TE Bvwg Erkenntnis 2021/6/13 I417 2168202-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 13.06.2021
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Entscheidungsdatum

13.06.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58 Abs1 Z2
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs2
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


I417 2168202-1/38E

I417 2168214-1/34E

I417 2168216-1/43E

I417 2168198-1/35E

I417 2168209-1/33E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Friedrich ZANIER als Einzelrichter über die Beschwerden des XXXX (Erstbeschwerdeführer), geb. am XXXX , StA. Irak, der XXXX (Zweitbeschwerdeführerin), geb. am XXXX , StA. Irak, des XXXX (Drittbeschwerdeführer), geb. am XXXX , StA. Irak, des XXXX (Viertbeschwerdeführer), geb. am XXXX , StA. Irak, des minderjährigen Mustafa XXXX (Fünftbeschwerdeführer), geb. am XXXX , StA. Irak, vertreten durch die gesetzlichen Vertreter XXXX (Erstbeschwerdeführer) und XXXX (Zweitbeschwerdeführerin), alle vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH – BBU, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, jeweils vom 20.07.2017, Zl. XXXX , Zl. XXXX , Zl. XXXX , Zl. XXXX , Zl. XXXX , nach Durchführung vom mündlichen Verhandlung am 19.08.2020 und am 23.02.2021, zu Recht:

A)       Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.

B)       Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1.       Die Beschwerdeführer reisten im September 2015 gemeinsam in das Bundesgebiet ein und stellten der Erstbeschwerdeführer, die Zweitbeschwerdeführerin, der Drittbeschwerdeführer und der Viertbeschwerdeführer am 18.09.2015 bzw. der Erstbeschwerdeführer stellvertretend für den Fünftbeschwerdeführer einen Antrag auf internationalen Schutz. Ihren Asylantrag begründeten die Beschwerdeführer in der Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 21.09.2015 mit dem Umstand, dass der Erstbeschwerdeführer aufgrund seiner Arbeit im Sportbereich Drohungen von verschiedenen Parteien der Regierung erhalten hätte und die Terrormilizen seine Kinder aus Rache entführen könnten. Es würden allgemein viele Kinder und Jugendliche entführt werden, um anschließend Lösegeld einfordern zu können. Zudem befürchteten die Erst- und Zweitbeschwerdeführer, dass der Erstbeschwerdeführer bei einer Rückkehr in den Irak selbst getötet werde.

2.       Die Erst- bis Drittbeschwerdeführer wurden am 20.06.2017 durch die belangte Behörde niederschriftlich einvernommen. Erneut nach dem Fluchtvorbringen befragt, brachte der Erstbeschwerdeführer im Wesentlichen ergänzend vor, dass von ihm als Beamten/Koordinator von drei Milizen verlangt worden wäre, dass er bei den jeweiligen politischen Parteien Mitglied werde. Nachdem er dies abgelehnt habe, hätten die verschiedenen Bedrohungen begonnen. So seien Drohbriefe auf seiner Windschutzscheibe hinterlassen worden bzw. ihm Drohbriefe samt einem Messer oder einer Pistolenpatrone zugesendet worden. In diesen Briefen seien teilweise auch seine Kinder bedroht worden und seien diese, da er nicht mehr in die Arbeit gegangen sei, bei ihm zu Hause abgegeben worden. Eines Tages habe der Viertbeschwerdeführer vor ihrem Haus mit dem Fünftbeschwerdeführer gespielt und seien zwei Geländewagen ohne Kennzeichen stehengeblieben. Männer hätten den Viertbeschwerdeführer festgehalten, woraufhin dieser laut geschrien und Nachbarn sowie die Zweitbeschwerdeführerin auf die Situation aufmerksam gemacht hätte. Die Männer hätten dem Viertbeschwerdeführer gesagt: „Dein Vater soll um Mitternacht zu uns kommen“, und dann von ihm abgelassen. Der Erstbeschwerdeführer sei anschließend von seiner Familie verständigt worden und habe zwei Nächte nicht zu Hause geschlafen – in der dritten Nacht hätten sie die Flucht angetreten. Auch die Zweitbeschwerdeführerin tätigte im Wesentlichen dieselben Angaben, machte jedoch für sich keine eigenen Fluchtgründe geltend, sondern berief sich auf die Fluchtgründe ihres Mannes und ihrer Kinder. Hinsichtlich der Fluchtgründe des Viertbeschwerdeführers gab sie die Bedrohung von zwei Männern in Geländeautos vor ihrem Haus an. Sie erklärte zudem, dass der Fünftbeschwerdeführer keine eigenen Fluchtgründe habe, jedoch Probleme mit seinen Zähnen habe. Der Drittbeschwerdeführer wurde am 22.06.2017 niederschriftlich einvernommen und berief sich dabei auf die Bedrohungssituation betreffend seinen Vater sowie den Entführungsversuch betreffend seinen Bruder, wodurch die gesamte Familie nicht mehr im Irak leben könne.

3.       Mit den verfahrensgegenständlichen Bescheiden, jeweils datiert mit 20.07.2017, wies die belangte Behörde die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf ihren Herkunftsstaat Irak (Spruchpunkt II.) als unbegründet ab. Zugleich erteilte sie den Beschwerdeführern keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen die Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass ihre Abschiebung in den Irak zulässig ist (Spruchpunkt III.). Des Weiteren setzte die belangte Behörde eine Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest (Spruchpunkt IV.).

4.       Gegen diese Bescheide richtete sich die fristgerecht erhobene Beschwerde vom 07.08.2017 und legten die Beschwerdeführer in der Beschwerdeergänzung vom 24.11.2017 die Gründe, auf welche sich ihre Behauptung der Rechtswidrigkeit stützt, ausführlich dar.

5.       Beschwerden und Bezug habender Akt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 21.08.2017 vorgelegt. Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses des Bundesverwaltungsgerichtes vom 25.09.2018 wurde die gegenständliche Rechtssache der Gerichtsabteilung des erkennenden Richters neu zugewiesen.

6.       Am 19.08.2020 fand eine mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht statt, in welcher die weitere Vorgehensweise in Hinblick auf den gesundheitlichen Zustand des Drittbeschwerdeführers besprochen wurde.

7.       Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 19.08.2020, I417 2168216-1/22Z, wurde Dr. XXXX zum Sachverständigen aus dem Fachgebiet Medizin, Pulmologie, bestellt und erstattete der Sachverständige am 28.09.2020, beim erkennenden Gericht eingelangt am 05.10.2020, ein lungenfachärztliches Gutachten.

8.       Mit Parteiengehör vom 09.10.2020 wurde dem Drittbeschwerdeführer das Ergebnis der Beweisaufnahme zur Kenntnis gebracht und ihm die Möglichkeit der Abgabe einer Stellungnahme binnen 14 Tagen ab Zustellung des Schreibens gewährt. Eine entsprechende Stellungnahme erfolgte am 23.10.2020.

9.       Am 23.02.2021 erfolgte in Anwesenheit der Erst- bis Fünftbeschwerdeführer sowie des Sachverständigen Dr. XXXX eine mündliche Verhandlung am Bundesverwaltungsgericht, in welcher sämtliche Beschwerdeführer einvernommen wurden.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der unter Punkt I. beschriebene Verfahrensgang wird als Sachverhalt festgestellt. Die Verfahren der Beschwerdeführer werden im Sinne des § 34 AsylG gemeinsam als Familienverfahren geführt und werden darüber hinaus folgende Feststellungen getroffen:

1.1. Zu den Personen der Beschwerdeführer:

Die volljährigen Erst-, Zweit-, Dritt- und Viertbeschwerdeführer und der minderjährige Fünftbeschwerdeführer sind irakische Staatsangehörige und Angehörige der Volksgruppe der Araber. Sie sprechen Arabisch als Muttersprache und bekennen sich zum schiitisch-muslimischen Glauben. Ihre Identitäten stehen fest.

Die Beschwerdeführer lebten vor ihrer Ausreise in Basra. Sie verließen den Irak am 22.08.2015 auf legalem Weg von Nadjaf per Flugzeug in die Türkei und reisten im September 2015 unter Umgehung der Grenzkontrollen unter anderem über Griechenland und Ungarn in das österreichische Bundesgebiet ein, wo sie am 18.09.2015 Anträge auf internationalen Schutz stellten.

Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind miteinander verheiratet. Die Dritt-, Viert- und Fünftbeschwerdeführer sind die Kinder des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin.

Auf der Flucht wurden die Beschwerdeführer von den zwei Töchtern der Erst- und Zweitbeschwerdeführer, XXXX , geb. XXXX , und XXXX , geb. am XXXX , begleitet, welchen jeweils mit Bescheid vom 20.07.2017, Zl. XXXX und XXXX , in Österreich der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde.

Sämtliche Beschwerdeführer leiden an keinen derartigen physischen oder psychischen Beeinträchtigungen, die einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat entgegenstehen.

Der Erstbeschwerdeführer wurde in Basra geboren, wuchs dort auf und besuchte insgesamt acht Jahre lang die Grund- und Mittelschule. Er arbeitete anschließend als Autohändler sowie als Verkäufer in einer Apotheke und war zeitgleich als Koordinator in den Sportarten Karate und Ringen für das irakische Jugend- und Sportministerium tätig. Zudem züchtete er Kanarienvögel. Er verdiente im Irak bis zu seiner Ausreise den Hauptanteil des Lebensunterhalts für seine Familie. Der Erstbeschwerdeführer ist erwerbsfähig.

Die Zweitbeschwerdeführerin wurde in Basra geboren, wuchs dort auf und besuchte zwölf Jahre lang die Schule. Über Berufserfahrung verfügt die Zweitbeschwerdeführerin nicht und kam der Erstbeschwerdeführer für ihren Lebensunterhalt auf. Die Zweitbeschwerdeführerin ist erwerbsfähig.

Der Drittbeschwerdeführer wurde ebenfalls in Basra geboren, wuchs dort auf und besuchte im Irak neun Jahre die Schule. Anschließend arbeitete er auf Baustellen und trug damit finanziell zum Lebensunterhalt der Familie bei. Der Drittbeschwerdeführer lebte vor der Ausreise aus dem Irak bei seiner Familie und stellte hauptsächlich der Erstbeschwerdeführer seinen Lebensunterhalt sicher. Er ist erwerbsfähig.

Der Viertbeschwerdeführer stammt ebenfalls aus Basra. Er besuchte im Irak neun Jahre die Schule und kam bislang der Erstbeschwerdeführer für seinen Lebensunterhalt auf. Der Viertbeschwerdeführer ist erwerbsfähig.

Der Fünftbeschwerdeführer wurde in Basra geboren und besuchte dort fünf Jahre die Grundschule. Er wurde bislang von seiner Familie versorgt und betreut.

Im Irak leben nach wie vor zahlreiche Verwandte der Beschwerdeführer, jedoch besteht derzeit kein aufrechter Kontakt zu ihren irakischen Familienangehörigen. Der Erstbeschwerdeführer pflegt nach wie vor den Kontakt zu einem Freund im Irak.

In Österreich leben derzeit die zwei Töchter der Erst- und Zweitbeschwerdeführer und besteht regelmäßiger Kontakt. Die ältere Tochter ist mit dem ägyptischen Staatsangehörigen XXXX , standesamtlich verheiratet und hat das Ehepaar zwei gemeinsame Kinder, XXXX und XXXX . Den zwei Kindern kommt jeweils der Status des subsidiär Schutzberechtigen in Österreich zu.

Die jüngere Tochter ist mit dem nunmehr österreichischen Staatsbürger XXXX , standesamtlich verheiratet und hat das Ehepaar zwei Kinder, XXXX , und XXXX , welchen die österreichische Staatsbürgerschaft zukommt.

Die Beschwerdeführer gehen keiner regelmäßigen Erwerbstätigkeit nach und beziehen Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung.

Der Erstbeschwerdeführer hat während seines Aufenthaltes in Österreich Deutschkurse auf dem Niveau A1 sowie einen Alphabetisierungskurs besucht, wobei er bislang keine Sprachprüfung absolviert hat und im Allgemeinen über sehr geringe Deutschkenntnisse verfügt. Er hat überdies einen Werte- und Orientierungskurs besucht und bereits gemeinnützige Arbeit in Form von Straßenreinigungsarbeiten in der Stadt XXXX erbracht. Er ist Mitglied in einem Kleintierzuchtverein und züchtet in Österreich Kanarienvögel. In der Zeit von 03.04.2017 bis 15.05.2017 war er in Besitz einer Beschäftigungsbewilligung des AMS und daher zwischen 11.04.2017 und 01.05.2017 als Küchenhilfe tätig. Er verfügt derzeit über zwei Einstellungszusagen – einerseits für eine Beschäftigung in der Gebäudereinigung für 30 Stunden/Woche, andererseits für eine Vollzeitbeschäftigung in einem Restaurant in XXXX .

Die Zweitbeschwerdeführerin hat bislang Deutschkurse auf dem Niveau A1 und einen Alphabetisierungskurs besucht, wobei sie keine Sprachprüfung abgelegt hat. Sie weist keine qualifizierten Deutschkenntnisse auf. Die Zweitbeschwerdeführerin hat bereits im Verein XXXX Selbstorganisation von und für Migrantinnen und Musliminnen mitgewirkt und Eltern-Empowerment-Gruppen beim Verein XXXX besucht bzw. nimmt sie seit dem September 2018 am Projekt „Elterngruppe“ bei Jugend am Werk teil. Außerdem hat sie im Wintersemester 2018/19 den Sportunterricht Schwimmen besucht. Im Jahr 2017 hat sie einen Werte- und Orientierungskurs besucht und betreut derzeit etwa drei Mal pro Woche ihre ebenfalls in XXXX lebenden Enkelkinder.

Der Drittbeschwerdeführer ist seit November 2019 regelmäßig ehrenamtlich im Vinzimarkt tätig und hat im Verfahren einen unterschriebenen Antrag auf Beschäftigungsbewilligung vom 05.08.2020 vorgelegt. Er hat bereits am Werte- und Orientierungskurs des ÖIF teilgenommen, hat allerdings während seines Aufenthalts in Österreich keinen Deutschkurs besucht und spricht Deutsch auf sehr geringem Niveau.

Der Viertbeschwerdeführer hat von September 2016 bis Juni 2017 zunächst den Lehrgang „Übergangsklasse für Jugendliche mit geringen Kenntnissen der Unterrichtssprache Deutsch“ und anschließend die Übergangsstufe an der Fachschule für wirtschaftliche Berufe der Caritas der XXXX besucht. Zuvor hat er an Deutschkursen für Jugendliche auf dem Niveau A1 teilgenommen und im Jahr 2017 einen Werte- und Orientierungskurs des ÖIF absolviert. Außerdem hat er bereits gemeinnützige Arbeit in Form von Straßenreinigungsarbeiten verrichtet und ist seit Oktober 2019 regelmäßig ehrenamtlich in einem Vinzimarkt tätig. Er legte einen undatierten Antrag auf Beschäftigungsbewilligung vor. Der Viertbeschwerdeführer weist gute Deutschkenntnisse auf.

Der Fünftbeschwerdeführer hat in den Schuljahren 2015/16 und 2016/17 die Neue Mittelschule besucht, bevor er ab September 2017 in eine Höhere Schule für wirtschaftliche Berufe gewechselt ist. Er hält sich in seiner Freizeit seit dem Jahr 2017 regelmäßig in einem Jugendzentrum auf, wo er bereits an zahlreichen Projekten teilgenommen bzw. freiwillig bei den unterschiedlichen anfallenden Tätigkeiten mitgeholfen hat.

Sämtliche Beschwerdeführer verfügen über (altersadäquate) freundschaftliche Kontakte und Bekanntschaften. In einer Gesamtbetrachtung weisen die Beschwerdeführer allerdings keine Merkmale einer maßgeblichen Integration in beruflicher, kultureller und sozialer Hinsicht auf.

