TE Bvwg Erkenntnis 2021/8/16 W193 2161780-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 16.08.2021
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Entscheidungsdatum

16.08.2021

Norm

AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs3 Z1
AsylG 2005 §54 Abs2
AsylG 2005 §55 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §52
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


W193 2161780-1/39E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Michaela RUSSEGGER-REISENBERGER über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch Mag. Susanne SINGER, Rechtsanwältin in 4600 Wels, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 12.05.2017, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, zu Recht:

A)

I. Die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I., II. und III. 1. Satz des angefochtenen Bescheides wird als unbegründet abgewiesen.

II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt III. 2. Satz des angefochtenen Bescheides wird stattgegeben und gemäß § 28 Abs. 1 und Abs. 2 VwGVG die Erlassung einer Rückkehrentscheidung in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 52 FPG iVm § 9 BFA-VG auf Dauer für unzulässig erklärt.

III. Dem Beschwerdeführer wird gemäß §§ 54 Abs. 2 iVm 55 Abs. 1 und 58 Abs. 2 AsylG 2005 der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung plus" für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.

IV. Die Spruchpunkte III. 3. Satz und IV. des angefochtenen Bescheids werden gemäß § 28 Abs. 1 und Abs. 2 VwGVG ersatzlos aufgehoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

I.1. Der Beschwerdeführer (im Weiteren: BF), Staatsangehöriger Afghanistans, reiste in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 10.04.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz.

I.2. Bei der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 11.04.2016 gab der BF an, dass er am XXXX geboren worden sei, Paschtune und sunnitischer Moslem sei und aus Afghanistan, Provinz Nangarhar, Distrikt Jalalabad, stamme, wo bis heute seine Eltern, vier Brüder und drei Schwestern lebten. Er habe zehn Jahre die Grundschule besucht und habe als Verkäufer gearbeitet. Er sei unverheiratet. Er habe Afghanistan verlassen, weil er von den Daesh verfolgt worden sei.

I.3. Mit Befund vom 21.04.2016 des XXXX ergab sich „Schmeling 4, GP 31“. Mit Gutachten von XXXX , Sachverständiger für medizinische Begutachtung im Asylverfahren, ergab sich, dass der BF im Untersuchungszeitpunkt 05.07.2016) 17,6 Jahre alt gewesen sei, woraus sich ein spätestmögliches, fiktives Geburtsdatum vom XXXX ergebe.

I.4. Mit Bescheid des AMS vom 21.02.2017 wurde eine Beschäftigungsbewilligung für den BF als Kochlehrling bis 20.05.2020 ( XXXX ) erteilt.

Mit Verständigung vom 06.07.2018 wurde der Lehrvertrag amtlich berichtigt und die Lehrzeit bis 27.02.2021 verlängert.

I.5. Am 31.03.2017 wurde der BF von dem zur Entscheidung berufenen Organwalter des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Weiteren: BFA) und in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Paschtu niederschriftlich einvernommen und gab dabei an, am XXXX Jahre (Anm.: das wäre geb. XXXX ) alt geworden zu sein. Er stamme aus der Provinz Nangarhar, Distrikt Sorkh Road, XXXX . Er habe Eltern, vier Brüder und drei Schwestern in Afghanistan; der Großteil seiner Familie wohne in der Provinz Nangarhar, Distrikt Chapliar. Zwei seiner Brüder seien bei den Taliban aktiv gewesen und hätten ihn gedrängt, den Besuch der englischen Schule zu beenden und sich den Taliban anzuschließen, wovon sie letztendlich abgesehen hätten. Danach seinen jedoch die Daesh an ihn herangetreten und hätten ihm im eigenen Geschäft einen Drohbrief zukommen lassen, wonach er sich nun diesen anschließen sollte. Nach etwa 20 Tagen sei ein Bekannter in den Iran gegangen, diesem habe er sich angeschlossen.

I.6. Mit Bescheid vom 12.05.2017, Zl. XXXX , wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) und hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt II.) abgewiesen, ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG nicht erteilt, gegen den BF gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG setzte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dem BF eine zweiwöchige Frist ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung für seine freiwillige Ausreise (Spruchpunkt IV.).

I.7. Gegen den angeführten Bescheid erhob der BF mit Schreiben vom 22.05.2017 wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts und wegen Rechtswidrigkeit infolge der Verletzung von wesentlichen Verfahrensvorschriften, Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.

