Entscheidungsdatum
09.06.2021Norm
AsylG 2005 §11Spruch
W211 2230043-1/13E
W211 2230044-1/13E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a SIMMA LL.M. über die Beschwerden 1) des XXXX , geb. XXXX .1984, StA. Iran, und 2) der XXXX , geb. XXXX .1990, StA. Iran, BF2, beide vertreten durch BBU Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, gegen 1) den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX .2020, Zl. XXXX und 2) den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX .2020, Zl. XXXX ,
nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:
A)
I. Den Beschwerden wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005, XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 iVm § 34 Abs. 2 und 4 AsylG 2005 der Status von Asylberechtigten zuerkannt.
Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX und XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
II. Die Spruchpunkte II. – VI. der angefochtenen Bescheide werden ersatzlos behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Die BF1 und BF2, ein iranisches Ehepaar, stellten jeweils am XXXX .2019 die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz.
2. Am XXXX 2019 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung der beiden BF statt. Befragt, warum er seinen Herkunftsstaat verlassen habe, antwortete der BF1, dass er den Islam und den Islamischen Staat im Iran ablehne. Er und BF2 seien von seiner streng religiösen Familie mehrmals mit dem Tode bedroht worden, da sie nicht an den Islam glaubten, und deshalb aus großer Angst um ihr Leben geflüchtet. Befragt, warum sie ihren Herkunftsstaat verlassen habe, antwortete die BF2, dass sie den Islam und das iranische Regime ablehne. Ihre Familie und jene ihres Ehemannes, des BF1, seien sehr religiös. Die Cousins der beiden hätten sie mit dem Tode bedroht, weshalb sie und BF1 aus Angst um ihr Leben geflüchtet seien.
3. Am XXXX .2019 wurden beide BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: Bundesamt) im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Farsi niederschriftlich einvernommen.
4. Am XXXX 2020 wurden beide BF erneut vor dem Bundesamt im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Farsi niederschriftlich einvernommen. Befragt zu seinen Fluchtgründen gab BF1 am XXXX 2020 an, er sei am XXXX .1396 [ XXXX .2017] mit drei seiner Cousins väterlicherseits, die auch Mitglieder der Sepah-Streitkräfte seien, in einen Streit geraten und daraufhin von diesen mit dem Tod, seiner Vergewaltigung und Folter bedroht worden. Danach, so habe die BF2 ihm erzählt, habe sein Vater die Wohnung des BF1 durchsucht und der anwesenden BF2 gesagt, dass er BF1 töten wolle.
Befragt zu ihren Fluchtgründen gab BF2 am XXXX .2020 an, auch sie sei am XXXX .1396 oder 1397 [ XXXX .2017 bzw. 2018] vom Vater des BF1 mit dem Tod/Umbringen ihrer Person und des BF1 bedroht worden. Wenige Tage darauf sei sie auch von ihrem eigenen Vater bedroht worden, da dieser erfahren habe, dass die BF2 einen Reisepass beantragt habe und plane, mit dem BF1 den Iran zu verlassen. Ihr Vater habe der BF2 seine Waffe an die Stirn gehalten und gefragt, ob sie dem BF1 [beim Verlassen des Iran] folgen wolle.
5. Mit den oben im Spruch angeführten Bescheiden des Bundesamtes vom XXXX .2020 wurde die Anträge beider BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Iran abgewiesen (Spruchpunkt II.). Den BF wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung der BF in den Iran gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise der BF wurde gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG mit zwei Wochen festgelegt (Spruchpunkt VI.).
Das Bundesamt stellte die Identität der Beschwerdeführer nicht fest und begründete in beiden angefochtenen Bescheiden die abweisenden Entscheidungen im Wesentlichen damit, dass das Vorbringen der beiden BF zum behaupteten Vorfall am XXXX .1396 [ XXXX .2017] nicht glaubwürdig, und auch deren Abkehr vom Islam nicht erwiesen sei. Weiters wurde festgestellt, dass den BF im Fall ihrer Rückkehr in den Iran keine Gefahr einer unmenschlichen Behandlung – durch ihre Verwandten oder staatliche Stellen – oder der Todesstrafe oder eine wie auch immer geartete Gefahr ihrer Leben oder Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt drohen würde. Abschließend begründete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl seine Rückkehrentscheidungen.
