TE Vwgh Erkenntnis 2021/9/22 Ra 2020/12/0040

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 22.09.2021
beobachten
merken

Index

E000 EU- Recht allgemein
E3L E05200510
E6J
10/05 Bezüge Unvereinbarkeit
10/07 Verfassungsgerichtshof
10/07 Verwaltungsgerichtshof
12/03 Entsendung ins Ausland
14/01 Verwaltungsorganisation
40/01 Verwaltungsverfahren
56/03 ÖBB
60/02 Arbeitnehmerschutz
61/01 Familienlastenausgleich
62 Arbeitsmarktverwaltung
63 Allgemeines Dienstrecht und Besoldungsrecht
63/01 Beamten-Dienstrechtsgesetz
64 Besonderes Dienstrecht und Besoldungsrecht
65 Pensionsrecht für Bundesbedienstete
66 Sozialversicherung

Norm

AVG §56
BDG 1979 §15
BDG 1979 §15 Abs1
BDG 1979 §236b
BDG 1979 §236d
DienstrechtsNov 2007
EURallg
PensionsharmonisierungsG 2005
VwGG §42 Abs2 Z1
VwGVG 2014 §17
32000L0078 Gleichbehandlungs-RL Beschäftigung Beruf Art2 Abs2 lita
32000L0078 Gleichbehandlungs-RL Beschäftigung Beruf Art6
62013CJ0020 Unland VORAB

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Schick, Hofrätin Mag.a Nussbaumer-Hinterauer, Hofrat Mag. Feiel, Hofrätin MMag. Ginthör und Hofrat Mag. Cede als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers MMag. Dr. Gotsbacher, über die Revision des F H in U, vertreten durch Dr. Martin Riedl, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Franz Josefs Kai 5, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. Mai 2020, W201 2172972-1/2E, betreffend Ruhegenussbemessung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter, nunmehr: Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter, Eisenbahnen und Bergbau), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Der am 14. April 1954 geborene Revisionswerber erklärte mit Schreiben vom 13. Dezember 2016, primär unverändert auf Basis des § 236b Beamten-Dienstrechtsgesetz 1979 (BDG 1979), in eventu auf Basis des § 236d BDG 1979, mit Ablauf des 31. Jänner 2017 in den Ruhestand zu treten.

2        Mit Schreiben vom 23. Dezember 2016 teilte das Bundesministerium für Inneres dem Revisionswerber mit, er habe durch seine schriftliche Erklärung vom 13. Dezember 2016 gemäß § 15 Abs. 1 BDG 1979 iVm. § 236d Abs. 1 BDG 1979 seine Versetzung in den Ruhestand bewirkt. Gemäß § 15 Abs. 2 BDG 1979 werde seine Ruhestandsversetzung mit Ablauf des 31. Jänner 2017 wirksam.

3        Mit Bescheid vom 16. Juni 2017 stellte die Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter (Pensionsbehörde) fest, dem Revisionswerber gebühre vom 1. Februar 2017 an ein Ruhebezug nach dem Pensionsgesetz 1965 (PG 1965) in der Höhe von monatlich brutto € 4.157,52 (Ruhegenuss von € 3.210,04, Erhöhungsbetrag nach § 90a PG 1965 von € 96,37, Nebengebührenzulage von € 851,11). Dabei ging die Pensionsbehörde davon aus, dass sich der Revisionswerber ab dem 1. Februar 2017 gemäß § 15 BDG 1979 iVm. § 236d BDG 1979 im Ruhestand befinde und nahm eine Kürzung der Ruhegenussbemessungsgrundlage gemäß § 5 Abs. 2 PG 1965 vor.

4        Gegen diesen Bescheid erhob der Revisionswerber Beschwerde, in der er zusammengefasst den Standpunkt vertrat, richtigerweise hätte seiner Ruhestandsversetzung § 236b BDG 1979 zu Grunde gelegt werden müssen. Es lägen nach wie vor keine die altersbezogene Diskriminierung des Geburtsjahrganges 1954 gegenüber dem Geburtsjahrgang 1953 rechtfertigenden Gründe vor.

5        Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht diese Beschwerde ab und sprach aus, die Revision sei gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

6        Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht unter Bezugnahme auf eine Stellungnahme des Bundeskanzleramts vom 31. Mai 2017 aus, die im Rahmen der verschiedenen Pensionsreformen getroffenen Maßnahmen seien notwendig, um die vom Rechnungshof vorgegebenen Sparziele zu erreichen. Weiters habe die langfristige Finanzierung der Ruhegenüsse nur durch die Erhöhung des Pensionsantrittsalters gesichert werden können. Erklärtes Ziel der Pensionsreformen sei gewesen, das Pensionsantrittsalter der Beamten zu erhöhen und die Beamten länger in Beschäftigung zu halten.

