TE Bvwg Erkenntnis 2021/6/24 I416 2175019-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 24.06.2021
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Entscheidungsdatum

24.06.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58 Abs1 Z2
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs2
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


I416 2175019-1/21E

S C H R I F T L I C H E A U S F E R T I G U N G D E R A M 1 7. 0 6. 2 0 2 1

M Ü N D L I C H V E R K Ü N D E T E N E N T S C H E I D U N G

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Alexander BERTIGNOL als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. IRAK, vertreten durch Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH - BBU, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, vom 10.10.2017, Zl. XXXX nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 17.06.2021 zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1.        XXXX , ein irakischer Staatsangehöriger, reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen in das Bundesgebiet ein und stellte am 30.10.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2.       Der Beschwerdeführer gab anlässlich seiner Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 31.10.2015 zu seiner Fluchtroute an, dass er im März 2015 Mosul zu Fuß in Richtung Syrien verlassen habe. Im Oktober 2015 sei er mit einem PKW in die Türkei gefahren und von dort schlepperunterstützt nach Griechenland und von dort über Mazedonien, Serbien, Kroatien und Slowenien nach Österreich gelangt. Zu seinen Fluchtgründen gab er im Wesentlichen an, dass er sein Heimatland verlassen habe, da der IS ihr ganzes Vermögen in Mosul genommen habe und er Angst um sein Leben habe. Im Falle seiner Rückkehr habe er Angst vor dem IS.

3.       Am 15.05.2017 wurde der Beschwerdeführer von der belangten Behörde niederschriftlich einvernommen. Zu seinen persönlichen Verhältnissen führte er aus, dass er am XXXX in Mosul im Irak geboren sei, der Volksgruppe der Araber und der muslimischen Religionsgemeinschaft/sunnitische Glaubensrichtung angehöre und irakischer Staatsangehöriger sei. Er habe einen Splitter im Bein, sei aber ansonsten gesund, sei ledig und habe keine Kinder. Im Irak habe er vier Jahre die Grundschule besucht und danach bis 2014 als Bauarbeiter in Erbil gearbeitet. Im Irak habe er zusammen mit seinem Vater, seiner Mutter, seinen vier Schwestern und fünf Brüdern gelebt, 2010 hätten sie Mosul verlassen, bevor der IS einmarschiert sei und seien sie nach Rabia gezogen. Seine Familie habe sich bis Februar 2016 im Mosul aufgehalten, seit damals habe er keinen Kontakt mehr zu diesen und wisse er nicht, wo sie sich befinden. Nachgefragt, warum der Kontakt abgebrochen sei, gab er an, dass damals die irakische Armee im Vormarsch gewesen sei und der IS alle Internetverbindungen unterbrochen habe. Kontakt habe er noch zu seinen Cousins väterlicherseits, die sich in Erbil in einem Camp aufhalten würden. Zu seinen Fluchtgründen befragt, führte er im Wesentlichen zusammengefasst aus, dass der IS, nachdem er in Mosul einmarschiert sei, seinen Vater verhaftet hätte, er sei mit seiner Familie, mit seiner Mutter und seinen Geschwistern, zur syrischen Grenze geflohen, wo er durch eine Mine verletzt worden sei. Seine Familie sei an der Grenze geblieben, er sei nach Syrien geflohen, wo er sich bis August 2015 aufgehalten habe und danach sei er in die Türkei gereist. Er führte weiters aus, dass sich sein Vater im Jahr 2010 der „Sahwa“ angeschlossen habe. In Mosul habe es damals terroristische Gruppen gegeben und wären Sie von diesen schriftlich bedroht worden. Nachgefragt gab er an, dass er der Älteste unter den Geschwistern sei und sie deshalb auch hinter ihm her seien. Nachgefragt, wann sein Vater verhaftet worden sei, gab er an, dass diese im Juli 2014 gewesen sei, als der IS in Rabia einmarschiert sei. Er führte weiters aus, dass er einen Monat ab dem Einmarsch bis zur Verhaftung seines Vaters in Rabia geblieben sei, danach hätte der IS angefangen die Familie unter Druck zu setzen und hätten diese gesagt, dass sein Vater ein Abtrünniger, sei weshalb er letztendlich geflohen sei. Nachgefragt führte aus, dass ein Mann namens „Abu Faris“, der seinen Vater schon länger gekannt habe, zusammen mit einer Gruppe zu Ihnen nach Hause gekommen sei, er sei zu diesem Zeitpunkt nicht zu Hause gewesen, seine Mutter schon. Diese seien mehrmals zu Ihnen nach Hause gekommen, sein Vater sei jedoch nicht zu Hause gewesen, da er untergetaucht sei. Sein Vater sei dann zu Ihnen nach Hause gekommen, um für sie einen Weg zu finden, damit sie fliehen können, irgendjemand habe dem IS über seine Anwesenheit verständigt und hätten sie seinen Vater mitgenommen. Der Mann „Abu Faris“ sei zu ihm gekommen und habe ihm gesagt, er solle ihm eine seiner Schwestern zur Frau geben. Dies habe „Abu Faris“ öfter gemacht, er habe jedoch immer abgelehnt, dieser habe ihn zweimal mitgenommen und in der Öffentlichkeit auspeitschen lassen, einmal sei seine Auspeitschung auch gefilmt und im Dorf gezeigt worden, nach seiner Auspeitschung habe er sein Motorrad genommen und sich auf dem Weg zum Schlepper gemacht, bevor er diesen jedoch erreichen konnte, sei er von „Abu Faris“ und seiner Gruppe verhaftet worden, diese hätten ihn mitgenommen und eingesperrt, nachgefragt gab er an, dass dies im Jänner 2015 für mehr als einen Monat gewesen sei. Während seiner Haft hätten die Kurden die Ortschaft Rabia eingenommen und sei der IS mit Flugzeugen bombardiert worden, auch die Umgebung des Gefängnisses, wo er gewesen sei, sei bombardiert worden, davon habe er den Splitter am linken Fuß. Sie hätten dann aus dem Gefängnis fliehen können, und seien zu kurdischen Einheiten geflüchtet. Im März 2015 sei er dann nach Syrien gegangen und habe sich behandeln lassen, danach habe er das Geld für seine Ausreise organisiert und sei mit dem Geld in die Türkei gereist. Auf Vorhalt, dass eine persönliche Verfolgung seiner Person aufgrund der Verhaftung seines Vaters nicht ersichtlich sei, gab der Beschwerdeführer an, dass am Anfang alles normal gewesen sei, nachdem sein Vater verhaftet worden sei, habe er sich in der Ortschaft normal bewegen können, dann habe „Abu Hassan“ Druck gemacht indem er eine seiner Schwestern habe heiraten wollen, auf Vorhalt, dass er bis jetzt immer einen anderen Namen angeführt habe, gab er an, dass er die ganze Zeit von „Abu Hassan“ geredet habe, dieser sei der Anführer einer Gruppierung des IS gewesen. Nachgefragt, warum sich diese Abu Hassan nicht einfach die Schwester zur Frau genommen habe, gab er an, dass dies nicht gehen würde, da sie sich als Moslems erachten würden und bräuchte es bei muslimischen Frauen auch für den IS sein Einverständnis und das seiner Schwester. Er gab weiters an, dass der IS wenn er zurückkehren würde, ihn bestimmt nicht vergessen habe, seine Brüder hätten nach seiner Flucht keine Probleme gehabt, da diese Brüder jung seien, sein ältester Bruder sei elf Jahre, nur seine Schwestern seien älter. Hinsichtlich seiner Auspeitschung führte er aus, dass er ausgepeitscht worden sei, da er beim Rauchen erwischt worden sei. Nachgefragt, gab er an, dass er einem Richter vorgeführt und aufgefordert worden sei, reuig zu sein, er habe auf dem Koran geschworen es nicht mehr zu machen und eine Erklärung unterschrieben, worin gestanden sei, dass er beim nächsten Mal mehr Peitschenhiebe bekomme. Es sei ihm dann in weiterer Folge eine Glatze rasiert worden, und habe er auf einer Bühne 40 Peitschenhiebe bekommen, dies sei einen Monat nach der Verhaftung seines Vaters gewesen. Nach seiner Auspeitschung habe er sich auf die Suche nach einem Schlepper gemacht und sei im Jänner 2015 im Grenzgebiet zu Syrien vom IS festgenommen worden. Hinsichtlich der Flucht der Familie aus Mosul im Jahr 2010 gab der Beschwerdeführer an, dass das Haus gesprengt worden sei, da sein Vater bei den Stammesmobilmachungseinheiten gewesen sei. Er gab weiters an, dass sie zwei bzw. dreimal bedroht worden seien, es habe auch Drohbriefe gegeben die an der Vordertür abgelegt worden seien, zum Inhalt des Drohbriefes gab er an, dass daringestanden habe, dass sein Vater aufhören solle oder er umgebracht werde, nachgefragt, wer den Drohbrief verfasst habe, gab er an, dass es damals den IS noch nicht gegeben habe und sie von Terroristen gesprochen hätten. Diese hätten sich damals als Al-Qaida bezeichnet und nicht als IS. Er gab weiters an, dass sie dies alles zur Anzeige gebracht hätten, nach der Drohung seien einige Tage vergangen, bevor das Haus explodiert sei, weshalb sie nach Rabia in ihr anderes Haus gehen mussten. Nachgefragt, ob es in Rabia keine Probleme gegeben habe, gab er an, dass es Attentate auf die Armee auf Angehörige anderer Einheiten gegeben habe, diese hätten sich nicht direkt in Rabia, sondern bei der Anfahrt zu den Dienststellen ereignet, sein Vater habe auf dem Weg nach Mosul Probleme gehabt, da seine Arbeit in Mosul gewesen sei und einige Angehörige der Armee auf dem Weg nach Mosul getötet worden seien. Auf die Frage, was dagegensprechen würde, dass er zu seinen Cousins väterlicherseits nach Erbil zurückkehren würde, gab der Beschwerdeführer wörtlich zu Protokoll: „Es ist kein menschenwürdiges Leben, nur von Hilfsgütern zu leben. Ich bin bereit auf alle Sozialleistungen zu verzichten, wenn ich bleiben darf. Ich weiß, dass ich hier durch Arbeit meinen Lebensunterhalt organisieren kann.“

