Entscheidungsdatum
07.06.2021Norm
BEinstG §14Spruch
L517 2240344-1/5E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Dr. NIEDERWIMMER als Vorsitzenden und den Richter Mag. Dr. STEININGER und den fachkundigen Laienrichter Mag. SOMMERHUBER als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle XXXX , OB: XXXX , vom 16.02.2021, in nicht öffentlicher Sitzung beschlossen:
A)
In Erledigung der Beschwerde wird der Bescheid vom 16.02.2021, OB: XXXX behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013 idgF, zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Sozialministeriumservice, Landesstelle XXXX , zurückverwiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG), BGBl. Nr. 1/1930 idgF, nicht zulässig.
Text
Begründung:
I. Verfahrensgang:
13.01.2021—Erstellung eines allgemeinmedizinischen Sachverständigengutachtens; GdB 30 vH; Dauerzustand
19.01.2021—Parteiengehör
08.02.2021—Stellungnahme der bP
16.02.2021—amtswegiger Bescheid der bB; Neufestsetzung des Grades der Behinderung mit 30 vH und Aberkennung der Begünstigteneigenschaft
04.03.2021—Beschwerde der bP
12.03.2021—Beschwerdevorlage am BVwG
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1.0. Feststellungen (Sachverhalt):
Die bP besitzt die XXXX Staatsbürgerschaft und ist an der im Akt ersichtlichen XXXX Adresse wohnhaft. Die bP ist erwerbstätig.
Die bP gehörte ab 01.06.2012 dem Kreis der begünstigten Behinderten im Sinne der §§2 und 14 BEinstG an.
Am 13.01.2021 wurde im Auftrag der bB auf Grundlage der Einschätzungsverordnung ein allgemeinmedizinisches Sachverständigengutachten erstellt. Es wurde ein Gesamtgrad der Behinderung von 30 vH als Dauerzustand festgestellt. Das Gutachten weist folgenden wesentlichen Inhalt auf:
„Derzeitige Beschwerden:
Nach wie vor besteht eine depressive Symptomatik. Gerade in der Coronazeit hat sich die Symptomatik wieder verschlechtert, immer wieder depressive Verstimmungen, keine Ängste auftretend. Fallweise auch Schlaflosigkeit. Immer wieder Schmerzen der Lendenwirbelsäule,
Behandlung(en) / Medikamente / Hilfsmittel:
fallweise Psychotherapie, immer wieder Physikotherapie
Wellbutrin 300 lt. Befund 08/2020, Schmerzmittel bei Bedarf
Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):
Dr. XXXX , LWS ap/stl. im Stehen vom 17.11.20211 - Geringe Skoliose. Hyperiordosierung am lumbosacralen Übergang mit Anterolisthese L5 gegenüber den Nachbarwirbeln bei Spondylolyse am lumbosacralen Übergang
Dr. XXXX , Radiologie vom 14.2.2019: Sonographie Oberbauch - Unauffälliger Befund an den Oberbauchorganen
Sonographie Nieren - Unauffälliger Befund an beiden Nieren
Sonographie Unterbauch - Altersgemäßer Befund
Sonographie - linke Leiste - kleine Leistenhernie
Dr. XXXX , Arzt f. AM vom 11.8.2020: Depressio, chron. Lumbalgie. Therapie: Wellbutrin 300 mg 1x1
Untersuchungsbefund:
Allgemeinzustand:
gut
Ernährungszustand:
adipös
Größe: 178,00 cm Gewicht: 92,00 kg
Klinischer Status – Fachstatus:
KOPF: HNA und NNH frei, keine Facialisparese
GEHÖR: altersgemäß
HAUT: im Gesichtsbereich normal, keine Ekzeme.
HALS: Schilddrüse palpatorisch nicht vergrößert.
THORAX: symmetrisch belüftet.
HERZ: Herztöne normal, rhythmisch, normofrequent, keine vitiumtypischen Geräusche, im Normbereich.
