TE Bvwg Erkenntnis 2021/6/24 I419 2228765-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 24.06.2021
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Entscheidungsdatum

24.06.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §13 Abs1
AsylG 2005 §13 Abs2 Z3
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §21 Abs7
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z1
FPG §53 Abs3 Z2
FPG §55 Abs2
JGG §5
VwGVG §24 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


I419 2228765-1/24E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Tomas JOOS über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX alias XXXX alias XXXX , StA. NIGERIA alias Niger, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 21.01.2020, Zl. 1233346103-190580483, zu Recht:

A) Die Beschwerde wird mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass Spruchpunkt III des bekämpften Bescheids lautet: „Eine ‚Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz‘ gemäß § 57 AsylG 2005 wird Ihnen nicht erteilt.“, Spruchpunkt VIII lautet: „Gemäß § 55 Abs. 2 FPG beträgt die Frist für eine freiwillige Ausreise 14 Tage.“, und Spruchpunkt IX lautet: „Sie haben gemäß § 13 Abs. 1 Z. 3 AsylG 2005 das Aufenthaltsrecht am 07.10.2019 verloren.“.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer reiste 2019 illegal ein und beantragte internationalen Schutz.

2. Mit dem angefochtenen Bescheid hat das BFA den Antrag betreffend die Status des Asyl- und des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen (Spruchpunkte I und II), dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel „aus berücksichtigungswürdigen Gründen“ „gemäß § 57 AsylG“ erteilt (Spruchpunkt III), eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV) sowie festgestellt, dass dessen Abschiebung nach Nigeria zulässig ist (Spruchpunkt V). Unter einem wurde wider den Beschwerdeführer ein 7-jähriges Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VI), einer Beschwerde die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt VII) sowie festgestellt, dass keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe (Spruchpunkt VIII) und der Beschwerdeführer sein Recht zum Aufenthalt ab 31.10.2019 verloren habe (Spruchpunkt IX).

3. Beschwerdehalber wird vorgebracht, der Beschwerdeführer sei bei seiner Einvernahme minderjährig und auch aufgrund der belastenden Untersuchungshaft nicht in der Lage gewesen, alle relevanten Umstände vorzubringen. Ihm drohe private Verfolgung, gegen die er im Herkunftsstaat weder staatliche Hilfe erwarten noch eine Fluchtalternative wählen könne. Das BFA habe auch den italienischen Aufenthaltstitel des Beschwerdeführers außer Acht gelassen.

4. Mittels Teilerkenntnis hat dieses Gericht der Beschwerde von Amts wegen aufschiebende Wirkung zuerkannt (11.12.2020, I419 2228765-1/11Z).

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der unter Punkt I beschriebene Verfahrensgang wird als Sachverhalt festgestellt. Darüber hinaus werden folgende Feststellungen getroffen:

1.1 Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist volljährig, arbeitsfähig, ledig und Christ. Er ist haftfähig und leidet an keiner schweren oder chronischen Krankheit. Seine Identität steht nicht fest. Er spricht Englisch, Edo und Italienisch. Im Herkunftsstaat wohnen sein Vater, sein Bruder, ca. 12, und seine Schwester, ca. 10, eine verheiratete Tante in Lagos sowie Freunde des Beschwerdeführers. Dieser hat mehrere Jahre die Schule besucht und Berufserfahrung als Abwäscher sowie als Reinigungskraft. In der EU hat er keine Angehörigen, aber Freunde (an deren Namen er sich allerdings nicht erinnert) in Italien, in Ghana einen Onkel.

Der Beschwerdeführer zog 2016 oder 2017 nach Italien und beantragte dort Anfang 2018 internationalen Schutz. Dabei behauptete er ein Geburtsdatum, nach welchem er damals 17 gewesen wäre. Er hatte bis Juni 2020 eine italienische Aufenthaltsbewilligung aus humanitären Gründen, fand aber nach einiger Zeit, in der er als Reinigungskraft arbeitete und davon lebte, keine Beschäftigung mehr, worauf er die Unterkunft nicht mehr bezahlen konnte und sich nach Österreich begab.

Er gelangte Anfang Juni 2019 hierher, wo er am Nachmittag des 08.06. in einem Schnellzug von St. Pölten westwärts aufgegriffen wurde. Zunächst behauptete er, dass er sieben Tage zuvor aus Italien nach Österreich gereist sei, anschließend dann, dass er erst am selben Tag vormittags aus Palermo anreisend angekommen sei. Als Grund der Einreise und Zweck des Aufenthalts gab er an, er wolle in Österreich arbeiten. Erst nach zwei Tagen beantragte er Asyl.

Mit dem dabei verwendeten Geburtsdatum wäre er 15 gewesen, tatsächlich war er zwischen 16 und 22. Ihm wurden Unterkünfte in Niederösterreich und bald in Vorarlberg zugewiesen, er lebte allerdings trotz Gebietsbeschränkung zumeist in Wien, wo er Drogen konsumierte, rauchte und 2019 bei einer jungen Frau („Mädchen“) nigerianischer Abstammung in einem Hotel wohnte. Er meldete sich weder an, noch ging er einer legalen Beschäftigung oder einer Ausbildung nach. Einen Deutschkurs besuchte er nur anfangs und ging dann nicht mehr hin. Von einem Freund im Herkunftsstaat ließ er sich Geld zum Kauf von Drogen senden.

Mit der Familie im Herkunftsstaat stand er zumindest bis zu seiner ersten Inhaftierung in Österreich weiter in Kontakt.

Der Beschwerdeführer wurde wie alle Bewohner der betreuten sozialpädagogischen Wohngemeinschaft vom Unterkunftgeber beim Alpenverein angemeldet. Außer der genannten Pro-forma-Mitgliedschaft verfügt er Österreich über keine familiären, beruflichen oder sonstigen sozialen Bindungen und außer in Haft weder über eine Unterkunft noch über ausreichende Mittel zur Sicherung seines Lebensunterhaltes. Sein Privatleben beschränkt sich im Wesentlichen auf die Kontakte zu Mithäftlingen und Justizpersonal sowie Behördenverfahren. Deutschkenntnisse hat er nicht nachgewiesen, bei den Einvernahmen bis zuletzt in der Hauptverhandlung im April 2021 waren Dolmetscher nötig. Hinweise auf Abhängigkeiten von oder zu anderen Personen liegen nicht vor.

Der Beschwerdeführer wurde wie folgt dreimal strafgerichtlich verurteilt, wobei die Gerichte von Jugendstraftaten ausgingen:

- Vom LG Feldkirch am 06.11.2019 zu 9 Monaten Freiheitsstrafe, davon 6 bedingt nachgesehen, wegen der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften und des gewerbsmäßigen unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften durch Erwerb und Besitz sowie durch Erwerb und Besitz zum persönlichen Gebrauch, weil er von 08.06. bis 07.10.2019 verschiedenen Abnehmern nicht erhobene Mengen an Kokain und Marihuana verkauft hatte, darunter an einer Straßenbahnhaltestelle zwei Kugeln Kokain mit brutto 0,8 g an einen verdeckten Ermittler, ferner am 07.10.2019 zwei Kugeln Kokain mit brutto 1,8 g sowie ein Portionssäckchen Marihuana mit brutto 1 g zur weiteren Verwendung bei sich vorrätig gehalten und im genannten Zeitraum unbestimmte Mengen an Marihuana und Kokain konsumiert hatte, wobei mildernd wirkte, dass er unbescholten und teils geständig war, erschwerend das Zusammentreffen mehrerer Vergehen,

- vom LGS Wien am 02.07.2020 zu 6 Monaten Freiheitsstrafe wegen des Vergehens des gewerbsmäßigen unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften, weil er am 11.05.2020 auf einer öffentlichen Straße in Anwesenheit von zumindest 10 Menschen einer Abnehmerin eine Kugel Kokain verkauft hatte, wobei die einschlägigen Vorstrafe und der sofortige Rückfall erschwerend wirkten, mildernd dagegen nichts, und die bedingte Entlassung aus der vorigen Strafe widerrufen sowie deren Probezeit verlängert wurden, sowie