Zu seinen Lebensumständen im Bundesgebiet führte er aus, dass er keine Verwandten habe, er mit Einheimischen Freundschaften geschlossen habe und mit diesem Fußball spielen würde, Deutschkurs würde er keinen besuchen, da es bei ihnen keine Deutschkurse gebe. Auf die Abgabe einer Stellungnahme verzichtete der Beschwerdeführer.

4.       Mit den im Spruch angeführten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 10.10.2017, Zl. XXXX , wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten „gemäß § 3 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG 2005, BGBl I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF“ (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Irak gemäß „§ 8 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG“ (Spruchpunkt II.) als unbegründet abgewiesen. Zugleich wurde dem Beschwerdeführer kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen „gemäß § 57 AsylG“ erteilt und „gemäß § 10 Absatz 1 Ziffer 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF“ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung „gemäß § 52 Absatz 2 Ziffer 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl I Nr. 100/2005 (FPG) idgF“ erlassen und „gemäß § 52 Absatz 9 FPG“ festgestellt, dass seine Abschiebung „gemäß § 46 FPG“ in den Irak zulässig ist (Spruchpunkt III.). Eine Frist für seine freiwillige Ausreise wurde „gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG" mit 2 Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidungen festgestellt (Spruchpunkt IV.).

5.       Mit Verfahrensanordnungen gemäß § 63 Abs. 2 AVG vom 25.08.2017 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG der Verein Menschrechte Österreich, als Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht zur Seite gestellt.

6.       Gegen den Bescheid der belangten Behörde erhob der Beschwerdeführer durch seine ausgewiesene Rechtsvertretung mit Schriftsatz vom 24.10.2017 Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht und monierte inhaltliche Rechtswidrigkeit und Mangelhaftigkeit des Verfahrens. Begründend wurde zusammengefasst im Wesentlichen ausgeführt, dass die Furcht des Beschwerdeführers vor einer Verfolgung durch den IS objektiv nachvollziehbar und maßgeblich wahrscheinlich sei, da nicht davon ausgegangen werden könne, dass der IS vollständig aus Mosul verdrängt worden sei. Zudem habe sich der Beschwerdeführer geweigert seine Schwester einen IS Anführer zu verheiraten und würde ihm aufgrund der Familienzugehörigkeit als Sohn eines oppositionell gesinnten Vaters, bei seiner Rückkehr eine oppositionell politische Gesinnung unterstellt, die gegen die Ideologie des IS gerichtet sei. Letztlich wurde ausgeführt, dass der Beschwerdeführer unter Berücksichtigung der persönlichen Verhältnisse und der derzeit im Irak vorherrschenden Versorgungs- und Lebensbedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wäre. Es werde daher beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge den angefochtenen Bescheid dahingehend abändern dass dem Antrag des Beschwerdeführers Folge gegeben und ihm der Status eines Asylberechtigten zuerkannt werde, in eventu den angefochtenen Bescheid beheben und zur neuerlichen Verhandlung an die erste Instanz zurück verweisen, in eventu ihm den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zu erkennen, allenfalls die gegen ihn ausgesprochene Rückkehrentscheidung aufheben sowie die Abschiebung für unzulässig erklären und eine mündliche Verhandlung durchführen.

7.       Beschwerde und Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 31.10.2017 vorgelegt.

8.       Aufgrund der Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 25.09.2018 wurden die gegenständliche Rechtssache der Gerichtsabteilung L519 abgenommen und der Gerichtsabteilung I416 neu zugewiesen. Am 04.10.2019 langte der verfahrensgegenständliche Beschwerdeakt bei der zuständigen Gerichtsabteilung I 416 ein.

9.       Am 08.01.2018 wurde der Beschwerdeführer von der Bundesrepublik Deutschland nach Österreich rücküberstellt.

10.      Mit Eingabe vom 05.05.2020, wurden Kopien von arabischen Schriftstücken und eine in Deutsch abgefasste Stellungnahme übermittelt.

11.      Am 16.07.2021 erfolgte in Anwesenheit des Beschwerdeführers eine mündliche Beschwerdeverhandlung am Bundesverwaltungsgericht. In dessen Verlauf wurden seitens des Beschwerdeführers folgende nachstehende Unterlagen vorgelegt: Zeitbestätigung über die die Teilnahme an der A2 Prüfung und vier personalisierte Empfehlungsschreiben.

Nach Schluss der mündlichen Verhandlung wurde das Erkenntnis mündlich verkündet.

12.      Mit Schriftsatz vom 18.06.2021, wurde die schriftliche Ausfertigung gemäß § 29 Abs. 2a VwGVG beantragt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die unter Punkt I. getroffenen Ausführungen werden als entscheidungswesentlicher Sachverhalt festgestellt. Darüber hinaus werden folgende weitere Feststellungen getroffen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der volljährige Beschwerdeführer ist irakischer Staatsangehöriger. Seine Identität steht fest. Er gehört der Volksgruppe der Araber an und bekennt sich zum sunnitisch-muslimischen Glauben. Der Beschwerdeführer ist ledig und kinderlos.

Der Beschwerdeführer ist gesund, leidet an keinen physischen oder psychischen Beeinträchtigungen, welche einer Rückkehr in den Herkunftsstaat entgegenstehen und gehört keiner Risikogruppe im Sinne der COVID-19-Pandemie an. Der Beschwerdeführer ist arbeitsfähig.

Der Beschwerdeführer reiste am 30.10.2015 ins Bundesgebiet ein. Der Beschwerdeführer wurde am 08.01.2019 mittels „Laissez Passer“ von der Bundesrepublik Deutschland nach Österreich überstellt. Der Beschwerdeführer hält sich seit diesem Zeitpunkt durchgehend im Bundesgebiet auf.