6. Gegen diese Bescheide wurde fristgerecht Beschwerde erhoben und im Wesentlichen ausgeführt, dass sich das Bundesamt mit den inhaltlichen Angaben der beiden BF nicht ausreichend auseinandergesetzt und dadurch eine asylrelevante Verfolgung beider BF aufgrund ihres Abfalls vom Islam verkannt habe.
7. Die gegenständliche Beschwerde und die Bezug habenden Verwaltungsakten wurden vom Bundesamt vorgelegt und langten am XXXX .2020 beim Bundesverwaltungsgericht ein.
8. Das Bundesverwaltungsgericht führte am XXXX .2021 in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Farsi und im Beisein des Rechtsvertreters der beiden BF eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, in welcher die BF ausführlich zu ihren Fluchtgründen befragt wurden und ihnen Gelegenheit gegeben wurde, zu den aufgetretenen Widersprüchen Stellung zu nehmen.
9. Zu den aktuellen Länderinformationen zur Situation im Iran nahm die Vertretung der BF mit Schreiben vom XXXX .2021 Stellung.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat über die zulässige Beschwerde erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zu den BF:
Der BF1 ist ein 1984 geborener, volljähriger iranischer Staatsangehöriger. Er stammt aus XXXX , wo er auch lebte und arbeitete bis etwa 10 Monate vor seiner Ausreise, gehört der Volksgruppe der Kurden an, spricht Kurdisch (Muttersprache) und Farsi, verfügt über einen Schulabschluss und hatte im Iran eine Glaserei. Er ist mit der BF 2 verheiratet. Im Iran leben seine Eltern sowie fünf Geschwister und mehrere Cousins. Mit keinem von ihnen steht der BF1 in Kontakt. Die wirtschaftliche Situation der Familie im Iran ist gut.
Der BF1 stellte am XXXX 2019 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz. Ein nicht auf das Asylgesetz gestütztes Aufenthaltsrecht besteht nicht.
Der BF1 leidet an keiner physischen oder psychischen Erkrankung und ist arbeitsfähig. Er ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.
Die BF2 ist eine 1990 geborene, volljährige iranische Staatsangehörige. Sie stammt aus XXXX , lebte und arbeitete dort bis etwa 10 Monate vor ihrer Ausreise, gehört der Volksgruppe der Kurden an, spricht Kurdisch (Muttersprache) und Farsi, verfügt über einen Schulabschluss und arbeitete in Iran als Bildhauerin. In Iran leben ihre Eltern sowie fünf Brüder und mehrere Cousins. Mit keinem von ihnen steht die BF2 in Kontakt. Die wirtschaftliche Situation der Familie in Iran ist gut.
Die BF2 stellte am XXXX .2019 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz. Ein nicht auf das Asylgesetz gestütztes Aufenthaltsrecht besteht nicht.
Die BF2 leidet an keiner physischen oder psychischen Erkrankung und ist arbeitsfähig. Sie ist strafgerichtlich unbescholten.
1.2. Zum Fluchtvorbringen
Beide BF wuchsen in Iran als schiitische Muslime auf. Sie kommen aus konservativen und religiösen Familien.
Es wird festgestellt, dass sich beide BF in Iran vom Islam abgewandt haben. Die BF2 hält sich schon mehrere Jahre nicht mehr an Gebote wie Fasten und Beten; der BF1 praktiziert zumindest seit seiner Wehrdienstzeit vor 19 Jahren den Islam nicht mehr.
Die BF 2 möchte in Bezug auf ihren Abfall vom Islam im Iran kein Scheinleben mehr führen. Festgestellt wird eine begründete Furcht der BF2 vor einer Gefährdung aus Gründen des Abfalls von ihrer Religion.
1.3. Zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat
Aus dem ins Verfahren eingeführten Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Iran vom 29.1.2021 (LIB 2021) ergibt sich wie folgt:
Das Recht auf Religions- und Glaubensfreiheit wird sowohl durch Gesetze als auch im täglichen Leben systematisch verletzt. Die Behörden zwingen weiterhin Personen aller Glaubensrichtungen einen Kodex für Verhalten in der Öffentlichkeit auf, der auf einer strikten Auslegung des schiitischen Islams gründet. Das Recht, eine Religion zu wechseln oder aufzugeben, wird weiterhin verletzt (AI 18.2.2020). Schiitische Religionsführer, welche die Regierungspolitik nicht unterstützen, sind weiterhin Einschüchterungen und Verhaftungen ausgesetzt. Laut der in den USA ansässigen NGO „United for Iran“ befanden sich 2019 mindestens 109 Angehörige religiöser Minderheitengruppen aufgrund des Praktizierens ihrer Religion in Haft (USDOS 10.7.2020). Personen, die sich zum Atheismus bekennen, laufen Gefahr, willkürlich festgenommen, inhaftiert, gefoltert und anderweitig misshandelt oder wegen Apostasie (Abfall vom Glauben) zum Tode verurteilt zu werden (AI 18.2.2020). In der Praxis sind Verurteilungen wegen Apostasie jedoch sehr selten (wenn überhaupt noch vorhanden), bei keiner der Hinrichtungen in den letzten Jahren gab es Hinweise darauf, dass Apostasie einer bzw. der eigentliche Verurteilungsgrund war (ÖB Teheran 10.2020).
