TE Bvwg Erkenntnis 2021/6/2 L511 2236765-1

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Veröffentlicht am 02.06.2021
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Entscheidungsdatum

02.06.2021

Norm

BBG §40
BBG §41
BBG §42
BBG §45
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §31 Abs1

Spruch


L511 2236765–1/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag.a JICHA als Vorsitzende und den Richter Dr. DIEHSBACHER sowie den fachkundigen Laienrichter RR PHILIPP als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , gegen den ausgestellten Behindertenpass des Sozialministeriumservice Landesstelle XXXX vom 29.04.2020, Zahl: OB XXXX , in nicht öffentlicher Sitzung beschlossen:

A)

I.       Der Beschwerde wird, soweit sie sich gegen die Feststellung des Grades der Behinderung richtet, stattgegeben und gemäß § 40 iVm § 41 Abs. 1 Bundesbehindertengesetz (BBG) festgestellt, dass der Grad der Behinderung siebzig von Hundert (70 vH) beträgt.

II.      Die Beschwerde wird soweit sie sich gegen die nicht erfolgte Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass richtet, mangels Vorliegens eines Bescheides als unzulässig zurückgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I.       Verfahrensgang und Verfahrensinhalt

1.       Verfahren vor dem Sozialministeriumservice [SMS]

1.1.    Der Beschwerdeführer verfügte zuletzt ab 25.07.2014 über einen Behindertenpass mit einem Grad der Behinderung von 80% (Aktenzahl der elektronisch übermittelten Aktenteile [AZ] 2.1). Am 26.11.2019 stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Neuausstellung eines Behindertenpasses, sowie für den Fall, dass die Aktenlage die Vornahme von Zusatzeintragungen rechtfertige, die Aufnahme der entsprechenden Zusatzeintragungen in den Behindertenpass und legte dazu im Verfahren medizinische Befunde vor (Aktenzahl der elektronisch übermittelten Aktenteile [AZ] 2.6, 2.8).

1.2.    Das SMS holte ein Sachverständigengutachten aus dem Fachgebiet der Inneren Medizin und der Allgemeinmedizin ein. Dieses Gutachten vom 27.04.2020 wurde auf Grundlage einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers unter Einbeziehung des vorgelegten Befundes und des Vorgutachten aus dem Jahr 2014 erstattet. Als Ergebnis der Begutachtung wurden die vorliegenden Funktionseinschränkungen den entsprechenden Leidenspositionen nach der Einschätzungsverordnung zugeordnet und ein Gesamtgrad der Behinderung [GdB] von 60 vH sowie die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel festgestellt (AZ 2.15).

1.3.    Das SMS stellte einen Behindertenpass mit einem GdB von 60 vH aus, welcher dem Beschwerdeführer mit Begleitschreiben, Zahl: XXXX , vom 29.04.2020 übermittelt wurde (AZ 2.17, 2.18).

Im Begleitschreiben wurde auf die Möglichkeit und die Erfordernisse einer Beschwerde hingewiesen. Das Gutachten vom 27.04.2020 wurde als Beilage übermittelt.

1.4.    Mit Schreiben vom 05.06.2020 erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde [Bsw] gegen den ausgestellten Behindertenpass des SMS (AZ 1.2).

Darin führt der Beschwerdeführer im Wesentlichen aus, die von der Ärztin festgestellte Besserung seines Zustandes könne nicht nachvollzogen werden. Er verstehe auch nicht, weshalb er den Eintrag der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel nicht mehr bekomme.

1.5.    Im Zuge des vom SMS weitergeführten Ermittlungsverfahrens holte das SMS ein weiteres Sachverständigengutachten aus dem Fachgebiet der Inneren Medizin ein. Dieses Gutachten vom 10.11.2020 wurde auf Grundlage einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers unter Einbeziehung des vorgelegten Befundes und unter Berücksichtigung der Vorgutachten erstattet. Als Ergebnis wurde ein GdB von 70 vH und die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel festgestellt (AZ 2.16).

2.       Die belangte Behörde legte dem Bundesverwaltungsgericht [BVwG] am 11.11.2020 die Beschwerde samt Auszügen aus dem Verwaltungsakt in elektronischer Form vor (Ordnungszahl des gegenständlichen Gerichtsaktes OZ 1 [=AZ 1.1-1.2, 2.1 -2.19]).

