Entscheidungsdatum
01.09.2021Norm
AlVG §24Spruch
W237 2240008-1/6E
W237 2243396-1/5E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Martin WERNER als Vorsitzenden sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Rudolf NORTH und Mag. Elke DE BUCK-LAINER als Beisitzer über die Beschwerde der XXXX , geb. XXXX , vertreten durch die XXXX , gegen die Bescheide des Arbeitsmarktservice Wien Schloßhofer Straße vom 16.06.2020 betreffend nähere Feststellungen des Ausmaßes von Arbeitslosengeld beschlossen:
A)
Die angefochtenen Bescheide werden aufgehoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheids an das Arbeitsmarktservice Wien Schloßhofer Straße zurückverwiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Begründung:
I. Verfahrensgang:
1. Mit Bescheid vom 16.06.2020 stellte das Arbeitsmarktservice Wien Schloßhofer Straße (im Folgenden: AMS) – „[a]ufgrund [i]hrer Eingabe vom 26.02.2020“ – fest, dass der Beschwerdeführerin ab dem 25.01.2015 Arbeitslosengeld im Ausmaß von täglich 42,39 €, ab dem 20.04.2016 Notstandshilfe im Ausmaß von täglich 39,15 € und ab dem 01.07.2019 Arbeitslosengeld im Ausmaß von täglich 51,24 € gebühre. Mit einem weiteren Bescheid vom selben Tag (insoweit wiederholend) sprach das AMS – „[a]ufgrund [i]hrer Eingabe vom 03.09.2019“ – aus, dass der Beschwerdeführerin ab dem 01.07.2019 Arbeitslosengeld im Ausmaß von täglich 51,24 € gebühre. Beide Bescheide sind mit näheren Berechnungen begründet, die hinsichtlich des Zeitraums ab dem 01.07.2019 zumindest im Ergebnis gleichlautend sind.
2. Die Beschwerdeführerin erhob mit Schreiben vom 24.06.2020 gegen diese beiden Bescheide Beschwerde. Dabei machte sie geltend, dass die Bemessungsgrundlagen für die im Bescheid genannten Jahre „auf Grund mehrerer arbeitsrechtlicher Verfahren und der damit zusammenhängenden SV-Meldungen nicht korrekt“ seien, wobei eine nähere Begründung einem gesonderten Schriftsatz vorbehalten bleibe.
2.1. In ihrer Beschwerdeergänzung vom 30.07.2020 nahm die Beschwerdeführerin auf ihre arbeitsrechtlichen Gerichtsverfahren im Rahmen des Rechtsstreits mit ihrer ehemaligen Arbeitgeberin Bezug und wies darauf hin, dass diese aufgrund der Urteile Nachzahlungen leisten musste, weshalb ihre ursprünglichen Leistungsbezüge „rückwirkend gelöscht“ worden seien. Ihren ersten Anspruch auf Arbeitslosengeld habe sie somit beginnend mit 25.01.2015 gehabt. Am 28.01.2020 habe sie eine Mitteilung über ihren Leistungsanspruch betreffend den Zeitraum vom 25.01.2015 bis 28.06.2020 erhalten. Aufgrund des erfolgreichen arbeitsrechtlichen Verfahrens sei es zu einer nachträglichen Änderung der Beitragsrundlage und einem höheren Leistungsbezug gekommen.
Am 26.02.2020 habe sie einen Antrag auf Ausstellung eines feststellenden Bescheids über den Leistungszeitraum der Mitteilung vom 28.01.2020 (Leistung ab 25.01.2015) gestellt. Gemäß § 25 Abs 6. AIVG sei eine Nachzahlung nur für Zeiträume zulässig, die nicht länger als drei Jahre vor dem Zeitpunkt der Antragstellung lägen. Unter Verweis auf näher genannte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes und das Datum der Antragstellung sei somit der Zeitraum vom 01.02.2017 bis 26.02.2020 entscheidungsrelevant; davorliegende Zeiträume seien verjährt.