LUNGE: normales Atemgeräusch, Vesiculäratmen, sonorer Klopfschall, Lungenbasen gut verschieblich, keine Ruhe- und keine Belastungsdyspnoe.
ABDOMEN: Bauchdecken im Thoraxniveau, keine pathologische Resistenz. Leber unter dem Rippenbogen nicht tastbar, Milz nicht tastbar, Bauchdeckenreflexe normal auslösbar, keine pathologischen Resistenzen, Nierenlager bds. frei, keine Klopfschmerzhaftigkeit, keine inquinalen Bruchpforten tastbar, Lymphknoten inquinal nicht vergrößert.
GLIEDMASSEN:
OE: die Gelenke frei beweglich, keine Muskelatrophie. Reflexe seitengleich und mittelheftig auslösbar.
UE: altersgemäß von normaler Form und Farbe bei guter Durchblutung, gut tastbaren Fußsohlenbenützungzeichen, keine Varizen, keine Ödeme, Lasègue bds. endlagig positiv, Reflexe PSR und ASR sind seitengleich prompt auslösbar. Beweglichkeit, Sprunggelenke seitengleich frei beweglich, Kniebeweglich normal. Die Gelenke der UE frei, keine Gelenksschwellungen. Keine Beinschwellung, Beinlänge bds. gleich, keine Achsenabweichung. Hüftbeweglichkeit in allen Ebenen frei. Kein Rotationsschmerz, kein Stauchungsschmerz.
WIRBELSÄULE:
HWS: keine paravertebralen Muskelverspannungen, keine lokale Druckschmerzhaftigkeit, Kopf frei beweglich, Kinn-Brust-Abstand 0 cm, kräftige Rückenmuskulatur ohne Hartspann.
BWS: normale Achsenkrümmung, keine paravertebralen Muskelverspannungen, keine nennenswerte Bewegungseinschränkung.
LWS: Verspannungen und Klopfschmerz im LWS-Bereich, Vorwärtsneigen bis zu einem Fingerbodenabstand von etwa 20 cm, Seitwärtsneigen bis zum Fibulaköpfchen möglich.
Gesamtmobilität – Gangbild:
Zehen- und Fersengang bds. gut möglich, Sensibilität und Motorik seitengleich unauffällig. Der Gang sicher, keine Seitenabweichung.
Status Psychicus:
Der Patient ist zeitlich, örtlich, zur Person und situativ gut orientiert, im Duktus geordnet, keine formalen und inhaltlichen Denkstörungen, die Stimmung ist wechselhaft bis leicht depressiv, keine wesentlichen Ängste.
Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:
Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:
Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:
1. Rezidivierend depressive Störung - in Teilremission; narzisstische Persönlichkeitszüge; Z.n. Alkoholabhängigkeit
30 % aufgrund der nach wie vor antidepressive Medikation und Psychotherapie, keine aktuellen fachärztlichen Befunde vorliegend Pos.Nr. 03.06.01 GdB% 30
2. Abnützungserscheinungen der Wirbelsäule, Bandscheibenvorfälle L3/L4, L4/L5, L5/S1, radikuläre Schmerzphasen
20 % aufgrund der notwendigen Physikotherapie, der Schmerzausstrahlung Pos.Nr. 02.01.01 GdB% 20
Gesamtgrad der Behinderung 30 v. H.
Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung:
Führend ist das Leiden Nummer 1 mit 30 %. Das Leiden Nummer 2 steigert aufgrund von Geringfügigkeit nicht weiter.
Folgende beantragten bzw. in den zugrunde gelegten Unterlagen diagnostizierten Gesundheitsschädigungen erreichen keinen Grad der Behinderung:
keine
Stellungnahme zu gesundheitlichen Änderungen im Vergleich zum Vorgutachten:
Reduktion des Leidens in Pkt. 1 und 2, da keine aktuellen fachärztlichen Befunde vorliegen.