- am 23.04.2021 zu 8 Monaten Freiheitsstrafe wegen der Vergehen des gewerbsmäßigen unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften durch Überlassen und des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften durch Erwerb und Besitz, weil er im Jänner 2021 einer Abnehmerin zwei Kugeln Kokain, etwa 0,4 g, und einem Abnehmer zwei Säckchen Kokain, etwa 0,2 g, gegen Geld überlassen sowie am 12.01.2021 zusammen mit vier Landsleuten mit dem Vorsatz Suchtgift erworben und besessen hatte, dass es in Verkehr gesetzt werde, konkret in einer Bunkerwohnung insgesamt rund 175 g Kokain mit Reinheitsgehalt von 0,2 bis 22,13 % und 8,8 g Heroin mit 0,6 bis 0,8 %, wobei sein reumütiges Geständnis und die teilweise Sicherstellung des Suchtgifts mildernd wirkten, erschwerend dagegen das Zusammentreffen mehrerer Straftaten, die einschlägigen Vorstrafen sowie der rasche Rückfall, und das Gericht feststellte, dass die Angeklagten die Taten vorwiegend deshalb begangen hatten, um ihre Lebenshaltungskosten zu finanzieren.

Deshalb war und ist der Beschwerdeführer wie folgt in Justizhaft: 07.10., an dem erstmals die Untersuchungshaft über ihn verhängt wurde, bis 22.11.2019, 11.05. bis 23.12.2020 sowie seit 12.01.2021. Abgesehen von den Haftzeiten hatte er 11,5 Wochen in der Sonderbetreuungsstelle für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge einen gemeldeten Wohnsitz im Inland, sowie 10 Wochen (erst 3 dann 7) in der betreuten Wohngemeinschaft.

1.2 Zur Lage im Herkunftsstaat:

Im angefochtenen Bescheid wurde das „Länderinformationsblatt der Staatendokumentation“ zu Nigeria mit Stand 18.12.2019 zitiert. Aktuell liegt ein solches mit Stand 23.11.2020 vor, das in der vorliegenden Rechtssache keine Änderung der entscheidenden Sachverhaltselemente beinhaltet. Auch sonst im Beschwerdeverfahren sind keine solchen entscheidenden Änderungen bekannt geworden.

Aus Berichten des Auswärtigen Amts (Deutschland) und Gesundheitsstatistiken ergibt sich betreffend die Pandemie in Nigeria:

„Nigeria ist von COVID-19 im internationalen Vergleich weniger betroffen. Schwerpunkte sind Lagos und die Hauptstadtregion Abuja (Federal Capital Territory). […]

Die Flughäfen Abuja, Lagos, Enugu, Kano und Port Harcourt sind für den regulären internationalen Flugverkehr geöffnet. [...]

Die Bundesstaaten können auf Grundlage von Empfehlungen der nigerianischen Bundesregierung über das Ausmaß COVID-bezogener Beschränkungen selbständig entscheiden. Einzelne Bundesstaaten haben Bewegungsbeschränkungen und Auflagen innerhalb der Bundesgrenzen verhängt. Im Hauptstadtbezirk Federal Capital Territory sowie in Lagos gilt eine nächtliche Ausgangssperre von 0 bis 4 Uhr. Beschäftigte in systemrelevanten Sektoren und aus dem Ausland nachts Einreisende sind von der nächtlichen Ausgangssperre ausgenommen Geschäfte, Banken, Märkte, Hotels und Unternehmen sind unter Einhaltung von strengen Hygienemaßnahmen geöffnet, in manchen Bundesstaaten dürfen Restaurants nur im Außenbereich bewirten. Bars und Nachtclubs sind geschlossen. Menschenansammlungen mit mehr als 50 Personen bleiben grundsätzlich untersagt. Einzelne Bundesstaaten können religiöse Versammlungen von mehr als 50 Personen unter Einhaltung von Hygienemaßnahmen zulassen. [...]

Im öffentlichen Raum gilt die Pflicht zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes. Die Behörden können die Einhaltung der Maskenpflicht und von Bewegungsbeschränkungen jederzeit überprüfen, Verstöße sanktionieren und Temperaturmessungen an öffentlichen Orten durchführen.

Andererseits zeigt das Verhältnis der Zahl Infizierter (ohne Verstorbene und Geheilte), 1.300 per 22.02.2021, davon 454 in Lagos State und 0 in Edo State, zur Zahl der ca. 200 Mio. Einwohner (6,5 pro Million) keine gravierende Zahl dieser Infizierten, die Quote in Österreich beträgt derzeit 271 pro Million. Auch bei Berücksichtigung der Testanzahl im Verhältnis zur Bevölkerung, die in Österreich 121-mal so hoch ist, ergibt eine Hochrechnung einen Wert pro Million (788), der in Österreich vor etwa einem Monat vorlag und im Vorjahr auch schon mehr als zehnmal so hoch war.

Daraus folgt nicht, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr zwangsläufig in eine ausweglose Situation geriete.

Im gegebenen Zusammenhang sind mangels sonstiger Bezüge zum Vorbringen die folgenden Informationen von Relevanz und werden festgestellt:

1.2.1 Sicherheitsbehörden

Die allgemeinen Polizei- und Ordnungsaufgaben obliegen der rund 360.000 Mann starken (Bundes-) Polizei (National Police Force - NPF), die dem Generalinspekteur der Polizei in Abuja untersteht (AA 16.1.2020). Obwohl in absoluten Zahlen eine der größten Polizeitruppen der Welt, liegt die Rate von Polizeibeamten zur Bevölkerungszahl unter der von der UN empfohlenen Zahl (UKHO 3.2019). Die nigerianische Polizei ist zusammen mit anderen Bundesorganisationen die wichtigste Strafverfolgungsbehörde. Das Department of State Service (DSS), das via nationalem Sicherheitsberater dem Präsidenten unterstellt ist, ist ebenfalls für die innere Sicherheit zuständig. Die nigerianischen Streitkräfte, die dem Verteidigungsministerium unterstehen, sind für die äußere Sicherheit zuständig, haben aber auch einige Zuständigkeiten im Bereich der inneren Sicherheit (USDOS 11.3.2020). Etwa 100.000 Polizisten sollen bei Personen des öffentlichen Lebens und einflussreichen Privatpersonen als Sicherheitskräfte tätig sein (AA 16.1.2020). Alle Sicherheitsorgane (Militär, Staatsschutz sowie paramilitärische Einheiten, die so genannten Rapid Response Squads) werden neben der Polizei auch im Innern eingesetzt (AA 16.1.2020). Die National Drug Law Enforcement Agency (NDLEA) ist für alle Straftaten in Zusammenhang mit Drogen zuständig (ÖB 10.2019).

Der NDLEA wird im Vergleich zu anderen Behörden mit polizeilichen Befugnissen eine gewisse Professionalität attestiert. In den Zuständigkeitsbereich dieser Behörde fällt Dekret 33, welches ein zusätzliches Verfahren für im Ausland bereits wegen Drogendelikten verurteilte nigerianische Staatsbürger vorsieht. Dagegen zeichnen sich die NPF und die Mobile Police (MOPOL) durch geringe Professionalität, mangelnde Disziplin, häufige Willkür und geringen Diensteifer aus (ÖB 10.2019). Die Polizei ist durch niedrige Besoldung sowie schlechte Ausrüstung, Ausbildung und Unterbringung gekennzeichnet. Die staatlichen Ordnungskräfte sind personell, technisch und finanziell nicht in der Lage, die Gewaltkriminalität umfassend zu kontrollieren bzw. einzudämmen. Zudem sind die Sicherheitskräfte teilweise selbst für die Kriminalität verantwortlich (AA 16.1.2020). Da die Polizei oft nicht in der Lage ist, durch gesellschaftliche Konflikte verursachte Gewalt zu unterbinden, verlässt sich die Regierung in vielen Fällen auf die Unterstützung durch die Armee (USDOS 11.3.2020).

