadt Najaf und innerhalb religiöser schiitischer Einrichtungen habe Al-Monitor mit mehreren religiösen Studenten gesprochen, die nicht nur damit begonnen hätten, die grundsätzlichen Bekenntnisse des Islam in Frage zu stellen, sondern sogar die grundsätzlichen Prinzipien von Religion im Allgemeinen. Diese Studenten würden unverzüglich von der Gesellschaft ausgeschlossen, wenn sie ihre Auffassungen offen kundtun würden. Der Menschenrechtsaktivist, Autor und Satiriker Faisal al-Mutar habe al-Monitor gegenüber berichtet, dass Atheisten im Irak unter schwierigen Umständen leben würden, da die Regierung mehrheitlich aus islamischen Parteien bestehe und islamisch geprägte Milizen die Gesellschaft kontrollieren würden. Laut Faisal, der irakischen Atheisten auf sozialen Medien folgen würde, sei die Anzahl von Atheisten in verschiedenen Regionen des Irak steigend. Er habe vor kurzem die Organisation Ideas Beyond Borders gegründet, die irakische Atheisten verteidige und ihnen helfe, sich zu organisieren und ihre Rechte einzufordern. Viele (eine genaue Anzahl wird nicht genannt) Atheisten seien aufgrund von Schikanen und Drohungen gezwungen gewesen, aus dem Irak zu fliehen.

In einem Artikel vom 01.04.2018 berichtet Al-Monitor, dass Aussagen über die Dimension Atheismus im Irak sei aufgrund von Missverständnissen über das Konzept schwierig wären. Viele Kleriker, die den islamischen politischen Parteien nahestehen, setzen den Säkularismus mit dem Atheismus gleich. Andere Geistliche würden den Standpunkt einnehmen, dass liberale und kommunistische Ideen inhärent antireligiös sind und lehren würden, dass Gott nicht existiert. Nach dem gleichen Artikel haben gegen Atheismus gerichtet Aktivitäten starke politische Verbindungen zu islamischen Parteien, die den Irak seit 2003 regieren. Einer Gallup-Studie zufolge waren im Jahr 2012 88% der Iraker religiös. In einem von PRI (Public Radio International, ein in Minneapolis beheimatetes Non-Profit-Netzwerk von weltweiten öffentlich-rechtlichen Sendern) am 17. Januar 2018 veröffentlichten Artikel heißt es, dass Atheismus im Irak eher selten vertreten ist, die Zahl der Atheisten jedoch steigt.

Einem Artikel im Atlantic vom Juli 2018 zufolge nimmt unter den Jugendlichen im Irak die Säkularisierung zu. Buchhandlungen, Cafés und Facebook bieten Foren, in denen säkulare Ideen diskutiert werden. Der Artikel erwähnt Facebook-Gruppen mit Tausenden von Mitgliedern.

Senyar, eine Online-Zeitschrift für Kultur und Unterhaltung aus den Vereinigten Arabischen Emiraten, berichtet im März 2015 über die Mutanabbi-Straße in Bagdad, die als Kulturzentrum bekannt sei und in der man allerlei Bücher mit sensiblem Inhalt kaufen könne, darunter auch die Werke des britischen Atheisten Richard Dawkins oder „Die Satanischen Verse“ des Schriftstellers Salman Rushdie. Der Artikel erwähnt, dass zur Zeit der Veröffentlichung des Artikels die meisten strenggläubigen Strafverfolgungsbeamten, die normalerweise den Bücher- und Alkoholverkäufern hinterherjagen würden, an der Front gegen den Islamischen Staat kämpfen würden. Daher gebe es weniger Aufsicht von offizieller Seite. Wie es scheine, seien die Behörden stärker darauf bedacht, Bücher und Websites zu verbieten, die die konfessionellen Spaltungen anheizen würden, als Atheisten zu verfolgen.

Die Religion News Service (RNS) berichtet im Dezember 2013, dass es laut Abdul Sattar Jawad, einem Gastprofessor an der Duke University (USA) und Experten für Nahost-Studien, falsch, anzunehmen, dass es im Nahen Osten eine weit verbreitete Verfolgung nicht religiöser Menschen gebe. Obwohl es religiöse Führer gebe, die nicht gläubige Menschen hassen oder ablehnen würden, werde die meiste Gewalt von „Extremisten“ verübt. Atheismus könne toleriert werden, wenn man sich nicht gegen die herrschenden Familien, Parteien, aufwiegelnden Geistlichen, Politiker und despotischen Herrscher und Regierungen stelle.

Die irakische Nachrichtenwebsite The Baghdad Post schreibt im Jänner 2017, dass laut Angaben von Experten die Anzahl junger irakischer Männer und Frauen, die sich dem Atheismus zuwenden würden, steige. Sie würden meist aus einem intellektuellen Milieu kommen und ihre radikalen Meinungen auf sozialen Medien verbreiten. Dort würden sie Gott, sowie den Propheten Mohammed und seine Familie angreifen. Das Phänomen des Atheismus habe soziale und intellektuelle Gründe, so The Baghdad Post weiters. Laut Experten habe sich der Atheismus ausgebreitet, da sunnitische und schiitische Politiker und Milizen die Religion missbraucht hätten, um mehr Anhänger zu gewinnen.