Das BFA übermittelte dem Bundesverwaltungsgericht die eingebrachte Beschwerde samt dazugehörigen Verwaltungsakten.

I.8. An der am 18.09.2019 durch das Bundesverwaltungsgericht durchgeführten öffentlichen mündlichen Beschwerdeverhandlung nahm der BF teil. Auch die im Spruch genannte bevollmächtigte Vertreterin und ein Vertreter des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl nahmen an der Verhandlung teil.

Im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung wurde der BF im Beisein einer Dolmetscherin für die Sprache Paschtu u.a. zu seinem gesundheitlichen Befinden, seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, seinen persönlichen Verhältnissen und seinem Leben in Afghanistan, seinen Familienangehörigen, seinen Fluchtgründen und seinem Leben in Österreich ausführlich befragt.

Als Beilagen zum Protokoll der mündlichen Verhandlung wurde ein Konvolut an Unterlagen des BF genommen.

I.9. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 01.10.2019, Zl. W193 2161780-1/12E, wurde der Beschwerde stattgegeben und dem BF der Status eines Asylberechtigten zuerkannt.

I.10. Gegen das Erkenntnis vom 01.10.2019 erhob das BFA in weiterer Folge eine außerordentlichen Revision an den Verwaltungsgerichtshof (im Weiteren: VwGH).

I.11. Mit Erkenntnis vom 06.04.2020, Zl. Ra 2019/01/0443-7, behob der VwGH die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts. Begründend führte er im Wesentlichen aus, dass es dem Erkenntnis an spezifischen Feststellungen zur Vernetzung des IS in Afghanistan mangle. Es fehle an der Feststellung, ob es sich beim BF um eine „high profile“-Person handle. Mit der Feststellung des BFA, dass es sich beim BF um eine „low profile“-Person handle, habe sich das BVwG nicht auseinandergesetzt. Weiters verkenne das BVwG bei der Prüfung der innerstaatlichen Fluchtalternative, dass alleine die Tatsache, dass der Mitbeteiligte in seinem Herkunftsland über keine familiären Anknüpfungspunkte verfüge, die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative nicht hindere. Es mangle an ausreichenden Feststellungen der zu erwartenden Lage des BF in dem in Frage kommenden Gebiet sowie dessen sichere und legale Erreichbarkeit. Außerdem fehle es an Feststellungen, wie der IS in den von ihm nicht kontrollierten Gebieten, von ihm verfolgte Personen ausforschen bzw. finden kann.

I.12. Mit Schreiben vom 12.06.2020 übermittelte der BF eine Stellungnahme und legte Unterlagen hinsichtlich seiner Integration in Österreich vor.

I.13. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 15.06.2020, Zl. W193 2161780-1/25E, wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde als unbegründet ab.

I.14. Gegen das Erkenntnis vom 15.06.2020 erhob der BF Beschwerde gemäß Art. 144 Abs. 1 B-VG an den Verfassungsgerichtshof (im Weiteren: VfGH).

I.15. Mit Erkenntnis vom 24.11.2020, Zl. E 2472/2020-12, behob der VfGH die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts. Begründend führte er im Wesentlichen aus, dass die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes im Hinblick auf die Beurteilung einer dem BF im Fall der Rückkehr drohenden Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten gemäß Art. 2 und 3 EMRK verfassungswidrig sei, weil das Bundesverwaltungsgericht den hier zu beurteilenden Sachverhalt nicht mit den aktuellen Länderberichten sowie der in den UNHCR-Richtlinien dargestellten Sicherheitslage in Bezug gesetzt habe. Die Entscheidung sei somit mit Willkür behaftet und aufzuheben.

I.16. Mit Schreiben vom 15.02.2021 legte der BF weitere Unterlagen hinsichtlich seiner Integration vor.

I.17. Mit Parteiengehör vom 17.06.2021 übermittelte das Bundesveraltungsgericht den Parteien aktualisierte Länderberichte und gab dem BF Möglichkeit zur Stellungnahme hinsichtlich seines Gesundheitszustandes und seiner persönlichen Situation in Österreich.

