TE Vwgh Beschluss 2021/9/29 Ra 2021/19/0223

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Veröffentlicht am 29.09.2021
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §8 Abs1
B-VG Art133 Abs4
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1
VwGG §41

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser sowie den Hofrat Dr. Faber und die Hofrätin Dr. Funk-Leisch als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Seiler, in der Revisionssache des J A, vertreten durch Mag. Fabian Bösch, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Maria-Theresien-Straße 24, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 3. Mai 2021, W138 2196099-1/12E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 23. Juli 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2        Mit Bescheid vom 19. April 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Revisionswerbers ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen den Revisionswerber eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei, legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest und erließ gegen ihn ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot.

3        Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

4        Das BVwG erachtete eine individuelle Verfolgung des Revisionswerbers durch die Taliban für nicht glaubhaft. Der Revisionswerber könne aufgrund der Sicherheitslage in seiner Herkunftsprovinz nicht in diese zurückkehren, jedoch stehe ihm eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative in der Stadt Mazar-e Sharif offen.

5        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

6        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

7        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

8        Die Revision wendet sich in ihrer Zulässigkeitsbegründung gegen die Annahme des BVwG, dem Revisionswerber stehe eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative in Mazar-e Sharif zur Verfügung. Die Stadt Mazar-e Sharif sei mit der hohen Anzahl an Rückkehrern völlig überfordert. Dort sei daher - unabhängig davon, dass die Familie des Revisionswerbers weit entfernt angesiedelt sei - nicht mit Unterstützung zu rechnen.

9        Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung bereits mehrfach dargestellt, welche Kriterien erfüllt sein müssen, um von einer zumutbaren innerstaatlichen Fluchtalternative sprechen zu können (vgl. dazu grundlegend VwGH 23.1.2018, Ra 2018/18/0001; sowie etwa VwGH 25.5.2020, Ra 2019/19/0192). Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stellt die Frage der Zumutbarkeit der Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative letztlich eine - von der Asylbehörde bzw. dem Verwaltungsgericht zu treffende - Entscheidung im Einzelfall dar, die auf der Grundlage ausreichender Feststellungen über die zu erwartende Lage des Asylwerbers in dem in Frage kommenden Gebiet sowie dessen sichere und legale Erreichbarkeit zu treffen ist (vgl. etwa VwGH 8.6.2021, Ra 2019/19/0190, mwN).

10       Es entspricht des Weiteren der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass eine schwierige Lebenssituation, insbesondere bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht, die ein Fremder im Fall der Rückkehr in sein Heimatland vorfinden würde, für sich betrachtet nicht ausreicht, um die Zumutbarkeit der Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative zu verneinen (vgl. VwGH 27.4.2021, Ra 2020/19/0339, mwN).

11       Im vorliegenden Fall traf das BVwG auf der Grundlage von Länderberichten Feststellungen zur Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan im Allgemeinen und insbesondere in Mazar-e Sharif, sowie zur sicheren Erreichbarkeit dieser Stadt. Die Revision zeigt mit ihrem bloß allgemein gehaltenen Vorbringen nicht auf, dass die Beurteilung des BVwG, wonach dem Revisionswerber als jungem, arbeitsfähigen Mann, der in Afghanistan aufgewachsen sei, Schulbildung und Arbeitserfahrung im Herkunftsstaat erworben habe, an keinen schwerwiegenden Erkrankungen leide und über Familienangehörige im Herkunftsstaat verfüge, in der Stadt Mazar-e Sharif eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung stehe, mit einer vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden Rechtswidrigkeit belastet wäre.

12       Die Revision bringt zur Begründung ihrer Zulässigkeit mit Verweis auf Medienberichte aus dem Zeitraum Juni bis August 2021 des Weiteren vor, das BVwG habe den Abzug internationaler Truppen aus Afghanistan und die damit einhergehende angespannte Sicherheitslage nicht ausreichend berücksichtigt.

13       Das BVwG hatte seine Entscheidung an der zum Zeitpunkt seiner Entscheidung maßgeblichen Sach- und Rechtslage auszurichten. Dieser Zeitpunkt ist bei der Entscheidung durch einen Einzelrichter der Zeitpunkt der Zustellung der schriftlichen Ausfertigung oder - falls eine solche stattgefunden hat - der mündlichen Verkündung der Entscheidung des Verwaltungsgerichts (vgl. VwGH 27.5.2021, Ra 2021/19/0163, mwN).

14       Die Revision zeigt mit ihrem Vorbringen, das sich auf Ereignisse in Afghanistan bezieht, die sich erst nach dem Zeitpunkt der Entscheidung des BVwG ereignet haben, nicht auf, durch welche im Entscheidungszeitpunkt verfügbaren Berichte eine maßgebliche Verschlechterung der Sicherheitslage in Afghanistan absehbar gewesen wäre.

15       Soweit die Revision auf den Inhalt von Berichten abstellt, die nach Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses veröffentlicht wurden, steht der Berücksichtigung dieses Vorbringens das aus § 41 VwGG abgeleitete Neuerungsverbot entgegen. Das Vorliegen einer grundsätzlichen Rechtsfrage kann nicht mit einem Vorbringen begründet werden, das unter das Neuerungsverbot fällt (vgl. erneut VwGH Ra 2019/19/0190, mwN).

16       In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 29. September 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021190223.L00

Im RIS seit

22.10.2021

Zuletzt aktualisiert am

11.11.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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