2.1.    Mit Parteiengehör vom 17.11.2020 teilte das BVwG dem Beschwerdeführer mit, dass Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ausschließlich der ausgestellte Behindertenpass sei. Die Nichteintragung des Zusatzeintrages „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel“ sei nicht vom Bescheid umfasst, weshalb das BVwG darüber auch nicht absprechen könne. Dem Beschwerdeführer wurde das Sachverständigengutachten vom 10.11.2020 mit dem Ersuchen um Stellungnahme und dem Hinweis, dass das BVwG beabsichtige, sich auf dieses Gutachten zu stützen, übermittelt. Ebenso wurde der Beschwerdeführer ersucht gegebenenfalls zu begründen, weshalb er mit der Höhe des Gesamtgrades der Behinderung nicht einverstanden sei (OZ 2).

2.2.    Der Beschwerdeführer behob die Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme am 20.11.2020. Eine Stellungnahme erfolgte bis dato nicht.

II.      Zu A) Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.       entscheidungswesentliche Feststellungen

1.1.    Der Beschwerdeführer ist in Österreich wohnhaft und stellte am 26.11.2019 einen Antrag auf Neuausstellung eines Behindertenpasses (AZ 2.6).

1.2.    Beim Beschwerdeführer bestehen folgende Funktionseinschränkungen, die voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:

Lfd. Nr.

Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktions-einschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden: Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:

Pos.Nr.

Gdb %

1

Koronare Herzkrankheit, Zustand nach Herzinfarkt 2001 mit Stenting, mittel-bis höhergradig eingeschränkte Pumpfunktion, klinische Zeichen der Herzinsuffizienz, starke Blutdruckschwankungen.

Kurzatmigkeit und Angina pectoris bereits bei leichter bis mittelgradiger Belastung, stark schwankende Blutdruckwerte mit Symptomatik und schwerer Einstellbarkeit. EF 35 %. Zuletzt Therapieerweiterung notwendig.

05.05.03

70

2

Diabetes mellitus Typ II.

Laufende antidiabetische Kombinationstherapie mit ausreichender Zuckereinstellung - Übernahme vom Vorbefund da keine Änderung.

09.02.01

30

3

Zustand nach laparoskopischer Magenbypassoperation 2012 sgm.

Leichte Dumping-Beschwerden mit Schluckauf, Gewicht stabil bis zunehmend.

07.04.02

10

4

Hochtonschwerhörigkeit

Vom Vorgutachten übernommen, kein neuer Befund.

12.02.01

10

1.3.    Der Gesamtgrad der Behinderung des Beschwerdeführers beträgt 70 vH.

Führendes Leiden ist das Leiden unter der Pos.Nr. 1, das Leiden unter Pos.Nr. 2 erhöht den GdB mangels Auswirkung auf die Gesamtleistungsfähigkeit nicht. Die Leiden in unter Pos.Nr. 3 und 4 steigern den GdB wegen deren Geringfügigkeit nicht.

1.4.    Keinen Grad der Behinderung erreichen folgende bestehende Gesundheitsschädigungen des Beschwerdeführers:

Hypercholesterinämie (therapiert); Adipositas (unter Pos. 3 miteingeschätzt); Steatosis hepatis (keine Krankheitswertigkeit); Vitamin B12- und Vitamin D-Mangel (keine Krankheitswertigkeit); Hämorrhoiden II (keine Therapie, keine Beschwerden); Zustand nach CHE (ausgeheilt).

1.5.    Es handelt sich um einen Dauerzustand, eine Nachuntersuchung ist nicht vorgesehen.

2.       Beweisaufnahme und Beweiswürdigung

2.1.    Die Beweisaufnahme erfolgte durch Einsicht in die dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Auszüge aus dem Verwaltungsverfahrensakt (OZ 1), aus denen sich auch der unter I. dargelegte Verfahrensgang ergibt. Zur Entscheidungsfindung wurden vom BVwG insbesondere folgende Unterlagen herangezogen:

?        Sachverständigengutachten aus dem Fachgebiet der Inneren Medizin vom 10.11.2020 (AZ 2.16)

?        Beschwerde vom (AZ 1.2)

?        Einsicht in das Zentrale Melderegister [ZMR] (OZ 1)

2.2.    Beweiswürdigung

2.2.1.  Die allgemeinen Feststellungen (Punkt 1.1.) ergeben sich aus der Antragstellung und dem ZMR und sind unstrittig (AZ 2.6, OZ 1).