I.18. In seiner Stellungnahme vom 29.06.2021 gab der Beschwerdeführer an, dass er seit 2017 im Betrieb XXXX beruflich tätig sei, dort untergebracht sei und auf keinerlei öffentliche Unterstützung angewiesen sei. Er sei integriert und nehme am öffentlichen Leben teil, wie auch den Empfehlungsschreiben zu entnehmen sei. Weiters habe er die Berufsschule positiv abgeschlossen und sei zur Lehrabschlussprüfung am XXXX zugelassen worden. Nach Abschluss der Lehrabschlussprüfung könne er als Fachkraft in seinem bisherigen Betrieb weiterarbeiten. Verwiesen werde auf die Aufenthaltsdauer von mehr als fünf Jahren, die vierjährige Selbsterhaltungsfähigkeit sowie die berufliche, sprachliche und soziale Integration. Weiters legte er mehrere Empfehlungsschreiben, die Teilnahmebestätigung eines ÖIF Werte- und Orientierungskurs, den Bescheid der Wirtschaftskammer XXXX (Prüfungstermin) und das Jahres- und Abschlusszeugnis vor. Die medizinischen Unterlagen wie ein Diabetesattest und den Impfpass erlaube sich der Beschwerdeführer nachzureichen.

I.19. Mit Stellungnahme vom 08.07.2021 legte der Beschwerdeführer eine Arztbestätigung samt Befund, Lohnzettel von Jänner bis Juni 2021, eine Bestätigung der 1. Impfung COVID-19 und die Bestätigung der Lehrabschlussprüfung vor.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

II.1. Sachverhaltsfeststellungen:

II.1.1. Zur Person und den Fluchtgründen des BF:

Der BF ist Staatsangehöriger von Afghanistan und Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen. Er stammt aus der Provinz Nangarhar, Distrikt Sorkhroad, Dorf XXXX , Afghanistan. Der BF ist nicht verheiratet und hat keine Kinder. Der BF ist sunnitischer Moslem, übt den Glauben jedoch nicht regelmäßig aus. In Afghanistan besuchte der BF neun Jahre lang die Schule, wo er auch ein wenig Englisch lernte. Weiters half er seinem Vater als Verkäufer in dessen Lebensmittelgeschäft.

Der BF ist nach den afghanischen Gepflogenheiten und der afghanischen Kultur sozialisiert, er ist mit den afghanischen Gepflogenheiten vertraut.

Der BF leidet an Diabetes mellitus Typ 1 (Befund und Arztbrief vom 25.06.2021). 2014 erfolgte eine Behandlung (ED, Insulin für 2 Monate). 2016 erfolgte eine Behandlung mit Orale Antidiabetika (OAD) für wenige Monate (vorläufiger Entlassungsbrief Krankenhaus XXXX vom XXXX ). Am XXXX wurde der BF im Krankenhaus XXXX ambulant behandelt und ihm die Arzneimittel Novorapid Flexpen 3ML sowie Tresiba Fertigpen 100 E/ml verschrieben. Abgesehen von seiner Diabetes-Erkrankung ist der BF gesund.

Am 15.06.2021 erhielt der BF die erste Teilimpfung gegen COVID-19. Es besteht keine hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Afghanistan eine COVID-19-Erkrankung mit schwerwiegendem oder tödlichem Verlauf bzw. mit dem Bedarf einer intensivmedizinischen Behandlung bzw. einer Behandlung in einem Krankenhaus erleiden würde.

Der BF war in seiner Heimat Rekrutierungsversuchen durch die Taliban ausgesetzt. Seine beiden Brüder waren Anhänger der Taliban geworden und bedrängten den BF, sich ihnen anzuschließen. Er wurde in der Folge mehrmals von ihnen bedroht und aufgefordert für die Taliban zu arbeiten. Schließlich wurden die Daesh auf die Vorgänge in der Familie aufmerksam und traten mit eigenen Drohungen an den BF heran.

Der BF befürchtet, im Fall seiner Rückkehr aufgrund seiner durch die Flucht gewerteten Weigerung, für die Taliban tätig zu werden, und seiner dadurch zum Ausdruck kommenden (unterstellten) politischen Gesinnung von den Taliban getötet zu werden.

Es kann nicht festgestellt werden, dass konkret der BF in der Stadt Mazar-e Sharif einer individuellen Verfolgung seitens der Daesh oder der Taliban ausgesetzt ist oder im Falle der Rückkehr wäre.