Begründung für die Änderung des Gesamtgrades der Behinderung:
Herabstufung des Gesamtgrades der Behinderung von 50 % auf 30 %, da keine aktuellen Befunde vorgelegt wurden.
[X] Dauerzustand“
Die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wurde begutachtet, jedoch ist diese nicht Verfahrensgegenstand und die Wiedergabe des entsprechenden Teils des Sachverständigengutachtens konnte unterbleiben.
Das soeben wiedergegebene Sachverständigengutachten nimmt Bezug auf ein psychiatrisches Vorgutachten vom 09.07.2017. Es wurde ein Gesamtgrad der Behinderung von 50 vH festgestellt. Dieses Gutachten weist folgenden relevanten Inhalt auf:
„Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:
Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:
Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:
1. Rezidivierend depressive Störung - in Teilremission; narzisstische Persönlichkeitszüge; Z.n. Alkoholabhängigkeit - seit 2012 abstinent
Relative Stabilisierung in Bezug auf die depressive Symptomatik unter weiterhin eher höherdosierter antidepressiver Medikation. Die Belastbarkeit ist sicherlich nach wie vor etwas eingeschränkt, allerdings kann er den beruflichen Anforderungen, welche ihm gestellt werden, doch nachkommen. Weiterhin vorhanden sind Probleme von Seiten der Persönlichkeitsstruktur, welche durch die Scheidung 2010 deutlich aktiviert worden sind. Pos.Nr.03.06.01 GdB %40
2. Degenerative Wirbelsäulenveränderungen - Bandscheibenvorwölbung L3/L4, L5/S1 und Bandscheibenvorfall L4/L5
Weiterhin wiederkehrende Schmerzphasen. Physiotherapie. Pos.Nr.02.01.02 GdB%30
Gesamtgrad der Behinderung 50 v. H.
Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung:
Die führende Nr. 1 wird durch die Nr. 2 um 10% gesteigert wegen negativer Beeinflussung.
Stellungnahme zu gesundheitlichen Änderungen im Vergleich zum Vorgutachten:
Dr. XXXX vom 14.04.2015:
Übereinstimmung Pos. Nr. und Grad der Behinderung.
[X] Nachuntersuchung 2020 weil je nach psychosozialen Rahmenbedingungen eine Änderung der psychischen Befindlichkeit eintreten kann.“
In der Folge wurde am 19.01.2021 Parteiengehör gewährt und der bP die Möglichkeit gegeben zum Sachverständigengutachten vom 13.01.2021 Stellung zu nehmen.
Mit Schreiben vom 08.02.2021 gab die bP folgende Stellungnahme ab: Sie begründe ihren Einspruch mit folgenden Tatsachen: 1. Chronische Bandscheibenschmerzen LWS 2. Psychische Belastungsstörung mit täglichen Kopfschmerzen, Depressionen schwere Verlaufsform. Da die erste Schädigung bei richtiger Einschätzung bereits 50% MdE ergibt ersuche die bP eine Gesamt MdE mit 60% festzustellen und die Zugehörigkeit zum Kreis der begünstigten Behinderten weiterzugewähren.