Apostasie (d.h. Religionswechsel weg vom Islam) ist im Iran zwar nicht im Strafgesetzbuch, aber aufgrund der verfassungsrechtlich verankerten islamischen Jurisprudenz verboten und mit langen Haftstrafen (bis hin zur Todesstrafe) bedroht (ÖB Teheran 10.2020). Konvertierte werden jedoch zumeist nicht wegen Apostasie bestraft, sondern aufgrund anderer Delikte, wie zum Beispiel „mohareb“ („Waffenaufnahme gegen Gott“), „mofsid-fil-arz/fisad-al-arz“ („Verdorbenheit auf Erden“), oder „Handlungen gegen die nationale Sicherheit“. In der Praxis sind Verurteilungen wegen Apostasie sehr selten, wenn überhaupt noch vorhanden. Bei keiner der Hinrichtungen in den letzten Jahren gibt es Hinweise darauf, dass Apostasie ein bzw. der eigentliche Verurteilungsgrund war. Hingegen gab es mehrere Exekutionen wegen „mohareb“ (ÖB Teheran 10.2020; vgl. DIS/DRC 23.2.2018).
Die Todesstrafe ist bei Fällen, die mit Konversion zusammenhängen, keine geläufige Bestrafung. Allein wegen Konversion werden keine Gerichtsverfahren geführt (DIS/DRC 23.2.2018). Schon seit vielen Jahren wurde kein Christ mehr vom Regime getötet, wahrscheinlich aus Angst vor den daraus resultierenden internationalen Folgen (Open Doors 2020; vgl. AA 26.2.2020). Anklagen lauten meist auf „Gefährdung der nationalen Sicherheit“, „Organisation von Hauskirchen“ und „Beleidigung des Heiligen“, wohl um die Anwendung des Scharia-Rechts und damit die Todesstrafe wegen Apostasie zu vermeiden (AA 26.2.2020). Konversion wird als politische Aktivität angesehen. Fälle von Konversion gelten daher als Angelegenheiten der nationalen Sicherheit und werden vor den Revolutionsgerichten verhandelt. Nach anderen Quellen wurden im Jahr 2017 gegen mehrere christliche Konvertiten hohe Haftstrafen (zehn und mehr Jahre) verhängt [Anmerkung der Staatendokumentation: Verurteilungsgrund unklar] (AA 12.1.2019). Laut Weltverfolgungsindex 2020 wurden auch 2018 und 2019 viele Christen, besonders solche mit muslimischem Hintergrund, vor Gericht gestellt und zu langen Gefängnisstrafen verurteilt bzw. warten noch auf ihren Prozess. Ihre Familien sind während dieser Zeit öffentlichen Demütigungen ausgesetzt (Open Doors 2020).
Missionstätigkeit unter Muslimen kann eine Anklage wegen Apostasie und Sanktionen bis zur Todesstrafe nach sich ziehen. Muslime dürfen daher nicht an Gottesdiensten anderer Religionen teilnehmen. Trotz des Verbots nimmt die Konversion weiter zu. Unter den Christen in Iran stellen Konvertiten aus dem Islam mit schätzungsweise mehreren Hunderttausend inzwischen die größte Gruppe dar, noch vor den Angehörigen traditioneller Kirchen (AA 26.2.2020). In Iran Konvertierte nehmen von öffentlichen Bezeugungen ihrer Konversion naturgemäß Abstand, behalten ihren muslimischen Namen und treten in Schulen, Universitäten und am Arbeitsplatz als Muslime auf (ÖB Teheran 10.2020).
