TE Bvwg Erkenntnis 2021/9/27 W222 2244739-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 27.09.2021
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Entscheidungsdatum

27.09.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §52
FPG §55

Spruch


W222 2244739-1/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch seine Richterin Mag. Obregon als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Indien, vertreten durch den MigrantInnenverein St. Marx in 1090 Wien, Pulverturmgasse 4/2/R01, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 01.07.2021, 1278618405/210711063, zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z 3, 57 AsylG 2005, § 9 BFA-VG und §§ 52, 55 FPG als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I.       Verfahrensgang

Der Beschwerdeführer, ein indischer Staatsangehöriger, stellte nach illegaler Einreise in das Bundesgebiet am 29.05.2021 einen Antrag auf internationalen Schutz. Am Tag der Antragstellung wurde er vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes einer niederschriftlichen Erstbefragung unterzogen.

Hiebei gab er zu seinen Fluchtgründen zu Protokoll, dass das Leben in Indien aufgrund der Farmerproteste eingeschränkt sei und die Punjabis als „Khalistanis“ bzw. Terroristen bezeichnet werden. Deshalb sei die Situation in Indien sehr kritisch und habe er aus seinem Heimatland flüchten müssen. Er habe keine weiteren Gründe einer Asylantragstellung.

Am 16.06.2021 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) niederschriftlich einvernommen. Dabei gab er soweit wesentlich folgendes zu Protokoll (sprachliche Unzulänglichkeiten im Original):

„[…]

LA: Wie heißen Sie und wann wurden Sie geboren?

VP: XXXX .

LA: Welche Sprachen sprechen Sie?

VP: Punjabi.

LA: Verstehen Sie die Dolmetscherin einwandfrei?

VP: Ja.

LA: Sie werden nunmehr ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Sie im Fall von Verständigungsschwierigkeiten jederzeit rückfragen können. Am Ende der Einvernahme wird alles nochmals rückübersetzt, da können Sie dann noch Änderungen oder Korrekturen anbringen. Wenn Sie später behaupten, dass etwas falsch protokolliert wurde, müssen Sie das sehr gut begründen können.

Sie werden ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Ihre Angaben im Asylverfahren vertraulich behandelt und keinesfalls an die Behörden Ihres Heimatlandes weitergeleitet werden.

LA: Sind Sie einvernahmefähig, d.h. sind Sie psychisch und physisch in der Lage der Befragung zu folgen?

VP: Ja.

LA: Werden Sie im Asylverfahren durch einen Rechtsanwalt oder durch eine andere Person vertreten?

VP: Nein.

LA: Wie geht es Ihnen gesundheitlich.

VP: Gut. Mir ist mein Handy abgenommen worden, das ist jetzt schon über 14 Tage her und ich habe es nicht bekommen.

AW wird darauf hingewiesen, dass er sich an die Polizei wenden muss, das Handy ist nicht im Akt.

LA: Nehmen Sie Medikamente oder sind Sie in ärztlicher Behandlung.

VP: Ja, nachgefragt gebe ich an, dass ich eine Infektion im Körper habe, da werde ich auch behandelt, ich wurde schon im Punjab behandelt.

LA: Um welche Infektion geht es?

VP: ich habe im Blut eine Infektion, ich bekomme immer wieder Flecken am Körper, wenn ich Proteine einnehme geht es besser.

LA: Haben Sie medizinische Unterlagen?

VP: Nein, hier nicht, aber aus dem Punjab schon.

LA: Sind Sie hier in der Arztstation in Behandlung oder waren Sie auch bei einem Facharzt?

VP: Wo ich zuvor war, als wir festgenommen wurden. Hier nicht. Wir sind durch den Wald gekommen, haben schmutziges Wasser getrunken.

AW unterzeichnet eine entsprechende Einverständniserklärung.

LA: Haben Sie irgendwelche Dokumente oder Beweismittel, die Sie vorlegen könnten.

VP: Ich bin schlepperunterstützt gereist und habe deshalb keine Beweise, ich bin drei Monate nur im Wald gewesen. Der Schlepper hat uns auch alle Sachen abgenommen, damit es nicht so schwer ist für die Reise.

LA: Hatten Sie je Personaldokumente?

VP: Ja, ich hatte einen Personalausweis, einen Reisepass.

LA: Wo sind diese Dokumente?

VP: Den Reisepass hat der Schlepper, der Personalausweis könnte zu Hause sein.

LA: Sie werden darauf hingewiesen, dass Ihre Angaben die Grundlage für die Entscheidung im Asylverfahren sind und dass Ihren Angaben in der Erstaufnahmestelle eine verstärkte Glaubwürdigkeit zukommt.

Es ist wichtig, dass Sie die Wahrheit sagen und nichts verschweigen, aber auch nichts Erfinden. Denn sollte das BFA Ihrem Ersuchen um Asylgewährung nicht nachkommen und Sie gegen diese Entscheidung ein Rechtsmittel einbringen, können Sie bei der Berufungsbehörde am allgemeinen keine neuen Tatsachen und Beweismittel mehr vorbringen. Aus diesem Grunde ersuchen wir Sie, uns jetzt alle Tatsachen im Zusammenhang mit ihrem Asylersuchen mitzuteilen und wenn Sie im Besitz von Beweismittel sind, legen Sie diese vor.

Haben Sie das verstanden?

VP: Ja.

LA: Haben Sie im Verfahren bis dato die Wahrheit gesagt?

VP: Ich habe die Wahrheit gesagt.

LA: Möchten Sie etwas ergänzen oder korrigieren?

VP: Es stimmt alles.

LA: Können Sie bitte einen kurzen Lebenslauf bezüglich ihrer Person schildern? Z.B.: Wo sind sie aufgewachsen, welche Schulausbildung haben Sie absolviert, welchen Beruf haben Sie ausgeübt etc.?

VP: Ich bin in XXXX auf die Welt gekommen, war in der Landwirtschaft tätig, wir sind zwei Brüder und ich habe auch eine Schwester, ich bin der jüngere Bruder.

Mein Bruder und meine Schwester sind verheiratet, ich bin auch verheiratet. Ich habe keine Kinder.

LA: Haben Sie jemals eine Schule besucht?

VP: Ich habe 10 Jahre die Grundschule besucht.

LA: Wie heißt Ihre Frau?

VP: XXXX .

LA: Wo ist Ihre Frau jetzt?

VP: Bei meinen Eltern.

LA: Welcher Volksgruppe gehören Sie an.

VP: Punjabi.

LA: Welcher Religionsgemeinschaft gehören Sie an.

VP: Sikh.

LA: Welche Angehörigen der Kernfamilie (Großeltern, Eltern, Geschwister) und sonstigen Verwandten leben noch in ihrer Heimat.

VP: Meine gesamte Familie lebt in Indien. Nachgefragt gebe ich an, dass meine Eltern, mein Bruder, seine Frau und seine zwei Kinder, meine Schwester und ihr Mann in XXXX , im Punjab, leben.

LA: Wovon lebt Ihre Familie.

VP: Von der Landwirtschaft.

LA: Warum haben Sie Ihr Heimatland verlassen?

VP: Ich war sehr oft mit meinen Freunden zusammen. Wir haben viel Zeit miteinander verbracht und ich habe auch Alkohol konsumiert. Weil ich so betrunken war, hatte ich Streit. Ich habe sie verletzt, ich habe einen anderen Jungen mit einem Hockeyschläger am Kopf verletzt, er wurde dann ins Spital eingeliefert und seine Brüder sind hinter mir her. Das Opfer hat auch ein mentales Problem bekommen und deshalb haben mich seine Brüder gesucht.

Zuvor wusste meine Familie nichts darüber, als die Polizei zu uns nach Hause kam, haben Sie davon erfahren. Ich habe bei meinen Verwandten in der Zwischenzeit Zuflucht gefunden.

