TE Bvwg Erkenntnis 2021/7/22 W240 2138516-2

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Veröffentlicht am 22.07.2021
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Entscheidungsdatum

22.07.2021

Norm

AsylG 2005 §55 Abs2
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs4
AsylG 2005 §9 Abs1 Z1
AsylG 2005 §9 Abs4
BFA-VG §9 Abs2
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28
VwGVG §28 Abs2

Spruch


W240 2138516-2/21E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Feichter über die Beschwerde von XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.09.2019, Zl. 1045003603-190979637, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

I. Die Beschwerde wird hinsichtlich der Spruchpunkte I., II., III. und IV. des angefochtenen Bescheides als unbegründet abgewiesen.

II. Der Beschwerde gegen die Spruchpunkte V. und VI. des angefochtenen Bescheides wird stattgegeben und festgestellt, dass gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 9 Abs. 2 BFA-VG die Erlassung einer Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist.

Dem Beschwerdeführer wird gemäß §§ 58 Abs. 2 iVm § 55 Abs. 2 AsylG der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung“ für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.

III. Spruchpunkt VII. des angefochtenen Bescheides wird ersatzlos behoben.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (in der Folge auch: BF), ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte – nach illegaler Einreise – im österreichischen Bundesgebiet am 10.11.2014 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Mit Bescheid vom 27.09.2016 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge auch: BFA oder Behörde) den Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 wurde ihm der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 bis zum 27.09.2017 erteilt (Spruchpunkt III.).

Zu Spruchpunkt II. (subsidiärer Schutz) wurde begründend ausgeführt, der BF befinde sich im Falle einer Rückkehr in einer aussichtslosen Lage, da er in Afghanistan keine Lebensgrundlage habe. Er verfüge im Herkunftsstaat über keinerlei familiäres oder soziales Netzwerk und habe nur eine unzureichende Schulbildung erfahren, da er lediglich sechs Jahre lang die Schule in Pakistan besucht habe. Aus diesen Gründen sei ihm eine innerstaatliche Fluchtalternative nicht zumutbar. Zudem stelle sich die allgemeine Situation in Afghanistan als unübersichtlich und unsicher dar. Aufgrund all dessen liege die reale Gefahr einer Bedrohung iSd § 8 AsylG vor und sei dem BF der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen.

3. Eine gegen Spruchpunkt I. (Abweisung Asyl) des Bescheides vom 27.09.2016 erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts (auch: BVwG) vom 13.09.2019, Zl. W253 2138516-1/19E, rechtskräftig als unbegründet abgewiesen.

4. Aufgrund eines Verlängerungsantrags des BF, welcher am 07.07.2017 beim BFA eingebracht wurde, verlängerte das BFA mit Bescheid vom 09.10.2017 die befristete Aufenthaltsberechtigung des BF gemäß § 8 Abs 4 AsylG bis zum 27.09.2019.

Begründend wurde ausgeführt, aufgrund der Ermittlungen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat in Verbindung mit dem Vorbringen bzw. dem Antrag des BF, könne das Vorliegen der Voraussetzungen für die Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung als glaubwürdig erachtet werden (AS 42).

5. Am 08.08.2019 stellte der BF neuerlich einen Verlängerungsantrag, woraufhin das BFA ein Ermittlungsverfahren zur Prüfung des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen gemäß § 8 AsylG einleitete. Im Zuge dessen wurde der BF am 26.09.2019 niederschriftlich vor dem BFA einvernommen (AS 211ff).

Er gab dabei im Wesentlichen an, er sei gesund, nehme keine Medikamente und stehe auch nicht in ärztlicher Behandlung. Seine Mutter, zwei Brüder sowie zwei Schwestern hielten sich derzeit in Kabul auf. Er stehe etwa alle drei Wochen mit ihnen in Kontakt (AS 213f). Ein Bruder des BF arbeite als Chauffeur und auch der BF selbst schicke seiner Familie Geld. Ursprünglich stamme der BF – wie auch seine Familie – aus Laghman, Distrikt XXXX , die Familie sei jedoch nach Kabul gezogen, nachdem der BF Probleme bekommen habe. Der BF sei ledig, habe aber eine Freundin, mit welcher er zusammengewohnt habe. Nun lebe der BF in Wien mit einem Freund zusammen, wo er auch arbeite und besuche seine Freundin in Graz. In Österreich habe der BF keinerlei Verwandte und sei auch seit 2017 nicht mehr Mitglied in seinem Fußballverein, da er berufsbedingt keine Zeit habe (AS 215). Zukünftig wolle er eine Lehre zum Kfz-Mechaniker machen. Auf eine Stellungnahme zu den Länderinformationsblättern zu Afghanistan verzichte er. Freiwillig wolle er nicht zurückkehren (AS 217), die Lage dort habe sich verschlechtert (AS 218).

6. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 30.09.2019 (AS 11 ff) wurde dem BF der mit Bescheid vom 27.09.2016 zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Absatz 1 Ziffer 1 Asylgesetz 2005, BGBl I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF, von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.). Die mit Bescheid vom 27.09.2016 erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter wurde dem BF gemäß § 9 Abs. 4 AsylG entzogen (Spruchpunkt II.) Der Antrag vom 08.08.2019 auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG wurde abgewiesen (Spruchpunkt III.). Es wurde dem BF ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 10 Absatz 1 Ziffer 4 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF, wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 2 Ziffer 3 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr 100/2005 (FPG) idgF, erlassen (Spruchpunkt V.). Es wurde gemäß § 52 Absatz 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des BF gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt VI.). Es wurde zudem gemäß § 55 Absatz 1 bis 3 FPG festgestellt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VII.).

Begründend wurde ausgeführt, hinsichtlich des BF sei von keiner Rückkehrgefährdung mehr auszugehen. Der BF sei mittlerweile volljährig und habe sich in Österreich wertvolle Berufskenntnisse und weiteres lebensnotwendiges Wissen aneignen können. Nunmehr kämen für ihn jedenfalls Kabul, Herat oder Mazar-e-Sharif als innerstaatliche Fluchtalternativen in Betracht. Er sei jung, gesund, arbeitsfähig und mit den kulturellen Gegebenheiten in Afghanistan vertraut. Mit Unterstützung durch seine Familie sowie im Rahmen der Volksgruppe der Paschtunen könne er jedenfalls rechnen. Die Sachlage seit der Zuerkennung des subsidiären Schutzes habe sich demnach wesentlich verändert, eine Rückkehr sei dem BF zumutbar. Da eine entsprechende Bedrohungslage zu verneinen sei, sei auch die Abschiebung des BF nach Afghanistan zulässig.

Zum Privat- und Familienleben des BF in Österreich wurde im Wesentlichen ausgeführt, der BF verfüge im Inland über keine familiären Anknüpfungspunkte und stehe auch zu keiner Person in einem Abhängigkeitsverhältnis. Ein schützenswertes Familienleben in Österreich liege nicht vor. Er habe Deutschkenntnisse auf mittlerem Niveau, sei arbeitstätig und seiner gesetzlichen Verpflichtung zur Integrationsförderung iSd § 67 Abs. 1 AsylG nachgekommen. Er sei weder in einer Organisation noch einem Verein tätig. Eine besondere Integration oder Aufenthaltsverfestigung könne nicht festgestellt werden. Zwar bestehe ein Privatleben des BF im Inland, jedoch sei ein staatlicher Eingriff im Hinblick auf das Überwiegen öffentlicher Interessen gerechtfertigt und damit auch die Erlassung einer Rückkehrentscheidung zulässig.

7. Mit Schriftsatz vom 25.10.2019 erhob der BF durch seine ausgewiesene Rechtsvertretung vollumfänglich Beschwerde gegen den Bescheid des BFA vom 30.09.2019. Der Behörde sei, was das familiäre Unterstützungspotential im Herkunftsstaat des BF angehe, ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren vorzuwerfen. Auch habe sich die allgemeine Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan nicht wesentlich verbessert. Die Voraussetzungen für die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten lägen nicht vor. Überdies sei die Rückkehrentscheidung zu Unrecht ergangen, da der BF im Inland ein schützenswertes Privatleben aufgebaut, sich persönlich und beruflich integriert habe, selbsterhaltungsfähig und unbescholten sei. Jedenfalls unzulässig sei die Abschiebung des BF, da für diesen in Afghanistan eine Bedrohungslage iSd § 50 Abs. 1 FPG gegeben sei. Beantragt wurde die Durchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung, die Abänderung des Bescheides dahingehend, dass dem BF der Status eines subsidiär Schutzberechtigten nicht aberkannt werde, in eventu die Behebung und Zurückverweisung an die Behörde oder die Erklärung, die Rückkehrentscheidung sei dauerhaft unzulässig und Aufhebung des Ausspruchs der Zulässigkeit der Abschiebung.