7        Aus der historischen Entwicklung der Gesetzgebung ergebe sich, dass der Jahrgang 1954 letztmalig im Jahr 2000 seine Ruhestandsversetzung nach Vollendung des 60. Lebensjahres abschlagsfrei habe bewirken können. Ab dem Jahr 2004 sei für die Betroffenen klar erkennbar gewesen, dass eine abschlagsfreie Ruhestandsversetzung nicht vor Vollendung des 64. Lebensjahres möglich sei, seit 2011 nur mehr im Alter von 65 Jahren. Die Ungleichbehandlung wegen des Alters sei im vorliegenden Fall objektiv und angemessen sowie im Rahmen des nationalen Rechts durch ein legitimes Ziel, nämlich die Ziele aus dem Bereich der Beschäftigungspolitik und des Arbeitsmarktes gerechtfertigt und die Mittel zur Erreichung dieser Ziele angemessen und erforderlich.

8        Von dieser nunmehr seit Jahren bekannten Stellungnahme vom 31. Mai 2017 habe auch der Revisionswerber bereits hinreichend Kenntnis erlangt (ua. Hinweis auf VwGH 9.3.2020, Ra 2019/12/0015). Nach dem soeben zitierten Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes erfordere die Abstandnahme von der Kürzung nach dem klaren Wortlaut des § 5 Abs. 2 PG 1965 in der hier anwendbaren Fassung BGBl. I Nr. 2010/2013 nicht nur, dass die Voraussetzungen für die Versetzung in den Ruhestand nach §§ 15, 15a iVm § 236b BDG 1979 am 1. Jänner 2014 vorlägen, sondern - lege non distinguente -, dass darüber hinaus eine Versetzung in den Ruhestand nach §§ 15, 15a iVm § 236b BDG 1979 auch erfolgt sei.

9        Da der Revisionswerber seine schriftliche Erklärung vom 13. Dezember 2016 auf Ruhestandsversetzung mit Ablauf des 31. Jänner 2017 (wie aus dem Schreiben des Bundesministeriums für Inneres vom 23. Dezember 2016 an den Revisionswerber unwidersprochen hervorgehe) auf die §§ 15 Abs. 1 iVm § 236d Abs. 1 BDG 1979 gestützt habe, sei die Ruhestandsversetzung auf Grundlage dieser gesetzlichen Bestimmungen zum genannten Termin herbeigeführt worden. Eine nachträgliche Änderung der gesetzlichen Grundlage der Versetzung in den Ruhestand sei im Gesetz nicht vorgesehen (Hinweis auf VwGH 25.10.2016, Ro 2016/12/0023).

10       Die im angefochtenen Bescheid durchgeführte Kürzung der Ruhegenussbemessungsgrundlage gemäß § 5 Abs. 2 PG 1965 sei daher zu Recht erfolgt.

11       Dagegen richtet sich die vorliegende Revision mit dem Antrag, das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben. Die belangte Behörde erstattete eine Revisionsbeantwortung.

12       In der Zulässigkeitsbegründung der Revision wird zusammengefasst ausgeführt, das angefochtene Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts widerspreche einerseits der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wonach davon auszugehen gewesen wäre, dass der Revisionswerber sich auf Grundlage seiner Erklärung auf Basis des § 236b BDG 1979 im Ruhestand befinde (Hinweis auf VwGH 25.10.2016, Ro 2016/12/0021, richtig: Ro 2016/12/0023) und andererseits der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wonach keine Rechtfertigung der Altersdiskriminierung durch die abrupte Verschlechterung der Pensionsansprüche vom Geburtsjahrgang 1953 auf den nächsten Geburtsjahrgang 1954 vorliege (Hinweis auf VwGH 10.1.2016, richtig: 19.10.2016, Ro 2016/12/0014).

13       Mit diesem Vorbringen wird jeweils ein Widerspruch zur Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs aufgezeigt. Die Revision ist daher zulässig. Sie ist auch berechtigt.