Die Beschwerdeführer sind strafrechtlich unbescholten.

1.2. Zu den Fluchtmotiven und der Rückkehrgefährdung der Beschwerdeführer:

Es kann nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführer im Irak aufgrund ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung existenzbedrohenden Verfolgungshandlungen seitens der dem Staat zurechenbaren Organen oder Privaten ausgesetzt waren oder bei einer Rückkehr in den Irak sein werden.

Die Beschwerdeführer werden im Falle ihrer gemeinsamen Rückkehr in den Irak mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keiner wie auch immer gearteten existentiellen Bedrohung ausgesetzt sein. Weder wird ihnen ihre Lebensgrundlage gänzlich entzogen, noch besteht für sie in Basra die reale Gefahr einer ernsthaften Bedrohung ihres Lebens oder ihrer Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes.

1.3. Zur Lage im Herkunftsstaat:

Zur vorherrschenden Situation im Irak wurden auf Basis des aktuellen Länderinformationsblattes und von Berichten von EASO und UNHCR folgende Feststellungen getroffen:

Allgemeine Sicherheitslage:

Im Dezember 2017 erklärte die irakische Regierung den militärischen, territorialen Sieg über den Islamischen Staat (IS) (Reuters 9.12.2017; vgl. AI 26.2.2019). Die Sicherheitslage hat sich, seitdem verbessert (FH 4.3.2020). Ende 2018 befanden sich die irakischen Sicherheitskräfte (ISF) in der nominellen Kontrolle über alle vom IS befreiten Gebiete (USDOS 1.11.2019).

Derzeit ist es staatlichen Stellen nicht möglich, das Gewaltmonopol des Staates sicherzustellen. Insbesondere schiitische Milizen, aber auch sunnitische Stammesmilizen handeln eigenmächtig. Die im Kampf gegen den IS mobilisierten, zum Teil vom Iran unterstützten Milizen sind nur eingeschränkt durch die Regierung kontrollierbar und stellen eine potenziell erhebliche Bedrohung für die Bevölkerung dar. Durch die teilweise Einbindung der Milizen in staatliche Strukturen (zumindest formaler Oberbefehl des Ministerpräsidenten, Besoldung aus dem Staatshaushalt) verschwimmt die Unterscheidung zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren (AA 12.1.2019).

In der Wirtschaftsmetropole Basra im Süden des Landes können sich die staatlichen Ordnungskräfte häufig nicht gegen mächtige Stammesmilizen mit Verbindungen zur Organisierten Kriminalität durchsetzen. Auch in anderen Landesteilen ist eine Vielzahl von Gewalttaten mit rein kriminellem Hintergrund zu beobachten (AA 12.1.2019). Insbesondere in Bagdad kommt es zu Entführungen durch kriminelle Gruppen, die Lösegeld für die Freilassung ihrer Opfer fordern (FIS 6.2.2018). Die Zahl der Entführungen gegen Lösegeld zugunsten extremistischer Gruppen wie dem IS oder krimineller Banden ist zwischenzeitlich zurückgegangen (Diyaruna 5.2.2019), aber UNAMI berichtet, dass seit Beginn der Massenproteste vom 1.10.2019 fast täglich Demonstranten in Bagdad und im gesamten Süden des Irak verschwunden sind. Die Entführer werden als „Milizionäre“, „bewaffnete Organisationen“ und „Kriminelle“ bezeichnet (New Arab 12.12.2019).

Die zunehmenden Spannungen zwischen dem Iran und den USA stellen einen zusätzlichen, die innere Stabilität des Irak gefährdenden Einfluss dar (ACLED 2.10.2019a). Nach einem Angriff auf eine Basis der Volksmobilisierungskräfte (PMF) in Anbar, am 25. August (Al Jazeera 25.8.2019), erhob der irakische Premierminister Mahdi Ende September erstmals offiziell Anschuldigungen gegen Israel, für eine Reihe von Angriffen auf PMF-Basen seit Juli 2019 verantwortlich zu sein (ACLED 2.10.2019b; vgl. Reuters 30.9.2019). Raketeneinschläge in der Grünen Zone in Bagdad, nahe der US-amerikanischen Botschaft am 23. September 2019, werden andererseits pro-iranischen Milizen zugeschrieben, und im Zusammenhang mit den Spannungen zwischen den USA und dem Iran gesehen (ACLED 2.10.2019b; vgl. Al Jazeera 24.9.2019; Joel Wing 16.10.2019).

Als Reaktion auf die Ermordung des stellvertretenden Leiters der PMF-Kommission, Abu Mahdi Al-Muhandis, sowie des Kommandeurs der Quds-Einheiten des Korps der Islamischen Revolutionsgarden des Iran, Generalmajor Qassem Soleimani, durch einen Drohnenangriff der USA am 3.1.2020 (Al Monitor 23.2.2020; vgl. MEMO 21.2.2020; Joel Wing 15.1.2020) wurden mehrere US-Stützpunkte durch den Iran und PMF-Milizen mit Raketen und Mörsern beschossen (Joel Wing 15.1.2020).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020

-        ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (2.10.2019a): Mid-Year Update: Ten Conflicts to Worry About in 2019, https://www.acleddata.com/2019/08/07/mid-year-update-ten-conflicts-to-worry-about-in-2019/, Zugriff 13.3.2020

-        ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (2.10.2019b): Regional Overview – Middle East 2 October 2019, https://www.acleddata.com/2019/10/02/regional-overview-middle-east-2-october-2019/, Zugriff 13.3.2020

-        AI - Amnesty International (26.2.2019): Human rights in the Middle East and North Africa: Review of 2018 - Iraq [MDE 14/9901/2019], https://www.ecoi.net/en/file/local/2003674/MDE1499012019ENGLISH.pdf, Zugriff 13.3.2020

-        Al Jazeera (24.9.2019): Two rockets 'hit' near US embassy in Baghdad's Green Zone, https://www.aljazeera.com/news/2019/09/rockets-hit-embassy-baghdad-green-zone-190924052551906.html, Zugriff 13.3.2020

-        Al Jazeera (25.8.2019): Iraq paramilitary: Israel behind drone attack near Syria border, https://www.aljazeera.com/news/2019/08/iraq-paramilitary-israel-drone-attack-syria-border-190825184711737.html, Zugriff 13.3.2020

-        Al Monitor (23.2.2020): Iran struggles to regain control of post-Soleimani PMU, https://www.al-monitor.com/pulse/originals/2020/02/iraq-iran-soleimani-pmu.html, Zugriff 13.3.2020

-        Diyaruna (5.2.2019): Baghdad sees steep decline in kidnappings, https://diyaruna.com/en_GB/articles/cnmi_di/features/2019/02/05/feature-02, Zugriff 13.3.2020

-        FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Iraq, https://freedomhouse.org/country/iraq/freedom-world/2020, Zugriff 13.3.2020

-        FIS - Finnish Immigration Service (6.2.2018): Finnish Immigration Service report: Security in Iraq variable but improving, https://yle.fi/uutiset/osasto/news/finnish_immigration_service_report_security_in_iraq_variable_but_improving/10061710, Zugriff 13.3.2020

-        Joel Wing, Musings on Iraq (15.1.2020): Pro-Iran Hashd Continue Attacks Upon US Interests In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/01/pro-iran-hashd-continue-attacks-upon-us.html, Zugriff 13.3.2020

-        Joel Wing, Musings on Iraq (16.10.2019): Islamic State Not Following Their Usual Pattern In Attacks In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/10/islamic-state-not-following-their-usual.html, Zugriff 13.3.2020

-        MEMO - Middle East Monitor (21.1.2020): Iraq’s PMF appoints new deputy head as successor to Al-Muhandis, https://www.middleeastmonitor.com/20200221-iraqs-pmf-appoints-new-deputy-head-as-successor-to-al-muhandis/, Zugriff 13.3.2020

