Entscheidungsdatum
12.07.2021Norm
AsylG 2005 §11Spruch
W204 2213734-1/34E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Esther SCHNEIDER über die Beschwerde des A XXXX A XXXX , geb. am XXXX 1999, Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch die BBU GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 14.01.2019, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:
A)
Der Beschwerde wird stattgegeben, der angefochtene Bescheid behoben und A XXXX A XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG der Status des Asylberechtigten zuerkannt.
Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG wird festgestellt, dass A XXXX A XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
Die Spruchpunkte II. bis VI. des angefochtenen Bescheids werden ersatzlos behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
I.1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF), ein afghanischer Staatsbürger, reiste in das Bundesgebiet ein und stellte am 24.01.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz.
I.2. Tags darauf wurde der BF durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Landespolizeidirektion Niederösterreich niederschriftlich erstbefragt. Zu seinen Fluchtgründen führte der BF aus, er habe aufgrund der Taliban-Präsenz in seinem Dorf Angst gehabt und sich deshalb verstecken müssen. Außerdem werde er aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit schlecht behandelt.
I.3. In einem vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) eingeholten medizinischen Sachverständigengutachten vom 23.06.2016 wurde auf Grundlage einer am 27.04.2016 durchgeführten multifaktoriellen Untersuchung zur Altersdiagnose festgehalten, dass der BF zum Zeitpunkt der Antragstellung ein Mindestalter von 16,84 Jahren aufwies.
I.4. Am 21.11.2018 wurde der BF von dem zur Entscheidung berufenen Organwalter des BFA in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Dari und einer Vertrauensperson unter anderem zu seinem Gesundheitszustand, seiner Identität, seinen Lebensumständen in Afghanistan, seinen Familienangehörigen und seinen Lebensumständen in Österreich befragt. Nach den Gründen befragt, die den BF bewogen, seine Heimat zu verlassen, gab er an, dass eines Abends drei Talibanmitglieder zum BF nach Hause gekommen seien. Diese hätten seine Eltern geschlagen, um deren Widerstand zu brechen und den BF mitgenommen. Dem BF sei jedoch die Flucht aus der Gefangenschaft der Taliban gelungen. Außerdem sei er zum christlichen Glauben, nämlich zu den Zeugen Jehovas, gewechselt.
I.5. Mit Bescheid vom 14.01.2019, dem BF am 15.01.2019 zugestellt, wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem BF nicht erteilt (Spruchpunkt III.), eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt, dass die Abschiebung zulässig sei (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise betrage 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.).
Dazu führte das BFA mit näherer Begründung aus, dass es dem BF nicht gelungen sei, sein Fluchtvorbringen glaubhaft zu machen. Er sei auch nicht innerlich konvertiert. Dem BF sei eine Rückkehr nach Afghanistan möglich und zumutbar, sodass der Antrag auf internationalen Schutz abzuweisen sei. Gemäß § 57 AsylG sei auch eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz nicht zu erteilen, weil die Voraussetzungen nicht vorlägen. Letztlich hätten auch keine Gründe festgestellt werden können, wonach bei einer Rückkehr des BF gegen Art. 8 Abs. 2 EMRK verstoßen werde, weswegen auch eine Rückkehrentscheidung zulässig sei.
I.6. Mit Verfahrensanordnung vom 14.01.2019 wurde dem BF amtswegig ein Rechtsberater zur Seite gestellt.
I.7. Gegen den unter I.5. genannten Bescheid richtet sich die Beschwerde vom 25.01.2019 wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und Verletzung von Verfahrensvorschriften. Es wurde beantragt, eine Verhandlung durchzuführen, dem BF den Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, in eventu ihm den Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, in eventu einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen zu erteilen, in eventu die gegen den BF gefällte Rückkehrentscheidung aufzuheben und dem BF einen Aufenthaltstitel zu erteilen, in eventu die festgestellte Zulässigkeit der Abschiebung aufzuheben, in eventu den Bescheid zu beheben und zur Erlassung eines neuen Bescheids an das BFA zurückzuverweisen.
Das BFA habe ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren geführt, indem es insbesondere seine Feststellungen zur Situation in Afghanistan auf unvollständige Länderberichte gestützt habe. Ebenfalls mangelhaft sei die Beweiswürdigung. Als Konvertit zum Christentum sei dem BF Asyl zu gewähren, weil die Länderfeststellungen darlegten, dass Konvertiten in Afghanistan einer Verfolgung ausgesetzt seien. Unabhängig davon lasse die Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan eine Rückkehr nicht zu, sodass ihm zumindest der Status des subsidiär Schutzberechtigten zu gewähren wäre.
I.8. Die Beschwerde und der Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 29.01.2019 vorgelegt.
I.9. Am 21.02.2019, am 10.02.2020 und am 28.07.2020 langte jeweils ein Nachweis über die dem BF erteilte Beschäftigungsbewilligung ein.
I.10. Am 23.08.2019, am 02.10.2019, am 02.12.2019, am 07.01.2020 sowie am 19.02.2020 langten Verständigungen über den Verdacht eines strafrechtlichen Fehlverhaltens des BF ein. Am 09.10.2020 legte das BFA die gekürzte Urteilsausfertigung vor.