8. Das BFA legte dem erkennenden Gericht die Beschwerde vom 25.10.2019 mit Schriftsatz vom 28.10.2019, einlangend 30.10.2019, vor und beantragte die Beschwerdeabweisung.

9. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 10.08.2020 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch. Im Rahmen der Beschwerdeverhandlung wurde der Beschwerdeführer insbesondere zu seiner derzeitigen persönlichen Situation, seinem Leben in Österreich, seinen Familienangehörigen in Afghanistan und dem Kontakt zu diesen, zur Lage in Afghanistan und seinen Fluchtgründen befragt.

10. Am Ende der Einvernahme wurden dem Beschwerdeführer Kopien der vorliegenden Berichte und Feststellungen (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan mit Kurzinformation vom 18.05.2020 und vom 29.06.2020, UNHCR-Richtlinien zu Afghanistan vom 30.08.2018, EASO: Guidance note and common analysis zu Afghanistan vom Juni 2018 und 2019 und Kurzinformation der Staatendokumentation vom 29.06.2020 zu COVID-19 in Afghanistan) ausgefolgt und für eine allfällige schriftliche Stellungnahme eine Frist bis zum 30.08.2020 eingeräumt.

11. Am 31.08.2020 langte eine Stellungnahme der Rechtsvertretung des BF beim BVwG ein. Hierin wurde ausgeführt, der BF laufe – aufgrund der fehlenden Unterstützung und der prekären wirtschaftlichen Situation in Afghanistan – immer noch vor Gefahr „abzurutschen“. Weder die Lage in Afghanistan, noch die persönliche Situation des BF habe sich nachhaltig, wesentlich und dauerhaft verbessert. Der, wenn auch inzwischen volljährige, BF könne nach wie vor nicht mit Unterstützung durch seine Familie rechnen, sei er doch derjenige, der die Familie unterstütze. In Mazar-e-Sharif oder Herat sei der BF zudem ohne Ortskenntnisse oder familiäres Netz. Kabul komme aus Sicherheitsgründen und aufgrund der schlechten Versorgungslage als innerstaatliche Fluchtalternative nicht in Betracht. Erschwerend hinzu komme die COVID-19 Pandemie, welche den Jobmarkt erheblich belaste, den BF als Rückkehrer mit dem Stigma eines „Seuchenträgers“ behafte und dadurch potentiell in Gefahr bringe. Ohne familiäre Unterstützung sei eine Rückkehr nicht zumutbar. Zudem sei der BF nunmehr fast sechs Jahre lang im Inland aufhältig und beruflich wie persönlich integriert, weshalb die Erlassung einer Rückkehrentscheidung unverhältnismäßig sei.

Mit der Stellungnahme legte der BF zudem weitere Urkunden (Dienstzeugnis und acht Empfehlungsschreiben vor).

12. Mit Schreiben des BVwG vom 14.06.2021 wurden im Rahmen des Parteiengehörs die aktuellen Länderfeststellungen zu Afghanistan vom 11.06.2021 dem Beschwerdeführer zur Kenntnis gebracht. Es wurde eine Frist für eine Stellungnahme zu den Länderberichten eingeräumt und die Möglichkeit eingeräumt, Ausführungen bzw. Unterlagen zur aktuellen Situation betreffend den BF dem Gericht zu übermitteln. Mit Schreiben vom 28.06.2021 wurde insbesondere ausgeführt, dass eine Einzelfallprüfung unerlässlich erscheine, abhängig vom Alter, Geschlecht, Familienstatus, Gesundheitszustand, beruflichen Hintergrund, Bildungshintergrund, finanzieller Mittel, Ortskenntnis und Unterstützungsnetzwerk, dies auch bei gesunden, jungen und alleinstehenden Männern. Verwiesen wurde darauf, dass sich die Situation in Afghanistan immer mehr verschlechtert habe und wurden weitere aktuelle Länderberichte auszugsweise wiedergegeben sowie auch auf die Situation aufgrund der Pandemie verwiesen. Verwiesen wurde neben einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK darauf, dass es im Falle einer Abschiebung des BF nach Afghanistan zu einer Verletzung seines Rechts auf Familien- und Privatleben gemäß Art. 8 EMRK komme. Der BF habe sich vorbildlich integriert, spreche sehr gut Deutsch über B1-Niveau, habe eine Arbeitsmöglichkeit gehabt, welche er pandemiebedingt verloren habe, er habe sich seinen Lebensunterhalt in Österreich selbst finanziert, zudem verfüge er über ein engmaschiges soziales Unterstützungsnetzwerk in Österreich. Der BF habe sich zudem ehrenamtlich und in Vereinen engagiert und zahlreiche Unterlagen über seine Integration vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen

1. Feststellungen

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der volljährige BF ist Staatsangehöriger Afghanistans, Angehöriger der Volksgruppe der Pashtunen und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Er wurde in Pakistan geboren, seine Muttersprache ist Pashtu. Er verfügt über Deutschkenntnisse auf dem Niveau A2. Der BF ist ledig und kinderlos (Prot. d. mündl. Verh. S. 5, 6 und 7 sowie AS 199 und 201). Er wurde spätestens am XXXX .2017 volljährig (AS 153).

Die Familie des BF stammt ursprünglich aus der afghanischen Provinz Laghman (Prot. d. mündl. Verh. S.8 und AS 215). Der BF wurde in Pakistan geboren, wo er die ersten elf Jahre seines Lebens verbrachte. Danach verzog er nach Kabul (Afghanistan), wo er drei Jahre lebte, bevor er im Jahr 2014 illegal ausreiste (Prot. d. mündl. Verh. S. 6). 

Die leiblichen Eltern des BF sind bereits verstorben. Insgesamt hat der BF sechs volljährige Geschwister (vier Brüder, zwei Schwestern) und vier minderjährige Halbgeschwister (zwei Halbbrüder, zwei Halbschwestern). Der älteste Bruder des BF lebt in Frankreich und arbeitet als Koch, der zweitälteste Bruder des BF ist in den USA aufhältig und als Supervisor in einer Sicherheitsfirma tätig. In Afghanistan, Kabul, leben aktuell die Stiefmutter, sowie zwei Brüder, zwei Halbbrüder eine Schwester und zwei Halbschwestern des BF. Der ältere seiner in Kabul lebenden Brüder führt einen eigenen Lebensmittelladen, in welchem der jüngere in Kabul aufhältige Bruder des BF aushilft. Die zwei erwachsenen Schwestern des BF sind jeweils verheiratet, die ältere der beiden lebt in Pakistan, die jüngere in Afghanistan (Jalalabad) (Prot. d. mündl. Verh. S. 7 und 8 sowie AS 79 und 213f). Der BF hat regelmäßigen Kontakt zu seiner in Kabul lebenden Stiefmutter sowie seinen dort aufhältigen Geschwistern (Prot. d. mündl. Verh. S. 7, AS 215).

Zwei Onkel väterlicherseits und weitere zwei mütterlicherseits des BF leben in Afghanistan, in der Provinz Laghman. Ein Onkel väterlicherseits sowie zwei mütterlicherseits wiederum leben in Pakistan. Zu diesen – wie auch seinen Tanten – besteht kein Kontakt (Prot. d. mündl. Verh. S.8).

Der BF besuchte sechs Jahre lang in Pakistan und drei Jahre lang in Afghanistan eine Schule. Zudem absolvierte er vor seiner Ausreise zwei einmonatige Praktika, eines in der Gastronomie, eines bei einem KFZ-Mechaniker (Prot. d. mündl. Verh. S. 9 und AS 78 und EV 16.03.2019).

