Entscheidungsdatum
24.08.2021Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W169 2245448-1/5E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Barbara MAGELE als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. INDIEN, vertreten durch: BBU - Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 05.08.2021, Zl. 1281375401-211025702, zu Recht erkannt:
A) Die Beschwerde wird gemäß § 33 Abs. 1 Z 2 iVm §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 57 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer hat am 26.07.2021 am Flughafen Wien-Schwechat im Zuge einer Identitätsfeststellung gemäß § 12a des Grenzkontrollgesetzes (GrekoG) durch Organe der Bundespolizei einen Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 gestellt. Als Grund für seinen Antrag auf internationalen Schutz gab der Beschwerdeführer an, dass er um Asyl ersuche, da er als Sikh in seiner Heimat verfolgt werde.
Am 27.07.2021 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes des Stadtpolizeikommandos Schwechat die niederschriftliche Erstbefragung des Beschwerdeführers statt. Dabei führte dieser aus, dass er aus Indien stamme, verheiratet sei und im Heimatland als Installateur und Milchverkäufer gearbeitet habe. Seine Eltern, sein Bruder und seine Gattin würden in Indien leben. Zu seinen Fluchtgründen gab der Beschwerdeführer an, dass er eineinhalb Jahre als Milchverkäufer gearbeitet habe. Nach dem Verkauf von Milch seien immer mehr Kinder krank geworden. Es habe Beschwerden gegeben. Sein Arbeitgeber habe gemeint, dass nichts falsch laufe. Der Beschwerdeführer sei aber betrogen worden, da die Milch tatsächlich schlecht gewesen sei. Nachdem er dies herausgefunden habe, habe ihn sein Arbeitgeber umbringen wollen. Aus diesem Grund sei er geflohen. Im Falle einer Rückkehr könnte er umgebracht werden.
2. Nachdem die Einreise des Beschwerdeführers nicht gestattet worden war, wurde dieser am 03.08.2021 im Rahmen eines Flughafenverfahrens vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Erstaufnahmestelle Flughafen, niederschriftlich einvernommen. Dabei gab der Beschwerdeführer an, dass er gesund sei, aus dem Bundesstaat Punjab stamme und von seiner Geburt bis zum 25.01.2021 mit seiner Familie (seinen Eltern und seinem Bruder) in einer Eigentumswohnung im Heimatort gelebt habe. Er habe in Indien zehn Jahre die Grundschule besucht und als Installateur gearbeitet. Zwei Jahre vor der Ausreise habe er Milch verkauft. In Indien (im Heimatdorf) würde seine Familie leben. Diese würden als Tagelöhner ihren Lebensunterhalt bestreiten. Er sei aus Indien legal ausgereist; bei der Ausreisekontrolle habe es keine Probleme gegeben. In Indien habe er aufgrund seiner Volksgruppe, seiner Religions- bzw. Kastenzugehörigkeit keine Probleme gehabt. Es habe aber Probleme mit seinem Arbeitgeber gegeben.
Zu seinen Fluchtgründen brachte der Beschwerdeführer folgendes vor (VP: nunmehriger Beschwerdeführer; LA: Leiter der Amtshandlung):
„ (…)
LA: Kommen wir bitte jetzt nochmals zu allen Ihren Fluchtgründen. Sie haben schon etwas dazu angegeben. Warum haben Sie Ihren Herkunftsstaat verlassen? Nennen Sie nun bitte detailliert und in Ihren eigenen Worten alle Ihre Fluchtgründe, sodass ich mir ein Bild davonmachen kann? Sie haben hierzu ausreichend Zeit.
VP: Seit eineinhalb Jahren verkaufe ich Milch in verschiedenen Dörfern. Viele Häuser haben sich beschwert, dass die Milchqualität schlecht ist und ihre Kinder erkrankt sind. Sie sagten sie werden mich anzeigen, dass ich unreine Milch verkaufe. Ich sagte zu meinen Kunden, dass ich nichts damit zu tun habe. Ich bin nur der Lieferant und sie sollen ihre Beschwerden meinen Chef sagen. Ich bin zu meinem Chef gegangen und habe ihm gesagt, dass es nicht gut ist das er Pulvermilch verkauft mit Chemikalien. Ich sagte ihm, dass mich die Leute anzeigen wollen. Ich würde dann bei der Polizei seinen Namen nennen. Er sagte mir ihm würde nichts passieren, weil er gute Kontakte hat. Nach zwei Tagen haben sich die Leute wieder über die Milch beschwert und ich bin mit ihnen gemeinsam zur Polizei gegangen um eine Anzeige gegen meinen Chef zu erstatten. Die Polizei hat nicht Protokolliert und sagten zu mir, sie werden meinen Chef gleich herrufen. Die Polizei hat meinen Chef angerufen. Er sagte zu der Polizei, dass er am Abend kommen wird. Der Chef hat eine Anzeige gegen mich bei der Polizei eingebracht, in der er mich beschuldigte die Milch manipuliert zu haben. Er sagte zur Polizei, dass ich derjenige sei, der für die Milch zuständig wäre. Er hätte damit nichts zu tun. Er beschuldigte mich auch 100000 Indische Rupien gestohlen zu haben. Als ich es erfahren habe, rief ich meinen Chef an und fragte ihn, warum er mich angezeigt hat. Er antwortete mir, wie ich es wagen könnte, gegen ihn eine Anzeige einzubringen. Ich sagte zu meinem Chef, wenn er mich anzeigt ich alles sagen werde. Das er Kokain und Haschisch verkauft. Daraufhin hat mich mein Chef bedroht. Er sagte er wird mich umbringen. Überall wo ich hingehe wird er mich finden und umbringen. Danach war die Polizei zweimal bei mir zu Hause und hat nach mir gefragt. Ich meinen Freund an und schilderte ihm die Sachlage. Mein Freund sagte es wäre besser, wenn du das Land verlässt. Ich war entsetzt wie mächtig mein Chef ist. Er war auch der Vorsitzende von unserem Dorf. Mein Freund sagte mir, dass mein Chef Leute angewiesen hat, mich zu erschießen. Deshalb bin ich ausgereist.
LA: Das sind Ihre Fluchtgründe, weshalb Sie nun einen Asylantrag gestellt haben?
VP: Ja.
LA: Wann war der von Ihnen geschilderte Vorfall genau?
VP: Das war alles im Jänner 2021.
LA: Weshalb haben Sie bei der Polizei gegen die Falschanzeige Ihres Chefs nicht widersprochen und haben alles aufgeklärt?
VP: Er hat Kontakte zu Polizisten. Wäre ich zur Polizei gegangen hätten sie mich wegen der 100000 indischen Rupien festgenommen. Die Polizei arbeitet mit ihm gemeinsam.
LA: Warum hat die Polizei ihr erstes Vorbringen bezüglich der schlechten Milch, dass Sie gemeinsam mit den betroffenen Dorfbewohnern angenommen, wenn diese mit Ihrem Chef Zusammenarbeit, wie Sie gesagt haben?
VP: Sie haben uns gesagt, sie können meinen Chef nicht anzeigen. Sie werden ihn zu sich rufen und persönlich mit ihm, reden.
LA: Wo haben Sie sich aufgehalten, als die Polizei bei Ihnen zu Hause war?
VP: Ich war draußen. Nachgefragt gebe ich an, dass ich Karten gespielt habe. In einem Park in der Nähe meiner Wohnung. Mein Freund hat mich angerufen und mir gesagt, dass mich die Polizei sucht.
LA: Woher wusste Ihr Freund, dass Sie die Polizei sucht?
VP: Dieser Freund war zu diesem Zeitpunkt bei mir zu Hause. Nachgefragt gebe ich an, dass er beim ersten Mal bei mir zu Hause war. Beim zweiten Mal habe ich bei meinen Verwandten gewohnt.
