TE Bvwg Erkenntnis 2021/6/2 L511 2236110-1

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Veröffentlicht am 02.06.2021
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Entscheidungsdatum

02.06.2021

Norm

BBG §40
BBG §41
BBG §42
BBG §45
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §31 Abs1

Spruch


L511 2236110–1/6E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag.a JICHA als Vorsitzende und den Richter Dr. DIEHSBACHER sowie den fachkundigen Laienrichter RR PHILIPP als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , gegen den ausgestellten Behindertenpass des Sozialministeriumservice Landesstelle XXXX vom 07.09.2020, Zahl: OB XXXX , in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

A)

I.       Die Beschwerde wird, soweit sie sich gegen den im Behindertenpass festgestellten Grad der Behinderung richtet, gemäß § 28 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) als unbegründet abgewiesen.

II.      Die Beschwerde wird soweit sie sich gegen die nicht erfolgte Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass richtet, mangels Vorliegens eines Bescheides als unzulässig zurückgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I.       Verfahrensgang und Verfahrensinhalt

1.       Verfahren vor dem Sozialministeriumservice [SMS]

1.1.    Die Beschwerdeführerin stellte am 25.11.2019 einen Antrag auf Neuausstellung eines Behindertenpasses, sowie für den Fall, dass die Aktenlage die Vornahme von Zusatzeintragungen rechtfertige, die Aufnahme der entsprechenden Zusatzeintragungen in den Behindertenpass (Aktenzahl der elektronisch übermittelten Aktenteile [AZ] 2.7) und legte dazu im Verfahren medizinische Befunde vor (AZ 1.3, 2.9-2.13).

1.2.    Das SMS holte ein Sachverständigengutachten aus dem Fachgebiet der Allgemeinmedizin ein. Dieses Gutachten vom 22.08.2020 wurde auf Grundlage einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin am 01.07.2020 unter Einbeziehung der vorgelegten aktuellen Befunde erstattet. Als Ergebnis der Begutachtung wurden die Funktionseinschränkungen den entsprechenden Leidenspositionen nach der Einschätzungsverordnung zugeordnet und ein Gesamtgrad der Behinderung [GdB] von 50 vH sowie die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel festgestellt (AZ 2.17).

1.3.    Das SMS stellte einen Behindertenpass mit einem GdB von 50 vH aus, welcher der Beschwerdeführerin mit Begleitschreiben, Zahl: XXXX , vom 07.09.2020 übermittelt wurde (AZ 2.18). Im Begleitschreiben wurde auf die Möglichkeit und die Erfordernisse einer Beschwerde hingewiesen.

1.4.    Mit Schreiben vom 07.10.2020 erhob die Beschwerdeführerin fristgerecht Beschwerde [Bsw] gegen das Schreiben des SMS vom 07.09.2020 (AZ 1.2).

Darin führt die Beschwerdeführerin im Wesentlichen aus, bereits Strecken von 150 Metern würden ihr aufgrund ihrer Fibromyalgie Schmerzen verursachen. Jeder zu Fuß zurückzulegende Weg habe Schmerzen und mehrtägige Bettaufenthalte zur Folge. Ihre grob eingeschränkte Mobilität werde durch den Entlassungsbericht des kürzlich absolvierten Kuraufenthaltes bestätigt. Seit ihrer ersten Einschätzung mit einem GdB von 70 vH habe sich ihr Gesamtzustand weiter verschlechtert.

2.       Die belangte Behörde legte dem Bundesverwaltungsgericht [BVwG] am 15.10.2020 die Beschwerde samt Auszügen aus dem Verwaltungsakt in elektronischer Form vor (Ordnungszahl des gegenständlichen Gerichtsaktes OZ 1 [=AZ 1.1-1.4, 2.1 -2.20]).