Am 16.02.2021 wurde der amtswegige Bescheid der bB erlassen. Mit einem Grad der Behinderung von 30 vH erfülle die bP die Voraussetzungen für die Zugehörigkeit zum Kreis der begünstigten Behinderten nicht mehr. Es werde daher festgestellt, dass sie mit Ablauf des Monats, der auf die Zustellung dieses Bescheides folge, nicht mehr zum Kreis der begünstigten Behinderten gehöre. Rechtsgrundlage waren §§ 2 und 14 Abs. 1 und 2 des Behinderteneinstellungsgesetzes (BEinstG), BGBl. Nr. 22/1970, in der jeweils geltenden Fassung. Begründend wurde ausgeführt: Mit Bescheid vom 06.05.2013 sei festgestellt worden, dass die bP ab 16.05.2012 dem Kreis der begünstigten Behinderten im Sinne der §§ 2 und 14 BEinstG angehöre. Der Grad der Behinderung sei auf Grund der festgestellten Gesundheitsschädigungen zuletzt mit 50 vH festgesetzt worden. Im von Amts wegen eingeleiteten Ermittlungsverfahren sei eine ärztliche Begutachtung zur Feststellung des Ausmaßes der Behinderung durchgeführt worden. Danach betrage der Grad der Behinderung nunmehr 30 vH. Die Einschätzung des Grades der Behinderung erfolge nach der aufgrund des § 14 Abs. 3 BEinstG erlassenen Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261 / 2010). In den Voraussetzungen für die Zugehörigkeit zum Kreis der begünstigten Behinderten sei insofern eine maßgebende Änderung eingetreten, als der Grad der Behinderung nunmehr 30 vom Hundert betrage. Es bestehe somit ein Ausschließungsgrund gemäß § 2 BEinstG. Gemäß § 45 Abs. 3 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 (AVG) sei der bP mit Schreiben vom 19.01.2021 Gelegenheit gegeben worden, zum Ergebnis des Ermittlungsverfahrens Stellung zu nehmen. In Ihrer Eingabe vom 8.2.2021 habe die bP festgestellt, dass die Feststellung des Grades der Behinderung zu gering sei. Neue Beweismittel seien nicht vorgelegt worden. Die Einwände der bP seien nicht geeignet das Ergebnis der Beweisaufnahme zu entkräften oder eine Erweiterung des Ermittlungsverfahrens herbeizuführen. Das eingeholte Sachverständigengutachten stehe mit den Erfahrungen des Lebens, der ärztlichen Wissenschaft und den Denkgesetzen nicht in Widerspruch. Die wesentlichen Ergebnisse des ärztlichen Begutachtungsverfahrens seien der Beilage, die einen Bestandteil der Begründung bilde, zu entnehmen. Es sei daher wie im Spruch zu entscheiden.
Mit Schreiben vom 28.02.2021, eingelangt am 04.03.2021 erhob die bP Beschwerde. Diese ist inhaltlich ident mit der Stellungnahme vom 08.02.2021
Schließlich erfolgte am 12.03.2021 die Beschwerdevorlage am BVwG.
2.0. Beweiswürdigung:
2.1. Zum Verfahrensgang:
Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes der bB und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.
Der oben unter Punkt II.1. festgestellte Sachverhalt beruht auf den Ergebnissen des vom erkennenden Gericht auf Grund der vorliegenden Akten durchgeführten Ermittlungsverfahrens.
Die Feststellungen zu den allgemeinen Voraussetzungen ergeben sich durch Einsicht in das zentrale Melderegister sowie die sonstigen relevanten Unterlagen.
2.2. Nach der ständigen Judikatur des VwGH muss ein Sachverständigengutachten einen Befund und das eigentliche Gutachten im engeren Sinn enthalten. Der Befund ist die vom Sachverständigen – wenn auch unter Zuhilfenahme wissenschaftlicher Feststellungsmethoden – vorgenommene Tatsachenfeststellung. Die Schlussfolgerungen des Sachverständigen aus dem Befund, zu deren Gewinnung er seine besonderen Fachkenntnisse und Erfahrungen benötigt, bilden das Gutachten im engeren Sinn. Eine sachverständige Äußerung, die sich in der Abgabe eines Urteiles (eines Gutachtens im engeren Sinn) erschöpft, aber weder die Tatsachen, auf die sich dieses Urteil gründet, noch die Art, wie diese Tatsachen ermittelt wurden, erkennen lässt, ist mit einem wesentlichen Mangel behaftet und als Beweismittel unbrauchbar; die Behörde, die eine so geartete Äußerung ihrer Entscheidung zugrunde legt, wird ihrer Pflicht zur Erhebung und Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes (§ 37 AVG) nicht gerecht (VwGH vom 17.02.2004, GZ 2002/06/0151).
