Entscheidungsdatum
19.10.2021Norm
StVO 1960 §52 lita Z1Text
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich erkennt durch MMag. Dr. Michaela Lütte-Mersch als Einzelrichterin über die Beschwerde der A, in ***, ***, gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Bruck an der Leitha vom 24. Juni 2021, Zl. ***, betreffend Bestrafung nach der Straßenverkehrsordnung 1960, nach öffentlicher mündlicher Verhandlung zu Recht:
1. Der Beschwerde wird insofern stattgegeben, als die von der Behörde in den Spruchpunkten 1.) bis 6.) jeweils festgesetzten Geldstrafen in der Höhe von je 50,00 Euro (Ersatzfreiheitsstrafe je 23 Stunden) auf den Betrag von je 25,00 Euro (Ersatzfreiheitsstrafe je 11 Stunden) herabgesetzt werden, die verletzten Rechtsvorschriften zu den Spruchpunkten 1.) bis 4.) „§ 52 lit. a Z 1, § 99 Abs. 3 lit. a StVO 1960, BGBl. Nr. 159/1960 idF BGBl. I Nr. 42/2018“, zu Spruchpunkt 5.) „§ 52 lit. a Z 1, § 99 Abs. 3 lit. a StVO 1960, BGBl. Nr. 159/1960 idF BGBl. I Nr. 37/2019“ und zu Spruchpunkt 6.) „§ 52 lit. a Z 1, § 99 Abs. 3 lit. a StVO 1960, BGBl. Nr. 159/1960 idF BGBl. I Nr. 18/2019“ sowie die Strafsanktionsnormen zu den Spruchpunkt 1.) bis 4.) „§ 99 Abs. 3 lit. a StVO 1960, BGBl. Nr. 159/1960 idF BGBl. I Nr. 42/2018“ zu Spruchpunkt 5.) „§ 99 Abs. 3 lit. a StVO 1960, BGBl. Nr. 159/1960 idF BGBl. I Nr. 37/2019“ und zu Spruchpunkt 6.) „§ 99 Abs. 3 lit. a StVO 1960, BGBl. Nr. 159/1960 idF BGBl. I Nr. 18/2019“ lauten.
2. Die Kosten des verwaltungsbehördlichen Verfahrens werden mit 60,00 Euro neu festgesetzt.
3. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision zulässig.
Rechtsgrundlagen:
§ 50 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG
§§ 19, 64 Abs. 1 und 2 Verwaltungsstrafgesetz 1991 – VStG
§ 25a Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 – VwGG
Zahlungshinweis:
Der zu zahlende Gesamtbetrag (Strafe/Kosten des verwaltungsbehördlichen Verfahrens) beträgt daher 210,00 Euro und ist gemäß § 52 Abs. 6 VwGVG iVm § 54b Abs. 1 VStG binnen zwei Wochen einzuzahlen.
1. Zum verwaltungsbehördlichen Verfahren:
1.1. Mit dem angefochtenen Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Bruck an der Leitha (in der Folge: belangte Behörde) vom 24. Juni 2021, Zl. ***, wurden A (in der Folge: Beschwerdeführerin) die folgenden Verwaltungsübertretungen zur Last gelegt, über sie die folgenden Verwaltungsstrafen verhängt und ein Beitrag zu den Kosten des verwaltungsbehördlichen Verfahrens vorgeschrieben:
„Zeit: Zu 1. 21.03.2019, 18:00 Uhr
Zu 2. 09.03.2019, 17:58 Uhr
Zu 3. 06.03.2019, 17:57 Uhr
Zu 4. 05.03.2019, 17:40 Uhr
Zu 5. 22.06.2019, 18:38 Uhr
Zu 6. 27.05.2019, 17:56 Uhr
Ort: Zu 1 bis 6:
Gemeindegebiet ***, ***, Feldweg zwischen der *** und dem ***, Fahrtrichtung ***
Fahrzeug: Zu 1 bis 6:
***, Personenkraftwagen
Tatbeschreibung:
1. Das Fahrzeug gelenkt, obwohl dies auf Grund des angebrachten Vorschriftszeichens "Fahrverbot in beiden Richtungen" mit der Zusatztafel "ausgenommen Anrainerverkehr, landwirtschaftliche Fahrzeuge und Radfahrer" verboten war und die in der Zusatztafel kundgemachte Regelung auf Sie nicht zutraf.
2. Das Fahrzeug gelenkt, obwohl dies auf Grund des angebrachten Vorschriftszeichens "Fahrverbot in beiden Richtungen" mit der Zusatztafel "ausgenommen Anrainerverkehr, landwirtschaftliche Fahrzeuge und Radfahrer" verboten war und die in der Zusatztafel kundgemachte Regelung auf Sie nicht zutraf.
3. Das Fahrzeug gelenkt, obwohl dies auf Grund des angebrachten Vorschriftszeichens "Fahrverbot in beiden Richtungen" mit der Zusatztafel "ausgenommen Anrainerverkehr, landwirtschaftliche Fahrzeuge und Radfahrer" verboten war und die in der Zusatztafel
kundgemachte Regelung auf Sie nicht zutraf.
4. Das Fahrzeug gelenkt, obwohl dies auf Grund des angebrachten Vorschriftszeichens "Fahrverbot in beiden Richtungen" mit der Zusatztafel "ausgenommen Anrainerverkehr, landwirtschaftliche Fahrzeuge und Radfahrer" verboten war und die in der Zusatztafel
kundgemachte Regelung auf Sie nicht zutraf.
5. Das Fahrzeug gelenkt, obwohl dies auf Grund des angebrachten Vorschriftszeichens "Fahrverbot in beiden Richtungen" mit der Zusatztafel "ausgenommen Anrainerverkehr, landwirtschaftliche Fahrzeuge und Radfahrer" verboten war und die in der Zusatztafel
kundgemachte Regelung auf Sie nicht zutraf.