Die in saudischem Besitz befindliche, in London herausgegebene Onlinezeitung Elaph schreibt im August 2017, dass sich in den letzten Jahren das Phänomen des Atheismus insbesondere unter jungen Leuten im Irak ausgebreitet habe. Dies sei auf die Korruption in der Regierung und die Verbreitung von Technologie in allen Bereichen des Lebens zurückzuführen. Andere würden das Phänomen hingegen nicht als einen „echten Atheismus“, sondern viel mehr als eine Reaktion auf religiöse politische Parteien deuten. Der Autor des Artikels, der aus Bagdad berichtet, habe sich schließlich mit jemandem, der sich als Atheist bezeichne und weder an Gott noch die Propheten glaube, in einem Café getroffen. Weit entfernt von allen anderen Cafébesuchern habe der Atheist begonnen, von seiner Überzeugung zu erzählen und davon, wie er vor Jahren Zweifel an der Existenz Gottes bekommen habe und diese dann durch das Töten bestätigt worden sei, das gerade im Irak vorherrsche. Ein Bettler, der das Café betreten habe, habe laut zum Gebet aufgerufen. Der Atheist habe laut hörbar den Ruf mit der gebräuchlichen Antwort erwidert.

Die Wochenzeitung The Arab Weekly, die in den USA, in Großbritannien und in den Vereinigten Arabischen Emiraten gedruckt wird, schreibt in einem Artikel vom 20.7.2019, dass Atheisten im Irak eine wachsende Minderheit sind, die sich nicht mehr im politischen Abseits befindet und zunehmend am Radar des Staates aufscheint. Die zunehmende Prävalenz von Atheismus und Agnostizismus zeigt einen Wandel der öffentlichen Meinung. Im Irak könne ein öffentliches Bekenntnis zum Atheismus oder Unglaube an den Islam jedoch ein Todesurteil sein. Es erscheinen immer mehr Aussagen/Erfahrungsberichte von mutigen Frauen dazu online, die sich der Zensur entgegenstellen.

Über die Lage einzelner Atheisten geben nachstehende Berichte Aufschluss:

Die US-amerikanische Tageszeitung The Washington Times veröffentlichte im August 2017 einen Artikel über die Lage von Atheisten in der arabischen Welt. Sie berichtet unter anderem über Lara Ahmed, eine Studentin an der Universität Babylon (Provinz Babil), die ein Kopftuch trage und sich wie eine Muslimin verhalte, jedoch Atheistin sei. Sie wage es nicht, ihre Ansichten mit Fremden zu teilen. Es sei auch schwierig, im Südirak kein Kopftuch zu tragen, und die wenigen Frauen, die sich kein Kopftuch anziehen würden, würden laufend schikaniert. Viele Atheisten in der arabischen Welt würden angeben, sich weniger davor zu fürchten, für ihre Ansichten bestraft zu werden, als von gewaltsamen konfessionellen Gruppen, die die politische Unterstützung der Gläubigen suchen würden, angegriffen zu werden. Osama Dakhel, ein 21-jähriger Student der bildenden Künste in Bagdad, berichtet wie seine atheistischen Freunde sich zunächst ausgiebig mit dem Islam befasst, dann die Werke islamischer Reformatoren gelesen und sich schließlich mit Atheisten online ausgetauscht und so zu ihrer atheistischen Weltanschauung gekommen seien.

Khaleej Online berichtet in einem Artikel vom November 2016 über den 26-jährigen Hussein al-Nujaifi, der, obwohl er aus einer muslimischen Familie stamme, nun der atheistischen Strömung angehöre. Hussein habe vor drei Jahren sein Studium beendet und arbeite nun in einem Büro in Bagdad. Laut ihm seien „die Gläubigen“ für das Töten und die Zerstörung verantwortlich, die es seit 2003 im Land gebe. Hussein und viele andere Leute, so Al-Khaleej Online, seien davon überzeugt, dass der Irak von einer Gruppe Geistlicher kontrolliert werde, die das Töten Unschuldiger und die Zerstörung des Landes unterstützen würden. Für gebildete junge Leute stelle der Atheismus eine Art Zuflucht für ihre Ambitionen dar, da sie nach Frieden suchen würden und davon ausgehen würden, dass die Klasse von Politikern, die islamischen Gremien vorstehen und religiöse Predigten halten würden, diesen verloren hätten.

Ahmad al-Dschumaili, ein Maler, habe al-Khaleej Online gesagt, dass Atheismus für ihn die Rettung vor der „Brutalität der Extremisten“ sei, jedoch sei es für eine Person nicht leicht, sich zu ihrem Atheismus zu bekennen, dies gelte insbesondere in den Gebieten, in denen Einheiten der Volksmobilisierung Kontrolle ausüben würden. Dort, so al-Dschumaili, würden solche Personen bestimmt getötet.

Dschamal al-Bahadli, ein Atheist der auf sozialen Medien offen über seine Auffassungen spreche, hat gegenüber Al-Monitor angegeben dass er Todesdrohungen von schiitischen Milizen in Bagdad erhalten habe, was ihn 2015 dazu veranlasst habe, nach Deutschland zu emigrieren.