II.1.2.  Zum (Privat)Leben des BFs in Österreich:

Der BF hält sich seit seiner Einreise im April 2016 durchgehend im Bundesgebiet auf.

Er besuchte Deutsch- und Integrationskurse (Kursbestätigung der XXXX , Deutsch A1/1 – XXXX , ÖSD Zertifikat A1 der VHS XXXX , Bestätigung Kurs „Deutsch und Kommunikation für Flüchtlinge und Asylwerber des Flüchtlingsbeirates XXXX , Kursbestätigung Deutsch für Fortgeschrittene der XXXX , Teilnahmebestätigung ÖIF Werte- und Orientierungskurs vom 17.10.2019) und war ehrenamtlich tätig (Bestätigung für gemeinnützige Beschäftigung der XXXX im Jänner 2017, Bestätigung ehrenamtliche Arbeit bei der XXXX , Empfehlungsschreiben Tourismusschulen XXXX vom 01.09.2019).

Seit Februar 2017 ist der BF als Lehrling für den Lehrberuf Koch in der XXXX tätig (Lehrvertrag vom 24.03.2017, Arbeitsbestätigung XXXX GmbH vom 03.06.2020, Empfehlungsschreiben XXXX vom 12.09.2019 und vom 20.06.2021, Lohn/Gehaltsabrechnung vom April 2019, Mai 2019, März 2020, April 2020, Mai 2020, Jänner – Juni 2021, Einkommenssteuerbescheid 2017, Stellungnahme vom 29.06.2021) und besuchte die Landesberufsschule XXXX (Jahreszeugnis vom 05.03.2018, vom 19.03.2019 und vom 31.01.2020, Schulbesuchsbestätigung vom 13.01.2020, Empfehlungsschreiben vom 28.01.2021). Im Schuljahr 2020/2021 hat er das Bildungsziel der Berufsschule für den Lehrberuf Koch erreicht und damit die Berufsschulpflicht in diesem Lehrberuf erfüllt (Jahres- und Abschlusszeugnis Landesberufsschule XXXX vom 05.02.2021). Am 06.07.2021 absolvierte der Beschwerdeführer die Lehrabschlussprüfung für den Lehrberuf Koch (Prüfungszeugnis vom 06.07.2021, Bescheid Wirtschaftskammer XXXX vom 07.05.2021).

Der BF bezieht seit 06.03.2017 keine Grundversorgung mehr und ist selbsterhaltungsfähig. Er erhält EUR 1.368,30 netto (Lohn/Gehaltsabrechnung vom Mai 2021). Von 2017 bis Februar 2021 bezog er EUR 896,44 netto als Lehrlingseinkommen (Lohn/Gehaltsabrechnung vom Februar 2021). Dem BF werden von seinem Arbeitgeber betriebsintern Wohnräume zur Verfügung gestellt.

Der BF hat von Anfang an großes Interesse daran gezeigt, sich in Österreich bestmöglich zu integrieren. Er verfolgt seit seiner Einreise in das österreichische Bundesgebiet kontinuierlich den Erwerb der deutschen Sprache und spricht bereits gut Deutsch. Durch seinen Schulbesuch, seine Lehre und seine ehrenamtlichen Tätigkeiten verbessern sich seine Deutschkenntnisse stetig.

Der BF hat in Österreich bereits zahlreiche soziale Kontakte zu österreichischen Staatsbürgern geknüpft und ist in der österreichischen Gesellschaft fest verankert. In seiner Freizeit besucht der BF das Fitnesscenter und die Disco.

Der BF hat keine Familienangehörigen in Österreich.

Der BF ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

II.1.3. Zu einer möglichen Rückkehr des BFs in den Herkunftsstaat:

Dem BF könnte bei einer Rückkehr in die Herkunftsprovinz Nangarhar aufgrund der dort herrschenden allgemeinen schlechten Sicherheitslage ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen.

Zu seiner in Afghanistan lebenden Familie, Eltern, drei Schwestern, vier Brüdern, und Onkeln, besteht kein Kontakt. Deren Verbleib ist dem BF nicht bekannt. Die Familie des BFs kann ihn bei einer Rückkehr nach Afghanistan nicht finanziell unterstützen.

Der BF ist anpassungsfähig und kann einer regelmäßigen Arbeit nachgehen. Der Beschwerdeführer kann Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen.