I.11. Am 02.02.2021 langte eine Beschwerdeergänzung ein, in der unter Verweis auf zahlreiche Judikate und Berichte vorgebracht wurde, dass dem BF unter anderem aufgrund seiner Konversion zum Christentum eine asylrelevante Verfolgung drohe. Außerdem verwies der BF auf die durch die COVID-19-Pandemie hervorgerufene Versorgungs- und Sicherheitslage in Afghanistan, die eine Rückkehr jedenfalls verunmögliche. Zudem wurden mehrere Integrationsunterlagen und Beweismittel zur Konversion vorgelegt.
I.12. Am 17.03.2021 zeigte die im Spruch genannte Rechtsvertreterin ihre Bevollmächtigung an.
I.13. Am 25.03.2021 langte die schriftliche Stellungnahme des Taufspenders des BF zu den diesem im Vorfeld übermittelten Fragen ein.
I.14. Am 25.05.2021 führte das Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durch, an der der BF und seine Rechtsvertretung teilnahmen. Das BFA verzichtete auf eine Teilnahme. Im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung wurde der BF im Beisein einer Dolmetscherin für die Sprache Dari u.a. zu seiner Identität und Herkunft, zu den persönlichen Lebensumständen, seinen Familienangehörigen, seinen Fluchtgründen und Rückkehrbefürchtungen sowie zu seinem Privat- und Familienleben in Österreich ausführlich befragt. Zur Konversion des BF wurde ein Zeuge einvernommen.
Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch:
- Einsicht in den dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Verwaltungsakt des BFA betreffend den BF; insbesondere in die Befragungsprotokolle;
- Befragung des BF und eines Zeugen im Rahmen der öffentlichen mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 25.05.2021;
- Einsicht in die im Rahmen des Verfahrens vorgelegten Unterlagen und Stellungnahmen;
- Einsicht in die in das Verfahren eingeführten Länderberichte zur aktuellen Situation im Herkunftsstaat;
- Einsicht in das Strafregister, in das Grundversorgungssystem und in das Zentrale Melderegister.
II. Feststellungen:
II.1. Zur Person des BF:
Der BF führt den im Rubrum genannten Namen und das dortige Geburtsdatum. Seine Identität steht nicht fest. Er ist afghanischer Staatsangehöriger und gehört der Volksgruppe der Hazara an. Seine Muttersprache ist Dari. Außerdem versteht er Farsi und Deutsch.
Der BF wurde in M XXXX G XXXX G XXXX , Provinz Ghazni, geboren, wo er gemeinsam mit seinen sechs Schwestern bei seinen Eltern in deren Eigentumshaus aufwuchs und bis zu seiner Ausreise aus Afghanistan lebte. Der BF hat ein Jahr lang eine Schule sowie fünf Jahre lang eine Koranschule in einer Moschee besucht. Der BF absolvierte keine Berufsausbildung. Er war in Afghanistan nie erwerbstätig. Sein Lebensunterhalt wurde von seinem Vater bestritten.
Die Eltern sowie drei Schwestern des BF leben seit Mitte August 2018 im Iran. Drei weitere Schwestern des BF, welche bereits verheiratet sind, leben mit ihren Familien nach wie vor in der Heimatprovinz. Dort besitzt die Familie auch noch ein Grundstück mit einem kleinen Haus. Die Schwester seines Vaters lebt in Tirol. Der BF steht mit seiner Familie in Kontakt.
Der BF ist nach den afghanischen Gepflogenheiten und der afghanischen Kultur sozialisiert, er ist mit den afghanischen Gepflogenheiten vertraut.
Der BF ist gesund und arbeitsfähig.
Der BF hat im Zeitraum von 24.06.2019 bis 04.08.2019 in wiederholten Angriffen mit dem Vorsatz, sich durch das Verhalten der Getäuschten unrechtmäßig zu bereichern, Verantwortliche der Landesregierung durch das Verschweigen seiner Einkünfte aus seiner Tätigkeit als Zeitungsausträger entgegen einer gesetzlichen Verpflichtung zur Auszahlung der Grundversorgung in Höhe von monatlich EUR 150,-- verleitet. Die Landesregierung wurde dadurch in einem EUR 5.000,-- nicht übersteigenden Betrag am Vermögen geschädigt. Der BF wurde dafür mit rechtskräftigem Urteil eines Bezirksgerichts vom 28.09.2020 zu XXXX wegen des Vergehens des Betrugs nach § 146 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von einem Monat verurteilt, wobei die Probezeit mit drei Jahren bestimmt wurde.
II.2. Zu den Fluchtgründen des BF:
Der BF wurde in Afghanistan als schiitischer Moslem erzogen. Er hielt in Afghanistan die religiösen und gesellschaftlichen Vorschriften im Wesentlichen aufgrund des familiären und gesellschaftlichen Drucks ein, besuchte die Moschee und fastete.
Der BF kam erstmals im Rahmen eines öffentlichen Predigtdienstes mit dem Christentum, insbesondere mit den Zeugen Jehovas, in Kontakt. Nachdem der BF durch die Predigtdienste Interesse für die Zeugen Jehovas entwickelte, suchte er aus eigenem Bestreben die Ortsversammlung der Zeugen Jehovas in XXXX auf. Der BF hat dort ab November 2018 einen einjährigen Taufvorbereitungskurs besucht, wobei dieser anfangs auf Farsi und später nur noch auf Deutsch geführt wurde. Zunächst interessierte sich der BF vor allem für die Bibel und dachte noch nicht an eine Taufe. Der Kurs wurde in einer kleinen Gruppe von drei bis vier Personen abgehalten, wobei der BF der einzige Täufling war. In den Bibelstunden war der BF sehr aufgeschlossen, engagiert und interessiert. Er bereitete sich auf die Stunden vor, stellte viele Fragen und hinterfragte auch die Antworten kritisch. Mit seinem Bibellehrer, dem Seelsorger seiner Gemeinde, ist der BF auch freundschaftlich verbunden und unternimmt mit ihm und dessen Familie private Aktivitäten.