Die schwedische non-profit Organisation und Medienplattform Your Middle East berichtet in einem Beitrag zum Thema Atheismus im Irak vom Februar 2014 über einen irakischen Aktivisten, dessen Mission es sei, seine Freunde und andere junge Menschen über Atheismus aufzuklären. Der Aktivist, der sich den Namen Omar al-Baghdadi gegeben habe, lebe in einem zumeist von Sunniten bewohnten Viertel in Bagdad. Seine Freunde und Eltern wüssten, dass er Atheist sei. In einer 2011 veröffentlichten Umfrage der nicht mehr existenten kurdischen Nachrichtenagentur AKnews seien irakische Bürger befragt worden, ob sie an Gott glauben würden. Vier Prozent hätten mit „wahrscheinlich nicht“ und sieben Prozent mit „Nein“ geantwortet. Laut Nawaf Al-Kaabi, einem Studenten aus Basra, könne die Zahl der Atheisten 2014 noch weit höher liegen. Junge Iraker seien des religiösen Extremismus und der Politiker überdrüssig, die für die konfessionellen Spaltungen im Land verantwortlich seien. Sie würden reisen, lesen, Fernsehen und Internet nutzen; durch die vielen verfügbaren Informationen seien sie daher zunehmend der Religion gegenüber skeptisch eingestellt. Al-Kaabi stimme jedoch auch zu, dass viele Atheisten im Irak, wenn sie offen über ihre Auffassungen sprechen würden, einer Gefahr durch Extremisten und Milizen, die in Verbindung mit religiösen Gruppen stehen würden, ausgesetzt sein könnten.

Eine irakische Biologin aus Kerbala berichtete dem bereits zitierten Artikel der Wochenzeitung TheArab Weekly zufolge davon, von ihren Brüdern verprügelt worden zu sein, weil sie Zweifel an ihrem Glauben geäußert hatte. Sie wurde dann unter Polizeischutz gestellt.

Zur Rechtslage wird berichtet, dass die Verfassung der Republik Irak besagt, dass der Islam die offizielle Religion des Staates ist und dass kein Gesetz, das dem Islam widerspricht, erlassen werden kann. Die Verfassung sieht vor, dass „jeder Einzelne die Freiheit des Denkens, des Gewissens und des Glaubens“ (Artikel 42) hat, und garantiert „die vollen religiösen Rechte aller Menschen auf Glaubensfreiheit und Religionsfreiheit wie Christen, Yeziden und Saba-Mandäer“ (Artikel 2) und sieht vor, dass alle Iraker vor dem Gesetz gleich sind und nicht aufgrund der Religion oder der Weltanschauung diskriminiert werden dürfen.

Atheismus ist im Irak nicht unter Strafe gestellt. Nach Artikel 372 des irakischen Strafgesetzbuches 1969 ist jedoch die Beleidigung einer Religion bzw. einer Religionsgemeinschaft oder ihrer Praktiken, oder die öffentliche Beleidigung eines Symbols oder einer Person, die Gegenstand der Heiligung, des Gottesdienstes oder des Gottesdienstes ist, strafbar und wird mit einer Freiheitsstrafe von höchstens drei Jahren oder einer Geldstrafe von bis zu 300 irakischen Dinar bestraft.

Einer Quelle zufolge kann der Straftatbestand der Religionsbeleidigung von Behörden in der Praxis auch gegen Atheisten eingesetzt werden. Als Beispiel dafür wie die Ausstellung von Haftbefehlen gegen vier Personen im Distrikt Garraf (Provinz Dhi Qar) angeführt. Den Personen wurde vorgeworfen, „Seminare während geselliger Treffen abzuhalten, um die Idee von der Nichtexistenz Gottes zu verbreiten und den Atheismus zu verbreiten und zu popularisieren“. Die Ankündigung löste eine heftige Reaktion in den Medien und sozialen Netzwerken aus, da viele Iraker der Meinung sind, dies würde die Rechte des irakischen Volkes verletzen, dessen Verfassung ihnen Glaubens- und Meinungsfreiheit garantiert. Andere Beobachter haben die politischen Aspekte dieser Aktion betont. Von den vier Personen wurde nur eine Person festgenommen. Ein Analyst kritisierte die Erlassung der Haftbefehle als gesetzwidrig. Medienberichten zufolge wurde eine Person in der Folge erstinstanzlich zu einer einjährigen Haftstrafe verurteilt, ob das Urteil in Rechtskraft erwuchs bzw. vollzogene wurde, kann nicht festgestellt werden.

Weitere Berichte in Medien betreffen Ahmad Sherwan, einen 16-jährigen Schüler aus Erbil, der im Jahr 2014 behauptete, er sei von der kurdischen Polizei gefoltert worden, weil er sich zum Atheisten erklärt habe. Er behauptete, er sei zu Hause verhaftet worden, nachdem sein Vater ihn als Atheist der Polizei gemeldet hatte. Laut seiner Aussage wurde er auf der Polizeiwache Azadi in Erbil und anschließend im Strafgefängnis Erbil gefoltert, wo er nach 13 Tagen gegen eine Sicherheitsleistung freigelassen wurde. Sherwan erklärte auch, dass er während seiner Haft von einem Sozialarbeiter und einem Richter beleidigt und bedroht wurde. Der Richter, der ihn schließlich gegen Kaution freiließ, nannte ihn angeblich einen „Ungläubigen“. Die Polizei von Erbil erklärte, dass der Jugendliche festgenommen worden sei, bestritt jedoch, dass er gefoltert worden sei. Weitere Informationen zu einem späteren Gerichtsverfahren konnten nicht gefunden werden.