Polizei, DSS und Militär sind zivilen Autoritäten unterstellt, sie operieren jedoch zeitweise
außerhalb ziviler Kontrolle (USDOS 11.3.2020). Es gab allerdings kleinere Erfolge im Bereich der Reorganisation von Teilen des Militärs und der Polizei (BS 2020). Der Regierung fehlen wirksame Mechanismen und ausreichender politischer Wille, um die meisten Fälle von Missbrauch durch Sicherheitskräfte sowie Korruption in den Sicherheitskräften zu untersuchen und zu bestrafen (USDOS 11.3.2020).

1.2.2 Bewegungsfreiheit

Die Verfassung sowie weitere gesetzliche Bestimmungen gewährleisten Bewegungsfreiheit im gesamten Land sowie Auslandsreisen, Emigration und Wiedereinbürgerung. Allerdings schränken Sicherheitsbeamte die Bewegungsfreiheit durch Ausgangssperren ein, vor allem in Gebieten, in denen es Terroranschläge oder ethnisch motivierte Gewalt gibt. Dies betrifft aufgrund der Operationen gegen Boko Haram und ISIS-WA v.a. die Bundesstaaten Adamawa, Borno und Yobe. Auch in anderen Bundesstaaten kommt es in Reaktion auf gewaltsame Auseinandersetzungen in ländlichen Regionen mitunter zu Ausgangssperren. Bei Operationen von Sicherheitskräften in Städten und an Hauptverkehrsstraßen werden gelegentlich Checkpoints eingerichtet. Zahlreiche von Militär und Polizei betriebene Checkpoints bleiben aufrecht (USDOS 11.3.2020).

Bürger dürfen sich in jedem Teil des Landes niederlassen (USDOS 11.3.2020). Grundsätzlich besteht in den meisten Fällen die Möglichkeit, staatlicher Verfolgung, Repressionen Dritter sowie Fällen massiver regionaler Instabilität durch Umzug in einen anderen Teil des Landes auszuweichen (AA 16.1.2020). Prinzipiell sollte es einer Person, die von nicht-staatlichen Akteuren verfolgt wird oder die sich vor diesen fürchtet, in einem großen Land wie Nigeria möglich sein, eine interne Relokation in Anspruch zu nehmen. Natürlich müssen die jeweiligen persönlichen Umstände beachtet werden (UKHO 3.2019).

In den vergangenen Jahrzehnten hat durch Wanderungsbewegungen und interethnische Ehen eine fortgesetzte Durchmischung der Wohnbevölkerung auch der „Kern“-Staaten der drei Hauptethnien (Hausa-Fulani, Yoruba, Igbo) stattgefunden. So ist insbesondere eine starke Nord-Süd-Wanderung feststellbar, wodurch Metropolen wie Lagos heute weitgehend durchmischt sind. Es bestehen daher innerstaatliche Fluchtalternativen (ÖB 10.2019). Ein innerstaatlicher Umzug kann allerdings mit gravierenden wirtschaftlichen und sozialen Problemen verbunden sein, wenn sich Einzelpersonen an einen Ort begeben, an dem keine Mitglieder ihrer (erweiterten) Familie oder der Dorfgemeinschaft leben. Angesichts der Wirtschaftslage, ethnischem Ressentiment und der Bedeutung großfamiliärer Bindungen in der Gesellschaft ist es für viele Menschen schwer, an Orten ohne ein bestehendes soziales Netz erfolgreich Fuß zu fassen. Für alleinstehende Frauen besteht zudem die Gefahr, bei einem Umzug in die Großstadt von der eigenen Großfamilie keine wirtschaftliche Unterstützung mehr zu erhalten (AA 16.1.2020). [...]

1.2.3 Grundversorgung

Nigeria ist die größte Volkswirtschaft Afrikas. Die Erdölproduktion ist der wichtigste Wirtschaftszweig des Landes. Aufgrund des weltweiten Verfalls der Erdölpreise rutschte Nigeria 2016 jedoch in eine schwere Rezession, die bis zum zweiten Quartal 2017 andauerte (GIZ 6.2020). 2018 wuchs die nigerianische Wirtschaft erstmals wieder um 1,9 Prozent (GIZ 6.2020; vgl. AA 24.5.2019c). Getragen wurde das Wachstum vor allem durch die positive Entwicklung von Teilen des Nicht-Öl-Sektors (Landwirtschaft, Industrie, Gewerbe). Seit 2020 ist die nigerianische Wirtschaft aufgrund des erneuten Verfalls des Rohölpreises sowie der massiven wirtschaftlichen Auswirkungen der COVID-19 Pandemie wieder geschwächt. Wie hoch der wirtschaftliche Schaden sein wird, ist bislang noch nicht abschätzbar (GIZ 6.2020). Für 2020 wird aufgrund der wirtschaftlichen Auswirkungen der COVID-19 Pandemie auf Nigeria und der drastisch gesunkenen Erdölpreise mit einer Schrumpfung des nigerianischen BIP um 4,4 % gerechnet. In der 2. Jahreshälfte 2020 ist jedoch ein Wiederanziehen der Konjunktur feststellbar und für 2021 wird ein Wachstum von 2,2 % erwartet (WKO 14.9.2020).

Etwa 80 Prozent der Gesamteinnahmen Nigerias stammen aus der Öl- und Gasförderung (AA 16.1.2019). Neben Erdöl verfügt das Land über z.B. Zinn, Eisen-, Blei- und Zinkerz, Kohle, Kalk, Gesteine, Phosphat – gesamtwirtschaftlich jedoch von geringer Bedeutung (GIZ 6.2020). Von Bedeutung sind hingegen der (informelle) Handel und die Landwirtschaft, welche dem größten Teil der Bevölkerung eine Subsistenzmöglichkeit bieten (AA 16.1.2020). Der Industriesektor (Stahl, Zement, Düngemittel) machte 2016 ca. 20 Prozent des BIP aus. Neben der Verarbeitung von Erdölprodukten werden Nahrungs- und Genussmittel, Farben, Reinigungsmittel, Textilien, Brennstoffe, Metalle und Baumaterial produziert. Industrielle Entwicklung wird durch die unzureichende Infrastruktur (Energie und Transport) behindert (GIZ 6.2020). Vor allem im Bereich Stromversorgung und Transport ist die Infrastruktur weiterhin mangelhaft und gilt als ein Haupthindernis für die wirtschaftliche Entwicklung (AA 24.5.2019c).

Über 60 Prozent (AA 24.5.2019c) bzw. nach anderen Angaben über 70 Prozent (GIZ 6.2020) der Nigerianer sind in der Landwirtschaft beschäftigt. Der Agrarsektor wird durch die Regierung stark gefördert. Dadurch hat etwa der Anteil an Großfarmen zugenommen (GIZ 6.2020; vgl. AA 24.5.2019c). Die unterentwickelte Landwirtschaft ist jedoch nicht in der Lage, den inländischen Nahrungsmittelbedarf zu decken (AA 24.5.2019c). Einerseits ist das Land nicht autark, sondern auf Importe – v.a. von Reis – angewiesen. Andererseits verrotten bis zu 40 Prozent der Ernten wegen fehlender Transportmöglichkeiten (ÖB 10.2019). Über 95 Prozent der landwirtschaftlichen Produktion kommt von kleinen Anbauflächen – in der Regel in Subsistenzwirtschaft (AA 24.5.2019c).

Historisch war Lebensmittelknappheit in fast ganz Nigeria aufgrund des günstigen Klimas und der hohen agrarischen Tätigkeit so gut wie nicht existent. In einzelnen Gebieten im äußersten Norden (Grenzraum zu Niger) gestaltet sich die Landwirtschaft durch die fortschreitende Desertifikation allerdings schwierig. Experten schließen aufgrund der Wetterbedingungen, aber auch wegen der Vertreibungen als Folge der Attacken durch Boko Haram Hungerperioden für die nördlichen, insbesondere die nordöstlichen Bundesstaaten nicht aus. In Ernährungszentren nahe der nördlichen Grenze werden bis zu 25 Prozent der unter fünfjährigen Kinder wegen starker Unterernährung behandelt. Insgesamt hat sich der Prozentsatz an Unterernährung in den nördlichen Staaten im Vergleich zu 2015 verbessert und liegt nun unter der Alarmschwelle von 10 Prozent. Gemäß Schätzungen von UNICEF unterliegen aber weiterhin zwei Millionen Kinder unter fünf Jahren in Nordnigeria einem hohen Risiko von schwerer akuter Unterernährung (ÖB 10.2019). Im Jahr 2019 benötigten von der Gesamtbevölkerung von 13,4 Millionen Menschen, die in den Staaten Borno, Adamawa und Yobe leben, schätzungsweise 7,1 Millionen Menschen humanitäre Hilfe. Davon sind schätzungsweise 80 Prozent Frauen und Kinder (IOM 17.3.2020).