2.1.    Mit Parteiengehör vom 17.11.2020 teilte das BVwG der Beschwerdeführerin mit, dass Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ausschließlich der ausgestellte Behindertenpass sei. Die Nichteintragung des Zusatzeintrages „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel“ sei nicht vom Bescheid umfasst, weshalb das BVwG darüber nicht absprechen könne. Die Beschwerdeführerin wurde daher ersucht binnen zwei Wochen zu begründen, weshalb sie mit der Höhe des Gesamtgrades der Behinderung allenfalls nicht einverstanden sei sowie fachärztlicher Befunde zum Beleg ihres Vorbringens vorzulegen (OZ 2).

2.2.    Die Beschwerdeführerin legte am 28.04.2021 einen Befund eines Facharztes für Innere Medizin vom 08.01.2021 vor (OZ 4).

II.      Zu A) Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.       entscheidungswesentliche Feststellungen

1.1.    Die Beschwerdeführerin ist in Österreich wohnhaft und stellte am 25.11.2019 einen Antrag auf Neuausstellung eines Behindertenpasses.

1.2.    Bei der Beschwerdeführerin bestehen folgende Funktionseinschränkungen, die voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:

Lfd. Nr.

Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktions-einschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden: Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:

Pos.Nr.

Gdb %

1

Somatisierung/Fibromyalgie.

Berichtete Besserung seit Lyrica. Arbeitet vollzeitig. Kann in Ebene und geringer Steigung etwas wandern gehen, macht auch etwas Sport, meist Reisten. Bei größeren Belastungen anschließend Ruhe nötig. Keine Schmerztherapie bei berichteter Unwirksamkeit.

03.05.02

50

2

Depressive Störung.

Dauertherapie, aktuell keine Psychotherapie. Berichtete Besserung seit Besserung der Fibromyalgiebeschwerden. Arbeitet vollzeitig, sozial integriert.

03.06.01

20

1.3.    Der Gesamtgrad der Behinderung der Beschwerdeführerin beträgt 50 vH. Führendes ist die Somatisierung/Fibromyalgie (Position 1). Die Position 2 ist geringfügig und führt daher nicht zu einer Erhöhung des GdB.

1.4.    Eine Nachuntersuchung ist für August 2023 vorgesehen.


2.       Beweisaufnahme und Beweiswürdigung

2.1.    Die Beweisaufnahme erfolgte durch Einsicht in die dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Auszüge aus dem Verwaltungsverfahrensakt (OZ 1), aus denen sich auch der unter I. dargelegte Verfahrensgang ergibt. Zur Entscheidungsfindung wurden vom BVwG insbesondere folgende Unterlagen herangezogen:

?        Sachverständigengutachten aus dem Fachgebiet der Allgemeinmedizin vom 22.08.2020 (AZ 2.17)

?        Bescheid des SMS vom 07.09.2020 (AZ 2.18)

?        Beschwerde vom 07.10.2020 (AZ 1.2)

?        Einsicht in das Zentrale Melderegister [ZMR]

2.2.    Beweiswürdigung

2.2.1.  Die allgemeinen Feststellungen (Punkt 1.1.) ergeben sich aus der Antragstellung und dem ZMR und sind unstrittig (AZ 2.7, AZ 1.1, OZ 1).

2.2.2.  Die festgestellten Funktionseinschränkungen deren Ausmaß und medizinische Einschätzung sowie deren Dauer ergeben sich aus dem Sachverständigengutachten aus dem Fachgebiet der Allgemeinmedizin vom 22.08.2020 (AZ 2.17). Das Gutachten basiert auf einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin, berücksichtigt die von der Beschwerdeführerin vorgelegten aktuellen Befunde (AZ 2.11-2.13) und stehen mit diesen auch nicht in Widerspruch (vgl. dazu VwGH 26.02.2016, Ro2014/03/0004). Die Feststellungen im Gutachten sind nachvollziehbar, schlüssig und in sich widerspruchsfrei.