Der Buchhändler Ihsan Mousa wurde Medienberichten zufolge Ende 2018 bei einer Razzia der Polizei in seiner Buchhandlung verhaftet. In einer offiziellen Erklärung wurde mitgeteilt, dass Mousa wegen „des Versuchs der Förderung und Verbreitung des Atheismus" angeklagt sei. Die Gemeinde habe sich daraufhin sich hinter Mousa gestellt. Der irakische Schriftsteller Ahmad al-Saadawi kritisierte die Verhaftung und die sich daraus entwickelnde Diskussion als „trivial und dumm" und fügte hinzu, dass „die Behörden versuchen, durch die Einführung einer Kultur der Prävention und Kontrolle Legitimität aufzubauen". Das Klima der Zensur im Irak, wie der Fall Mousa unterstreicht, erklärt die Existenz eines weitläufigen, frei denkenden Online-Netzwerks von Atheisten. Mousa wurde in der Folge nach dem Versprechen freigelassen, „beleidigende Bücher“ nicht mehr zu verkaufen.

Zu allfälligen Einschränkungen für Atheisten beim Zugang zu Bildung, Gesundheitsversorgung und zum Arbeitsmarkt liegen keine Erkenntnisse vor.

Quellen:

- European Asylum Support Office: Treatment of atheists in Iraq, 11.04.2018

- ACCORD: Anfragebeantwortung zum Irak: Bagdad: Berichte über Verfolgungshandlungen gegen Atheisten und gegen Personen, die sich in der Öffentlichkeit islamkritisch zeigen, 18.09.2017

- Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 13.12.2018 betreffen Probleme durch westliches Auftreten in Basra

- EASO Country of Origin Information Report Iraq, Gezielte Gewalt gegen Individuen, März 2019

- Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 01.10.2019 betreffend Verfolgungshandlungen gegenüber Atheisten im Irak

Zur aktuellen Lage im Irak werden schließlich folgende (allgemeinen) Feststellungen unter Heranziehung der abgekürzt zitierten und gegenüber dem BF offengelegten Quellen getroffen:

Die aktuelle Situation im Herkunftsstaat (Stand 17.03.2020) des BF stellt sich im Wesentlichen wie folgt dar:

1.3.1 Politische Lage

Die politische Landschaft des Irak hat sich seit dem Sturz Saddam Husseins im Jahr 2003 enorm verändert (KAS 2.5.2018) und es wurde ein neues politisches System im Irak eingeführt (Fanack 2.9.2019). Gemäß der Verfassung vom 15.10.2005 ist der Irak ein islamischer, demokratischer, föderaler und parlamentarisch-republikanischer Staat (AA 12.1.2019; vgl. GIZ 1.2020a; Fanack 2.9.2019), der aus 18 Gouvernements (muhafaz?t) besteht (Fanack 2.9.2019). Artikel 47 der Verfassung sieht eine Gewaltenteilung zwischen Exekutive, Legislative und Judikative vor (RoI 15.10.2005). Die Kurdische Region im Irak (KRI) ist Teil der Bundesrepublik Irak und besteht aus den drei nördlichen Gouvernements Dohuk, Erbil und Sulaymaniyah. Sie wird von einer Regionalverwaltung, der kurdischen Regionalregierung (Kurdistan Regional Government, KRG), verwaltet und verfügt über eigene Streitkräfte (Fanack 2.9.2019). Beherrschende Themenblöcke der irakischen Innenpolitik sind Sicherheit, Wiederaufbau und Grundversorgung, Korruptionsbekämpfung und Ressourcenverteilung, die systemisch miteinander verknüpft sind (GIZ 1.2020a).

An der Spitze der Exekutive steht der irakische Präsident, der auch das Staatsoberhaupt ist. Der Präsident wird mit einer Zweidrittelmehrheit des irakischen Parlaments (majlis al-nuww?b, engl.: Council of Representatives, dt.: Repräsentantenrat) für eine Amtszeit von vier Jahren gewählt und kann einmal wiedergewählt werden. Er genehmigt Gesetze, die vom Parlament verabschiedet werden. Der Präsident wird von zwei Vizepräsidenten unterstützt, mit denen er den Präsidialrat bildet, welcher einstimmige Entscheidungen trifft (Fanack 2.9.2019).

Der Premierminister wird vom Präsidenten designiert und vom Parlament bestätigt (Fanack 2.9.2019; vgl. RoI 15.10.2005). Der Premierminister führt den Vorsitz im Ministerrat und leitet damit die tägliche Politik und ist auch Oberbefehlshaber der Streitkräfte (Fanack 27.9.2018).

Die gesetzgebende Gewalt, die Legislative, wird vom irakischen Repräsentantenrat (Parlament) ausgeübt (Fanack 2.9.2019). Er besteht aus 329 Abgeordneten (CIA 28.2.2020; vgl. GIZ 1.2020a). Neun Sitze werden den Minderheiten zur Verfügung gestellt, die festgeschriebene Mindest-Frauenquote im Parlament liegt bei 25% (GIZ 1.2020a).