2.2.2.  Im Hinblick auf die festgestellten Funktionseinschränkungen, deren Ausmaß und Dauer, sowie den Gesamtgrad der Behinderung (Punkt 1.2.-1.5.) folgt der entscheidende Senat den Ausführungen im Gutachten der Inneren Medizin vom 10.11.2020 (AZ 2.16). Das Gutachten ist das zeitlich jüngere Gutachten und die Feststellungen im Gutachten sind nachvollziehbar, schlüssig und in sich widerspruchsfrei. Das Gutachten basiert auf einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers und berücksichtigt sowohl das Vorgutachten vom 27.04.2020 als auch jenes aus dem Jahr 2014 und steht mit diesen auch nicht in Widerspruch (vgl. dazu VwGH 26.02.2016, Ro 2014/03/0004). Auch die Subsumtion unter die jeweiligen Positionsnummern der Einschätzungsverordnung ist nachvollziehbar.

2.2.2.1. Die Erhöhung des GdB um 10 vH ergibt sich daraus, dass im aktuellen Gutachten klinische Zeichen der Herzinsuffizienz und Angina Pectoris bei geringer bis mittlerer Belastung sowie eine erforderliche Medikamentensteigerung festgestellt und berücksichtigt wurden.

2.2.3.  Weder der Beschwerdeführer noch das SMS sind den Feststellungen des aktuellen Gutachtens oder der Subsumtion unter die Positionsnummern im Verfahren entgegengetreten (AZ 1.2, OZ 2).

3.       Entfall der mündlichen Verhandlung

3.1.    Der Anspruch einer Partei auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung ist kein absoluter (§ 24 VwGVG unter Hinweis auf Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, [EMRK] noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 [GRC]). Nach der Rechtsprechung des EGMR und ihm folgend des Verfassungsgerichtshofes und des Verwaltungsgerichtshofes kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt unumstritten und nur eine Rechtsfrage zu entscheiden ist oder wenn die Sache keine besondere Komplexität aufweist (vgl. dazu für viele EGMR 12.11.2002, Döry / S, Rn37; VfGH 20.02.2015, B1534; sowie jüngst VwGH 18.12.2018, Ra 2018/03/0132, jeweils mwN).

3.2.    Im gegenständlichen Fall ergab sich klar aus der Aktenlage, dass von einer mündlichen Erörterung keine weitere Klärung der Rechtssache zu erwarten war. Der sich aus dem Akteninhalt ergebende Sachverhalt basiert zur Gänze aus den dem Beschwerdeführer bekannten vorliegenden Aktenteilen und ist in den entscheidungswesentlichen Punkten weder ergänzungsbedürftig noch erschien er in entscheidenden Punkten als nicht richtig (vgl. dazu VwGH 19.09.2018, Ra2018/11/0145).

4.       Rechtliche Beurteilung

4.1.1.  Die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes und die Entscheidung durch Senat ergeben sich aus § 6 Bundesgesetz über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes [BVwGG] iVm § 45 Bundesbehindertengesetz [BBG]. Das Verfahren des Bundesverwaltungsgerichts ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) geregelt. Verfahrensgegenständlich sind demnach neben dem VwGVG auch die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, sowie jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen sinngemäß anzuwenden, die das SMS im erstinstanzlichen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte (§ 17 VwGVG).

4.1.2.  Verfahrensgegenständlich wurde dem Beschwerdeführer ein Behindertenpass ausgestellt, dem gemäß § 45 Abs. 3 BBG Bescheidcharakter zukommt. Die dagegen erhobene Beschwerde ist rechtzeitig und zulässig (§§7, 9 VwGVG).

4.1.3.  Die gegenständlich maßgeblichen Bestimmungen des BBG lauten auszugsweise:

§ 1. (2) Unter Behinderung im Sinne dieses Bundesgesetzes ist die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten.

§ 40. (1) Behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% ist auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpass auszustellen […].

(2) Behinderten Menschen, die nicht dem im Abs. 1 angeführten Personenkreis angehören, ist ein Behindertenpass auszustellen, wenn und insoweit das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen auf Grund von Vereinbarungen des Bundes mit dem jeweiligen Land oder auf Grund anderer Rechtsvorschriften hiezu ermächtigt ist.

§ 41. (1) […] Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen hat den Grad der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen, wenn […] ein Fall des § 40 Abs. 2 vorliegt (Z3).

(2) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind ohne Durchführung eines Ermittlungsverfahrens zurückzuweisen, wenn seit der letzten rechtskräftigen Entscheidung noch kein Jahr vergangen ist. Dies gilt nicht, wenn eine offenkundige Änderung einer Funktionsbeeinträchtigung glaubhaft geltend gemacht wird. [...]