Der Beschwerdeführer stammt aus Al Rabia und hat drei Jahre die Volksschule besucht. Der Beschwerdeführer hat laut eigenen Angaben als Bauarbeiter und Reinigungskraft in der Hotellerie gearbeitet.

In Al Rabia leben noch die Eltern und 9 Geschwister des Beschwerdeführers. Der Beschwerdeführer hat regelmäßigen Kontakt mit seiner Mutter.

Der Beschwerdeführer verfügt über keine familiären Anknüpfungspunkte in Österreich. Der Beschwerdeführer hat laut eigenen Angaben seit 4 Monaten eine Beziehung mit L., die er bei seinem ersten Aufenthalt im Flüchtlingsheim kennengelernt hat. Eine finanzielle oder wirtschaftliche Abhängigkeit liegt nicht vor.

Der Beschwerdeführer ging in Österreich zu keinem Zeitpunkt einer angemeldeten Erwerbstätigkeit nach. Er ist nicht selbsterhaltungsfähig und bestreitet seinen Lebensunterhalt seit seiner Einreise über die staatliche Grundversorgung.

Der Beschwerdeführer verfügt durch seinen Aufenthalt in der Asylunterkunft über soziale Kontakte. Der Beschwerdeführer macht in seiner Freizeit Sport und trifft sich mit Freunden.

Der Beschwerdeführer hat hinsichtlich seiner Integration die Bestätigung über die Teilnahme an einer Deutschprüfung A2 vorgelegt, war jedoch während der gesamten Verhandlung auf den anwesenden Dolmetscher angewiesen. Der Beschwerdeführer hat weder ehrenamtlich gearbeitet noch gemeinnützige Tätigkeiten ausgeübt. Der Beschwerdeführer ist kein Mitglied in einem Verein.

Eine entscheidungsrelevante Teilnahme des Beschwerdeführers am sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Leben in Österreich kann trotz seiner Aufenthaltsdauer von 5 Jahren und 8 Monaten nicht festgestellt werden. Er weist in Österreich keinen Grad der Integration auf, der seiner Aufenthaltsdauer im Bundesgebiet entspricht. Es liegen keine Hinweise auf das Vorliegen von entscheidungsrelevanten Anknüpfungspunkten in sozialer, sprachlicher und wirtschaftlicher Natur in Österreich bzw. allenfalls gesetzter Integrationsschritte, über das oben angeführte hinaus, des Beschwerdeführers vor.

Der Beschwerdeführer ist strafgerichtlich unbescholten.

1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Irak aufgrund seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt war.

Der Beschwerdeführer konnte nicht glaubhaft machen, dass ihm im Irak Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht. Die vom Beschwerdeführer behauptete Bedrohung/Verfolgung durch den IS bzw. den Staat konnte mangels Glaubhaftmachung nicht festgestellt werden.

Es kann auch nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer unmittelbar vor seiner Ausreise einer individuellen und aktuellen Verfolgung aus den von ihm genannten Gründen im Herkunftsstaat ausgesetzt gewesen wäre. Im Fall seiner Rückkehr in den Herkunftsstaat Irak wird der Beschwerdeführer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keiner asylrelevanten Verfolgung und auch keiner wie auch immer gearteten existentiellen Bedrohung ausgesetzt sein.

Es existieren keine Umstände, welche einer Abschiebung aus dem Bundesgebiet der Republik Österreich entgegenstünden. Es spricht nichts dafür, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in den Irak Verletzung von Art. 2, Art. 3 oder auch der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention nach sich ziehen würde. Der Beschwerdeführer ist auch nicht von willkürlicher Gewalt infolge eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts bedroht.

1.3. Zur Lage im Herkunftsstaat:

Dem Beschwerdeführer wurde im Zuge der Ladung zur mündlichen Verhandlung das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Irak übermittelt. Zudem wurden im Rahmen der Beschwerdeverhandlung folgende Berichte ergänzend eingebracht: EASO Bericht „Iraq Security situation“ vom Oktober 2020, der EASO Bericht „Country Guidance Iraq – Guidance note and common analysis“ vom Jänner 2021, der EASO Informationsbericht über das Herkunftsland „Irak Gezielte Gewalt gegen Individuen“ vom März 2019, der EASO Bericht „Irak Interne Mobilität“ vom Februar 2019, der EASO Bericht „Irak Zentrale sozioökonomische Indikatoren“ vom Februar 2019, der UNHCR-Bericht „UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus dem Irak fliehen [HCR/PC/IRQ/2019/05]“ vom Mai 2019, Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zum Irak, Sicherheitslage, Wohnverhältnisse, Grund- und medizinische Versorgung in Mosul vom 29.08.2019, Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zum Irak sozioökonomische und Sicherheitslage in Mosul vom 27.04.2020, Anfragebeantwortung zum Irak: Sozioökonomische Lage in Mosul: Aktueller Stand des Wiederaufbaus, Versorgung der Bevölkerung mit Nahrung und Wohnraum, Wasserversorgung, sanitäre Verhältnisse, Arbeitsmarkt, medizinische Versorgung, Armutsgefährdung, Unterschiede zwischen den Lebensverhältnissen von Sunniten und Schiiten in Mosul vom 16.04.2021, Anfragebeantwortung zum Irak: Sicherheitsrelevante Vorfälle in Mosul seit 2020; Gefahr für Sunniten durch schiitische Milizen vom 16. April 2021, eine Anfragebeantwortung der Staatendokumentation bezüglich der Versorgungs- und Sicherheitslage in Bagdad vom 07.09.2020, Anfragebeantwortung zum Irak vom 20.01.2021 zur Versorgungslage Bagdad (Lebensmittel, Wasser, Strom), Wohnungsmarkt, Schulbesuch; Asylländerbericht der ÖB Amman vom Oktober 2020;

Daraus ergeben sich folgende entscheidungswesentliche Feststellungen:

Politische Lage:

Die politische Landschaft des Irak hat sich seit dem Sturz Saddam Husseins im Jahr 2003 enorm verändert (KAS 2.5.2018) und es wurde ein neues politisches System im Irak eingeführt (Fanack 2.9.2019). Gemäß der Verfassung vom 15.10.2005 ist der Irak ein islamischer, demokratischer, föderaler und parlamentarisch-republikanischer Staat (AA 12.1.2019; vgl. GIZ 1.2020a; Fanack 2.9.2019), der aus 18 Gouvernements (muhafaz?t) besteht (Fanack 2.9.2019). Artikel 47 der Verfassung sieht eine Gewaltenteilung zwischen Exekutive, Legislative und Judikative vor (RoI 15.10.2005). Die Kurdische Region im Irak (KRI) ist Teil der Bundesrepublik Irak und besteht aus den drei nördlichen Gouvernements Dohuk, Erbil und Sulaymaniyah. Sie wird von einer Regionalverwaltung, der kurdischen Regionalregierung (Kurdistan Regional Government, KRG), verwaltet und verfügt über eigene Streitkräfte (Fanack 2.9.2019). Beherrschende Themenblöcke der irakischen Innenpolitik sind Sicherheit, Wiederaufbau und Grundversorgung, Korruptionsbekämpfung und Ressourcenverteilung, die systemisch miteinander verknüpft sind (GIZ 1.2020a).

An der Spitze der Exekutive steht der irakische Präsident, der auch das Staatsoberhaupt ist. Der Präsident wird mit einer Zweidrittelmehrheit des irakischen Parlaments (majlis al-nuww?b, engl.: Council of Representatives, dt.: Repräsentantenrat) für eine Amtszeit von vier Jahren gewählt und kann einmal wiedergewählt werden. Er genehmigt Gesetze, die vom Parlament verabschiedet werden. Der Präsident wird von zwei Vizepräsidenten unterstützt, mit denen er den Präsidialrat bildet, welcher einstimmige Entscheidungen trifft (Fanack 2.9.2019).