Nach einem ethnisch-konfessionellen System (Muhasasa) teilen sich die drei größten Bevölkerungsgruppen des Irak - Schiiten, Sunniten und Kurden - die Macht durch die Verteilung der Ämter des Präsidenten, des Premierministers und des Parlamentspräsidenten (AW 4.12.2019). So ist der Parlamentspräsident gewöhnlich ein Sunnit, der Premierminister ist ein Schiit und der Präsident der Republik ein Kurde (Al Jazeera 15.9.2018). Viele sunnitische Iraker stehen der schiitischen Dominanz im politischen System kritisch gegenüber. Die Machtverteilungsarrangements zwischen Sunniten, Schiiten und Kurden festigen den Einfluss ethnisch-religiöser Identitäten und verhindern die Herausbildung eines politischen Prozesses, der auf die Bewältigung politischer Sachfragen abzielt (AA 12.1.2019).

Am 12.5.2018 fanden im Irak Parlamentswahlen statt, die fünfte landesweite Wahl seit der Absetzung Saddam Husseins im Jahr 2003. Die Wahl war durch eine historisch niedrige Wahlbeteiligung und Betrugsvorwürfe gekennzeichnet, wobei es weniger Sicherheitsvorfälle gab als bei den Wahlen in den Vorjahren (ISW 24.5.2018). Aufgrund von Wahlbetrugsvorwürfen trat das Parlament erst Anfang September zusammen (ZO 2.10.2018).

Am 2.10.2018 wählte das neu zusammengetretene irakische Parlament den moderaten kurdischen Politiker Barham Salih von Patriotischen Union Kurdistans (PUK) zum Präsidenten des Irak (DW 2.10.2018; vgl. ZO 2.10.2018; KAS 5.10.2018). Dieser wiederum ernannte den schiitischen Politik-Veteranen Adel Abd al-Mahdi zum Premierminister und beauftragte ihn mit der Regierungsbildung (DW 2.10.2018). Nach langen Verhandlungsprozessen und zahlreichen Protesten wurden im Juni 2019 die letzten und sicherheitsrelevanten Ressorts Innere, Justiz und Verteidigung besetzt (GIZ 1.2020a).

Im November 2019 trat Premierminister Adel Abdul Mahdi als Folge der seit dem 1.10.2019 anhaltenden Massenproteste gegen die Korruption, den sinkenden Lebensstandard und den ausländischen Einfluss im Land, insbesondere durch den Iran, aber auch durch die Vereinigten Staaten (RFE/RL 24.12.2019; vgl. RFE/RL 6.2.2020). Präsident Barham Salih ernannte am 1.2.2020 Muhammad Tawfiq Allawi zum neuen Premierminister (RFE/RL 6.2.2020). Dieser scheiterte mit der Regierungsbildung und verkündete seinen Rücktritt (Standard 2.3.2020; vgl. Reuters 1.3.2020). Am 17.3.2020 wurde der als sekulär geltende Adnan al-Zurfi, ehemaliger Gouverneur von Najaf als neuer Premierminister designiert (Reuters 17.3.2020).

Im Dezember 2019 hat das irakische Parlament eine der Schlüsselforderung der Demonstranten umgesetzt und einem neuen Wahlgesetz zugestimmt (RFE/RL 24.12.2019; vgl. NYT 24.12.2019). Das neue Wahlgesetz sieht vor, dass zukünftig für Einzelpersonen statt für Parteienlisten gestimmt werden soll. Hierzu soll der Irak in Wahlbezirke eingeteilt werden. Unklar ist jedoch für diese Einteilung, wie viele Menschen in den jeweiligen Gebieten leben, da es seit über 20 Jahren keinen Zensus gegeben hat (NYT 24.12.2019).