6. Das Fahrzeug gelenkt, obwohl dies auf Grund des angebrachten Vorschriftszeichens "Fahrverbot in beiden Richtungen" mit der Zusatztafel "ausgenommen Anrainerverkehr, landwirtschaftliche Fahrzeuge und Radfahrer" verboten war und die in der Zusatztafel
kundgemachte Regelung auf Sie nicht zutraf.
Sie haben dadurch folgende Rechtsvorschriften verletzt:
zu 1. § 52 lit.a Z.1, § 99 Abs.3 lit.a StVO 1960
zu 2. § 52 lit.a Z.1, § 99 Abs.3 lit.a StVO 1960
zu 3. § 52 lit.a Z.1, § 99 Abs.3 lit.a StVO 1960
zu 4. § 52 lit.a Z.1, § 99 Abs.3 lit.a StVO 1960
zu 5. § 52 lit.a Z.1, § 99 Abs.3 lit.a StVO 1960
zu 6. § 52 lit.a Z.1, § 99 Abs.3 lit.a StVO 1960
Wegen dieser Verwaltungsübertretungen werden über Sie folgende Strafen verhängt:
Geldstrafen von falls diese uneinbringlich ist, Gemäß
Ersatzfreiheitsstrafen von
zu 1. € 50,00 23 Stunden § 99 Abs.3 lit.a StVO 1960
zu 2. € 50,00 23 Stunden § 99 Abs.3 lit.a StVO 1960
zu 3. € 50,00 23 Stunden § 99 Abs.3 lit.a StVO 1960
zu 4. € 50,00 23 Stunden § 99 Abs.3 lit.a StVO 1960
zu 5. € 50,00 23 Stunden § 99 Abs.3 lit.a StVO 1960
zu 6. € 50,00 23 Stunden § 99 Abs.3 lit.a StVO 1960
Vorgeschriebener Kostenbeitrag gemäß § 64 Abs.2
Verwaltungsstrafgesetz 1991 (VStG), das sind 10% der
Strafe, mindestens jedoch 10 Euro € 60,00
Gesamtbetrag: € 360,00“
1.2. Begründend ist – auf das Wesentliche zusammengefasst – ausgeführt, dass die auf der Zusatztafel zum kundgemachten Verbotszeichen „Allgemeines Fahrverbot“ angeführte Regelung (insbesondere „Anrainerverkehr“) auf die Beschwerdeführerin nicht zutreffen würde. Die Geldstrafe sei unter Berücksichtigung der Grundsätze des § 19 des Verwaltungsstrafverfahrensgesetzes 1991 (VStG) angemessen. Strafmildernd bzw. straferschwerend seien keine Umstände zu berücksichtigen gewesen.
2. Zum Beschwerdevorbringen:
2.1. Gegen dieses Straferkenntnis erhob die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 15. Juli 2021 Beschwerde.
2.2. Begründend wird darin – auf das Wesentliche zusammengefasst – vorgebracht, dass die Beschwerdeführerin nicht nur in die angelastete Fahrtrichtung ***, sondern auch in die andere Richtung gefahren sei. Ihr Pferd sei am Gut *** bei Herrn C eingestellt; sie habe aufgrund der Angaben ihres Navigationsgerätes den Feldweg als direkte Zufahrt zum Hof benutzt. Die Verfahren gegen Herrn C seien wegen seiner Eigenschaft als Anrainer eingestellt worden. Auch Gäste von Anrainern und damit auch Einsteller von Pferden bei Anrainern würden als Anrainer gelten.
Die Behörde überschreite grob ihren Ermessensspielraum, da es denkunmöglich sei, in zwei völlig gleichgelagerten Sachverhalten einmal mit der Einstellung des Verfahrens und einmal mit einer Bestrafung vorzugehen. Selbst wenn dies möglich sein sollte, könne der Beschwerdeführerin der Irrtum, zu den gegenständlichen Fahrten berechtigt gewesen zu sein, nicht vorgeworfen werden, da sich selbst die Behörde nicht sicher sein dürfte, wer Anrainer sei und wer nicht. Aus diesem Grund würden die verhängten Strafen auch ihrer Höhe nach angefochten.
Beantragt wurde die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung, der Beschwerde Folge zu geben, den angefochtenen Bescheid ersatzlos zu beheben und das Verfahren einzustellen, in eventu den Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG aufzuheben und an die belangte Behörde zur ergänzenden Beweisaufnahme zurückzuverweisen.
3. Zum verwaltungsgerichtlichen Verfahren:
3.1. Die Beschwerdeführerin erstattete mit Schreiben vom 06. September 2021 ein ergänzendes Vorbringen, in dem erneut ausgeführt wird, dass unter den Begriff der Anrainer auch Besucher von Anrainern fallen würden. In den Verfahren betreffend Herrn C sei festgestellt worden, dass dieser Anrainer sei, weshalb alle Verwaltungsstrafverfahren eingestellt worden seien. Auch seien Verfahren gegen Mitarbeiter des Herrn C sowie ein Verfahren gegen eine weitere Einstellerin eingestellt worden, dies jeweils mit der Begründung, dass der Anrainerbegriff erfüllt sei. Die betreffenden Personen wurden als Zeugen namhaft gemacht.
3.2. Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich räumte der belangten Behörde mit Schreiben vom 10. September 2021 die Möglichkeit zur schriftlichen Stellungahme zum ergänzenden Vorbringen der Beschwerdeführerin ein.