Wer zum Islam zurückkehrt, tut dies ohne besondere religiöse Zeremonie, um Aufsehen zu vermeiden. Es genügt, wenn die betreffende Person glaubhaft versichert, weiterhin oder wieder dem islamischen Glauben zu folgen. Es gibt hier für den Rückkehrer bestimmte religiöse Formeln, die dem Beitritt zum Islam ähneln bzw. nahezu identisch sind (ÖB Teheran 10.2020).
Die Rückkehr von Konvertiten in den Iran führt nicht zwingend zu einer Festnahme oder Inhaftierung (BAMF 3.2019). Wenn ein Konvertit den Behörden auch zuvor nicht bekannt war, dann ist eine Rückkehr nach Iran weitgehend problemlos. Auch konvertierte Rückkehrer, die keine Aktivitäten in Bezug auf das Christentum setzen, sind für die Behörden nicht von Interesse. Wenn ein Konvertit schon vor seiner Ausreise den Behörden bekannt war, kann sich die Situation anders darstellen. Auch Konvertiten, die ihre Konversion öffentlich machen, können sich womöglich Problemen gegenübersehen. Wenn ein zurückgekehrter Konvertit sehr freimütig über seine Konversion in den Social Media-Kanälen berichtet, besteht die Möglichkeit, dass die Behörden auf ihn aufmerksam werden und ihn bei der Rückkehr verhaften und befragen. Der weitere Vorgang hängt davon ab, was der Konvertit den Behörden erzählt. Wenn der Konvertit kein „high-profile“-Fall ist und nicht missionarisch tätig ist bzw. keine anderen Aktivitäten setzt, die als Bedrohung der nationalen Sicherheit angesehen werden, ist eine harsche Strafe eher unwahrscheinlich. Eine Bekanntgabe der Konversion auf Facebook allein führt zumeist nicht zu einer Verfolgung, aber es kann durchaus dazu führen, dass man beobachtet wird. Ein gepostetes Foto im Internet kann von den Behörden ausgewertet werden, gemeinsam mit einem Profil und den Aktivitäten der konvertierten Person. Wenn die Person vor dem Verlassen des Landes keine Verbindung mit dem Christentum hatte, wird diese aller Wahrscheinlichkeit nach auch nicht verfolgt werden. Wenn eine konvertierte Person die Religion in politischer Weise heranzieht, um zum Beispiel Nachteile des Islam mit Vorteilen des Christentums auf sozialen Netzwerken zu vergleichen, kann das aber durchaus zu Problemen führen (DIS/DRC 23.2.2018). Einige Geistliche, die in der Vergangenheit in Iran verfolgt oder ermordet wurden, waren im Ausland zum Christentum konvertiert. Die Tragweite der Konsequenzen für jene Christen, die im Ausland konvertiert sind und nach Iran zurückkehren, hängt von der religiösen und konservativen Einstellung ihres Umfeldes ab. Jedoch wird von familiärer Ausgrenzung berichtet, sowie von Problemen, sich in der islamischen Struktur des Staates zurechtzufinden (z.B. Eheschließung, soziales Leben) (ÖB Teheran 10.2020).
2. Beweiswürdigung:
2.1. Zu den BF
Die Feststellungen ergeben sich aus den von der belangten Behörde vorgelegten Verwaltungsunterlagen sowie den Aktenbestandteilen des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens. Als Beweismittel insbesondere relevant sind die Niederschriften der Einvernahmen beider BF durch das Bundesamt ( XXXX .2019 und XXXX .2020) sowie jene der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht ( XXXX .2021), die beiden Beschwerdeschriftsätze, das LIB 2021 zum Iran, mit den darin enthaltenen, bei den Feststellungen näher zitierten Berichten, die Strafregisterauszüge sowie die Verwaltungsakte zu den Asylverfahren.
Die Identität der beiden BF konnte mangels Vorlage (unbedenklicher) Dokumente nicht bewiesen werden, weshalb hinsichtlich Name und Geburtsdatum Verfahrensidentität vorliegt.
Das Bundesverwaltungsgericht erachtet die BF – betreffend ihrer jeweiligen Person (Alter, Staatsangehörigkeit, Herkunftsregion, Ausbildung und Berufserfahrung, Familienstand, Familienverhältnisse und Gesundheitszustand) sowie ihrer Situation in Österreich – für persönlich glaubwürdig, weil sie im Verfahren im Wesentlichen gleichbleibende Angaben dazu machten. Es gibt keine Gründe, an der Richtigkeit dieser Angaben zu zweifeln, und waren die BF diesbezüglich auch in der mündlichen Verhandlung persönlich glaubwürdig.