§ 45. (1) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.

(2) Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.

§§ 2 und 3 der Einschätzungsverordnung, BGBl. II 261/2010 idF BGBl. II 251/2012, sehen Folgendes vor:

§ 2. (1) Die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen sind als Grad der Behinderung zu beurteilen. Der Grad der Behinderung wird nach Art und Schwere der Funktionsbeeinträchtigung in festen Sätzen oder Rahmensätzen in der Anlage dieser Verordnung festgelegt. Die Anlage bildet einen Bestandteil dieser Verordnung.

(2) Bei Auswirkungen von Funktionsbeeinträchtigungen, die nicht in der Anlage angeführt sind, ist der Grad der Behinderung in Analogie zu vergleichbaren Funktionsbeeinträchtigungen festzulegen.

(3) Der Grad der Behinderung ist nach durch zehn teilbaren Hundertsätzen festzustellen. Ein um fünf geringerer Grad der Behinderung wird von ihnen mit umfasst. Das Ergebnis der Einschätzung innerhalb eines Rahmensatzes ist zu begründen.

§ 3. (1) Eine Einschätzung des Gesamtgrades der Behinderung ist dann vorzunehmen, wenn mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen. Bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung sind die einzelnen Werte der Funktionsbeeinträchtigungen nicht zu addieren. Maßgebend sind die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander.

(2) Bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung ist zunächst von jener Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, für die der höchste Wert festgestellt wurde. In der Folge ist zu prüfen, ob und inwieweit dieser durch die weiteren Funktionsbeeinträchtigungen erhöht wird. Gesundheitsschädigungen mit einem Ausmaß von weniger als 20 vH sind außer Betracht zu lassen, sofern eine solche Gesundheitsschädigung im Zusammenwirken mit einer anderen Gesundheitsschädigung keine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung verursacht.

Bei Überschneidungen von Funktionsbeeinträchtigungen ist grundsätzlich vom höheren Grad der Behinderung auszugehen.

(3) Eine wechselseitige Beeinflussung der Funktionsbeeinträchtigungen, die geeignet ist, eine Erhöhung des Grades der Behinderung zu bewirken, liegt vor, wenn sich eine Funktionsbeeinträchtigung auf eine andere besonders nachteilig auswirkt (Teilstrich 1) oder zwei oder mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen, die gemeinsam zu einer wesentlichen Funktionsbeeinträchtigung führen (Teilstrich 2).

(4) Eine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung ist dann gegeben, wenn das Gesamtbild der Behinderung eine andere Beurteilung gerechtfertigt erscheinen lässt, als die einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen alleine.

4.2.    ad Spruchpunkt I – Festgestellter Grad der Behinderung

4.2.1.  Die beim Beschwerdeführer festgestellten Funktionseinschränkungen sind nicht nur vorübergehend, weshalb eine Behinderung im Sinne des § 1 BBG vorliegt. Er hat den ordentlichen Wohnsitz in Österreich und stellte am 29.05.2019 einen Antrag auf Neuausstellung eines Behindertenpasses, womit die allgemeinen Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses gemäß § 40 Abs. 1 BBG erfüllt sind.

4.2.2.  Der Grad der Behinderung ist im verfahrensgegenständlichen Fall gemäß § 40 und § 41 Abs. 1 BBG unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen nach der Einschätzungsverordnung einzuschätzen (VwGH 21.06.2017, Ra201 7/11/0040). Das vom SMS eingeholte Sachverständigengutachten vom 10.11.2020 ist (wie bereits im Zuge der Beweiswürdigung dargelegt) richtig, vollständig und schlüssig und die aktuellen Funktionseinschränkungen des Beschwerdeführers wurden gemäß der Einschätzungsverordnung eingestuft. Der Grad der Behinderung des Beschwerdeführers beträgt zum Entscheidungszeitpunkt 70 vH und er erfüllt somit die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses gemäß § 40 Abs. 1 BBG, wonach behinderten Menschen bei Vorliegen der allgemeinen Voraussetzungen und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbstätigkeit von mindestens 50 vH ein Behindertenpass auszustellen ist.

4.2.3.  Gemäß § 42 Abs. 1 BBG ist der Grad der Behinderung im Behindertenpass einzutragen. Der im bereits ausgestellten Behindertenpass eingetragene Grad der Behinderung beträgt allerdings nur 60 vH. Da im jüngsten Gutachten der Grad der Behinderung mit 70 vH (und nicht mehr mit 60 vH) festgestellt wurde, ist der Beschwerde stattzugeben und festzustellen, dass der Grad der Behinderung des Beschwerdeführers 70 vH beträgt.