Der Premierminister wird vom Präsidenten designiert und vom Parlament bestätigt (Fanack 2.9.2019; vgl. RoI 15.10.2005). Der Premierminister führt den Vorsitz im Ministerrat und leitet damit die tägliche Politik und ist auch Oberbefehlshaber der Streitkräfte (Fanack 27.9.2018).

Die gesetzgebende Gewalt, die Legislative, wird vom irakischen Repräsentantenrat (Parlament) ausgeübt (Fanack 2.9.2019). Er besteht aus 329 Abgeordneten (CIA 28.2.2020; vgl. GIZ 1.2020a). Neun Sitze werden den Minderheiten zur Verfügung gestellt, die festgeschriebene Mindest-Frauenquote im Parlament liegt bei 25% (GIZ 1.2020a).

Nach einem ethnisch-konfessionellen System (Muhasasa) teilen sich die drei größten Bevölkerungsgruppen des Irak - Schiiten, Sunniten und Kurden - die Macht durch die Verteilung der Ämter des Präsidenten, des Premierministers und des Parlamentspräsidenten (AW 4.12.2019). So ist der Parlamentspräsident gewöhnlich ein Sunnit, der Premierminister ist ein Schiit und der Präsident der Republik ein Kurde (Al Jazeera 15.9.2018). Viele sunnitische Iraker stehen der schiitischen Dominanz im politischen System kritisch gegenüber. Die Machtverteilungsarrangements zwischen Sunniten, Schiiten und Kurden festigen den Einfluss ethnisch-religiöser Identitäten und verhindern die Herausbildung eines politischen Prozesses, der auf die Bewältigung politischer Sachfragen abzielt (AA 12.1.2019).

Am 12.5.2018 fanden im Irak Parlamentswahlen statt, die fünfte landesweite Wahl seit der Absetzung Saddam Husseins im Jahr 2003. Die Wahl war durch eine historisch niedrige Wahlbeteiligung und Betrugsvorwürfe gekennzeichnet, wobei es weniger Sicherheitsvorfälle gab als bei den Wahlen in den Vorjahren (ISW 24.5.2018). Aufgrund von Wahlbetrugsvorwürfen trat das Parlament erst Anfang September zusammen (ZO 2.10.2018).

Am 2.10.2018 wählte das neu zusammengetretene irakische Parlament den moderaten kurdischen Politiker Barham Salih von Patriotischen Union Kurdistans (PUK) zum Präsidenten des Irak (DW 2.10.2018; vgl. ZO 2.10.2018; KAS 5.10.2018). Dieser wiederum ernannte den schiitischen Politik-Veteranen Adel Abd al-Mahdi zum Premierminister und beauftragte ihn mit der Regierungsbildung (DW 2.10.2018). Nach langen Verhandlungsprozessen und zahlreichen Protesten wurden im Juni 2019 die letzten und sicherheitsrelevanten Ressorts Innere, Justiz und Verteidigung besetzt (GIZ 1.2020a).

Im November 2019 trat Premierminister Adel Abdul Mahdi als Folge der seit dem 1.10.2019 anhaltenden Massenproteste gegen die Korruption, den sinkenden Lebensstandard und den ausländischen Einfluss im Land, insbesondere durch den Iran, aber auch durch die Vereinigten Staaten (RFE/RL 24.12.2019; vgl. RFE/RL 6.2.2020). Präsident Barham Salih ernannte am 1.2.2020 Muhammad Tawfiq Allawi zum neuen Premierminister (RFE/RL 6.2.2020). Dieser scheiterte mit der Regierungsbildung und verkündete seinen Rücktritt (Standard 2.3.2020; vgl. Reuters 1.3.2020). Am 17.3.2020 wurde der als sekulär geltende Adnan al-Zurfi, ehemaliger Gouverneur von Najaf als neuer Premierminister designiert (Reuters 17.3.2020).

Im Dezember 2019 hat das irakische Parlament eine der Schlüsselforderung der Demonstranten umgesetzt und einem neuen Wahlgesetz zugestimmt (RFE/RL 24.12.2019; vgl. NYT 24.12.2019). Das neue Wahlgesetz sieht vor, dass zukünftig für Einzelpersonen statt für Parteienlisten gestimmt werden soll. Hierzu soll der Irak in Wahlbezirke eingeteilt werden. Unklar ist jedoch für diese Einteilung, wie viele Menschen in den jeweiligen Gebieten leben, da es seit über 20 Jahren keinen Zensus gegeben hat (NYT 24.12.2019).

Die nächsten Wahlen im Irak sind die Provinzwahlen am 20.4.2020, wobei es sich um die zweite Verschiebung des ursprünglichen Wahltermins vom 22.12.2018 handelt. Es ist unklar, ob die Wahl in allen Gouvernements des Irak stattfinden wird, insbesondere in jenen, die noch mit der Rückkehr von IDPs und dem Wiederaufbau der Infrastruktur zu kämpfen haben. Die irakischen Provinzwahlen umfassen nicht die Gouvernements Erbil, Sulaymaniyah, Duhok und Halabja, die alle Teil der KRI sind, die von ihrer eigenen Wahlkommission festgelegte Provinz- und Kommunalwahlen durchführt (Kurdistan24 17.6.2019).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020

-        Al Jazeera (15.9.2018): Deadlock broken as Iraqi parliament elects speaker, https://www.aljazeera.com/news/2018/09/deadlock-broken-iraqi-parliament-elects-speaker-180915115434675.html, Zugriff 13.3.2020

-        AW - Arab Weekly, The (4.12.2019): Confessional politics ensured Iran’s colonisation of Iraq, https://thearabweekly.com/confessional-politics-ensured-irans-colonisation-iraq, Zugriff 13.3.2020

-        CIA - Central Intelligence Agency (28.2.2020): The World Factbook – Iraq, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/iz.html, Zugriff 13.3.2020

-        DW - Deutsche Welle (2.10.2018): Iraqi parliament elects Kurdish moderate Barham Salih as new president, https://www.dw.com/en/iraqi-parliament-elects-kurdish-moderate-barham-salih-as-new-president/a-45733912, Zugriff 13.3.2020

-        Fanack (2.9.2019): Governance & Politics of Iraq, https://fanack.com/iraq/governance-and-politics-of-iraq/, Zugriff 13.3.2020

-        GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (1.2020a): Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/irak/geschichte-staat/, Zugriff 13.3.2020

-        ISW - Institute for the Study of War (24.5.2018): Breaking Down Iraq's Election Results, http://www.understandingwar.org/backgrounder/breaking-down-iraqs-election-results, Zugriff 13.3.2020

-        KAS - Konrad Adenauer Stiftung (5.10.2018): Politische Weichenstellungen in Bagdad und Wahlen in der Autonomen Region Kurdistan, https://www.kas.de/c/document_library/get_file?uuid=e646d401-329d-97e0-6217-69f08dbc782a&groupId=252038, Zugriff 13.3.2020

-        KAS - Konrad Adenauer Stiftung (2.5.2018): Mapping the Major Political Organizations and Actors in Iraq since 2003, http://www.kas.de/wf/doc/kas_52295-1522-1-30.pdf?180501131459, Zugriff 13.3.2020

-        Kurdistan24 (17.6.2019): Iraq's electoral commission postpones local elections until April 2020, https://www.kurdistan24.net/en/news/80728bf3-eb95-4e76-a30f-345cf9a48d3c, Zugriff 13.3.2020

-        NYT - The New York Times (24.12.2019): Iraq’s New Election Law Draws Much Criticism and Few Cheers, https://www.nytimes.com/2019/12/24/world/middleeast/iraq-election-law.html, Zugriff 13.3.2020

-        Reuters (17.3.2020): Little-known ex-governor Zurfi named as new Iraqi prime minister-designate, https://www.reuters.com/article/us-iraq-pm-designate/iraqi-president-salih-names-adnan-al-zurfi-as-new-prime-minister-designate-state-tv-says-idUSKBN21419J?il=0, Zugriff 17.3.2020