Mazar-e Sharif ist über Flugverbindungen, allenfalls von Kabul aus, sicher erreichbar. Kabul ist international über Flugverbindungen erreichbar.

Bei einer Rückkehr nach Afghanistan und einer Ansiedelung in der Stadt Mazar-e Sharif kann der BF grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft, befriedigen, ohne in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Er kann selbst für sein Auskommen und Fortkommen sorgen und in Mazar-e Sharif einer Arbeit nachgehen und sich selber erhalten.

Es ist dem BF möglich, nach anfänglichen Schwierigkeiten nach einer Ansiedlung in der Stadt Mazar-e Sharif Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können.

II.1.4. Zur Situation in Afghanistan (Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 11.06.2021 (Anm.: die Quellenangaben finden sich in den Länderberichten selbst), EASO Country Guidance vom Dezember 2020, ecoi.net-Themendossier zu Afghanistan: Sicherheitslage und sozioökonomische Lage in Herat und Masar-e Scharif vom 06.05.2021, Anfragebeantwortung der Staatendokumentation, AFGHANISTAN, Behandlung von Diabeties mellitus Typ 2 vom 16.03.2020):

II.1.4.1. COVID-19

COVID-19 ist eine durch das Corona-Virus SARS-CoV-2 verursachte Viruserkrankung, die erstmals im Jahr 2019 in Wuhan/China festgestellt wurde und sich seither weltweit verbreitet. Nach dem aktuellen Stand verläuft die Viruserkrankung bei ca. 80% der Betroffenen leicht und bei ca. 20 % der Betroffenen schwerer, wenn auch nicht lebensbedrohlich. Bei ca. 5% der Betroffenen verläuft die Viruserkrankung derart schwer, dass Lebensgefahr gegeben ist und intensivmedizinische Behandlungsmaßnahmen notwendig sind. Diese sehr schweren Krankheitsverläufe treten am häufigsten in den Risikogruppen der älteren Personen (60 Jahre oder älter) und der Personen mit Vorerkrankungen (wie z.B. Bluthochdruck, Herz- und Lungenproblemen, Diabetes, Fettleibigkeit oder Krebs) auf, einschließlich Verletzungen von Herz, Leber oder Nieren (https://www.who.int/emergencies/diseases/novel-coronavirus-2019/question-and-answers-hub/q-a-detail/coronavirus-disease-covid-19, abgerufen am 19.07.2021).

In Österreich wurden der WHO vom 3. Januar 2020 bis zum 16. Juli 2021, 19:21 Uhr MESZ, 648.240 bestätigte Fälle von COVID-19 mit 10.520 Todesfällen gemeldet. Bis zum 13. Juli 2021 wurden insgesamt 8.672.493 Impfstoffdosen verabreicht (WHO: https://covid19.who.int/region/euro/country/at, abgerufen am 19.07.2021). In Afghanistan wurden der WHO vom 3. Januar 2020 bis zum 16. Juli 2021, 19:21 Uhr MESZ, 137.853 bestätigte Fälle von COVID-19 mit 5.983 Todesfällen gemeldet. Bis zum 14. Juli 2021 sind insgesamt 1.024.168 Impfstoffdosen verabreicht worden. (WHO: https://covid19.who.int/region/emro/country/af, abgerufen am 19.07.2021).

Diabetes mellitus und COVID-19

Bei Menschen mit chronischen Erkrankungen wie auch Diabetes mellitus kann es zu schwereren Verläufen kommen. Das erhöhte Risiko tritt insbesondere dann auf, wenn ein höheres Alter besteht und zusätzliche Begleit- und Folgeerkrankungen am Herzen, Gefäßen oder Nieren vorliegen. Diese Personen sollen besonders achtsam hinsichtlich der Empfehlungen zur Vorbeugung (zB: regelmäßiges Händewaschen, Abstandregelungen, Vermeidung von Menschenmassen) der Erkrankung sein. Da es bei chronischen Grunderkrankungen zu schwereren Verläufen kommen kann, empfiehlt die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) Menschen mit Diabetes eine stabile Blutzuckereinstellung. Dadurch werde das Infektionsrisiko minimiert. Zudem gilt generell, die Infektionsschutz-Maßnahmen des Robert-Koch-Instituts (RKI) einzuhalten, wie die Husten-Nies-Etikette und gründliches Händewaschen. Patienten mit diabetischen Begleit- und Folgeerkrankungen an Organen wie Herz, Nieren oder Leber, sollten hohe Ansteckungsgefahren – beispielsweise große Menschenansammlungen – verstärkt meiden (https://www.oedg.at/, abgerufen am 11.06.2021; https://healthcare-in-europe.com/de/news/coronavirus-was-muessen-diabetiker-beachten.html#, abgerufen am 19.07.2021).