Die Verwandten des Opfers kamen zu uns und haben meinen Bruder und meinen Vater verletzt, deshalb ging ich ins Ausland.

LA: Gibt es noch andere Gründe, warum Sie Ihren Herkunftsstaat verlassen haben.

VP: Das zweite Problem ist, dass ich bei der Khalistan-Propaganda mitgemacht habe. Wir haben einen Sitzstreik gemacht und demonstriert.

LA: Gibt es noch andere Gründe, warum Sie Ihren Herkunftsstaat verlassen haben.

VP: Wir haben auch gegen die neuen Gesetze demonstriert, die gegen die Bauern sind. Da habe ich auch teilgenommen.

LA: Gibt es noch andere Gründe, warum Sie Ihren Herkunftsstaat verlassen haben.

VP: Das ist alles.

LA: Was würde Sie konkret erwarten, wenn jetzt Sie in ihren Herkunftsstaat zurückkehren müssten.

VP: Die Familie des Opfers wird mich umbringen.

LA: Befürchten Sie sonst noch etwas?

VP: Das ist alles.

LA: Aufgrund Ihrer politischen Aktivitäten (Khalistan und Bauern) befürchten Sie nichts?

VP: Dazu möchte ich nichts sagen.

Frage wird erklärt.

VP: Ja, vor der RSS. Als ich nach Delhi gehen wollte, zu den Bauernprotesten, war an der Bundesstaatsgrenze Haryana die Armee stationiert. Dort wurden alle von der Polizei zusammengeschlagen. Ich war da gerade nicht dabei, ich bin später gegangen. Die Lage

ist nach wie vor so in Indien, es kommt zu unberechtigten Festnahmen. Die Polizei hängt einem einfach Verfahren an und schmeißt einen ins Gefängnis.

LA: Wenn Sie in Delhi aus dem Flugzeug steigen würden, würden Sie aufgrund Ihrer politischen Aktivitäten Probleme befürchten?

VP: Nein, in Delhi nicht.

LA: Woanders schon?

VP: In meinem Gebiet, wo ich zuhause bin in XXXX schon.

LA: Haben Sie Verwandte oder sonstige Angehörige in Österreich.

VP: Nein.

LA: Besuchen Sie eine Schule oder Kurse.

VP: Nein.

LA: Hatten Sie in Österreich – abgesehen von Ihrem Asylverfahren – mit der Polizei oder mit Gerichten zu tun?

VP: Hier nicht, in Indien schon.

LA: Wurden Sie verurteilt?

VP: Im Punjab?

LA: Ja.

VP: Nein, ich habe nichts angestellt.

LA: Wie kam es zu dem Streit mit dem Jungen?

VP: Ich war sturzbetrunken, ich weiß es nicht.

LA: Wann war das?

VP: Im Jänner, am 10. Jänner.

LA: Wie lange waren Sie danach noch in Indien?

VP: Am 29.01. habe ich Indien verlassen.

LA: Was ist denn in diesen 19 Tagen passiert?

VP: Anfänglich war ich zuhause, als sie dann begonnen haben herauszufinden, wer ich bin und wo ich bin, ging ich zu meiner Tante väterlicherseits. Dann habe ich mir ein Visum besorgt. Sie sind dann einmal vor unser Haus gekommen und haben unser Haus mit

Ziegelsteinen und Steinen beworfen. Dann bin ich nach Dubai. Danach ging ich in die Türkei.

AW wird ersucht die Vorgänge in diesen 19 Tage so genau wie möglich darzulegen.

VP: 2-3 Tage war ich zuhause. Als wir erfahren haben, dass sie mich suchen, ging ich zu meiner Tante. Dann sind sie gekommen und haben meinen Bruder und meinen Vater verletzt. Meine Tante lebt in Amritsar. Mein Vater wusste, dass es für mich gefährlich ist,

deshalb haben sie versucht für mich ein Visum für Dubai zu besorgen. In diesen 19 Tagen hat sich ereignet, was ich geschildert habe. Ich bin dann mit dem Visum nach Dubai.

LA: Wie haben Sie erfahren, dass man Sie sucht?

VP: Durch meine Freunde, die mit mir Zeit verbracht haben.

LA: Was wissen Sie über die Familie des Jungen?

VP: Gar nichts weiß ich über sie. Ich war sturzbetrunken.

LA: Wenn mich eine Familie mit dem Tod bedroht, werde ich doch versuchen, Informationen zu bekommen?

VP: Ich bin nicht lange dortgeblieben, sie haben auch meine Familie verletzt. Aus Angst, weil mein Vater zusammengeschlagen wurde, hat er mich ins Ausland geschickt.

LA: Wann wurde Ihr Vater zusammengeschlagen?

VP: Das Datum weiß ich nicht mehr.

LA: Wann war die Polizei bei Ihnen zuhause?

VP: Da war ich schon in Dubai.

LA: Warum haben Sie sich nicht an die Polizei gewandt, wenn Sie Angst vor dieser Familie hatten?

VP: Ich bin nicht zur Polizei gegangen, weil ich den Jungen verletzt habe.

LA. Wann haben Sie an den Demonstrationen teilgenommen?

VP: Im Jahr 2020 für die Bauern.

LA: Und wegen Khalistan?

VP: Ich habe im Wesentlich gegen die Gesetze von Modi demonstriert, die jetzt neu sind.

LA: Worum geht es bei diesen Gesetzen?

VP: Das eine Gesetz ist für das Ackerland, das wir bewirtschaften. Nachgefragt gebe ich an, dass es um unsere Ernte geht. Wir müssen die Ernte an Größere verkaufen, wir können das nicht mehr allein entscheiden.

Zweitens müssen wir für die Wasserzufuhr bezahlen. Die Regierung wird den Preis unserer Ernte selbständig berechnen, wir können nicht den Preis verlangen, den wir wollen.

LA: Wurden Sie bezüglich dieser Aktivitäten jemals bedroht?

VP: Nein.

LA: Sie meinten vorhin, dass Ihnen aufgrund dieser Aktivitäten in Ihrem Herkunftsort eine Gefahr droht. Wie kommen Sie darauf?

VP: Wegen der Bauernbewegung habe ich keine Angst, ich habe nur Angst vor den Personen, die hinter mir her sind, die Familie des Opfers.

Es wird rückübersetzt. Ast wird aufgefordert genau aufzupassen und sofort bekannt zu geben, wenn etwas nicht korrekt sein sollte bzw. er noch etwas zu ergänzen hat.

Nach erfolgter Rückübersetzung gebe ich an, dass ich Proteine für den Körperaufbau und Bodybuilding genommen habe. Daher habe ich die Infektion. Die Proteine helfen nicht,

sondern sie schaden eher. Ansonsten ist alles richtig und vollständig und es wurde alles richtig wiedergegeben.

LA: Nehmen Sie Medikamente ein?

VP: Ich habe eine Salbe bekommen.

LA: Wieso haben Sie die Ereignisse bzgl. der Schlägerei in der Erstbefragung nicht erwähnt?

VP: Mir hat der Dolmetscher gesagt, dass ich nur die Fragen beantworten soll und nicht zu viel.

LA: Warum erwähnten Sie die Demonstrationen und nicht den tatsächlichen Grund für Ihre Ausreise?

VP: Wie ich schon sagte, sagten sie mir, dass ich nur die Fragen beantworten soll.

Anmerkung: Ihnen wird eine Verfahrensanordnung gem. § 29 Abs. 3 AsylG 2005, sowiedie Verfahrensanordnung gem. §52a BFA-VG ausgehändigt. Anhand der Verfahrensanordnung gem. §29 Abs. 3 AsylG wird Ihnen zur Kenntnis gebracht, dass

geplant ist Ihren Antrag in Österreich abzuweisen.

LA: Möchten Sie dazu Stellung nehmen?

VP: Nein.

LA: Sie haben die Möglichkeit Einsicht in die Länderinformationen der Staatendokumentation (wird erklärt) zu nehmen und eine Stellungnahme abzugeben. Möchten Sie das?