Darüber hinaus besucht der BF seither zwei Mal wöchentlich die Zusammenkünfte dieser Gemeinschaft. Aktuell nimmt der BF aufgrund der COVID-19-Pandemie per Videochat an den Versammlungen teil. Der BF besuchte ein Jahr lang zusätzlich zwei Mal im Monat die Zusammenkünfte der persischsprachigen Gemeinde.
Am 20.11.2018 trat der BF auch offiziell vor der Bezirkshauptmannschaft aus der islamischen Glaubensgemeinschaft aus.
Nach Erfüllung der Voraussetzungen zur Taufe sowie der Erlangung eines ausreichenden Verständnisses der Lehre und dem auf eigenem freien Willen beruhenden Wunsch des BF zur Taufe wurde er am 08.12.2019 getauft. Die Taufe fand auf einem persischsprachigen Kongress in XXXX statt und wurde auf Dari durchgeführt. Der BF beschäftigte und beschäftigt sich auch außerhalb der Taufvorbereitungskurse mit der Bibel und besucht nach wie vor die Bibelstunden.
Der BF ist in seiner Glaubensgemeinschaft gut integriert. Er hält Bibellesungen ab, ist zeitweise für die Reinigung des Versammlungssaals zuständig, informiert die Mitglieder der Glaubensgemeinschaft über bevorstehende Veranstaltungen, übernimmt gelegentlich Missionierungstätigkeiten und missioniert in Asylunterkünften sowie in privaten Haushalten. Bereits vor seiner Taufe beteiligte sich der BF am Predigtwerk von Haus zu Haus und gab Berichte ab. Er ging auch von Anfang an aktiv auf andere ältere Mitglieder der Gemeinde zu, um diesen zu helfen.
Der BF vertritt vor seinen muslimischen Mitbewohnern und anderen Muslimen seinen Glauben öffentlich. Dafür wird er teils verspottet beziehungsweise beschimpft. Der BF hat auch seiner Mutter über die Konversion informiert. Diese lehnt die Konversion zwar ab, akzeptiert den BF aber weiterhin als ihren Sohn.
Der BF hat sich aus freier persönlicher Überzeugung und von Ernsthaftigkeit und Nachhaltigkeit getragen vom muslimischen Glauben ab- und zum christlichen Glauben hingewandt. Er hat seine Persönlichkeit verändert und betet nunmehr freiwillig und oft. Er lehnt Bluttransfusionen ab.
Auch im Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan würde der BF seinen Glauben weiterhin offen und nach außen hin erkennbar ausüben, seine Konversion zum Christentum nicht widerrufen und nicht wieder zum Islam übertreten. Dem BF droht bei einer Rückkehr nach Afghanistan aufgrund seiner Hinwendung zum Christentum und der Verinnerlichung der christlichen Werte von staatlicher und von privater Seite physische und/oder psychische Gewalt.
II.3. Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat:
Die Länderfeststellungen zur Lage in Afghanistan basieren auf nachstehenden Quellen:
- Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan in der Fassung der Gesamtaktualisierung vom 11.06.2021 (LIB),
- UNHCR Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018 (UNHCR),
- EASO Country Guidance: Afghanistan vom Dezember 2020 (EASO).
II.3.1. Religionen
Etwa 99% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon 80 - 89,7% Sunniten. Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben (LIB, Kapitel Religionsfreiheit).
II.3.2. Apostasie, Blasphemie, Konversion
Glaubensfreiheit, die auch eine freie Religionswahl beinhaltet, gilt in Afghanistan de facto nur eingeschränkt. Die Abkehr vom Islam (Apostasie) wird nach der Scharia als Verbrechen betrachtet, auf das die Todesstrafe steht. Neben der drohenden strafrechtlichen Verfolgung werden Konvertiten in der Gesellschaft ausgegrenzt und zum Teil angegriffen (LIB, Kapitel Religionsfreiheit).
Bei der Konversion vom Islam zum Christentum wird in erster Linie nicht das Christentum als problematisch gesehen, sondern die Abkehr vom und der Austritt aus dem Islam. Jeder Konvertit soll laut islamischer Rechtsprechung drei Tage Zeit bekommen, um seinen Konfessionswechsel zu wiederrufen. Sollte es zu keinem Wiederruf kommen, gilt Enthauptung als angemessene Strafe für Männer. Ein Richter kann eine mildere Strafe verhängen, wenn Zweifel an der Apostasie bestehen. Auch kann die Regierung das Eigentum des Abtrünnigen konfiszieren und dessen Erbrecht einschränken. Illegal ist weiters Missionierung und Blasphemie (LIB, Kapitel Religionsfreiheit).