Die nächsten Wahlen im Irak sind die Provinzwahlen am 20.4.2020, wobei es sich um die zweite Verschiebung des ursprünglichen Wahltermins vom 22.12.2018 handelt. Es ist unklar, ob die Wahl in allen Gouvernements des Irak stattfinden wird, insbesondere in jenen, die noch mit der Rückkehr von IDPs und dem Wiederaufbau der Infrastruktur zu kämpfen haben. Die irakischen Provinzwahlen umfassen nicht die Gouvernements Erbil, Sulaymaniyah, Duhok und Halabja, die alle Teil der KRI sind, die von ihrer eigenen Wahlkommission festgelegte Provinz- und Kommunalwahlen durchführt (Kurdistan24 17.6.2019).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020
- Al Jazeera (15.9.2018): Deadlock broken as Iraqi parliament elects speaker, https://www.aljazeera.com/news/2018/09/deadlock-broken-iraqi-parliament-elects-speaker-180915115434675.html, Zugriff 13.3.2020
- AW - Arab Weekly, The (4.12.2019): Confessional politics ensured Iran’s colonisation of Iraq, https://thearabweekly.com/confessional-politics-ensured-irans-colonisation-iraq, Zugriff 13.3.2020
- CIA - Central Intelligence Agency (28.2.2020): The World Factbook – Iraq, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/iz.html, Zugriff 13.3.2020
- DW - Deutsche Welle (2.10.2018): Iraqi parliament elects Kurdish moderate Barham Salih as new president, https://www.dw.com/en/iraqi-parliament-elects-kurdish-moderate-barham-salih-as-new-president/a-45733912, Zugriff 13.3.2020
- Fanack (2.9.2019): Governance & Politics of Iraq, https://fanack.com/iraq/governance-and-politics-of-iraq/, Zugriff 13.3.2020
- GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (1.2020a): Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/irak/geschichte-staat/, Zugriff 13.3.2020
- ISW - Institute for the Study of War (24.5.2018): Breaking Down Iraq's Election Results, http://www.understandingwar.org/backgrounder/breaking-down-iraqs-election-results, Zugriff 13.3.2020
- KAS - Konrad Adenauer Stiftung (5.10.2018): Politische Weichenstellungen in Bagdad und Wahlen in der Autonomen Region Kurdistan, https://www.kas.de/c/document_library/get_file?uuid=e646d401-329d-97e0-6217-69f08dbc782a&groupId=252038, Zugriff 13.3.202
- KAS - Konrad Adenauer Stiftung (2.5.2018): Mapping the Major Political Organizations and Actors in Iraq since 2003, http://www.kas.de/wf/doc/kas_52295-1522-1-30.pdf?180501131459, Zugriff 13.3.2020
- Kurdistan24 (17.6.2019): Iraq's electoral commission postpones local elections until April 2020, https://www.kurdistan24.net/en/news/80728bf3-eb95-4e76-a30f-345cf9a48d3c, Zugriff 13.3.2020
- NYT - The New York Times (24.12.2019): Iraq’s New Election Law Draws Much Criticism and Few Cheers, https://www.nytimes.com/2019/12/24/world/middleeast/iraq-election-law.html, Zugriff 13.3.2020
- Reuters (17.3.2020): Little-known ex-governor Zurfi named as new Iraqi prime minister-designate, https://www.reuters.com/article/us-iraq-pm-designate/iraqi-president-salih-names-adnan-al-zurfi-as-new-prime-minister-designate-state-tv-says-idUSKBN21419J?il=0, Zugriff 17.3.2020
- Reuters (1.3.2020): Iraq's Allawi withdraws his candidacy for prime minister post: tweet, https://www.reuters.com/article/us-iraq-politics-primeminister/iraqs-allawi-withdraws-his-candidacy-for-prime-minister-post-tweet-idUSKBN20O2AD, Zugriff 13.3.2020
- RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (6.2.2020): Iraqi Protesters Clash With Sadr Backers In Deadly Najaf Standoff, https://www.ecoi.net/en/document/2024704.html, Zugriff 13.3.2020
- RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (24.12.2019): Iraqi Parliament Approves New Election Law, https://www.ecoi.net/de/dokument/2021836.html, Zugriff 13.3.2020
- RoI - Republic of Iraq (15.10.2005): Constitution of the Republic of Iraq, http://www.refworld.org/docid/454f50804.html, Zugriff 13.3.2020
- Standard, Der (2.3.2020): Designierter irakischer Premier Allawi bei Regierungsbildung gescheitert, https://www.derstandard.at/story/2000115222708/designierter-irakischer-premier-allawi-bei-regierungsbildung-gescheitert, Zugriff 13.3.2020
- ZO - Zeit Online (2.10.2018): Irak hat neuen Präsidenten gewählt, https://www.zeit.de/politik/ausland/2018-10/barham-salih-irak-praesident-wahl, Zugriff 13.3.2020

1.3.2 Sicherheitslage

Im Dezember 2017 erklärte die irakische Regierung den militärischen, territorialen Sieg über den Islamischen Staat (IS) (Reuters 9.12.2017; vgl. AI 26.2.2019). Die Sicherheitslage hat sich, seitdem verbessert (FH 4.3.2020). Ende 2018 befanden sich die irakischen Sicherheitskräfte (ISF) in der nominellen Kontrolle über alle vom IS befreiten Gebiete (USDOS 1.11.2019).

Derzeit ist es staatlichen Stellen nicht möglich, das Gewaltmonopol des Staates sicherzustellen. Insbesondere schiitische Milizen, aber auch sunnitische Stammesmilizen handeln eigenmächtig. Die im Kampf gegen den IS mobilisierten, zum Teil vom Iran unterstützten Milizen sind nur eingeschränkt durch die Regierung kontrollierbar und stellen eine potenziell erhebliche Bedrohung für die Bevölkerung dar. Durch die teilweise Einbindung der Milizen in staatliche Strukturen (zumindest formaler Oberbefehl des Ministerpräsidenten, Besoldung aus dem Staatshaushalt) verschwimmt die Unterscheidung zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren (AA 12.1.2019).

In der Wirtschaftsmetropole Basra im Süden des Landes können sich die staatlichen Ordnungskräfte häufig nicht gegen mächtige Stammesmilizen mit Verbindungen zur Organisierten Kriminalität durchsetzen. Auch in anderen Landesteilen ist eine Vielzahl von Gewalttaten mit rein kriminellem Hintergrund zu beobachten (AA 12.1.2019). Insbesondere in Bagdad kommt es zu Entführungen durch kriminelle Gruppen, die Lösegeld für die Freilassung ihrer Opfer fordern (FIS 6.2.2018). Die Zahl der Entführungen gegen Lösegeld zugunsten extremistischer Gruppen wie dem IS oder krimineller Banden ist zwischenzeitlich zurückgegangen (Diyaruna 5.2.2019), aber UNAMI berichtet, dass seit Beginn der Massenproteste vom 1.10.2019 fast täglich Demonstranten in Bagdad und im gesamten Süden des Irak verschwunden sind. Die Entführer werden als „Milizionäre“, „bewaffnete Organisationen“ und „Kriminelle“ bezeichnet (New Arab 12.12.2019).