-        New Arab, The (12.12.2019): 'We are not safe': UN urges accountability over spate of kidnappings, assassinations in Iraq, https://www.alaraby.co.uk/english/news/2019/12/11/un-urges-accountability-over-spate-of-iraq-kidnappings-assassinations, Zugriff 13.3.2020

-        Reuters (9.12.2017): Iraq declares final victory over Islamic State, https://www.reuters.com/article/us-mideast-crisis-iraq-islamicstate/iraq-declares-final-victory-over-islamic-state-idUSKBN1E30B9, Zugriff 13.3.2020

-        Reuters (30.9.2019): Iraqi PM says Israel is responsible for attacks on Iraqi militias: Al Jazeera, https://www.reuters.com/article/us-iraq-security/iraqi-pm-says-israel-is-responsible-for-attacks-on-iraqi-militias-al-jazeera-idUSKBN1WF1E5, Zugriff 13.3.2020

-        USDOS - US Department of State (1.11.2019): Country Report on Terrorism 2018 - Chapter 1 - Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2019162.html, Zugriff 13.3.2020

Sicherheitsrelevante Vorfälle, Opferzahlen:

Die Zahl der durch Gewalt ums Leben gekommenen ist zwischen 2017 und 2019 erheblich gesunken. Waren 2015 noch etwa 17.500 zivile Gewaltopfer im Irak zu beklagen, so ist diese Zahl im Jahr 2019 auf rund 2.300 Gewaltopfer gesunken. Im Jahr 2020 gab es nach vorläufigen Schätzungen bis April 384 zivile Todesopfer im Irak (Statista 22.05.2020).

Vom Irak-Experten Joel Wing wurden im Lauf des Monats November 2019 für den Gesamtirak 55 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 47 Toten und 98 Verletzten verzeichnet, wobei vier Vorfälle, Raketenbeschuss einer Militärbasis und der „Grünen Zone“ in Bagdad (Anm.: ein geschütztes Areal im Zentrum Bagdads, das irakische Regierungsgebäude und internationale Auslandvertretungen beherbergt), pro-iranischen Volksmobilisierungskräften (PMF) zugeschrieben werden (Joel Wing 2.12.2019). Im Dezember 2019 waren es 120 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 134 Toten und 133 Verletzten, wobei sechs dieser Vorfälle pro-iranischen Gruppen zugeschrieben werden, die gegen US-Militärlager oder gegen die Grüne Zone gerichtet waren (Joel Wing 6.1.2020). Im Jänner 2020 wurden 91 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 53 Toten und 139 Verletzten verzeichnet, wobei zwölf Vorfälle, Raketen- und Mörserbeschuss, pro-iranischen PMF, bzw. dem Iran zugeschrieben werden, während der Islamische Staat (IS) für die übrigen 79 verantwortlich gemacht wird (Joel Wing 3.2.2020). Im Febraur 2020 waren es 85 Vorfälle, von denen drei auf pro-iranischen PMF zurückzuführen sind (Joel Wing 5.3.2020).

Der Rückgang an Vorfällen mit IS-Bezug Ende 2019 wird mit den Anti-Regierungsprotesten in Zusammenhang gesehen, da der IS bereits in den vorangegangenen Jahren seine Angriffe während solcher Proteste reduziert hat. Schließlich verstärkte der IS seine Angriffe wieder (Joel Wing 3.2.2020).

Quellen:

-        ACCORD (26.2.2020): Irak, 4. Quartal 2018: Kurzübersicht über Vorfälle aus dem Armed Conflict Location & Event Data Project (ACLED), https://www.ecoi.net/en/file/local/2025321/2018q4Iraq_de.pdf, Zugriff 13.3.2020

-        IBC - Iraq Bodycount (2.2020): Monthly civilian deaths from violence, 2003 onwards, https://www.iraqbodycount.org/database/, Zugriff 13.3.2020

-        Joel Wing, Musings on Iraq (5.3.2020): Violence Largely Unchanged In Iraq In February 2020, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/03/violence-largely-unchanged-in-iraq-in.html, Zugriff 13.3.2020

-        Joel Wing, Musings on Iraq (3.2.2020): Violence Continues Its Up And Down Pattern In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/02/violence-continues-its-up-and-down.html, Zugriff 13.3.2020

-        Joel Wing, Musings on Iraq (6.1.2020): Islamic State Makes Its Return In December 2019, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/01/islamic-state-makes-its-return-in.html, Zugriff 13.3.2020

-        Joel Wing, Musings on Iraq (2.12.2019): Islamic State Waits Out The Protests In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/12/islamic-state-waits-out-protests-in-iraq.html, Zugriff 13.3.2020

Sicherheitslage Südirak:

Der gesamte südliche Teil des Irak, einschließlich des Gouvernements Babil, steht nominell unter der Kontrolle der irakischen Regierung. Vielerorts scheinen die Regierungsbehörden gegenüber lokalen Stämmen und Milizen noch immer in einer schwächeren Position zu sein. Die irakische Regierung war gezwungen, dem Kampf gegen den IS im Zentral- und Nordirak in den letzten Jahren Vorrang einzuräumen, bedeutende militärische und polizeiliche Ressourcen aus dem Süden abzuziehen und in diese Gegenden zu entsenden. Vor diesem Hintergrund sind Stammeskonflikte, eskalierende Gesetzlosigkeit und Kriminalität ein Problem der lokalen Sicherheitslage. Die Bemühungen der Regierung, die Kontrolle wieder zu übernehmen, scheinen noch nicht zum entscheidenden Erfolg geführt zu haben. Regierungsnahe Milizen sind in unterschiedlichem Maße präsent, aber der Großteil ihrer Kräfte wird im Norden eingesetzt. Terrorismus und Terrorismusbekämpfung spielen im Süden nach wie vor eine Rolle, insbesondere in Babil, aber im Allgemeinen in geringerem Maße als weiter im Norden. Noch immer gibt es vereinzelte Terroranschläge (Landinfo 31.5.2018).

Das Gouvernement Babil ist ein einfaches Ziel für die Aufständischen des IS, in das sie von Anbar aus leichten Zugang haben. Insbesondere der Distrikt Jurf al-Sakhr, in dem es keine Zivilisten gibt und der als PMF-Basis dient, ist ein beliebtes Ziel des IS (Joel Wing 9.9.2019). Im November 2019 gab es im Gouvernement Babil zwei sicherheitsrelevante Vorfälle mit einem Toten (Joel Wing 2.12.2019), im Dezember 2019 drei Vorfälle mit drei Verletzten (Joel Wing 6.1.2020) und im Februar 2020 zwei Vorfälle mit einem Verletzten (Joel Wing 5.3.2020).

Seit 2015 finden in allen Städten des Südirak regelmäßig Demonstrationen statt, um gegen die Korruption der Regierung und die Arbeitslosigkeit zu protestieren und eine bessere Infrastruktur zu fordern. Gewöhnlich finden diese Demonstrationen in Ruhe statt, sie haben jedoch auch schon zu Zusammenstößen mit der Polizei geführt, mit Verletzten und Toten (CEDOCA 28.2.2018).

Seit 1.10.2019 kommt es in mehreren Gouvernements des Zentral- aber auch Südiraks (Bagdad, Basra, Maysan, Qadisiyah, Dhi Qar,Wasit, Muthanna, Babil, Kerbala, Najaf, Diyala, Kirkuk und Salah ad-Din) zu teils gewalttätigen Demonstrationen (ISW 22.10.2019, vgl. Joel Wing 3.10.2019).