VP: Nein.

LA: Haben Sie sämtliche Gründe, die Sie veranlasst haben, Ihr Heimatland zu verlassen, vollständig geschildert.

VP: Ja.

LA: Wurde Ihnen ausreichend Zeit eingeräumt, Ihre Probleme vollständig und so ausführlich, wie Sie es wollten, zu schildern.

VP: Ja.

LA: Wollen Sie noch etwas angeben, was Ihnen besonders wichtig erscheint.

VP: Nein.

Der zweite Teil der Niederschrift wird rückübersetzt. Ast wird aufgefordert genau aufzupassen und sofort bekannt zu geben, wenn etwas nicht korrekt sein sollte bzw. er noch etwas zu ergänzen hat.

Nach erfolgter Rückübersetzung:

LA: Haben Sie den Dolmetsch während der g e s a m t e n Einvernahme einwandfrei verstanden?

VP: Ja.

LA: Hat der Dolmetsch das rückübersetzt, was Sie gesagt haben?

VP: Ja.

LA: Haben Sie Einwände gegen die Niederschrift oder wurde alles richtig und vollständig protokolliert?

VP: Keine Einwände.“

Am 24.06.2021 wurde der Beschwerdeführer vor dem BFA neuerlich niederschriftlich einvernommen und er gab dabei folgendes zu Protokoll:

„LA: Haben Sie in der letzten Einvernahme die Wahrheit gesagt?

VP: Ja.

LA. Möchten Sie etwas korrigieren oder ergänzen?

VP: Nein.

LA: Wo haben Sie sich vom 16.06.2021 bis 18.06.2021 aufgehalten?

VP: Ich war draußen, ich war in Wien, ich habe kein Handy und war daher nicht erreichbar, ich wollte mich erkundigen, wo mein Handy ist. Einen Tag habe ich versucht mein Handy zu finden. Am zweiten Tag habe ich versucht eine Wohnung und einen Anwalt zu finden.

Ich war im Sikh-Tempel und habe um Hilfe gebeten.

LA: Haben Sie nun einen Anwalt?

VP: Nein, ich habe noch keinen.

LA: Ihnen wird nun mitgeteilt, dass weiterhin beabsichtigt ist, Ihren Asylantrag abzuweisen. Möchten Sie dazu eine Stellungnahme abgeben?

VP: Wo soll ich dann hingehen? Wenn ich nach Indien gehe, werden sie mich nicht am Leben lassen.

AW wird über den weiteren Verlauf des Verfahrens aufgeklärt.

LA: Ich beende jetzt die Befragung. Wollen Sie noch etwas vorbringen, was nicht zur Sprache gekommen ist und Ihnen wichtig erscheint?

VP: Ich würde gerne privat verziehen, ist das möglich.

AW wird darüber aufgeklärt, dass er auf die Grundversorgung verzichten kann. Außerdem wird er darüber aufgeklärt, dass er sich anmelden muss.

Anmerkung: Die gesamte Niederschrift wird wortwörtlich rückübersetzt. Nach erfolgter Rückübersetzung:

LA: Haben Sie die Dolmetscherin während der gesamten Befragung einwandfrei verstanden?

VP: Ja.

LA: Hat sie Ihnen alles rückübersetzt?

VP: Ja.

LA: Haben Sie nun nach Rückübersetzung Einwendungen gegen die Niederschrift selbst, wurde alles richtig und vollständig protokolliert?

VP: Keine Einwände.“

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 01.07.2021 wies das BFA den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Indien ab (Spruchpunkt II.), erteilte ihm einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht (Spruchpunkt III.), erließ gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG (Spruchpunkt IV.), stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Indien zulässig sei (Spruchpunkt V.) und setzte gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest (Spruchpunkt VI.).

Begründend führte das BFA unter anderem aus:

„Sie brachten in der Erstbefragung vor, dass das Leben in Indien aufgrund der Bauernproteste dort stark eingeschränkt wäre. Auch würde die Punjabis als „Khalistanis“ und Terroristen bezeichnet. Weitere Gründe für Ihren Antrag brachten Sie nicht vor.

In der Einvernahme am 16.06.2021 gaben Sie dann befragt, warum Sie Ihr Heimatland verlassen haben, an, dass Sie betrunken waren und einen Streit hatten. Sie hätten einen anderen Jungen mit einem Hockeyschläger verletzt und er wäre ins Spital eingeliefert worden. Seine Brüder wären nun hinter Ihnen her. Als weiteres Problem führten Sie an, dass Sie bei der „Khalistan“-Propaganda mitgemacht hätten und dass Sie an den Protesten der Bauern gegen die neuen Gesetze teilgenommen hätten. Das wären alle Ihre Gründe (vgl. S. 4 der EV vom 16.06.2021).

Zu Ihren politischen Tätigkeiten (Khalistan und Bauernproteste) gaben Sie im Laufe der Einvernahme an, dass Sie diesbezüglich keine Verfolgung befürchten würden (vgl. S. 4f und S. 6 der EV vom 16.06.2021). Daher konnte nicht festgestellt werden, dass Ihnen diesbezüglich in Indien eine Verfolgung drohen würde.

Soweit Sie in der Einvernahme am 16.06.2021 vorbrachten, dass Sie aufgrund der Verletzung des anderen Jungen in Indien eine Verfolgung drohen wurde, konnte Ihnen kein Glauben geschenkt werden. Dies aus folgenden Gründen:

Zuerst ist festzuhalten, dass Sie diesen Vorfall in der Erstbefragung nicht erwähnten. Die Behörde verkennt nicht, dass die Erstbefragung in erster Linie der Feststellung des Reiseweges und der Klärung der Identität dienen soll. Allerdings kommt Ihren Angaben zum Fluchtgrund eine gewisse Indizwirkung zu, weil sie zu diesem Zeitpunkt noch sehr spontan und aufrichtig und unbeeinflusst von anderen Asylwerbern und diversen Organisationen erfolgen. Ein Asylwerber, der eine Geschichte in seiner Heimat selbst erlebt hat, wird diese nämlich in jeder Lebenslage zumindest in den Eckpunkten übereinstimmend erzählen, während sich bei Konstrukten sehr rasch erste Widersprüche auftun. Dass Sie dieses Vorbringen in der Erstbefragung nicht erwähnten, ist ein erstes Indiz, dass es sich nicht um ein tatsächlich erlebtes Ereignis handelt. Vielmehr bestätigten Sie in der Erstbefragung sogar, dass Sie keine weiteren Gründe für Ihre Antragstellung hätten.

Auf die Frage, wieso Sie diese Ereignisse in der Erstbefragung nicht erwähnten, gaben Sie an, dass der Dolmetscher Ihnen gesagt hätte, dass Sie lediglich die Fragen beantworten sollten, und nicht zu viel sagen sollten (vgl. S. 6 der EV vom 16.06.2021). Dies erscheint jedoch als reine Schutzbehauptung, da Sie in der Erstbefragung angaben, keine weiteren Gründe zu haben.

Außerdem waren Ihre Angaben oberflächlich und keinesfalls glaubhaft. So konnten Sie keinerlei Angaben zu dem Streit machen. Sie gaben an, dass Sie es nicht wüssten, weil Sie betrunken gewesen wären (vgl. S. 5 der EV vom 16.06.2021). Sie gaben aber auch an, dass Sie mit Freunden unterwegs waren. Es ist keineswegs nachvollziehbar, dass – selbst wenn Sie keine Erinnerungen an diesen Vorfall haben – nicht versucht hätten, die Geschehnisse im Nachhinein zu rekonstruieren.

Auch konnten Sie keinerlei Angaben zur Familie des vermeintlichen Opfers machen (vgl. S. 5f der EV vom 16.06.2021). Auch dies erscheint völlig lebensfremd. Hätten Sie tatsächlich aus Angst vor Verfolgung durch die Familie des Opfers Indien verlassen, wäre zu erwarten, dass Sie Angaben zu Ihren vermeintlichen Verfolgern machen könnten.