2.2. Zum Fluchtvorbringen
2.2.1. Die belangte Behörde führte im Wesentlichen ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren und kam darin zu dem Schluss, dass das Fluchtvorbringen beider BF nicht glaubhaft ist. In ihren Beschwerden traten die BF diesen Ausführungen nicht in geeigneter und substantiierter Weise entgegen.
In der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht bestätigte sich jedoch die Nachvollziehbarkeit des Fluchtvorbringens der BF2 und ist dazu näher auszuführen wie folgt:
Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union liegt eine begründete Furcht des Asylwerbers/der Asylwerberin vor asylrelevanter Verfolgung vor, wenn im Hinblick auf seine/ihre persönlichen Umstände anzunehmen ist, dass er/sie nach Rückkehr in das Herkunftsland religiöse Betätigungen vornehmen wird, die ihn/sie der tatsächlichen Gefahr einer Verfolgung aussetzen. Eine solche Verfolgung aus Gründen der Religion im Sinne des Art 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), BGBl. Nr. 55/1955 idgF, kann auch dann vorliegen, wenn sich eine Person insofern religiös betätigt, als sie den im Herkunftsstaat vorgeschriebenen Glauben nicht leben will, sondern sich durch das Unterlassen (erwarteter) religiöser Betätigungen zu ihrer Konfessionslosigkeit bekennt (zu Afghanistan EuGH 5.9.2012, verb. Rs C-71/11, C-99/11, Y ua, Rz 79 und EuGH 4.10.2018, Rs C-56/17, Fathi, Rz 88 und Rz 96 ff.; siehe zu Afghanistan VfGH 13.3.2019, E3767/2018; VwGH 13.12.2018, Ra 2018/18/0395, zum Iran ebenso VwGH 17.12.2019, Ra 2019/18/0350). Dabei darf nicht darauf abgestellt werden, ob der/die Asylwerber_in die Gefahr einer Verfolgung möglicherweise dadurch vermeiden kann, dass er/sie auf die betreffende religiöse Betätigung und folglich auf den Schutz, den die Anerkennung als Flüchtling garantieren soll, verzichtet (EuGH, Y ua, Rz 78 und Rz 80).
Gefragt, was sie nach ihrer Rückkehr in den Iran befürchte, antwortete die BF2 (Niederschrift zur mündlichen Verhandlung vom XXXX .2021, S. 19): „Ich werde wahrscheinlich keine rechtlichen Konsequenzen haben. Aber das ist weniger das Problem, sondern das Problem ist, dass ich von der Bevölkerung als Abtrünnige gesehen werde und dass die Religion ihnen erlaubt, mich zu vernichten. Dieses Mal möchte ich kein Scheinleben führen. Ich will nicht mehr auf meinen Reisedokumenten „Islam“ als Religionszugehörigkeit stehen haben. Wie bereits dargestellt, [sind] mein größtes Problem Leute, die mein Leben zerstören werden.“
Damit hat BF2 nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts einen erkennbaren Bezug zum inneren Entschluss, nicht mehr als gläubige Muslima leben und dies auch nicht verstecken zu wollen, geschaffen und diesen mit einem emotionalen Bezug glaubwürdig dargelegt. Die Erzähl- und Ausdrucksweise war dabei lebendig und nachvollziehbar.
Wenngleich gemäß § 19 AsylG 2005 die Erstbefragung insbesondere der Ermittlung von Identität und Reiseroute dient und sich nicht auf die näheren Fluchtgründe zu beziehen hat, so ist doch festzuhalten, dass die Angaben eines/einer BF in der Erstbefragung nicht gänzlich unbeachtlich sind (vgl. VwGH 10.11.2015, Ra 2015/19/0189). Die BF2 gab bereits in der Befragung vorm Bundesamt (AS 162) an, dass sie konfessionslos sei und sich schon mehrere Jahre nicht mehr an Gebote wie Fasten und Beten hält, ihr Abfall vom Islam sei „im Laufe der Zeit und aufgrund der eigenen Recherche“ (AS 172) erfolgt.
Die Darstellung der BF2 im Verfahren ist somit kohärent und schlüssig.