-        Reuters (1.3.2020): Iraq's Allawi withdraws his candidacy for prime minister post: tweet, https://www.reuters.com/article/us-iraq-politics-primeminister/iraqs-allawi-withdraws-his-candidacy-for-prime-minister-post-tweet-idUSKBN20O2AD, Zugriff 13.3.2020

-        RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (6.2.2020): Iraqi Protesters Clash With Sadr Backers In Deadly Najaf Standoff, https://www.ecoi.net/en/document/2024704.html, Zugriff 13.3.2020

-        RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (24.12.2019): Iraqi Parliament Approves New Election Law, https://www.ecoi.net/de/dokument/2021836.html, Zugriff 13.3.2020

-        RoI - Republic of Iraq (15.10.2005): Constitution of the Republic of Iraq, http://www.refworld.org/docid/454f50804.html, Zugriff 13.3.2020

-        Standard, Der (2.3.2020): Designierter irakischer Premier Allawi bei Regierungsbildung gescheitert, https://www.derstandard.at/story/2000115222708/designierter-irakischer-premier-allawi-bei-regierungsbildung-gescheitert, Zugriff 13.3.2020

-        ZO - Zeit Online (2.10.2018): Irak hat neuen Präsidenten gewählt, https://www.zeit.de/politik/ausland/2018-10/barham-salih-irak-praesident-wahl, Zugriff 13.3.2020

Sicherheitslage

Im Dezember 2017 erklärte die irakische Regierung den militärischen, territorialen Sieg über den Islamischen Staat (IS) (Reuters 9.12.2017; vgl. AI 26.2.2019). Die Sicherheitslage hat sich, seitdem verbessert (FH 4.3.2020). Ende 2018 befanden sich die irakischen Sicherheitskräfte (ISF) in der nominellen Kontrolle über alle vom IS befreiten Gebiete (USDOS 1.11.2019).

Derzeit ist es staatlichen Stellen nicht möglich, das Gewaltmonopol des Staates sicherzustellen. Insbesondere schiitische Milizen, aber auch sunnitische Stammesmilizen handeln eigenmächtig. Die im Kampf gegen den IS mobilisierten, zum Teil vom Iran unterstützten Milizen sind nur eingeschränkt durch die Regierung kontrollierbar und stellen eine potenziell erhebliche Bedrohung für die Bevölkerung dar. Durch die teilweise Einbindung der Milizen in staatliche Strukturen (zumindest formaler Oberbefehl des Ministerpräsidenten, Besoldung aus dem Staatshaushalt) verschwimmt die Unterscheidung zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren (AA 12.1.2019).

In der Wirtschaftsmetropole Basra im Süden des Landes können sich die staatlichen Ordnungskräfte häufig nicht gegen mächtige Stammesmilizen mit Verbindungen zur Organisierten Kriminalität durchsetzen. Auch in anderen Landesteilen ist eine Vielzahl von Gewalttaten mit rein kriminellem Hintergrund zu beobachten (AA 12.1.2019). Insbesondere in Bagdad kommt es zu Entführungen durch kriminelle Gruppen, die Lösegeld für die Freilassung ihrer Opfer fordern (FIS 6.2.2018). Die Zahl der Entführungen gegen Lösegeld zugunsten extremistischer Gruppen wie dem IS oder krimineller Banden ist zwischenzeitlich zurückgegangen (Diyaruna 5.2.2019), aber UNAMI berichtet, dass seit Beginn der Massenproteste vom 1.10.2019 fast täglich Demonstranten in Bagdad und im gesamten Süden des Irak verschwunden sind. Die Entführer werden als „Milizionäre“, „bewaffnete Organisationen“ und „Kriminelle“ bezeichnet (New Arab 12.12.2019).

Die zunehmenden Spannungen zwischen dem Iran und den USA stellen einen zusätzlichen, die innere Stabilität des Irak gefährdenden Einfluss dar (ACLED 2.10.2019a). Nach einem Angriff auf eine Basis der Volksmobilisierungskräfte (PMF) in Anbar, am 25. August (Al Jazeera 25.8.2019), erhob der irakische Premierminister Mahdi Ende September erstmals offiziell Anschuldigungen gegen Israel, für eine Reihe von Angriffen auf PMF-Basen seit Juli 2019 verantwortlich zu sein (ACLED 2.10.2019b; vgl. Reuters 30.9.2019). Raketeneinschläge in der Grünen Zone in Bagdad, nahe der US-amerikanischen Botschaft am 23. September 2019, werden andererseits pro-iranischen Milizen zugeschrieben, und im Zusammenhang mit den Spannungen zwischen den USA und dem Iran gesehen (ACLED 2.10.2019b; vgl. Al Jazeera 24.9.2019; Joel Wing 16.10.2019).

Als Reaktion auf die Ermordung des stellvertretenden Leiters der PMF-Kommission, Abu Mahdi Al-Muhandis, sowie des Kommandeurs der Quds-Einheiten des Korps der Islamischen Revolutionsgarden des Iran, Generalmajor Qassem Soleimani, durch einen Drohnenangriff der USA am 3.1.2020 (Al Monitor 23.2.2020; vgl. MEMO 21.2.2020; Joel Wing 15.1.2020) wurden mehrere US-Stützpunkte durch den Iran und PMF-Milizen mit Raketen und Mörsern beschossen (Joel Wing 15.1.2020).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020

-        ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (2.10.2019a): Mid-Year Update: Ten Conflicts to Worry About in 2019, https://www.acleddata.com/2019/08/07/mid-year-update-ten-conflicts-to-worry-about-in-2019/, Zugriff 13.3.2020

-        ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (2.10.2019b): Regional Overview – Middle East 2 October 2019, https://www.acleddata.com/2019/10/02/regional-overview-middle-east-2-october-2019/, Zugriff 13.3.2020

-        AI - Amnesty International (26.2.2019): Human rights in the Middle East and North Africa: Review of 2018 - Iraq [MDE 14/9901/2019], https://www.ecoi.net/en/file/local/2003674/MDE1499012019ENGLISH.pdf, Zugriff 13.3.2020

-        Al Jazeera (24.9.2019): Two rockets 'hit' near US embassy in Baghdad's Green Zone, https://www.aljazeera.com/news/2019/09/rockets-hit-embassy-baghdad-green-zone-190924052551906.html, Zugriff 13.3.2020

-        Al Jazeera (25.8.2019): Iraq paramilitary: Israel behind drone attack near Syria border, https://www.aljazeera.com/news/2019/08/iraq-paramilitary-israel-drone-attack-syria-border-190825184711737.html, Zugriff 13.3.2020

-        Al Monitor (23.2.2020): Iran struggles to regain control of post-Soleimani PMU, https://www.al-monitor.com/pulse/originals/2020/02/iraq-iran-soleimani-pmu.html, Zugriff 13.3.2020

-        Diyaruna (5.2.2019): Baghdad sees steep decline in kidnappings, https://diyaruna.com/en_GB/articles/cnmi_di/features/2019/02/05/feature-02, Zugriff 13.3.2020

-        FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Iraq, https://freedomhouse.org/country/iraq/freedom-world/2020, Zugriff 13.3.2020

-        FIS - Finnish Immigration Service (6.2.2018): Finnish Immigration Service report: Security in Iraq variable but improving, https://yle.fi/uutiset/osasto/news/finnish_immigration_service_report_security_in_iraq_variable_but_improving/10061710, Zugriff 13.3.2020

-        Joel Wing, Musings on Iraq (15.1.2020): Pro-Iran Hashd Continue Attacks Upon US Interests In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/01/pro-iran-hashd-continue-attacks-upon-us.html, Zugriff 13.3.2020

-        Joel Wing, Musings on Iraq (16.10.2019): Islamic State Not Following Their Usual Pattern In Attacks In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/10/islamic-state-not-following-their-usual.html, Zugriff 13.3.2020

