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10/07 VerwaltungsgerichtshofNorm
AVG §8Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler und die Hofrätinnen Mag.a Merl und Mag. Rehak als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Schreiber BA, in der Revisionssache des Mag. Pharm. H B in W, vertreten durch Mag. Wolfram Schachinger, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Hafengasse 16/4-5, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. Juli 2020, W2204219-1/158E, betreffend Einwendungen gegen die Genehmigung der Vorhaben „Stadtstraße Aspern“ und „Anschlussstelle Seestadt Ost“ nach dem UVP-G 2000 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Wiener Landesregierung; mitbeteiligte Partei: Stadt Wien, vertreten durch die Jarolim Partner Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Volksgartenstraße 3/2. OG), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Der Revisionswerber hat der Mitbeteiligten Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
2 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
3 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
4 Am 25.6.2014 beantragte die Stadt Wien (Mitbeteiligte) die Genehmigung für die Errichtung und den Betrieb der „Stadtstraße Aspern“ im konzentrierten Verfahren nach dem zweiten Abschnitt des Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetzes 2000 (UVP-G 2000). Mit dem persönlich am 21. April 2016 überreichten Schriftsatz modifizierte sie ihren Antrag dahingehend, dass dieser auch die „Anschlussstelle Seestadt Aspern“ umfasse.
5 Der Revisionswerber ist Miteigentümer eines näher genannten Grundstückes im Nahebereich der „Stadtstraße Aspern“ und Inhaber einer Konzession für den Betrieb einer öffentlichen Apotheke; er betreibt auf diesem Grundstück eine Apotheke.
6 Die Wiener Landesregierung (Behörde) erteilte mit Bescheid vom 12. Juni 2018 die Genehmigung zur Errichtung und zum Betrieb des beantragten Vorhabens nach Maßgabe zahlreicher Nebenbestimmungen gemäß § 17 iVm Anhang 1 Z 9 lit. a UVP-G 2000 unter Mitanwendung des Immissionsschutzgesetzes-Luft (IG-L), des Forstgesetzes (ForstG), des Wasserrechtsgesetzes (WRG), des Bundesstraßengesetzes (BStG), des Wiener Baumschutzgesetzes (Wr. BaumschutzG), des Wiener Naturschutzgesetzes (Wr. NatSchG) und der Wiener Bauordnung (Wr. BauO).
7 Der Revisionswerber erhob - neben anderen Parteien - Beschwerde gegen den oben genannten Genehmigungsbescheid.
8 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) - soweit für das gegenständliche Verfahren relevant - der Beschwerde unter anderem des Revisionswerbers teilweise Folge und änderte den Spruch des angefochtenen Bescheides in einer Reihe von Punkten ab. Eine ordentliche Revision wurde (mit der unten, Rn. 12, wiedergegebenen Begründung) für zulässig erklärt.
Zum Vorbringen des Revisionswerbers im Zusammenhang mit der Apotheke stellte das BVwG fest, im Umkreis von zwei Kilometern von dessen Betriebsanlage befänden sich vier weitere Apotheken. Bestimmte Bautätigkeiten riefen Erschütterungen hervor, wodurch einzelne Verwiegungstätigkeiten vorübergehend nicht durchgeführt werden könnten; die Anfertigung von Arzneimitteln sei nicht oder nur eingeschränkt möglich. Zu massiven Erschütterungen werde es nur an wenigen Tagen kommen. Während der Betriebsphase komme es zu keinen Einschränkungen. Die Apotheke sei auch während der Bauphase für Kunden und Lieferanten immer zugänglich.
9 In seiner rechtlichen Beurteilung führte das BVwG zu dem Vorbringen des Revisionswerbers, es käme durch die „Barrierewirkung“ [gemeint wohl: die Behinderungen durch die Baustelle] und die eingeschränkte Möglichkeit der Medikamenten- und Produktanfertigung aufgrund der Staubeinwirkungen und Erschütterungen zu einer Einschränkung der Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln und in weiterer Folge zu einer „enormen“ Gesundheitsgefährdung, aus, die durch das Vorhaben „Stadtstraße Aspern“ bewirkten Zusatzbelastungen betreffend Staub lägen deutlich unter den gesetzlichen Grenzwerten und seien am Standort des Apothekenbetriebes äußert gering. Es sei eine zusätzliche Auflage (A.II.13.) vorgeschrieben worden, wonach spätestens vier Wochen vor dem geplanten Beginn der Herstellung von Spundwänden, Schlitzwänden oder Bohrpfählen sowie Bodenverdichtungsarbeiten im Bereich von weniger als 80 m von der Apotheke der Revisionswerber in geeigneter Form über den geplanten Zeitpunkt der Aufnahme und die voraussichtliche Dauer dieser Arbeiten nachweislich zu informieren sei; spätestens eine Woche vor Beginn der Arbeiten und sodann wöchentlich sei dem Revisionswerber der genaue Bauzeitplan für die darauffolgende Woche nachweislich zu übermitteln. § 1 Abs. 1 UVP-G 2000 umfasse zwar auch „mittelbare“ Auswirkungen eines Vorhabens auf die Umwelt; damit seien Auswirkungen gemeint, die nicht direkt vom Vorhaben selbst, sondern als Folgewirkung unmittelbarer Auswirkungen aufträten oder vom Vorhaben hervorgerufene Vorgänge bewirkten. Fehlerhafte, den apotheken- oder arzneimittelrechtlichen Vorschriften widersprechende Verwiegungstätigkeiten bei der Zubereitung von Arzneimitteln infolge der Auswirkungen während der Bauphase des Vorhabens seien nach Ansicht des BVwG „nicht mehr Erkenntnisgegenstand der Umweltverträglichkeitsprüfung - und diese ist Beurteilungsgrundlage für die Prüfung der Erfüllung der Genehmigungsvoraussetzungen gemäß § 24f UVP-G 2000“.