Nach seiner illegalen Einreise in das österreichische Bundesgebiet und seinem – am 10.11.2014 gestellten – Antrag auf internationalem Schutz war der BF zunächst als Asylwerber aufhältig und erhielt mit Bescheid vom 27.09.2016 den Status eines subsidiär Schutzberechtigten. Einer gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des BFA vom 27.09.2016 (Nichtzuerkennung des Status eines Asylberechtigten) erhobenen Beschwerde gab das BVwG mit Erkenntnis vom 13.09.2019, Zl. W253 2138516-1/19E, keine Folge, weil es das Fluchtvorbringen des BF (Flucht vor den Taliban, weil diese Informationen über die Tätigkeit seines Bruders für Amerikaner von ihm und seinem Vater wollten) als nicht glaubhaft beurteilte. Auch die Ermordung des Vaters durch die Taliban und eine Tätigkeit eines in Frankreich aufhältigen Bruders für die afghanische Nationalarmee konnte durch das BVwG im ebengenannten Erkenntnis nicht festgestellt werden. Ebenso wenig konnte das Gericht sonstige asylrelevante Fluchtgründe feststellen (AS 119).

Die Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter des BF wurde einmal mit Bescheid vom 09.10.2017 bis zum 27.09.2019 verlängert (AS 41ff). Sein neuerlicher Antrag auf Verlängerung der ihm befristet erteilten Aufenthaltsberechtigung vom 08.08.2019 wurde mit dem beschwerdegegenständlichen Bescheid abgewiesen (AS 11 ff).

Der BF ist gesund (Prot. d. mündl. Verh. S. 4 und 5 und AS 213).

Er ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

Der BF wohnt seit 24.01.2019 gemeinsam mit einem Freund in einer Mietwohnung in Wien (ZMR-Auszug, AS 215). Er ist ledig und ihn treffen keine Sorgepflichten (AS 215, Prot. d. mündl. Verh. S. 10). Der BF war Mitglied in einem Fußballverein. Der BF ist sozial integriert. Er hat in Österreich diverse Kontakte und auch Freundschaften geknüpft (Prot. d. mündl. Verh. S. 10; Empfehlungsschreiben). Der BF spricht Deutsch (AS 217 und Prot. d. mündl. Verh. S. 10). Er geht regelmäßig in ein Fitnessstudio (Prot. d. mündl. Verh. S. 9).

Familienangehörige in Österreich hat der BF nicht (Prot. d. mündl. Verh. S. 9 und AS 215).

Die persönliche Situation des BF hat sich im Vergleich zum Zeitpunkt der Zuerkennung des Schutzstatus und auch zum Zeitpunkt der Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung entscheidungswesentlich und nachhaltig gebessert. Es wird festgestellt, dass der BF über ein gesichertes, unterstützendes familiäres Netzwerk in Afghanistan verfügt.

1.2. Zu Selbsterhaltungsfähigkeit, Erwerbstätigkeiten, Ausbildungen etc.

Der BF besuchte in Österreich von 14.09.2015 bis 27.11.2015 eine NMS/HS in der Steiermark (AS 193), ab 01.02.2016 besuchte er vier Monate lang als Gastschüler eine Bundeshandelsakademie/Bundeshandelsschule in der Steiermark (Prot. der mündl. Verh. S. 9 und AS 195). Auch besuchte er im Schuljahr 2016/2017 eine Übergangsstufe zum Oberstufenrealgymnasium an einem BORG in der Steiermark (AS 197). Im Jahr 2017 absolvierte er einen freiwilligen Schwimmkurs (AS 207). Er besuchte 2016/2017 ein sechsmonatiges Projekt zur Vorbereitung auf den Berufseinstieg für benachteiligte Jugendliche an einer Produktionsschule im Rahmen von 32 Wochenstunden (AS 209). Er nahm an verschiedenen Sprachkursen teil und absolvierte erfolgreich die Deutschprüfung bis zum Niveau A2 (Prot. d. mündl. Verh. S. 9 und AS 201-205). Zukünftig möchte er in Österreich den Schulabschluss nachholen und eine Lehre als KFZ-Mechaniker absolvieren (Prot. d. mündl. Verh. S. 9).

Der BF bezog – mit Unterbrechungen – von 17.10.2017 bis 03.04.2018 Arbeitslosengeld. Er war in Österreich von 04.04.2018 bis 08.11.2018, 18.02.2019 bis 21.02.2019, 01.03.2019 bis 14.06.2019 sowie ab 10.07.2019 jeweils als Arbeiter berufstätig. Zwischenzeitlich erhielt er wiederum von 14.11.2018 bis 25.11.2018 und 08.01.2019 bis 17.01.2019 Arbeitslosengeld (AS 3ff, Arbeitsvertrag vom 09.07.2019). Seit Juli 2020 ist der BF aufgrund der Covid-19 Pandemie arbeitslos (Prot. d. mündl. Verh. S. 9).

Der BF ist im Vergleich zum Zeitpunkt der Erlassung der vorhergehenden Bescheide (aus 2016 und 2017) älter und reicher an Lebens- und Berufserfahrung. Er ist selbstständig, arbeits- und selbsterhaltungsfähig.


1.3. Zur Rückkehr des BF nach Afghanistan bzw. zur Notwendigkeit des subsidiären Schutzes:

Es wird dem Verfahren zugrunde gelegt, dass die Zuerkennung des subsidiären Schutzes darauf gestützt wurde, dass der BF über kein familiäres oder soziales Netzwerk in Afghanistan verfügte und minderjährig war, sodass er im Fall einer Rückkehr aufgrund seiner mangelnden (Aus)-bildung, Berufserfahrung und in Abwesenheit eines familiären Netzes in eine aussichtslose Lage geraten hätte könnte und ihm keine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung gestanden wäre.

Der BF ist ein 21 Jahre alter, gesunder, arbeits- und selbsterhaltungsfähiger Mann. Im Hinblick auf die COVID-19-Pandemie ist festzuhalten, dass der BF auch keine Vorerkrankungen hat, womit er nicht in eine Risikogruppe der älteren Personen oder der Personen mit einschlägigen Vorerkrankungen fällt. Ein bei einer Überstellung des BF nach Afghanistan vorliegendes „real risk“ einer Verletzung des Art. 3 EMRK ist somit diesbezüglich nicht erkennbar.

Bezüglich einer Rückkehr nach Kabul– dem Ort seines letzten Aufenthalts in Afghanistan, in welchem er bis zur Ausreise lebte und wo auch seine Verwandten leben – ist aus den Schilderungen der Länderberichte ersichtlich, dass die Provinz Kabul nicht volatil ist. Es sind jedoch Gefahren im täglichen Leben möglich, so wird von Straßenbomben, Selbstmordangriffen, gezielten Tötungen und anderen terroristischen Angriffen berichtet, die auch auf dem Weg zu Märkten, Schulen oder zur Arbeit erfolgen.

Dem BF stehen jedoch innerstaatliche Flucht- bzw. Schutzalternativen in den Städten Mazar-e Sharif oder Herat zur Verfügung. Diese sind von Österreich aus sicher mit dem Flugzeug auf Grund der vorhandenen internationalen Flughäfen zu erreichen. Es wäre ihm dort ohne Gefahr möglich, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft befrieden zu können, bzw. ohne in eine ausweglose oder existenzbedrohende Situation zu geraten, zu leben. Dem BF würde bei seiner Rückkehr in eine dieser Städte kein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen. Er kann selbst für sein Auskommen und Fortkommen sorgen und zumindest vorrübergehend verschiedene Hilfsprogramme in Anspruch nehmen, die ihn bei der Ansiedlung in Mazar- e Sharif oder Herat unterstützen würden. Es ist dem Beschwerdeführer möglich nach anfänglichen Schwierigkeiten in der Stadt Mazar-e Sharif oder Herat Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können. Auch lebt ein Teil der Familie des BF in Kabul, sodass er auch durch diese Unterstützung zu erwarten hat. Selbiges gilt für seine in den USA und in Frankreich aufhältigen Brüder, die bereits jetzt die in Afghanistan lebende Familie unterstützen. Der BF hat zudem die Möglichkeit, finanzielle Unterstützung in Form der Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen.