3.3. Mit Schreiben vom 14. September 2021, eingelangt beim Landesverwaltungsgericht Niederösterreich am 21. September 2021, teilte die belangte Behörde Folgendes mit:
Richtig sei, dass die Verfahren gegen Herrn C wegen seiner Anrainereigenschaft eingestellt worden seien. Herr C sei jedoch auch Eigentümer eines neben dem verfahrensgegenständlichen Güterweg liegenden Grundstücks, das er im Rahmen seiner Landwirtschaft bewirtschafte. Er sei daher wegen der Bewirtschaftung dieses Grundstücks als Anrainer anzusehen, weshalb die Verfahren gegen ihn und seine Mitarbeiter eingestellt worden seien.
Der Reitstall Gut *** liege hingegen 2 km nördlich (Richtung ***) vom Ende des Fahrverbots entfernt. Unter dem Begriff „Anrainer“ seien nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Rechts- (Besitzer) der neben der Straße befindlichen Liegenschaften zu verstehen. Der Reitstall sei jedoch keine „neben der Straße befindliche Liegenschaft“, sodass für die Zufahrt zu diesem Hof keine Anrainereigenschaft bestehe. Die Besucher des Reitstalls seien daher auch nicht vom Fahrverbot ausgenommen.
Vom Süden kommend (der ***) sei für Ortsunkundige nicht erkennbar gewesen, wie weit das Fahrverbot reiche (insbesondere ob auch der Reiterhof eingeschlossen sei), weshalb diese Verfahren eingestellt worden seien.
Von Norden kommend befinde sich das Fahrverbotsschild jedoch erst nach der Zufahrt zu den *** südlich des Reiterhofes. Somit sei für jeden Lenker, der vom Reiterhof Richtung *** fährt, erkennbar, dass sich der Reiterhof nicht innerhalb des Fahrverbotsbereiches befinde. Daher könnten vom Reiterhof kommende Fahrzeuge nicht unter den Begriff des Anrainers fallen, da keine Zufahrt zu den an den Fahrverbotsbereich angrenzenden Grundstücken erfolge. Die Lenker vom Norden kommend in Fahrrichtung *** seien daher von der Behörde bestraft worden.
3.4. Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich führte am 23. September 2021 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an welcher die Beschwerdeführerin sowie eine Vertrauensperson teilnahmen; ein Vertreter der belangten Behörde erschien nicht. In der Verhandlung wurde Beweis erhoben durch die Verlesung des Verwaltungsstrafaktes der belangten Behörde und des Gerichtsakts, insbesondere einschließlich der Stellungnahme der belangten Behörde vom 14. September 2021 und eines Google Maps-Auszugs, sowie durch die Einvernahme der Beschwerdeführerin und des C als Zeugen.
Seitens der Beschwerdeführerin wurde ergänzend vorgebracht, dass das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich in einem gleichgelagerten Fall ein Straferkenntnis bereits aufgehoben habe; dies mit der Begründung, dass der Verkehr durch eine Einstellerin eines Pferdes bei Herrn C am Gut *** als „Anrainerverkehr“ im Sinne der Zusatztafel zum Fahrverbot zu qualifizieren sei.
4. Feststellungen:
4.1. Die Bezirkshauptmannschaft Wien-Umgebung ordnete mit Verordnung vom 05. September 2005, Zl. ***, gemäß § 43 Abs. 1 lit b StVO 1960 im Gemeindegebiet von *** folgende Verkehrsmaßnahme an:
„Das Befahren der Gemeindestraße Parz. Nr. *** im Bereich zwischen Abzweigung von der *** und der Kreuzung mit der Zufahrt zum Badessee *** ist in beiden Fahrtrichtungen verboten. Von diesem Verbot ist der Anrainerverkehr, landwirtschaftliche Fahrzeuge und Radfahrer ausgenommen.
Diese Verordnung ist durch Verkehrszeichen gem. § 52 Z. 1 StVO 1960 „Fahrverbot (in beiden Richtungen) jeweils mit der Zusatztafel gem. § 54 Abs. 1 StVO 1960 „ausgenommen Anrainerverkehr, landwirtschaftliche Fahrzeuge und Radfahrer“ im Zuge der Gemeindestraße Parz. Nr. *** bei der Abzweigung von der *** und der Kreuzung mit der Zufahrt zum Badesee *** kundzumachen.
Gemäß § 44 Abs. 1 StVO 1960 tritt die Verordnung mit Aufstellung der Verkehrszeichen in Kraft.“
Die Verkehrszeichen sind an den beiden genannten Örtlichkeiten – auch bereits zu den angelasteten Tatzeitpunkten – angebracht.
4.2. Die Beschwerdeführerin lenkte am 05. März 2019, 17:40 Uhr, am 06. März 2019, 17:57 Uhr, am 09. März 2019, 17:58 Uhr, am 21. März 2021, 18:00 Uhr, am 27. Mai 2019, 17:56 Uhr und am 22. Juni 2019, 18:38 Uhr, auf der vom gegenständlich verordneten Fahrverbot betroffenen Straße zwischen der *** und dem *** den Personenkraftwagen mit dem Kennzeichen *** in Fahrtrichtung ***; dies aus dem Grund, dass sie ihr Pferd am Gut *** eingestellt und sich auf der Rückfahrt vom Reiterhof (nach Besuch ihres Pferdes) befunden hat. Das Gut ***, p.A. ***, ***, ist knapp 2 km Luftlinie nordöstlich von der vom gegenständlichen Fahrverbot betroffenen Straße entfernt; dazwischen liegen insbesondere die ***. Zur Abfahrt vom Gut *** (sowie zur Zufahrt) ist es nicht erforderlich, die vom Fahrverbot betroffene (und knapp 2 km entfernte) Straße zu wählen, wenngleich diesfalls (insbesondere um zum Wohnort der Beschwerdeführerin zu gelangen) ein Umweg von mehreren Kilometern entsteht.