Hat eine Partei grundlegende Bedenken gegen ein ärztliches Gutachten, dann ist es nach Ansicht des VwGH an ihr gelegen, auf gleichem fachlichen Niveau diesem entgegenzutreten oder unter Anbietung von tauglichen Beweismitteln darzutun, dass die Aussagen des ärztlichen Sachverständigen mit dem Stand der medizinischen Forschung und Erkenntnis nicht vereinbar sind (VwGH vom 20.10.1978, 1353/78).
Eine Partei kann ein Sachverständigengutachten nur dann erfolgreich bekämpfen, wenn sie unter präziser Darstellung der, gegen die Gutachten gerichteten, sachlichen Einwände ausdrücklich erklärt, dass sie die Einholung eines weiteren Gutachtens bestimmter Fachrichtung zur vollständigen Ermittlung des Sachverhaltes für erforderlich halte und daher einen Antrag auf Beiziehung eines weiteren Sachverständigen stellt (VwGH vom 23.11.1978, 0705/77).
Ebenso kann die Partei ein Sachverständigengutachten erfolgreich bekämpfen, ohne diesem auf gleichem fachlichem Niveau entgegentreten zu müssen, wenn es Widersprüche bzw. Ungereimtheiten im Gutachten aufzeigt (vgl. z. B. VwGH vom 20.10.2008, 2005/07/0108).
Im gegenständlichen Verfahren hat es die bB unterlassen, den Sachverhalt dem Gesundheitszustand der bP entsprechend schlüssig und vollständig zu erheben – dies aus den nachfolgenden Erwägungen:
Die bB stützt ihren Bescheid vom 16.02.2021, mit dem der Grad der Behinderung mit 30 vH neu festgesetzt wurde und der bP die Begünstigteneigenschaft aberkannt wurde, auf ein allgemeinmedizinisches Sachverständigengutachten vom 13.01.2021.
In diesem Gutachten wurde als führendes Leiden eine rezidivierend depressive Störung - in Teilremission; narzisstische Persönlichkeitszüge; Z.n. Alkoholabhängigkeit festgestellt. Das Leiden wurde unter der Positionsnummer 03.06.01 mit einem Grad der Behinderung von 30 vH eingestuft. Der Gutachter führte dazu aus: „30 % aufgrund der nach wie vor antidepressive Medikation und Psychotherapie, keine aktuellen fachärztlichen Befunde vorliegend“
Als zweites Leiden wurden Abnützungserscheinungen der Wirbelsäule, Bandscheibenvorfälle L3/L4, L4/L5, L5/S1, radikuläre Schmerzphasen diagnostiziert. Diese Erkrankung wurde unter der Positionsnummer 02.01.01 mit einem Grad der Behinderung von 20 vH eingeschätzt. Der Gutachter begründet den GdB von 20 vH mit der notwendigen Physiotherapie und der Schmerzausstrahlung.
Der Gesamtgrad der Behinderung wurde mit 30 vH festgestellt
Der medizinische Sachverständige gab auch eine Stellungnahme zu gesundheitlichen Änderungen im Vergleich zum Vorgutachten ab: Es sei zu einer Reduktion des Leidens in Pkt. 1 und 2 gekommen, da keine aktuellen fachärztlichen Befunde vorliegen würden.
Diese Begründung ist nach Ansicht des ho. Gerichts jedoch in keinster Weise schlüssig und nachvollziehbar. Der Gutachter bezieht sich auf ein psychiatrisches Vorgutachten vom 09.07.2017 In diesem Vorgutachten wurde das führende Leiden – die rezidivierend depressive Störung unter der Positionsnummer 03.06.01 mit einem Grad der Behinderung von 40 vH eingeschätzt. Das zweite Leiden – die Wirbelsäulenveränderungen wurde unter der Positionsnummer 02.01.02 mit einem GdB von 30 vH eingestuft. Insgesamt ergab sich ein Gesamtgrad der Behinderung von 50 vH, weil das führende Leiden durch das zweite Leiden wegen negativer Beeinflussung um 10% gesteigert wurde.