Es ist aufgrund des teilweisen Lockdowns schwierig in Großstädten wie Mazar-e Sharif, Herat oder Kabul zu leben, da die Lebensmittelpreise gestiegen sind. In Zusammenschau ist jedoch ersichtlich, dass der BF ein gesunder, junger Mann ist, der auch als Tagelöhner arbeiten und Nahrungsmittel und Wohnung bezahlen könnte und in keine Notlage geraten würde. Der BF liefe im Falle eine Rückkehr nach Mazar-e Sharif oder Herat-Stadt nicht maßgeblich Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Er ist in der Lage dort eine einfache Unterkunft zu finden bzw. am Erwerbsleben teilzunehmen.

Eine mit der Rückkehr in den Herkunftsstaat verbundene reale (über die bloße Möglichkeit hinausgehende) Gefahr, der Folter ausgesetzt zu sein oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe durch einen konkreten Akteur unterworfen zu sein, besteht dort nicht, insbesondere nicht im Hinblick auf eine drohende Kettenabschiebung, im Hinblick auf eine drohende Todesstrafe; des Weiteren auch nicht im Hinblick auf seinen Gesundheitszustand in Verbindung mit einer Unzulänglichkeit der medizinischen Bedingungen im Herkunftsstaat, im Hinblick auf die dortigen allgemeinen humanitären Bedingungen und Versorgungslage, in Verbindung mit seiner persönlichen Lage (etwa im Sinne einer existenzgefährdenden Notlage oder des Entzugs der notdürftigsten Lebensgrundlagen) oder im Hinblick auf psychische Faktoren, auf Haftbedingungen oder aus anderen Gründen.

Der BF hat nunmehr wieder regelmäßigen Kontakt zu seiner in Kabul ansässigen Familie. Der BF ist mit den kulturellen Gepflogenheiten und einer der Landessprachen seines Herkunftsstaates vertraut. Außergewöhnliche Gründe, die eine Rückkehr des BF nach Mazar-e Sharif oder Herat- Stadt ausschließen würden, liegen nicht vor.

Der volljährige BF ist gesund, mobil, anpassungsfähig, befindet sich im erwerbsfähigen Alter und ist arbeitswillig. Er hat in Österreich bereits für mehrere Unternehmen gearbeitet. Das BFA hat zu Recht erkannt, dass der BF somit aufgrund von wesentlichen und nachhaltigen persönlichen Veränderungen als auch aufgrund der aktuellen Lage in Afghanistan nunmehr nicht mehr eines subsidiären Schutzes in Österreich bedarf.


1.5. Zur Situation in Afghanistan:

1.5.1. Das BVwG trifft folgende Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat unter Auszug aus dem aktuellen Länderinformationsblatt vom 11.06.2021:

Länderspezifische Anmerkungen

Letzte Änderung: 10.06.2021

Quellenangabe und -verwendung

Administrative Einheiten (Distrikte und Provinzen von Afghanistan):

NSIA - National Statistics and Information Authority [Afghanistan] (1.6.2020): Estimated Population of Afghanistan 2020-21, https://www.nsia.gov.af:8080/wp-content/uploads/2020/06/??????-????-????-????-????-???.pdf

Angaben zur Anzahl der Distrikte, den Distriktgrenzen und der administrativen Zugehörigkeit der Distrikte variieren mitunter. 2020 veröffentlichte die afghanische National Statistics and Information Authority (NSIA) eine Publikation mit der Anzahl der Distrikte (insg. 388). Da es sich hierbei mit Stand Juni 2020 um die aktuellste und umfassendste Publikation zur Anzahl und Einordnung der Distrikte in ganz Afghanistan handelt, stützt sich die Darstellung der Sicherheitslage in den Provinzen auf diese Einteilung. Sogenannte "temporäre" Distrikte werden eigens ausgewiesen, ebenso wie kürzlich erfolgte Änderungen der Distrikt- oder Provinzgrenzen (NSIA 1.6.2020).

Die Transkription afghanischer Eigennamen erfolgt im Allgemeinen nicht nach universell angewandten Regeln. Im Folgenden wurde im Sinne einer Einheitlichkeit weitgehend die Schreibweise der NSIA übernommen. Es wird allerdings darauf hingewiesen, dass Variationen möglich und üblich sind.

Sicherheitsrelevante Vorfälle:

ACLED – Armed Conflict Location and Event Data (o.D.): ACLED Data http://www.acleddata.com/data/, Zugriff 26.2.2021

ACLED erfasst sicherheitsrelevante Vorfälle und Todesopfer mittels Medienbeobachtung, d.h. es werden online verfügbare Nachrichtenberichte über sicherheitsrelevante Vorfälle gesammelt und die relevanten Ereignisse anhand eines vorgegebenen Codierschemas in den Vorfallsdatensatz aufgenommen (ACLED 3.2020). Nicht alle Gebiete in Afghanistan können jedoch gleichermaßen von Journalisten besucht werden (HE 5.5.2019). ACLED berücksichtigt bei der Datensammlung unter anderem auch Berichte von Voice of Jihad, der Website der Taliban (ACLED 3.2020). Angaben der Taliban zu den Opferzahlen sind oftmals übertrieben (FAZ 19.10.2017). ACLED verwendet bei der Zählung der Todesopfer die kleinste in den Quellen zu findende Anzahl an Todesopfern. Sind die Angaben zu den Todesopfern in den Quellen ungenau (z.B. „zahlreiche Tote“) oder unbekannt, so codiert ACLED automatisch zehn Todesopfer - oder drei Todesopfer, sofern bekannt ist, dass es sich um weniger als zehn Todesopfer handelt (ACLED 3.2020). Die Angaben zu den Todesopfern sind somit Schätzungen von ACLED.

ACLED erfasst die folgenden gewaltsamen Vorfälle: Kampfhandlungen ohne Gebietsveränderungen, Kampfhandlungen, bei denen ein nichtstaatlicher Akteur ein Gebiet einnimmt, Kampfhandlungen, in denen eine Regierung Gebiete zurückgewinnt, Gewalt gegen Zivilisten, so genannte „remote violence“ - Gewalt ohne die physische Anwesenheit des Gewaltausübenden (z.B. Bombenanschläge, IEDs, Raketenangriffe etc.), wie auch Demonstrationen und Aufstände. Die folgenden gewaltlosen Ereignisse werden erfasst: gewaltfreie Gebietsübernahmen, Aufbau von Hauptquartieren oder Stützpunkten sowie strategische Entwicklungen (ACLED 3.2020).

ACLED empfiehlt mit Stand Februar 2021, die Daten zur Gewalt bzw. zu den Todesopfern in Afghanistan in den Jahren 2019 und 2020 nicht miteinander zu vergleichen, da ein Wandel in der Berichtspraxis der Taliban (bzw. von Voice of Jihad) und der afghanischen Regierung (bzw. dem afghanischen Verteidigungsministerium) zum Anschein einer Gewaltreduktion beigetragen haben könnte. ACLED überprüft derzeit Veränderungen in der Berichterstattung und ergänzt die Daten durch weitere Quellen (ACLED o.D.).

Anmerkung: Detaillierte Informationen zu diesem Thema finden Sie im Kapitel "Sicherheitslage".

Weitergehende Informationen zur Vorgehensweise von ACLED können der aktuellen Methodologie von ACLED entnommen werden: https://acleddata.com/acleddatanew/wp-content/uploads/dlm_uploads/2019/01/ACLED_Methodology-and-Coding-Decisions-Around-the-Conflict-in-Afghanistan_Mar2020_update.pdf.

Im Folgenden wird bei der Beschreibung der Sicherheitslage in den Provinzen auf Daten von ACLED zurückgegriffen, da sie eine Betrachtung von sicherheitsrelevanten Vorfällen auf Distriktebene zulassen. Die Staatendokumentation stellt Tabellen über Vorfälle zur Verfügung, die ACLED als sicherheitsrelevant einschätzt und bei denen ACLED mindestens ein Todesopfer zählte.