4.3. C ist Inhaber des Gutes ***. Dabei handelt es sich um einen landwirtschaftlichen Betrieb mit Tierhaltung und Getreidebewirtschaftung. Im Rahmen des landwirtschaftlichen Betriebes werden auch Pferde gehalten. Ca. 70% der Pferde gehören dem Gut ***, ca. 30% der Pferde werden dort von Dritten eingestellt. Das Pferd der Beschwerdeführerin ist beim Gut *** (an der oben angeführten Adresse) eingestellt. Der Betrieb verfügt über Felder und Waldbestände im Ausmaß von insgesamt ca. 140 ha (116 ha ohne brachliegende Flächen).
C ist Eigentümer einer Liegenschaft, die im Westen unmittelbar an die vom Fahrverbot betroffene Straße angrenzt. Diese Liegenschaft wird im Rahmen des landwirtschaftlichen Betriebes durch den Anbau von Getreide, das teilweise auch an die Pferde verfüttert wird, bewirtschaftet.
Die gegen C und seine Mitarbeiter geführten verwaltungsbehördlichen Strafverfahren wurden von der belangten Behörde infolge der Qualifikation von deren Fahrten als „Anrainerverkehr“ eingestellt.
4.4. Die Beschwerdeführerin ist seit September 2019 beim Gut *** beschäftigt, verfügt über ein monatliches Nettoeinkommen in Höhe ca. 1.000,00 Euro, hat kein Vermögen, eine Kreditverpflichtung in Höhe von ca. 8.000,00 Euro und keine Sorgepflichten. In Bezug auf die Beschwerdeführerin scheinen keine verwaltungsstrafrechtlichen Vormerkungen bei der belangten Behörde auf.
5. Beweiswürdigung:
5.1. Die Feststellungen in Punkt 4.1. sind der im Akt einliegenden Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Wien-Umgebung vom 05. September 2005 sowie den ebenfalls im Akt befindlichen Lichtbildern der Polizeiinspektion *** über die angebrachten Verkehrszeichen zu entnehmen.
5.2. Die im Punkt 4.2. getroffenen Feststellungen ergeben sich aus den Aufzeichnungen der privaten Anzeigerin B, die Bestandteil des im Akt liegenden Berichts der Polizeiinspektion *** vom 25. Juni 2019 sind, und dem Umstand, dass das Befahren der in Rede stehenden Straße durch die Beschwerdeführerin, insbesondere in ihrer Beschwerde, zugestanden wurde; auch in der Verhandlung wurde nicht bestritten, dass die Straße zu den angelasteten Tatzeitpunkten befahren wurde. Die Feststellung, dass sich die Beschwerdeführerin am Rückweg vom Besuch ihres Pferdes beim Gut *** befunden hat, ergibt sich aus ihrem Vorbringen in der Beschwerde (einschließlich des verwaltungsbehördlichen Verfahrens) im Einklang mit ihren Ausführungen in der öffentlichen mündlichen Verhandlung. Die Entfernung des Gutes *** von der vom gegenständlichen Fahrverbot betroffenen Straße ergibt sich aus einem Auszug aus Google Maps im Einklang mit den Ausführungen der belangten Behörde in der Stellungnahme vom 14. September 2021.
5.3. Den unter Punkt 4.3. getroffenen Feststellungen liegen die glaubwürdigen Aussagen des als Zeugen in der öffentlichen mündlichen Verhandlung einvernommenen C zugrunde. Zudem hat auch die belangte Behörde in ihrer Stellungnahme vom 14. September 2021 ausgeführt, dass C Eigentümer eines neben der betreffenden Straße gelegenen Grundstücks sei und dieses im Rahmen der Landwirtschaft bewirtschaftet werde. Ebenso ergibt sich aus dieser Stellungnahme, dass die Verwaltungsstrafverfahren gegen C und dessen Mitarbeiter infolge der Qualifikation von deren Fahrten als „Anrainerverkehr“ eingestellt wurden.
5.4. Den festgestellten Einkommens-, Familien- und Vermögensverhältnissen wurden die nachvollziehbaren Angaben der Beschwerdeführerin in der öffentlichen mündlichen Verhandlung zugrunde gelegt. Das Fehlen von verwaltungsstrafrechtlichen Vormerkungen bei der belangten Behörde ist der im Gerichtsakt enthaltenen Abfrage über die Beschwerdeführerin zu entnehmen.
6. Rechtslage:
6.1. Die hier maßgeblichen Bestimmungen der Straßenverkehrsordnung 1960 (StVO) lauten:
„§ 52. Die Vorschriftszeichen sind
a) Verbots- oder Beschränkungszeichen,
b) Gebotszeichen oder
c) Vorrangzeichen.
a) Verbots- oder Beschränkungszeichen
1. „FAHRVERBOT (IN BEIDEN RICHTUNGEN)“
[Abweichend vom Original – Bild nicht wiedergegeben]
„…
…“
Dieses Zeichen zeigt an, dass das Fahren in beiden Fahrtrichtungen verboten ist; das Schieben eines Fahrrades ist erlaubt.
[…]
„§ 54.
(1) Unter den in den §§ 50, 52 und 53 genannten Straßenverkehrszeichen sowie unter den in § 38 genannten Lichtzeichen können auf Zusatztafeln weitere, das Straßenverkehrszeichen oder Lichtzeichen erläuternde oder wichtige, sich auf das Straßenverkehrszeichen oder Lichtzeichen beziehende, dieses erweiternde oder einschränkende oder der Sicherheit oder Leichtigkeit des Verkehrs dienliche Angaben gemacht werden.
[…]“
„§ 99.