Die Einkommen sind in Nigeria höchst ungleich verteilt (BS 2020; vgl. GIZ 9.2020b). 87 Millionen Nigerianer (40 Prozent der Bevölkerung) leben in absoluter Armut, d.h. sie haben weniger als 1 US-Dollar pro Tag zur Verfügung (GIZ 6.2020). 48 Prozent der Bevölkerung Nigerias bzw. 94 Millionen Menschen leben in extremer Armut mit einem Durchschnittseinkommen von unter 1,90 US-Dollar pro Tag (ÖB 10.2019). Die Armut ist in den ländlichen Gebieten größer als in den städtischen Ballungsgebieten (GIZ 9.2020b). Programme zur Armutsbekämpfung gibt es sowohl auf Länderebene als auch auf lokaler Ebene. Zahlreiche NGOs im Land sind in den Bereichen Armutsbekämpfung und Nachhaltige Entwicklung aktiv. Frauenorganisationen, von denen Women In Nigeria (WIN) die bekannteste ist, haben im traditionellen Leben Nigerias immer eine wichtige Rolle gespielt. Auch Nigerianer, die in der Diaspora leben, engagieren sich für die Entwicklung in ihrer Heimat (GIZ 6.2020).

Die Arbeitslosigkeit ist hoch, bei den Jugendlichen im Alter von 15 bis 35 wird sie auf über 50 Prozent geschätzt (GIZ 9.2020b). Offizielle Statistiken über Arbeitslosigkeit gibt es aufgrund fehlender sozialer Einrichtungen und Absicherung nicht. Geschätzt wird sie auf 20 bis 45 Prozent – in erster Linie unter 30-jährige – mit großen regionalen Unterschieden. Die Chancen, einen sicheren Arbeitsplatz im öffentlichen Dienst, staatsnahen Betrieben oder Banken zu finden, sind gering, außer man verfügt über eine europäische Ausbildung und vor allem über Beziehungen (ÖB 10.2019). Verschiedene Programme auf Ebene der Bundesstaaten aber auch der Zentralregierung zielen auf die Steigerung der Jugendbeschäftigung ab (ÖB 10.2019; vgl. BS 2020).

Der Mangel an lohnabhängiger Beschäftigung führt dazu, dass immer mehr Nigerianer in den Großstädten Überlebenschancen im informellen Wirtschaftssektor als „self-employed“ suchen. Die Massenverelendung nimmt seit Jahren bedrohliche Ausmaße an (GIZ 9.2020b). Nur Angestellte des öffentlichen Dienstes, des höheren Bildungswesens sowie von staatlichen, teilstaatlichen oder großen internationalen Firmen genießen ein gewisses Maß an sozialer Sicherheit. Eine immer noch geringe Anzahl von Nigerianern (acht Millionen) ist im Pensionssystem (Contributory Pension Scheme) registriert (BS 2020).

Die Großfamilie unterstützt in der Regel beschäftigungslose Angehörige (ÖB 10.2019). Generell wird die Last für Alter, Krankheit, Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung vom Netz der Großfamilie und vom informellen Sektor getragen (BS 2020). Allgemein kann festgestellt werden, dass auch eine nach Nigeria zurückgeführte Person, die in keinem privaten Verband soziale Sicherheit findet, keiner lebensbedrohlichen Situation überantwortet wird. Sie kann ihre existenziellen Grundbedürfnisse aus selbstständiger Arbeit sichern, insbesondere dann, wenn Rückkehrhilfe angeboten wird (ÖB 10.2019). [...]

1.2.4 Rückkehr

Generell kann kein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen festgestellt werden, welcher geeignet wäre, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die allgemein herrschende Situation in Nigeria stellt keine Bedrohung i.S.v Art. 2 MRK, 3 MRK oder des Protokolls Nr. 6 oder 13 der EMRK dar. Außerdem kann allgemein festgestellt werden, dass eine nach Nigeria zurückgeführte Person, die in keinem privaten Verband soziale Sicherheit finden kann, keiner lebensbedrohlichen Situation überantwortet wird. Sie kann ihre existenziellen Grundbedürfnisse aus selbstständiger Arbeit sichern, insbesondere dann, wenn Rückkehrhilfe angeboten wird (ÖB 10.2019).

Abschiebungen erfolgen auf dem Luftweg, in Linien- oder Chartermaschinen. Rückführungen aus EU-Staaten erfolgen meist durch Charterflüge, die auch durch FRONTEX durchgeführt werden (AA 16.1.2020). Die österreichische Botschaft in Abuja unterstützt regelmäßig die Vorbereitung und Durchführung von Joint Return Operations (JROs) gemeinsam mit FRONTEX (ÖB 10.2019). Ohne gültigen nigerianischen Pass oder einen von einer nigerianischen Botschaft ausgestellten vorläufigen Reiseausweis ist eine Einreise aus Europa kommender nigerianischer Staatsangehöriger nicht möglich. Dies gilt auch für zwangsweise Rückführungen (AA 16.1.2020).

Erkenntnisse darüber, ob abgelehnte Asylbewerber bei Rückkehr nach Nigeria allein wegen der Beantragung von Asyl mit staatlichen Repressionen zu rechnen haben, liegen nicht vor. Verhaftung aus politischen Gründen oder andere außergewöhnliche Vorkommnisse bei der Einreise von abgeschobenen oder freiwillig rückkehrenden Asylwerbern sind nicht bekannt (AA 16.1.2020). Die Erfahrungen mit den JROs seit dem Jahre 2005 lassen kaum Probleme erkennen (ÖB 10.2019). Abgeschobene Personen werden im Allgemeinen nach ihrer Ankunft in Lagos von der zuständigen Behörde (Nigerian Immigration Service), manchmal auch von der NDLEA (National Drug Law Enforcement Agency) befragt (AA 16.1.2020) bzw. erkennungsdienstlich behandelt (ÖB 10.2019) und können danach das Flughafengelände unbehelligt verlassen (AA 16.1.2020; vgl. ÖB 10.2019). Meist steigen sie in ein Taxi ein oder werden von ihren Familien abgeholt. Es kann jedoch nicht mit gänzlicher Sicherheit ausgeschlossen werden, dass die abgeschobenen Personen keine weiteren Probleme mit den Behörden haben. Das fehlende Meldesystem in Nigeria lässt allerdings darauf schließen, dass nach Verlassen des Flughafengeländes eine Ausforschung Abgeschobener kaum mehr möglich ist (ÖB 10.2019).

Wegen Drogendelikten im Ausland verurteilte Nigerianer werden nach Rückkehr an die NDLEA überstellt. Ein zweites Strafverfahren in Nigeria wegen derselben Straftat haben diese Personen jedoch trotz anderslautender Vorschriften im „Decree 33“ nicht zu befürchten (AA 16.1.2020). Aus menschenrechtlichen Erwägungen wird gegenüber nigerianischen Behörden als Grund für Abschiebungen stets „overstay“ angegeben, da dieser kein strafrechtliches Delikt darstellt (ÖB 10.2019).