Aufgrund ihres Leistungsanspruches ab 25.01.2015 sei für die Berechnung der Leistung das Kalenderjahr 2013 relevant. In diesem Jahr liege eine Beitragsgrundlage über der Höchstbeitragsgrundlage vor. Da gemäß § 21 Abs. 3 letzter Satz AIVG das monatliche Einkommen nur bis zu der drei Jahre vor der Geltendmachung des Arbeitslosengeldes für den Arbeitslosenversicherungsbeitrag maßgeblichen Höchstbeitragsgrundlage zu berücksichtigen sei, habe sie seit 25.01.2015 Anspruch auf den höchsten Tagessatz basierend auf der Höchstbeitragsgrundlage aus dem Jahr 2012.
2.2. Am 02.03.2021 legte das AMS – ohne vorangehende Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung – dem Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde, den nur über den Leistungszeitraum ab dem 01.07.2019 absprechenden Bescheid sowie (auszugsweise) den Bezug habenden Verwaltungsakt in Kopie vor.
Mit auf den 09.12.2020 datierendem und „Beschwerdevorlage“ betiteltem Schreiben hielt das AMS ergänzend fest, dass die Beschwerdeführerin nach einem Dienstverhältnis bei der Stadt Wien eine neue Anwartschaft erfülle und ihr ab dem Tag ihrer entsprechenden Antragstellung am 01.07.2019 „Notstandshilfe“ (offenbar gemeint: Arbeitslosengeld) mit der Bemessungsgrundlage 3379,58 € angewiesen worden sei. Dieser Betrag sei aufgrund einer geschützten Bemessungsgrundlage aus einem früheren Leistungsbezug anzuweisen.
Im damaligen Leistungsbezug habe ein Tagessatz von 43,27 € angewiesen werden können. In Hinblick auf den Rechtsstreit der Beschwerdeführerin mit ihrer Dienstgeberin und aufgrund einer Überlagerungsmeldung habe das AMS unrechtmäßig den Leistungsbezug für den Zeitraum vom 04.11.2014 bis 24.01.2015 berichtigt. Dabei sei auch die Bemessungsgrundlage eines vorhergehenden Leistungsbezuges ab 25.01.2015 auf 4200,– € – die damalige Höchstbemessungsgrundlage – korrigiert worden.
Aufgrund der Korrektur dieses Tagsatzes sei auch die Bemessungsgrundlage ab 01.07.2019 geändert und angepasst worden: Statt der eigentlich zu verwendenden Bemessungsgrundlage aus dem Jahr 2018, die nur 2983,43 € betragen habe, sei auf die geschützte Bemessungsgrundlage in der Höhe von 4200,– € zurückgegriffen worden.
Soweit die Beschwerdeführerin nun die Änderung der Bemessungsgrundlage auf die Höchstbemessungsgrundlage 4230,– € beantrage, sei dies nicht möglich, zumal die Änderung auf die Bemessungsgrundlage in der Höhe von 4200,– € schon nicht stattfinden hätte dürfen, weil es sich bereits um einen Notstandshilfebezug gehandelt und der Arbeitslosengeldbezug in einem verjährten Zeitraum gemäß § 24 und § 25 AlVG gelegen sei.
Aufgrund des Fehlers des AMS sei der Beschwerdeführerin bereits der Leistungsbezug von 43,27 € auf 51,24 € täglich erhöht worden. Die Differenz von 7,97 € täglich sei ihr ausbezahlt worden und könne nicht mehr zur Rückersatz vorgeschrieben werden. Mit dem angefochtenen Bescheid sei der Betrag von 51,24 € täglich bestätigt worden.
2.3. Die Beschwerde, der nur über den Leistungszeitraum ab dem 01.07.2019 absprechende Bescheid sowie der Verwaltungsakt langten am 02.03.2021 in der hg. Gerichtsabteilung W237 ein.