Die zunehmenden Spannungen zwischen dem Iran und den USA stellen einen zusätzlichen, die innere Stabilität des Irak gefährdenden Einfluss dar (ACLED 2.10.2019a). Nach einem Angriff auf eine Basis der Volksmobilisierungskräfte (PMF) in Anbar, am 25. August (Al Jazeera 25.8.2019), erhob der irakische Premierminister Mahdi Ende September erstmals offiziell Anschuldigungen gegen Israel, für eine Reihe von Angriffen auf PMF-Basen seit Juli 2019 verantwortlich zu sein (ACLED 2.10.2019b; vgl. Reuters 30.9.2019). Raketeneinschläge in der Grünen Zone in Bagdad, nahe der US-amerikanischen Botschaft am 23. September 2019, werden andererseits pro-iranischen Milizen zugeschrieben, und im Zusammenhang mit den Spannungen zwischen den USA und dem Iran gesehen (ACLED 2.10.2019b; vgl. Al Jazeera 24.9.2019; Joel Wing 16.10.2019).

Als Reaktion auf die Ermordung des stellvertretenden Leiters der PMF-Kommission, Abu Mahdi Al-Muhandis, sowie des Kommandeurs der Quds-Einheiten des Korps der Islamischen Revolutionsgarden des Iran, Generalmajor Qassem Soleimani, durch einen Drohnenangriff der USA am 3.1.2020 (Al Monitor 23.2.2020; vgl. MEMO 21.2.2020; Joel Wing 15.1.2020) wurden mehrere US-Stützpunkte durch den Iran und PMF-Milizen mit Raketen und Mörsern beschossen (Joel Wing 15.1.2020).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020

- ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (2.10.2019a): Mid-Year Update: Ten Conflicts to Worry About in 2019, https://www.acleddata.com/2019/08/07/mid-year-update-ten-conflicts-to-worry-about-in-2019/, Zugriff 13.3.2020

- ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (2.10.2019b): Regional Overview – Middle East 2 October 2019, https://www.acleddata.com/2019/10/02/regional-overview-middle-east-2-october-2019/, Zugriff 13.3.2020

- AI - Amnesty International (26.2.2019): Human rights in the Middle East and North Africa: Review of 2018 - Iraq [MDE 14/9901/2019], https://www.ecoi.net/en/file/local/2003674/MDE1499012019ENGLISH.pdf, Zugriff 13.3.2020

- Al Jazeera (24.9.2019): Two rockets 'hit' near US embassy in Baghdad's Green Zone, https://www.aljazeera.com/news/2019/09/rockets-hit-embassy-baghdad-green-zone-190924052551906.html, Zugriff 13.3.2020

- Al Jazeera (25.8.2019): Iraq paramilitary: Israel behind drone attack near Syria border, https://www.aljazeera.com/news/2019/08/iraq-paramilitary-israel-drone-attack-syria-border-190825184711737.html, Zugriff 13.3.2020

- Al Monitor (23.2.2020): Iran struggles to regain control of post-Soleimani PMU, https://www.al-monitor.com/pulse/originals/2020/02/iraq-iran-soleimani-pmu.html, Zugriff 13.3.2020

- Diyaruna (5.2.2019): Baghdad sees steep decline in kidnappings, https://diyaruna.com/en_GB/articles/cnmi_di/features/2019/02/05/feature-02, Zugriff 13.3.2020

- FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Iraq, https://freedomhouse.org/country/iraq/freedom-world/2020, Zugriff 13.3.2020

- FIS - Finnish Immigration Service (6.2.2018): Finnish Immigration Service report: Security in Iraq variable but improving, https://yle.fi/uutiset/osasto/news/finnish_immigration_service_report_security_in_iraq_variable_but_improving/10061710, Zugriff 13.3.2020

- Joel Wing, Musings on Iraq (15.1.2020): Pro-Iran Hashd Continue Attacks Upon US Interests In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/01/pro-iran-hashd-continue-attacks-upon-us.html, Zugriff 13.3.2020

- Joel Wing, Musings on Iraq (16.10.2019): Islamic State Not Following Their Usual Pattern In Attacks In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/10/islamic-state-not-following-their-usual.html, Zugriff 13.3.2020

- MEMO - Middle East Monitor (21.1.2020): Iraq’s PMF appoints new deputy head as successor to Al-Muhandis, https://www.middleeastmonitor.com/20200221-iraqs-pmf-appoints-new-deputy-head-as-successor-to-al-muhandis/, Zugriff 13.3.2020

- New Arab, The (12.12.2019): 'We are not safe': UN urges accountability over spate of kidnappings, assassinations in Iraq, https://www.alaraby.co.uk/english/news/2019/12/11/un-urges-accountability-over-spate-of-iraq-kidnappings-assassinations, Zugriff 13.3.2020

- Reuters (9.12.2017): Iraq declares final victory over Islamic State, https://www.reuters.com/article/us-mideast-crisis-iraq-islamicstate/iraq-declares-final-victory-over-islamic-state-idUSKBN1E30B9, Zugriff 13.3.2020

- Reuters (30.9.2019): Iraqi PM says Israel is responsible for attacks on Iraqi militias: Al Jazeera, https://www.reuters.com/article/us-iraq-security/iraqi-pm-says-israel-is-responsible-for-attacks-on-iraqi-militias-al-jazeera-idUSKBN1WF1E5, Zugriff 13.3.2020

- USDOS - US Department of State (1.11.2019): Country Report on Terrorism 2018 - Chapter 1 - Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2019162.html, Zugriff 13.3.2020