Der Sachverständige reduzierte im aktuellen Gutachten vom 13.01.2021 die Leiden des Vorgutachtens um jeweils 10% und begründete dies damit, dass keine aktuellen fachärztlichen Befunde vorliegen würden. Wenn jedoch die Höhe des Grades der Behinderung reduziert wird, dann bedeutet dies, dass der Gutachter von einer Besserung der Leiden der bP ausgegangen ist. Aufgrund des Fehlens aktueller fachärztlicher Befunde darf jedoch nicht automatisch der Schluss gezogen werden, dass sich diese Leiden verbessert haben. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die Leiden unverändert zum Vorgutachten einzustufen sind, da es auch der allgemeinen Lebenserfahrung widerspricht, dass sich die bei der bP diagnostizierten Leiden einfach verbessern Der Gutachter hätte eine Besserung der Leiden auf der Basis medizinischer Daten und Fakten in schlüssiger und nachvollziehbarer Art und Weise begründen müssen. Er hatte auch die Möglichkeit sich im Rahmen der persönlichen Untersuchung ein Bild des Gesundheitszustandes der bP zu machen und hätte auf dieser Basis eine Begründung vornehmen können.
Im Ergebnis ist das allgemeinmedizinische Sachverständigengutachten mit einem wesentlichen Mangel behaftet und als Beweismittel unbrauchbar.
3.0. Rechtliche Beurteilung:
3.1. Entscheidungsrelevante Rechtsgrundlagen:
- Bundesverfassungsgesetz B-VG, BGBl. Nr. 1/1930 idgF
- Behinderteneinstellungsgesetz BEinstG, BGBl. Nr. 22/1970 idgF
- Bundesverwaltungsgerichtsgesetz BVwGG, BGBl. I Nr. 10/2013 idgF
- Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013 idgF
- Verwaltungsgerichtshofgesetz VwGG, BGBl. Nr. 10/1985 idgF
Nachfolgende Bestimmungen beziehen sich auf die im Pkt. 3.1. angeführten Rechtsgrundlagen in der jeweils geltenden Fassung.
3.2. Gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG erkennen die Verwaltungsgerichte über Beschwerden
1. gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit; …
Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Gemäß § 19b Abs. 1 BEinstG entscheidet in Verfahren über Beschwerden in Rechtssachen in den Angelegenheiten der §§ 8, 9, 9a und 14 Abs. 2 das Bundesverwaltungsgericht durch den Senat.
In Anwendung des Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG iVm § 19b Abs. 1 BEinstG wird die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes in der zugrundeliegenden Beschwerdeangelegenheit begründet und fällt die Entscheidung der gegenständlichen Rechtssache jenem Richtersenat zu, der unter Berücksichtigung der zitierten Bestimmungen in der Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes dafür vorgesehen ist. Der erkennende Senat ist daher in diesem Beschwerdeverfahren zuständig.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem, dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht, vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Bezugnehmend auf die zitierten Bestimmungen waren die unter Pkt. 3.1 im Generellen und die in den Pkt. 3.2 ff im Speziellen angeführten Rechtsgrundlagen für dieses Verfahren in Anwendung zu bringen.
3.3. Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.
Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG hat, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 leg cit nicht vorliegen, das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Dies auch unter dem Aspekt, dass, um eine Entscheidung in dem vorliegenden Beschwerdeverfahren treffen zu können, vorher vom Bundesverwaltungsgericht noch notwendige ergänzende Ermittlungen durch Einholung von weiteren Sachverständigengutachten vorzunehmen wären. Dementsprechend würde es das Verfahren iSd § 28 Abs. 2 VwGVG nicht beschleunigen und auch keine Kostenersparnis mit sich bringen. Die Behörde ist in diesem Fall an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgeht.