Mit Schreiben vom 07.05.2021 gab die Beschwerdeführerin dem Bundesverwaltungsgericht bekannt, dass sie durch die im Kopf der vorliegenden Entscheidung genannten Rechtanwälte vertreten werde.
2.4. Erst am 14.06.2021 legte das AMS – ohne vorangehende Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung – dem Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde, den über alle Leistungszeiträume absprechenden Bescheid sowie erneut (auszugsweise) den Bezug habenden Verwaltungsakt in Kopie vor.
Mit auf den 25.02.2021 datierendem und „Beschwerdevorlage“ betiteltem Schreiben hielt das AMS ergänzend fest, dass der Feststellungsbescheid „ab 15.01.2015“ deshalb erfolgen habe können, weil „fälschlicherweise eine Bezugskorrektur des Arbeitsmarktservice trotz Ablauf der Verjährungsfrist § 25 Abs. 6 vorgenommen“ worden sei. Es habe sich herausgestellt, dass in der Mitteilung vom 28.01.2020 ein der Beschwerdeführerin nicht zustehender Tagessatz in der Höhe von 49,96 € mitgeteilt worden sei. Für den Zeitraum vom 25.01.2015 bis 19.04.2016 stehe lediglich Arbeitslosengeld in der Höhe von 42,39 € und für den Zeitraum vom 20.04.2016 bis 27.01.2018 Notstandshilfe in der Höhe von 39,15 € zu. Das zuerkannte Arbeitslosengeld ab 01.07.2019 sei hingegen korrekt.
Auf Basis dessen stellte das AMS eine nähere Berechnung hinsichtlich der Höhe des Arbeitslosengeldes an und beantragte die Abweisung der Beschwerde. Zugleich ersuchte es um „Nachsicht bezüglich der verspäteten Übermittlung“ der Beschwerde- und Aktenübermittlung an das Bundesverwaltungsgericht. Auch sei eine Umstellung des Leistungsbezugs auf die nach Ansicht des AMS korrekten Tagessätze „bei Bearbeitung des Feststellungsbescheids durch die regionale Geschäftsstelle übersehen und nicht vorgenommen“ worden; eine Korrektur des Leistungsbezugs würde erst nach der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vorgenommen werden.
2.5. Diese Beschwerdevorlage langte samt dem über alle Leistungszeiträume absprechenden Bescheid am 14.06.2021 in der hg. Gerichtsabteilung W121 ein, deren Leiterin sich in der Folge entsprechend der Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichts für das Geschäftsverteilungsjahr 2021 infolge Annexität zu der in der Gerichtsabteilung W237 bereits anhängigen Rechtssache (vgl. oben Pkt. 2.3.) für unzuständig erklärte. Der Akt langte sodann erst am 05.07.2021 bei der Gerichtsabteilung W237 ein.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Die Beschwerdeführerin war ab 01.03.1989 bei einem internationalen Pharmaunternehmen als Angestellte beschäftigt. Nach erstmaliger, von der Beschwerdeführerin erfolgreich angefochtener Kündigung wurde sie erneut am 24.01.2011 zum 31.05.2011 gekündigt. Diese Kündigung wurde mit – unbekämpft gebliebenem – Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 13.03.2015 für rechtsunwirksam erklärt. Die Beschwerdeführerin war aber bereits erneut am 18.02.2014 zum 30.06.2014 für den Fall gekündigt worden, dass die Kündigung zum 31.05.2011 für rechtsunwirksam erklärt werden sollte.
Ab 01.07.2014 war die Beschwerdeführerin arbeitslos, erhielt allerdings vom 01.07.2014 bis zum 24.01.2015 eine Urlaubsersatzleistung. Von kurzfristigen Bezugsunterbrechungen abgesehen erhielt sie ab 25.01.2015 bis 19.04.2016 Arbeitslosengeld und ab 20.04.2016 bis 27.01.2018 Notstandshilfe (von Jänner bis März 2017 ging sie nebenbei einer geringfügigen Beschäftigung nach). Von 01.02.2018 bis 30.06.2019 war die Beschwerdeführerin Angestellte beim Magistrat der Stadt Wien. Ab 01.07.2019 war sie wieder arbeitslos und bezog danach erneut Arbeitslosengeld.