14       Zur Darstellung der (unionsrechtlichen und österreichischen) Rechtslage wird auf das hg. Erkenntnis vom 25. März 2015, Ro 2014/12/0045, verwiesen. § 236b Abs. 1 BDG 1979 in der hier anwendbaren Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 64/2016 hat denselben Wortlaut wie die in dem soeben genannten Erkenntnis anwendbare Fassung. In dem zitierten Erkenntnis vertrat der Verwaltungsgerichtshof - im auch hier wesentlichen Zusammenhang - nachstehende Rechtsansicht:

„Soweit der Revisionswerber eine unmittelbare Diskriminierung darin erblickt, dass lediglich seinen Geburtsjahrgang (1954) betreffend eine kurzfristig erfolgte Erhöhung des Pensionsantrittsalters (richtig im Ausmaß von rund zwei Jahren) vorgenommen worden sei, und er daraus eine Rechtswidrigkeit vor dem Hintergrund des Unionsrechts ableitet, ist Folgendes auszuführen:

Die unter Punkt III. einzeln dargestellten Novellierungen des BDG 1979 und des PG 1965 führen angesichts der für eine Ruhestandsversetzung erforderlichen Voraussetzungen, insbesondere des Mindestalters, sowie im Umfang der Ruhegenussbemessung eine unmittelbar auf dem Alter beruhende Ungleichbehandlung im Sinne des Art. 2 Abs. 2 lit. a der RL ein (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 28. Jänner 2013, Zl. 2010/12/0168, und die dort zitierten Urteile des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) vom 21. Juli 2011, Fuchs und Köhler, C-159/10 und C-160/10, Rn 33 und 34; vom 18. November 2010, Georgiev, C-250/09 und C-268/09, Rn 32; sowie vom 12. Oktober 2010, Rosenbladt, C-45/09, Rn 37).

Nach Art. 6 Abs. 1 der (entsprechend ihrem 6. und 25. Erwägungsgrund inhaltlich die Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer konkretisierenden) RL stellt eine Ungleichbehandlung wegen des Alters dann keine Diskriminierung dar, wenn sie objektiv und angemessen ist sowie im Rahmen des nationalen Rechts durch ein legitimes Ziel, worunter insbesondere rechtmäßige Ziele aus den Bereichen Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt und berufliche Bildung zu verstehen sind, gerechtfertigt ist und die Mittel zur Erreichung dieses Zieles angemessen und erforderlich sind (vgl. etwa die Urteile des EuGH vom 6. November 2012, Kommission/Ungarn, C-286/12, Rn 60; vom 5. Juli 2012, Hörnfeldt, C-141/11, Rn 21; Fuchs und Köhler, Rn 35; und Georgiev, Rn 36).

Die nähere Prüfung, ob derartige Regelungen (nach Untersuchung des mit ihnen verfolgten Zieles) mit der RL zu vereinbaren sind, stellt nach der Rechtsprechung des EuGH eine Aufgabe des nationalen Gerichtes dar (Urteil Georgiev, Rn 43; sowie Urteil vom 5. März 2009, Age Concern England, C-388/07, Rn 47).

Eine solche Prüfung durch den Verwaltungsgerichtshof im Wege der nachprüfenden Kontrolle eines verwaltungsbehördlichen Bescheides setzt aber voraus, dass die sich auf eine innerstaatliche Norm, welche eine Ungleichbehandlung auf Grund des Alters vorsieht, stützende Verwaltungsbehörde von sich aus Rechtfertigungsgründe im Verständnis des Art. 6 der RL ins Treffen führt und auch die hierfür erforderlichen Tatsachengrundlagen feststellt. Dazu ist den Parteien die Möglichkeit einzuräumen, ein entsprechendes Vorbringen zu erstatten.

Derartiges ist im angefochtenen Bescheid - in Verkennung dieser unionsrechtlichen Notwendigkeit - gänzlich unterblieben. Dies fällt umso mehr ins Gewicht, weil die Zielsetzung des österreichischen Gesetzgebers im Rahmen der (unter Punkt III.) dargestellten, etappenweise umgesetzten Pensionsreform in den Materialien teils nicht aufgedeckt wird und teils kein klares und einheitliches Bild ergibt. Die - bereits im zitierten Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 23. Juni 2014, B 1081/2013 u.a., genannten - Materialien lassen nicht erkennen, weshalb eine Differenzierung zwischen den Geburtsjahrgängen 1953 und 1954 dahin vorgenommen wurde, dass für letztere ein Pensionsantritt erst mit Vollendung des 62. Lebensjahres vorgesehen ist. Insbesondere ist auch kein konkreter und offensichtlicher Anlass zu erkennen, weshalb gerade den Geburtsjahrgang 1954 - anders als die anderen Jahrgänge - betreffend eine kurzfristig erfolgte Erhöhung des Pensionsantrittsalters im Ausmaß von rund 2 Jahren erforderlich geworden war.