Auch ergaben sich hinsichtlich Ihres Fluchtvorbringens Widersprüche. So gaben Sie erst an, dass Ihre Familie nichts von dem Vorfall gewusst hätte, bis die Polizei zu Ihnen nach Hause gekommen wäre. Sie hätten in der Zwischenzeit bei Verwandten Zuflucht gefunden (vgl. S. 4 der EV vom 16.06.2021).

Befragt wann die Polizei bei Ihnen zuhause gewesen wäre, gaben Sie an, dass Sie da schon in Dubai gewesen wären (vgl. S. 6 der EV vom 16.06.2021).

Es ist keineswegs nachvollziehbar, dass Sie einerseits angeben, dass Sie Zuflucht bei Ihren Verwandten gefunden hätten und andererseits, dass Ihr Vater erst von dem Vorfall erfahren hätte, als die Polizei zu Ihnen gekommen wäre.

Auch die Schilderung der Ereignisse zwischen dem Vorfall und Ihrer Ausreise war völlig oberflächlich und keineswegs dergestalt, wie es zu erwarten wäre, wenn Sie tatsächlich aus Furcht vor der Familie des Opfers versteckt gewesen wären (vgl. S. 5 der EV vom 16.06.2021).

Zusammenfassend ist es Ihnen keineswegs gelungen, eine Verfolgung in Ihrem Herkunftsstaat glaubhaft zu machen.

Selbst bei Wahrunterstellung Ihrer Angaben, steht aufgrund der Länderberichte für die Behörde fest, dass die indischen Behörden sowohl willens als auch in der Lage sind, Sie vor privater Verfolgung zu schützen.

So wird in den Länderinformationen dazu folgendes ausgeführt: Allgemein ist die Polizei mit der Strafverfolgung, Verbrechensprävention und -bekämpfung sowie der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung betraut und übt gleichzeitig eine teilweise Kontrolle über die verschiedenen Geheimdienste aus. Innerhalb der Polizei gibt es eine Kriminalpolizei (Criminal Investigation Department - CID), in die wiederum eine Sondereinheit (Special Branch) integriert ist. Während erstere mit nationalen und die Bundesstaaten übergreifenden Verbrechen betraut ist, hat die Sondereinheit Informationsbeschaffung und Überwachung jeglicher subversiver Elemente und Personen zur Aufgabe. In fast allen Bundesstaaten sind spezielle Polizeieinheiten aufgestellt worden, die sich mit Frauen und Kindern beschäftigen. Kontrolliert wird ein Großteil der Strafverfolgungsbehörden vom Innenministerium (Ministry of Home Affairs) (BICC 1.2021).

Daher konnte nicht festgestellt werden, dass Sie bei einer Rückkehr nach Indien einer Verfolgung unterliegen würden.“

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Indien und wurde in Indien im indischen Bundesstaat Punjab am XXXX geboren. Am 29.05.2021 hat der Beschwerdeführer im Bundesgebiet den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Er gehört der Religionsgemeinschaft der Sikh und der Volksgruppe der Punjabis an. Er ist verheiratet und hat keine Kinder. Die Frau des Beschwerdeführers lebt bei den Eltern des Beschwerdeführers in Indien im indischen Bundesstaat Punjab. Der Beschwerdeführer verfügt über eine zehnjährige Schulbildung und hat in Indien in der Landwirtschaft gearbeitet. Der Beschwerdeführer spricht Punjabi. In Indien leben nach wie vor seine Eltern, Geschwister und Ehefrau. Im Bundesgebiet verfügt der Beschwerdeführer über keinerlei Familienangehörige, er lebt auch nicht in einer Lebensgemeinschaft. Es konnte nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer die deutsche Sprache beherrscht, einer regelmäßigen, legalen Beschäftigung nachgeht, sich sozial engagiert oder hier Freunde gefunden hat. Der Beschwerdeführer ist gesund und arbeitsfähig.

Nicht festgestellt werden kann, dass der Beschwerdeführer sein Herkunftsland aus den von ihm genannten Gründen verlassen hat.

Der Beschwerdeführer gehört keiner vom Coronavirus SARS-CoV-2 besonders betroffenen Risikogruppe wie ältere Personen (mit stetig steigendem Risiko für einen schweren Verlauf ab etwa 50–60 Jahren; 86 % der in Deutschland an COVID-19 Verstorbenen waren 70 Jahre alt oder älter [Altersmedian: 82 Jahre]), adipöse (BMI >30) und stark adipöse (BMI >35) Menschen, Menschen mit Down-Syndrom (Trisomie 21) oder Personen mit bestimmten Vorerkrankungen ([ohne Rangfolge] des Herz-Kreislauf-Systems [z. B. koronare Herzerkrankung und Bluthochdruck], chronische Lungenerkrankungen [z. B. COPD], chronische Nieren- und Lebererkrankungen, psychiatrische Erkrankungen [z. B. Demenz], Patienten mit Diabetes mellitus [Zuckerkrankheit], Patienten mit einer Krebserkrankung, Patienten mit geschwächtem Immunsystem [z. B. aufgrund einer Erkrankung, die mit einer Immunschwäche einhergeht oder durch die regelmäßige Einnahme von Medikamenten, die die Immunabwehr beeinflussen und herabsetzen können, wie z. B. Cortison]) an (https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Steckbrief.html; abgerufen am 17.09.2021).

Zur allgemeinen politischen und menschenrechtlichen Situation in Indien wird Folgendes festgestellt:

Derzeit herrscht weltweit die als COVID-19 bezeichnete Pandemie. COVID-19 wird durch das Coronavirus SARS-CoV-2 verursacht. Im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers wurden bisher 33.417.390 Fälle von mit diesem Coronavirus infizierten Personen nachgewiesen, wobei bisher 444.529 diesbezügliche Todesfälle bestätigt (https://coronavirus.jhu.edu/map.html, abgerufen am 19.09.2021).

COVID-19:

Letzte Änderung: 21.05.2021

Im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie verhängte die indische Regierung am 25. März 2020 eine Ausgangssperre über das gesamte Land, die nur in Einzelfällen (Herstellung lebensnotwendiger Produkte und Dienstleistungen, Einkaufen für den persönlichen Bedarf, Arztbesuche, usw.) durchbrochen werden durfte. Trotz der Ausgangssperre sanken die Infektionszahlen nicht. Seit der ersten Aufsperrphase, die am 8. Juni 2020 begann, schießt die Zahl der Infektionen noch steiler als bisher nach oben. Größte Herausforderung während der Krise waren die Millionen von Wanderarbeitern, die praktisch über Nacht arbeitslos wurden, jedoch auf Grund der Ausgangssperre nicht in ihre Dörfer zurückkehren konnten (ÖB 9.2020; vgl. HRW 13.1.2021). Viele von ihnen wurden mehrere Wochen in Lagern unter Quarantäne gestellt (also de facto eingesperrt), teilweise mit nur schlechter Versorgung (ÖB 9.2020). Menschen mit Beeinträchtigungen sind von coronabedingten Maßnahme wie Abriegelungen und sozialen Distanzierungen besonders betroffen. Der Zugangs zu medizinischer Versorgung und lebenswichtigen Gütern und der Ausübung sozialer Distanzierung, insbesondere für diejenigen, die persönliche Unterstützung für Aufgaben des täglichen Lebens erhalten (HRW 13.1.2021). Während der ersten Wochen der COVID-19 Pandemie, wurden Muslime für die Verbreitung des Coronavirus, auch von Vertretern der Regierungsparteien verantwortlich gemacht (FH 3.3.2021; vgl. HRW 13.1.2021).