In den letzten Jahren gab es keine Berichte über staatliche Verfolgungen wegen Blasphemie oder Apostasie, jedoch berichten konvertierte Personen, dass sie weiterhin die Annullierung ihrer Ehen, die Ablehnung durch ihre Familien und Gemeinschaften, den Verlust ihres Arbeitsplatzes und möglicherweise die Todesstrafe riskieren. Die afghanische Regierung scheint kein Interesse daran zu haben, negative Reaktionen oder Druck hervorzurufen, weder vom konservativen Teil der afghanischen Gesellschaft, noch von den liberalen internationalen Kräften. Es kann jedoch einzelne Lokalpolitiker geben, die streng gegen mutmaßliche Apostaten vorgehen und es kann auch im Interesse einzelner Politiker sein, Fälle von Konversion oder Blasphemie für ihre eigenen Ziele auszunutzen (LIB, Kapitel Religionsfreiheit). Für christliche Afghanen gibt es keine Möglichkeit der Religionsausübung außerhalb des häuslichen Rahmens. Christen berichten, die öffentliche Meinung stehe ihnen und der Missionierung weiterhin feindselig gegenüber (LIB, Kapitel Religionsfreiheit).
Allen der Verdacht, jemand könnte zum Christentum konvertiert sein, kann dazu führen, dass diese Person bedroht oder angegriffen wird. Die afghanische Gesellschaft hat genereell eine sehr geringe Toleranz gegenüber Menschen, die als den Islam beleidigend oder zurückweisend wahrgenommen werden. Obwohl es auch säkulare Bevölkerungsgruppen gibt, sind Personen, die der Apostasie beschuldigt werden, Reaktionen von Familie, Gemeinschaften oder in einzelnen Gebieten auch von Aufständischen ausgesetzt, aber eher nicht von staatlichen Akteuren. Wegen konservativer sozialer Einstellungen und Intoleranz sowie der Unfähigkeit oder Unwilligkeit der Sicherheitskräfte, individuelle Freiheiten zu verteidigen, sind Personen, die mutmaßlich gegen religiöse und soziale Normen verstoßen, vulnerabel für Misshandlung (LIB, Kapitel Religionsfreiheit).
Abtrünnige haben Zugang zu staatlichen Leistungen. Es existiert kein Gesetz, Präzedenzfall oder Gewohnheiten, die Leistungen für Abtrünnige durch den Staat aufheben oder einschränken. Sofern sie nicht verurteilt und frei sind, können sie Leistungen der Behörden in Anspruch nehmen (LIB, Kapitel Religionsfreiheit).
III. Beweiswürdigung:
III.1. Der oben angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unbedenklichen und unzweifelhaften Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA und dem Verfahrensakt des Bundesverwaltungsgerichts.
III.2. Zu den Feststellungen zur Person des BF:
Die Feststellungen zur Verfahrensidentität des BF ergeben sich aus den dahingehend übereinstimmenden Angaben vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, vor dem BFA und in der Beschwerdeverhandlung. Das Geburtsdatum des BF ergibt sich aus dem nachvollziehbaren und schlüssigen Gutachten der Medizinischen Universität Wien vom 23.06.2016, welches aufgrund radiologischer und medizinischer Untersuchungen des BF dessen fiktives Geburtsdatum zu diesem Zeitpunkt ermittelte. Die Feststellung zum Geburtsdatum traf bereits das BFA aufgrund dieses Gutachtens. Dieses wird vom BF jedenfalls nicht auf gleicher fachlicher Ebene bestritten, wenn er darauf hinweist, dass er sein davon abweichendes Geburtsdatum von seiner Mutter kenne (S. 5 VP). Das im Gutachten ermittelte Ergebnis konnte daher auch der gegenständlichen Entscheidung zugrunde gelegt werden. Die Identität des BF kann jedoch mangels der Vorlage unbedenklicher Dokumente nicht festgestellt werden.
Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit, zur Volksgruppenzugehörigkeit des BF sowie zu seinen Sprachkenntnissen beruhen im Wesentlichen auf den gleichbleibenden, glaubhaften Angaben des BF (AS 1, 177; S. 4, 6 VP). Gleichfalls beruhen auch die Feststellungen zu seinem Lebenslauf, seinem Aufwachsen sowie seiner familiären Situation in Afghanistan, zu seinen Verwandten, seiner Schulbildung und der fehlenden Berufserfahrung in Afghanistan auf den im Wesentlichen gleich gebliebenen Aussagen des BF (AS 177ff; S. 5ff VP).
Die Feststellung zur Vertrautheit mit den afghanischen Gepflogenheiten folgt aus dem Aufwachsen in Afghanistan in einer afghanischen Familie und dem dortigen Schulbesuch. Aus seiner Aussage ergibt sich auch nicht, dass er sich während seines Aufenthalts im Bundesgebiet bis auf den Glaubenswechsel maßgeblich davon entfernt hätte.
Die Feststellungen zum Gesundheitszustand und zur Arbeitsfähigkeit des BF ergeben sich aus seinen Aussagen vor dem Bundesverwaltungsgericht (S. 4 VP) und daraus, dass der BF als Saisonarbeiter in der Forstwirtschaft tätig ist und auch keine gegenteiligen Unterlagen vorlegte.
Die Feststellungen zur strafrechtlichen Verurteilung des BF ergeben sich aus einer aktuellen Abfrage des Strafregisters und aus dem vom BFA vorgelegten Strafurteil.