-        MEMO - Middle East Monitor (21.1.2020): Iraq’s PMF appoints new deputy head as successor to Al-Muhandis, https://www.middleeastmonitor.com/20200221-iraqs-pmf-appoints-new-deputy-head-as-successor-to-al-muhandis/, Zugriff 13.3.2020

-        New Arab, The (12.12.2019): 'We are not safe': UN urges accountability over spate of kidnappings, assassinations in Iraq, https://www.alaraby.co.uk/english/news/2019/12/11/un-urges-accountability-over-spate-of-iraq-kidnappings-assassinations, Zugriff 13.3.2020

-        Reuters (9.12.2017): Iraq declares final victory over Islamic State, https://www.reuters.com/article/us-mideast-crisis-iraq-islamicstate/iraq-declares-final-victory-over-islamic-state-idUSKBN1E30B9, Zugriff 13.3.2020

-        Reuters (30.9.2019): Iraqi PM says Israel is responsible for attacks on Iraqi militias: Al Jazeera, https://www.reuters.com/article/us-iraq-security/iraqi-pm-says-israel-is-responsible-for-attacks-on-iraqi-militias-al-jazeera-idUSKBN1WF1E5, Zugriff 13.3.2020

-        USDOS - US Department of State (1.11.2019): Country Report on Terrorism 2018 - Chapter 1 - Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2019162.html, Zugriff 13.3.2020

Sicherheitsrelevante Vorfälle, Opferzahlen

Vom Irak-Experten Joel Wing wurden im Lauf des Monats November 2019 für den Gesamtirak 55 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 47 Toten und 98 Verletzten verzeichnet, wobei vier Vorfälle, Raketenbeschuss einer Militärbasis und der „Grünen Zone“ in Bagdad (Anm.: ein geschütztes Areal im Zentrum Bagdads, das irakische Regierungsgebäude und internationale Auslandvertretungen beherbergt), pro-iranischen Volksmobilisierungskräften (PMF) zugeschrieben werden (Joel Wing 2.12.2019). Im Dezember 2019 waren es 120 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 134 Toten und 133 Verletzten, wobei sechs dieser Vorfälle pro-iranischen Gruppen zugeschrieben werden, die gegen US-Militärlager oder gegen die Grüne Zone gerichtet waren (Joel Wing 6.1.2020). Im Jänner 2020 wurden 91 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 53 Toten und 139 Verletzten verzeichnet, wobei zwölf Vorfälle, Raketen- und Mörserbeschuss, pro-iranischen PMF, bzw. dem Iran zugeschrieben werden, während der Islamische Staat (IS) für die übrigen 79 verantwortlich gemacht wird (Joel Wing 3.2.2020). Im Febraur 2020 waren es 85 Vorfälle, von denen drei auf pro-iranischen PMF zurückzuführen sind (Joel Wing 5.3.2020).

Der Rückgang an Vorfällen mit IS-Bezug Ende 2019 wird mit den Anti-Regierungsprotesten in Zusammenhang gesehen, da der IS bereits in den vorangegangenen Jahren seine Angriffe während solcher Proteste reduziert hat. Schließlich verstärkte der IS seine Angriffe wieder (Joel Wing 3.2.2020).

Die folgende Grafik von ACCORD zeigt im linken Bild, die Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle mit mindestens einem Todesopfer im vierten Quartal 2019, nach Gouvernements aufgeschlüsselt. Auf der rechten Karte ist die Zahl der Todesopfer im Irak, im vierten Quartal 2019, nach Gouvernements aufgeschlüsselt, dargestellt (ACCORD 26.2.2020).

(ACCORD 26.2.2020)

Die folgenden Grafiken von Iraq Body Count (IBC) stellen die von IBC im Irak dokumentierten zivilen Todesopfer dar. Seit Februar 2017 sind nur vorläufige Zahlen (in grau) verfügbar. Das erste Diagramm stellt die von IBC dokumentierten zivilen Todesopfer im Irak seit 2003 dar (pro Monat jeweils ein Balken) (IBC 2.2020).

(IBC 2.2020)

Die zweite Tabelle gibt die Zahlen selbst an. Laut Tabelle dokumentierte IBC im Oktober 2019 361 zivile Todesopfer im Irak, im November 274 und im Dezember 215, was jeweils einer Steigerung im Vergleich zum Vergleichszeitraum des Vorjahres entspricht. Im Jänner 2020 wurden 114 zivile Todesopfer verzeichnet, was diesen Trend im Vergleich zum Vorjahr wieder umdrehte (IBC 2.2020).

(IBC 2.2020)

Quellen:

-        ACCORD (26.2.2020): Irak, 4. Quartal 2018: Kurzübersicht über Vorfälle aus dem Armed Conflict Location & Event Data Project (ACLED), https://www.ecoi.net/en/file/local/2025321/2018q4Iraq_de.pdf, Zugriff 13.3.2020

-        IBC - Iraq Bodycount (2.2020): Monthly civilian deaths from violence, 2003 onwards, https://www.iraqbodycount.org/database/, Zugriff 13.3.2020

-        Joel Wing, Musings on Iraq (5.3.2020): Violence Largely Unchanged In Iraq In February 2020, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/03/violence-largely-unchanged-in-iraq-in.html, Zugriff 13.3.2020

-        Joel Wing, Musings on Iraq (3.2.2020): Violence Continues Its Up And Down Pattern In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/02/violence-continues-its-up-and-down.html, Zugriff 13.3.2020

-        Joel Wing, Musings on Iraq (6.1.2020): Islamic State Makes Its Return In December 2019, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/01/islamic-state-makes-its-return-in.html, Zugriff 13.3.2020

-        Joel Wing, Musings on Iraq (2.12.2019): Islamic State Waits Out The Protests In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/12/islamic-state-waits-out-protests-in-iraq.html, Zugriff 13.3.2020

Sicherheitslage Ninewa

Das Gouvernement Ninawa ist im Nordwesten des Irak gelegen und grenzt einerseits im Westen an Syrien und im Norden und im Osten an die Gouvernements Dohuk und Erbil, sohin die autonomen Region Kurdistan. Im Süden und Südosten grenzt das Gouvernement Ninawa an die Gouvernements Anbar und Salah ad-Din. Ninewa ist mit 37 323 km² (8,6% der Gesamtgröße des Irak) das drittgrößte Gouvernement und hat die zweitgrößte Bevölkerung im Irak (3.729.998 Menschen im Jahr 2018). Die Hauptstadt von Ninawa ist Mossul im Nordosten und mit geschätzte Bevölkerung von mehr als 1,5 Millionen Einwohnern. Die zweitgrößte Stadt ist Tal Afar, nordwestlich von Mossul. Andere große Städte sind Sinjar im Westen und Qayara im Süden.

Das Gouvernement Ninawa ist in neun Distrikte gegliedert, nämlich Mossul, Tel Kayf, Sheikhan, Akre, Tel Afar, Sinjar, Ba’aj, al-Hatra, und Hamdaniya. Mossul ist ein wichtiger regionaler Verkehrsknotenpunkt mit direkten Straßenverbindungen nach Bagdad, Kirkuk, Erbil, Dohuk sowie nach Syrien und in die Türkei, über Tal Afar und die syrische Grenze bei Rabia im Norden und nach Sinjar und Syrien im Westen

Ninewa ist das ethnisch vielfältigste Gouvernement des Irak. Die Mehrheit bilden sunnitische Araber, aber auch andere Gruppen teilen Macht und Einfluss: Die Kurden dominieren in den Distrikten Akre und Sheikhan. Die Distrikte Akre und Sheikhan wurden von der KRG seit der Errichtung der Grünen Linie nach dem Waffenstillstand zwischen Saddam Hussein und den Kurden im Jahr 1991 verwaltet. Die Ninewa-Ebene, östlich und nordöstlich von Mosul, ist das Gebiet, auf dem die Mehrheit der Christen des Gouvernements und die Angehörigen der ethno-religiösen Gruppe der Shabak leben (dieses Gebiet enthält auch große Ölfelder). In Tal Afar sind die Turkmenen (sowohl sunnitischer als auch schiitischer Religion) mehrheitlich vertreten, während in Sinjar mehrheitlich Jesiden leben, ebenso wie in ihrer heiligen Stadt Lalish im Distrikt Sheikhan. Aufgrund der ethnischen Vielfalt in Ninewa erhielt ein Großteil des Gouvernements die Einstufung als umstrittenes Gebiet gemäß Artikel 140 der irakischen Verfassung. Die Kontrolle über die nördlichen und östlichen Teile des Gouvernements bleibt umstritten. Die Grenzlinie der Kontrollgebiete zwischen kurdischen und irakischen Einheiten liegt heute in der Ninewa-Ebene und im Tal-Afar-Distrikt.