Nach Angaben des indischen Gesundheitsministeriums vom 11. Oktober 2020 wurden seit Beginn der Pandemie mehr als sieben Millionen Infektionen mit COVID registriert. Die täglichen offiziellen Fallzahlen stiegen zwar zuletzt weniger schnell als noch im September, die Neuinfektionen nehmen in absoluten Zahlen jedoch schneller zu als in jedem anderen Land der Welt. Medien berichten in einigen Teilen des Landes von einem Mangel an medizinischem Sauerstoff in Krankenhäusern (BAMF 12.10.2020).

Die Lage in Indien, dass mit Bezug auf das Infektionsgeschehen (neben den USA und Brasilien) zu den am schwersten von der COVID-19-Pandemie betroffenen Ländern weltweit zählt, hat sich sich gegenüber dem Sommer 2020 mit damals fast 100.000 Neuinfektionen pro Tag inzwischen etwas entspannt. Es erkranken offiziellen Angaben zufolge nach wie vor etwa 40.000 Menschen täglich am Virus. In den Ballungszentren kann die medizinische Versorgung weitestgehend aufrecht erhalten werden (GTAI 3.12.2020). Indiens Wirtschaft wurde durch die COVID-19-Pandemie stark beeinträchtigt (DFAT 10.12.2020; vgl. GTAI 3.12.2020). Das Land rutschte im zweiten Quartal des Geschäftsjahres 2020-21 erstmals in eine wirtschaftliche Rezession (PRC 18.3.2021). Es wird allgemein erwartet, dass das Land ab 2021 zu einem nachhaltigen Wachstum zurückkehren wird (DFAT 10.12.2020; vgl. GTAI 3.12.2020). Nach dem zweimonatigen harten Lockdown im Frühjahr 2020 hat die indische Regierung das öffentliche Leben im Rahmen ihrer Unlock-Strategie schrittweise wieder hochgefahren. Die Bundesstaaten und Unionsterritorien haben dabei weitreichendere Entscheidungsbefugnisse, welche Lockerungen sie umsetzen und welche nicht. Mit den bestehenden Einschränkungen sollen vor allem Superspreader-Events wie religiöse Großveranstaltungen und Hochzeiten eingedämmt werden. Massentests, Kontaktnachverfolgung, Isolierung von Infizierten und die Abschottung von Gebieten mit hohen Fallzahlen (Containment Zones) sollen helfen, das Virus zurückzudrängen (GTAI 3.12.2020; vgl. WKO 13.1.2021). Es kann daher vereinzelt und regional sowie zeitlich begrenzt zu erneuten Lockdowns kommen. Eine Skizzierung in „Red Zone“, „Orange Zone“ und „Green Zone“ wird von der Regierung des Bundesstaates/Unionsterritoriums in Absprache mit dem Gesundheitsministerium und der nationalen Regierung entschieden (WKO 13.1.2021).

Gegen regierungskritische Äußerungen, auch im Zusammenhang mit Maßnahmen der Regierung im Umgang mit der COVID-19 Pandemie wurden mittels aus der Kolonialzeit stammenden Gesetzen zur Staatsverhetzung und dem im Jahr 2000 erlassenen IT-Gesetz vorgegangen (FH 3.3.2021). Medienvertreter sehen sich Drohungen, Verhaftungen, Strafverfahren oder körperlichen Angriffen durch Mobs oder der Polizei wegen der Berichterstattung über die Pandemie ausgesetzt (HRW 13.1.2021). Mehrere von der Regierung zur Eindämmung einer Verbreitung der Pandemie getroffenen Maßnahmen wurden von Menschenrechtsanwälten als invasiv angesehen (FH 3.3.2021).

Im ersten Quartal 2021 wird Indien mit einem Anstieg der Fallzahlen vor einer zweiten COVID-19 Welle erfasst (TOI 21.3.2021; vgl. TFE 20.3.2021) und verzeichnete im Zeitraum ab April/Mai 2021 die höchsten Zahlen an täglichen Todesfällen wegen des Coronavirus seit Beginn der Pandemie (BAMF 3.5.2021). Kritik äußert sich aus dem Umstand heraus, dass Indien, ob seiner Pharmaindustrie, als "Apotheke der Welt" durch die Lieferung von Covid-19-Impfstoffen an viele Länder der Welt genießt (FE 20.3.2021; vgl. TOI 21.3.2021), gleichzeitig jedoch bei der Durchimpfung der eigenen Bevölkerung landesweit lediglich einen Wert von rund zwei Prozent erreicht (HO 28.4.2021).

Auch der Umstand, dass im Zuge der Regionalwahlen in einigen Bundesstaaten große Kundgebungen mit zum Teil Zehntausender Besucher abgehalten wurden, wie auch die Durchführung des hinuistischen Festes Kumbh-Mela in Haridwar im nördlichen Bundesstaat Uttarakhand, an dem im Zeitraum von Jänner 2021 bis zum 27. April knapp 25 Millionen Hindus vor Ort teilgenommen haben, attestieren der indischen regierung eine "praktizierte Sorglosigkeit". Die Aussage der BJP bei einer Wahlveranstaltung im Bundestaat Assam in der verkündet wurde, "Wahlveranstaltungen und religiöse Zusammenkünfte tragen nicht zur Verbreitung von Covid-19 bei", wird kritisiert (BAMF 3.5.2021; vgl. HO 28.4.2021).

Seit Mai 2021 sind alle Erwachsenen impfberechtigt, davor nur über 45-Jährige. In mehreren Bundesstaaten des Landes ist der Impfstoff ausgegangen, Hilfsgüter aus mehreren Ländern wie Beatmungsgeräte, Anlagen zur Sauerstofferzeugung, Medikamente und Impfstoff werden Indien von der internationalen Staatengemeionschaft zur Verfügung gestellt. Medienberichten zufolge will Indien die eigene Impfstoffproduktion bis Juni 2021 erhöhen, von der staalichen indischen Eisenbahngesellschaft gab bekannt, 4.000 Waggons mit einer Kapazität von 64.000 Betten als provisorische Stationen für Corona-Patienten bereitzustellen (BAMF 3.5.2021).

Alle Experten davon aus, dass kurzfristig die Fallzahlen wie auch die Zahlen der Toten weiter ansteigen werden, da das staatliche Gesundheitssystem in vielen Landesteilen schon jetzt an seine Grenzen gestoßen ist. Eine mittelfristige Prognose ist noch unklar. Eine Hoffnung stellt, bedingt durch den bereits erfolgten sehr breiten Ansteckung der Bevölkerung das Erreichen einer Herdenimmunität dar (HO 25.4.2021).

Quellen:

-        BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (3.5.2021): Briefing Notes, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2021/briefingnotes-kw18-2021.pdf?__blob=publicationFile&v=3, Zugriff 7.5.2021

-        BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (12.10.2020): https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2020/briefingnotes-kw42-2020.pdf;jsessionid=91E533F0FC7A0F35C0751A9F00F3D711.internet572?__blob=publicationFile&v=4, Zugriff 12.10.2020

-        DFAT – Australian Government - Department of Foreign Affairs and Trade [Australien] (10.12.2020): DFAT Country Information Report India, https://www.ecoi.net/en/file/local/2043026/country-information-report-india.pdf, Zugriff 18.1.2021

-        FE – Financial Express (20.3.2021): Coronavirus Lockdown 2021 News Highlights: Only partial relaxation from lockdown in Nagpur from Monday, https://www.financialexpress.com/lifestyle/health/coronavirus-lockdown-2021-live-news-coronavirus-india-latest-march-20-updates-narendra-modi-covid-lockdown-night-curfew-maharashtra-mumbai-pune-nagpur-uttar-pradesh-delhi-bengaluru-hyderabad-punjab-gu/2216571/, Zugriff 22.3.2021

-        FH – Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 - India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046516.html, Zugriff 22.3.2021