III.3. Zu den Feststellungen zum Fluchtvorbringen des BF:
Auf die ursprünglich vorgebrachten Fluchtgründe des BF zu einer angeblich versuchten Zwangsrekrutierung durch die Taliban ist nicht weiter einzugehen, weil es dem BF gelungen ist, vor dem Bundesverwaltungsgericht glaubhaft darzulegen, dass er jedenfalls zum Entscheidungszeitpunkt vom Islam abgefallen und zum Christentum, konkret den Zeugen Jehovas, übergetreten und innerlich konvertiert ist.
Wie der BF in der Verhandlung (S. 16 VP) und auch bereits vor dem BFA (AS 193, 197) glaubhaft angab, hielt er in Afghanistan die gesellschaftlichen und religiösen Vorschriften aufgrund des allgemeinen Drucks ein. Das entspricht auch durchaus den Länderberichten und der allgemeinen Lebenserfahrung. Es besteht daher daran kein Grund zu zweifeln.
Ebenfalls glaubhaft darlegen konnte der BF den erstmaligen Kontakt mit den Zeugen Jehovas in Österreich. Diesen schilderte er nicht nur übereinstimmend sowohl vor dem BFA (AS 197) als auch dem Bundesverwaltungsgericht (S. 16 VP), sondern dieser wurde auch vom Zeugen bestätigt (S. 10 VP). Die Schilderung des BF entspricht auch der allgemeinen Lebenserfahrung, ist es doch notorisch, dass vor allem die Zeugen Jehovas durch Haus-zu-Haus Missionierung neue Mitglieder zu gewinnen versuchen. Die weiteren Feststellungen zum besuchten Bibelkurs beruhen auf den übereinstimmenden Aussagen des BF und des in der Verhandlung vernommenen Zeugen. Insbesondere legte der Zeuge nachvollziehbar dar, dass der BF in den Bibelstunden, die der BF als einziger Taufwerber besuchte, durchaus kritische Fragen stellte und sich auch offensichtlich auf diese Einheiten jeweils vorbereitete, da ihm andernfalls eine derart aktive Mitarbeit nicht möglich gewesen wäre (S. 11 VP). Es gibt für das Bundesverwaltungsgericht keinen Grund an den Aussagen des Zeugen zu zweifeln. Vielmehr hinterließ dieser bei der erkennenden Richterin einen authentischen und um Wahrheit bemühten Eindruck. Das zeigte sich etwa auch an der Beantwortung der Frage nach einer Veränderung des BF seit dem Unterricht beziehungsweise der Taufe. Danach befragt, versuchte der Zeuge nicht, eine für den BF günstige Antwort zu geben, sondern beschrieb nur den Ist-Zustand (S. 12 VP). Der Aussage des Zeugen konnte daher vollinhaltlich gefolgt werden und entsprechende Feststellungen erfolgen. Hinsichtlich des grundsätzlichen Zugangs zur Taufe stimmte seine Aussage zudem mit den Ausführungen in der schriftlichen Stellungnahme des Taufspenders überein (OZ 26), was ebenfalls für die Glaubhaftigkeit des Zeugen spricht.
Auch die Aussage des BF zu den religiösen Aktivitäten im Bundesgebiet ist mit der glaubhaften Aussage des Zeugen in Übereinstimmung zu bringen, zumal beide etwa schilderten, dass der BF Missionierungstätigkeiten ausübt (S. 8, 14 VP), oder auch, dass die Freunde des BF von der Konversion des BF wissen, der BF aufgrund seiner Persönlichkeit allerdings trotzdem keine Probleme mit diesen hat. Hingegen wird er teilweise von anderen Kollegen dafür beschimpft und verspottet (S. 8, 13 VP).
Die glaubhaften religiösen Betätigungen des BF im Bundesgebiet sind durchaus ein gewichtiges Indiz für einen ernsthaften inneren Glaubenswechsel, auch wenn sie alleine noch nicht ausreichend wären, um eine innere ernsthafte Konversion anzunehmen. Die Aussagen des BF legen nahe, dass es sich dabei nicht nur um Äußerlichkeiten handelt, die er möglicherweise entgegen seinem inneren Glauben tätigte, um einen rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet zu erlangen. Das zeigt sich beispielsweise bereits an seinen Aussagen zur Taufe, wobei er darlegte, wie diese etwas Besonderes für ihn gewesen sei (S. 9 VP). Er nannte auch den exakten Tag seiner Taufe so (S. 16 VP), dass der Eindruck entstand, dass es sich bei der Taufe für den BF um einen ganz besonderen Tag handelte. Die innere Zuwendung des BF zum neuen Glauben zeigte sich dabei besonders an der Beschreibung der Taufe und seiner Gefühle. Er schilderte nachvollziehbar, dass es sich dabei um etwas Besonderes handle, man wiedergeboren werde und wie glücklich und froh er sich gefühlt habe (S. 18 VP). Der BF hinterließ bei der erkennenden Richterin dabei den Eindruck, dass es sich dabei nicht nur um eine inhaltsleere Floskel, sondern die tatsächliche Beschreibung seiner Gefühle handelte.