Wenn das Bundesamt den Abfall vom Islam der BF2 als nicht glaubhaft erachtet, weil „belastbare Beweismittel“ (AS 209) fehlten und sie sich nicht „schon bei der ersten sich bietenden Gelegenheit von dieser scheinbar so ungeliebten Religion offiziell losgesagt“ habe, ist ihm zu entgegen, dass der BF2, die als Iranerin aus einem Land mit Staatsreligion kommt, die Möglichkeit der Erklärung eines Austritts aus einer Kirche oder Glaubensgemeinschaft in Österreich bei der Bezirksverwaltungsbehörde (siehe Art. 6 des Gesetzes vom 25. Mai 1868, wodurch die interconfessionellen Verhältnisse der Staatsbürger in den darin angegebenen Beziehungen geregelt werden, RGBl. Nr. 49), auch schlicht nicht bekannt gewesen sein kann. Zudem ist ein solcher Religionsaustritt durch die BF2 laut vorgelegter Bescheinigung am XXXX .2020 bei der örtlich zuständigen Bezirkshauptmannschaft XXXX zu Zl. XXXX nunmehr erfolgt.
Auch die Vorhaltungen des Bundesamtes an die BF2 (AS 210), in ihrer Jugend Pilgerreisen zu islamischen Stätten unternommen zu haben und auch heute noch Koransuren auswendig zu kennen sowie „auf Nachfrage“ eingeräumt zu haben, im Iran Tschador getragen zu haben, die eine mangelnde Glaubwürdigkeit der behaupteten Konfessionslosigkeit der BF2 begründen sollen, können die Einschätzung der erkennenden Richterin an der Ernsthaftigkeit der BF2 bei ihrer Abwendung von der Religion nicht erschüttern: nachvollziehbar gab diese im Verfahren konsistent an, aus einer sehr religiösen Familie zu stammen, was ihre Praktiken und die Pilgerreisen schlüssig erklären kann. Eine entsprechende Herkunft aus einer religiösen Familie und die dazugehörende Sozialisierung schließen aber eine spätere Abwendung von der Religion nicht aus.
Aus dem Vorbringen des BF1 konnte zwar im Laufe des Verfahrens auch verstanden werden, dass dieser ebenfalls den Islam nicht praktiziert und wohl auch nicht besonders an der Ausübung seiner Religion interessiert ist. Für ihn ergab sich jedoch im Laufe des Verfahrens nicht der Eindruck, ein Abfall vom Islam gründe sich auf eine innere Überzeugung und eine dringliche Entscheidung, die damit einhergehen würde, im Iran auf die Offenlegung dieser Gedanken nicht verzichten zu wollen. Im Gegensatz zu seiner Frau macht der BF1 dahingehend eher den Eindruck, unter Umständen im Iran auch im Rahmen des dort möglichen ein vom Islam im Alltag wenig beeinflusstes Leben führen zu können, weshalb eine entsprechende Gefährdung für ihn nicht festgestellt werden konnte.
Da die Behandlung der nachvollziehbaren Sorge der BF2 vor einer Gefahr im Iran bereits zu einer Schutzzuerkennung für diese und in weiterer Folge auch mittels § 34 AsylG für den BF1 führt, kann eine Würdigung des Vorbringens einer Gefährdung der BF durch ihre Familien im Iran entfallen.