GIM - Globalincidentmap: Globalincidentmap displaying Terrorist Acts, Suspicious Activity, and General Terrorism News, www.globalincidentmap.com, Zugriff 26.2.2021

Globalincidentmap nutzt internetbasierte globale Nachrichtenmedien, um weltweit sicherheitsrelevante Vorfälle im Zusammenhang mit Terrorismus zu sammeln und georeferenzierte Darstellungen solcher Vorfälle unter Kategorien auf einer Online-Karte darzubieten. Jeder sicherheitsrelevante Vorfall wird immer mit einem Verweis auf die Quelle angezeigt. Die Klassifizierung von GIM nach Vorfalltyp wird von der Staatendokumentation beibehalten, mit Ausnahme der beiden Kategorien „Sonstige verdächtige Aktivitäten“ und „Allgemeine Terrorismus-Nachrichten“, welche die Staatendokumentation der breiteren Kategorie „Sonstige, undefiniert“ zuordnet, da sie sich keiner spezifischen Gruppierung zurechnen lassen. Es werden nur Vorfälle registriert und dargestellt, die Globalincidentmap Aufständischen zuschreibt bzw. mit deren Handlungen verbindet, einschließlich Bombenanschläge (erfolgreiche oder versuchte), gezielte Tötungen oder Mordversuche, Entführungen, Brandanschläge, Feuerüberfälle und Schießereien. Kriminelle Vorfälle, die nicht mit terroristischen Handlungen verbunden sind, werden nicht erfasst. Aktivitäten staatlicher Akteure werden unter der Kategorie „Verhaftungen, Tötungen“ eingeordnet.

Im Folgenden wird bei der Beschreibung der Sicherheitslage in den Provinzen auf Daten von Globalincidentmap zurückgegriffen, da der Datensatz eine Betrachtung von sicherheitsrelevanten Vorfällen auf Distriktebene zulässt. Die Staatendokumentation stellt Tabellen über Vorfälle zur Verfügung, die Globalincidentmap als sicherheitsrelevant einschätzt. Dabei wurden Doppeleinträge händisch herausgefiltert.

UNAMA - United Nations Assistance Mission in Afghanistan (2.2021a): Afghanistan Annual Report On Protection Of Civilians In Armed Conflict: 2020, https://unama.unmissions.org/sites/default/files/afghanistan_protection_of_civilians_report_2020.pdf, Zugriff 24.2.2021

Im Folgenden wird auf Informationen zur Anzahl an zivilen Opfern zurückgegriffen, die UNAMA in ihren Berichten zum Schutz von Zivilisten im bewaffneten Konflikt bereitstellt. UNAMA verifiziert Vorfälle durch Mehrfachprüfung und führt unter anderem vor-Ort-Recherchen durch. Zur Verifizierung von zivilen Opfern verwendet UNAMA mindestens drei verschiedene unabhängige Quellen. Unverifizierte Vorfälle werden nicht in die Berichte aufgenommen. UNAMA weißt darauf hin, dass eine lückenhafte Erfassung von zivilen Opfern aufgrund von Einschränkungen, welche mit dem Rechercheumfeld einhergehen, möglich ist (UNAMA 2.2021a).

Bevölkerungsdaten:

NSIA - National Statistics and Information Authority [Afghanistan] (1.6.2020): Estimated Population of Afghanistan 2020-21, https://www.nsia.gov.af:8080/wp-content/uploads/2020/06/??????-????-????-????-????-???.pdf

Im Folgenden wird auf Informationen zur Bevölkerungsanzahl in Afghanistan zurückgegriffen, welche die National Statistics and Information Authority bereitstellt. Aufgrund von mehr als drei Jahrzehnten Krieg und Konflikt im Land war es seit 1979 nicht möglich, eine Volkszählung durchzuführen. Die Bevölkerungszahlen von 2020-21 wurden daher auf der Grundlage der Daten aus den Haushaltslisten von 2003-05 geschätzt (NSIA 1.6.2020).

Covid-19

Das genaue Ausmaß der COVID-19-Krise in Afghanistan ist unbekannt. In der vorliegenden Länderinformation erfolgt lediglich ein Überblick und keine erschöpfende Berücksichtigung der aktuellen COVID-19-PANDEMIE, weil die zur Bekämpfung der Krankheit eingeleiteten oder noch einzuleitenden Maßnahmen ständigen Änderungen unterworfen sind. Besonders betroffen von kurzfristigen Änderungen sind Lockdown-Maßnahmen, welche die Bewegungsfreiheit einschränken und damit Auswirkungen auf die Möglichkeiten zur Ein- bzw. Ausreise aus / in bestimmten Ländern und auch Einfluss auf die Reisemöglichkeiten innerhalb eines Landes haben kann.

Insbesondere können zum gegenwärtigen Zeitpunkt seriöse Informationen zu den Auswirkungen der Pandemie auf das Gesundheitswesen, auf die Versorgungslage sowie generell zu den politischen, wirtschaftlichen, sozialen und anderen Folgen nur eingeschränkt zur Verfügung gestellt werden.

Die hier gesammelten Informationen sollen daher die Lage zu COVID-19 in Afghanistan zum Zeitpunkt der Berichtserstellung (3.2021) wiedergeben. Es sei zu beachten, dass sich bestimmte Sachverhalte (zum Beispiel Flugverbindungen bzw. die Öffnung und Schließung von Flughäfen oder etwaige Lockdown-Maßnahmen) kurzfristig ändern können.

Diese Informationen werden in regelmäßigen Abständen aktualisiert. Zusätzliche Informationen zu den einzelnen Themengebieten sind den jeweiligen Kapiteln zu entnehmen.

Weitere Produkte der Staatendokumentation zu Afghanistan

STDOK - Staatendokumentation des BFA [Rasuly-Paleczek Gabriele - Österreich] (10.2020): Die aktuelle sozioökonomische Lage in Afghanistan, https://www.ecoi.net/en/file/local/2038971/AFGH_THEM_Die+aktuelle+sozio%C3%B6konomische+Lage+in+Afghanistan+%28Rasuly-Paleczek%29_2020-09.pdf

STDOK - Staatendokumentation des BFA [Heugl, Katharina- Österreich] (21.7.2020): Informationen zu sozioökonomischen und sicherheitsrelevanten Faktoren in der Provinz Balkh auf Basis von Interviews im Rahmen der FFM Mazar-e Sharif 2019, https://www.ecoi.net/en/document/2034796.html

STDOK - Staatendokumentation des BFA [Tschabuschnig, Florian- Österreich] (14.7.2020): Afghanistan: IOM-Reintegrationsprojekt Restart III, https://www.ecoi.net/en/document/2033512.html

STDOK - Staatendokumentation des BFA [Latek, Dina- Österreich] (25.6.2020): Gesellschaftliche Einstellung zu Frauen in Afghanistan, https://www.ecoi.net/en/document/2032976.html

STDOK - Staatendokumentation des BFA [Durante, Xenia- Österreich] (13.6.2019): Analyse der Staatendokumentation: Afghanistan - Informationen zu sozioökonomischen Faktoren in der Provinz Herat auf Basis von Interviews im Zeitraum November 2018 bis Jänner 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2010507/AFGH_ANALYSE_Herat_2019_06_13.pdf

STDOK - Staatendokumentation des BFA [Österreich] (4.2018) : Fact Finding Mission Report Afghanistan, https://www.ecoi.net/en/file/local/1430912/5818_1524829439_03-onlineversion.pdf

STDOK - Staatendokumentation des BFA [Österreich] (7.2016): AfPak - Grundlagen der Stammes- & Clanstruktur, https://www.ecoi.net/en/file/local/1236701/90_1470057716_afgh-stammes-und-clanstruktur-onlineversion-2016-07.pdf

STDOK - Staatendokumentation des BFA [Österreich] (3.7.2014): Frauen in Afghanistan, https://www.ecoi.net/en/file/local/1216171/4236_1415347452_analy-afgh-frauen-in-afghanistan-2014-02-07-as.doc

Quellen:

ACLED - Armed Conflict Location and Event Data (3.2020): ACLED Methodology and Coding Decisions around the Conflict in Afghanistan, https://acleddata.com/acleddatanew/wp-content/uploads/dlm_uploads/2019/01/ACLED_Methodology-and-Coding-Decisions-Around-the-Conflict-in-Afghanistan_Mar2020_update.pdf Zugriff 29.10.2020

ACLED - Armed Conflict Location and Event Data (o.D.): ACLED Data https://acleddata.com/data-export-tool/, Zugriff 26.2.2021

FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung (19.10.2017): Talibanangriff in Kandahar fordert zahlreiche Tote, http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/kandahar-taliban-angriff-auf-militaerbasis-fordert-zahlreiche-tote-15253597.html,

HE - Heise (5.5.2019): Afghanistan: Brutale CIA-Schattenmilizen, https://www.heise.de/tp/features/Afghanistan-Brutale-CIA-Schattenmilizen-4413419.html, Zugriff 22.8.2020

NSIA - National Statistics and Information Authority [Afghanistan] (1.6.2020): Estimated Population of Afghanistan 2020-21, https://www.nsia.gov.af:8080/wp-content/uploads/2020/06/??????-????-????-????-????-???.pdf,

UNAMA - United Nations Assistance Mission in Afghanistan (2.2021a): Afghanistan Annual Report On Protection Of Civilians In Armed Conflict: 2020, https://unama.unmissions.org/sites/default/files/afghanistan_protection_of_civilians_report_2020.pdf, Zugriff 24.2.2021

Primär- und Sekundärquellen, die in Berichten von nach europäischen Standards arbeitenden COI (Country of Origin Information)-Einheiten anderer EU-Staaten zitiert werden, werden nicht separat ausgewiesen.