Dass die Konversion tatsächlich ernsthaft ist, zeigt sich aber auch daran, dass der BF nach seiner glaubhaften Aussage, Bluttransfusionen ablehnen würde, weil das seiner neuen Religion widerspreche (S. 18f VP). Gerade in Bezug auf die Lehren der Zeugen Jehovas ist bekannt, dass diese selbst unter Einsatz ihres Lebens Bluttransfusionen ablehnen (siehe etwa den Sachverhalt bei OGH 31.08.2019, 2 Ob 148/15a). Ebenso wurde Zeugen Jehovas aufgrund der Ablehnung von Bluttransfusionen bereits in dieser Frage das Obsorgerecht entzogen beziehungsweise für diese Fragen ein Sachwalter bestellt (siehe etwa OGH 04.06.1996, 1 Ob 601/95 sowie RIS-Justiz RS0086170). Dadurch, dass der BF entsprechend diesem zentralen Grundsatz der Zeugen Jehovas zu leben bereit ist, zeigt er, dass es sich um eine ernsthafte Konvertierung und nicht ein asylzweckbezogenes Vorbringen handelt.
Der BF bringt sich, wie auch der Zeuge bestätigte, aktiv in seiner Gemeinde ein und ist auch am Missionsdienst beteiligt. Der BF tritt damit in der Öffentlichkeit für seinen Glauben ein und versucht, andere davon zu überzeugen. Darüber hinaus vermochte der BF die ihm in der mündlichen Verhandlung zu seinem christlichen Glauben und zu seiner Taufe gestellten Fragen auf überzeugende Weise zu beantworten. Nicht zuletzt konnte der BF selbstreflektierend Bibelstellen vortragen und sie in einen engeren Zusammenhang mit seiner persönlichen Lebenssituation und den an ihn gestellten Fragen stellen (S. 18f VP). Auch konnte er seine Wesensveränderung nachvollziehbar beschreiben (S. 18 VP).
Dem BF ist es damit insbesondere vor dem Hintergrund der glaubhaften und nachvollziehbaren Schilderungen seines Tauflehrers und den vorgelegten Dokumenten sowie seiner eigenen Aussage gelungen, glaubhaft zu machen, dass er sich aus freier persönlicher Überzeugung vom schiitischen Islam dem Christentum zugewandt hat. Es sind im Verfahren keine Anhaltspunkte hervorgekommen, die den Schluss zulassen würden, dass die Konversion des BF zum christlichen Glauben bloß zum Schein erfolgt wäre. Vielmehr hat der BF durch sein im Bundesgebiet gezeigtes Verhalten dargelegt, dass er sich auf Grund einer persönlichen Entscheidung vom Islam abgewandt und aus innerer religiöser Überzeugung dem christlichen Glauben zugewandt hat, was auch durch entsprechende Dokumente bestätigt wurde. Aufgrund dieser inneren Überzeugung ist auch davon auszugehen, dass der BF bei einer Rückkehr seinen Glauben weiter offen ausüben würde und sich nicht wieder dem Islam zuwenden könnte, zumal er auch im Bundesgebiet öffentlich im Namen der Zeugen Jehovas auftritt, für diese missioniert und seinen Glauben auch gegenüber seinen muslimischen Freunden bekennt.
Aus den Länderfeststellungen ergibt sich, dass dem BF bei einer Rückkehr aufgrund des allgemeinen Islamvorbehalts im afghanischen Recht und aufgrund der vorherrschenden gesellschaftlichen Intoleranz gegenüber Konvertiten psychische und/oder physische Gewalt droht. So droht dem BF aufgrund seiner Konversion, so er diese nicht binnen drei Tagen widerrufen würde, nach der sunnitisch-hanafitischen Rechtsprechung Enthauptung als angemessene Strafe. Neben der drohenden strafrechtlichen Verfolgung werden Konvertiten in der Gesellschaft ausgegrenzt und zum Teil angegriffen oder sogar ermordet. Staatlicher Schutz gegen diese Übergriffe der Bevölkerung steht gemäß den Länderfeststellungen nicht zur Verfügung.
Das BFA kam noch zur Beurteilung, dass der BF nicht innerlich konvertiert sei, wobei es im Wesentlichen auf die oberflächliche und ausweichende Aussage des BF und dessen geringes Wissen verwies. Diese Beurteilung ist zum damaligen Entscheidungszeitpunkt anhand des Protokolls der Einvernahme nicht völlig von der Hand zu weisen, die gegenteilige Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts ist aber jedenfalls durch die seitdem verstrichene Zeitspanne und die intensive Betätigung des BF in seiner Glaubensgemeinschaft zu erklären. Während der BF damals erst am Beginn des Prozesses der Konversion stand und er nach eigener Aussage in der Beschwerdeverhandlung damals auch noch nicht primär an eine Taufe dachte, sondern vor allem die Bibel näher kennenlernen wollte, hat er diesen Prozess mittlerweile vollzogen und seinen neuen Glauben verinnerlicht. Er ist getauft, engagiert sich in seiner Glaubensgemeinschaft, lebt seinen Glauben nach außen sichtbar, hat auch seine Mutter und Freunde informiert und versucht aktiv, auch andere von seiner Glaubensrichtung zu überzeugen.
III.4. Zu den Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat:
Die Feststellungen zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Länderberichte. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche bieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der herangezogenen Länderinformationen zu zweifeln. Die den Feststellungen zugrundeliegenden Länderberichte sind in Bezug auf die Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan aktuell. Das Bundesverwaltungsgericht hat sich durch Einsichtnahme in die jeweils verfügbaren Quellen (u.a. laufende Aktualisierung des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation sowie der Berichte des UNHCR und des EASO) davon versichert, dass zwischen dem Stichtag der herangezogenen Berichte und dem Entscheidungszeitpunkt keine wesentliche Veränderung der Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan eingetreten ist.