LA: Wann war die Polizei das erste Mal und wann das zweite Mal bei ihnen zu Hause?
VP: Ich kann mich an das Datum nicht erinnern.
VP: Ab wann haben Sie wie lange bei Ihren Verwandten gewohnt?
LA: Am 25.01.2021 bin ich zu meinen Verwandten gegangen und habe mich dort zehn Tage aufgehalten. Nachgefragt gebe ich an, dass ich dann zu meiner Cousine nach Delhi gegangen bin.
LA: Warum sind Sie nicht in Delhi bei Ihrer Cousine geblieben? Anmerkung: Frage wird anders formuliert.
VP: Ich kann nicht ewig bei ihr bleiben und ihr zur Last fallen.
LA: Waren Sie in Delhi bedroht?
VP: Nein. Als ich mich die 10 Tage bei meiner Tante aufgehalten habe, wurde ich schon bedroht.
LA: Von wem und wie wurden Sie bedroht?
VP: Ich wurde nicht direkt bedroht. Mein Freund rief mich an und sagte mir, dass sie Leute in meine Richtung geschickt haben.
LA: Woher wusste Ihr Freund das?
VP: Er hat gemeinsam mit mir dort gearbeitet. Er war ein enger Freund.
LA: Das erklärt aber nicht, woher Ihr Freund diese Information hatte?
VP: Er hat mit mir gemeinsam in der Milchfabrik gearbeitet und hat das von dort erfahren.
LA: Wie haben Sie auf die Information Ihres Freundes reagiert?
VP: Ich bin dann nach Delhi geflüchtet. Ich hatte viele Freunde. Ein Freund sagte mir, dass einer meiner Freunde mich umbringen will um das Geld zu kassieren.
LA: Wenn Sie in Delhi sicher waren wie Sie selbst sagten, warum haben Sie Ihre Familie bzw. Ehegattin nachgeholt und sich ein neues Leben mit ihr aufgebaut?
VP: Wie kann ein Dorfbewohner in der Stadt Delhi wohnen?
LA: Sie konnten das auch?
VP: Ich meine damit meine Familie mit Dorfbewohner. Außerdem hätten Sie mich in Delhi auch gefunden.
LA: In Delhi wohnen ungefähr 20 Millionen Personen, wie hätten Sie ohne Meldesystem gefunden werden können?
VP: Ich hätte mich bei meinen Verwandten aufgehalten und sie hätten mich gefunden. Ich hätte im Punjab angerufen und diese Person hätte die Information weitergegeben.
LA: Wusste die Polizei in Ihrem Heimatdorf, dass Ihr Chef mit Drogen handelt?
VP: Ja, die Polizei weiß es. Aber niemand will sich mit ihm anlegen, weil er eine sehr wichtige Person mit einflussreichen Kontakten ist.
LA: Gibt es sonst noch ein Vorbringen oder Vorfälle zu Ihrem Fluchtgrund?
VP: Nein.
LA: Sie befinden sich im Sondertransitbereich. Es besteht für Sie jederzeit die Möglichkeit freiwillig auszureisen.
VP: Ich möchte nicht zurück. Ich will nicht zurück in den Mund des Todes.
LA an Rechtsberatung: Gibt es von Ihrer Seite noch offene Fragen oder Anträge?
RB: Nein.
LA: Als Ergebnis der heutigen Einvernahme wird Ihnen mitgeteilt, dass Ihnen die Einreise in das Bundesgebiet NICHT gestattet wird.
Anmerkung: In einem allgemeinen Rechtsgespräch wird für die VP der weitere mögliche Ablauf eines Flughafenverfahrens erörtert, d.h. Einbindung von UNHCR – Zustimmung von UNHCR - Abweisung des Antrages mit Bescheid des BFA im Flughafenverfahren – Beschwerdemöglichkeit an Bundesverwaltungsgericht – abweisendes Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes – Zurückweisung der VP durch LPD - aber auch die jeweiligen Chancen für die VP im Flughafenverfahren - keine Zustimmung von UNHCR – Einreisegestattung – Weiterführung des Verfahrens im Inland – oder Stattgebung der Beschwerde durch Bundesverwaltungsgericht - Einreisegestattung - Weiterführung des Verfahrens im Inland.
VP wird in allgemeinem Rechtsgespräch auch über die Dauer der einzelnen Verfahrensschritte, die Umstände der Konfinierung, Möglichkeit der Unterstützung durch BBU, SWB des Wachzimmers, ärztliche Betreuungsmöglichkeiten, Telefonkontakte usw. – abermals in Kenntnis gesetzt.
LA: Haben Sie diese beabsichtigte Vorgehensweise verstanden?
VP: Ja.
LA: Wollen Sie am Ende dieser Einvernahme irgendetwas ergänzen?
VP: Nein, was soll ich noch sagen. Ich habe die ganze Wahrheit schon gesagt. Ich verstehe nicht, dass wir sagen können was wir wollen aber immer einen negativen Bescheid bekommen. Warum ist das so. Wir haben gehört, dass jeder hier Asyl bekommt und es hier sicher ist. Anmerkung LA: Die VP wird aufgeklärt.
LA: Wie haben Sie die Dolmetscherin verstanden?
VP: Ich habe die Dolmetscherin gut verstanden.
LA: Die gesamte Niederschrift wird wortwörtlich rückübersetzt.
VP: Ja.
LA: Haben Sie nun nach Rückübersetzung Einwendungen gegen die Niederschrift selbst, wurde alles richtig und vollständig protokolliert?
VP: Es hat alles gepasst.
(…)“
3. Am 04.08.2021 wurde das Büro des Hochkommissärs der Vereinten Nationen für Flüchtlinge in Österreich (in der Folge UNHCR) gemäß § 33 Abs. 2 AsylG 2005 um Erteilung der Zustimmung zur Abweisung des gegenständlichen Antrages auf internationalen Schutz ersucht.
4. Mit Schreiben des UNHCR vom 05.08.2021 wurde dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mitgeteilt, dass eine Zustimmung gemäß § 33 Abs. 2 AsylG 2005 erteilt werde, da das Vorbringen in Einklang mit Beschluss Nr. 30 des UNHCR-Exekutivkomitees als offensichtlich unbegründet eingestuft werden könne.
5. Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 33 Abs. 1 Z 2 iVm § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Indien (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Unter Spruchpunkt III. wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 57 AsylG ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt.
Begründend führte die belangte Behörde aus, dass die vom Beschwerdeführer behaupteten Fluchtgründe offensichtlich nicht den Tatsachen entsprochen hätten. Diese Ansicht der Behörde sei letztlich auch vom UNHCR geteilt worden, was sich aus dem im Akt befindlichen Schreiben vom 05.08.2021 ergebe. Auch eine refoulementschutzrechtlich relevante Gefährdung im Falle einer Rückkehr nach Indien sei nicht gegeben. Zu Spruchpunkt III. wurde ausgeführt, dass eine Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung gemäß § 57 AsylG an dem Umstand scheitere, dass sich der Beschwerdeführer nicht im Bundesgebiet aufhalte.
6. Gegen diesen Bescheid hat der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde erhoben und auf seine bisher im Verfahren getätigten Angaben verwiesen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen (Sachverhalt):
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Indien aus dem Bundesstaat Punjab und gehört der Religionsgemeinschaft der Sikhs an. Er reiste am 26.07.2021 mit Flug OS 738 aus Belgrad kommend am Flughafen Schwechat an und stellte den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Der Beschwerdeführer besuchte im Heimatland zehn Jahre die Grundschule, arbeitete danach viele Jahre als Installateur und die letzten eineinhalb Jahre als Milchverkäufer. Er lebte bis zum 25.01.2021 mit seinen Eltern und seinem Bruder im Heimatdorf in einer Eigentumswohnung. Im Heimatland leben die Eltern und der Bruder des Beschwerdeführers; diese verdienen den Lebensunterhalt als Tagelöhner. Der Beschwerdeführer ist verheiratet und im erwerbsfähigen Alter.