[…]
(3) Eine Verwaltungsübertretung begeht und ist mit einer Geldstrafe bis zu 726 Euro, im Fall ihrer Uneinbringlichkeit mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Wochen, zu bestrafen,
a) wer als Lenker eines Fahrzeuges, als Fußgänger, als Reiter oder als Treiber oder Führer von Vieh gegen die Vorschriften dieses Bundesgesetzes oder der auf Grund dieses Bundesgesetzes erlassenen Verordnungen verstößt und das Verhalten nicht nach den Abs. 1, 1a, 1b, 2, 2a, 2b, 2c, 2d, 2e oder 4 zu bestrafen ist,
[…]“
6.2. Die hier maßgeblichen Bestimmungen des Verwaltungsstrafgesetzes (VStG) lauten:
„§ 5. (1) Wenn eine Verwaltungsvorschrift über das Verschulden nicht anderes bestimmt, genügt zur Strafbarkeit fahrlässiges Verhalten. Fahrlässigkeit ist bei Zuwiderhandeln gegen ein Verbot oder bei Nichtbefolgung eines Gebotes dann ohne weiteres anzunehmen, wenn zum Tatbestand einer Verwaltungsübertretung der Eintritt eines Schadens oder einer Gefahr nicht gehört und der Täter nicht glaubhaft macht, daß ihn an der Verletzung der Verwaltungsvorschrift kein Verschulden trifft. […]“
„§ 19. (1) Grundlage für die Bemessung der Strafe sind die Bedeutung des strafrechtlich geschützten Rechtsgutes und die Intensität seiner Beeinträchtigung durch die Tat.
(2) Im ordentlichen Verfahren (§§ 40 bis 46) sind überdies die nach dem Zweck der Strafdrohung in Betracht kommenden Erschwerungs- und Milderungsgründe, soweit sie nicht schon die Strafdrohung bestimmen, gegeneinander abzuwägen. Auf das Ausmaß des Verschuldens ist besonders Bedacht zu nehmen. Unter Berücksichtigung der Eigenart des Verwaltungsstrafrechtes sind die §§ 32 bis 35 des Strafgesetzbuches sinngemäß anzuwenden. Die Einkommens- und Vermögensverhältnisse und allfällige Sorgepflichten des Beschuldigten sind bei der Bemessung von Geldstrafen zu berücksichtigen.“
„§ 20.
Überwiegen die Milderungsgründe die Erschwerungsgründe beträchtlich oder ist der Beschuldigte ein Jugendlicher, so kann die Mindeststrafe bis zur Hälfte unterschritten werden.“
„§ 45. (1) Die Behörde hat von der Einleitung oder Fortführung eines Strafverfahrens abzusehen und die Einstellung zu verfügen, wenn
1. die dem Beschuldigten zur Last gelegte Tat nicht erwiesen werden kann oder keine Verwaltungsübertretung bildet;
2. der Beschuldigte die ihm zur Last gelegte Verwaltungsübertretung nicht begangen hat oder Umstände vorliegen, die die Strafbarkeit aufheben oder ausschließen;
3. Umstände vorliegen, die die Verfolgung ausschließen;
4. die Bedeutung des strafrechtlich geschützten Rechtsgutes und die Intensität seiner Beeinträchtigung durch die Tat und das Verschulden des Beschuldigten gering sind;
5. die Strafverfolgung nicht möglich ist;
6. die Strafverfolgung einen Aufwand verursachen würde, der gemessen an der Bedeutung des strafrechtlich geschützten Rechtsgutes und der Intensität seiner Beeinträchtigung durch die Tat unverhältnismäßig wäre.
1. Anstatt die Einstellung zu verfügen, kann die Behörde dem Beschuldigten im Fall der Z 4 unter Hinweis auf die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens mit Bescheid eine Ermahnung erteilen, wenn dies geboten erscheint, um ihn von der Begehung strafbarer Handlungen gleicher Art abzuhalten. […]“
6.3. Die hier maßgeblichen Bestimmungen des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes (VwGVG) lauten:
„§ 50. (1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden.
[…]“
„§ 52. (1) In jedem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes, mit dem ein Straferkenntnis bestätigt wird, ist auszusprechen, dass der Bestrafte einen Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens zu leisten hat.
(2) Dieser Beitrag ist für das Beschwerdeverfahren mit 20% der verhängten Strafe, mindestens jedoch mit zehn Euro zu bemessen; bei Freiheitsstrafen ist zur Berechnung der Kosten ein Tag Freiheitsstrafe gleich 100 Euro anzurechnen. Der Kostenbeitrag fließt der Gebietskörperschaft zu, die den Aufwand des Verwaltungsgerichtes zu tragen hat.
[…]
(8) Die Kosten des Beschwerdeverfahrens sind dem Beschwerdeführer nicht aufzuerlegen, wenn der Beschwerde auch nur teilweise Folge gegeben worden ist.
[…]“
7. Erwägungen:
7.1. Die Beschwerde ist dem Grunde nach nicht begründet.
7.2. Gemäß § 52 lit. a Z 1 StVO zeigt das Verbotszeichen „Fahrverbot (in beiden Richtungen)“ an, dass das Fahren in beiden Fahrtrichtungen verboten ist. Gemäß § 54 Abs. 1 leg.cit. können zu diesem Straßenverkehrszeichen auf einer Zusatztafel insbesondere diese erweiternden oder einschränkenden Angaben gemacht werden.
Im vorliegenden Fall ist – entsprechend der zugrunde liegenden Verordnung – bei dem aufgestellten Straßenverkehrszeichen „Fahrverbot (in beiden Richtungen)“ eine Einschränkung durch die Zusatztafel kundgemacht worden und sind vom Fahrverbot der Anrainerverkehr, landwirtschaftliche Fahrzeuge und Radfahrer ausgenommen.