In Ninewa ging der Besetzung durch den Islamischen Staat ein jahrelanger Zustand von gewalttätigem Extremismus und organisiertem Verbrechen voraus, verursacht von verschiedenen konkurrierenden Milizen, von denen einige Vorläufer des Islamischen Staates und/oder Rivalen waren. Ninewa wird sowohl als „langjähriges Zentrum des sunnitisch-arabischen Nationalismus im Irak“ beschrieben wie auch als Hochburg von Al-Qaida im Irak.

Mossul wurde im Juni 2014 vom Islamischen Staat handstreichartig übernommen und besetzt. Angriffe der Milizen des Islamischen Staates auf Sinjar, Zummar und die Ninewa-Ebene im August 2014 vertrieben fast 1 Million Menschen innerhalb weniger Wochen. Der Fall von Mosul im Juni 2014 und der Rückzug der kurdischen Streitkräfte aus weiten Teilen des Gouvernements führten im August 2014 zu einer großflächigen Verfolgung der Minderheiten durch die Milizen des Islamischen Staates: Turkmenen, Christen, Jesiden, Shabak, Kaka'i und andere Gruppen waren Folter, öffentlichen Hinrichtungen, Kreuzigungen, Entführungen und sexueller Sklaverei ausgesetzt.

Die Rückeroberung Mossul dauerte mehr als neun Monate. Der militärische Sieg über die Milizen des Islamischen Staates wurde erst Anfang Juli 2017 offiziell bekannt gegeben. Dabei war die Schlacht und insbesondere der zweite Teil mit der Eroberung der historischen Stadt West-Mosul die bislang härteste Auseinandersetzung zwischen den Milizen des Islamischen Staates und irakischen Regierungstruppen. Die Stadt erlitt während des gesamten Konflikts schwere Schäden. Während der Feindseligkeiten wurde eine große Zahl von Zivilisten getötet, Schätzungen zufolge waren 4.194 Tote und Verwundete zu beklagen. Eine Quelle gab an, dass mehr als 40.000 Zivilisten infolge der massiven Luft- und Artillerieangriffe der irakischen Sicherheitskräfte und der internationalen Koalition getötet worden sein könnten. Noch heute sind die Trümmer mit Sprengkörpern verschiedener Art kontaminiert, darunter nicht explodierte Minen und Sprengfallen.

Im November 2018 veröffentlichte die UNAMI einen Bericht, wonach 202 Massengräber seit Juni 2014 entdeckt wurden, von denen Berichten zufolge die überwiegende Mehrheit Opfer des Islamischen Staates beinhalten. Schätzungen vom UNAMI zufolge wurden 6.000 bis über 12.000 Opfer des Islamischen Staates dermaßen begraben, wobei die meisten in Massengräbern den Gouvernements Ninewa (95), Kirkuk (37), Salah al-Din (36) und Anbar (24) beigesetzt sind. Zu den Opfern zählen Frauen, Kinder, ältere Menschen und Menschen mit Behinderungen, Mitglieder und ehemalige Mitglieder der irakischen Streitkräfte und der Polizei sowie einige ausländische Arbeiter. Die meisten Massengräber in Ninawa wurden um Mosul und Distrikt Sinjar aufgefunden. Die unbestätigte Zahl der Opfer in den Massengräbern in Ninewa liegt zwischen 4.000 und 10.500. Minderheitengemeinschaften reagierten auf die Bedrohung durch den Islamischen Staat und die Tatsache, dass die irakische Armee und in gewissem Ausmaß auch die Peschmerga während der Offensive des Islamischen Staates 2014 ihre Posten aufgaben, indem sie lokalen Milizen in großer Zahl etablierten und ihre Loyalität dahingehend ausrichteten.

Sicherheitskräfte im Gouvernement Ninawa

Nach dem Sieg über das sogenannte Kalifat sind in Ninewa eine Vielzahl von bewaffneten Gruppen aktiv. Die wichtigsten bewaffneten Akteure können in die folgenden Kategorien eingeteilt werden: Irakische Sicherheitskräfte (ISF), Volksmobilmachungseinheiten (PMF), kurdische Sicherheitskräfte (Peschmerga)n an der autonomen Region Kurdistan ausgerichtete Milizen, nicht ausgerichtete Milizen, ausländische Streitkräfte und Aufständische.

Die regulären Einheiten der ISF in Ninewa untersteht dem Ninewa Operations Command (NOC), mit Ausnahme des Counterterrorism Service (CTS), der der irakischen Regierung direkt unterstellt ist. Das NOC befindet sich in Ost-Mosul. Quellen zufolge sind stellen die ISF in Ninewa der (zahlenmäßig) bedeutendste Teil der staatlichen Sicherheitskräfte. Das CTS hat den Ruf, die am besten ausgebildete, effektivste und disziplinierteste Einheit des Irak zu sein. Es hat die Fähigkeit, über konfessionelle Grenzen hinweg zu rekrutieren, und dies hat zu seiner weit verbreiteten Akzeptanz im Irak beigetragen. Die CTS-Soldaten durchlaufen vor der Aufnahme ein striktes Überprüfungsverfahren und dürfen sich weder politischen Parteien anschließen, noch sich konfessionell äußern bzw. betätigen. Das CTS besteht aus drei Brigaden, von denen die ISOF-2 die zentrale Einheit in Ninewa und hauptsächlich in der Nähe von Mossul stationiert ist. Bei den Kämpfen um Mossul hatte das CTS eine zentrale Rolle und erlitt schwere Verluste bei den Kämpfen. Es kehrte zu seiner früheren Rolle als schnelle Reaktionstruppe mit hoher Mobilität zurück. Die Kommandostruktur des CTS arbeitet parallel zum NOC und berichtet nicht an das Verteidigungsministerium, sondern direkt an den Premierminister.

Das Gouvernement Ninewa ist seit Februar 2018 in drei Bereiche unterteilt. Die Stadt Mossul wird von der örtlichen Polizei kontrolliert. Die Außenbezirke von Mossul werden von verschiedenen PMF-Milizen kontrolliert, wobei sowohl schiitische als auch lokale Milizen vertreten sind. Der Rest des Gouvernements, insbesondere die südlichen und nördlichen Gebiete von Ninewa, wird von der irakischen Armee kontrolliert. Die irakische Armee unterhält eine namhafte Streitmacht in Ninewa, nämlich die 15. und 16. Infanteriedivision, die 20. Infanteriedivision und Teile der 9. Panzerdivision sind derzeit dem NOC zugeordnet. Vor der militärischen Auseinandersetzung mit dem Islamischen Staat hatte die irakische Armee ein schwieriges Verhältnis zur sunnitisch-arabischen Bevölkerung in Ninewa. Sie war bekannt für Misshandlungen an Kontrollpunkten und harsche Reaktionen auf aufständische Angriffe. Darüber hinaus erfolgte die Rekrutierung in den früheren Jahren der US-Besatzung nach dem Sturz Saddam Husseins überwiegend in kurdischen Kreisen, weil sunnitische Araber nicht bereit waren, in der (neuen) irakischen Armee Dienst zu leisten. Nach der Befreiung vom Islamischen Staat hat sich das Image der irakischen Armee in Ninewa erheblich verbessert, obwohl viele lokale Führer sich dafür einsetzen, ihren Einfluss zu verringern. Auch das Verteidigungsministerium strebt den Abzug von Armeeeinheiten aus Städten und eine Konzentration auf große Armeestützpunkte an. Dessen ungeachtet kommt der irakischen Armee weiterhin eine wichtige Rolle bei der Sicherung von Mossul zu, indem sie Checkpoints besetzt und sicherheitspolitische Entscheidungen beeinflusst. Ein Teil der neuen Popularität der irakischen Armee rührt von der Präferenz der sunnitischen Bevölkerung für die Armee im Vergleich zu den von den Schiiten dominierten Milizen her.