Quellen:

-        CEDOCA - Centre de documentation et de recherches du Commissariat général aux réfugiés et aux apatrides (28.2.2018): IRAK: Situation sécuritaire dans le sud de l‘Irak, https://www.cgra.be/sites/default/files/rapporten/coi_focus_irak_situation_securitaire_dans_le_sud_de_lirak_20180228.pdf, Zugriff 13.3.2020

-        ISW - Institute for the Study of War (22.10.2019): Iraq's Sustained Protests and Political Crisis, https://iswresearch.blogspot.com/2019/10/iraqs-sustained-protests-and-political.html, Zugriff 13.3.2020

-        Joel Wing, Musings on Iraq (5.3.2020): Violence Largely Unchanged In Iraq In February 2020, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/03/violence-largely-unchanged-in-iraq-in.html, Zugriff 13.3.2020

-        Joel Wing, Musings on Iraq (6.1.2020): Islamic State Makes Its Return In December 2019, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/01/islamic-state-makes-its-return-in.html, Zugriff 13.3.2020

-        Joel Wing, Musings on Iraq (2.12.2019): Islamic State Waits Out The Protests In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/12/islamic-state-waits-out-protests-in-iraq.html, Zugriff 13.3.2020

-        Joel Wing, Musings on Iraq (3.10.2019): Iraq’s October Protests Escalate And Grow, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/10/iraqs-october-protests-escalate-and-grow.html, Zugriff 13.3.2020

-        Joel Wing, Musings on Iraq (9.9.2019): Islamic State’s New Game Plan In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/09/islamic-states-new-game-plan-in-iraq.html, Zugriff 13.3.2020

-        Landinfo - The Norwegian COI Centre (31.5.2018): Irak: Sikkerhetssituasjonen i Sør-Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1434620/1226_1528700530_irak-temanotat-sikkerhetssituasjonen-i-syarirak-hrn-31052018.pdf, Zugriff 13.3.2020

Ende 2014 wurden zahlreiche ISF-Mitglieder für den Kampf gegen ISIS aus dem Süden in andere Teile des Landes verlegt. Seitdem haben Berichten zufolge kriminelle Banden, Milizen und Stämme das darauffolgende Sicherheitsvakuum ausgenutzt. Es wird berichtet, dass es häufig zu bewaffneten Überfällen, Entführungen gegen Lösegeld oder zur Einschüchterung, Drogenhandel, Erpressung, Schutzgeldzahlungen sowie Stammesfehden kommt. Stammesfehden involvieren häufig Waffengewalt und sogar den Einsatz schwerer Waffen, wodurch es zu Todesopfern unter Außenstehenden kommt. Es wurde auch über den Einsatz kleiner USBVs als Einschüchterungstaktik, vorwiegend durch Stämme, berichtet. Laut den Ergebnissen einer Umfrageaus dem Jahr 2018 waren viele Zivilisten in Basra im Vorjahr von Gewalt betroffen und ein Großteil, insbesondere Frauen, gaben an, „wahrscheinlich“ oder „eher wahrscheinlich“ in der nahen Zukunft Opfer von Gewalt zu werden.

Im Jahr 2018 brachen in Basra und in anderen südlichen Städten Proteste gegen Korruption, Vernachlässigung durch die Regierung, Arbeitslosigkeit und unzureichenden Dienstleistungen aus, von denen einige Proteste gewalttätig wurden und sowohl unter den Demonstranten als auch unter den Sicherheitskräften zu Todesopfern und Verletzten führten. Es wird berichtet, dass sich die Situation infolge der Stärkung der lokalen Sicherheit und der Einführung einer Ausgangssperre beruhigt hat. Die Organisatoren der Proteste berichteten außerdem von ihrer Entscheidung, auf weitere Demonstrationen zu verzichten, nachdem sie Morddrohungen von Milizen erhalten hatten. Berichten zufolge wurden im September und Oktober 2018 mehrere Anführer der Proteste sowie Aktivisten ermordet. Zum Zeitpunkt der Abfassung des vorliegenden Berichts gehen die Demonstrationen weiter, wobei gelegentliche gewaltsame Zwischenfälle gemeldet werden.

Es wird berichtet, dass es ISIS im überwiegend schiitischen Süden an Einsatzfläche und Unterstützung mangelt, aber dass die Terrororganisation in den vergangenen Jahren gelegentlich und vor allem während religiöser Feiern Großanschläge mit zahlreichen Todesopfern gestartet hat bzw. versucht hat, derartige Anschläge zu starten.

In Bezug auf urbane Gegenden im Südirak ist UNHCR der Ansicht, dass die einzigen Personengruppen, hinsichtlich derer keine externe Unterstützung vorauszusetzen ist, arabische Schiiten sind, bei denen es sich entweder um alleinstehende, körperlich leistungsfähige Männer oder kinderlose Ehepaare im arbeitsfähigen Alter ohne identifizierte besondere Vulnerabilitäten gemäß der oben stehenden Beschreibungen handelt. Abhängig von den jeweiligen Umständen sind solche Personen möglicherweise in der Lage, in urbanen Gegenden im Südirak, in denen die die notwendige Infrastruktur und Möglichkeiten zur Existenzsicherung zur Erfüllung ihrer Grundbedürfnisse vorhanden sind, ohne Unterstützung durch ihre Familie und/oder ihren Stamm zu bestehen.

Quellen:

-        UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus dem Irak fliehen: https://www.unhcr.org/dach/wp-content/uploads/sites/27/2020/01/Schutzerw%C3%A4gungen-Irak-2019-korrigiert.pdf, S 24f sowie S 141, Zugriff 16.06.2020

Sicherheitsvorfälle in den südlichen Provinzen Iraks gehen im Wesentlichen auf Streitigkeiten innerhalb von Stämmen oder zwischen Stämmen und/oder kriminelle Aktivitäten zurück und seien zwischen Januar und September 2019 bei Stammeskonflikten in Basra 113 Menschen ums Leben gekommen und 440 verwundet worden.

ACLED meldete insgesamt 156 Sicherheitsvorfälle (durchschnittlich 1,9 Sicherheitsvorfälle pro Woche) im Gouvernement Basra im Berichtszeitraum, von denen die meisten als Unruhen kodiert wurden. Schlägereien, Explosionen/Ferngewalt und Gewalt gegen Zivilisten wurden in diesem Zeitraum ebenfalls gemeldet. Sicherheitsvorfälle traten in allen Teilen des Gouvernements auf, wobei die größte Gesamtzahl in Basra verzeichnet wurde. Im Jahr 2019 wurden von UNAMI in der Provinz Basra insgesamt 17 sicherheitsrelevante Vorfälle verzeichnet. In der Zeit von 01.01.2020 bis 31.07.2020 wurden zwei sicherheitsrelevante Vorfälle verzeichnet (durchschnittlich 0,2 Sicherheitsvorfälle pro Woche für den gesamten Berichtszeitraum). Im Berichtszeitraum verzeichnete die UNAMI insgesamt 12 zivile Opfer (9 Tote und 3 Verletzte) bei Vorfällen im Zusammenhang mit dem bewaffneten Konflikt - es wurden 9 Todesopfer im Jahr 2019 und 3 Opfer in der Zeit von 1. Januar bis 31. Juli 2020 gemeldet. Verglichen mit den offiziellen Zahlen für die Bevölkerung im Gouvernement bedeutet dies weniger als 1 ziviles Opfer pro 100 000 Einwohner für den gesamten Bezugszeitraum.

Mit Stand vom 15. Juni 2020 waren in Basra 6.528 Binnenvertriebene registriert, von denen die größte Gruppe aus Salah al-Din stammt. Aus Basra stammende Binnenvertriebene wurden in anderen Teilen des Landes nicht registriert. Basra wurde nicht unter den Gouvernements mit einer Präsenz von Rückkehrern aufgeführt. Im Jahr 2019 wurde berichtet, dass Basra zu den südlichen Gouvernements gehört, die am stärksten von Überresten von Streumunition aus dem Golfkrieg 1991 und der Irakinvasion 2003 betroffen sind.

Im Gouvernement Basra ereignen sich nach wie vor sicherheitsrelevante Vorfälle, jedoch nicht flächendeckend und mit derartiger Regelmäßigkeit, dass automatisch Gründe vorliegen würden um die Annahme zu rechtfertigen, dass eine nach Basra zurückkehrende Zivilperson einer ernsthaften individuellen Bedrohung ihres Lebens oder ihrer Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist.