Art. 6 Abs. 1 der RL ist zwar nicht zu entnehmen, dass eine nationale Regelung, die das angestrebte Ziel - wie im vorliegenden Fall - nicht genau angibt, automatisch von einer Rechtfertigung nach dieser Richtlinienbestimmung ausgeschlossen ist. Fehlt es an einer solchen genauen Angabe, müssen allerdings andere aus dem allgemeinen Kontext der betreffenden Maßnahme abgeleitete Anhaltspunkte die Feststellung des hinter dieser Maßnahme stehenden Ziels ermöglichen, damit dessen Rechtmäßigkeit sowie die Angemessenheit und Erforderlichkeit der zu seiner Erreichung eingesetzten Mittel gerichtlich überprüft werden können. Dies betrifft ebenso die Prüfung vorgesehener Übergangsmaßnahmen auf ihre Eignung, das berechtigte Vertrauen der Betroffenen zu schützen (vgl. zum Ganzen etwa die Urteile des EuGH Kommission/Ungarn, Rn 58 und 68 bis 74; Hörnfeldt, Rn 24, Fuchs und Köhler, Rn 39; sowie Rosenbladt, Rn 58 mwN der Judikatur dieses Gerichtshofes).

Auf Grund des Fehlens einer - nach Wahrung des rechtlichen Gehörs der Parteien vorzunehmenden - Prüfung der hiernach vom nationalen Recht konkret angestrebten Ziele, deren Rechtmäßigkeit und Angemessenheit sowie der Erforderlichkeit der zu ihrer Erreichung eingesetzten Mittel (einer kurzfristigen und erheblichen Erhöhung des den Revisionswerber betreffenden Pensionsantrittsalters nach der dargestellten, zudem zeitlich sistierten, Stufenregelung) ist der angefochtene Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.“

15       Gemäß der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes führt eine schriftliche Erklärung im Sinne des § 236b oder 236d BDG 1979 bei Vorliegen der jeweiligen Voraussetzungen kraft Gesetzes zum Eintritt des Ruhestandes, ohne dass es dazu eines (konstitutiven) Bescheides der Dienstbehörde bedürfte. Für die Frage, ob eine derartige Erklärung des Revisionswerbers seine Versetzung in den Ruhestand herbeigeführt hat oder nicht, ist ausschließlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt des in der Erklärung genannten Ruhestandsversetzungstermines maßgeblich (vgl. VwGH 9.3.2020, Ra 2019/12/0015, mwN).

16       Da der Revisionswerber im vorliegenden Revisionsfall seine Erklärung auf Versetzung in den Ruhestand vom 13. Dezember 2016 primär auf § 236b (und lediglich eventualiter auf § 236d) BDG 1979 stützte, wäre vom Bundesverwaltungsgericht zunächst das Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen für eine Ruhestandsversetzung nach § 236b (Abs. 1) BDG 1979 zu prüfen gewesen.

17       Dazu wäre es im Sinne des oben wiedergegebenen Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes erforderlich gewesen, zu prüfen, ob die Ungleichbehandlung aufgrund des Alters zwischen den Geburtsjahrgängen 1953 und 1954 gerechtfertigt ist oder die den Revisionswerber benachteiligenden Bestimmungen des PG 1965 wegen Verstoßes gegen Unionsrecht unangewendet zu bleiben haben.

18       Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 19. Oktober 2016, Ro 2016/12/0014, Folgendes ausgesprochen:

„Dem BVwG ist grundsätzlich in seiner Argumentation beizupflichten, dass die schrittweise Anhebung des effektiven Pensionsantrittsalters unter Berücksichtigung der demographischen Entwicklung der Bevölkerung in Österreich zur Sicherung des Pensionssystems für zukünftige Generationen durch Maßnahmen, die das faktische Pensionsantrittsalter anheben, einen Rechtfertigungsgrund im Verständnis des Art. 6 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeines Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (kurz: RL) darstellen kann. Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union verfügen auf nationaler Ebene nicht nur bei der Entscheidung, welches konkrete Ziel von mehreren im Bereich der Arbeits- und Sozialpolitik sie verfolgen wollen, sondern auch bei der Festlegung der Maßnahmen zu seiner Erreichung über einen weiten Ermessensspielraum (vgl. in diesem Sinn etwa das bereits vom BVwG genannte Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) vom 9. September 2015, Daniel Unland, C-20/13, Rn 57 und 65).