2.2.3.  Soweit die Beschwerdeführerin sich gegen die Einstufung von 50 vH aussprach, da sich ihre Beschwerden seit der Einschätzung mit 70 vH verschlechtert anstatt verbessert habe, ist dazu festzuhalten, dass sich dies aus den Gutachten nicht ergibt:

2016 gab sie an, die getragene Kleidung schmerze, ihre Schmerzen würden sich bei Kälte deutlich verstärken, das Sprechen schmerze durch die Bewegung, sie habe Leistungseinbußen im Denken (Wortfindung/Merken), sie könne zehn Minuten gehen, das Stiegensteigen sei sehr mühsam. Dem Gutachten aus dem Jahr 2017 ist zu entnehmen, selbst die Kleidung sei schmerzhaft, Bewegung sei ebenso verschlimmernd wie längeres Verweilen in einer Position. Morgens bestehe eine Steifigkeit von etwa 20 Minuten. Nach dem Besuch der Ausbildungsstätte dusche sie und lege sich ins Bett, da sie so erschöpft sei. Die kognitive Leistungsfähigkeit sei früher deutlich besser gewesen. Aktuell werde ein Therapieversuch mit dem Medikament Lyrica vorgenommen, was bisher zwar die Stimmung, nicht aber die Schmerzen verbessert habe. Demgegenüber gab sie 2020 an, sie mache hin und wieder Sport, insbesondere reiten, müsse danach jedoch zwei Tage lang liegen. Sie gehe spazieren, kinderwagentaugliche Wanderungen könne sie machen.

Bei der eben absolvierten Kur habe sie das Ergometer nicht benutzen könne, am Laufband habe sie aber für maximal 15 Minuten gehen können. Seit sie das Medikament Lyrica nehme, gehe es ihr besser.

Aus ihren eigenen Angaben ergibt sich somit klar, dass eine subjektiv geschilderte Verbesserung, und nicht wie in der Beschwerde ausgeführt, eine Verschlechterung eingetreten ist.

2.2.4.  Zum nunmehr vorgelegten Befund vom 08.01.2021, dem zu entnehmen ist, dass die Beschwerdeführerin Schmerzen im Bewegungsapparat habe, sie keine längeren Gehstrecken zurücklegen könne und das Tragen von Lasten wie zB Einkaufstaschen ihr Beschwerden mache, ist auszuführen, dass diese Angaben mit der in diesem Verfahren vorgenommenen Einstufung ihrer Fibromyalgie unter der Positionsnummer 03.05.02 mit 50 vH – „Affektive, somatische und kognitive Störungen sowie ernsthafte Beeinträchtigung der meisten sozialen Bereiche; Phasenweise Einschränkungen der Leistungsfähigkeit; Behandlung führt zu intermittierender Stabilisierung, wiederholter Leistungsknick, Zunehmende Chronifizierung; Beginnende soziale Desintegration“ –in Einklang zu bringen ist.

Eine Einstufung mit 70 vH – Therapieresistente Stimmungsveränderung, somatische und kognitive Symptome, krisenhafte Verschlechterungen mit passagerer wahnhafter Symptomatik; Dauerhafte Einschränkung der Leistungsfähigkeit; Soziale/familiäre Desintegration – ergibt sich jedoch weder aus dem Befund vom 08.01.2021, noch aus den Angaben der Beschwerdeführerin im Zuge der Gutachtenserstellung.

2.2.5.  Da die Beschwerdeführerin den Feststellungen im aktuellen Gutachten somit nicht substantiiert entgegengetreten ist, sich ihre dargetane Zustandsverschlechterung nicht objektivieren ließ und auch sonst keine Hinweise dahingehend hervorgekommen sind, dass die Beurteilungen im Gutachten nicht richtig wären, legt der erkennende Senat das vom SMS eingeholte Gutachten vom 22.08.2020 der rechtlichen Beurteilung zu Grunde.