COVID-19

Letzte Änderung: 10.06.2021

Bezüglich der aktuellen Anzahl der Krankheits- und Todesfälle in den einzelnen Ländern empfiehlt die Staatendokumentation bei Interesse/Bedarf folgende Website der WHO: https://www.who.int/emergencies/diseases/novel-coronavirus-2019/situation-reports oder der Johns-Hopkins-Universität: https://gisanddata.maps.arcgis.com/apps/opsdashboard/index.html#/bda7594740fd40299423467b48e9ecf6 mit täglich aktualisierten Zahlen zu kontaktieren.

Entwicklung der COVID-19 Pandemie in Afghanistan

Der erste offizielle Fall einer COVID-19 Infektion in Afghanistan wurde am 24.2.2020 in Herat festgestellt (RW 9.2020; vgl UNOCHA 19.12.2020). Laut einer vom afghanischen Gesundheitsministerium (MoPH) durchgeführten Umfrage hatten zwischen März und Juli 2020 35% der Menschen in Afghanistan Anzeichen und Symptome von COVID-19. Laut offiziellen Regierungsstatistiken wurden bis zum 2.9.2020 in Afghanistan 103.722 Menschen auf das COVID-19-Virus getestet (IOM 23.9.2020). Aufgrund begrenzter Ressourcen des öffentlichen Gesundheitswesens und der Testkapazitäten, der Testkriterien, des Mangels an Personen, die sich für Tests melden, sowie wegen des Fehlens eines nationalen Sterberegisters werden bestätigte Fälle von und Todesfälle durch COVID-19 in Afghanistan wahrscheinlich insgesamt unterrepräsentiert (HRW 14.1.2021; vgl. UNOCHA 18.2.2021, USAID 12.1.2021, UNOCHA 19.12.2020, RFE/RL 23.2.2021a).

Die fortgesetzte Ausbreitung der Krankheit in den letzten Wochen des Jahres 2020 hat zu einem Anstieg der Krankenhauseinweisungen geführt, wobei jene Einrichtungen die als COVID-19-Krankenhäuser in den Provinzen Herat, Kandahar und Nangarhar gelten, nach Angaben von Hilfsorganisationen seit Ende Dezember voll ausgelastet sind. Gesundheitseinrichtungen sehen sich auch zu Beginn des Jahres 2021 großen Herausforderungen bei der Aufrechterhaltung oder Erweiterung ihrer Kapazitäten zur Behandlung von Patienten mit COVID-19 sowie bei der Aufrechterhaltung grundlegender Gesundheitsdienste gegenüber, insbesondere, wenn sie in Konfliktgebieten liegen (BAMF 8.2.2021; vgl. IOM 18.3.2021).

Die WHO äußerte ihre Besorgnis über die Gefahr der Verbreitung mutierter Viren in Afghanistan. In Pakistan ist bereits ein deutlicher Anstieg der Infektionen mit einer neuen Variante, die potenziell ansteckender ist und die jüngere Bevölkerung trifft, festgestellt worden. Das afghanische Gesundheitsministerium bereite sich auf eine potenzielle dritte Welle vor. Die Überwachung an der Grenze soll ausgeweitet und Tests verbessert werden. Angesichts weiterer Berichte über unzureichende Testkapazitäten im Land bleibt die Wirkung der geplanten Maßnahmen abzuwarten (BAMF 29.3.2021).

Laut Meldungen von Ende Mai 2021 haben afghanische Ärzte Befürchtungen geäußert, dass sich die erstmals in Indien entdeckte COVID-19-Variante nun auch in Afghanistan verbreiten könnte. Viele der schwerkranken Fälle im zentralen Krankenhaus für COVID-Fälle in Kabul, wo alle 100 Betten belegt seien, seien erst kürzlich aus Indien zurückgekehrte Personen (BAMF 31.5.2021; vgl. TG 25.5.2021, DW 21.5.2021, UNOCHA 3.6.2021). Seit Ende des Ramadans und einige Woche nach den Festlichkeiten zu Eid al-Fitr konnte wieder ein Anstieg der COVID-19 Fälle verzeichnet werden. Es wird vom Beginn einer dritten Welle gesprochen (UNOCHA 3,6,2021; vgl. TG 25.5.2021). Waren die [Anm.: offiziellen] Zahlen zwischen Februar und März relativ niedrig, so stieg die Anzahl zunächst mit April und dann mit Ende Mai deutlich an (WHO 4.6.2021; vgl. TN 3.6.2021, UNOCHA 3.6.2021). Es gibt in Afghanistan keine landeseigenen Einrichtungen, um auf die aus Indien stammende Variante zu testen (UNOCHA 3.6.2021; vgl. TG 25.5.2021).

Mit Stand 3.6.2021 wurden der WHO offiziell 75.119 Fälle von COVID-19 gemeldet (WHO 3.6.2021), wobei die tatsächliche Zahl der positiven Fälle um ein Vielfaches höher eingeschätzt wird (IOM 18.3.2021; vgl. HRW 14.1.2021).

Maßnahmen der Regierung und der Taliban

Das afghanische Gesundheitsministerium (MoPH) hat verschiedene Maßnahmen zur Vorbereitung und Reaktion auf COVID-19 ergriffen. "Rapid Response Teams" (RRTs) besuchen Verdachtsfälle zu Hause. Die Anzahl der aktiven RRTs ist von Provinz zu Provinz unterschiedlich, da ihre Größe und ihr Umfang von der COVID-19-Situation in der jeweiligen Provinz abhängt. Sogenannte "Fix-Teams" sind in Krankenhäusern stationiert, untersuchen verdächtige COVID-19-Patienten vor Ort und stehen in jedem öffentlichen Krankenhaus zur Verfügung. Ein weiterer Teil der COVID-19-Patienten befindet sich in häuslicher Pflege (Isolation). Allerdings ist die häusliche Pflege und Isolation für die meisten Patienten sehr schwierig bis unmöglich, da die räumlichen Lebensbedingungen in Afghanistan sehr begrenzt sind (IOM 23.9.2020). Zu den Sensibilisierungsbemühungen gehört die Verbreitung von Informationen über soziale Medien, Plakate, Flugblätter sowie die Ältesten in den Gemeinden (IOM 18.3.2021; vgl. WB 28.6.2020). Allerdings berichteten undokumentierte Rückkehrer immer noch von einem insgesamt sehr geringen Bewusstsein für die mit COVID-19 verbundenen Einschränkungen sowie dem Glauben an weitverbreitete Verschwörungen rund um COVID-19 (IOM 18.3.2021; vgl. IOM 1.2021).

Gegenwärtig gibt es in den Städten Kabul, Herat und Mazar-e Sharif keine Ausgangssperren. Das afghanische Gesundheitsministerium hat die Menschen jedoch dazu ermutigt, einen physischen Abstand von mindestens einem Meter einzuhalten, eine Maske zu tragen, sich 20 Sekunden lang die Hände mit Wasser und Seife zu waschen und Versammlungen zu vermeiden (IOM 18.3.2021). Auch wenn der Lockdown offiziell nie beendet wurde, endete dieser faktisch mit Juli bzw. August 2020 und wurden in weiterer Folge keine weiteren Ausgangsperren erlassen (ACCORD 25.5.2021).