4.2.4.  Da das SMS gemäß § 28 Abs. 5 VwGVG an die Rechtsansicht des BVwG gebunden ist, hat das SMS den festgestellten Grad der Behinderung von 70 vH im Behindertenpass des Beschwerdeführers einzutragen (vgl. VwGH 11.11.2015, Ra2014/11/0109).

4.3.    ad Spruchpunkt II – beantragte Zusatzeintragung

4.3.1.  Hinsichtlich der vom Beschwerdeführer in Beschwer gezogenen nicht erfolgten Vornahme der Zusatzeintragung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel im Behindertenpass ist festzuhalten, dass diese (im Antragsformular unter Punkt 3) zumindest mitbeantragt und im eingeholten Sachverständigengutachten auch beurteilt worden ist.

4.3.2.  Auf Grund der klaren Regelung des § 45 Abs. 2 BBG, wonach dann, wenn einem Antrag (ua auch auf Vornahme einer Zusatzeintragung) nicht stattgegeben wird, dies in Bescheidform zu erfolgen hat, stellt die Nicht-Vornahme der Eintragung jedoch keinen negativen Abspruch über die Vornahme einer Zusatzeintragung dar.

4.3.3.  Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist "Sache" des Rechtsmittelverfahrens vor dem Verwaltungsgericht – ungeachtet des durch § 27 VwGVG vorgegebenen Prüfumfangs – jedenfalls nur jene Angelegenheit, die den Inhalt des Spruches der vor dem Verwaltungsgericht belangten Verwaltungsbehörde gebildet hat (vgl. dazu für viele VwGH 30.06.2016, Ra2016/11/0044 RS3 mwN). Aufgrund dieser Beschränkung der Sache des Beschwerdeverfahrens ist das Verwaltungsgericht nicht befugt, über von der Behörde nicht behandelte Anträge abzusprechen. Ebenso wenig darf das Verwaltungsgericht ein zusätzliches Begehren zum Gegenstand seiner Entscheidung machen, welches über den bei der belangten Behörde gestellten und entschiedenen Antrag hinausginge.

4.3.4.  Das BVwG ist daher verfahrensgegenständlich nicht berechtigt, über die Vornahme der beantragten Zusatzeintragungen abzusprechen, da das SMS bis dato noch keine Entscheidung über diese getroffen hat. Die Beschwerde gegen die nicht erfolgte Vornahme der Zusatzeintragung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in den Behindertenpass ist daher, mangels Vorliegens eines Bescheides gegen den sie sich richtet, spruchgemäß als unzulässig zurückzuweisen

III.    ad B) Unzulässigkeit der Revision:

Die gegenständliche Entscheidung stützt sich auf eine umfangreiche und einheitliche Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum BBG. Die angewendeten Bestimmungen des Bundesbehindertengesetzes und der Einschätzungsverordnung sind (soweit für den vorliegenden Fall maßgeblich) eindeutig. Zur Unzulässigkeit der Revision bei eindeutiger Rechtslage (trotz fehlender Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes) etwa VwGH 28.05.2014, Ro2014/07/0053. Zur Schlüssigkeit von Gutachten VwGH 27.06.2018, Ra2018/09/0079; 28.06.2017, Ra2017/09/0015; zur Form der Auseinandersetzung mit dem Gutachten insbesondere VwGH 26.02.2016, Ro2014/03/0004. Zum rechtlichen Interesse an einer Feststellung des Grads der Behinderung VwGH 11.11.2015, Ra2014/11/0109. Zur Sache des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht VwGH 31.01.2017, Ra2015/03/0066 mwN und VwGH 30.06.2016, Ra2016/11/0044 RS3 mwN

Der Entfall der mündlichen Verhandlung steht weder mit der Judikatur der Höchstgerichte noch mit der Judikatur des EGMR in Widerspruch, siehe dazu insbesondere VwGH 26.01.2017, Ra2016/07/0061 mwN, und es ergeben sich auch keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage, so dass insgesamt die Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer Revision gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht vorliegen.

Schlagworte

Behindertenpass Grad der Behinderung Sachverständigengutachten Verfahrensgegenstand Zurückweisung Zusatzeintragung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:L511.2236765.1.00

Im RIS seit

20.10.2021

Zuletzt aktualisiert am

20.10.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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