2.3. Zur Situation in Iran
Die Länderfeststellungen unter 1.3. gründen sich auf das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zum Iran mit Stand 2020/letzte Änderungen 2021, und da wiederum auf die folgenden Einzelquellen:
? AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (26.2.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2027998/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Iran_%28Stand_Februar_2020%29%2C_26.02.2020.pdf, Zugriff 21.4.2020
? AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457257/4598_1548938794_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-islamischen-republik-iran-stand-november-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 20.4.2020AI – Amnesty International (18.2.2020): Menschenrechte im Iran: 2019 [MDE 13/1829/2020], https://www.ecoi.net/de/dokument/2026069.html, Zugriff 14.5.2020
? BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (3.2019): Länderreport Nr. 10. Iran. Situation der Christen, https://coi.easo.europa.eu/administration/germany/PLib/DE_BAMF_Laenderreport_10_Iran_Mar-2019.pdf, Zugriff 18.12.2020
? DIS/DRC – Danish Immigration Service [Dänemark]/Danish Refugee Council (23.2.2018): IRAN - House Churches and Converts. Joint report from the Danish Immigration Service and the Danish Refugee Council based on interviews in Tehran, Iran, Ankara, Turkey and London, United Kingdom, 9 September to 16 September 2017 and 2 October to 3 October 2017, https://www.ecoi.net/en/file/local/1426255/1788_1520517773_house-churches-and-converts.pdf, Zugriff 20.4.2020
? ÖB Teheran – Österreichische Botschaften [Österreich] (10.2020): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2041432/IRAN_%C3%96B-Bericht_2020_10.pdf Zugriff 3.12.2020
? Open Doors (2021): Weltverfolgungsindex 2021 Länderprofil Iran (Berichtszeitraum 1. Oktober 2019 – 30. September 2020), https://www.opendoors.de/christenverfolgung/weltverfolgungsindex/laenderprofile/iran, Zugriff 19.1.2021
? USDOS – US Department of State [USA] (10.7.2020): 2019 Report on International Religious Freedom – Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2031370.html, Zugriff 16.12.2020
Die Feststellungen sind nachvollziehbar und schlüssig, relevant sowie ausreichend aktuell. Zu der im Rahmen der mündlichen Verhandlung von der BBU als Rechtsvertretung beider BF vorgelegten schriftlichen Stellungnahme vom XXXX .2021 zu den Länderberichten ist festzuhalten, dass die Berichte betreffend Apostasie, Glaubensfreiheit, Menschenrechtslage und Rückkehrer in keinem Widerspruch zu den vom Bundesverwaltungsgericht herangezogenen Berichten stehen, vielmehr handelt es sich um dieselben Berichte. Für das Bundesverwaltungsgericht besteht auch aus diesem Grund keine Zweifel an deren Richtigkeit.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
3.1. Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides (Abweisung des Antrags auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten)
3.1.1. Rechtsgrundlagen
Gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (in Folge: AsylG 2005), ist einer Fremden, die in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, der Status der Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihr im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht.
Gemäß Abs. 2 leg. cit. kann die Verfolgung auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem die Fremde ihren Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten der Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe).
Gemäß Abs. 3 leg. cit. ist der Asylantrag bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten abzuweisen, wenn der Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005) offen steht oder wenn sie einen Asylausschlussgrund (§ 6 AsylG 2005) gesetzt hat.
Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer sich „aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen“.
Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 26.11.2003, 2003/20/0389, ausführte, ist das individuelle Vorbringen einer Asylwerberin ganzheitlich zu würdigen und zwar unter den Gesichtspunkten der Konsistenz der Angaben, der persönlichen Glaubwürdigkeit und der objektiven Wahrscheinlichkeit des Behaupteten.
Für die Asylgewährung kommt es auf die Flüchtlingseigenschaft im Sinn der GFK zum Zeitpunkt der Entscheidung an (vgl. etwa VwGH 27.06.2019, Ra 2018/14/0274). Bei der Beurteilung eines behaupteten Religionswechsels und der Prüfung einer Scheinkonversion kommt es auf die aktuell bestehende Glaubensüberzeugung der Konvertitin an, die im Rahmen einer Gesamtbetrachtung anhand einer näheren Beurteilung von Zeugenaussagen und einer konkreten Befragung der Asylwerberin zu ihren religiösen Aktivitäten zu ermitteln ist (vgl. VwGH 29.05.2019, Ra 2019/20/0230; 23.01.2019, Ra 2018/19/0453 und Ra 2018/19/0260).
Es ist demnach für die Zuerkennung des Status der Asylberechtigten zum einen nicht zwingend erforderlich, dass die Beschwerdeführerin bereits in der Vergangenheit verfolgt wurde, zum anderen ist auch eine bereits stattgefundene Verfolgung ("Vorverfolgung") für sich genommen nicht hinreichend. Selbst wenn daher die Beschwerdeführerin im Herkunftsstaat bereits asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt war, ist entscheidend, dass sie im Zeitpunkt der Entscheidung (der Behörde bzw. des VwG) weiterhin mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen rechnen müsste (vgl. VwGH 13.12.2016, Ro 2016/20/0005); die entfernte Gefahr einer Verfolgung genügt nicht (vgl. VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074).
Aus Art. 10 Abs. 1 lit. b RL 2011/95/EU (Statusrichtlinie) folgt, dass die Ausübung einer Glaubensüberzeugung nicht auf das sog. „forum internum“ beschränkt werden darf, sondern vielmehr auch der öffentliche Bereich umfasst ist.