10 Soweit der Revisionswerber eine Gesundheitsgefährdung seiner Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer durch Lärmbelästigungen und Immissionen von Luftschadstoffen befürchte, werde auf die Ausführungen des Sachverständigen für Humanmedizin verwiesen, wonach die Immissionsbedingungen zum Schutz der allgemeinen Bevölkerung eingehalten würden und daher keine Veranlassung für die Heranziehung der sogenannten „MAK-Werte“ für Staub nach der in Durchführung des Arbeitnehmerschutzgesetzes (ASchG) erlassenen Grenzwerteverordnung bestehe. Diesen Ausführungen des Sachverständigen sei der Revisionswerber nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten.
11 Zur Vermeidung von das Eigentum oder sonstige dingliche Rechte von Nachbarn gefährdenden Immissionen aufgrund vorübergehender Einschränkungen hinsichtlich bestimmter Verwiegungstätigkeiten während der Bauphase führte das BVwG aus, eine Konzession zum Betrieb einer öffentlichen Apotheke an einem bestimmten Standort sei nicht als „öffentliches Recht“ im Sinn des § 74 Gewerbeordnung 1994 (GewO 1994), das nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch für die Anwendung des § 24f Abs. 1 Z 2 lit. a UVP-G 2000 beachtlich sei (Hinweis auf VwGH 19.12.2013, 2011/03/0160; 27.1.2006, 2003/04/0130; 27.6.2003, 2001/04/0236), anzusehen. Im vorliegenden Fall liege keine Einschränkung der sinnvollen Sachnutzung des Grundstückes für den Betrieb der Apotheke, die einer Bedrohung der Substanz des Eigentums gleichzuhalten wäre, vor. Lediglich während bestimmter Bautätigkeiten für die „Stadtstraße Aspern“ könne der Apothekenbetrieb nicht vollständig aufrechterhalten werden, weil bestimmte Verwiegetätigkeiten für die Herstellung von magistralen oder offizialen Zubereitungen aufgrund der gesetzlichen Anforderungen nach der Apothekenbetriebsordnung nicht in der derzeitigen Flexibilität durchgeführt werden könnten, sodass allenfalls Kunden, die eine bestimmte Zubereitung zeitnah benötigten, an eine andere öffentliche Apotheke verwiesen werden müssten. Weder im verwaltungsbehördlichen noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren habe der Revisionswerber behauptet, dass der Betrieb der Apotheke am derzeitigen Standort während der Bauphase überhaupt nicht aufrechterhalten werden könnte.
Gemäß § 13 Abs. 1 Apothekengesetz (ApG) sei der Inhaber einer Apotheke verpflichtet, den Betrieb derselben ununterbrochen aufrecht zu erhalten. Aufgrund der festgestellten Auswirkungen während der Errichtung der „Stadtstraße Aspern“ bestehe keine Notwendigkeit, den Betrieb der Apotheke gänzlich einzustellen. Das BVwG gehe auch sonst nicht davon aus, dass die im vorliegenden Fall gegebenen Betriebseinschränkungen bereits den Grad eines Verstoßes gegen die Betriebspflicht gemäß § 13 Abs. 1 ApG bewirkten.
12 Eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof wurde - soweit für das gegenständliche Verfahren relevant - für zulässig erklärt, weil es keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu der Frage gebe, ob und inwieweit eine mit einer öffentlich-rechtlichen „Konzession“ für den Betrieb einer öffentlichen Apotheke verbundene „Betriebspflicht“ dem § 24f Abs. 1 Z 2 lit. a UVP-G 2000 auch dann entgegenstehen könne, wenn mit der Genehmigung unter Beachtung der ersichtlichen Linien der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes keine einer Substanzgefährdung gleichzuhaltende Auswirkung auf die sinnvolle Sachnutzung zu prognostizieren sei. Diesbezüglich seien die gesetzlichen Vorschriften auch nicht klar und eindeutig. Stünde die Betriebspflicht in Zusammenhang mit den festgestellten Auswirkungen auf den Betrieb der öffentlichen Apotheke § 24f Abs. 1 Z 2 lit. a UVP-G 2000 entgegen, wäre die Genehmigung aufzuheben.
13 Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der mit Beschluss vom 24. November 2020, E 2971/2020-11, deren Behandlung ablehnte und sie aufgrund des nachträglichen Antrages auf Abtretung der Beschwerde mit Beschluss vom 5. Jänner 2021, E 2971/2020-13, gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat. Begründend hielt der Verfassungsgerichtshof fest, zur Beantwortung der Frage, ob das BVwG zu Recht vom Vorliegen der Genehmigungsvoraussetzungen gemäß § 24f Abs. 1 Z 2 UVP-G 2000 ausgegangen sei, seien keine spezifisch verfassungsrechtlichen Überlegungen anzustellen.
14 In der vorliegenden ordentlichen Revision schließt sich der Revisionswerber den Ausführungen des BVwG betreffend die formulierte Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung (siehe Rn. 12) an. Ergänzend bringt er zur Zulässigkeit der Revision vor, die Betriebspflicht stehe in einem untrennbaren Zusammenhang mit der Versorgungssicherheit der Bevölkerung mit teilweise lebenswichtigen Medikamenten. Es fehle hg. Rechtsprechung zu der Frage, ob - neben der Gefährdung von Eigentum oder sonstigen dinglichen Rechten - das Genehmigungshindernis der (mittelbaren) Gefährdung des Lebens und der Gesundheit der Menschen (Nachbarn des Vorhabens) durch die vorhabensbedingte Verhinderung des ordnungsgemäßen Apothekenbetriebes bestehe. Darüber hinaus weiche das angefochtene Erkenntnis von der ständigen hg. Rechtsprechung zum Vorhabensbegriff insofern ab, als die Mitbeteiligte trotz des sachlichen und räumlichen Zusammenhanges nicht versucht habe, den Revisionswerber als Mitantragsteller für das Vorhaben aufgrund der erforderlichen Genehmigung für einen Ersatzstandort der Apotheke zu gewinnen; die apothekenrechtliche Genehmigung des Ersatzstandortes wäre „[a]ufgrund der UVP-rechtlichen Vollkonzentration“ durch das BVwG zu erteilen gewesen.
15 Das BVwG forderte den Revisionswerber mit Verfügung vom 17. Februar 2021 auf, das Recht, in dem die revisionswerbende Partei verletzt zu sein behauptete (Revisionspunkte, § 28 Abs. 1 Z 4 VwGG), innerhalb einer festgesetzten Frist bestimmt zu bezeichnen.
16 „Rein aus anwaltlicher Vorsicht“ wurde im Schriftsatz vom 24. Februar 2021 als Revisionspunkt ausgeführt: „Der Revisionswerber ist durch das Erkenntnis in seinem Recht auf Versagung der Genehmigung, aufgrund der vorliegenden Voraussetzungen hierfür, verletzt.“ In der Revision sei umfassend dargelegt worden, dass die Genehmigung gemäß § 24f Abs. 1 Z 2 lit. a UVP-G 2000 nicht hätte erteilt werden dürfen, weil die Gesundheit von Menschen oder das Eigentum oder sonstige dingliche Rechte der Nachbarn/NachbarInnen - konkret des Revisionswerbers - gefährdet würden. Diesbezüglich sei unter anderem auf die der Erteilung der Genehmigung entgegenstehende apothekenrechtliche Betriebspflicht verwiesen worden.
17 Dazu kann gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf die Begründung des hg. Beschlusses vom 1. Juni 2021, Ro 2020/06/0011 bis 0080, Rn. 12 bis 14, verwiesen werden. Mit der behaupteten Verletzung im „Recht auf Versagung der Genehmigung aufgrund der vorliegenden Voraussetzungen hierfür“ legt der Revisionswerber nicht dar, in welchem konkreten subjektiv-öffentlichen Recht gemäß § 19 Abs. 1 Z 1 UVP-G 2000 er sich als verletzt erachtet.
18 Die Revision erweist sich daher schon mangels Darlegung eines tauglichen Revisionspunktes als unzulässig und war gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.
19 Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 47 ff VwGG, insbesondere auf §§ 51 und 53 VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 30. September 2021
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2021:RO2021060009.J00Im RIS seit
21.10.2021Zuletzt aktualisiert am
21.10.2021