Laut IOM sind Hotels, Teehäuser und andere Unterkunftsmöglichkeiten derzeit [Anm.: März 2021] nur für Geschäftsreisende geöffnet. Für eine Person, die unter der Schirmherrschaft der IOM nach Afghanistan zurückkehrt und eine vorübergehende Unterkunft benötigt, kann IOM ein Hotel buchen. Personen, die ohne IOM nach Afghanistan zurückkehren, können nur in einer Unterkunftseinrichtung übernachten, wenn sie fälschlicherweise angeben, ein Geschäftsreisender zu sein. Da die Hotels bzw. Teehäuser die Gäste benötigen, um wirtschaftlich überleben zu können, fragen sie nicht genau nach. Wird dies durch die Exekutive überprüft, kann diese - wenn der Aufenthalt auf der Angabe von falschen Gründen basiert - diesen jederzeit beenden. Die betreffenden Unterkunftnehmer landen auf der Straße und der Unterkunftsbetreiber muss mit einer Verwaltungsstrafe rechnen (IOM AUT 22.3.2021). Laut einer anderen Quelle gibt es jedoch aktuell [Anm.: März 2021] keine Einschränkungen bei der Buchung eines Hotels oder der Unterbringung in einem Teehaus und es ist möglich, dass Rückkehrer und Tagelöhner die Unterbringungsmöglichkeiten nutzen (RA KBL 22.3.2021).

Indien hat inzwischen zugesagt, 500.000 Dosen seines eigenen Impfstoffs zu spenden, erste Lieferungen sind bereits angekommen. 100.000 weitere Dosen sollen über COVAX (COVID-19 Vaccines Global Access) verteilt werden. Weitere Gespräche über Spenden laufen mit China (BAMF 8.2.2021; vgl. RFE/RL 23.2.2021a).

Die Taliban erlauben den Zugang für medizinische Helfer in Gebieten unter ihrer Kontrolle im Zusammenhang mit dem Kampf gegen COVID-19 (NH 3.6.2020; vgl. Guardian 2.5.2020) und gaben im Januar 2020 ihre Unterstützung für eine COVID-19-Impfkampagne in Afghanistan bekannt, die vom COVAX-Programm der Weltgesundheitsorganisation mit 112 Millionen Dollar unterstützt wird. Nach Angaben des Taliban-Sprechers Zabihullah Mudschahid würde die Gruppe die über Gesundheitszentren durchgeführte Impfaktion "unterstützen und erleichtern" (REU 26.1.2021; vgl. ABC News 27.1.2021, ArN 27.1.2021), wenn der Impfstoff in Abstimmung mit ihrer Gesundheitskommission und in Übereinstimmung mit deren Grundsätzen eingesetzt wird (NH 7.4.2021). Offizielle Stellen glauben, dass die Aufständischen die Impfteams nicht angreifen würden, da sie nicht von Tür zu Tür gehen würden (REU 26.1.2021; vgl. ABC News 27.1.2021, ArN 27.1.2021).

Bei der Bekanntgabe der Finanzierung sagte ein afghanischer Gesundheitsbeamter, dass das COVAX-Programm 20% der 38 Millionen Einwohner des Landes abdecken würde (REU 26.1.2021; vgl. ABC News 27.1.2021, ArN 27.1.2021, IOM 18.3.2021). Das Gesundheitsministerium plant 2.200 Einrichtungen im ganzen Land, um Impfstoffe zu verabreichen, und die Zusammenarbeit mit Hilfsorganisationen, die in Taliban-Gebieten arbeiten (NH 7.4.2021). Die Weltbank und die asiatische Entwicklungsbank gaben laut einer Sprecherin des afghanischen Gesundheitsministeriums an, dass sie bis Ende 2022 Impfstoffe für weitere 20% der Bevölkerung finanzieren würden (REU 26.1.2021; vgl. RFE/RL 23.2.2021a). Um dies zu erreichen, müssen sich die Gesundheitsbehörden sowohl auf lokale als auch internationale humanitäre Gruppen verlassen, die dorthin gehen, wo die Regierung nicht hinkommt (NH 7.4.2021).

Im Februar 2021 hat Afghanistan mit seiner COVID-19-Impfkampagne begonnen, bei der zunächst Mitglieder der Sicherheitskräfte, Mitarbeiter des Gesundheitswesens und Journalisten geimpft werden (RFE/RL 23.2.2021a). Die Regierung kündigte an, 60% der Bevölkerung zu impfen, als die ersten 500.000 Dosen COVID-19-Impfstoff aus Indien in Kabul eintrafen. Es wurde angekündigt, dass zuerst 150.000 Mitarbeiter des Gesundheitswesens geimpft werden sollten, gefolgt von Erwachsenen mit gesundheitlichen Problemen. Die Impfungen haben in Afghanistan am 23.2.2021 begonnen (IOM 18.3.2021). Wochen nach Beginn der ersten Phase der Einführung des Impfstoffs gegen COVID-19 zeigen sich in einige Distrikten die immensen Schwierigkeiten, die das Gesundheitspersonal, die Regierung und die Hilfsorganisationen überwinden müssen, um das gesamte Land zu erreichen, sobald die Impfstoffe in größerem Umfang verfügbar sind. Hilfsorganisationen sagen, dass 120 von Afghanistans rund 400 Distrikten - mehr als ein Viertel - als "schwer erreichbar" gelten, weil sie abgelegen sind, ein aktiver Konflikt herrscht oder mehrere bewaffnete Gruppen um die Kontrolle kämpfen. Ob eine Impfkampagne erfolgreich ist oder scheitert, hängt oft von den Beziehungen zu den lokalen Befehlshabern ab, die von Distrikt zu Distrikt sehr unterschiedlich sein können (NH 7.4.2021).

Mit Stand 2.6.2021 wurden insgesamt 626.290 Impfdosen verabreicht (WHO 4.6.2021; vgl UNOCHA 3.6.2021). Etwa 11% der Geimpften haben beide Dosen des COVID-19-Impfstoffs erhalten. Insgesamt gibt es nach wie vor große Bedenken hinsichtlich des gerechten Zugangs zu Impfstoffen für Afghanen, insbesondere für gefährdete Gruppen wie Binnenvertriebene, Rückkehrer und nomadische Bevölkerungsgruppen sowie Menschen, die in schwer zugänglichen Gebieten leben (UNOCHA 3.6.2021).

Gesundheitssystem und medizinische Versorgung

COVID-19-Patienten können in öffentlichen Krankenhäusern stationär diagnostiziert und behandelt werden (bis die Kapazitäten für COVID-Patienten ausgeschöpft sind). Staatlich geführte Krankenhäuser bieten eine kostenlose Grundversorgung im Zusammenhang mit COVID-19 an, darunter auch einen molekularbiologischen COVID-19-Test (PCR-Test). In den privaten Krankenhäusern, die von der Regierung autorisiert wurden, COVID-19-infizierte Patienten zu behandeln, werden die Leistungen in Rechnung gestellt. Ein PCR-Test auf COVID-19 kostet 3.500 Afghani (AFN) (IOM 18.3.2021).

Krankenhäuser und Kliniken haben nach wie vor Probleme bei der Aufrechterhaltung oder Erweiterung der Kapazität ihrer Einrichtungen zur Behandlung von Patienten mit COVID-19 sowie bei der Aufrechterhaltung wesentlicher Gesundheitsdienste, insbesondere in Gebieten mit aktiven Konflikten. Gesundheitseinrichtungen im ganzen Land berichten nach wie vor über Defizite bei persönlicher Schutzausrüstung, medizinischem Material und Geräten zur Behandlung von COVID-19 (USAID 12.1.2021; vgl. UNOCHA 3.6.2021, HRW 13.1.2021, AA 16.7.2020, WHO 8.2020). Bei etwa 8% der bestätigten COVID-19-Fälle handelt es sich um Mitarbeiter im Gesundheitswesen (BAMF 8.2.2021). Mit Mai 2021 wird vor allem von einem starken Mangel an Sauerstoff berichtet (TN 3.6.2021; vgl. TG 25.5.2021).