Die Angaben des Beschwerdeführers zu seinen Fluchtgründen sind nicht glaubwürdig und werden dem Verfahren nicht zugrunde gelegt.
1.2. Zur Situation im Herkunftsstaat wird Folgendes festgestellt:
COVID-19
? Letzte Änderung: 21.05.2021
Im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie verhängte die indische Regierung am 25. März 2020 eine Ausgangssperre über das gesamte Land, die nur in Einzelfällen (Herstellung lebensnotwendiger Produkte und Dienstleistungen, Einkaufen für den persönlichen Bedarf, Arztbesuche, usw.) durchbrochen werden durfte. Trotz der Ausgangssperre sanken die Infektionszahlen nicht. Seit der ersten Aufsperrphase, die am 8. Juni 2020 begann, schießt die Zahl der Infektionen noch steiler als bisher nach oben. Größte Herausforderung während der Krise waren die Millionen von Wanderarbeitern, die praktisch über Nacht arbeitslos wurden, jedoch auf Grund der Ausgangssperre nicht in ihre Dörfer zurückkehren konnten (ÖB 9.2020; vgl. HRW 13.1.2021). Viele von ihnen wurden mehrere Wochen in Lagern unter Quarantäne gestellt (also de facto eingesperrt), teilweise mit nur schlechter Versorgung (ÖB 9.2020). Menschen mit Beeinträchtigungen sind von coronabedingten Maßnahme wie Abriegelungen und sozialen Distanzierungen besonders betroffen. Der Zugangs zu medizinischer Versorgung und lebenswichtigen Gütern und der Ausübung sozialer Distanzierung, insbesondere für diejenigen, die persönliche Unterstützung für Aufgaben des täglichen Lebens erhalten (HRW 13.1.2021). Während der ersten Wochen der COVID-19 Pandemie, wurden Muslime für die Verbreitung des Coronavirus, auch von Vertretern der Regierungsparteien verantwortlich gemacht (FH 3.3.2021; vgl. HRW 13.1.2021).
Nach Angaben des indischen Gesundheitsministeriums vom 11. Oktober 2020 wurden seit Beginn der Pandemie mehr als sieben Millionen Infektionen mit COVID registriert. Die täglichen offiziellen Fallzahlen stiegen zwar zuletzt weniger schnell als noch im September, die Neuinfektionen nehmen in absoluten Zahlen jedoch schneller zu als in jedem anderen Land der Welt. Medien berichten in einigen Teilen des Landes von einem Mangel an medizinischem Sauerstoff in Krankenhäusern (BAMF 12.10.2020).
Die Lage in Indien, dass mit Bezug auf das Infektionsgeschehen (neben den USA und Brasilien) zu den am schwersten von der COVID-19-Pandemie betroffenen Ländern weltweit zählt, hat sich sich gegenüber dem Sommer 2020 mit damals fast 100.000 Neuinfektionen pro Tag inzwischen etwas entspannt. Es erkranken offiziellen Angaben zufolge nach wie vor etwa 40.000 Menschen täglich am Virus. In den Ballungszentren kann die medizinische Versorgung weitestgehend aufrecht erhalten werden (GTAI 3.12.2020). Indiens Wirtschaft wurde durch die COVID-19-Pandemie stark beeinträchtigt (DFAT 10.12.2020; vgl. GTAI 3.12.2020). Das Land rutschte im zweiten Quartal des Geschäftsjahres 2020-21 erstmals in eine wirtschaftliche Rezession (PRC 18.3.2021). Es wird allgemein erwartet, dass das Land ab 2021 zu einem nachhaltigen Wachstum zurückkehren wird (DFAT 10.12.2020; vgl. GTAI 3.12.2020). Nach dem zweimonatigen harten Lockdown im Frühjahr 2020 hat die indische Regierung das öffentliche Leben im Rahmen ihrer Unlock-Strategie schrittweise wieder hochgefahren. Die Bundesstaaten und Unionsterritorien haben dabei weitreichendere Entscheidungsbefugnisse, welche Lockerungen sie umsetzen und welche nicht. Mit den bestehenden Einschränkungen sollen vor allem Superspreader-Events wie religiöse Großveranstaltungen und Hochzeiten eingedämmt werden. Massentests, Kontaktnachverfolgung, Isolierung von Infizierten und die Abschottung von Gebieten mit hohen Fallzahlen (Containment Zones) sollen helfen, das Virus zurückzudrängen (GTAI 3.12.2020; vgl. WKO 13.1.2021). Es kann daher vereinzelt und regional sowie zeitlich begrenzt zu erneuten Lockdowns kommen. Eine Skizzierung in „Red Zone“, „Orange Zone“ und „Green Zone“ wird von der Regierung des Bundesstaates/Unionsterritoriums in Absprache mit dem Gesundheitsministerium und der nationalen Regierung entschieden (WKO 13.1.2021).
Gegen regierungskritische Äußerungen, auch im Zusammenhang mit Maßnahmen der Regierung im Umgang mit der COVID-19 Pandemie wurden mittels aus der Kolonialzeit stammenden Gesetzen zur Staatsverhetzung und dem im Jahr 2000 erlassenen IT-Gesetz vorgegangen (FH 3.3.2021). Medienvertreter sehen sich Drohungen, Verhaftungen, Strafverfahren oder körperlichen Angriffen durch Mobs oder der Polizei wegen der Berichterstattung über die Pandemie ausgesetzt (HRW 13.1.2021). Mehrere von der Regierung zur Eindämmung einer Verbreitung der Pandemie getroffenen Maßnahmen wurden von Menschenrechtsanwälten als invasiv angesehen (FH 3.3.2021).
Im ersten Quartal 2021 wird Indien mit einem Anstieg der Fallzahlen vor einer zweiten COVID-19 Welle erfasst (TOI 21.3.2021; vgl. TFE 20.3.2021) und verzeichnete im Zeitraum ab April/Mai 2021 die höchsten Zahlen an täglichen Todesfällen wegen des Coronavirus seit Beginn der Pandemie (BAMF 3.5.2021). Kritik äußert sich aus dem Umstand heraus, dass Indien, ob seiner Pharmaindustrie, als "Apotheke der Welt" durch die Lieferung von Covid-19-Impfstoffen an viele Länder der Welt genießt (FE 20.3.2021; vgl. TOI 21.3.2021), gleichzeitig jedoch bei der Durchimpfung der eigenen Bevölkerung landesweit lediglich einen Wert von rund zwei Prozent erreicht (HO 28.4.2021).
Auch der Umstand, dass im Zuge der Regionalwahlen in einigen Bundesstaaten große Kundgebungen mit zum Teil Zehntausender Besucher abgehalten wurden, wie auch die Durchführung des hinuistischen Festes Kumbh-Mela in Haridwar im nördlichen Bundesstaat Uttarakhand, an dem im Zeitraum von Jänner 2021 bis zum 27. April knapp 25 Millionen Hindus vor Ort teilgenommen haben, attestieren der indischen regierung eine "praktizierte Sorglosigkeit". Die Aussage der BJP bei einer Wahlveranstaltung im Bundestaat Assam in der verkündet wurde, "Wahlveranstaltungen und religiöse Zusammenkünfte tragen nicht zur Verbreitung von Covid-19 bei", wird kritisiert (BAMF 3.5.2021; vgl. HO 28.4.2021).