Diese Berichte stehen auch mit den vom BF vorgelegten Berichten zur Situation von Konvertiten in Einklang. Auch das BFA legt die verwendeten Informationen seinen Entscheidungen regelmäßig selbst zugrunde. Weder dem BFA noch dem BF war daher nochmaliges Parteiengehör zu den verwendeten lediglich aktualisierten, jedoch im Wesentlichen mit den vorgehaltenen beziehungsweise vorgelegten Berichten übereinstimmenden Informationen zu gewähren.
IV. Rechtliche Beurteilung:
Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-VG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.
Gemäß § 6 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist, was im gegenständlichen Verfahren nicht der Fall ist.
IV.1. Zu Spruchpunkt A)
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.
Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich in Folge dieser Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Zentraler Aspekt der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat ist die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Nicht jede diskriminierende Maßnahme gegen eine Person ist als „Verfolgung“ im Sinn des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK anzusehen, sondern nur solche, die in ihrer Gesamtheit zu einer schwerwiegenden Verletzung grundlegender Menschenrechte der Betroffenen führen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 12.03.2020, Ra 2019/01/0472; 29.01.2020, Ra 2019/18/0228).
Für die Asylgewährung kommt es auf die Flüchtlingseigenschaft im Sinn der GFK zum Zeitpunkt der Entscheidung an. Es ist demnach für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten zum einen nicht zwingend erforderlich, dass der Mitbeteiligte bereits in der Vergangenheit verfolgt wurde, zum anderen ist auch eine bereits stattgefundene Verfolgung („Vorverfolgung“) für sich genommen nicht hinreichend. Selbst wenn daher der Fremde im Herkunftsstaat bereits asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt war, ist entscheidend, dass er im Zeitpunkt der Entscheidung weiterhin mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen rechnen müsste (Aktualität der Verfolgung; vgl. VwGH 06.04.2020, Ra 2019/01/0443; 25.09.2018, Ra 2017/01/0203).
Bei der Beurteilung eines behaupteten Religionswechsels und der Prüfung einer Scheinkonversion kommt es nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auf die aktuell bestehende Glaubensüberzeugung des Konvertiten an, die im Rahmen einer Gesamtbetrachtung anhand einer näheren Beurteilung von Zeugenaussagen und einer konkreten Befragung des Asylwerbers zu seinen religiösen Aktivitäten zu ermitteln ist. Maßgebliche Indizien für einen aus innerer Überzeugung vollzogenen Religionswechsel sind beispielsweise das Wissen über die neue Religion, die Ernsthaftigkeit der Religionsausübung, welche sich etwa in regelmäßigen Gottesdienstbesuchen oder sonstigen religiösen Aktivitäten manifestiert, eine mit dem Religionswechsel einhergegangene Verhaltens- beziehungsweise Einstellungsänderung des Konvertiten sowie eine schlüssige Darlegung der Motivation beziehungsweise des auslösenden Moments für den Glaubenswechsel (VwGH 25.06.2020, Ra 2019/18/0380).
Eine begründete Furcht vor asylrelevanter Verfolgung wegen einer Konversion liegt vor, sobald nach Auffassung der zuständigen Behörden im Hinblick auf die persönlichen Umstände des Antragstellers vernünftigerweise anzunehmen ist, dass dieser nach Rückkehr in sein Herkunftsland religiöse Betätigungen vornehmen wird, die ihn der tatsächlichen Gefahr einer Verfolgung aussetzen. Wesentlich ist somit, ob bei weiterer Ausübung des (behaupteten) inneren Entschlusses, nach dem christlichen Glauben zu leben, im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit damit gerechnet werden muss, aus diesem Grund mit die Intensität von Verfolgung erreichenden Sanktionen belegt zu werden. Dabei kann dem Fremden auch nicht zugemutet werden, auf die religiöse Betätigung zu verzichten, um eine Verfolgung zu vermeiden (VwGH 12.06.2020, Ra 2019/18/0440).
Das Beschwerdeverfahren hat gezeigt, dass sich der BF seit dem erstmaligen Treffen mit den Zeugen Jehovas dort durchgehend und intensiv engagiert. Er wurde mittlerweile getauft und missioniert für seine Glaubensgemeinschaft. Ebenso hat sich das Wesen des BF geändert. Es liegen somit alle Indizien für eine ernsthafte Konversion vor, sodass von einer innerlichen Konversion auszugehen ist.