Während öffentliche Krankenhäuser im März 2021 weiterhin unter einem Mangel an ausreichenden Testkapazitäten für die gesamte Bevölkerung leiden, können stationäre Patienten während ihres Krankenhausaufenthalts kostenfreie PCR-Tests erhalten. Generell sind die Tests seit Februar 2021 leichter zugänglich geworden, da mehr Krankenhäuser von der Regierung die Genehmigung erhalten haben, COVID-19-Tests durchzuführen. In Kabul werden die Tests beispielsweise im Afghan-Japan Hospital, im Ali Jennah Hospital, im City Hospital, im Alfalah-Labor oder in der deutschen Klinik durchgeführt (IOM 18.3.2021). Seit Mai 2021 sind 28 Labore in Afghanistan in Betrieb - mit Plänen zur Ausweitung auf mindestens ein Labor pro Provinz. Die nationalen Labore testen 7.500 Proben pro Tag. Die WHO berichtet, dass die Labore die Kapazität haben, bis zu 8.500 Proben zu testen, aber die geringe Nachfrage bedeutet, dass die Techniker derzeit reduzierte Arbeitszeiten haben (UNOCHA 3.6.2021).

In den 18 öffentlichen Krankenhäusern in Kabul gibt es insgesamt 180 Betten auf Intensivstationen. Die Provinzkrankenhäuser haben jeweils mindestens zehn Betten auf Intensivstationen. Private Krankenhäuser verfügen insgesamt über 8.000 Betten, davon wurden 800 für die Intensivpflege ausgerüstet. Sowohl in Kabul als auch in den Provinzen stehen für 10% der Betten auf der Intensivstation Beatmungsgeräte zur Verfügung. Das als Reaktion auf COVID-19 eingestellte Personal wurde zu Beginn der Pandemie von der Regierung und Organisationen geschult (IOM 23.9.2020). UNOCHA berichtet mit Verweis auf Quellen aus dem Gesundheitssektor, dass die niedrige Anzahl an Personen die Gesundheitseinrichtungen aufsuchen auch an der Angst der Menschen vor einer Ansteckung mit dem Virus geschuldet ist (UNOCHA 15.10.2020) wobei auch die Stigmatisierung, die mit einer Infizierung einhergeht, hierbei eine Rolle spielt (IOM 18.3.2021; vgl. UNOCHA 3.6.2021, UNOCHA 18.2.2021, USAID 12.1.2021).

Durch die COVID-19 Pandemie hat sich der Zugang der Bevölkerung zu medizinischer Behandlung verringert (AAN 1.1.2020). Dem IOM Afghanistan COVID-19 Protection Monitoring Report zufolge haben 53 % der Bevölkerung nach wie vor keinen realistischen Zugang zu Gesundheitsdiensten. Ferner berichteten 23 % der durch IOM Befragten, dass sie sich die gewünschten Präventivmaßnahmen, wie den Kauf von Gesichtsmasken, nicht leisten können. Etwa ein Drittel der befragten Rückkehrer berichtete, dass sie keinen Zugang zu Handwascheinrichtungen (30%) oder zu Seife/Desinfektionsmitteln (35%) haben (IOM 23.9.2020).

Sozioökonomische Auswirkungen und Arbeitsmarkt

COVID-19 trägt zu einem erheblichen Anstieg der akuten Ernährungsunsicherheit im ganzen Land bei (USAID 12.1.2021; vgl. UNOCHA 3.6.2021, UNOCHA 19.12.2020). Die kürzlich veröffentlichte IPC-Analyse schätzt, dass sich im April 2021 12,2 Millionen Menschen - mehr als ein Drittel der Bevölkerung - in einem Krisen- oder Notfall-Niveau der Ernährungsunsicherheit befinden (UNOCHA 3.6.2021; vgl. IPC 22.4.2021). In der ersten Hälfte des Jahres 2020 kam es zu einem deutlichen Anstieg der Lebensmittelpreise, die im April 2020 im Jahresvergleich um rund 17% stiegen, nachdem in den wichtigsten städtischen Zentren Grenzkontrollen und Lockdown-Maßnahmen eingeführt worden waren. Der Zugang zu Trinkwasser war jedoch nicht beeinträchtigt, da viele der Haushalte entweder über einen Brunnen im Haus verfügen oder Trinkwasser über einen zentralen Wasserverteilungskanal erhalten. Die Auswirkungen der Handelsunterbrechungen auf die Preise für grundlegende Haushaltsgüter haben bisher die Auswirkungen der niedrigeren Preise für wichtige Importe wie Öl deutlich überkompensiert. Die Preisanstiege scheinen seit April 2020 nach der Verteilung von Weizen aus strategischen Getreidereserven, der Durchsetzung von Anti-Preismanipulationsregelungen und der Wiederöffnung der Grenzen für Nahrungsmittelimporte nachgelassen zu haben (IOM 23.9.2020; vgl. WHO 7.2020), wobei gemäß dem WFP (World Food Program) zwischen März und November 2020 die Preise für einzelne Lebensmittel (Zucker, Öl, Reis...) um 18-31% gestiegen sind (UNOCHA 12.11.2020). Zusätzlich belastet die COVID-19-Krise mit einhergehender wirtschaftlicher Rezession die privaten Haushalte stark (AA 16.7.2020).

Die Lebensmittelpreise haben sich mit Stand März 2021 auf einem hohen Niveau stabilisiert: Nach Angaben des Ministeriums für Landwirtschaft, Bewässerung und Viehzucht waren die Preise für Weizenmehl von November bis Dezember 2020 stabil, blieben aber auf einem Niveau, das 11 %, über dem des Vorjahres und 27 % über dem Dreijahresdurchschnitt lag. Insgesamt blieben die Lebensmittelpreise auf den wichtigsten Märkten im Dezember 2020 überdurchschnittlich hoch, was hauptsächlich auf höhere Preise für importierte Lebensmittel zurückzuführen ist (IOM 18.3.2021).

Laut einem Bericht der Weltbank zeigen die verfügbaren Indikatoren Anzeichen für eine stark schrumpfende Wirtschaft in der ersten Hälfte des Jahres 2020, was die Auswirkungen der COVID-19-Krise im Kontext der anhaltenden Unsicherheit widerspiegelt. Die Auswirkungen von COVID-19 auf den Landwirtschaftssektor waren bisher gering. Bei günstigen Witterungsbedingungen während der Aussaat wird erwartet, dass sich die Weizenproduktion nach der Dürre von 2018 weiter erholen wird. Lockdown-Maßnahmen hatten bisher nur begrenzte Auswirkungen auf die landwirtschaftliche Produktion und blieben in ländlichen Gebieten nicht durchgesetzt. Die Produktion von Obst und Nüssen für die Verarbeitung und den Export wird jedoch durch Unterbrechung der Lieferketten und Schließung der Exportwege negativ beeinflusst (IOM 18.3.2021; vgl. WB 15.7.2020).

Es gibt keine offiziellen Regierungsstatistiken, die zeigen, wie der Arbeitsmarkt durch COVID-19 beeinflusst wurde bzw. wird. Es gibt jedoch Hinweise darauf, dass die COVID-19-Pandemie erhebliche negative Auswirkungen auf die wirtschaftliche Lage in Afghanistan hat, einschließlich des Arbeitsmarktes (IOM 23.9.2020; vgl. AA 16.7.2020). Die afghanische Regierung warnt davor, dass die Arbeitslosigkeit in Afghanistan um 40% steigen wird. Die Lockdown-Maßnahmen haben die bestehenden prekären Lebensgrundlagen in dem Maße verschärft, dass bis Juli 2020 84% der durch IOM-Befragten angaben, dass sie ohne Zugang zu außerhäuslicher Arbeit (im Falle einer Quarantäne) ihre grundlegenden Haushaltsbedürfnisse nicht länger als zwei Wochen erfüllen könnten; diese Zahl steigt auf 98% im Falle einer vierwöchigen Quarantäne (IOM 23.9.2020). Insgesamt ist die Situation vor allem für Tagelöhner sehr schwierig, da viele Wirtschaftssektoren von den Lockdown-Maßnahmen im Zusammenhang mit COVID-19 negativ betroffen sind (IOM 23.9.2020; vgl. Martin/Parto 11.2020).

Die wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen, die durch die COVID-19-Pandemie gesch

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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