1.2. Die Beschwerdeführerin klagte ihre vormalige Arbeitgeberin auf 183.524,63 € brutto an zusätzlicher Nachzahlung des Entgelts für den Zeitraum vom 01.06.2011 bis 30.06.2014 aufgeschlüsselt wie folgt:
- Differenz von 65 % bei Gehalt und Jahresremuneration: 118.276,74 € brutto
- Differenz von 65 % beim MCIP-Bonus: 8.811,99 € brutto
- Jubiläumsgeld gemäß Kollektivvertrag: 6.383,86 € brutto
- SEG-Zulage: 21.927,51 €
- Differenz bei Urlaubs- und Ausgleichstageersatzleistung: 25.741,42 € brutto
- Zinsen für 13.3.2015 bis 29.4.2015: EUR 2.383,11 € brutto.
Das Arbeits- und Sozialgericht Wien sprach – unter Abweisung einer näher genannten Gegenforderung der Beklagten – der Beschwerdeführerin mit Urteil vom XXXX .2017 154.143,95 € brutto samt 9,08% Zinsen zu und wies ihr Mehrbegehren ab.
Das Oberlandesgericht Wien bestätigte das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien mit Urteil vom XXXX .2018 mit der Maßgabe, dass das Klagebegehren mit einem Teilbetrag von 154.143,95 € brutto zu Recht und mit einem Teilbetrag von 7.453,17 € brutto nicht zu Recht bestehe; das Mehrbegehren in dieser Höhe wurde entsprechend abgewiesen. Hinsichtlich der Abweisung von 21.927,51 € netto und hinsichtlich der Abweisung des Feststellungsbegehrens hob das Oberlandesgericht Wien das Urteil auf und verwies die Arbeitsrechtssache in diesem Umfang an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurück.
Mit Endurteil vom XXXX .2018 wies das Arbeits- und Sozialgericht Wien das verbliebene Klagebegehren von 21.927,51 € netto (samt Zinsen) ab.
1.3. Mit Schreiben vom 28.01.2020 teilte das AMS der Beschwerdeführerin schriftlich ihren Leistungsanspruch ab dem 25.01.2015 mit. Es wies dabei in tabellarischer Form einen Anspruch auf Arbeitslosengeld vom 25.01.2015 bis 19.04.2016 (mit Unterbrechungen) in der Höhe 49,96 € pro Tag, ab 20.04.2016 bis 27.01.2018 (mit Unterbrechungen) einen Anspruch auf Notstandshilfe in der Höhe von 46,12 € pro Tag und ab 01.07.2019 bis 28.06.2020 einen Anspruch auf Arbeitslosengeld in der Höhe von 51,24 € aus (wobei der Anspruch zu näher genannten Zeiträumen wegen einer pauschalen Beihilfe zu Kursnebenkosten etwas höher bemessen wurde). Hinsichtlich sämtlicher Zeiträume ging das AMS in diesem Schreiben von einer Bemessungsgrundlage „4.200,00“ aus.
Am 26.02.2020 stellte die Beschwerdeführerin einen Antrag auf Ausstellung eines Bescheids über den von der Mitteilung vom 28.01.2020 abgedeckten Leistungszeitraum.