Ein Blick auf die Indikatoren lässt den Schluss zu, dass die wahllose Gewalt im Gouvernement Basra auf einem so niedrigen Niveau stattfindet, dass im Allgemeinen kein wirkliches Risiko für eine Zivilperson besteht, aufgrund von persönlich von willkürlicher Gewalt. Es müssen jedoch immer einzelne Elemente berücksichtigt werden, die den Antragsteller in risikoerhöhende Situationen bringen können.

Quellen:

-        EASO Country Guidance: Iraq, Guidance note and common analysis, Janurary 2021, https://www.ecoi.net/en/file/local/2045437/Country_Guidance_Iraq_2021.pdf, S 136f

-        EASO Informationsbericht über das Herkunftsland Irak: Sicherheitslage, Oktober 2020: https://www.ecoi.net/en/file/local/2044976/10_2020_EASO_COI_Report_Iraq_Security_situation_DE.pdf, S. 212ff

Rechtsschutz/Justizwesen:

Die irakische Gerichtsbarkeit besteht aus dem Obersten Justizrat, dem Obersten Gerichtshof, dem Kassationsgericht, der Staatsanwaltschaft, der Justizaufsichtskommission, dem Zentralen Strafgericht und anderen föderalen Gerichten mit jeweils eigenen Kompetenzen (Fanack 2.9.2019). Das Oberste Bundesgericht erfüllt die Funktion eines Verfassungsgerichts (AA 12.1.2019).

Die Verfassung garantiert die Unabhängigkeit der Justiz (Stanford 2013; vgl. AA 12.1.2019; USDOS 11.3.2020). Jedoch schränken bestimmte gesetzliche Bestimmungen die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Justiz ein (USDOS 11.3.2020). Die Rechtsprechung ist in der Praxis von einem Mangel an kompetenten Richtern, Staatsanwälten sowie Justizbeamten gekennzeichnet. Eine Reihe von Urteilen lassen auf politische Einflussnahme schließen. Hohe Richter werden oftmals auch unter politischen Gesichtspunkten ausgewählt (AA 12.1.2019). Zudem ist die Justiz von Korruption, politischem Druck, Stammeskräften und religiösen Interessen beeinflusst. Aufgrund von Misstrauen gegenüber Gerichten oder fehlendem Zugang wenden sich viele Iraker an Stammesinstitutionen, um Streitigkeiten beizulegen, selbst wenn es sich um schwere Verbrechen handelt (FH 4.3.2020).

Eine Verfolgung von Straftaten findet nur unzureichend statt (AA 12.1.2019). Strafverfahren sind zutiefst mangelhaft. Willkürliche Verhaftungen, einschließlich Verhaftungen ohne Haftbefehl, sind üblich (FH 4.3.2020). Eine rechtsstaatliche Tradition gibt es nicht. Häufig werden übermäßig hohe Strafen verhängt. Obwohl nach irakischem Strafprozessrecht Untersuchungshäftlinge binnen 24 Stunden einem Untersuchungsrichter vorgeführt werden müssen, wird diese Frist nicht immer respektiert und zuweilen auf 30 Tage ausgedehnt. Es gibt häufig Fälle überlanger Untersuchungshaft, ohne dass die Betroffenen, wie vom irakischen Gesetz vorgesehen, einem Richter oder Staatsanwalt vorgeführt würden. Freilassungen erfolgen mitunter nur gegen Bestechungszahlungen. Insbesondere Sunniten beschweren sich über „schiitische Siegerjustiz“ und einseitige Anwendung der bestehenden Gesetze zu ihren Lasten. Das seit 2004 geltende Notstandsgesetz ermöglicht der Regierung Festnahmen und Durchsuchungen unter erleichterten Bedingungen (AA 12.1.2019).

Korruption oder Einschüchterung beeinflussen Berichten zufolge einige Richter in Strafsachen auf der Prozessebene und bei der Berufung vor dem Kassationsgericht. Zahlreiche Drohungen und Morde durch konfessionelle, extremistische und kriminelle Elemente oder Stämme beeinträchtigten die Unabhängigkeit der Justiz. Richter, Anwälte und ihre Familienangehörigen sind häufig mit Morddrohungen und Angriffen konfrontiert (USDOS 11.3.2020; vgl. AI 26.2.2019). Nicht nur Richter, sondern auch Anwälte, können dem Druck einflussreicher Personen, z.B. der Stämme, ausgesetzt sein. Dazu kommt noch Überlastung. Ein Untersuchungsrichter kann beispielsweise die Verantwortung über ein Gebiet von einer Million Menschen haben, was sich negativ auf die Rechtsstaatlichkeit auswirkt (LIFOS 8.5.2014).

Die Verfassung garantiert das Recht auf einen fairen und öffentlichen Prozess für alle Bürger (USDOS 11.3.2020) und das Recht auf Rechtsbeistand für alle verhafteten Personen (CEDAW 30.9.2019; vgl. HRW 14.1.2020). Dennoch verabsäumen es Beamte routinemäßig, Angeklagte unverzüglich oder detailliert über die gegen sie erhobenen Vorwürfe zu informieren. In zahlreichen Fällen dienen erzwungene Geständnisse als primäre Beweisquelle. Beobachter berichteten, dass Verfahren nicht den internationalen Standards entsprechen (USDOS 11.3.2020).

Die Behörden verletzen systematisch die Verfahrensrechte von Personen, die verdächtigt werden dem IS anzugehören, sowie jene anderer Häftlinge (HRW 14.1.2020). Die Verurteilungsrate der im Schnelltempo durchgeführten Verhandlungen tausernder sunnitischer Moslems, denen eine IS-Mitgliedschaft oder dessen Unterstützung vorgeworfen wurde, lag 2018 bei 98% (USCIRF 4.2019). Menschenrechtsgruppen kritisierten die systematische Verweigerung des Zugangs der Angeklagten zu einem Rechtsbeistand und die kurzen, summarischen Gerichtsverfahren mit wenigen Beweismitteln für spezifische Verbrechen, abgesehen von vermeintlichen Verbindungen der Angeklagten zum IS (FH 4.3.2020; vgl. CEDAW 30.9.2019). Rechtsanwälte beklagen einen häufig unzureichenden Zugang zu ihren Mandanten, wodurch eine angemessene Beratung erschwert wird. Viele Angeklagte treffen ihre Anwälte zum ersten Mal während der ersten Anhörung und haben nur begrenzten Zugang zu Rechtsbeistand während der Untersuchungshaft. Dies gilt insbesondere für die Anti-Terror-Gerichte, wo Justizbeamte Berichten zufolge versuchen, Schuldsprüche und Urteilsverkündungen für Tausende von verdächtigen IS-Mitgliedern in kurzer Zeit abzuschließen (USDOS 11.3.2020). Anwälte und Mitarbeiter von Hilfsorganisationen, die Familien mit vermeintlicher IS-Zugehörigkeit unterstützen, sind gefährdet durch Sicherheitskräfte bedroht oder sogar verhaftet zu werden (HRW 14.1.2020; vgl. USDOS 11.3.2020).

Laut einer Studie über Entscheidungen von Berufungsgerichten in Fällen mit Bezug zum Terrorismus, haben erstinstanzliche Richter Foltervorwürfe ignoriert, auch wenn diese durch gerichtsmedizinische Untersuchungen erhärtet wurden und die erzwungenen Geständnisse durch keine anderen Beweise belegbar waren (HRW 25.9.2019; vgl. HRW 14.1.2020). Für das Anti-Terror-Gericht in Ninewa beobachtete HRW im Jahr 2019 eine Verbesserung bei den Gerichtsverhandlungen. So verlangten Richter einen höheren Beweisstandard für die Inhaftierung und Verfolgung von Verdächtigen, um die Abhängigkeit des Gerichts von Geständnissen, fehlerhaften Fahndungslisten und unbegründeten Anschuldigungen zu minimieren (HRW 14.1.2020).