Seit Mai 2021 sind alle Erwachsenen impfberechtigt, davor nur über 45-Jährige. In mehreren Bundesstaaten des Landes ist der Impfstoff ausgegangen, Hilfsgüter aus mehreren Ländern wie Beatmungsgeräte, Anlagen zur Sauerstofferzeugung, Medikamente und Impfstoff werden Indien von der internationalen Staatengemeionschaft zur Verfügung gestellt. Medienberichten zufolge will Indien die eigene Impfstoffproduktion bis Juni 2021 erhöhen, von der staalichen indischen Eisenbahngesellschaft gab bekannt, 4.000 Waggons mit einer Kapazität von 64.000 Betten als provisorische Stationen für Corona-Patienten bereitzustellen (BAMF 3.5.2021).
Alle Experten davon aus, dass kurzfristig die Fallzahlen wie auch die Zahlen der Toten weiter ansteigen werden, da das staatliche Gesundheitssystem in vielen Landesteilen schon jetzt an seine Grenzen gestoßen ist. Eine mittelfristige Prognose ist noch unklar. Eine Hoffnung stellt, bedingt durch den bereits erfolgten sehr breiten Ansteckung der Bevölkerung das Erreichen einer Herdenimmunität dar (HO 25.4.2021).
Quellen:
? BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (3.5.2021): Briefing Notes, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2021/briefingnotes-kw18-2021.pdf?__blob=publicationFile&v=3, Zugriff 7.5.2021
? BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (12.10.2020): https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2020/briefingnotes-kw42-2020.pdf;jsessionid=91E533F0FC7A0F35C0751A9F00F3D711.internet572?__blob=publicationFile&v=4, Zugriff 12.10.2020
? DFAT – Australian Government - Department of Foreign Affairs and Trade [Australien] (10.12.2020): DFAT Country Information Report India, https://www.ecoi.net/en/file/local/2043026/country-information-report-india.pdf, Zugriff 18.1.2021
? FE – Financial Express (20.3.2021): Coronavirus Lockdown 2021 News Highlights: Only partial relaxation from lockdown in Nagpur from Monday, https://www.financialexpress.com/lifestyle/health/coronavirus-lockdown-2021-live-news-coronavirus-india-latest-march-20-updates-narendra-modi-covid-lockdown-night-curfew-maharashtra-mumbai-pune-nagpur-uttar-pradesh-delhi-bengaluru-hyderabad-punjab-gu/2216571/, Zugriff 22.3.2021
? FH – Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 - India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046516.html, Zugriff 22.3.2021
? GTAI – German Trade & Invest [Deutschland] (3.12.2020): Indien sieht erste Anzeichen einer Konjunkturbelebung, https://www.gtai.de/gtai-de/trade/specials/special/indien/indien-sieht-erste-anzeichen-einer-konjunkturbelebung-234424, Zugriff 18.1.2021
? HO – Heise Online (25.4.2021): Telepolis: Corona in Indien: Sorglosigkeit, Mutanten und himmelschreiende Ungleichheit, https://www.heise.de/tp/features/Corona-in-Indien-Sorglosigkeit-Mutanten-und-himmelschreiende-Ungleichheit-6030218.html, Zugriff 7.5.2021
? HRW – Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2021 - India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2043608.html, Zugriff 18.1.2021
? ÖB – Österreichische Botschaft New Delhi [Österreich] (9.2020): Asylländerbericht Indien
? PRC – Pew Research Center (18.3.2021): In the pandemic, India’s middle class shrinks and poverty spreads while China sees smaller changes, https://www.pewresearch.org/fact-tank/2021/03/18/in-the-pandemic-indias-middle-class-shrinks-and-poverty-spreads-while-china-sees-smaller-changes/, Zugriff 22.3.2021
? TOI – Times of India (21.3.2021): Government failed to control Covid spread, must vaccinate all within months: Congress,
http://timesofindia.indiatimes.com/articleshow/81618736.cms?utm_source=contentofinterest&utm_medium=text&utm_campaign=cppst, Zugriff 22.3.2021
? WKO – Wirtschaftskammer Österreich [Österreich] (13.1.2021): Coronavirus: Situation in Indien, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/coronavirus-infos-indien.html, Zugriff 18.1.2021
Allgemeine Menschenrechtslage
? Letzte Änderung: 31.05.2021
Indien hat 1948 die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte unterzeichnet (AA 23.9.2020). Die nationale Gesetzgebung in Menschenrechtsangelegenheiten ist breit angelegt. Alle wichtigen Menschenrechte sind verfassungsrechtlich garantiert (ÖB 9.2020). Die Umsetzung dieser Garantien ist allerdings häufig nicht in vollem Umfang gewährleistet (AA 23.9.2020). Eine Reihe von Sicherheitsgesetzen schränken die rechtsstaatlichen Garantien, z.B. das Recht auf ein faires Verfahren, ein. Diese Gesetze wurden nach den Terroranschlägen von Mumbai im November 2008 verschärft; u.a. wurde die Unschuldsvermutung für bestimmte Straftatbestände außer Kraft gesetzt. Besonders in Unruhegebieten haben die Sicherheitskräfte zur Bekämpfung sezessionistischer und terroristischer Gruppen weitreichende Befugnisse, die oft exzessiv genutzt werden. Es gibt glaubhafte Berichte über extralegale Tötungen (AA 23.9.2020).
Die Menschenrechtslage ist in Indien regional sehr unterschiedlich (BICC 1.2021). Eine verallgemeinernde Bewertung der Menschenrechtslage ist für Indien kaum möglich: Drastische Grundrechtsverletzungen und Rechtsstaatsdefizite koexistieren mit weitgehenden bürgerlichen Freiheiten, fortschrittlichen Gesetzen und engagierten Initiativen der Zivilgesellschaft. Vor allem die Realität der unteren Gesellschaftsschichten, die die Bevölkerungsmehrheit stellen, ist oftmals von Grundrechtsverletzungen und Benachteiligung geprägt (AA 23.9.2020). Während die Bürger-und Menschenrechte von der Regierung größtenteils respektiert werden, ist die Lage in den Regionen, dort wo es interne Konflikte gibt teilweise sehr schlecht. Dies trifft insbesondere auf Jammu und Kaschmir und den Nordosten des Landes zu. Den Sicherheitskräften, aber auch den nicht-staatlichen bewaffneten Gruppen, seien es separatisti-sche Organisationen oder regierungstreue Milizen, werden massive Menschenrechtsver-letzungen angelastet. Dem Militär und den paramilitärischen Einheiten werden Entfüh-rungen, Folter, Vergewaltigungen, willkürliche Festnahmen und außergerichtliche Hin-richtungen vorgeworfen. Es gibt Befürchtungen, dass die neue, drakonische Anti-Terror-Gesetzgebung die Menschenrechtslage verschlimmern wird und dass diese Gesetze gegen politische Gegner missbraucht werden. Frauen, Mitglieder ethnischer undreligiöser Minderheiten sowie niedriger Kasten werden systematisch diskriminiert. Den Sicherheitskräften wird Parteilichkeit vorgeworfen, besonders hinsichtlich der Spannungen zwischen Hindus und Moslems, welche im Jahr 2002 zu Tausenden von Todesfällen führten. Die Stimmung wird durch hindu-nationalistische Parteien angeheizt, welche auch in der Regierung vertreten sind (BICC 1.2021 vgl. USDOS 30.3.2021, FH 3.3.2021, ÖB 9.2020).
Menschenrechtsprobleme umfassen unter anderem Hinweise auf willkürliche Hinrichtungen, Verschleppung, Folter und Vergewaltigung. Korruption bleibt weit verbreitet. Gesellschaftliche Gewalt auf der Grundlage von Konfession und Kaste gibt nach wie vor Anlass zur Sorge. Muslime und Dalit-Gruppen aus den unteren Kasten sind auch weiterhin am stärksten gefährdet (USDOS 30.3.2021). Ursache vieler Menschenrechtsverletzungen in Indien bleiben tief verwurzelte soziale Praktiken, nicht zuletzt das Kastenwesen (AA 23.9.2020).