3.       Entfall der mündlichen Verhandlung

3.1.    Der Anspruch einer Partei auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung ist kein absoluter (§ 24 VwGVG unter Hinweis auf Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, [EMRK] noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 [GRC]). Nach der Rechtsprechung des EGMR und ihm folgend des Verfassungsgerichtshofes und des Verwaltungsgerichtshofes kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt unumstritten und nur eine Rechtsfrage zu entscheiden ist oder wenn die Sache keine besondere Komplexität aufweist (vgl. dazu für viele EGMR 12.11.2002, Döry / S, Rn37; VfGH 20.02.2015, B1534; sowie jüngst VwGH 18.12.2018, Ra 2018/03/0132, jeweils mwN).

3.2.    Im gegenständlichen Fall ergab sich klar aus der Aktenlage, dass von einer mündlichen Erörterung keine weitere Klärung der Rechtssache zu erwarten war. Der sich aus dem Akteninhalt ergebende Sachverhalt basiert zur Gänze aus den der Beschwerdeführerin bekannten vorliegenden Aktenteilen und ist in den entscheidungswesentlichen Punkten weder ergänzungsbedürftig noch erschien er in entscheidenden Punkten als nicht richtig (vgl. dazu VwGH 19.09.2018, Ra2018/11/0145).

4.       Rechtliche Beurteilung

4.1.1.  Die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes und die Entscheidung durch Senat ergeben sich aus § 6 Bundesgesetz über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes [BVwGG] iVm § 45 Bundesbehindertengesetz [BBG]. Das Verfahren des Bundesverwaltungsgerichts ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) geregelt. Verfahrensgegenständlich sind demnach neben dem VwGVG auch die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, sowie jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen sinngemäß anzuwenden, die das SMS im erstinstanzlichen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte (§ 17 VwGVG).

4.1.2.  Verfahrensgegenständlich wurde der Beschwerdeführerin ein Behindertenpass ausgestellt, dem gemäß § 45 Abs. 3 BBG Bescheidcharakter zukommt. Die dagegen erhobene Beschwerde ist rechtzeitig und zulässig.

4.1.3.  Die gegenständlich maßgeblichen Bestimmungen des BBG lauten auszugsweise:

§ 1. (2) Unter Behinderung im Sinne dieses Bundesgesetzes ist die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten.

§ 40. (1) Behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% ist auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpass auszustellen […].


(2) Behinderten Menschen, die nicht dem im Abs. 1 angeführten Personenkreis angehören, ist ein Behindertenpass auszustellen, wenn und insoweit das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen auf Grund von Vereinbarungen des Bundes mit dem jeweiligen Land oder auf Grund anderer Rechtsvorschriften hiezu ermächtigt ist.

§ 41. (1) […] Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen hat den Grad der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen, wenn […] ein Fall des § 40 Abs. 2 vorliegt (Z3).

(2) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind ohne Durchführung eines Ermittlungsverfahrens zurückzuweisen, wenn seit der letzten rechtskräftigen Entscheidung noch kein Jahr vergangen ist. Dies gilt nicht, wenn eine offenkundige Änderung einer Funktionsbeeinträchtigung glaubhaft geltend gemacht wird. [...]

§ 45. (1) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.

(2) Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.

§§ 2 und 3 der Einschätzungsverordnung, BGBl. II 261/2010 idF BGBl. II 251/2012, sehen Folgendes vor:

§ 2. (1) Die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen sind als Grad der Behinderung zu beurteilen. Der Grad der Behinderung wird nach Art und Schwere der Funktionsbeeinträchtigung in festen Sätzen oder Rahmensätzen in der Anlage dieser Verordnung festgelegt. Die Anlage bildet einen Bestandteil dieser Verordnung.

(2) Bei Auswirkungen von Funktionsbeeinträchtigungen, die nicht in der Anlage angeführt sind, ist der Grad der Behinderung in Analogie zu vergleichbaren Funktionsbeeinträchtigungen festzulegen.