Entwicklung der COVID-19 Pandemie in Afghanistan

Der erste offizielle Fall einer COVID-19 Infektion in Afghanistan wurde am 24.2.2020 in Herat festgestellt. Laut einer vom afghanischen Gesundheitsministerium (MoPH) durchgeführten Umfrage hatten zwischen März und Juli 2020 35% der Menschen in Afghanistan Anzeichen und Symptome von COVID-19. Laut offiziellen Regierungsstatistiken wurden bis zum 2.9.2020 in Afghanistan 103.722 Menschen auf das COVID-19-Virus getestet. Aufgrund begrenzter Ressourcen des öffentlichen Gesundheitswesens und der Testkapazitäten, der Testkriterien, des Mangels an Personen, die sich für Tests melden, sowie wegen des Fehlens eines nationalen Sterberegisters werden bestätigte Fälle von und Todesfälle durch COVID-19 in Afghanistan wahrscheinlich insgesamt unterrepräsentiert. Die fortgesetzte Ausbreitung der Krankheit in den letzten Wochen des Jahres 2020 hat zu einem Anstieg der Krankenhauseinweisungen geführt, wobei jene Einrichtungen die als COVID-19-Krankenhäuser in den Provinzen Herat, Kandahar und Nangarhar gelten, nach Angaben von Hilfsorganisationen seit Ende Dezember voll ausgelastet sind. Gesundheitseinrichtungen sehen sich auch zu Beginn des Jahres 2021 großen Herausforderungen bei der Aufrechterhaltung oder Erweiterung ihrer Kapazitäten zur Behandlung von Patienten mit COVID-19 sowie bei der Aufrechterhaltung grundlegender Gesundheitsdienste gegenüber, insbesondere, wenn sie in Konfliktgebieten liegen (LIB, Kapitel 3).

Die WHO äußerte ihre Besorgnis über die Gefahr der Verbreitung mutierter Viren in Afghanistan. In Pakistan ist bereits ein deutlicher Anstieg der Infektionen mit einer neuen Variante, die potenziell ansteckender ist und die jüngere Bevölkerung trifft, festgestellt worden. Das afghanische Gesundheitsministerium bereite sich auf eine potenzielle dritte Welle vor. Die Überwachung an der Grenze soll ausgeweitet und Tests verbessert werden. Angesichts weiterer Berichte über unzureichende Testkapazitäten im Land bleibt die Wirkung der geplanten Maßnahmen abzuwarten (LIB, Kapitel 3).

Laut Meldungen von Ende Mai 2021 haben afghanische Ärzte Befürchtungen geäußert, dass sich die erstmals in Indien entdeckte COVID-19-Variante nun auch in Afghanistan verbreiten könnte. Viele der schwerkranken Fälle im zentralen Krankenhaus für COVID-Fälle in Kabul, wo alle 100 Betten belegt seien, seien erst kürzlich aus Indien zurückgekehrte Personen. Seit Ende des Ramadans und einige Woche nach den Festlichkeiten zu Eid al-Fitr konnte wieder ein Anstieg der COVID-19 Fälle verzeichnet werden. Es wird vom Beginn einer dritten Welle gesprochen. Waren die [Anm.: offiziellen] Zahlen zwischen Februar und März relativ niedrig, so stieg die Anzahl zunächst mit April und dann mit Ende Mai deutlich an. Es gibt in Afghanistan keine landeseigenen Einrichtungen, um auf die aus Indien stammende Variante zu testen (LIB, Kapitel 3).