Der BF wäre als Konvertit, der seinen Glauben auch bei einer Rückkehr ausleben und seine Konversion nicht widerrufen würde, bei einer Rückkehr nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit massiven Einschränkungen und Diskriminierungen im persönlichen Bereich auf Grund seiner religiösen Überzeugung sowie einem erheblichen Verfolgungsrisiko zu Lasten seiner persönlichen Sicherheit und physischen Integrität sowohl von privater Seite – ohne dass in dieser Hinsicht staatlicher Schutz zukäme – als auch von staatlicher Seite ausgesetzt. Auf Grund des in ganz Afghanistan gültigen islamischen Rechts nach der Scharia und der in der Praxis angewandten islamischen Rechtsprechung, wonach auch die Todesstrafe droht, sowie auf Grund der in der afghanischen Gesellschaft bestehenden Traditionen und Moralvorstellungen sowie der allgemein vorherrschenden Intoleranz gegenüber religiösen Minderheiten, insbesondere gegenüber Konvertiten, und den damit zusammenhängenden benachteiligenden Auswirkungen des traditionellen Gesellschaftssystems in ganz Afghanistan ist davon auszugehen, dass sich die oben dargestellte Situation für den BF im gesamten Staatsgebiet Afghanistans ergibt. Es ist daher hinsichtlich dieses dargestellten Verfolgungsrisikos davon auszugehen, dass keine inländische Fluchtalternative besteht. Eine Unterdrückung und Hintanhaltung seiner verinnerlichten Glaubenseinstellung, um nach Afghanistan zurückkehren zu können, würde den BF überdies massiv und in unzulässiger Weise in seinem Recht auf eine freie Religionsausübung beschränken und wäre diesem nicht zumutbar.
Der BF befindet sich daher aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen seiner religiösen Überzeugung eines vom Islam zum Christentum konvertierten Mannes verfolgt zu werden, außerhalb Afghanistans und ist im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt, in seinen Herkunftsstaat zurückzukehren.
Der BF wurde in Österreich strafrechtlich verurteilt. Im Hinblick auf § 3 Abs. 3 Z 2 AsylG ist daher zu prüfen, ob er damit einen Ausschlussgrund nach § 6 AsylG gesetzt hat, was die Abweisung des Antrags auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten zur Folge hätte.
Keiner näheren Prüfung bedürfen § 6 Abs. 1 Z 1 und 2 AsylG, die offensichtlich nicht vorliegen. Auch § 6 Abs. 1 Z 3 AsylG liegt nicht vor, weil hierfür aus stichhaltigen Gründen angenommen werden müsste, dass der BF eine Gefahr für die Sicherheit der Republik Österreich darstellt. Das ist nach dem Verfassungsgerichtshof und dem Verwaltungsgerichtshof nur dann der Fall, wenn die Existenz oder territoriale Integrität eines Staates gefährdet wäre oder wenn besonders qualifizierte strafrechtliche Verstöße (z.B. Tötungsdelikte, Vergewaltigung, Drogenhandel, bewaffneter Raub) vorlägen (VfGH 13.12.2011, U 1907/10; VwGH 30.08.2017, Ra 2017/18/0155). Auch davon kann beim BF keine Rede sein.
Bleibt letztlich noch § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG zu prüfen. Um diesen anzuwenden, müssen kumulativ vier Voraussetzungen erfüllt sein: Der Revisionswerber muss erstens ein besonders schweres Verbrechen verübt haben, dafür zweitens rechtskräftig verurteilt worden, drittens gemeingefährlich sein, und viertens die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung müssten seine Interessen am Weiterbestehen des Schutzes durch den Zufluchtsstaat überwiegen. Dabei ist vom Verbrechensbegriff des § 17 StGB auszugehen (VwGH 25.05.2020, Ra 2019/19/0116). Beim vom BF verübten Betrug handelt es sich aufgrund der Strafdrohung um ein Vergehen nach § 17 Abs. 2 StGB, sodass auch dieser Ausschlussgrund nicht vorliegt.
Der Beschwerde des BF war daher stattzugeben und ihm gemäß § 3 Abs. 1 AsylG der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen.
Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG war die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten mit der Feststellung zu verbinden, dass dem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt. Dem BF kommt, weil er seinen Antrag nach dem 15.11.2015 stellte (§ 75 Abs. 24 AsylG), gemäß § 3 Abs. 4 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung als Asylberechtigter zu. Die Aufenthaltsberechtigung gilt drei Jahre und verlängert sich um eine unbefristete Gültigkeitsdauer, sofern die Voraussetzungen für eine Einleitung eines Verfahrens zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten nicht vorliegen oder das Aberkennungsverfahren eingestellt wird.
Die übrigen Spruchpunkte verlieren damit ihre rechtliche Grundlage und waren dementsprechend zu beheben.
IV.2. Zu Spruchpunkt B)
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Die Entscheidung hängt vielmehr von der Lösung von Tatfragen ab, zu deren Lösung der Verwaltungsgerichtshof nicht beziehungsweise nur sehr eingeschränkt berufen ist. Im Übrigen wurde dem Antrag des BF stattgegeben und hat das BFA auf die Teilnahme an der Beschwerdeverhandlung, aufgrund derer durch den darin gewonnenen persönlichen Eindruck das vorliegende Erkenntnis zu fällen war, explizit verzichtet.
Schlagworte
Asylgewährung asylrechtlich relevante Verfolgung Asylverfahren begründete Furcht vor Verfolgung Christentum Fluchtgründe Flüchtlingseigenschaft Glaubhaftmachung Glaubwürdigkeit inländische Schutzalternative innerstaatliche Fluchtalternative Konversion mündliche Verhandlung Nachfluchtgründe Religionsausübung Religionsfreiheit religiöse Gründe Verfolgungsgefahr Verfolgungshandlung wohlbegründete FurchtEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:W204.2213734.1.00Im RIS seit
21.10.2021Zuletzt aktualisiert am
21.10.2021