Mit den angefochtenen Bescheiden stellte das AMS – ohne weiteres Verfahren oder Erörterung der Rechtssache mit der Beschwerdeführerin – fest, dass ihr ab dem 25.01.2015 Arbeitslosengeld im Ausmaß von täglich 42,39 €, ab dem 20.04.2016 Notstandshilfe im Ausmaß von täglich 39,15 € und ab dem 01.07.2019 Arbeitslosengeld im Ausmaß von täglich 51,24 € gebühre. Dabei ging das AMS von anderen Bemessungsgrundlagen als im Schreiben vom 28.01.2020 aus. Der nähere Verfahrensgang wird entsprechend der Darlegung unter Pkt. I. festgestellt.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Die Feststellungen zum Arbeitsverhältnis und den Kündigungen der Beschwerdeführerin können anhand der im Verwaltungsakt aufliegenden Urteile des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 18.08.2017 und vom 04.12.2018 getroffen werden, die sich in ihren diesbezüglichen Aussagen mit einer Aufstellung des die Beschwerdeführerin treffenden Versicherungsverlaufs decken. Aus diesem ergibt sich auch die Arbeitslosigkeit der Beschwerdeführerin ab 01.07.2014 und der Erhalt einer Urlaubsersatzleistung vom 01.07.2014 bis zum 24.01.2015 (dies wurde auch im rechtskräftigen Bescheid des AMS vom 26.05.2020 festgestellt). Die festgestellten Zeiten des Bezugs von Arbeitslosengeld und Notstandshilfe sind unstrittig.
In welcher Höhe die Beschwerdeführerin Arbeitslosengeld und Notstandshilfe in den beschwerdemaßgeblichen Zeiträumen tatsächlich erhielt, lässt sich hingegen aus dem Verwaltungsakt nicht eruieren: So wurden am 16.09.2020 und 01.03.2021 jeweils zwei Bezugsverläufe generiert, die zwei unterschiedliche Bezüge ausweisen. Laut einem Bezugsverlauf habe die Beschwerdeführerin ab 25.01.2015 bis 19.04.2016 49,96 € pro Tag Arbeitslosengeld, ab 20.04.2016 bis 27.01.2018 46,12 € pro Tag Notstandshilfe und sodann – nach neuer anwartschaftbegründender Tätigkeit – ab 01.07.2019 Arbeitslosengeld in der Höhe von 51,24 € erhalten. Der andere Bezugsverlauf weist für die Zeit von 04.11.2014 bis 28.01.2016 42,39 € pro Tag Arbeitslosengeld, ab 29.01.2016 bis 27.01.2018 39,15 € pro Tag Notstandshilfe und ab 01.07.2019 Arbeitslosengeld in der Höhe von 43,27 € aus
2.2. Die Feststellungen zum Rechtsstreit der Beschwerdeführerin mit ihrer vormaligen Arbeitgeberin bzw. zum Inhalt der Urteile des Arbeits- und Sozialgerichts Wien und des Oberlandesgerichts Wien sind anhand der im Akt in Kopie aufliegenden Urteile zweifelsfrei zu treffen.
2.3. Das Schreiben vom 28.01.2020 liegt im Verwaltungsakt auf. Soweit festgestellt wird, dass die Beschwerdeführerin am 26.02.2020 einen Antrag auf Ausstellung eines Bescheids über den von der Mitteilung vom 28.01.2020 abgedeckten Leistungszeitraum stellte, ist dieser Antrag im vorgelegten Verwaltungsakt zwar nicht enthalten, doch gab die Beschwerdeführerin in ihrer Beschwerdeergänzung vom 30.07.2020 selbst an, diesen gestellt zu haben. Dass das AMS mit der Beschwerdeführerin kein weiteres Verfahren führte bzw. die Rechtssache mit ihr erörterte, lassen der Akt, insbesondere die angefochtenen Bescheide und die Beschwerdevorlagen erkennen.
Diese bzw. der festgestellte Verfahrensgang sind aus dem vorgelegten Verwaltungsakt ersichtlich.
3. Rechtliche Beurteilung:
Die angefochtenen Bescheide datieren auf den 16.06.2020. Die bei der belangten Behörde am 30.06.2020 eingelangte Beschwerde ist somit gemäß § 7 Abs. 4 erster Satz VwGVG jedenfalls rechtzeitig.