In manchen Bundesstaaten schränkt das Gesetz die religiöse Konversion ein (USDOS 10.6.2020), Einschränkungen in Bezug auf die Bewegungsfreiheit dauern an (USDOS 30.3.2021).
Quellen:
? AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (23.9.2020): Auswärtiges Amt, Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien (Stand: Juni 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2038579/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_zur_asyl-_und_abschiebungsrelevanten_Lage_in_der_Republik_Indien_%28Stand_Juni_2020%29%2C_23.09.2020.pdf, Zugriff 16.10.2020
? BICC – Bonn International Centre for Conversion (1.2021): Informationsdienst - Sicherheit, Rüstung und Entwicklung in Empfängerländern deutscher Rüstungsexporte: Länderinformation Indien, http://www.ruestungsexport.info/user/pages/04.laenderberichte/indien/2020_Indien.pdf, Zugriff 11.5.2021
? FH – Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 - India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046516.html, Zugriff 11.5.2021
? ÖB – Österreichische Botschaft New Delhi (9.2020: Asylländerbericht Indien
? USDOS – US Department of State [USA] (10.6.2020): 2019 Report on International Religious Freedom: India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2031372.html, Zugriff 22.7.2020
? USDOS – US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Report on Human Rights Practices: India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048124.html, Zugriff 11.5.2021
Religionsfreiheit
? Letzte Änderung: 31.05.2021
Die Verfassung garantiert Religionsfreiheit (USDOS 10.6.2020; vgl. AA 23.9.2020), sieht einen säkularen Staat vor, fordert den Staat auf, alle Religionen unparteiisch zu behandeln und verbietet Diskriminierung auf religiöser Basis. Nationales und bundesstaatliches Recht gewähren die Religionsfreiheit jedoch unter dem Vorbehalt der öffentlichen Ordnung, Gesundheit und Moral (USDOS 10.6.2020).
Neben den vier Religionen indischen Ursprungs - dem Hinduismus, dem Buddhismus, dem Jainismus und dem Sikhismus - gibt es in Indien den Islam und das Christentum sowie noch wenige andere Religionen. Die Inder sind laut dem indischen Zensus von 2011 zu 79,8 Prozent Hindus, 14,2 Prozent Muslime, 2,3 Prozent Christen und zu 1,7 Prozent Sikhs. Die restlichen 2 Prozent verteilen sich auf die anderen Religionsgemeinschaften (GIZ 1.2021d). Das friedliche Nebeneinander im multiethnischen und multireligiösen Indien ist zwar die Norm, allerdings sind in einigen Unionsstaaten religiöse Minderheiten immer wieder das Ziel fundamentalistischer Fanatiker, oft auch mit Unterstützung lokaler Politiker (ÖB 9.2020). Muslime, Sikhs, Christen, Parsis, Janais und Buddhisten gelten als gesetzlich anerkannte Minderheitengruppen unter den religiösen Gruppierungen (USDOS 10.6.2020). Das Gesetz legt fest, dass die Regierung die Existenz dieser religiösen Minderheiten schützt und Konditionen für die Förderung ihrer individuellen Identitäten begünstigt. Bundesstaatliche Regierungen sind dazu befugt, religiösen Gruppen gesetzlich den Status von Minderheiten zuzuerkennen (USDOS 10.6.2020).
Trotz des insgesamt friedlichen Zusammenlebens existieren zwischen verschiedenen Religionsgemeinschaften Spannungen, die in der Vergangenheit auch zu massiven Gewaltausbrüchen („riots“, Pogrome) führten (AA 23.9.2020). Im Jahr 2019 verschlechterten sich die Bedingungen für Religionsfreiheit weiter drastisch und religiöse Minderheiten werden zunehmend bedroht. Nach der Wiederwahl der Bharatiya Janata Party (BJP) im Mai nutzte die nationale Regierung ihre gestärkte parlamentarische Mehrheit, um auf nationaler Ebene die Religionsfreiheit einzuschränken. Besonders betroffen von diesen Maßnahmen sind Angehörige der Muslime (USCIRF 4.2020). Berichten zufolge kommt es zu religiös motivierten Diskriminierungen, Morden, Überfällen, Unruhen, Zwangskonversionen, Aktionen, die das Recht des Einzelnen auf Ausübung seiner religiösen Überzeugung einschränken sollen sowie zu Diskriminierung und Vandalismus (USDOS 10.6.2020). In den letzten Jahren häufen sich Berichte, wonach die Religionszugehörigkeit noch mehr als zuvor zu einem bestimmenden Identitätsmerkmal für den Einzelnen in der indischen Gesellschaft wird, wodurch Angehörige religiöser Minderheiten ein Gefühl des Ausgeschlossen-Werdens entwickeln (AA 23.9.2020). Der gegen Minderheiten wie Moslems und Christen gerichtete Hindu-Radikalismus wird selten von offizieller Seite in die Kategorie Terror eingestuft, vielmehr als „communal violence“ bezeichnet (ÖB 9.2020).
Gewalt gegen religiöse Minderheiten, wurde 2017 in Indien zu einer zunehmenden Bedrohung (HRW 18.1.2018), doch hat es die Regierung verabsäumt, Richtlinien des Obersten Gerichtshofs zur Verhinderung, wie auch der Untersuchung von Angriffen auf religiöse Minderheiten und andere gefährdete Gemeinschaften, welche häufig von BJP-Anhängern angeführt werden, umzusetzen (HRW 14.1.2020). 2019 hat es die Regierung verabsäumt, die Vorgaben des Obersten Gerichtshofs zur Verhinderung und Aufklärung von Übergriffen des in vielen Fällen von Bharatiya Janata Party (BJP)-Anhängern angeführten Mobs auf religiöse Minderheiten und andere vulnerable Bevölkerungsgruppen umzusetzen (HRW 14.1.2020).
Die Gesetzgebung in mehreren Staaten mit hinduistischer Mehrheit verbietet religiöse Konversion, die aus Zwang oder "Verlockung" erfolgt, was sehr weit ausgelegt werden kann, um Personen, die missionarisch tätig sind, zu verfolgen, manche Bundesstaaten fordern für Konversion eine Genehmigung der Regierung (FH 3.3.2021). Neun der 28 Bundesstaaten haben Gesetze, die religiöse Konversion einschränken: Arunachal Pradesh, Chhattisgarh, Gujarat, Himachal Pradesh, Jharkhand, Madhya Pradesh, Odisha, Rajasthan und Uttarakhand. Ein solches Gesetz in Rajasthan, das 2008 verabschiedet wurde, wurde 2017 von der Zentralregierung zurückgewiesen und ist nach wie vor nicht implementiert. Im August 2019 fügte die Legislative des Bundesstaates Himachal Pradesh "Nötigung" der Liste der Konversionsverbrechen hinzu, die auch Bekehrung durch "Betrug", "Gewalt" und "Anstiftung" umfassen. Die Definition von "Verführung" wurde erweitert und umfasst nun auch „das Angebot einer Versuchung“ (USDOS 10.6.2020).