Staatliche oder sonstige Aufnahmeeinrichtungen für zurückkehrende unbegleitete Minderjährige sind in Lagos und anderen Landesteilen grundsätzlich vorhanden. Sie sind jedoch in schlechtem Zustand, so dass z.B. die Angebote nicht bekannt sind oder eine ausreichende Versorgung dort nicht ohne weiteres gewährleistet ist. Internationale Akteure bemühen sich, neue Rückkehrer- bzw. Migrationsberatungszentren aufzubauen. Eine entsprechende Einrichtung von IOM in Benin-City, Edo State, wurde 2018 eröffnet. Gleichermaßen haben im Herbst 2018 in Lagos, Abuja und Benin City Migrationsberatungszentren der GIZ ihren Betrieb aufgenommen. Gemeinsam mit dem nigerianischen Arbeitsministerium wird dort über berufliche Perspektiven in Nigeria informiert (AA 16.1.2020).

1.3 Zu den Fluchtmotiven des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer hat erstbefragt als Fluchtgrund angegeben, er sei mit seiner Mutter von Libyen zum Vater gezogen, wo diese mit dessen Familie große Schwierigkeiten bekommen habe, weil der Vater eine andere Frau gehabt habe. Die Mutter sei erblindet, vermutlich, weil man sie geschlagen habe, und kurz darauf an den Folgen verstorben, worauf der Beschwerdeführer zunächst mit seinen Geschwistern bei seiner Tante gelebt habe, dann zu einem Onkel nach Libyen fahren und diesem bei der Arbeit helfen hätte müssen. Dieser sei dann eines Tages nicht mehr heimgekommen, worauf ein Libyer dem Beschwerdeführer geholfen und ihn zum Schiff nach Italien gebracht habe. Da er in Nigeria nicht bei Vater und Stiefmutter wohnen dürfe, habe er dort niemanden.

Beim BFA einvernommen gab er an, der Vater und dessen zweite Frau hätten sich nicht viel um ihn und die Geschwister gekümmert. Die Schwester der Mutter habe gesagt, sie hätten kein Geld, und so habe er nicht die Schule besuchen können und sei 2016 ausgereist. Zuvor sei er schon beim Onkel in Ghana gewesen, aber die Schwester habe ihn angerufen, damit er zurückkomme, weil sie sich von des Vaters zweiter Frau bedroht gefühlt habe. Das habe er getan, und später sei es ihm gelungen, die Geschwister mit zur Tante zu nehmen.

Die Stiefmutter habe den Beschwerdeführer angerufen und gedroht, ihn zu töten, wenn er zurückkommen sollte. Er sei mit dem „so genannten“ Onkel nach Niger und mit diesem dortgeblieben, bis der gesagt habe, dass sie nach Libyen gehen sollten. Im Fall der Rückkehr werde ihn die Stiefmutter töten oder jemanden schicken, der das tue.

Schriftlich ergänzte er, da die Tante sich nicht um alle Kinder „kümmern konnte bzw. wollte“, sei er nach Libyen gebracht und dort „sich selbst überlassen“ worden.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer in Nigeria aufgrund seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung verfolgt werden würde. Er wird im Fall seiner Rückkehr nach Nigeria mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keiner asylrelevanten Verfolgung und keiner wie auch immer gearteten existenziellen Bedrohung ausgesetzt sein.

Dem Beschwerdeführer droht im Herkunftsstaat keine Verfolgung durch seine Stiefmutter, seinen Vater oder andere Menschen, gegen die ihn nicht eine geeignete Ortswahl oder die staatlichen Behörden schützen könnten. Er hat keinen Fluchtgrund glaubhaft gemacht und kein substantiiertes Vorbringen erstattet.

Eine nach Nigeria zurückkehrende Person, bei der keine berücksichtigungswürdigen Gründe vorliegen, wird durch eine Rückkehr nicht automatisch in eine unmenschliche Lage versetzt. Es gibt keinen Hinweis, dass der Beschwerdeführer im Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer wie immer gearteten asylrelevanten Verfolgung unterläge oder automatisch in eine unmenschliche Lage versetzt würde.

Zusammenfassend wird in Bezug auf das Vorbringen des Beschwerdeführers und aufgrund der allgemeinen Lage im Land festgestellt, dass der Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keiner asylrelevanten Verfolgung oder sonstigen existentiellen Bedrohung ausgesetzt sein wird.

Der Beschwerdeführer hat im Herkunftsstaat familiäre und andere soziale Kontakte, die er nach seiner Rückkehr auffrischen und vertiefen kann. Er ist mit der Kultur des Herkunftsstaats vertraut und hat in den letzten Jahren Arbeitserfahrung gesammelt. Daher wird es ihm möglich sein, dort auch Arbeit zu finden und von dieser zu leben. Es kann nicht festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Nigeria die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen und die Schwelle des Art. 3 EMRK überschritten wäre.

2. Beweiswürdigung:

2.1 Zum Verfahrensgang:

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang und der festgestellte Sachverhalt ergeben sich zunächst aus dem Inhalt des vorgelegten Verwaltungsakts des BFA sowie der Beschwerde, ferner den nachgereichten Mitteilungen und dem eingeholten strafgerichtlichen Urteil (OZ 10).

Auskünfte aus dem Strafregister, dem Zentralen Fremdenregister, dem Zentralen Melderegister (ZMR), dem Register der Sozialversicherungen und dem Betreuungsinformationssystem der Grundversorgung (GVS) wurden ergänzend eingeholt.

2.2 Zur Person des Beschwerdeführers:

Die Lebensumstände des Beschwerdeführers samt Ausbildung, Arbeitsmarkterfahrung sowie Privat- und Familienleben ergaben sich – soweit hier nicht näher darauf eingegangen wird – aus seinen Angaben, speziell zuletzt vor dem BFA, den unstrittigen Feststellungen im Bescheid, den Strafurteilen und den Abfragen der Register.

Der mehrjährige Schulbesuch des Beschwerdeführers ergab sich aus dessen Angaben bei der Polizei (sechs bzw. vier Jahre; AS 201, 229), die zwar denen beim BFA widersprechen, wonach ihm der Schulbesuch im Herkunftsstaat aus Geldmangel verwehrt war (AS 344), und auch denen bei der Erstbefragung, wonach er nicht schreiben könne (AS 5), aber dennoch zutreffen müssen, weil er sonst keinen Deutsch-, sondern einen Alphabetisierungskurs begonnen (benötigt) hätte.

Sein Einreisezeitpunkt konnte nicht genauer festgestellt werden, weil er als solchen sowohl 03.06.2019 (AS 13) als auch 08.06.2019 (AS 243) angab. Die Feststellungen zu Gesundheit und Arbeitsfähigkeit beruhen auf den Angaben des Beschwerdeführers, der Tatsache der Haft und dessen strafgerichtlich festgestellten Handlungen zusammen mit seinen Alter. Letzteres ergab sich aus dem medizinischen Gutachten (AS 136).

Der Zeitpunkt des Beginns der Untersuchungshaft konnte der Mitteilung der Rechtsvertretung entnommen werden (AS 261).

2.3 Zur Lage im Herkunftsstaat:

Die Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat beruhen auf dem aktuellen Länderinformationsbericht der Staatendokumentation für Nigeria samt den dort publizierten Quellen und Nachweisen Dieser Länderinformationsbericht stützt sich auf Berichte verschiedener ausländischer Behörden, etwa die allgemein anerkannten Berichte des Deutschen Auswärtigen Amtes, als auch jene von internationalen Organisationen, wie bspw. dem UNHCR, sowie Berichte von allgemein anerkannten unabhängigen Nachrichtenorganisationen.

Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie dem Umstand, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängigen Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wissentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.

Zum Länderinformationsblatt hat der Beschwerdeführer beim BFA dahingehend Stellung genommen, dass die Sicherheitslage schlecht sei, Kinder Opfer von Gewalt, Aggression und Menschenhandel seien, und er mangels Schulausbildung am Arbeitsmarkt unter den ohnehin von hoher Arbeitslosigkeit betroffenen Jugendlichen vergleichsweise noch geringere Chancen habe. Dazu zitierte er weitere Länderberichte.