Zu A)
3.1. Nach der mittlerweile ständigen, vom Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, ausgehenden Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Zulässigkeit bzw. Unzulässigkeit einer Aufhebung und Zurückverweisung gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG stellt die Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Nach dem damit gebotenen Verständnis steht diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 VwGVG verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlangt das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden.
3.2. Im Sinne dieser Judikatur hat die belangte Behörde im vorliegenden Fall bloß ansatzweise ermittelt bzw. wesentliche Ermittlungsschritte unterlassen:
3.2.1. Dabei ist zunächst festzuhalten, dass der dem Bundesverwaltungsgericht (doppelt) vorgelegte – und der Beurteilung der Rechtssache durch die belangte Behörde offenbar zugrunde gelegte – Verwaltungsakt in seiner Gesamtheit als geradezu wirr bemängelt werden muss und ungeachtet der Ermittlungsmängel (vgl. dazu Pkt. 3.2.2.) eine verwaltungsgerichtliche Kontrolle in der Sache kaum zulässt:
3.2.1.1. So fällt im vorliegenden Fall bereits eine gehäufte Verwechslung von Daten im Verwaltungsakt (insbesondere in den Beschwerdevorlagen) ins Auge; zudem werden zum Teil der Bezug von Arbeitslosengeld und von Notstandshilfe nicht voneinander unterschieden. Während weiters das AMS in einem seiner Bescheide vom 16.06.2020 im Bescheidkopf von einer Eingabe der Beschwerdeführerin vom 26.02.2020 spricht, bezieht es sich im anderen Bescheid auf eine Eingabe vom 03.09.2019 (ob es eine solche überhaupt gab, wird aus dem vorgelegten Akt nicht einmal ersichtlich; allerdings ist auch die Eingabe der Beschwerdeführerin vom 26.02.2020 nicht enthalten, deren Bestehen – wie unter Pkt. II.2.3. ausgeführt – nur ob der eigenen Angabe der Beschwerdeführerin in ihrer Beschwerde festgestellt werden kann). Außerdem verwies das AMS in seinen Beschwerdevorlagen auf Bescheide, die entweder gar nicht im Akt enthalten sind („Bescheid vom 05.12.2018“) oder erst verspätet vorgelegt wurden (Bescheid vom 26.05.2020), wobei es deren Relevanz für das Feststellungsbegehren der Beschwerdeführerin nicht schlüssig aufzeigte.
Schließlich bleibt teilweise sogar widersprüchlich, welche an die Beschwerdeführerin erfolgten Anweisungen nach eigener Ansicht der belangten Behörde überhaupt korrekt bzw. nicht fehlerhaft gewesen sein sollen: Während das AMS in seinem Beschwerdevorlageschreiben vom 25.02.2021 davon sprach, die tägliche Zuerkennung des Arbeitslosengeldes „für den Zeitraum 01.07.2019 bis 17.07.2019“ in der Höhe von 51,24 € sei korrekt und in der Leistungsmitteilung der Beschwerdeführerin richtigerweise dargelegt worden, meinte es im Beschwerdevorlageschreiben vom 09.12.2020 wiederum, dass es sich dabei um einen Fehler infolge einer zuvor gesetzwidrig geänderten Bemessungsgrundlage handle.
3.2.1.2. In diesem Zusammenhang wird – von den genannten Ungereimtheiten abgesehen – für das Bundesverwaltungsgericht auch deutlich, dass die belangte Behörde in der vorliegenden Rechtssache offenbar mehrfach keinen Überblick über die eigenen Handlungen hatte (was eine den Anforderungen an ein ordentliches Ermittlungsverfahren nicht genügende Verfahrensführung bereits indiziert).