Die Nationale Kommission für Minderheiten, welcher Vertreter der sechs ausgewiesenen religiösen Minderheiten und der Nationalen Menschenrechtskommission angehören, untersucht Vorwürfe von religiöser Diskriminierung. Das Ministerium für Minderheitenangelegenheiten ist auch befugt, Untersuchungen anzustellen. Diese Stellen verfügen jedoch über keine Durchsetzungsbefugnisse, sondern legen ihre gewonnenen Erkenntnisse zu Untersuchungen auf Grundlage schriftlicher Klagen durch Beschwerdeführer bei, welche strafrechtliche oder zivilrechtliche Verstöße geltend machen, und legen ihre Ergebnisse den Strafverfolgungsbehörden zur Stellungnahme vor. 18 der 28 Bundesstaaten des Landes und das National Capital Territory of Delhi verfügen über staatliche Minderheitenkommissionen, die auch Vorwürfe religiöser Diskriminierung untersuchen (USDOS 10.6.2020).
Personenstandsgesetze gelten nur für bestimmte Religionsgemeinschaften in Fragen der Ehe, Scheidung, Adoption und Vererbung. Das hinduistische, das christliche, das Parsi und das islamische Personenstandsgesetz sind rechtlich anerkannt und gerichtlich durchsetzbar (USDOS 10.6.2020).
Der Wahlsieg der Hindu-nationalistischen BJP im Jahr 2014 löste in der Öffentlichkeit eine intensive Diskussion über das Spannungsfeld zwischen den Werten einer säkularen Verfassung und einer in Teilen zutiefst religiösen Bevölkerung aus; und ging auch mit der Zunahme eines strammen (Hindu-) Nationalismus einher. Den erneuten deutlichen Wahlsieg der BJP 2019 sehen einzelne Gruppen daher mit Sorge (AA 23.9.2020).
Nach Angaben des Innenministeriums (MHA) fanden zwischen 2008 und 2017 7.484 Vorfälle gemeinschaftlicher Gewalt statt, bei denen mehr als 1.100 Menschen getötet wurden. Daten des Innenministeriums für 2018 bis 2019 liegen nicht vor, doch halten Vorfälle kommunaler Gewalt an (USDOS 10.6.2020). Hassverbrechen, gegen religiöse Minderheiten werden zumeist ungestraft begangen (AI 7.4.2021).
Quellen:
? AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (23.9.2020): Auswärtiges Amt, Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien (Stand: Juni 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2038579/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_zur_asyl-_und_abschiebungsrelevanten_Lage_in_der_Republik_Indien_%28Stand_Juni_2020%29%2C_23.09.2020.pdf, Zugriff 16.10.2020
? AI – Amnesty International (7.4.2021): India 2020, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048696.html, Zugriff 5.5.2021
? CIA – Central Intelligence Agency (27.4.2021): The World Factbook - India, https://www.cia.gov/the-world-factbook/countries/india/#people-and-society, Zugriff 5.5.2021
? FH – Freedom House: Freedom in the World 2021 - India, 3. März 2021
https://www.ecoi.net/de/dokument/2046516.html, Zugriff 5.5.2021
? GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (1.2021d): Indien, Gesellschaft, https://www.liportal.de/indien/gesellschaft/, Zugriff 5.5.2021
? HRW – Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 - India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022689.html, Zugriff 13.3.2020
? HRW – Human Rights Watch (18.1.2018): World Report 2018 - India, https://www.ecoi.net/de/dokument/1422455.html, Zugriff 17.1.2020
? ÖB - Österreichische Botschaft New Delhi [Österreich] (9.2020): Asylländerbericht Indien
? USCIRF – US Commission on International Religious Freedom [USA] (4.2020): United States Commission on International Religious Freedom 2020 Annual Report; USCIRF – Recommended for Countries of Particular Concern (CPC): India, https://www.ecoi.net/en/file/local/2028963/India.pdf, Zugriff 5.5.2020
? USDOS – US Department of State [USA] (10.6.2020): 2019 Report on International Religious Freedom: India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2031372.html, Zugriff 22.7.2020
? Sikhs
Letzte Änderung: 31.05.2021
In Indien leben rund 20,8 Millionen Sikhs. Der Sikhismus ist die vorherrschende Religion im Bundesstaat Punjab (ca. 16 Millionen Menschen) mit bedeutenden Bevölkerungszahlen in Haryana (1,2 Millionen), Delhi (570.581), Rajasthan (872.930), Uttar Pradesh (643.500) und Uttarakhand (295.530) (DFAT 10.12.2020).
Die Sikhs (60 Prozent der Bevölkerung des Punjabs), stellen im Punjab einen erheblichen Teil der Beamten, Richter, Soldaten und Sicherheitskräfte. Auch hochrangige Positionen stehen ihnen (auch bundesweit – praktisch alle indischen Generalstabschefs der Bundesarmee waren bisher Sikhs) offen (ÖB 9.2020).
In der Verfassung werden Sikhs, Buddhisten und Jains im Hinduismus zusammengefasst. Der Sikhismus stellt also rechtlich keine eigenständige Religion dar. Streitpunkte zwischen den Sikh-Gruppen ist das Ausmaß in dem die Autonomie eines unabhängigen Sikh-Staates, bekannt als "Khalistan", unterstützt werden soll (DFAT 10.12.2020). Im Dezember 2019 verabschiedete das Parlament das Citizenship (Amendment) Act (CAA), dass einen beschleunigten Weg zur Staatsbürgerschaft für Sikhs vorsieht (USDOS 30.3.2021).
Die sezessionistische Terrorbewegung für ein unabhängiges "Khalistan" wurde 1993 zerschlagen. Es gibt allerdings Anzeichen von konzertierten Versuchen militanter Sikh-Gruppierungen im Ausland gemeinsam mit dem pakistanischen Geheimdienst ISI, die militante Bewegung in Punjab wieder zu beleben, auch wenn der harte Kern der in Indien verbotenen Sikh-Gruppierungen wie der Babbar Khalsa International (BKI) in andere Unionsstaaten bzw. nach Pakistan ausgewichen ist. Unterstützung in finanzieller- und logistischer Form erfolgt insbesondere aus Pakistan (vom Geheimdienst ISI) und vom westlichen Ausland (UK, Deutschland, Kanada usw.) (ÖB 9.2020).
Andere in Indien verbotenen militanten Sikh-Organisationen sind: Babbar Khalsa International, Khalistan Commando Force, Khalistan Zindabad Force und International Sikh Youth Federation. Aktive Mitglieder von verbotenen militanten Sikh-Gruppierungen müssen mit polizeilicher Verfolgung rechnen (ÖB 9.2020). Indischen Geheimdienstinformationen zufolge werden BKI-Militante in Pakistan von islamischen Terrorgruppen wie Lashkar-e-Toiba (LeT) trainiert. Angeblich hat der BKI gemeinsam mit der LeT im pakistanischen West Punjab ein gemeinsames Büro errichtet. Die Sicherheitsbehörden im Punjab konnten bislang die aufkeimende Wiederbelebung der militanten Sikh-Bewegung erfolgreich neutralisieren (ÖB 9.2020). Es erfolgen jedoch Verhaftungen, sobald jemand offen eine verbotene Organisation (z.B. die Bewegung Khalistan) untersützt (ÖB 9.2020).
Sikhs können Ziele von örtlich begrenzter Diskriminierung sein. Es wird angenommen, dass Sikhs in Indien im Allgemeinen einem geringes Maß an offizieller und gesellschaftlicher Diskriminierung und Gewalt ausgesetzt sind (DFAT 10.12.2020). Es gibt derzeit keine Hinweise darauf, dass Sikhs alleine auf Grund ihrer Religionszugehörigkeit von der Polizei willkürlich verhaftet oder misshandelt würden (ÖB 9.2020). Doch werden die seit Monaten in Indien andauernden Bauernproteste gegen die von der Regierung verabschiedeten Gesetze zur Liberalisierung des Agrarsektors auch von den Sikhs im Punjab, die vom bisherigen System profitierten, mitgetragen. Das hissen einer Sikh-Flagge im Roten Fort in Delhi interpretiert die indische Regierung als Beteiligung der "Khalistan-Bewegung" an den Protesten (BAMF 22.3.2021). Gegen protestierende Angehörige der Sikhs wurden Ermittlungen wegen ihrer angeblichen Verbindung zu separatistischen Gruppen einleitet (HRW 19.2.2021).