Damit hat der Beschwerdeführer das Länderinformationsblatt ergänzt und interpretiert, ist den Quellen und deren Kernaussagen zur Situation im Herkunftsstaat aber nicht entgegengetreten. Seither sind keine entscheidungswesentlichen Änderungen der Ländersituation bekannt geworden, zumal die in 1.2 zitierten Feststellungen inhaltlich den jeweils im Bescheid getroffenen entsprechen und dem Beschwerdeführer mit derzeit 18 bis 24 Jahren auch keine Kinder betreffenden Gefährdungen drohen. Mit Blick auf sein Alter ist auch kein pandemiebedingtes Risiko anzunehmen.

Die Feststellungen zur Pandemie entstammen der Homepage des deutschen Außenamts (Abfrage 23.06.2021, Information unverändert seit 08.06.2021; www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/nigeriasicherheit/205788#content_0) und des „Centre for Disease Control“ des Herkunftsstaats (per 22.06.2021, covid19.ncdc.gov.ng). Die inländischen Zahlen sind die des BMSGPK mit Stand 23.06.2021, 09:30 h (www.derstandard.at/story/2000124389425/aktuelle-zahlen-coronavirus-oesterreich-weltweit).

2.4 Zum Fluchtvorbringen:

Der Beschwerdeführer gab anfangs bei der Polizei an, er lebe seit drei Jahren in Italien und sei gekommen, um zu arbeiten. (AS 245) Später beantragte er mit dem Vorbringen internationalen Schutz, er habe im Herkunftsstaat niemanden und dürfe nicht beim Vater und der Stiefmutter wohnen. In Libyen habe er seinem Onkel bei der Arbeit geholfen, bis dieser – eines Tages – nicht mehr von der Arbeit zurückgekommen sei. (AS 15) Beim BFA steigerte er das Vorbringen dahin, dass die Stiefmutter sie „wie Tiere behandelt“ und ihm mit dem Umbringen gedroht habe, (AS 346) diese und der Vater, der nicht gehen könne, kein Geld hätten, um Essen zu kaufen (344), und dann, dass man ihn in Libyen sich selbst überlassen habe. (AS 390)

Dem BFA ist zuzustimmen (S. 21 des Bescheids = AS 455), dass es dem Beschwerdeführer aus einer Reihe von Gründen nicht gelungen ist, eine Verfolgung glaubhaft darzulegen. Das liegt, wie das BFA auch ausführt (S. 52 f, AS 486 f), neben dem unerklärt späten Zeitpunkt von Antrag und Vorbringen und der ebenso unerklärten Tatsache, dass die Geschwister bisher unbehelligt geblieben sind, auch daran, dass die unterschiedlichen Angaben des Beschwerdeführers zu seiner Person zulasten der Glaubwürdigkeit gehen.

Die Beschwerde führt dazu aus, der in der U-Haft einvernommene Beschwerdeführer habe „noch kein Vertrauen“ in die Institutionen gefasst gehabt und deswegen die Asylgründe nicht im vollen Umfang darlegen können. Das ändert insbesondere deshalb nichts an der Beweiswürdigung, weil (von der Anwesenheit der Rechtsvertretung und der sozialpädagogischen Beratungsstelle bei der Befragung abgesehen) weitere „Asylgründe“ auch der Beschwerde nicht zu entnehmen sind.

Nach den Länderfeststellungen ist es dem Beschwerdeführer im Rückkehrfall möglich, selbst im Fall der behaupteten (nicht festgestellten) Bedrohung einen neuen Wohnsitz zu wählen, etwa in Abudja oder einer anderen Großstadt, sodass er dieser entgehen würde. Es ist nach diesen Feststellungen auch nicht zu sehen, warum er gegen eine solche nicht auch Schutz durch den Staat finden sollte.

Demnach war festzustellen, dass ihm keine Verfolgung wie angegeben droht, gegen die ihn nicht eine geeignete Ortswahl oder die staatlichen Behörden schützen könnten. Er hat auch mit der Beschwerdebehauptung, er gehöre der sozialen Gruppe der alleinstehenden Minderjährigen an, „die von ihrer Herkunftsfamilie bedroht werden“, keinen Fluchtgrund glaubhaft gemacht und kein substantiiertes Vorbringen erstattet. Weder ist den Länderfeststellungen eine Verfolgung einer Gruppe „alleinstehender Minderjähriger“, aus dem Grund, dass sie diese Eigenschaft teilen, zu entnehmen, noch gibt es sonst Hinweise auf eine solche.

Neben der festgestellten Volljährigkeit führt zudem auch der nach den Feststellungen anzunehmende staatliche Schutz gegen eine derartige Verfolgung dazu, dass das Beschwerdevorbringen die Beweiswürdigung des BFA nicht zu erschüttern vermag.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1 Zum Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I):

3.1.1 Nach § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z. 2 GFK droht, und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F GFK genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.

Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z. 2 GFK ist, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich in Folge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

3.1.2 Zum Vorbringen des Beschwerdeführers ist festzuhalten, dass das Geschilderte (Vernachlässigung, Bedrohung durch die Stiefmutter mit beabsichtigter Tötung) soweit es die behaupteten Erlebnisse vor der Ausreise und deren Kausalität als Fluchtgründe betrifft - wie es bereits das BFA sah - als unglaubwürdig und damit als nichtzutreffend erscheint. Sogar gegebenenfalls wäre es aber nicht als Grund anzusehen, dem Beschwerdeführer den Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, weil keine Verfolgung aus einem der genannten Gründe vorläge. Die Zugehörigkeit zu der Gruppe der „alleinstehenden Minderjährigen“, wie in der Beschwerde vorgebracht, wäre nämlich (selbst wenn eine solche soziale Gruppe anzunehmen wäre) nicht der Grund für die angebliche private Verfolgung. Ferner würde es sich um eine solche handeln, gegen die der Staat schutzwillig und -fähig ist und vor der sich der Beschwerdeführer auch durch Wahl eines anderen Wohnorts trefflich schützen könnte.

Wie die Feststellungen zeigen, hat der Beschwerdeführer damit also keine Verfolgung oder Bedrohung glaubhaft gemacht, die asylrelevante Qualität hätte. Da auf eine asylrelevante Verfolgung auch sonst nichts hinweist, ist davon auszugehen, dass ihm keine Verfolgung aus den in der GFK genannten Gründen droht. Die Voraussetzungen für die Erteilung von Asyl sind daher nicht gegeben. Aus diesem Grund war die Beschwerde gegen Spruchpunkt I des angefochtenen Bescheides als unbegründet abzuweisen.

3.2 Zum Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II):

3.2.1 Nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ist der Status des subsidiär Schutzberechtigten einem Fremden zuzuerkennen, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn der Antrag in Bezug auf den Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, und eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 oder 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder 13 zur EMRK bedeuten oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Gemäß § 8 Abs. 2 AsylG 2005 ist die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 AsylG 2005 zu verbinden.

Hinweise auf das Vorliegen einer allgemeinen existenzbedrohenden Notlage wie allgemeine Hungersnot, Seuchen, Naturkatastrophen oder sonstige diesen Sachverhalten gleichwertige existenzbedrohende Elementarereignisse liegen nicht vor, auch in Bezug auf die Pandemie nicht, weshalb aus diesem Blickwinkel bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen kein Verdacht auf das Vorliegen eines Sachverhaltes gemäß Art. 2 oder 3 EMRK abgeleitet werden kann.

3.2.2 Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits mehrfach erkannt, dass auch die Außerlandes-schaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat eine Verletzung von Art 3 EMRK bedeuten kann, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet. Gleichzeitig wurde jedoch unter Hinweis auf die Rechtsprechung des EGMR betont, dass eine solche Situation nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen ist (VwGH 06.11.2009, 2008/19/0174; 21.08.2001, 2000/01/0443 mwH). Nach den Feststellungen zu Gesundheit und Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers und den Länderfeststellungen ist nicht davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer nach seiner Rückkehr in eine existenzbedrohende Lage geraten wird.

Das gilt auch dann, wenn – wider Erwarten – eine Unterstützung durch Angehörige des Beschwerdeführers unterbleibt, weil er schulisch gebildet und arbeitsfähig ist und sich auch bereits in Italien selbst erhalten konnte, wo er weniger mit Sprache und Kultur vertraut war als im Herkunftsstaat, wo er soziale Kontakte auffrischen und bei der Arbeitssuche nutzen kann.