Maßnahmen der Regierung und der Taliban

Das afghanische Gesundheitsministerium (MoPH) hat verschiedene Maßnahmen zur Vorbereitung und Reaktion auf COVID-19 ergriffen. „Rapid Response Teams“ (RRTs) besuchen Verdachtsfälle zu Hause. Die Anzahl der aktiven RRTs ist von Provinz zu Provinz unterschiedlich, da ihre Größe und ihr Umfang von der COVID-19-Situation in der jeweiligen Provinz abhängt. Sogenannte „Fix-Teams“ sind in Krankenhäusern stationiert, untersuchen verdächtige COVID-19-Patienten vor Ort und stehen in jedem öffentlichen Krankenhaus zur Verfügung. Ein weiterer Teil der COVID-19-Patienten befindet sich in häuslicher Pflege (Isolation). Allerdings ist die häusliche Pflege und Isolation für die meisten Patienten sehr schwierig bis unmöglich, da die räumlichen Lebensbedingungen in Afghanistan sehr begrenzt sind. Zu den Sensibilisierungsbemühungen gehört die Verbreitung von Informationen über soziale Medien, Plakate, Flugblätter sowie die Ältesten in den Gemeinden. Allerdings berichteten undokumentierte Rückkehrer immer noch von einem insgesamt sehr geringen Bewusstsein für die mit COVID-19 verbundenen Einschränkungen sowie dem Glauben an weitverbreitete Verschwörungen rund um COVID-19 (LIB, Kapitel 3).

Gegenwärtig gibt es in den Städten Kabul, Herat und Mazar-e Sharif keine Ausgangssperren. Das afghanische Gesundheitsministerium hat die Menschen jedoch dazu ermutigt, einen physischen Abstand von mindestens einem Meter einzuhalten, eine Maske zu tragen, sich 20 Sekunden lang die Hände mit Wasser und Seife zu waschen und Versammlungen zu vermeiden. Auch wenn der Lockdown offiziell nie beendet wurde, endete dieser faktisch mit Juli bzw. August 2020 und wurden in weiterer Folge keine weiteren Ausgangsperren erlassen (LIB, Kapitel 3).

Laut IOM sind Hotels, Teehäuser und andere Unterkunftsmöglichkeiten derzeit [Anm.: März 2021] nur für Geschäftsreisende geöffnet. Für eine Person, die unter der Schirmherrschaft der IOM nach Afghanistan zurückkehrt und eine vorübergehende Unterkunft benötigt, kann IOM ein Hotel buchen. Personen, die ohne IOM nach Afghanistan zurückkehren, können nur in einer Unterkunftseinrichtung übernachten, wenn sie fälschlicherweise angeben, ein Geschäftsreisender zu sein. Da die Hotels bzw. Teehäuser die Gäste benötigen, um wirtschaftlich überleben zu können, fragen sie nicht genau nach. Wird dies durch die Exekutive überprüft, kann diese - wenn der Aufenthalt auf der Angabe von falschen Gründen basiert - diesen jederzeit beenden. Die betreffenden Unterkunftnehmer landen auf der Straße und der Unterkunftsbetreiber muss mit einer Verwaltungsstrafe rechnen. Laut einer anderen Quelle gibt es jedoch aktuell [Anm.: März 2021] keine Einschränkungen bei der Buchung eines Hotels oder der Unterbringung in einem Teehaus und es ist möglich, dass Rückkehrer und Tagelöhner die Unterbringungsmöglichkeiten nutzen (LIB, Kapitel 3).

Indien hat inzwischen zugesagt, 500.000 Dosen seines eigenen Impfstoffs zu spenden, erste Lieferungen sind bereits angekommen. 100.000 weitere Dosen sollen über COVAX (COVID-19 Vaccines Global Access) verteilt werden. Weitere Gespräche über Spenden laufen mit China (LIB, Kapitel 3).

Die Taliban erlauben den Zugang für medizinische Helfer in Gebieten unter ihrer Kontrolle im Zusammenhang mit dem Kampf gegen COVID-19 und gaben im Januar 2020 ihre Unterstützung für eine COVID-19-Impfkampagne in Afghanistan bekannt, die vom COVAX-Programm der Weltgesundheitsorganisation mit 112 Millionen Dollar unterstützt wird. Nach Angaben des Taliban-Sprechers Zabihullah Mudschahid würde die Gruppe die über Gesundheitszentren durchgeführte Impfaktion „unterstützen und erleichtern“, wenn der Impfstoff in Abstimmung mit ihrer Gesundheitskommission und in Übereinstimmung mit deren Grundsätzen eingesetzt wird. Offizielle Stellen glauben, dass die Aufständischen die Impfteams nicht angreifen würden, da sie nicht von Tür zu Tür gehen würden (LIB, Kapitel 3).