7.3. Gegenständlich ist strittig, ob die angelasteten Fahrten der Beschwerdeführerin – als Einstellerin eines Pferdes beim Gut *** bei deren Rückfahrt vom Reiterhof – als „Anrainerverkehr“ im Sinne der Ausnahme vom Fahrverbot zu qualifizieren sind.
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fallen unter den Begriff „Anrainer“ „– hinsichtlich der Zufahrtsgestattung – die (Rechts-) Besitzer der neben der Straße befindlichen Liegenschaften“ und ist „Anrainerverkehr“ „der Verkehr zu diesen Rechtsbesitzern“ (so VwGH 06.11.2002, 2002/02/0107, mwN). Dabei umfasst der Begriff „Anrainerverkehr“ auch den Verkehr Dritter zu den Anrainern, was für Lieferanten, Kunden, Gäste, Besucher und Angestellte zutrifft (vgl. VwGH 06.11.2002, 2002/02/0107, mwN). Das Wort „Anrainerverkehr“ lässt nach der Judikatur die Auslegung zu, dass „damit auch der mit den Anrainern bloß in Zusammenhang stehende und diesen betreffenden Verkehr vom Fahrverbot ausgenommen ist, also der Verkehr für die Anrainer zu den Anrainern, sodass von der Ausnahme auch Besucher und Angestellte eines Anrainers umfasst sind.“ (VwGH 03.10.1984, 84/03/0079). Darüber hinaus hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass Ausnahmebestimmungen auf einer Zusatztafel zu einem Fahrverbot grundsätzlich nicht ausdehnend auszulegen sind und dass der Zusatz „Ausgenommen Anrainer und ihre Lieferanten“ nicht mit einem Zusatz „Ausgenommen Anrainerverkehr“ gleichzuhalten sei, weil nach der im ersten Fall gegebenen Textierung vom Fahrverbot ausdrücklich nur Anrainer und Lieferanten ausgenommen seien, sodass die betreffende Verkehrsfläche von Besuchern der Anrainer nicht befahren werden dürfe (vgl. VwGH 13.12.1991, 91/18/0231).
Im Hinblick auf diese Rechtsprechung ist es für das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich grundsätzlich nachvollziehbar, dass (entsprechend dem Beschwerdevorbringen) C – als (Rechts-) Besitzer einer neben der vom Fahrverbot betroffenen Straße befindlichen Liegenschaft – als „Anrainer“ qualifiziert wurde.
Wenngleich C auch der Inhaber des Gutes *** ist, bei dem die Beschwerdeführerin ihr Pferd eingestellt hat, ist dennoch mit der belangten Behörde auszuführen, dass sich dieses Gut, p.A. ***, ***, nicht auf einem neben der vom Fahrverbot betroffenen Straße liegenden Grundstück (sondern in einer Entfernung von knapp 2 km) befindet. Gemäß den oben getroffenen Feststellungen hat sich die Beschwerdeführerin bei den ihr zur Last gelegten Fahrten auf der Rückfahrt von dem Einstellungsort ihres Pferdes – dem vom Fahrverbot knapp 2 km entfernten Gut *** – befunden. Besucher des Gutes *** sind jedoch im Hinblick auf deren Zu- und Abfahrtsgestattung gemäß der oben zitierten Rechtsprechung nicht von der Ausnahme des gegenständlichen Fahrverbotes für den „Anrainerverkehr“ umfasst, weil es sich dabei um keinen „Verkehr zu diesen Rechtsbesitzern“, nämlich den Rechtsbesitzern der neben der Straße befindlichen Liegenschaften, handelt (vgl. erneut VwGH 06.11.2002, 2002/02/0107). Daran vermag auch der Umstand nichts zu ändern, dass C (auch) als (Rechts-) Besitzer, und damit als Anrainer, hinsichtlich eines neben der vom Fahrverbot betroffenen Straße befindlichen Grundstückes zu qualifizieren ist und dieses Grundstück im Rahmen des landwirtschaftlichen Betriebes des Gutes *** bewirtschaftet wird, hat es sich doch bei den Fahrten der Beschwerdeführerin (Rückfahrt vom Gut ***) um keine Zufahrt zu oder Abfahrt von dieser Liegenschaft gehandelt. Auch vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass Zusatztafeln zu Verbotszeichen nicht ausdehnend auszulegen sind (vgl. oben), kann aus Sicht des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich nicht jeglicher Verkehr im Zusammenhang mit (Rechts-) Besitzern von Liegenschaften, unabhängig davon, ob eine Zufahrt zu oder Abfahrt von einem neben der vom Fahrverbot betroffenen Straße gelegen Grundstück erfolgen soll, unter die Ausnahme des „Anrainerverkehrs“ fallen (vgl. in diesem Sinne erneut VwGH 03.10.1984, 84/03,0079, worin vom „Verkehr für die Anrainer zu den Anrainern“ die Rede ist; auch gemäß VwGH 06.11.2002, 2002/02/0107 kommt es auf die Zufahrtsgestattung an).