Da der Beschwerdeführer ferner neben Edo die Landessprache Englisch spricht, ist letztlich im Rahmen einer Gesamtschau davon auszugehen, dass er im Herkunftsstaat seine dringendsten Bedürfnisse befriedigen kann und nicht in eine dauerhaft aussichtslose Lage gerät, sodass auch der Spruchpunkt II des angefochtenen Bescheides zu bestätigen war.

3.3 Zur Nichterteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG 2005, Rückkehrentscheidung und Zulässigkeit der Abschiebung (Spruchpunkte III bis V):

3.3.1 Nichterteilung eines Aufenthaltstitels

Im Spruchpunkt III des angefochtenen Bescheids sprach die belangte Behörde aus, dass dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel „aus berücksichtigungswürdigen Gründen“ „gemäß § 57 AsylG“ nicht erteilt werde. Damit war nach der Begründung (S. 83 = AS 497) das in § 57 AsylG 2005 beschriebene Rechtsinstitut „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ gemeint. Dem ist durch die Richtigstellung des Spruchs Rechnung zu tragen.

Nach § 57 Abs. 1 AsylG 2005 ist eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz in drei Fallkonstellationen zu erteilen, nämlich (jeweils unter weiteren Voraussetzungen) nach mindestens einem Jahr der Duldung (Z. 1), zur Sicherung der Strafverfolgung gerichtlich strafbarer Handlungen und zur Geltendmachung oder Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche im Zusammenhang mit solchen Handlungen (Z. 2) sowie bei Gewaltopfern, die glaubhaft machen, dass die Erteilung dieser Aufenthaltsberechtigung zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist (Z. 3).

Von den alternativen Voraussetzungen des § 57 Abs. 1 Z. 1 bis 3 AsylG 2005 liegt hier keine vor und wurde vom Beschwerdeführer auch keine behauptet. Eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz war dem Beschwerdeführer daher nicht zuzuerkennen.

3.3.2 Rückkehrentscheidung

Wenn ein Antrag auf internationalen Schutz sowohl betreffend den Status des Asyl-, als auch jenen des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird, wie im bekämpften Bescheid geschehen, ist nach § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG 2005 in Verbindung mit § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG vorgesehen, dass das BFA eine Rückkehrentscheidung erlässt.

Das gilt nur dann nicht, wenn eine Rückkehrentscheidung wegen eines Eingriffs in das Privat- oder Familienleben eines Fremden auf Basis des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG für dauernd unzulässig zu erklären ist. Zu entscheiden ist dabei nach einer individuellen Abwägung der berührten Interessen gegenüber den öffentlichen, ob ein Eingriff im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK verhältnismäßig ist.

Dabei ergibt im Fall des Beschwerdeführers eine individuelle Abwägung der berührten Interessen, dass ein Eingriff in sein Privatleben - ein Familienleben hat er im Bundesgebiet nicht- durch seine Außerlandesbringung als im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK verhältnismäßig anzusehen ist.

Unter den gegebenen Umständen kann vom Vorhandensein eines Privatlebens über den Umgang mit Mithäftlingen und Justizpersonal hinaus kaum ausgegangen werden, zumal der Beschwerdeführer den Deutschkurs abrach und keinen Verein besuchte. Er brachte außer den Freunden in Italien und dem „Mädchen“ im Hotel keine sonstigen sozialen Kontakte vor.

Der Beschwerdeführer ist kurz nach seiner illegalen Einreise untergetaucht, ging nach den Feststellungen keiner erlaubten Arbeit nach, wurde nach dem SMG verurteilt, verfügt über keine nachgewiesenen Deutschkenntnisse, verkehrt im Kreis anderer Fremder (die teils seine Komplizen waren) und hat ansonsten weder familiäre noch private Anknüpfungen an das Inland, die über die alltäglichen Verrichtungen in der Haft sowie die Behördenverfahren hinausgingen.

Sein Aufenthalt dauert bisher rund zwei Jahre, und davon verbrachte er schon jetzt mehr als die Hälfte in Justizanstalten. Nach der genannten Anwesenheitsdauer kann auch nicht von einer Aufenthaltsverfestigung ausgegangen werden. Zudem beruhte der Aufenthalt bereits von Anfang an auf einem Asylantrag, der unbegründet und im Anschluss an eine illegale Einreise gestellt worden war, weshalb sich der Beschwerdeführer seines unsicheren Aufenthalts bewusst sein musste. Er war auch nur kurze Zeit rechtmäßig (s. 3.6).

Es liegen keine Hinweise vor, dass der Beschwerdeführer in Österreich einen Grad an Integration erlangt hätte, der seinen persönlichen Interessen ein entscheidendes Gewicht verleihen würde. Der Beschwerdeführer übte in Österreich außerhalb der Haftzeiten keine erlaubte Berufstätigkeit aus und ist nicht selbsterhaltungsfähig. Er konnte auch keine eigenen Existenzmittel in Österreich nachweisen und hat versucht, sich durch gewerbsmäßigen unerlaubten Umgang mit Suchtgiften ein Einkommen zu verschaffen.

Dem allenfalls bestehenden Interesse des Beschwerdeführers an einem Verbleib in Österreich stehen öffentliche Interessen gegenüber. Zuerst steht ihm das öffentliche Interesse daran gegenüber, dass das geltende Migrationsrecht auch vollzogen wird, indem Personen, die ohne Aufenthaltstitel anwesend sind - gegebenenfalls nach Abschluss eines Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz - auch zur tatsächlichen Ausreise verhalten werden.

Es würde eine Benachteiligung jener Fremden gleichkommen, die die Einreise- und Aufenthaltsbestimmungen in Österreich beachten, wenn sich der Beschwerdeführer erfolgreich auf sein Privat- oder Familienleben berufen könnte, obwohl er seinen Aufenthalt lediglich durch seine faktische Einreise und einen unbegründeten Asylantrag erzwungen hat. In letzter Konsequenz würde ein solches Verhalten zu einer unsachlichen und damit verfassungswidrigen Differenzierung der Fremden untereinander führen.

Dem wenig gewichtigen persönlichen Interesse des Beschwerdeführers an einem weiteren Aufenthalt in Österreich stehen somit das öffentliche Interesse an der Verhinderung von Kriminalität und das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung der Ordnung des Fremdenwesens gegenüber. Diesen kommt aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zu, sodass sie fallbezogen überwiegen. Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung kann daher nicht als unzulässig im Sinn von § 9 Abs. 2 BFA-VG angesehen werden.

Die Rückkehrentscheidung entspricht also den Voraussetzungen der Verhältnismäßigkeit im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK, sodass sie auf Basis des § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG zu Recht erging.

3.3.3 Zulässigkeit der Abschiebung:

Gemäß § 52 Abs. 9 FPG hat das BFA mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 FPG in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist, es sei denn, die Festlegung eines solchen Staates wäre aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich.

Die Abschiebung in einen Staat ist nach § 50 Abs. 1 FPG unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 EMRK oder die Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention verletzt würden, oder für den Betroffenen als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes verbunden wäre.

Nach § 50 Abs. 2 FPG ist die Abschiebung in einen Staat auch unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme vorliegen, dass dort das Leben des Betroffenen oder seine Freiheit aus Gründen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder persönlichen Ansichten bedroht wäre, es sei denn, es besteht eine innerstaatliche Fluchtalternative.

§ 50 Abs. 3 FPG erklärt die Abschiebung unzulässig, solange ihr die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht.

Es liegen keine Anhaltspunkte vor, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr nach Nigeria einer realen Gefahr der Folter, der unmenschlichen Strafe oder Behandlung oder der Todesstrafe ausgesetzt wäre.

Es fehlt auch jedes Indiz dafür, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr durch einen innerstaatlichen oder zwischenstaatlichen Konflikt Gefahr laufen würde in seinem Leben beeinträchtigt oder gar getötet würde. Zudem liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass dem Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen und damit die Schwelle des Art. 3 EMRK überschritten wäre.