Am 28.3.2018 kündigte das irakische Justizministerium die Bildung einer Gruppe von 47 Stammesführern an, genannt al-Awaref, die sich als Schiedsrichter mit der Schlichtung von Stammeskonflikten beschäftigen soll. Die Einrichtung dieses Stammesgerichts wird durch Personen der Zivilgesellschaft als ein Untergraben der staatlichen Institution angesehen (Al Monitor 12.4.2018). Das informelle irakische Stammesjustizsystem überschneidet und koordiniert sich mit dem formellen Justizsystem (TCF 7.11.2019).

Nach Ansicht der Regierung gibt es im Irak keine politischen Gefangenen. Alle inhaftierten Personen sind demnach entweder strafrechtlich verurteilt oder angeklagt oder befinden sich in Untersuchungshaft. Politische Gegner der Regierung behaupteten jedoch, diese habe Personen wegen politischer Aktivitäten oder Überzeugungen unter dem Vorwand von Korruption, Terrorismus und Mord inhaftiert oder zu inhaftieren versucht (USDOS 11.3.2020).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020

-        Al Monitor (12.4.2018): Will Iraq's new 'tribal court' undermine rule of law?, https://www.al-monitor.com/pulse/originals/2018/04/iraq-tribalism-sheikhs-justice-law.html, Zugriff 13.3.2020

-        AI - Amnesty International (26.2.2019): Human rights in the Middle East and North Africa: Review of 2018 - Iraq [MDE 14/9901/2019], https://www.ecoi.net/en/file/local/2003674/MDE1499012019ENGLISH.pdf, Zugriff 13.3.2020

-        CEDAW - UN Committee on the Elimination of Discrimination Against Women (30.9.2019): The Compliance of Iraq with Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination against Women; Alternative Report about the Death Penalty, https://tbinternet.ohchr.org/Treaties/CEDAW/Shared Documents/IRQ/INT_CEDAW_CSS_IRQ_37410_E.DOCX, Zugriff 13.3.2020

-        Fanack (2.9.2019): Governance & Politics of Iraq, https://fanack.com/iraq/governance-and-politics-of-iraq/, Zugriff 13.12.2019

-        FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Iraq, https://freedomhouse.org/country/iraq/freedom-world/2020, Zugriff 13.3.2020

-        HRW - Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 - Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2022678.html, Zugriff 13.3.2020

-        HRW - Human Rights Watch (25.9.2019): Iraq: Appeals Courts Ignoring Torture Claims, https://www.ecoi.net/de/dokument/2017141.html, Zugriff 13.3.2020

-        LIFOS (8.5.2014): Iraq: Rule of Law in the Security and Legal System, https://landinfo.no/asset/2872/1/2872_1.pdf, Zugriff 13.3.2020

-        Stanford - Stanford Law School (2013): Constitutional Law of Iraq, https://law.stanford.edu/wp-content/uploads/2018/04/ILEI-Constitutional-Law-2013.pdf, Zugriff 13.3.2020

-        TCF - The Century Foundation (7.11.2019): Tribal Justice in a Fragile Iraq, https://tcf.org/content/report/tribal-justice-fragile-iraq/?agreed=1, Zugriff 13.3.2020

-        USCIRF - US Commission on International Religious Freedom (4.2019): United States Commission on International Religious Freedom 2019 Annual Report; Country Reports: Tier 2 Countries: Iraq, https://www.ecoi.net/en/file/local/2008186/Tier2_IRAQ_2019.pdf, Zugriff 13.3.2020

-        USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html, Zugriff 13.3.2020

Sicherheitskräfte und Milizen:

Im Mai 2003, nach dem Sturz des Regimes von Saddam Hussein, demontierte die Koalitions-Übergangsverwaltung das irakische Militär und schickte dessen Personal nach Hause. Das aufgelöste Militär bildete einen großen Pool für Aufständische. Stattdessen wurde ein politisch neutrales Militär vorgesehen (Fanack 2.9.2019).

Der Irak verfügt über mehrere Sicherheitskräfte, die im ganzen Land operieren: Die irakischen Sicherheitskräfte (ISF) unter dem Innen- und Verteidigungsministerium, die dem Innenministerium unterstellten Strafverfolgungseinheiten der Bundes- und Provinzpolizei, der Dienst zum Schutz von Einrichtungen, Zivil- und Grenzschutzeinheiten, die dem Öl-Ministerium unterstellte Energiepolizei zum Schutz der Erdöl-Infrastruktur, sowie die dem Premierminister unterstellten Anti-Terroreinheiten und der Nachrichtendienst des Nationalen Sicherheitsdienstes (NSS) (USDOS 11.3.2020). Neben den regulären irakischen Streitkräften und Strafverfolgungsbehörden existieren auch die Volksmobilisierungskräfte (PMF), eine staatlich geförderte militärische Dachorganisation, die sich aus etwa 40, überwiegend schiitischen Milizgruppen zusammensetzt, und die kurdischen Peshmerga der Kurdischen Region im Irak (KRI) (GS 18.7.2019).

Zivile Behörden haben über einen Teil der Sicherheitskräfte keine wirksame Kontrolle (USDOS 11.3.2020; vgl. GS 18.7.2019).

Quellen:

-        Fanack (2.9.2019): Governance & Politics of Iraq, https://fanack.com/iraq/governance-and-politics-of-iraq/, Zugriff 13.3.2020

-        GS - Global Security (18.7.2019): Hashd al-Shaabi / Hashd Shaabi, Popular Mobilisation Units / People’s Mobilization Forces, https://www.globalsecurity.org/military/world/para/hashd-al-shaabi.htm, Zugriff 13.3.2020

-        USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html, Zugriff 13.3.2020

Die irakischen Sicherheitskräfte (ISF):

Die irakischen Sicherheitskräfte (ISF, Iraqi Security Forces) bestehen aus Einheiten, die vom Innen- und Verteidigungsministerium, den Volksmobilisierungseinheiten (PMF), und dem Counter-Terrorism Service (CTS) verwaltet werden. Das Innenministerium ist für die innerstaatliche Strafverfolgung und die Aufrechterhaltung der Ordnung zuständig. Es beaufsichtigt die Bundespolizei, die Provinzpolizei, den Dienst für den Objektschutz, den Zivilschutz und das Ministerium für den Grenzschutz. Die Energiepolizei, die dem Ölministerium unterstellt ist, ist für den Schutz von kritischer Erdöl-Infrastruktur verantwortlich. Konventionelle Streitkräfte, die dem Verteidigungsministerium unterstehen, sind für die Verteidigung des Landes zuständig, führen aber in Zusammenarbeit mit Einheiten des Innenministeriums auch Einsätze zur Terrorismusbekämpfung sowie interne Sicherheitseinsätze durch. Der CTS ist direkt dem Premierminister unterstellt und überwacht das Counter-Terrorism Command (CTC), eine Organisation, zu der drei Brigaden von Spezialeinsatzkräften gehören (USDOS 11.3.2020).

Die irakischen Streit- und Sicherheitskräfte dürften mittlerweile wieder ca. 100.000 Armee-Angehörige (ohne PMF und Peshmerga) und über 100.000 Polizisten umfassen. Die Anwendung bestehender Gesetze ist nicht gesichert. Personelle Unterbesetzung, mangelnde Ausbildung, mangelndes rechtsstaatliches Bewusstsein vor dem Hintergrund einer über Jahrzehnte gewachsenen Tradition von Unrecht und Korruption auf allen Ebenen sind hierfür die Hauptursachen. Ohnehin gibt es kein Polizeigesetz, die individuellen Befugnisse einzelner Polizisten sind sehr weitgehend. Ansätze zur Abhilfe und zur Professionalisierung entstehen durch internationale Unterstützung: Die Sicherheitssektorreform wird aktiv und umfassend von der internationalen Gemeinschaft unterstützt (AA 12.1.2019).