7.4. Hinsichtlich der subjektiven Tatseite ist darauf hinzuweisen, dass die gegenständliche Verwaltungsübertretung ein Ungehorsamkeitsdelikt im Sinne des § 5 Abs. 1 VStG ist, für das die Vermutung des Verschuldens in Form fahrlässigen Verhaltens des Täters besteht, es sei denn, der Beschuldigte macht glaubhaft, dass ihn an der Verletzung der Verwaltungsvorschrift kein Verschulden trifft (vgl. VwGH 26.06.2018, Ra 2016/05/0005). Derartiges hat die Beschwerdeführerin nicht glaubhaft gemacht. Soweit die Beschwerdeführerin vorbringt, dass ihr der Irrtum, zu den gegenständlichen Fahrten berechtigt zu sein, nicht vorgeworfen werden könne, da sich selbst die Behörde nicht sicher sein dürfte, wer nun als Anrainer zu qualifizieren sei, – dies im Hinblick auf die teilweise erfolgten Einstellungen von Verwaltungsstrafverfahren gegenüber Mitarbeitern des Gutes *** – ist auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 5 Abs. 2 VStG zu verweisen, wonach auch eine irrige Gesetzesauslegung einen Beschuldigten nicht zu entschuldigen vermag, der es unterlassen hat, Erkundigungen einzuholen, ob die von ihm zum vorliegenden Fragenkreis vertretene Rechtsansicht zutrifft; solche Erkundigungen haben – so der Verwaltungsgerichtshof – an der geeigneten Stelle zu erfolgen, worunter im Zweifelsfall die zur Entscheidung der Rechtsfrage zuständige Behörde zu verstehen ist (vgl. VwGH 19.03.2018,
Ra 2017/02/0184). Die Einholung entsprechender Erkundigungen wurde von der Beschwerdeführerin weder behauptet noch wäre dies sonst im Verfahren hervorgekommen. Auch das Beschwerdevorbringen, dass die von der Beschwerdeführerin gewählte Strecke jener des Vorschlags des Navigationsgerätes entsprechen würde, vermag nach der dargelegten Rechtsprechung einen Rechtsirrtum nicht zu begründen.
7.5. Der objektive und subjektive Tatbestand der in § 99 Abs. 3 lit. a iVm § 52 lit. a Z 1 StVO normierten Verwaltungsübertretung ist daher jeweils als erfüllt anzusehen.
7.6. Abschließend ist hinsichtlich dieser sechs Verwaltungsübertretungen auszuführen, dass diese auch nicht als ein fortgesetztes Delikt – das grundsätzlich auch im Bereich der Fahrlässigkeitsdelinquenz zur Anwendung kommen kann (vgl. VwGH 03.05.2017, Ra 2016/03/0108) – zu qualifizieren sind.
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes liegt ein fortgesetztes Delikt nur dann vor, wenn eine Reihe von rechtswidrigen Einzelhandlungen aufgrund der Gleichartigkeit der Begehungsform und der Ähnlichkeit der äußeren Begleitumstände im Rahmen eines noch erkennbaren zeitlichen Zusammenhangs sowie eines diesbezüglichen Gesamtkonzepts des Täters zu einer Einheit zusammentreten (vgl. etwa VwGH 19.12.2018, Ra 2018/02/0107). Der einheitliche Willensentschluss bzw. das Gesamtkonzept des Täters ist der Entschluss, sich fortgesetzt in bestimmter Weise rechtswidrig zu verhalten, und muss alle vom Täter gesetzten Einzelhandlungen umfassen. Von einem Gesamtkonzept kann nur dann gesprochen werden, wenn der Täter den erstrebten Enderfolg von Anfang an in seinen wesentlichen Umrissen erfasst hat, sodass sich die einzelnen Akte zu dessen Erreichung nur als Teilhandlungen eines (von vornherein als gewollt vorhandenen) Gesamtkonzeptes darstellen. Erst dieser innere Zusammenhang lässt die Einzelakte nur als sukzessive Verwirklichung des einheitlich gewollten Ganzen erscheinen (vgl. VwGH 24.04.2018, Ra 2017/10/0203, mwN). Demnach reicht der allgemeine Entschluss, eine Reihe gleichartiger strafbarer Handlungen bei jeder sich bietenden Gelegenheit zu begehen, nicht aus, um subjektiv Fortsetzungszusammenhang zu begründen (vgl. VwGH 06.02.2012, 2010/01/0009).
Im vorliegenden Fall liegt aus Sicht des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich eine Handlungseinheit des Befahrens der vom Fahrverbot betroffenen Straße zu den sechs angelasteten Tatzeitpunkten (5., 6., 9. und 21. März 2019, 27. Mai 2019 und 22. Juni 2019) mangels eines entsprechenden zeitlichen Zusammenhangs und mangels eines einheitlichen Gesamtkonzeptes nicht vor. Dabei handelt es sich jeweils um gesondert gefasste, getrennt zu beurteilende Entschlüsse, mit dem Kraftfahrzeug (erneut) die vom Fahrverbot betroffene Straße zu befahren, denen ein von vorherein gewolltes Gesamtkonzept nicht zugrunde gelegen ist. Es liegen voneinander getrennte Tathandlungen vor, deren Durchführung (nach Verlassen des Fahrverbotsbereichs und Verstreichen der bezeichneten Zeitpunkte) neue Willensentschlüsse voraussetzten (vgl. etwa VwGH 28.11.2008, 2008/02/0221, zur neuerlichen Verweigerung der Atemluftkontrolle nach neuerlichem Lenken; VwGH 18.10.1989, 89/02/0073, zum mehrfachen Verwenden eines Kfz ohne einer dem Gesetz entsprechenden Begutachtungsplakette an verschiedenen Tagen innerhalb eines bestimmten Zeitraums).
8. Zur Strafhöhe:
8.1. Gemäß § 19 Abs. 1 VStG sind Grundlage für die Bemessung der Strafe die Bedeutung des strafrechtlich geschützten Rechtsguts und die Intensität seiner Beeinträchtigung durch die Tat. Nach Abs. 2 dieser Gesetzesstelle sind im ordentlichen Verfahren (§§ 40 bis 46) überdies die nach dem Zweck der Strafdrohung in Betracht kommenden Erschwerungs- und Milderungsgründe, soweit sie nicht schon die Strafdrohung bestimmen, gegeneinander abzuwägen. Auf das Ausmaß des Verschuldens ist besonders Bedacht zu nehmen. Unter Berücksichtigung der Eigenart des Verwaltungsstrafrechtes sind die §§ 32 bis 35 des Strafgesetzbuches sinngemäß anzuwenden. Die Einkommens- und Vermögensverhältnisse und allfällige Sorgepflichten sind bei der Bemessung von Geldstrafen zu berücksichtigen.