(3) Der Grad der Behinderung ist nach durch zehn teilbaren Hundertsätzen festzustellen. Ein um fünf geringerer Grad der Behinderung wird von ihnen mit umfasst. Das Ergebnis der Einschätzung innerhalb eines Rahmensatzes ist zu begründen.

§ 3. (1) Eine Einschätzung des Gesamtgrades der Behinderung ist dann vorzunehmen, wenn mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen. Bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung sind die einzelnen Werte der Funktionsbeeinträchtigungen nicht zu addieren. Maßgebend sind die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander.

(2) Bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung ist zunächst von jener Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, für die der höchste Wert festgestellt wurde. In der Folge ist zu prüfen, ob und inwieweit dieser durch die weiteren Funktionsbeeinträchtigungen erhöht wird. Gesundheitsschädigungen mit einem Ausmaß von weniger als 20 vH sind außer Betracht zu lassen, sofern eine solche Gesundheitsschädigung im Zusammenwirken mit einer anderen Gesundheitsschädigung keine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung verursacht.

Bei Überschneidungen von Funktionsbeeinträchtigungen ist grundsätzlich vom höheren Grad der Behinderung auszugehen.

(3) Eine wechselseitige Beeinflussung der Funktionsbeeinträchtigungen, die geeignet ist, eine Erhöhung des Grades der Behinderung zu bewirken, liegt vor, wenn sich eine Funktionsbeeinträchtigung auf eine andere besonders nachteilig auswirkt (Teilstrich 1) oder zwei oder mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen, die gemeinsam zu einer wesentlichen Funktionsbeeinträchtigung führen (Teilstrich 2).

(4) Eine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung ist dann gegeben, wenn das Gesamtbild der Behinderung eine andere Beurteilung gerechtfertigt erscheinen lässt, als die einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen alleine.

4.2.    ad Spruchpunkt I – Festgestellter Grad der Behinderung

4.2.1.  Die bei der Beschwerdeführerin festgestellten Funktionseinschränkungen sind nicht nur vorübergehend, weshalb eine Behinderung im Sinne des § 1 BBG vorliegt. Sie hat den ordentlichen Wohnsitz in Österreich und stellte am 25.11.2019 einen Antrag auf Neuausstellung eines Behindertenpasses, womit die allgemeinen Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses gemäß § 40 Abs. 1 BBG erfüllt sind.

4.2.2.  Der Grad der Behinderung ist im verfahrensgegenständlichen Fall gemäß § 40 und § 41 Abs. 1 BBG unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen nach der Einschätzungsverordnung einzuschätzen (VwGH 21.06.2017, Ra201 7/11/0040).

Das vom SMS eingeholte Sachverständigengutachten vom 22.08.2020 ist, wie bereits im Zuge der Beweiswürdigung dargelegt, richtig, vollständig und schlüssig und die aktuellen Funktionseinschränkungen der Beschwerdeführerin wurden gemäß der Einschätzungsverordnung eingestuft.

Der Grad der Behinderung der Beschwerdeführerin beträgt zum Entscheidungszeitpunkt 50 vH und sie erfüllt somit die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses gemäß § 40 Abs. 1 BBG, wonach behinderten Menschen bei Vorliegen der allgemeinen Voraussetzungen und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbstätigkeit von mindestens 50 vH ein Behindertenpass auszustellen ist.

4.2.3.  Da die Voraussetzungen zur Ausstellung eines Behindertenpasses vorlagen und sich auch der festgestellte Grad der Behinderung als korrekt erweist, erfolgte die Ausstellung des Behindertenpasses mit einem Grad der Behinderung von 50 vH durch das SMS korrekt und die Beschwerde gegen den Behindertenpass ist spruchgemäß abzuweisen.