1.3.2.1 Islamischer Staat (IS)

Seit der Verkündigung des territorialen Sieges des Irak über den Islamischen Staat (IS) durch den damaligen Premierminister al-Abadi im Dezember 2017 (USCIRF 4.2019; vgl Reuters 9.12.2017) hat sich der IS in eine Aufstandsbewegung gewandelt (Military Times 7.7.2019) und kehrte zu Untergrund-Taktiken zurück (USDOS 1.11.2019; vgl. BBC 23.12.2019; FH 4.3.2020). Zahlreiche Berichte erwähnen Umstrukturierungsbestrebungen des IS sowie eine Mobilisierung von Schläferzellen (Portal 9.10.2019) und einen neuerlichen Machtzuwachs im Norden des Landes (PGN 11.1.2020).

Der IS unterhält ein Netz von Zellen, die sich auf die Gouvernements Ninewa, Salah ad-Din, Kirkuk und Diyala konzentrieren, während seine Taktik IED-Angriffe auf Sicherheitspersonal, Brandstiftung auf landwirtschaftlichen Flächen und Erpressung von Einheimischen umfasst (Garda 3.3.2020). Der IS führt in vielen Landesteilen weiterhin kleinere bewaffnete Operationen, Attentate und Angriffe mit improvisierten Sprengkörpern (IED) durch (USCIRF 4.2019). Er stellt trotz seines Gebietsverlustes weiterhin eine Bedrohung für Sicherheitskräfte und Zivilisten, einschließlich Kinder, dar (UN General Assembly 30.7.2019). Er ist nach wie vor der Hauptverantwortliche für Übergriffe und Gräueltaten im Irak, insbesondere in den Gouvernements Anbar, Bagdad, Diyala, Kirkuk, Ninewa und Salah ad-Din (USDOS 11.3.2020; vgl. UN General Assembly 30.7.2019). Im Jahr 2019 war der IS insbesondere in abgelegenem, schwer zugänglichem Gelände aktiv, hauptsächlich in den Wüsten der Gouvernements Anbar und Ninewa sowie in den Hamrin-Bergen, die sich über die Gouvernements Kirkuk, Salah ad-Din und Diyala erstrecken (ACLED 2.10.2019a). Er ist nach wie vor dabei sich zu reorganisieren und versucht seine Kader und Führung zu erhalten (Joel Wing 16.10.2019).

Der IS setzt weiterhin auf Gewaltakte gegen Regierungsziele sowie regierungstreue zivile Ziele, wie Polizisten, Stammesführer, Politiker, Dorfvorsteher und Regierungsmitarbeiter (ACLED 2.10.2019a; vgl. USDOS 1.11.2019), dies unter Einsatz von improvisierten Sprengkörpern (IEDs) und Schusswaffen sowie mittels gezielten Morden (USDOS 1.11.2019), sowie Brandstiftung. Die Übergriffe sollen Spannungen zwischen arabischen und kurdischen Gemeinschaften entfachen, die Wiederaufbaubemühungen der Regierung untergraben und soziale Spannungen verschärfen (ACLED 2.10.2019a).

Insbesondere in den beiden Gouvernements Diyala und Kirkuk scheint der IS im Vergleich zum Rest des Landes mit relativ hohem Tempo sein Fundament wiederaufzubauen, wobei er die lokale Verwaltung und die Sicherheitskräfte durch eine hohe Abfolge von Angriffen herausfordert (Joel Wing 16.10.2019). Der IS ist fast vollständig in ländliche und gebirgige Regionen zurückgedrängt, in denen es wenig Regierungspräsenz gibt, und wo er de facto die Kontrolle über einige Gebiete insbesondere im Süden von Kirkuk und im zentralen und nordöstlichen Diyala aufgebaut hat (Joel Wing 3.2.2020).

Im Mai 2019 hat der IS im gesamten Mittelirak landwirtschaftliche Anbauflächen in Brand gesetzt, mit dem Zweck die Bauernschaft einzuschüchtern und Steuern einzuheben, bzw. um die Bauern zu vertreiben und ihre Dörfer als Stützpunkte nutzen zu können. Das geschah bei insgesamt 33 Bauernhöfen - einer in Bagdad, neun in Diyala, 13 in Kirkuk und je fünf in Ninewa und Salah ad-Din - wobei es gleichzeitig auch Brände wegen der heißen Jahreszeit und infolge lokaler Streitigkeiten gab (Joel Wing 5.6.2019; vgl. ACLED 18.6.2019). Am 23.5.2019 bekannte sich der Islamische Staat (IS) in seiner Zeitung Al-Nabla zu den Brandstiftungen. Kurdische Medien berichteten zudem von Brandstiftung in Daquq, Khanaqin und Makhmour (BAMF 27.5.2019; vgl. ACLED 18.6.2019). Im Jänner 2020 hat der IS eine Büffelherde in Baquba im Distrikt Khanaqin in Diyala abgeschlachtet, um eine Stadt einzuschüchtern (Joel Wing 3.2.2020; vgl. NINA 17.1.2020).

Mit Beginn der Massenproteste im Oktober 2019 stellte der IS seine Operation weitgehend ein, wie er es stets während Demonstrationen getan hat, trat aber mit dem Nachlassen der Proteste wieder in den Konflikt ein (Joel Wing 6.1.2020).

Quellen:

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Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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