-        GTAI – German Trade & Invest [Deutschland] (3.12.2020): Indien sieht erste Anzeichen einer Konjunkturbelebung, https://www.gtai.de/gtai-de/trade/specials/special/indien/indien-sieht-erste-anzeichen-einer-konjunkturbelebung-234424, Zugriff 18.1.2021

-        HO – Heise Online (25.4.2021): Telepolis: Corona in Indien: Sorglosigkeit, Mutanten und himmelschreiende Ungleichheit, https://www.heise.de/tp/features/Corona-in-Indien-Sorglosigkeit-Mutanten-und-himmelschreiende-Ungleichheit-6030218.html, Zugriff 7.5.2021

-        HRW – Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2021 - India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2043608.html, Zugriff 18.1.2021

-        ÖB – Österreichische Botschaft New Delhi [Österreich] (9.2020): Asylländerbericht Indien

-        PRC – Pew Research Center (18.3.2021): In the pandemic, India’s middle class shrinks and poverty spreads while China sees smaller changes, https://www.pewresearch.org/fact-tank/2021/03/18/in-the-pandemic-indias-middle-class-shrinks-and-poverty-spreads-while-china-sees-smaller-changes/, Zugriff 22.3.2021

-        TOI – Times of India (21.3.2021): Government failed to control Covid spread, must vaccinate all within months: Congress,

-        http://timesofindia.indiatimes.com/articleshow/81618736.cms?utm_source=contentofinterest&utm_medium=text&utm_campaign=cppst, Zugriff 22.3.2021

-        WKO – Wirtschaftskammer Österreich [Österreich] (13.1.2021): Coronavirus: Situation in Indien, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/coronavirus-infos-indien.html, Zugriff 18.1.2021

Politische Lage:

Letzte Änderung: 21.05.2021

Indien ist mit über 1,3 Milliarden Menschen und einer multireligiösen und multiethnischen Gesellschaft die bevölkerungsreichste Demokratie der Welt (CIA 27.4.2021; vgl. AA 23.9.2020). Indien hat sich in den letzten Jahrzehnten zu einer regionalen Hegemonialmacht in Südostasien entwickelt. Nachdem sich das Land während des Kalten Krieges vor allem innerhalb der Blockfreienbewegung profilierte, verfolgt es heute eine eindeutig pro-westliche Politik (BICC 1.2021).

Indien ist eine parlamentarische Demokratie und verfügt über ein Mehrparteiensystem und ein Zweikammerparlament (USDOS 30.3.2021). Darüber hinaus gibt es Parlamente auf Ebene der Bundesstaaten (AA 23.9.2020). Im Einklang mit der Verfassung haben die 28 Bundesstaaten und acht Unionsterritorien ein hohes Maß an Autonomie und tragen die Hauptverantwortung für Recht und Ordnung (USDOS 30.3.2021).

Der Präsident ist das Staatsoberhaupt und wird von einem Wahlausschuss gewählt, während der Premierminister der Regierungschef ist (USDOS 30.3.2021). Der Präsident nimmt weitgehend repräsentative Aufgaben wahr. Die politische Macht liegt hingegen beim Premierminister und seiner Regierung, die dem Parlament verantwortlich ist. Präsident ist seit 25. Juli 2017 Ram Nath Kovind, der der Kaste der Dalits (Unberührbaren) entstammt (GIZ 1.2021a).

Der Grundsatz der Gewaltenteilung von Legislative, Exekutive und Judikative ist nach britischem Muster durchgesetzt (AA 23.9.2020). Die Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit ist verfassungsmäßig garantiert, der Instanzenzug ist dreistufig (AA 23.9.2020). Das oberste Gericht (Supreme Court) in New Delhi steht an der Spitze der Judikative und wird gefolgt von den High Courts auf Länderebene (GIZ 1.2021a).

Die Verfassung garantiert Rede- und Meinungsfreiheit (USDOS 30.3.2021). Unabhängigen Medien drücken eine große Bandbreite von Meinungen und Ansichten ohne Einschränkungen aus (USDOS 30.3.2021; vgl. FH 3.3.2021). Allerdings haben die Angriffe auf die Pressefreiheit unter der Regierung Modi zugenommen (FH 3.3.2021).

Im April/Mai 2019 wählten etwa 900 Mio. Wahlberechtigte ein neues Unterhaus. Im System des einfachen Mehrheitswahlrechts konnte die Bharatiya Janata Party (BJP) unter der Führung des amtierenden Premierministers Narendra Modi ihr Wahlergebnis von 2014 nochmals verbessern (AA 23.9.2020).

Als deutlicher Sieger mit 352 von 542 Sitzen stellt das Parteienbündnis "National Democratic Alliance (NDA)", mit der BJP als stärkster Partei (303 Sitze) erneut die Regierung. Der BJP-Spitzenkandidat und amtierende Premierminister Narendra Modi wurde im Amt bestätigt. Die United Progressive Alliance rund um die Congress Party (52 Sitze) erhielt insgesamt 92 Sitze (ÖB 9.2020; vgl. AA 19.7.2019). Die Wahlen verliefen, abgesehen von vereinzelten gewalttätigen Zusammenstößen v. a. im Bundesstaat Westbengal, korrekt und frei. Im Wahlbezirk Vellore (East) im Bundesstaat Tamil Nadu wurden die Wahlen wegen des dringenden Verdachts des Stimmenkaufs ausgesetzt und werden zu einem späteren Zeitpunkt nachgeholt (AA 19.7.2019). Mit der BJP-Regierung unter Narendra Modi haben die hindu-nationalistischen Töne deutlich zugenommen. Die zahlreichen hindunationalen Organisationen, allen voran das Freiwilligenkorps RSS [Rashtriya Swayamsevak Sangh], fühlen sich nun gestärkt und versuchen verstärkt, die Innenpolitik aktiv in ihrem Sinn zu bestimmen (GIZ 1.2021a). Mit der Reform des Staatsbürgerschaftsrechts treibt die regierende BJP ihre hindunationalistische Agenda weiter voran. Die Reform wurde notwendig, um die Defizite des Bürgerregisters des Bundesstaats Assam zu beheben und den Weg für ein landesweites Staatsbürgerregister zu ebnen. Kritiker werfen der Regierung vor, dass die Vorhaben vor allem Muslime und Musliminnen diskriminieren, einer großen Zahl von Personen den Anspruch auf die Staatsbürgerschaft entziehen könnten und Grundwerte der Verfassung untergraben (SWP 2.1.2020; vgl. TG 26.2.2020). Kritiker der Regierung machten die aufwiegelnde Rhetorik und die Minderheitenpolitik der regierenden Hindunationalisten, den Innenminister und die Bharatiya Janata Party (BJP) für die Gewalt verantwortlich, bei welcher Ende Februar 2020 mehr als 30 Personen getötet wurden. Hunderte wurden verletzt (FAZ 26.2.2020; vgl. DW 27.2.2020).

Bei der Wahl zum Regionalparlament der Hauptstadtregion New Delhi musste die Partei des Regierungschefs Narendra Modi gegenüber der regierenden Antikorruptionspartei Aam Aadmi (AAP) eine schwere Niederlage einstecken. Diese gewann die Regionalwahl erneut mit 62 von 70 Wahlbezirken. Die AAP unter Führung von Arvind Kejriwal, punktete bei den Wählern mit Themen wie Subventionen für Wasser und Strom, Verbesserung der Infrastruktur für medizinische Dienstleistungen sowie die Sicherheit von Frauen, während die BJP für das umstrittene Staatsbürgerschaftsgesetz warb (KBS 12.2.2020). Modis Partei hat in den vergangenen zwei Jahren bereits bei verschiedenen Regionalwahlen in den Bundesstaaten Maharashtra und Jharkhand heftige Rückschläge hinnehmen müssen (quanatra.de 14.2.2020; vgl. KBS 12.2.2020).