3.1.2. In der Sache:
Im gegenständlichen Fall wurde festgestellt, dass die BF2 aus einem inneren Entschluss konfessionslos geworden ist. Sie ist bereits in Iran im Laufe der Zeit und nach eigener Recherche vom Islam abgefallen und hält seit mehreren Jahren zentrale islamische Riten wie Beten und Fasten nicht mehr ein. Betreffend die BF2 wird davon ausgegangen, dass ihre Abwendung vom Islam von einer ernsthaften und inneren Überzeugung getragen ist. Hinzu kommt, dass die vorgebrachte Verfolgungsgefahr aktuell auch vor dem Hintergrund der Länderfeststellungen objektivierbar ist, weil das von der BF2 im Falle einer Rückkehr angestrebte Leben (vgl. Niederschrift zur mündlichen Verhandlung vom XXXX .2021, S. 19: „Dieses Mal möchte ich kein Scheinleben führen“), also eine Exposition ihrer gewonnenen Überzeugung, mit der erforderlichen, maßgeblichen Wahrscheinlichkeit eine asylrelevante Verfolgung in Iran auslösen würde.
Der Verfassungsgerichtshof erachtet den Gewissenskonflikt einer Beschwerdeführerin, ihre Konfessionslosigkeit nicht öffentlich leben zu können, sondern – um eine Verfolgung zu vermeiden – für sich behalten zu müssen, für relevant im Zusammenhang mit der Beurteilung einer behaupteten Furcht der Asylwerberin vor asylrelevanter Verfolgung aus Gründen der Religion (vgl. VfGH 08.06.2020, E3703/2019).
Da die Glaubhaftmachung ein wesentliches Tatbestandsmerkmal für die Gewährung von Asyl ist, und es BF2 gelungen ist, eine aus einem in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Grund aktuell drohende Verfolgung maßgeblicher Intensität glaubhaft zu machen, liegt somit im Falle der BF2 ein Fluchtgrund vor und hat die belangte Behörde zu Unrecht ihren Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status der Asylberechtigten abgewiesen.
Die der BF2 drohenden Verfolgung geht vom Staat aus, weshalb eine Schutzwilligkeit der staatlichen Behörden im Iran nicht angenommen werden kann. Eine innerstaatliche Fluchtalternative steht BF2 ebenfalls nicht zur Verfügung, da die staatliche Verfolgung im ganzen Land drohen würde (vgl. VwGH 23.09.2020, Ra 2019/14/0600).
Die BF2 hält sich somit aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung aus Gründen der Religion außerhalb des Irans auf und ist im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt, in ihren Herkunftsstaat zurückzukehren. Im Falle einer Rückkehr in den Iran ihre Konfessionslosigkeit nicht öffentlich leben zu können, sondern – um eine Verfolgung zu vermeiden – für sich behalten zu müssen, ist der BF2 nicht zumutbar.
Da auch keine Ausschlussgründe nach § 6 AsylG vorliegen, ist der Beschwerde stattzugeben und der BF2 gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 schon aus diesem Grund der Status der Asylberechtigten zuzuerkennen. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG ist diese Entscheidung mit der Aussage zu verbinden, dass ihr damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
Dadurch, dass der BF2 der Status einer Asylberechtigten zuerkannt wird, folgt, dass derselbe Schutz gemäß § 34 Abs. 2 und 4 AsylG 2005 auch BF1 als Familienangehörigem gewährt wird.
Zu Spruchpunkt II:
In weiterer Folge waren die restlichen Spruchpunkte des angefochtenen Bescheids zu beheben.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung (vgl. die unter Punkt 3. angeführte Judikatur); weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Im Übrigen war eine auf die Umstände des Einzelfalls bezogene Prüfung vorzunehmen und waren Fragen der Beweiswürdigung entscheidend.
Es war somit insgesamt spruchgemäß zu entscheiden.
Schlagworte
Apostasie Asylgewährung asylrechtlich relevante Verfolgung Asylverfahren begründete Furcht vor Verfolgung ersatzlose Teilbehebung Fluchtgründe Flüchtlingseigenschaft Glaubhaftmachung Glaubwürdigkeit inländische Schutzalternative innerstaatliche Fluchtalternative Kassation Konfessionslosigkeit mündliche Verhandlung Nachfluchtgründe Religionsausübung Religionsfreiheit religiöse Gründe Rückkehrentscheidung behoben Spruchpunktbehebung Verfolgungsgefahr Verfolgungshandlung wohlbegründete FurchtEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:W211.2230044.1.00Im RIS seit
21.10.2021Zuletzt aktualisiert am
21.10.2021