Straffreiheit ist ein Problem. Es gibt Berichte über Folter und Misshandlungen im ganzen Land in Einrichtungen des Innen- und Verteidigungsministeriums, sowie über extra-legale Tötungen (USDOS 11.3.2020).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020

-        USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html, Zugriff 13.3.2020

Volksmobilisierungskräfte (PMF) / al-Hashd ash-Sha’bi:

Der Name „Volksmobilisierungskräfte“ (al-hashd al-sha‘bi, engl.: popular mobilization forces bzw. popular mobilization front, PMF oder popular mobilization units, PMU), bezeichnet eine Dachorganisation für etwa 40 bis 70 Milizen und demzufolge ein loses Bündnis paramilitärischer Formationen (Süß 21.8.2017; vgl. FPRI 19.8.2019; Clingendael 6.2018; Wilson Center 27.4.2018). Die PMF wurden vom schiitischen Groß-Ayatollah Ali As-Sistani per Fatwa für den Kampf gegen den Islamischen Staat (IS) ins Leben gerufen (GIZ 1.2020a; vgl. FPRI 19.8.2019; Wilson Center 27.4.2018) und werden vorwiegend vom Iran unterstützt (GS 18.7.2019). PMF spielten eine Schlüsselrolle bei der Niederschlagung des IS (Reuters 29.8.2019). Die Niederlage des IS trug zur Popularität der vom Iran unterstützten Milizen bei (Wilson Center 27.4.2018).

Die verschiedenen unter den PMF zusammengefassten Milizen sind sehr heterogen und haben unterschiedliche Organisationsformen, Einfluss und Haltungen zum irakischen Staat. Sie werden grob in drei Gruppen eingeteilt: Die pro-iranischen schiitischen Milizen, die nationalistisch-schiitischen Milizen, die den iranischen Einfluss ablehnen, und die nicht schiitischen Milizen, die üblicherweise nicht auf einem nationalen Level operieren, sondern lokal aktiv sind. Zu letzteren zählen beispielsweise die mehrheitlich sunnitischen Stammesmilizen und die kurdisch-jesidischen „Widerstandseinheiten Schingal“. Letztere haben Verbindungen zur Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) in der Türkei und zu den Volksverteidigungseinheiten (YPG) in Syrien (Clingendael 6.2018). Die PMF werden vom Staat unterstützt und sind landesweit tätig. Die Mehrheit der PMF-Einheiten ist schiitisch, was die Demografie des Landes widerspiegelt. Sunnitische, jesidische, christliche und andere „Minderheiten-Einheiten“ der PMF sind in ihren Heimatregionen tätig (USDOS 11.3.2020; vgl. Clingendael 6.2018). In einigen Städten, vor allem in Gebieten, die früher vom IS besetzt waren, dominieren PMF die lokale Sicherheit. In Ninewa stellen sie die Hauptmacht dar, während die reguläre Armee zu einer sekundären Kraft geworden ist (Reuters 29.8.2019).

Es gibt große, gut ausgerüstete Milizen, quasi militärische Verbände, wie die Badr-Organisation, mit eigenen Vertretern im Parlament, aber auch kleine improvisierte Einheiten mit wenigen Hundert Mitgliedern, wie die Miliz der Schabak. Viele Milizen werden von Nachbarstaaten, wie dem Iran oder Saudi-Arabien, unterstützt. Die Türkei unterhält in Baschika nördlich von Mossul ein eigenes Ausbildungslager für sunnitische Milizen. Die Milizen haben eine ambivalente Rolle. Einerseits wäre die irakische Armee ohne sie nicht in der Lage gewesen, den IS zu besiegen und Großveranstaltungen wie die Pilgerfahrten nach Kerbala mit jährlich bis zu 20 Millionen Pilgern zu schützen. Andererseits stellen die Milizen einen enormen Machtfaktor mit Eigeninteressen dar, was sich in der gesamten Gesellschaft, der Verwaltung und in der Politik widerspiegelt und zu einem allgemeinen Klima der Korruption und des Nepotismus beiträgt (AA 12.1.2019). Vertreter und Verbündete der PMF haben Parlamentssitze inne und üben Einfluss auf die Regierung aus (Reuters 29.8.2019).

Die PMF unterstehen seit 2017 formal dem Oberbefehl des irakischen Ministerpräsidenten, dessen tatsächliche Einflussmöglichkeiten aber weiterhin als begrenzt gelten (AA 12.1.2019; vgl. FPRI 19.8.2019). Leiter der PMF-Dachorganisation, der al-Hashd ash-Sha‘bi-Kommission, ist Falah al-Fayyad, dessen Stellvertreter Abu Mahdi al-Mohandis eng mit dem Iran verbunden war (Al-Tamini 31.10.2017). Viele PMF-Brigaden nehmen Befehle von bestimmten Parteien oder konkurrierenden Regierungsbeamten entgegen, von denen der mächtigste Hadi Al-Amiri ist, Kommandant der Badr Organisation (FPRI 19.8.2019). Obwohl die PMF laut Gesetz auf Einsätze im Irak beschränkt sind, sollen sie, ohne Befugnis durch die irakische Regierung, in einigen Fällen Einheiten des Assad-Regimes in Syrien unterstützt haben. Die irakische Regierung erkennt diese Kämpfer nicht als Mitglieder der PMF an, obwohl ihre Organisationen Teil der PMF sind (USDOS 13.3.2019).

Alle PMF-Einheiten sind offiziell dem Nationalen Sicherheitsberater unterstellt. In der Praxis gehorchen aber mehrere Einheiten auch dem Iran und den iranischen Revolutionsgarden. Es ist keine einheitliche Führung und Kontrolle der PMF durch den Premierminister und die ISF feststellbar, insbesondere nicht der mit dem Iran verbundenen Einheiten. Das Handeln dieser unterschiedlichen Einheiten stellt zeitweise eine zusätzliche Herausforderung in Bezug auf die Sicherheitslage dar, insbesondere - aber nicht nur - in ethnisch und religiös gemischten Gebieten des Landes (USDOS 13.3.2019).

In vielen der irakischen Sicherheitsoperationen übernahm die PMF eine Führungsrolle. Als Schnittstelle zwischen dem Iran und der irakischen Regierung gewannen sie mit der Zeit zunehmend an Einfluss (GS 18.7.2019).

Am 1.7.2019 hat der irakische Premierminister Adel Abdul Mahdi verordnet, dass sich die PMF bis zum 31.7.2019 in das irakische Militär integrieren müssen (FPRI 19.8.2019; vgl. TDP 3.7.2019; GS 18.7.2019), oder entwaffnet werden müssen (TDP 3.7.2019; vgl GS 18.7.2019). Es wird angenommen, dass diese Änderung nichts an den Loyalitäten ändern wird, dass aber die Milizen aufgrund ihrer nun von Bagdad bereitgestellte Uniformen nicht mehr erkennbar sein werden (GS 18.7.2019). Einige Fraktionen werden sich widersetzen und versuchen, ihre Unabhängigkeit von der irakischen Regierung oder ihre Loyalität gegenüber dem Iran zu bewahren (FPRI 19.8.2019). Die Weigerung von Milizen, wie der 30. Brigade bei Mossul, ihre Posten zu verlassen, weisen auf das Autoritätsproblem Bagdads über diese Milizen hin (Reuters 29.8.2019).

Die Schwäche der ISF hat es vornehmlich schiitischen Milizen, wie den vom Iran unterstützten Badr-Brigaden, den Asa‘ib Ahl al-Haqq und den Kata’ib Hisbollah, erlaubt, Parallelstrukturen im Zentralirak und im Süden des Landes aufzubauen. Die PMF waren und sind ein integraler Bestandteil der Anti-IS-Operationen, wurden jedoch zuletzt in Kämpfen um sensible sunnitische Ortschaften nicht an vorderster Front eingesetzt. Es gab eine Vielzahl an Vorwürfen bezüglich Plünderungen und Gewalttaten durch die PMF (AA 12.1.2019).

Die PMF gehen primär gegen Personen vor, denen eine Verbindung zum IS nachgesagt wird, bzw. auch gegen deren Familienangehörigen. Betroffen sind meist junge sunnitische Araber und

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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