Bei Regionalwahlen in vier indischen Bundesstaaten und einem Unionsterritorium hat die konservative Regierungspartei BJP von Premierminister Modi offenbar keine Zugewinne erzielt. In Westbengalen liegt die BJP deutlich hinter der Regionalpartei All India Trinamool Congress (TMC) von Chefministerin Mamata Banerjee. Auch in Assam, Tamil Nadu, Kerala und Puducherry fanden Wahlen statt. Nur in Assam konnte die BJP an der Macht festhalten, aber auch dort erzielte sie – wie in den anderen Bundesstaaten – keine Zugewinne. Der Wahlkampf fand inmitten der Corona-Pandemie zum Teil mit riesigen Wahlkundgebungen statt. Viele Experten sehen darin die Ursache für den dramatischen Anstieg der Infektionszahlen im Land. Modi hatte sich im Wahlkampf besonders in Westbengalen engagiert, das an der Grenze zu Bangladesch liegt und eine starke muslimische Minderheit hat. Die BJP versprach, hunderttausende Muslime auszuweisen, die vor Jahrzehnten aus Bangladesch nach Indien geflohen sind (DS 3.5.2021).

Trotz der Annäherung an die USA und der zunehmenden Spannungen mit China betont Indien weiterhin seine strategische Autonomie. Diese beinhaltet auch den Anspruch auf eine eigenständige Rolle im Kontext der geopolitischen Spannungen zwischen China und den USA im Indo-Pazifik. So haben Indien und China in den letzten Jahren auch immer wieder kooperiert, zum Beispiel in der Shanghaier Orga-nisation für Zusammenarbeit. Innerhalb der Quad hat sich Indien für ein inklusives Verständnis des Indo-Pazifiks ausgesprochen, das im Unterschied zu den Vorstellungen der USA bislang immer die Einbeziehung Chinas beinhaltete (SWP 7.2020). Ein ständiger Sitz im UN-Sicherheitsrat ist weiterhin ein strategisches Ziel Indiens (GIZ 1.2021a).

Quellen:

-        AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (23.9.2020): Auswärtiges Amt, Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien (Stand: Juni 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2038579/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_zur_asyl-_und_abschiebungsrelevanten_Lage_in_der_Republik_Indien_%28Stand_Juni_2020%29%2C_23.09.2020.pdf, Zugriff 15.10.2020

-        AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (19.7.2019): Auswärtiges Amt, Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien (Stand: Mai 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2014276/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_zur_asyl-_und_abschiebungsrelevanten_Lage_in_der_Republik_Indien_%28Stand_Mai_2019%29%2C_19.07.2019.pdf, Zugriff 15.10.2020

-        AA – Auswärtiges Amt (11.2.2021): Indien: Politisches Porträt, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/indien-node/politisches-portrait/206048, Zugriff 6.5.2021

-        BICC – Bonn International Centre for Conversion (1.2021): Informationsdienst - Sicherheit, Rüstung und Entwicklung in Empfängerländern deutscher Rüstungsexporte: Länderinformation Indien, http://www.ruestungsexport.info/user/pages/04.laenderberichte/indien/2020_Indien.pdf, Zugriff 23.3.2021

-        CIA - Central Intelligence Agency (27.4.2021): The World Factbook – India, https://www.cia.gov/the-world-factbook/countries/india/#people-and-society, Zugriff 6.5.2021

-        DS Der Standard (3.5.2021): Indien: Regionalwahl-Schlappe für Modi inmitten steigender Corona-Zahlen, https://www.derstandard.at/story/2000126330932/indienregionalwahl-schlappe-fuer-modi-inmitten-steigender-corona-faelle, Zugriff 6.5.2021

-        DW – Deutsche Welle (27.2.2020): Sierens China: Schwieriges Dreiecksverhältnis, https://www.dw.com/de/sierens-china-schwieriges-dreiecksverh%C3%A4ltnis/a-52556817, Zugriff 28.2.2020

-        FAZ – Frankfurter Allgemeine Zeitung (26.2.2020): Immer mehr Tote nach Unruhen in Delhi, https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/indien-tote-bei-gewalt-zwischen-hindus-und-muslimen-in-delhi-16652177.html, Zugriff 28.2.2020

-        FH - Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 - India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046516.html, Zugriff 6.5.2021

-        GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (1.2021a): Indien, Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/indien/geschichte-staat/, Zugriff 11.5.2021

-        KBS – Korean Broadcasting System (12.2.2020): Niederlage für Indiens Regierungschef Modi bei Wahl in Neu Delhi, http://world.kbs.co.kr/service/contents_view.htmlang=g&board_seq=379626, Zugriff 14.2.2020

-        ÖB - Österreichische Botschaft New Delhi [Österreich] (9.2020): Asylländerbericht Indien

-        Quantara.de (14.2.2020): Herbe Niederlage für Indiens Regierungschef Modi bei Wahl in Neu Delhi, https://de.qantara.de/content/herbe-niederlage-fuer-indiens-regierungschef-modi-bei-wahl-in-neu-delhi, Zugriff 20.2.2020

-        SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (7.2020): Indisch-chinesische Konfrontation im Himalaya. Eine Belastungsprobe für Indiens strategische Autonomie, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2020A63_IndienChina.pdf, Zugriff 11.5.2021

-        SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (8.2019): Indiens Ringen um die Staatsbürgerschaft, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2020A02_wgnArora_WEB.pdf, Zugriff 18.2.2020

-        SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (8.2019): Keine Ruhe in Kaschmir. Die Auflösung des Bundesstaats und die Folgen für Indien, https://www.swp-berlin.org/10.18449/2019A45/, Zugriff 16.1.2020

-        TG – The Guardian (26.2.2020): Anti-Muslim violence in Delhi serves Modi well, https://www.theguardian.com/commentisfree/2020/feb/26/violence-delhi-modi-project-bjp-citizenship-law, Zugriff 28.2.2020

-        USDOS – US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Report on Human Rights Practices: India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048124.html, Zugriff am 6.5.2021

Sicherheitslage:

Letzte Änderung: 28.05.2021

Indien hat sich in den letzten Jahrzehnten zu einer regionalen Hegemonialmacht in Südostasien entwickelt. Nachdem sich das Land während des Kalten Krieges vor allem innerhalb der Blockfreienbewegung profilierte, verfolgt es heute eine eindeutig pro-westliche Politik. Das Land ist ein wichtiger Handelspartner der EU und der Vereinigten Staaten (BICC 1.2021).

Es gibt in Indien eine Vielzahl von Spannungen und Konflikten, Gewalt ist an der Tagesordnung (GIZ 1.2021a). Aufstände gibt es auch in den nordöstlichen Bundesstaaten Assam, Manipur, Nagaland sowie in Teilen Tripuras. In der Vergangenheit konnte eine Zunahme von Terroranschlägen in Indien, besonders in den großen Stadtzentren, verzeichnet werden. Mit Ausnahme der verheerenden Anschläge auf ein Hotel in Mumbai im November 2008, wird Indien bis heute zwar von vermehrten, jedoch kleineren Anschlägen heimgesucht (BICC 1.2021). Aber auch in den restlichen Landesteilen gab es in den letzten Jahren Terroranschläge mit islamistischem Hintergrund. Im März 2017 platzierte eine Zelle des „Islamischen Staates“ (IS) in der Hauptstadt des Bundesstaates Madhya Pradesh eine Bombe in einem Passagierzug. Die Terrorzelle soll laut Polizeiangaben auch einen Anschlag auf eine Kundgebung von Premierminister Modi geplant haben (bpb 12.12.2017). Das Land unterstützt die US-amerikanischen Maßnahmen gegen den internationalen Terrorismus. Intern wurde eine drakonische neue Anti-Terror-Gesetzgebung verabschiedet, die Prevention of Terrorism Ordinance (POTO), von der Menschenrechtsgruppen fürchten, dass sie auch gegen legitime politische Gegner missbraucht werden könnte (BICC 1.2021).