Die lokale Polizei ist innerhalb des Gouvernements Ninawa tätig und weniger militarisiert als die irakische Bundespolizei. Lokale Polizeikräfte verfügten häufig nur über ungepanzerte Fahrzeuge und tragen nur leichte Schusswaffen. Die Polizei des Gouvernements Ninewa (shurta muhafiza Ninewa) ist für die Gefahrenabwehr und die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit im Gouvernements verantwortlich und steht der lokalen Bevölkerung theoretisch am nächsten. Lokale Polizeikräfte sind auch in erster Linie für die Abwehr von Terrorismus und Kriminalität verantwortlich. Aus diesem Grund sind sie einem höheren Risiko ausgesetzt, von Aufständischen angegriffen zu werden. Sie werden vor Ort angeworben, dies bedeutet jedoch auch, dass sie und ihre Familien leichter entführt oder ermordet werden können. Quellen gaben im April 2018 an, dass die Stadt Mossul von der örtlichen Polizei kontrolliert wird.

Irakische Grenzschutzbeamte (haras hadud alIraq) operieren hauptsächlich an der syrischen Grenze im Westen von Ninewa, insbesondere in der Grenzstadt Rabia. Die Grenzschutzbeamten sind auch dafür verantwortlich, Kämpfer des Islamischen Staates daran zu hindern, aus Syrien nach Ninewa einzusickern. Sie erhalten jedoch Unterstützung von den PMF bei der Sicherung abgelegener Grenzregionen.

Die irakische Bundespolizei (shurta itihadiya) und ihre Emergency Response Division (ERD, furqa ar-red as-suriya) wurden bei der Befreiung von Mossul eingesetzt, sind aber derzeit nur mehr untergeordnet im Gouvernement Ninawa vertreten. Einige Einheiten der irakischen Bundespolizei wurden Anfang 2018 nach Kirkuk verlegt, die im Gouvernement Ninawa verbliebenen Einheiten werden aber als schlagkräftig beschrieben.

PMF-Einheiten kontrollieren Quellen zufolge den östlichen Teil des Gouvernements Ninewa und gelten (nach der irakischen Armee) als zweitbedeutendster Akteur in Ninewa. Die Außenbezirke von Mosul werden von verschiedenen PMF-Milizen kontrolliert, darunter sind sowohl schiitische als auch lokale Milizen. In einem Bericht der International Crisis Group vom Juli 2018 wurde festgestellt, dass sich mehrere PMF-Milizen, darunter Asa'ib Ahl al-Haqq, die al-Abbas Fighting Division und Kataeb Sayed al-Shuhada, in der Nähe von Mossul befinden. Im Süden des Gouvernements unterhält Saraya al-Salam einige Einheiten, während im Westen die Milizen Sarayat al-Jihad, Harakat Hizbollah al-Nujaba und die Ali al-Akbar-Brigade aktiv sind. Seit Mai 2017 wird die Stärke der PMF-Milizen in Ninewa auf 18 000 Kämpfer geschätzt. In einem Bericht vom Februar 2018 wies die International Crisis Group darauf hin, dass Sinjar seit Oktober 2017 von vom Iran unterstützten PMF-Milizen militärisch und politisch kontrolliert wird. Im Distrikt Sinjar sind PMF-Milizen an der irakisch-syrischen Grenze stationiert, diese haben jesidische Stammesführer kooptiert und rekrutieren Jesiden vor Ort. Sie kontrollieren auch strategische Straßen und ernennen Verwaltungsbeamte.

Anfang August 2018 erließ der stellvertretende Vorsitzende des irakischen Komitees für Volksmobilisierung drei Anordnungen zur Umstrukturierung und Umverteilung der PMF, die in Ninewa zuerst umgesetzt wurden. Die PMF begann zunächst, sich aus den Unterbezirken Rabi’a und Zummar in Tal Afar und aus Teilen von Sinjar zurückzuziehen. Am 21.08.2018 hob der Ministerpräsident die Anordnungen jedoch auf und stellte ihre Rechtmäßigkeit in Frage, ohne zuvor den Oberbefehlshaber konsultiert und mit dem irakischen Befehl für gemeinsame Operationen abgestimmt zu haben. Der Premierminister erklärte später, dass die Neuverteilung von PMF-Milizen den Aufständischen die Möglichkeit bieten würde, Angriffe zu starten, und verfügte, dass alle PMF-Operationen durch das Büro des Premierministers koordiniert werden müssten, welches künftig das Komitee für Volksmobilisierung leiten würde.

Die im Gouvernement Ninewa stationierten schiitischen Schabak-Milizen ergänzen größeren PMF-Einheiten, insbesondere jene der Badr-Brigaden. Die Schabak-Kämpfer sind Teil der 30. Brigade der PMF, zu der auch eine chaldäische Subtruppe gehört, die als Babylon-Brigade bekannt ist und von dem chaldäischen Kommandeur Rayan al-Kildani angeführt wird. Die Babylon-Brigade war in Frontkampf- und bei der Sicherung von Gebieten aktiv und wurde für ihre harsche Behandlung sunnitischer Araber bekannt. Die Einheit hat auch PMF-Einheiten bei Operationen im Gouvernement Ninewa in den Orten Qayara und Nimrud begleitet. Sie betreiben auch weiterhin Checkpoints in Bartela.

Andere lokale Gruppen sind die Ninewa Plains Protection Units (NPU), eine vorwiegend christliche Miliz, die die Sicherheit in Karakosch überwacht. Sie wird von der Assyrischen Demokratischen Union gesponsert und ist in die PMF eingegliedert. Die Ninewa Plains Forces (NPF) ist eine schiitische Schabak-Einheit in Ost-Mosul und in der Ninewa-Ebene, die ebenfalls Teil der PMF ist. Eine weitere Gruppe ebenfalls mit dem Namen Ninewa Plains Forces ist eine von der autonomen Region Kurdistan unterstützte christliche Gruppe (siehe dazu unten). Die Babylon-Brigade ist eine gemischte christlich-schiitisch- arabische Einheit mit einer Schabak-Komponente, die ebenfalls Einfluss auf die Ninewa-Ebene hat und enge operative Beziehungen zu den NPF unterhält. Die Al-Hashd al-Turkmani ist eine schiitisch-turkmenische Einheit und hauptsächlich innerhalb der 16. und 52. PMF-Brigade organisiert, sie sind im Tal Afar-Gebiet stationiert. Das Lalish-Bataillon ist eine jesidische Einheit, die keine umstrittenen Beziehungen zur Führung der PMF unterhält, aber nicht so viel Unterstützung erhält, wie schiitische Gruppen. Die Haras Ninewa sind eine weitgehend sunnitische Einheit, angeführt von dem ehemaligen Gouverneur Atheel al-Nujaifi und ausgebildet von der türkischen Armee im Bashiqa-Lager nordöstlich von Mosul. Laut einem Bericht der International Crisis Group vom Juli 2018 erhält die Gruppe zeitweise Gehälter von vom Komitee für Volksmobilisierung. Die Haras Ninewa wurden gegründet, um den islamischen Staat zu bekämpfen und dienen nunmehr als Leibwächter von Atheel al-Nujaifi.

Die Ali al-Akbar Brigade, eine dem schiitischen Großayatollah Ali al-Sistani z

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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