4.3.    ad Spruchpunkt II – Zusatzeintragung

4.3.1.  Hinsichtlich der von der Beschwerdeführerin in Beschwer gezogenen nicht erfolgten Vornahme der Zusatzeintragung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel im Behindertenpass ist festzuhalten, dass diese (im Antragsformular unter Punkt 3) zumindest mitbeantragt und im eingeholten Sachverständigengutachten auch beurteilt worden ist.

4.3.2.  Auf Grund der klaren Regelung des § 45 Abs. 2 BBG, wonach dann, wenn einem Antrag (ua auch auf Vornahme einer Zusatzeintragung) nicht stattgegeben wird, dies in Bescheidform zu erfolgen hat, stellt die Nicht-Vornahme der Eintragung jedoch keinen negativen Abspruch über die Vornahme einer Zusatzeintragung dar.

4.3.3.  Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist "Sache" des Rechtsmittelverfahrens vor dem Verwaltungsgericht (ungeachtet des durch § 27 VwGVG vorgegebenen Prüfumfangs) jedenfalls nur jene Angelegenheit, die den Inhalt des Spruches der vor dem Verwaltungsgericht belangten Verwaltungsbehörde gebildet hat (vgl. dazu für viele VwGH 30.06.2016, Ra2016/11/0044 RS3 mwN). Aufgrund dieser Beschränkung der Sache des Beschwerdeverfahrens ist das Verwaltungsgericht nicht befugt, über von der Behörde nicht behandelte Anträge abzusprechen. Ebenso wenig darf das Verwaltungsgericht ein zusätzliches Begehren zum Gegenstand seiner Entscheidung machen, welches über den bei der belangten Behörde gestellten und entschiedenen Antrag hinausginge (vgl. VwGH 31.01.2017, Ra2015/03/0066 mwN).

4.3.4.  Das BVwG ist daher verfahrensgegenständlich nicht berechtigt, über die Vornahme der beantragten Zusatzeintragungen abzusprechen, da das SMS bis dato noch keine Entscheidung über diese getroffen hat. Die Beschwerde gegen die nicht erfolgte Vornahme der Zusatzeintragung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in den Behindertenpass ist daher, mangels Vorliegens eines Bescheides gegen den sie sich richtet, spruchgemäß als unzulässig zurückzuweisen


III.    ad B) Unzulässigkeit der Revision:

Die gegenständliche Entscheidung stützt sich auf eine umfangreiche und einheitliche Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum BBG. Die angewendeten Bestimmungen des Bundesbehindertengesetzes und der Einschätzungsverordnung sind (soweit für den vorliegenden Fall maßgeblich) eindeutig. Zur Unzulässigkeit der Revision bei eindeutiger Rechtslage (trotz fehlender Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes) etwa VwGH 28.05.2014, Ro2014/07/0053. Zur Schlüssigkeit von Gutachten VwGH 27.06.2018, Ra2018/09/0079; 28.06.2017, Ra2017/09/0015; zur Form der Auseinandersetzung mit dem Gutachten insbesondere VwGH 26.02.2016, Ro2014/03/0004. Zum rechtlichen Interesse an einer Feststellung des Grads der Behinderung VwGH 11.11.2015, Ra2014/11/0109. Zur Sache des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht VwGH 31.01.2017, Ra2015/03/0066 mwN und VwGH 30.06.2016, Ra2016/11/0044 RS3 mwN

Der Entfall der mündlichen Verhandlung steht weder mit der Judikatur der Höchstgerichte noch mit der Judikatur des EGMR in Widerspruch, siehe dazu insbesondere VwGH 26.01.2017, Ra2016/07/0061 mwN, und es ergeben sich auch keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage, so dass insgesamt die Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer Revision gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht vorliegen.

Schlagworte

Behindertenpass Grad der Behinderung Kognitionsbefugnis Neufestsetzung Sachverständigengutachten Zusatzeintragung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:L511.2236110.1.00

Im RIS seit

20.10.2021

Zuletzt aktualisiert am

20.10.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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