Index
E2D Assoziierung Türkei;Norm
ARB1/80;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Dorner und die Hofräte Dr. Bachler und Dr. Zens als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Kopp, über die Beschwerde des am 10. April 1961 geborenen H in W, vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 10. Mai 1995, Zl. 103.616/3-III/11/94, betreffend Versagung einer Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.740,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer verfügte zuletzt über einen am 29. Juni 1992 ausgestellten Wiedereinreisesichtvermerk mit Geltungsdauer bis 28. Februar 1994. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 10. Mai 1995, dem Beschwerdeführer zugestellt am 16. Mai 1995, wurde der Antrag des Beschwerdeführers vom 19. Jänner 1994 auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung unter sinngemäßer Anwendung der für die Verlängerung von Bewilligungen geltenden Vorschriften gemäß § 5 Abs. 1 AufG abgewiesen. Nach dieser Bestimmung dürfe eine Bewilligung nicht erteilt werden, wenn eine für Inländer ortsübliche Unterkunft für die Geltungsdauer der Bewilligung nicht gesichert sei. Der Beschwerdeführer sei an einer inländischen Adresse gemeinsam mit fünf weiteren Personen, darunter Kleinkindern, gemeldet. Da die Wohnung nur über eine Gesamtfläche von 34 m2 verfüge, liege im Hinblick auf ihre Mitbenützung durch Kleinkinder keine ortsübliche Unterkunft vor.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, nach Ablehnung ihrer Behandlung durch den Verfassungsgerichtshof dem Verwaltungsgerichtshof abgetretene Beschwerde. Der Beschwerdeführer macht Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften mit dem Antrag geltend, den angefochtenen Bescheid aus diesen Gründen aufzuheben.
Die belangte Behörde teilte mit Eingabe vom 11. November 1996 mit, daß der Beschwerdeführer bei der Bundespolizeidirektion Wien einen "Sichtvermerksantrag nach dem Assoziationsratsschusses Nr. 1/80" gestellt habe. Sie beantragte, das Verfahren einzustellen. Hilfsweise beantragte die belangte Behörde, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Durch den Antrag des Beschwerdeführers auf Erteilung eines Sichtvermerkes mit der Begründung, er erfülle die Voraussetzungen des Beschlusses Nr. 1/80 des aufgrund des Assoziierungsabkommens zwischen der EWG und der Türkei eingerichteten Assoziationsrates, ist der angefochtene Bescheid nicht aus dem Rechtsbestand ausgeschieden. Auch Gegenstandslosigkeit der Beschwerde liegt nicht vor, weil der beantragte, jedoch offenbar noch nicht erteilte Sichtvermerk nach dem Fremdengesetz gegenüber der Gegenstand des vorliegenden Verfahrens bildenden Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz (unter sinngemäßer Anwendung der für die Verlängerung von Bewilligungen geltenden Vorschriften) ein aliud darstellt.
Die belangte Behörde hat erstmals den Versagungsgrund der nicht gesicherten ortsüblichen Unterkunft gemäß § 5 Abs. 1 AufG gebraucht. Ändert die Behörde gegenüber dem Bescheid der Vorinstanz den Versagungsgrund, so ist sie verpflichtet, dies dem Beschwerdeführer vorzuhalten (vgl. die bei Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens5, S. 336, wiedergegebene Judikatur). Zutreffend rügt der Beschwerdeführer, daß ein solcher Vorhalt im vorliegenden Fall nicht erfolgt ist.
Der Beschwerdeführer bringt in diesem Zusammenhang vor, er habe bis 17. Mai 1995 mit zwei weiteren Personen in der von der Behörde beschriebenen Wohnung gelebt. Seit 18. Mai 1995 lebe er in einer 80 m2 großen Wohnung zusammen mit insgesamt drei Personen. Mit diesem Vorbringen zeigt er auf, daß die belangte Behörde bei Vermeidung des aufgezeigten Verfahrensmangels zu einem anderen Ergebnis hätte kommen können.
Wie der Verfassungsgerichtshof in seinen Erkenntnissen vom 16. März 1995, B 2259/94, und vom 12. Juni 1995, B 1599/94, dargetan hat, ist die Behörde bei Heranziehung des im § 5 Abs. 1 AufG enthaltenen Versagungstatbestandes der für die Dauer der Bewilligung nicht ortsüblichen Unterkunft in Fällen, in denen durch die Versagung der Bewilligung in das durch Art. 8 MRK gewährleistete Recht des Privatlebens eingegriffen würde, verhalten, die Notwendigkeit der Versagung der Bewilligung aus den in Art. 8 Abs. 2 MRK umschriebenen öffentlichen Interessen zu prüfen und dabei auch auf die privaten Interessen des Bewilligungswerbers Bedacht zu nehmen. Der Verwaltungsgerichtshof hat sich dieser Rechtsauffassung angeschlossen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 26. September 1996, Zlen. 95/19/0523, 0559).
Im vorliegenden Fall ist aktenkundig, daß der Beschwerdeführer seit 31. März 1989 - von kurzen Unterbrechungen abgesehen - über Wiedereinreisesichtvermerke verfügte. Er steht nach der Aktenlage auch in Österreich in Arbeit.
Die belangte Behörde wäre daher verpflichtet gewesen, im Sinne des Art. 8 Abs. 2 MRK eine Interessenabwägung zwischen den privaten Interessen des Beschwerdeführers einerseits und den öffentlichen Interessen an der Versagung einer Bewilligung andererseits vorzunehmen. Indem sie dies unterließ, hat sie ihren Bescheid mit inhaltlicher Rechtwidrigkeit belastet, deren Prävalieren bewirkt, daß dieser gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1996:1996190431.X00Im RIS seit
11.07.2001