Der Beschwerdeführer wird aufgrund seines Alters und seines Gesundheitszustandes in der Lage sein, in Nigeria zumindest notdürftig leben zu können. Er ist dort aufgewachsen und hat die Jahre seiner Hauptsozialisierung zumindest auch mit seinen Angehörigen und anderen Landsleuten verbracht. Er spricht Edo und Englisch. Zuletzt hielt er sich vor vier oder fünf Jahren dort auf. So kann er auf die Vertrautheit mit Land und Leuten bauen, selbst wenn sich – wie behauptet – keine Verwandten um ihn kümmern.

Die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz werden jedenfalls im konkreten Fall gedeckt werden können. Dass der Beschwerdeführer möglicherweise in Österreich – auch ohne Drogendelikte – wirtschaftlich besser leben kann als im Herkunftsstaat, genügt nicht für die Annahme, er würde dort keine Lebensgrundlage vorfinden und somit seine Existenz nicht decken können. Es fehlen somit im vorliegenden Fall Hinweise auf derart exzeptionelle Umstände.

Zudem besteht in Nigeria keine so extreme Gefahrenlage, dass gleichsam jeder, der dorthin zurückkehrt, einer Gefährdung im Sinne der Art. 2 oder 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention ausgesetzt wäre.

Stichhaltige Gründe für die Annahme, dass in Nigeria das Leben des Beschwerdeführers oder seine Freiheit aus Gründen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder persönlichen Ansichten bedroht wäre, sind im Verfahren nicht hervorgekommen und wurden auch in der Beschwerde (mit dem Vorbringen betreffend die minderjährigen Alleinstehenden) nicht substantiiert behauptet.

Eine der Abschiebung nach Nigeria entgegenstehende Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte besteht nicht.

Daher erwiesen sich die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung als rechtmäßig und die Beschwerde daher insoweit als unbegründet. Die Beschwerde war daher - von der Richtigstellung des Spruchpunkts III abgesehen - betreffend die Spruchpunkte III bis V abzuweisen.

3.4 Zum Einreiseverbot (Spruchpunkt VI)

Nach § 53 Abs. 3 FPG ist ein Einreiseverbot gemäß Abs. 1 zu erlassen, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Aufenthalt eines Drittstaatsangehörigen eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt, und zwar grundsätzlich für bis zu 10 Jahre. Eine solche Tatsache, die auch bei der Bemessung der Dauer zu berücksichtigen ist, ist nach Abs. 3 Z. 1 die gerichtliche Verurteilung des Drittstaatsangehörigen zu einer bedingt oder teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von zumindest sechs Monaten, aber auch die mehrmalige Verurteilung wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhenden Delikten, nach Z. 2 auch die Verurteilung wegen einer innerhalb von drei Monaten nach der Einreise begangenen Vorsatztat.

Mit den festgestellten Verurteilungen und dem Beginn der Delinquenz bereits im Monat der Einreise liegen die Voraussetzungen mehrfach vor, was sich auch auf die Dauer eines Einreise-verbots auswirkt.

Der Beschwerdeführer wurde in bereits drei Strafurteilen wegen Drogendelikten schuldig gesprochen und immer zu mehr als sechs Monaten Freiheitsstrafe verurteilt, zuletzt im April zu acht Monaten. Aus Urteilen ergibt sich, dass beim Beschwerdeführer bereits die in § 5 Abs. 4 JGG vorgesehenen Strafrahmen Anwendung fanden, wodurch das Höchstmaß der Freiheitsstrafen auf die Hälfte herabgesetzt war und ein Mindestmaß entfiel.

Das BFA hat Bezug auf die erste Verurteilung des Beschwerdeführers genommen und auf dieser Basis ein Einreiseverbot mit der Dauer von 7 Jahren ausgesprochen. Die Beschwerde führt dagegen ins Treffen, dass diese erste Verurteilung tiefen Eindruck beim Beschwerdeführer hinterlassen habe, weshalb von ihm keine Gefährdung mehr ausgehe. Ferner sei seine italienische Aufenthaltsberechtigung zu berücksichtigen.

Wie die Feststellungen zeigen, trifft beides nicht zu, blickt man auf die Rückfälle und das zwischenzeitliche Auslaufen der genannten Aufenthaltsberechtigung.

Angesichts der Umstände, im Speziellen der Delinquenz des Beschwerdeführers, der außer mit Marihuana auch mit „harten“ Drogen handelte, stets schnell rückfällig wurde und sich noch in Strafhaft befindet, sodass noch nicht einmal die verhängten Strafen vollständig vollzogen oder auch nur bedingt nachgesehen wären, und seiner mangelnden Selbsterhaltungsmöglichkeit im Inland, ist die vom BFA gewählte Dauer auf Basis des im Beschwerdeverfahrens zu berücksichtigenden Sachverhalts keinesfalls unangemessen.

Nach all dem war die Beschwerde auch betreffend diesen Spruchpunkt abzuweisen.

3.5 Zur Aberkennung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde (Spruchpunkt VII):

Da der Beschwerde bereits am 11.12.2020 die aufschiebende Wirkung von Amts wegen zuerkannt wurde, ist sie diesen Spruchpunkt betreffend seither erledigt.

3.6 Zur Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt VIII):

Das BFA hat die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde aberkannt und dies mit der Voraussetzung des § 18 Abs. 1 BFA-VG begründet. Nach § 55 Abs. 1a FPG besteht keine Frist für die freiwillige Ausreise, wenn eine Entscheidung auf Grund eines Verfahrens gemäß § 18 BFA-VG durchführbar wird.

Mit der eben erwähnten Teilerledigung hat dieses Gericht indes die aufschiebende Wirkung zuerkannt. Damit ist, wie in § 55 Abs. 1 FPG vorgesehen, eine Frist für die freiwillige Ausreise festzulegen. (VwGH 08.06.2020, Ra 2018/19/0478 mwN)

Diese beträgt nach § 55 Abs. 2 FPG 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe der Erlassung der Rückkehrentscheidung überwiegen.

Derartige Umstände wurden vom Beschwerdeführer nicht ins Treffen geführt und sind auch im Verfahren nicht hervorgekommen. Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt daher – nach (bedingter) Entlassung (vgl. VwGH 22.01.2021, Ra 2020/21/0349) – 14 Tage. Demgemäß war Spruchpunkt VIII wie geschehen abzuändern.

3.6 Zum Verlust des Aufenthaltsrechts (Spruchpunkt IX):

In § 13 Abs. 2 AsylG 2005 ist vorgesehen, dass ein Asylwerber das Aufenthaltsrecht verliert, wenn er straffällig geworden ist (Z. 1), gegen ihn wegen einer gerichtlich strafbaren Handlung, die nur vorsätzlich begangen werden kann, eine Anklage durch die Staatsanwaltschaft eingebracht worden ist (Z. 2), über ihn Untersuchungshaft verhängt (Z. 3) oder er beim Begehen eines Verbrechens auf frischer Tat betreten wurde (Z. 4). Der Verlust des Aufenthaltsrechtes ist ihm mit Verfahrensanordnung mitzuteilen. Nach Abs. 3 kommt ihm ab dem Verlust faktischer Abschiebeschutz zu.

Ein Fremder ist straffällig im Sinn des AsylG 2005 geworden, wenn er (§ 2 Abs. 3) rechtskräftig wegen einer vorsätzlich begangenen gerichtlich strafbaren Handlung, die in die Zuständigkeit des Landesgerichtes fällt (Z. 1) oder mehr als einmal wegen einer sonstigen vorsätzlich begangenen gerichtlich strafbaren Handlung, die von Amts wegen zu verfolgen ist (Z. 2) verurteilt worden ist.

Das Aufenthaltsrecht lebt in den Fällen der Z. 2 bis 4 wieder auf, wenn es zur Beendigung des Strafverfahrens in einer der im letzten Satz des Abs. 2 genannten Varianten kommt (Freispruch, Rücktritt von der Strafverfolgung oder Einstellung).

Das BFA hat nach § 13 Abs. 4 AsylG 2005

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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