Quellen:
? BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (22.3.2021): Briefing Notes, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2021/briefingnotes-kw12-2021.pdf?__blob=publicationFile&v=4, Zugriff 11.5.2021
? DFAT – Australian Government - Department of Foreign Affairs and Trade [Australien] (10.12.2020): DFAT Country Information Report India, https://www.ecoi.net/en/file/local/2043026/country-information-report-india.pdf, Zugriff 10.5.2021
? HRW – Human Rights Watch (19.2.2021): India: Government Policies, Actions Target Minorities, https://www.ecoi.net/de/dokument/2045877.html, Zugriff 11.5.2021
? ÖB - Österreichische Botschaft New Delhi [Österreich] (9.2020): Asylländerbericht Indien
? USDOS – US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Report on Human Rights Practices: India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048124.html, Zugriff 11.5.2021
Ethnische Minderheiten
? Letzte Änderung: 31.05.2021
Minderheiten sind nach indischem Recht als religiöse und sprachliche Minderheiten definiert (ÖB 9.2020).
Obwohl laut Verfassung die Kastendiskriminierung verboten ist, bleibt die Registrierung zum Zwecke positiver Förderprogramme bestehen, und die Regierung betreibt weiterhin verschiedene Programme, um Mitglieder niederer Kasten zu stärken (USDOS 30.3.2021). Besonders auf dem Land bleiben Diskriminierungen aufgrund der Kastenzugehörigkeit jedoch weit verbreitet (BAMF 30.9.2019). Kritiker behaupten, dass viele der Unterstützungsprogramme zur Förderung Angehöriger der unteren Kasten an den Folgen einer mangelhafter Umsetzung und Korruption leiden (USDOS 30.3.2021).
Noch immer werden in Indien – trotz umfangreicher Förderprogramme und verfassungsmäßigem Verbot der Benachteiligung aufgrund von Kastenzugehörigkeit – Angehörige von niederen Kasten und Kastenlose (sogenannte Dalits, offiziell: „Scheduled Castes“, rund 16,6 Prozent der Gesamtbevölkerung) diskriminiert. Diese Benachteiligung ist in der Struktur der indischen Gesellschaft angelegt, fußt auf sozialen und religiösen Traditionen und verläuft vielfach implizit (AA 23.9.2020).
Mob-geleitete Gewaltakte gegenüber Angehörige von Minderheiten durch extremistische Hindu-Gruppen, die der regierenden BJP (Bharatiya Janata Party) angehören, setzten sich das ganze Jahr 2019 über fort (HRW 14.1.2020). Die Lage für Minderheiten und benachteiligte Gruppen hat sich im letzten Jahr verschlechtert, was auch - aber nicht nur - Konsequenz der Politik der im Frühjahr 2019 mit großer Mehrheit wiedergewählten Regierung von Premierminister Modi ist. Dennoch gilt: Trotz vieler, teils durchaus gravierender Defizite im Menschenrechtsbereich ist die Stabilität Indiens als rechtsstaatliche Demokratie mit weitgehenden individuellen Freiheitsrechten – besonders im regionalen Vergleich – nicht gefährdet (AA 23.9.2020).
Zum Schutz der benachteiligten Gruppen und zur Gewährleistung ihrer Repräsentation im Unterhaus des Parlaments, muss jeder Bundesstaat Sitze für die geschützten Kasten und Stämme in Proportion zur Bevölkerung des Staates reservieren. Nur Kandidaten, die diesen Gruppen angehören dürfen an den Wahlen in den reservierten Wahlkreisen teilnehmen. Mitglieder der Minderheitenbevölkerung dienten als Premierminister, Vizepräsidenten, Richter des Obersten Gerichts und Mitglieder des Parlaments (USDOS 30.3.2021).
Im Nordosten des Landes, sind die Auseinandersetzungen um den Zugang zu Land und die Verteilung der Erträge vor allem ethno-politischer Natur. Die Hauptursachen, die auf die britische Kolonialzeit zurückgehen, liegen zum einen in der wirtschaftlichen Abhängigkeit, Rückständigkeit und politischen Marginalisierung der Region und zum anderen in den Konflikten zwischen den kulturell und ethnisch sehr unterschiedlichen Stammes- und Bevölkerungsgruppen. Die Nordostregion unterscheidet sich kulturell und ethnisch erheblich vom restlichen Indien. Bis heute fühlt sich die lokale Bevölkerung um ihre wirtschaftliche und politische Macht betrogen. Dies erklärt auch den Widerstand gegen (illegale) Einwanderung aus Bangladesch und das neue Staatsbürgerschaftsgesetz. Auch bei der Schaffung der indischen Bundesstaaten wurden die Interessen der lokalen Bevölkerung sowie die Siedlungsgebiete der unterschiedlichen Stämme und Ethnien nur unzureichend berücksichtigt. Die indische Regierung reagierte auf die Aufstände zunächst mit massiver Militärpräsenz. Vor diesem Hintergrund hat sich der Nordosten zum Nährboden für separatistische Bestrebungen und Konflikte entwickelt (BPB 28.9.2020). Die Situation von Kindern aus sozial und wirtschaftlich marginalisierten Gemeinschaften bleiben weiterhin in ganz Indien ein ernsthaftes Problem (HRW 17.1.2019).
Quellen:
? AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (23.9.2020): Auswärtiges Amt, Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien (Stand: Juni 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2038579/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_zur_asyl-_und_abschiebungsrelevanten_Lage_in_der_Republik_Indien_%28Stand_Juni_2020%29%2C_23.09.2020.pdf, Zugriff 16.10.2020
? BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (30.9.2019): Briefing Notes, https://www.ecoi.net/en/file/local/2018350/briefingnotes-kw40-2019.pdf, Zugriff 11.2.2020
? BPB – Bundeszentrale für politische Bildung [Deutchland] (28.89.2020): Indien, https://www.bpb.de/internationales/weltweit/innerstaatliche-konflikte/215390/indien, Zugriff 21.5.2021
? HRW – Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 - India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022689.html, Zugriff 13.3.2020
? HRW – Human Rights Watch (17.1.2019): World Report 2019 - India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2002249.html, Zugriff 17.1.2020
? ÖB - Österreichische Botschaft New Delhi [Österreich] (9.2020): Asylländerbericht Indien
? USDOS – US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Report on Human Rights Practices: India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048124.html, Zugriff 4.5.2021
Bewegungsfreiheit
? Letzte Änderung: 31.05.2021
Das Gesetz gewährt landesweite Bewegungsfreiheit, Auslandsreisen, Migration und Repatriierung, und die Regierung respektiert diese Rechte im Allgemeinen (USDOS 30.3.2021; vgl. AA 23.9.2020), allerdings verlangen Zentralregierung und die Bundesstaatenregierungen vor Reiseantritt von indischen Staatsbürgern spezielle Genehmigungen, um bestimmte gesperrte Regionen bzw. Sperrzonen betreten zu dürfen (USDOS 30.3.2021). Darüber hinaus wird von Einschränkungen der Bewegungsfreiheit für Angehörige der Dalits berichtet. Auch sind die Regierungen der Bundesstaaten angewiesen, die Bewegungsfreiheit der Rohingya auf bestimmte Orte zu beschränken (USDOS 30.3.2021).