So erließ das AMS hinsichtlich des Anspruchs auf Arbeitslosengeld ab dem 01.07.2019 zwei gleichlautende Bescheide, die sich obendrein in der näheren Berechnung – wenngleich nicht im Ergebnis – unterscheiden. Dessen nicht genug legte AMS in weiterer Folge dieselbe Beschwerde gegen beide Bescheide dem Bundesverwaltungsgericht zu völlig unterschiedlichen Daten mit verschiedenen Beschwerdevorlageschreiben vor. Während bereits diese auf Zeitpunkte (09.12.2020 und 25.02.2021) datiert sind, die weit nach Ablauf der zehnwöchigen Frist zur Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung (vgl. § 56 Abs. 2 AlVG) liegen, erfolgte die tatsächliche Beschwerdevorlage in beiden Fällen nochmals Monate später (02.03.2021 und 14.06.2021).
Dabei erweist sich die zuletzt erfolgte Beschwerdevorlage in gleich doppelter Hinsicht als schlechterdings nicht nachvollziehbar: Zum einen behauptet das AMS – zeitlich unmöglich – in seinem auf den 25.02.2021 datierten Beschwerdevorlageschreiben, dass die Beschwerde bereits im März 2021 hätte vorgelegt werden sollen. Darüber hinaus ersucht es in diesem Zusammenhang um „Nachsicht“, weil die Beschwerde „in Verstoß geraten“ sei; bereits im Beschwerdevorlageschreiben vom 09.12.2020 hatte die Behörde aber behauptet, die Beschwerde sei in Verstoß geraten, weshalb sich die Übermittlung an das Bundesverwaltungsgericht verzögert habe (warum dann die Vorlage erst im März 2021 erfolgte, ist sohin umso weniger erklärlich).
Dass das AMS schließlich in seinem Schreiben vom 25.02.2021 auch selbst einräumt, die Umstellung auf die seines Erachtens korrekten Tagessätze von Arbeitslosengeld und Notstandshilfe „übersehen und nicht vorgenommen“ zu haben, fällt dabei zwar nicht mehr ins Gewicht, rundet den Eindruck einer mangelnden Verfahrensführung aber gleichwohl ab.
3.2.2. Von diesen Ungereimtheiten und Mängeln abgesehen geht aus dem (doppelt) vorgelegten Verwaltungsakt zumindest hervor, dass das AMS wesentliche Ermittlungsschritte nicht vornahm:
In der gegenständlichen Rechtssache geht es um die Höhe von – der Beschwerdeführerin unstrittig zustehenden – Leistungen der Arbeitslosenversicherung (Arbeitslosengeld und Notstandshilfe) für bestimmte Zeiträume. Als strittig gilt dabei, welche Bemessungsgrundlage jeweils heranzuziehen ist. Diese Frage erweist sich gerade im vorliegenden Fall in Hinblick auf den jahrelangen Rechtsstreit, den die Beschwerdeführerin mit ihrer vormaligen Arbeitgeberin führte, als ausgesprochen komplex und bedarf näherer Ermittlungen. Zu diesen hätte seitens der Verwaltungsbehörde – gerade weil sie in einem der angefochtenen Bescheide davon ausgeht, der Beschwerdeführerin in der Leistungsmitteilung vom 28.01.2020 „unkorrekter und fälschlicherweise“ einen Leistungsbezug mitgeteilt zu haben – jedenfalls (auch) eine persönliche Einvernahme mit der Beschwerdeführerin gehört, zumal ihr zuvor laufend Tagessatzhöhen mitgeteilt worden waren, von denen das AMS in den angefochtenen Bescheiden dann abwich. In einer Einvernahme hätte die Beschwerdeführerin auch die Gelegenheit gehabt, zu den vom AMS angenommenen Bemessungsgrundlagen Stellung zu nehmen und ihr Feststellungsinteresse näher zu spezifizieren.