Gegenständliche Entscheidungsform stellt nach Ansicht des ho. Gerichtes ein verfahrensökonomisches Instrument, insbesondere im Hinblick auf eine mögliche verfahrensbeschleunigende Wirkung, dar, welches generell vorab durch die Behörde zu prüfen und einzelfallbezogen in Betracht zu ziehen wäre.
Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.
3.4. Steht der maßgebliche Sachverhalt fest oder ist die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden, hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden.
§ 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Verwaltungsgerichtes, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen hat.
Hierzu führt der VwGH aus, dass angesichts des in § 28 VwGVG 2014 insgesamt verankerten Systems die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG 2014 bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte darstellt. Nach dem damit gebotenen Verständnis steht diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 VwGVG 2014 verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlangt das im § 28 VwGVG 2014 insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (VwGH vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063).
3.5. Wie bereits festgestellt und in der Beweiswürdigung erörtert, hat die bB den gegenständlich bekämpften Bescheid vom 16.02.2021 auf ein Beweismittel – das Sachverständigengutachten vom 13.01.2021 – gestützt, welches nicht schlüssig und nachvollziehbar in Bezug auf die Begründung der Herabstufung der Leiden der bP im Vergleich zum Vorgutachten vom 09.07.2017 war.
Obig angeführte Ermittlungsmängel liegen aus Sicht des erkennenden Gerichtes vor und ist der Bescheid nach § 28 Abs. 3 VwGVG aufzuheben und zur neuerlichen Erlassung an die Behörde erster Instanz zurückzuverweisen. Dies auch unter dem Aspekt der Raschheit und Wirtschaftlichkeit iSd § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG, da aufgrund der infrastrukturellen Gegebenheiten des BVwG das anhängige Verfahren mit Sicherheit nicht rascher, sondern nur kostenintensiver im Vergleich zum Sozialministeriumservice durch Einholung weiterer Sachverständigengutachten, durchgeführt werden kann.
Zusammenfassend erfüllt das, von der bB für seine Entscheidung herangezogene, Sachverständigengutachten nicht die von der einschlägigen Judikatur geforderten Mindestanforderungen und leidet dadurch an einem wesentlichen Mangel (VwGH vom 17.02.2004, GZ 2002/06/0151). Dies hat zur Folge, dass seitens der bB die allgemeinen Verfahrensgrundsätze, indem der Sachverhalt iSd § 37 AVG nicht ausreichend ermittelt wurde, keine Berücksichtigung fanden.
Aufgrund des organisatorischen Aufbaues der bB und des ho. Gerichts, der verfahrensrechtlichen Ausgestaltung der einzelnen Verfahrensabschnitte, ergibt sich, dass die Führung des Verfahrens durch die bB eine wesentliche Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens darstellt.
Es ist letztlich im Rahmen einer Gesamtschau im Lichte der oa. Ausführungen davon auszugehen, dass in diesem konkreten Fall vom Primat der inhaltlichen Entscheidung durch das Verwaltungsgericht ausnahmsweise abzugehen und aufgrund der qualifizierten Unterlassung wesentlicher Ermittlungsschritte der bekämpfte Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG zu beheben war.
3.6. Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.
Gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn
1. der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder
2. die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist.
Im vorliegenden Fall stand bereits auf Grund der Aktenlage fest, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben war, weshalb eine öffentliche mündliche Verhandlung iSd § 24 Abs. 2 VwGVG entfallen konnte.
3.7. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen (VwGH vom 22.05.2014, Ra 2014/01/0030).
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Ermittlungspflicht Grad der Behinderung Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung SachverständigengutachtenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:L517.2240344.1.00Im RIS seit
20.10.2021Zuletzt aktualisiert am
20.10.2021