Konfliktregionen sind Jammu und Kashmir (ÖB 9.2020; vgl. BICC 1.2021) und der von separatistischen Gruppen bedrohte Nordosten Indiens (ÖB 9.2020; vgl. BICC 1.2021, AA 23.9.2020). Der Punjab blieb im vergangenen Jahren von Terroranschlägen und Unruhen verschont (im Punjab wurden 2020 insgesamt 18 Vorfälle im Zusammenhang mit Terrorismus registriert (SATP 3.5.2021a). Neben den islamistischen Terroristen tragen die Naxaliten zur Destabilisierung des Landes bei. Von Chattisgarh aus kämpfen sie in vielen Unionsstaaten (von Bihar im Norden bis Andrah Pradesh im Süden) mit Waffengewalt gegen staatliche Einrichtungen. Im Nordosten des Landes führen zahlreiche Separatistengruppen (United Liberation Front Assom, National Liberation Front Tripura, National Socialist Council Nagaland, Manipur People’s Liberation Front etc.) einen Kampf gegen die Staatsgewalt und fordern entweder Unabhängigkeit oder mehr Autonomie (ÖB 9.2020; vgl. AA 23.9.2020). Der gegen Minderheiten wie Moslems und Christen gerichtete Hindu-Radikalismus wird selten von offizieller Seite in die Kategorie Terror eingestuft, sondern vielmehr als „communal violence“ bezeichnet (ÖB 9.2020).

Gewalttätige Operationen maoistischer Gruppierungen in den ostzentralen Bergregionen Indiens dauern an (ÖB 9.2020; vgl. AA 23.7.2020, FH 3.3.2021). Rebellen heben illegale Steuern ein, beschlagnahmen Lebensmittel und Unterkünfte und beteiligen sich an Entführungen und Zwangsrekrutierungen von Kindern und Erwachsenen. Zehntausende Zivilisten wurden durch die Gewalt vertrieben und leben in von der Regierung geführten Lagern. Unabhängig davon greifen in den sieben nordöstlichen Bundesstaaten Indiens mehr als 40 aufständische Gruppierungen, welche entweder eine größere Autonomie oder die vollständige Unabhängigkeit ihrer ethnischen oder Stammesgruppen anstreben, weiterhin Sicherheitskräfte an. Auch kommt es weiterhin zu Gewalttaten unter den Gruppierungen, welche sich in Bombenanschlägen, Morden, Entführungen, Vergewaltigungen von Zivilisten und in der Bildung von umfangreichen Erpressungsnetzwerken ausdrücken (FH 3.3.2021).

Das South Asia Terrorism Portal verzeichnet in einer Aufstellung für das Jahr 2017 insgesamt 812 Todesopfer durch terroristische Gewalt. Im Jahr 2018 wurden 940 Personen durch terroristische Gewalt getötet und im Jahr 2019 kamen 621 Menschen durch Terrorakte. 2020 belief sich die Opferzahl terroristischer Gewalt landesweit auf insgesamt 591 Tote. 2021 wurden bis zum 3. Mai insgesamt 164 Todesopfer durch terroristische Gewaltanwendungen registriert [Anmerkung: die angeführten Zahlen beinhalten Zivilisten, Sicherheitskräfte und Terroristen] (SATP 3.5.2021b).

Gegen militante Gruppierungen, die meist für die Unabhängigkeit bestimmter Regionen eintreten und/oder radikalen (z. B. Maoistisch-umstürzlerische) Auffassungen anhängen, geht die Regierung mit großer Härte und Konsequenz vor. Sofern solche Gruppen der Gewalt abschwören, sind in der Regel Verhandlungen über ihre Forderungen möglich. Gewaltlose Unabhängigkeitsgruppen können sich politisch frei betätigen (AA 23.9.2020).

Bauernproteste, die sich gegen die von der indischen Regierung verabschiedeten Gesetze zur Liberalisierung des Agrarsektors richten, dauern seit Monaten an. Widerstand hat sich vor allem bei Sikhs im Punjab – dem Brotkorb Indiens - formiert. Inzwischen protestieren aber auch Bauern in anderen Teilen des Landes. Als im Januar 2021 die Proteste in New Delhi gewalttätig wurden, antwortete die Regierung mit harten Maßnahmen. Da bei den Protesten viele Sikhs beteiligt sind und u.a. eine Sikh-Flagge im Roten Fort in Delhi gehisst wurde, unterstellt die indische Regierung eine Beteiligung der Khalistan-Bewegung an den Protesten (BAMF 22.3.2021).

Indien und Pakistan:

Indien und Pakistan teilen sprachliche, kulturelle, geografische und wirtschaftliche Verbindungen, doch sind die Beziehungen der beiden Staaten aufgrund einer Reihe historischer und politischer Ereignisse in ihrer Komplexität verstrickt und werden durch die gewaltsame Teilung Britisch-Indiens im Jahr 1947, dem Jammu & Kashmir-Konflikt und die zahlreichen militärischen Konflikte zwischen den beiden Nationen bestimmt (EFSAS o.D.).

Pakistan erkennt weder den Beitritt Jammu und Kaschmirs zur indischen Union im Jahre 1947 noch die seit dem ersten Krieg im gleichen Jahr bestehende de-facto-Aufteilung der Region auf beide Staaten an. Indien hingegen vertritt den Standpunkt, dass die Zugehörigkeit Jammu und Kaschmirs in seiner Gesamtheit zu Indien nicht zur Disposition steht (Piazolo 2008). Die äußerst angespannte Lage zwischen Indien und Pakistan hat sich in der Vergangenheit immer wieder in Grenzgefechten entladen, welche oft zu einem größeren Krieg zu eskalieren drohten. Seit 1947 gab es bereits drei Kriege aufgrund des umstrittenen Kaschmir-Gebiets (BICC 1.2021; vgl. BBC 23.1.2018, DFAT 10.12.2020). Bewaffnete Zusammenstöße zwischen indischen und pakistanischen Streitkräften entlang der sogenannten "Line of Control (LoC)" haben sich in letzter Zeit verschärft und Opfer auf militärischer wie auch auf ziviler Seite gefordert. Seit Anfang 2020 wurden im von Indien verwalteten Kaschmir 14 Personen durch Artilleriebeschuss durch pakistanische Streitkräfte über die Grenz- und Kontrolllinie hinweg getötet und fünf Personen verletzt (FIDH 23.6.2020; vgl. KO 25.6.2020).

Indien wirft Pakistan dabei unter anderem vor, in Indien aktive terroristische Organisationen zu unterstützen. Pakistan hingegen fordert eine Volksabstimmung über die Zukunft der Region, da der Verlust des größtenteils muslimisch geprägten Gebiets als Bedrohung der islamischen Identität Pakistans wahrgenommen wird (BICC 1.2021). Es kommt immer wieder zu Schusswechseln zwischen Truppenteilen Indiens und Pakistans an der Waffenstillstandslinie in Kaschmir (BICC 1.2021). So drang die indische Luftwaffe am 26.2.2019 als Vergeltung für einen am 14. Februar 2019 verübten Selbstmordanschlag erstmals seit dem Krieg im Jahr 1971 in den pakistanischen Luftraum ein, um ein Trainingslager der islamistischen Gruppierung Jaish-e-Mohammad in der Region Balakot, Provinz Khyber Pakhtunkhwa, zu bombardieren (SZ 26.2.2019; vgl. FAZ 26.2.2019, WP 26.2.2019).

Modi nutzte den Konflikt mit Pakistan zur politischen Mobilisierung im Wahlkampf 2019. Dadurch wurde die pakistanfeindliche Stimmung in Indien so stark angeheizt, dass eine erneute Annäherung Indiens an Pakistan immer schwieriger wird. Seit der Veränderung des Status von Jammu und Kaschmir haben die Verletzungen des Waffenstillstands am Grenzverlauf zwischen Indien und Pakistan ("Line of Control") deutlich zugenommen (bpb 29.4.2021).

In einer Vereinbarung zwischen Indien und Paki

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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