Allerdings fehlt - wie der Revisionswerber zutreffend ausführt - auch hier die bereits im hg. Erkenntnis vom 25. März 2015, Ro 2014/12/0045, dargestellte und für den Ausgang des Verfahrens wesentliche Prüfung, wodurch die Ungleichbehandlung des Geburtsjahrganges 1954 - insbesondere gegenüber den im Dienststand verbliebenen Beamten des Jahrganges 1953 - sachlich gerechtfertigt ist.

Dabei ist zu berücksichtigen, dass noch das Pensionsharmonisierungsgesetz 2004, die Dienstrechts-Novelle 2007 und zuletzt das Sozialrechts-Änderungsgesetz 2008 (ohne nähere Begründung in den Gesetzesmaterialien) für die unmittelbar vorangehenden Jahrgänge jeweils eine Verlängerung der Geltungsdauer der Regelungen über den abschlagsfreien Pensionsantritt bei langer beitragsgedeckter Gesamtdienstzeit - zuletzt um 3 Jahre - als angemessen erachtet haben, ohne dass dafür ins Gewicht fallende, die davon betroffenen Geburtsjahrgänge besonders betreffende Unterscheidungskriterien gegenüber dem Geburtsjahrgang 1954, etwa im Bereich der demographischen Entwicklung oder der Situation am Arbeitsmarkt, offenkundig gewesen oder vom BVwG festgestellt worden wären.

Auf Grund des (somit unveränderten) Fehlens der aufgetragenen - nach Wahrung des rechtlichen Gehörs der Parteien vorzunehmenden - Prüfung der insoweit vom nationalen Recht konkret angestrebten Ziele, deren Rechtmäßigkeit und Angemessenheit sowie der Erforderlichkeit der zu ihrer Erreichung eingesetzten Mittel (einer kurzfristigen und erheblichen Erhöhung des den Revisionswerber betreffenden Pensionsantrittsalters nach der dargestellten, zudem zeitlich sistierten, Stufenregelung) ist das angefochtene Erkenntnis mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet, weshalb es gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.“

19       Für den vorliegenden Revisionsfall ergibt sich aus der wiedergegebenen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass vom Bundesverwaltungsgericht zu beurteilen gewesen wäre, ob die vom Verwaltungsgerichtshof - aufgrund der kurzfristig erfolgten Erhöhung des Pensionsantrittsalters und des niedrigeren Ruhebezugs - festgestellte Altersdiskriminierung des Geburtsjahrganges 1954 gegenüber dem Geburtsjahrgang 1953 gerechtfertigt ist. Zu beurteilen gewesen wäre also die Rechtfertigung der Ungleichbehandlung dieser beiden Geburtsjahrgänge. Zu den hiefür erforderlichen Tatsachengrundlagen wäre den Parteien rechtliches Gehör einzuräumen und sodann Feststellungen hiezu zu treffen gewesen.

20       Sollte das Bundesverwaltungsgericht im fortgesetzten Verfahren nach Einräumung rechtlichen Gehörs an die Parteien zu dem Ergebnis gelangen, dass eine Rechtfertigung der Altersdiskriminierung des Geburtsjahrgangs 1954 gegenüber dem Geburtsjahrgang 1953 nicht vorliegt, wäre - infolge Vorrangs des Unionsrechts und der daraus folgenden Unanwendbarkeit entgegenstehenden nationalen Rechts daran auszugehen, dass der Revisionswerber durch seine Erklärung vom 13. Dezember 2016 gemäß § 15 BDG 1979 iVm. § 236b Abs. 1 BDG 1979 seinen Übertritt in den Ruhestand bewirkt hat. Sollte es hingegen zu dem Ergebnis gelangen, dass - die in den wiedergegebenen Erkenntnissen des Verwaltungsgerichtshofes im Einzelnen dargestellte - Diskriminierung nach dem Alter gerechtfertigt ist, wäre davon auszugehen, dass der Revisionswerber durch seine Erklärung vom 13. Dezember 2016 gemäß § 15 BDG 1979 iVm. § 236d Abs. 1 BDG 1979 in den Ruhestand getreten ist.

21       Somit war das angefochtene Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufzuheben.

22       Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet auf §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 22. September 2021

Gerichtsentscheidung

EuGH 62013CJ0020 Unland VORAB

Schlagworte

Anspruch auf bescheidmäßige Erledigung und auf Zustellung, Recht der Behörde zur Bescheiderlassung konstitutive Bescheide Besondere Rechtsgebiete Gemeinschaftsrecht Richtlinie richtlinienkonforme Auslegung des innerstaatlichen Rechts EURallg4/3 Maßgebende Rechtslage maßgebender Sachverhalt

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020120040.L00

Im RIS seit

21.10.2021

Zuletzt aktualisiert am

05.11.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten