TE Bvwg Erkenntnis 2021/5/31 L511 2230722-1

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Veröffentlicht am 31.05.2021
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Entscheidungsdatum

31.05.2021

Norm

Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen §1
BBG §42
BBG §45
B-VG Art133 Abs4

Spruch


L511 2230722–1/13E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag.a JICHA als Vorsitzende und den Richter Dr. DIEHSBACHER sowie den fachkundigen Laienrichter RR PHILIPP als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice Landesstelle XXXX vom 31.03.2020, Zahl: OB XXXX , betreffend Abweisung des Antrags auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass, in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I.       Verfahrensgang und Verfahrensinhalt

1.       Verfahren vor dem Sozialministeriumservice [SMS]

1.1.    Der Beschwerdeführer stellte am 19.07.2019 einen Antrag auf Ausstellung eines Ausweises gemäß § 29b StVO (Parkausweis), welcher auch als Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses sowie auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel“ in den Behindertenpass gilt und legte dazu im Verfahren medizinische Befunde sowie ein Pflegegeldgutachten der Pensionsversicherungsanstalt vor (Aktenzahl der elektronisch übermittelten Aktenteile [AZ] 2.5; 2.6-2.9; 2.12).

1.2.    Das SMS holte ein Sachverständigengutachten aus dem Fachgebiet der Allgemeinmedizin ein. Dieses Gutachten vom 02.03.2020 wurde auf Grundlage einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am 28.01.2020 unter Einbeziehung der vorgelegten aktuellen Befunde erstattet. Als Ergebnis der Begutachtung wurden die Funktionseinschränkungen den entsprechenden Leidenspositionen nach der Einschätzungsverordnung zugeordnet und ein Gesamtgrad der Behinderung [GdB] von 60 vH festgestellt. Zur Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wurde zusammengefasst ausgeführt, dass die Gehleistung aufgrund des Herzleidens des Beschwerdeführers zwar eingeschränkt sei, eine Wegstrecke von 400 m jedoch zurückgelegt werden könne, das Ein- und Aussteigen in öffentliche Verkehrsmittel, die Sitzplatzsuche und die Benützung von Haltestangen und –griffen sei möglich und die Standhaftigkeit sei nicht eingeschränkt (AZ 2.16).

1.3.    Das SMS stellte einen Behindertenpass mit einem GdB von 60 vH und den Zusatzeintragungen „Der Inhaber des Passes ist Träger einer Prothese“ sowie „Gesundheitsschädigung gem. § 2 Abs.1 zweiter Teilstrich VO 303/1996 liegt vor“ im Scheckkartenformat aus, welcher dem Beschwerdeführer mit Begleitschreiben vom 01.04.2020 übermittelt wurde (AZ 3.1, 3.18).

1.4.    Mit verfahrensgegenständlichem Bescheid des SMS vom 31.03.2020, Zahl: XXXX , wurde der Antrag des Beschwerdeführers vom 19.07.2019 gemäß §§ 42 und 45 BBG abgewiesen, da beim Beschwerdeführer die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung nicht vorlägen (AZ 2.18).

Begründend verwies das SMS auf die Ergebnisse des Gutachtens vom 02.03.2020, welches als schlüssig erkannt wurde. Das Gutachten wurde als Beilage zum Bescheid übermittelt.

1.5.    Mit Schreiben vom 27.04.2020 erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde [Bsw] gegen den oben bezeichneten Bescheid des SMS (AZ 1.2).

Darin führt der Beschwerdeführer im Wesentlichen aus, sein Gesundheitszustand lasse es nicht zu, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen, weder mit noch ohne Begleitperson. Er sei teilweise örtlich nicht zu 100% orientiert und auch aufgrund seiner Bewegungseinschränkungen nicht in der Lage, irgendwo hinzufahren.

2.       Die belangte Behörde legte dem Bundesverwaltungsgericht [BVwG] am 06.05.2020 die Beschwerde samt Auszügen aus dem Verwaltungsakt in elektronischer Form vor (Ordnungszahl des gegenständlichen Gerichtsaktes OZ 1 [=AZ 1.1-1.2, 2.1 -2.18; 3.1-3.19]).

2.1.    Das BVwG holte zunächst ein Sachverständigengutachten aus dem Fachgebiet der Allgemeinmedizin ein (OZ 3). Dieses Gutachten vom 18.08.2020 wurde auf Grundlage einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am 07.08.2020 sowie unter Einbeziehung des Vorgutachtens und eines zur Untersuchung mitgebrachten aktuellen Befundes vom Juli 2020 erstattet und bestätigte die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel.

Die bestehenden Beschwerden des Bewegungsapparates seien als geringgradig einzuschätzen. Eine relevante Einschränkung der Mobilität habe nicht objektiviert werden können. Eine Wegstrecke von 300-400m könne zurückgelegt werden, unter Verwendung eines Gehbehelfes könne die Gehleistung verbessert werden. Ein- und Aussteigen, das Stehen und das Einnehmen oder Verlassen eines Sitzplatzes sei dem Beschwerdeführer problemlos möglich. Beim abruptem Bremsen oder Anfahren sei der sichere Stand gefährdet, was jedoch durch das Anhalten an Stangen oder Griffen ausgeglichen werden könne, was dem Beschwerdeführer möglich sei. In seiner kognitiven Leistungsbreite sei der Beschwerdeführer eingeschränkt, eine relevante Einschränkung der örtlichen und zeitlichen Orientierung habe aber nicht erhoben werden können. Bei der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel bspw. bei unbekannten, nicht trainierten Wegen sei eine Begleitperson erforderlich. Aus neurologischer Sicht haben keine relevanten Defizite nach dem Schlafanfall des Beschwerdeführers objektiviert werden können.

2.2.    In der Folge wurde vom BVwG ein Sachverständigengutachten aus dem Fachgebiet der Psychiatrie eingeholt. Dieses Gutachten vom 24.01.2021 wurde auf Grundlage einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am 12.01.2021 sowie unter Einbeziehung der Vorgutachten erstattet (OZ 9). Als Ergebnis der Begutachtung wurde zur Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zusammengefasst ausgeführt, dass die Einwendungen des Beschwerdeführers in dessen Beschwerde während der Untersuchung nicht nachvollzogen werden haben können. Der Beschwerdeführer erscheine in allen Qualitäten orientiert, wenngleich er gelegentlich Probleme habe, Ereignisse in der Vergangenheit zeitlich einzuordnen. Höhergradige Bewegungseinschränkungen oder Lähmungserscheinungen seien nicht auffällig. Relevante Beeinträchtigungen aufgrund des Schlaganfalls des Beschwerdeführers seien nicht (mehr) feststellbar. Eine psychiatrische Problematik im Sinne einer Sozialphobie sei nicht vorhanden.

2.3.    Mit Parteiengehör vom 02.02.2021, elektronisch zugestellt am 02.02.2021 an das SMS sowie am 09.02.2021 per RSa an den Beschwerdeführer, übermittelte das BVwG den Verfahrensparteien das Sachverständigengutachten vom 24.01.2021 mit dem Ersuchen um Stellungnahme und dem Hinweis, dass das BVwG beabsichtige, sich auf dieses Gutachten zu stützen (OZ 11).

2.4.    Keine der Verfahrensparteien nahm dazu Stellung.

II.      Zu A) Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.       entscheidungswesentliche Feststellungen

1.1.    Der Beschwerdeführer ist in Österreich wohnhaft und verfügt über einen gültigen Behindertenpass mit einem eingetragenen Gesamtgrad der Behinderung von 60 vH sowie den Zusatzeintragungen „Der Inhaber des Passes ist Träger einer Prothese“ sowie „Gesundheitsschädigung gem. § 2 Abs.1 zweiter Teilstrich VO 303/1996 liegt vor“.

1.2.    Im Hinblick auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel sind folgende Feststellungen zu treffen:

Der Beschwerdeführer kann annährend symmetrisch gehen und weist habituelles Oberkörperwanken auf. Die Arme schwingt er seitlich dynamisch mit, ein signifikantes verlangsamtes Gehen ist nicht festzustellen, ebenso wenig ein Abweichen von der Ganglinie. Er hinkt leicht. Beim Beschwerdeführer besteht ein Herzleiden, welches die Gehleistung zwar einschränkt, eine Wegstrecke von 400m kann er jedoch aus eigener Kraft und ohne fremde Hilfe zurücklegen. Niveauunterschiede bis 30cm zum Ein- und Aussteigen in/aus öffentliche/n Verkersmittel/n kann er überwinden. Trotz des erlittenen Schlaganfalles bestehen keine Einschränkungen betreffend die Standhaftigkeit des Beschwerdeführers, insbesondere in Bezug auf das sichere Stehen, die Sitzplatzsuche oder bei einer Fortbewegung im öffentlichen Verkehrsmittel während der Fahrt. Der Beschwerdeführer kann Haltegriffe und –stangen benützen. Dass der Beschwerdeführer weder alleine, noch in Begleitung ein öffentliches Verkehrsmittel benützen könnte, teilweise nicht örtlich orientiert wäre und in seinen Bewegungsmöglichkeiten eingeschränkt wäre, konnte nicht objektiviert werden.


Der Beschwerdeführer ist in allen Qualitäten orientiert, wenngleich er gelegentlich Probleme hat, Ereignisse in der Vergangenheit zeitlich einzuordnen. Beeinträchtigungen die durch den Schlaganfall des Beschwerdeführers hervorgerufen wurden, sind nicht mehr feststellbar; insbesondere besteht keine wesentliche Krafteinschränkung. Eine psychiatrische Problematik im Sinne einer Sozialphobie ist nicht vorhanden (AZ 2.16, OZ 9).

2.       Beweisaufnahme und Beweiswürdigung

2.1.    Die Beweisaufnahme erfolgte durch Einsicht in die dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Auszüge aus dem Verwaltungsverfahrensakt (OZ 1), aus denen sich auch der unter I. dargelegte Verfahrensgang ergibt. Zur Entscheidungsfindung wurden vom BVwG insbesondere folgende Unterlagen herangezogen:

?        Sachverständigengutachten aus dem Fachgebiet der Allgemeinmedizin vom 02.03.2020 (AZ 2.16)

?        Sachverständigengutachten aus dem Fachgebiet der Psychiatrie vom 24.01.2021 (OZ 9)

?        Bescheid des SMS vom 31.03.2020 (AZ 2.18)

?        Beschwerde vom 27.04.2020 (AZ 1.2)

?        Datenstammblatt des SMS (AZ 2.1)

?        Einsicht in das Zentrale Melderegister [ZMR] (OZ 1)

2.2.    Beweiswürdigung

2.2.1.  Die allgemeinen Feststellungen (Punkt 1.1.) ergeben sich aus der Antragstellung und dem ZMR und sind unstrittig (AZ 2.1, OZ 1).

2.2.2.  Die Feststellungen ergeben sich aus dem Sachverständigengutachten aus dem Fachgebiet der Allgemeinmedizin vom 02.03.2020 (AZ 2.16) sowie aus dem Fachgebiet der Psychiatrie vom 24.01.2021 (OZ 9).

2.2.3.  Den Einwendungen in der Beschwerde zur Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wurde durch Einholung eines Gutachtens aus dem Fachgebiet der Psychiatrie vom 24.01.2021 Rechnung getragen.

Während der Untersuchung durch den Facharzt der Psychiatrie gab der Beschwerdeführer an, auch längere Strecken gehen zu können. Die oberen und unteren Extremitäten wiesen keine Kraftminderung auf, im Zuge des Armvorhalteversuchs (AVV) wurde keine Pronation (Einwärtsdrehung) und kein Absinken festgestellt, der Finger-Nasen-Versuch wurde nichtkooperativ ausgeführt, der Patellarsehnenreflex und der Achillessehnenreflex sowie die Reflexe der oberen Extremitäten wurden seitengleich ausgeführt. Der Unterberger-Tretversuch und der Romberg-Stehversuch waren unauffällig.


Dass der Beschwerdeführer weder mit noch ohne Begleitperson ein öffentliches Verkehrsmittel benützen könnte, konnte im Rahmen der durchgeführten Untersuchung nicht objektiviert werden, zumal der Beschwerdeführer in allen Qualitäten orientiert war; es waren lediglich Einordnungsschwierigkeiten zurückliegender Ereignisse feststellbar. Durch den Schlaganfall verursachte Einschränkungen waren nicht mehr feststellbar und eine psychiatrische Problematik (Sozialphobie) war ebenso nicht erkennbar.

2.3.    Die Feststellungen im Gutachten sind nachvollziehbar, in sich schlüssig sowie in Bezug auf das Vorgutachten und die vorgelegten Befunde widerspruchsfrei. (vgl. dazu VwGH 26.02.2016, Ro2014/03/0004). Weder der Beschwerdeführer noch das SMS sind den Feststellungen im jüngsten Gutachten entgegengetreten (OZ 11).

3.       Entfall der mündlichen Verhandlung

3.1.    Der Anspruch einer Partei auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung ist kein absoluter (§ 24 VwGVG unter Hinweis auf Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, [EMRK] noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 [GRC]). Nach der Rechtsprechung des EGMR und ihm folgend des Verfassungsgerichtshofes und des Verwaltungsgerichtshofes kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt unumstritten und nur eine Rechtsfrage zu entscheiden ist oder wenn die Sache keine besondere Komplexität aufweist (vgl. dazu für viele EGMR 12.11.2002, Döry / S, Rn37; VfGH 20.02.2015, B1534; sowie jüngst VwGH 18.12.2018, Ra 2018/03/0132, jeweils mwN).

3.2.    Im gegenständlichen Fall ergab sich klar aus der Aktenlage, dass von einer mündlichen Erörterung keine weitere Klärung der Rechtssache zu erwarten war. Der sich aus dem Akteninhalt ergebende Sachverhalt basiert zur Gänze aus den dem Beschwerdeführer bekannten vorliegenden Aktenteilen und ist in den entscheidungswesentlichen Punkten weder ergänzungsbedürftig noch erschien er in entscheidenden Punkten als nicht richtig (vgl. dazu VwGH 19.09.2018, Ra2018/11/0145).

4.       Rechtliche Beurteilung

4.1.1.  Die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes und die Entscheidung durch Senat ergeben sich aus § 6 Bundesgesetz über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes [BVwGG] iVm § 45 Bundesbehindertengesetz [BBG]. Das Verfahren des Bundesverwaltungsgerichts ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) geregelt. Verfahrensgegenständlich sind demnach neben dem VwGVG auch die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, sowie jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen sinngemäß anzuwenden, die das SMS im erstinstanzlichen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte (§ 17 VwGVG).

4.1.2.  Die Beschwerde gegen den Bescheid ist rechtzeitig und zulässig (§§7, 9 VwGVG).

4.1.3.  Die gegenständlich maßgeblichen Bestimmungen des BBG lauten auszugsweise:

§ 40. (1) Behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% ist auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpass auszustellen […].

§ 42. (1) […] Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen. […]

§ 45. (1) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.

(2) Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.

§ 1 der Verordnung über die Ausstellung von [VO] Behindertenpässen und Parkausweisen, BGBl. II Nr. 495/2013 idF BGBl. II Nr. 263/2016, lautet auszugsweise:

§ 1 (4) Z 3: Auf Antrag des Menschen mit Behinderung ist jedenfalls einzutragen: [...] die Feststellung, dass dem Inhaber/der Inhaberin des Passes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist; die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist insbesondere dann nicht zumutbar, wenn das 36. Lebensmonat vollendet ist und erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten (Teilstrich 1) oder erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit (Teilstrich 2) oder erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten, Funktionen (Teilstrich 3) oder eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems (Teilstrich 4) oder eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach Abs. 4 Z 1 lit. b oder d (Teilstrich 5) vorliegen.

(5) Grundlage für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen für die in Abs. 4 genannten Eintragungen erfüllt sind, bildet ein Gutachten eines/einer ärztlichen Sachverständigen des Sozialministeriumservice. Soweit es zur ganzheitlichen Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen erforderlich erscheint, können Experten/Expertinnen aus anderen Fachbereichen beigezogen werden. Bei der Ermittlung der Funktionsbeeinträchtigungen sind alle zumutbaren therapeutischen Optionen, wechselseitigen Beeinflussungen und Kompensationsmöglichkeiten zu berücksichtigen.

4.2.    Abweisung der Beschwerde

4.2.1.  Der Beschwerdeführer verfügt über einen gültigen Behindertenpass mit einem eingetragenen Gesamtgrad der Behinderung von 60 vH, womit die grundsätzliche Voraussetzung für die Vornahme einer Zusatzeintragung gemäß § 42 BBG erfüllt ist.

4.2.2.  Die Beurteilung der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist im verfahrensgegenständlichen Fall gemäß § 1 Abs. 5 VO Ausstellung von Behindertenpässen und Parkausweisen unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen. Das eingeholten Sachverständigengutachten vom 02.03.2020 und vom 24.01.2021 sind (wie bereits im Zuge der Beweiswürdigung dargelegt) richtig, vollständig und schlüssig und die Art und Schwere der dauernden Gesundheitsschädigung sowie deren Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel sind in nachvollziehbarer Weise dargestellt worden (vgl. VwGH 19.12.2017, Ra2017/11/0288; 21.06.2017, Ra2017/11/0040 mwN).

4.2.3.  In den Erläuterungen zur Stammfassung der VO Ausstellung von Behindertenpässen und Parkausweisen wird hinsichtlich der hier maßgeblichen Bestimmung des § 1 Abs. 4 Z 3 (vormals: § 1 Abs. 2 Z 3) – soweit im gegenständlichen Fall relevant – insbesondere Folgendes ausgeführt: Durch die Verwendung des Begriffes 'dauerhafte Mobilitätseinschränkung' hat schon der Gesetzgeber (StVO-Novelle) zum Ausdruck gebracht, dass es sich um eine Funktionsbeeinträchtigung handeln muss, die zumindest 6 Monate andauert. Dieser Zeitraum entspricht auch den grundsätzlichen Voraussetzungen für die Erlangung eines Behindertenpasses. [...] Die Begriffe ‚erheblich' und ‚schwer' werden bereits jetzt in der Einschätzungsverordnung je nach Funktionseinschränkung oder Erkrankungsbild verwendet und sind inhaltlich gleichbedeutend.

Unter erheblicher Einschränkung der Funktionen der unteren Extremitäten sind ungeachtet der Ursache eingeschränkte Gelenksfunktionen, Funktionseinschränkungen durch Erkrankungen von Knochen, Knorpeln, Sehnen, Bändern, Muskeln, Nerven, Gefäßen, durch Narbenzüge, Missbildungen und Traumen zu verstehen. Zusätzlich vorliegende Beeinträchtigungen der oberen Extremitäten und eingeschränkte Kompensationsmöglichkeiten sind zu berücksichtigen. Eine erhebliche Funktionseinschränkung wird in der Regel ab einer Beinverkürzung von 8 cm vorliegen.

Erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Funktionen umfassen im Hinblick auf eine Beurteilung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel folgende Krankheitsbilder: Klaustrophobie, Soziophobie und phobische Angststörungen als Hauptdiagnose nach ICD 10 und nach Ausschöpfung des therapeutischen Angebotes und einer nachgewiesenen Behandlung von mindestens 1 Jahr; hochgradige Entwicklungsstörungen mit gravierenden Verhaltensauffälligkeiten; schwere kognitive Einschränkungen, die mit einer eingeschränkten Gefahreneinschätzung des öffentlichen Raumes einhergehen; nachweislich therapierefraktäres, schweres, cerebrales Anfallsleiden – Begleitperson ist erforderlich.

4.2.4.  Bei der Beurteilung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel kommt es entscheidend auf die Art und Schwere der dauernden Gesundheitsschädigung und deren Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel an, nicht hingegen auf andere Umstände, etwa jene der Entfernung zwischen der Wohnung und der nächstgelegenen Haltestelle öffentlicher Verkehrsmittel (VwGH 19.12.2017, Ra2017/11/0288; 21.06.2017, Ra2017/11/0040 mwN).

Der Beschwerdeführer kann sich im öffentlichen Raum selbständig fortbewegen und das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke zu Fuß, die Judikatur geht hier von 300 bis 400 Metern aus (VwGH 27.05.2014, Ro2014/11/0013), aus eigener Kraft und ohne fremde Hilfe ist ebenso gegeben wie das Überwinden üblicher Niveauunterschiede zum sicheren Ein- und Ausstieg in bzw. aus öffentliche/n Verkehrsmittel/n und die sichere Beförderung im öffentlichen Verkehrsmittel. Auch aus neurologisch-psychiatrischer Sicht wurden keine Leiden objektiviert, die der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel entgegenstünden.

4.2.5.  Da somit die Voraussetzungen zur Vornahme der beantragten Zusatzeintragung in den Behindertenpass nicht vorliegen, ist die Beschwerde spruchgemäß abzuweisen.

4.3.    Im Hinblick auf den gestellten Antrag auf Ausstellung eines Parkausweises nach § 29b StVO wird der Vollständigkeit halber angemerkt, dass es zwar zutrifft, dass dem Begehren des Beschwerdeführers auf Ausfolgung eines Parkausweises nach § 29b StVO erst dann entsprochen werden könnte, wenn im Behindertenpass die Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung“ vorgenommen wurde. Dennoch kann die bescheidmäßige Erledigung dieses Antrags nicht dadurch ersetzt werden, dass (lediglich) am Ende des nunmehr angefochtenen Bescheides angemerkt wird, dass die dafür erforderlichen Voraussetzungen nicht vorliegen würden. Da der Antrag somit noch offen ist, wird er unter Berücksichtigung des nunmehrigen Verfahrensergebnisses zu behandeln sein.

III.    ad B) Unzulässigkeit der Revision:

Die gegenständliche Entscheidung stützt sich auf eine umfangreiche und einheitliche Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum BBG. Die angewendeten Bestimmungen des Bundesbehindertengesetzes und der Einschätzungsverordnung sind - soweit für den vorliegenden Fall maßgeblich - eindeutig. Zur Unzulässigkeit der Revision bei eindeutiger Rechtslage (trotz fehlender Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes) etwa VwGH 28.05.2014, Ro2014/07/0053. Zur Schlüssigkeit von Gutachten VwGH 27.06.2018, Ra2018/09/0079; 28.06.2017, Ra2017/09/0015; zur Form der Auseinandersetzung mit dem Gutachten insbesondere VwGH 26.02.2016, Ro2014/03/0004. Zu den Voraussetzungen zur Vornahme der verfahrensgegenständlichen Zusatzeintragung VwGH 19.12.2017, Ra2017/11/0288; 21.06.2017, Ra2017/11/0040 mwN.

Der Entfall der mündlichen Verhandlung steht weder mit der Judikatur der Höchstgerichte noch mit der Judikatur des EGMR in Widerspruch, siehe dazu insbesondere VwGH 26.01.2017, Ra2016/07/0061 mwN, und es ergeben sich auch keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage, so dass insgesamt die Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer Revision gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht vorliegen.

Schlagworte

Behindertenpass Sachverständigengutachten Zumutbarkeit Zusatzeintragung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:L511.2230722.1.00

Im RIS seit

20.10.2021

Zuletzt aktualisiert am

20.10.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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