Die Regierung kann jedem Antragsteller per Gesetz die Ausstellung eines Reisepasses verweigern, wenn der Antragsteller an Aktivitäten außerhalb des Landes teilnimmt, "die der Souveränität und Integrität der Nation abträglich sind". Der Trend, die Ausfertigung und Aktualisierung von Reisedokumenten für Bürger aus Jammu und Kaschmir zu verzögern, hält weiterhin an. Eine Bearbeitung kann bis zu zwei Jahre dauern. Berichten zufolge unterziehen die Behörden in Jammu und Kaschmir geborene Antragsteller, einschließlich der Kinder von dort stationierten Militäroffizieren, zusätzliche Sicherheitsüberprüfungen, bevor sie entsprechende Reisedokumente ausstellen (USDOS 30.3.2021).
Angesichts massiv gestiegener COVID-19-Infektionszahlen können nächtliche Ausgangssperren oder Lockdowns in allen Städten/Bundesstaaten ohne lange Vorankündigung verhängt werden (BMEIA 10.5.2021). Zunehmend werden Ausgangssperren orts- und lageabhängig verhängt. Viele Bundesstaaten führen zudem oft kurzfristig Einreisebeschränkungen und Kontrollmaßnahmen sowie sonstige einschränkende Maßnahmen ein. Das Verbindungsangebot des nationalen Eisenbahn- und Flugverkehrs ist gegenwärtig stark reduziert, die Einreise auf dem Landweg ist weiterhin nicht möglich (AA 30.4.2021).
Es gibt kein staatliches Melde- oder Registrierungssystem (DFAT 10.12.2020), sodass ein Großteil der Bevölkerung keinen Ausweis besitzt. Dies begünstigt die Niederlassung in einem anderen Landesteil im Falle von Verfolgung. Auch bei laufender strafrechtlicher Verfolgung ist nicht selten ein unbehelligtes Leben in ländlichen Bezirken eines anderen Landesteils möglich, ohne dass die Person ihre Identität verbergen muss. Die Einführung der Aadhaar-Karte im Jahre 2009 hat hieran nichts geändert, da die Registrierung nach wie vor auf freiwilliger Basis erfolgt (AA 23.9.2020). In den großen Städten ist die Polizei jedoch personell und materiell besser ausgestattet, sodass die Möglichkeit, aufgespürt zu werden, dort größer ist. Bekannte Persönlichkeiten ("high profile" persons) können nicht durch einen Umzug in einen anderen Landesteil der Verfolgung entgehen, wohl aber weniger bekannte Personen ("low profile" people) (ÖB 9.2020).
Quellen:
? AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (30.4.2021): Indien: Reise- und Sicherheitshinweise (COVID-19-bedingte Reisewarnung) (gültig seit 27.4.2021), https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/indien-node/indiensicherheit/205998, Zugriff 30.4.2021
? AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (23.9.2020): Auswärtiges Amt, Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien (Stand: Juni 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2038579/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_zur_asyl-_und_abschiebungsrelevanten_Lage_in_der_Republik_Indien_%28Stand_Juni_2020%29%2C_23.09.2020.pdf, Zugriff 16.10.2020
? BMEIA – Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten (10.5.2021): Indien (Republik Indien) Aktuelle Hinweise (Unverändert gültig seit: 3.5.2021), https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/indien/, Zugriff 10.5.2021
? DFAT – Australian Government - Department of Foreign Affairs and Trade [Australien] (10.12.2020): DFAT Country Information Report India, https://www.ecoi.net/en/file/local/2043026/country-information-report-india.pdf, Zugriff 22.3.2021
? ÖB – Österreichische Botschaft New Delhi [Österreich] (9.2020): Asylländerbericht Indien
? USDOS – US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Report on Human Rights Practices: India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048124.html, Zugriff 30.4.2021
Meldewesen
? Letzte Änderung: 31.05.2021
Noch gibt es in Indien kein nationales Melderegister bzw. Staatsbürgerschaftsregister (ÖB 9.2020; vgl. AA 23.9.2020, DFAT 10.12.2021). Allerdings besteht für alle Einwohner (auch ausländische StaatsbürgerInnen) die freiwillige Möglichkeit, sich umfassend mittels Aadhaar (12-stellige, individuelle Nummer) registrieren zu lassen (ÖB 9.2020). Flüchtlinge sind von dieser Möglichkeit jedoch ausgeschlossen (USDOS 30.3.2021). Als Sicherheitsmaßnahme für die Registrierung dienen ein digitales Foto, Fingerabdrücke aller 10 Finger sowie ein Irisscan. Mittels Aadhaar ist es dann möglich, Sozialleistungen von der öffentlichen Hand zu erhalten. Auf Grund der umfangreichen Sicherheitsmaßnahmen (Irisscan, Fingerabrücke) ist das System relativ fälschungssicher. Mittlerweile wurden über 1,2 Mrd. Aadhaar-Registrierungen vorgenommen, womit ein Großteil der indischen Bevölkerung erfasst ist (ÖB 9.2020).
Quellen:
? AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (23.9.2020): Auswärtiges Amt, Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien (Stand: Juni 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2038579/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_zur_asyl-_und_abschiebungsrelevanten_Lage_in_der_Republik_Indien_%28Stand_Juni_2020%29%2C_23.09.2020.pdf, Zugriff 16.10.2020
? DFAT – Australian Government - Department of Foreign Affairs and Trade [Australien] (10.12.2020): DFAT Country Information Report India, https://www.ecoi.net/en/file/local/2043026/country-information-report-india.pdf, Zugriff 22.3.2021
? ÖB – Österreichische Botschaft New Delhi [Österreich] (9.2020): Asylländerbericht Indien
? USDOS – US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Report on Human Rights Practices: India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048124.html, Zugriff 28.4.2021
Grundversorgung und Wirtschaft
? Letzte Änderung: 31.05.2021
Die Anzahl jener Personen, die in Indien unter der absoluten Armutsgrenze (1,90 USD/Tag Kaufkraft) leben, konnte zwischen 2012 und 2019 von 256 Mio. auf 76 Mio. reduziert werden. Gemäß Schätzungen könnten durch die COVID-Krise allerdings bis zu 200 Millionen Menschen wieder in die absolute Armut zurückgedrängt werden (ÖB 9.2020).
Im Geschäftsjahr 2020/21 (1.April 2020 – 31.März 2021) brach Indiens BIP Wachstum mit einem Minus von sieben bis neun Prozent deutlich ein. Der massivste Wachstumsrückgang seit der Unabhängigkeit des Landes im Jahr 1947, verdeutlicht die Auswirkungen der strengen Lockdown Maßnahmen in der ersten sechs Monaten des Vorjahres (WKO 4.2021; vgl. TIE 26.1.2021). 80 Prozent der Arbeiterschaft im informellen Sektor während des Lockdown ihre Arbeit verloren (AAAI 8.2020). Hundertausende Wanderarbeiter flohen in den Wochen danach aus den Städten. Weil auch der Zug- und Bahnverkehr von der Regierung ausgesetzt wurde, müssten viele Arbeiter zum Teil auf den Autobahnen und Gleisen Hunderte Kilometer zu Fuß in ihre Dörfer zurücklegen. Hunderte starben dabei (HO 28.4.2021). Die wirtschaftlichen und sozialen Folgen sind für die Armen besonders gravierend (SZ 25.1.2021; vgl. HO 28.4.2021).
Ab Oktober 2020 konnte wieder ein starker Wachstumsanstieg verzeichnet werden. Die Investitionsförderungsprogramm der Regierung und die Erleichterung der Vergabebedingungen für Investitionskredite haben sehr wesentlich zum Wiederanspringen der Konjunktur beigetragen (WKO 4.2021). Für 2021 wird ein Wirtschaftswachstum von mehr als sieben Prozent erwartet (TIE 26.1.2021).
Der indische Arbeitsmarkt wird durch den informellen Sektor dominiert. Er umfasst Familien- und Kleinbetriebe der Landwirtschaft, des produzierenden Ge