8.2. § 99 Abs. 3 lit. a StVO sieht eine Geldstrafe bis zu 726 Euro, im Fall ihrer Uneinbringlichkeit mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Wochen, vor.
8.3. Das durch § 99 Abs. 3 lit. a iVm § 52 lit. a Z 1 StVO 1960 geschützte Rechtsgut, insbesondere der Schutz der Anrainer und Sicherheit des Straßenverkehrs, ist nicht bloß als geringfügig anzusehen, was schon in dem für den Übertretungsfall vorgesehenen Strafrahmen zum Ausdruck kommt (vgl. VwGH 20.11.2015, Ra 2015/02/0167). Dieses Rechtsgut wurde im vorliegenden Fall durch das Befahren der vom Fahrverbot betroffenen Straße auch nicht bloß geringfügig beeinträchtigt und hat die Beschwerdeführerin fahrlässig gehandelt.
8.4. Gemäß den oben getroffenen Feststellungen scheinen betreffend die Beschwerdeführerin bei der belangten Behörde keine verwaltungsstrafrechtlichen Vormerkungen auf und sind solche auch sonst nicht im Verfahren hervorgekommen, weshalb vom Milderungsgrund der absoluten Unbescholtenheit auszugehen ist. Erschwerungsgründe sind im Verfahren nicht hervorgekommen.
8.5. Ausgehend von diesen Strafzumessungskriterien, insbesondere der im verwaltungsbehördlichen Straferkenntnis bislang nicht berücksichtigten absoluten Unbescholtenheit der (mittlerweile beim Gut *** angestellten) Beschwerdeführerin, kann im vorliegenden Einzelfall – auch unter Bedachtnahme auf die festgestellte finanzielle Lage der Beschwerdeführerin und den vorgesehenen Strafrahmen – mit einer herabgesetzten Geldstrafe das Auslangen gefunden werden, um der Beschwerdeführerin das Unrecht ihrer Handlung vor Augen zu führen und sie zukünftig von der Begehung einer gleichen oder ähnlichen strafbaren Handlung abzuhalten. Es erweist sich eine Geldstrafe in Höhe von 25,00 Euro je angelasteter Verwaltungsübertretung als tat-, schuld- und täterangemessen; die Ersatzfreiheitsstrafen sind im Verhältnis neu zu bemessen.
Eine Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens unter Erteilung einer Ermahnung (§ 45 Abs. 1 Z 4 und letzter Satz VStG) scheidet im vorliegenden Fall schon im Hinblick auf die durch den vorgesehenen Strafrahmen bis 726,00 Euro zum Ausdruck kommende Bedeutung des strafrechtlich geschützten Rechtsguts aus (vgl. etwa VwGH 20.11.2015, Ra 2015/02/0167).
8.6. Es war daher – unter Konkretisierung der Übertretungs- und Strafsanktionsnormen hinsichtlich der zum Tatzeitpunkt geltenden und insoweit anzuwendenden Fassungen – spruchgemäß zu entscheiden.
9. Zu den Kosten des Verfahrens:
9.1. Die Kosten des verwaltungsbehördlichen Strafverfahrens waren gemäß § 64 Abs. 1 und 2 VStG mit 10 Euro je Spruchpunkt festzusetzen.
9.2. Im Hinblick auf die Herabsetzung der Geldstrafen (und Ersatzfreiheitsstrafen) hat die Beschwerdeführerin keinen Beitrag zu den Kosten des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens zu leisten (vgl. § 52 Abs. 8 VwGVG).
10. Zur Zulässigkeit der Revision:
Gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG ist die Revision gegen ein Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Die Revision erweist sich als zulässig, weil aus Sicht des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich explizite Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage fehlt, ob unter die Ausnahmeregelung „Ausgenommen Anrainerverkehr“ von einem „Fahrverbot (in beiden Richtungen)“ (§ 52 lit. a Z 1 StVO) jedweder Verkehr im Zusammenhang mit den Rechtsbesitzern der neben der vom Fahrverbot betroffenen Straßen befindlichen Liegenschaften zu verstehen ist – im vorliegenden Fall sohin auch die Fahrten der Beschwerdeführerin zum bzw. vom Reiterhof darunter fallen würden, weil der Inhaber des Reiterhofes auch Rechtsbesitzer eines neben der vom Fahrverbot betroffenen Straße befindlichen Liegenschaft ist, die im Rahmen des landwirtschaftlichen Betriebes des Reiterhofs bewirtschaftet wird – oder ob, wie es aus Sicht des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nahelegt, dadurch nur eine Zufahrtsgestattung zu bzw. Abfahrtsgestattung von diesen neben der Straße gelegen Liegenschaften der (Rechts-) Besitzer erlaubt ist. Die gegebene Rechtslage erscheint hinsichtlich dieser Frage auch nicht derart eindeutig, dass eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung von vorneherein ausscheiden würde (vgl. zur diesfalls gegebenen Unzulässigkeit der Revision etwa VwGH 29.07.2015, Ra 2015/07/0095).
Schlagworte
Verkehrsrecht; Straßenverkehr; Verwaltungsstrafe; Fahrverbot; Anrainerverkehr;European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGNI:2021:LVwG.S.1780.001.2021Zuletzt aktualisiert am
21.10.2021