Dass eine solche Einvernahme bzw. sonstige Ermittlungen in Hinblick auf die zu eruierenden Bemessungsgrundlagen nicht durchgeführt wurden, lässt für den entscheidenden Senat – nicht zuletzt in Zusammenhang mit den unter Pkt. II.3.2.1. monierten Mängeln – nur den Schluss zu, dass wesentliche Ermittlungsschritte auf das Bundesverwaltungsgericht abgewälzt werden sollten. In dieses Bild passt auch, dass das AMS (im Gegensatz zu vergleichbaren Fällen) keine Beschwerdevorentscheidung erließ und – wie bereits erwähnt – selbst zugab, eine Korrektur des Leistungsbezugs erst nach einer verwaltungsgerichtlichen Entscheidung vornehmen zu wollen.
Im Lichte der Anforderungen des vorliegenden Falles hat die belangte Behörde sohin im Sinne der unter Pkt. II.3.1. aufgezeigten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bloß ansatzweise ermittelt. Die Feststellung des maßgebenden Sachverhalts durch das Bundesverwaltungsgericht ist auch nicht im überwiegenden Interesse der Raschheit gelegen, zumal nicht ersichtlich ist, dass das Bundesverwaltungsgericht schneller zu einer Berechnung der konkreten Höhe der der Beschwerdeführerin zustehenden Leistungen der Arbeitslosenversicherung gelangen würde als das AMS, welches zu diesem Behufe standardmäßig eine Anspruchsberechnung durch das Bundesrechenzentrum durchführen lässt. In diesem Zusammenhang ist ebenso nicht ersichtlich, dass die Führung des Verfahrens durch das Bundesverwaltungsgericht mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden wäre (vgl. VwGH 21.11.2019, Ra 2018/10/0090).
3.3. Die angefochtenen Bescheide sind sohin gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG aufzuheben und ist die Rechtssache zur Erlassung eines neuen Bescheids an die belangte Behörde zurückzuverweisen.
Diese wird in der Folge die Bemessungsgrundlagen für das Arbeitslosengeld bzw. die Notstandshilfe in den maßgeblichen Zeiträumen nachvollziehbar zu ermitteln und anschließend eine Einvernahme mit der Beschwerdeführerin (bzw. ihrem nunmehrigen Rechtsvertreter) durchzuführen haben, in der ihr die ermittelten Bemessungsgrundlagen zur Stellungnahme und allenfalls näheren Erörterung vorzuhalten sein werden. Bei dieser Gelegenheit stünde der Beschwerdeführerin auch eine nähere Einschränkung ihres Feststellungsinteresses offen. In Ansehung der bisherigen Verfahrensführung durch die Behörde weist das Bundesverwaltungsgericht überdies vorsorglich daraufhin, dass das AMS in seiner nachfolgenden Entscheidung nicht nur die Höhe des Arbeitslosengeldes bzw. der Notstandshilfe sowie die maßgeblichen Zeiträume separat und deutlich auszuweisen, sondern vor allem auch die herangezogenen Bemessungsgrundlagen auf eine Weise begründend darzulegen haben wird, die die verwaltungsbehördliche Rechtsansicht erkennen lässt und eine allfällige verwaltungsgerichtliche Kontrolle nachfolgend ermöglicht.
3.4. Die Durchführung einer Verhandlung konnte in Hinblick auf § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG entfallen.
Unter Hinweis auf den dargelegten Verfahrensgang (vgl. Pkt. I.) begehrt der beschließende Senat abschließend die Klarstellung, dass das Bundesverwaltungsgericht die vorliegende Entscheidung ehestmöglich trifft, zumal die Beschwerdevorlage betreffend den über alle in Rede stehenden Zeiträume absprechenden Bescheid vom 16.06.2020 erst am 05.07.2021 in der Gerichtsabteilung W237 einlangte.
Zu B)
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Die Aufhebung der angefochtenen Bescheide und die Zurückverweisung der Angelegenheit an das AMS zur Erlassung eines neuen Bescheids ergeht in Entsprechung der gefestigten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG.
Schlagworte
Arbeitslosengeld Bemessungsgrundlage Ermittlungspflicht Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung NotstandshilfeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:W237.2243396.1.00Im RIS seit
21.10.2021Zuletzt aktualisiert am
21.10.2021