Bei der Bekanntgabe der Finanzierung sagte ein afghanischer Gesundheitsbeamter, dass das COVAX-Programm 20% der 38 Millionen Einwohner des Landes abdecken würde. Das Gesundheitsministerium plant 2.200 Einrichtungen im ganzen Land, um Impfstoffe zu verabreichen, und die Zusammenarbeit mit Hilfsorganisationen, die in Taliban-Gebieten arbeiten. Die Weltbank und die asiatische Entwicklungsbank gaben laut einer Sprecherin des afghanischen Gesundheitsministeriums an, dass sie bis Ende 2022 Impfstoffe für weitere 20% der Bevölkerung finanzieren würden. Um dies zu erreichen, müssen sich die Gesundheitsbehörden sowohl auf lokale als auch internationale humanitäre Gruppen verlassen, die dorthin gehen, wo die Regierung nicht hinkommt. Im Februar 2021 hat Afghanistan mit seiner COVID-19-Impfkampagne begonnen, bei der zunächst Mitglieder der Sicherheitskräfte, Mitarbeiter des Gesundheitswesens und Journalisten geimpft werden. Die Regierung kündigte an, 60% der Bevölkerung zu impfen, als die ersten 500.000 Dosen COVID-19-Impfstoff aus Indien in Kabul eintrafen. Es wurde angekündigt, dass zuerst 150.000 Mitarbeiter des Gesundheitswesens geimpft werden sollten, gefolgt von Erwachsenen mit gesundheitlichen Problemen. Die Impfungen haben in Afghanistan am 23.2.2021 begonnen (LIB, Kapitel 3). Wochen nach Beginn der ersten Phase der Einführung des Impfstoffs gegen COVID-19 zeigen sich in einige Distrikten die immensen Schwierigkeiten, die das Gesundheitspersonal, die Regierung und die Hilfsorganisationen überwinden müssen, um das gesamte Land zu erreichen, sobald die Impfstoffe in größerem Umfang verfügbar sind. Hilfsorganisationen sagen, dass 120 von Afghanistans rund 400 Distrikten - mehr als ein Viertel - als „schwer erreichbar“ gelten, weil sie abgelegen sind, ein aktiver Konflikt herrscht oder mehrere bewaffnete Gruppen um die Kontrolle kämpfen. Ob eine Impfkampagne erfolgreich ist oder scheitert, hängt oft von den Beziehungen zu den lokalen Befehlshabern ab, die von Distrikt zu Distrikt sehr unterschiedlich sein können (LIB, Kapitel 3).

Mit Stand 2.6.2021 wurden insgesamt 626.290 Impfdosen verabreicht. Etwa 11% der Geimpften haben beide Dosen des COVID-19-Impfstoffs erhalten. Insgesamt gibt es nach wie vor große Bedenken hinsichtlich des gerechten Zugangs zu Impfstoffen für Afghanen, insbesondere für gefährdete Gruppen wie Binnenvertriebene, Rückkehrer und nomadische Bevölkerungsgruppen sowie Menschen, die in schwer zugänglichen Gebieten leben (LIB, Kapitel 3).

Gesundheitssystem und medizinische Versorgung

COVID-19-Patienten können in öffentlichen Krankenhäusern stationär diagnostiziert und behandelt werden (bis die Kapazitäten für COVID-Patienten ausgeschöpft sind). Staatlich geführte Krankenhäuser bieten eine kostenlose Grundversorgung im Zusammenhang mit COVID-19 an, darunter auch einen molekularbiologischen COVID-19-Test (PCR-Test). In den privaten Krankenhäusern, die von der Regierung autorisiert wurden, COVID-19-infizierte Patienten zu behandeln, werden die Leistungen in Rechnung gestellt. Ein PCR-Test auf COVID-19 kostet 3.500 Afghani (AFN). Krankenhäuser und Kliniken haben nach wie vor Probleme bei der Aufrechterhaltung oder Erweiterung der Kapazität ihrer Einrichtungen zur Behandlung von Patienten mit COVID-19 sowie bei der Aufrechterhaltung wesentlicher Gesundheitsdienste, insbesondere in Gebieten mit aktiven Konflikten. Gesundheitseinrichtungen im ganzen Land berichten nach wie vor über Defizite bei persönlicher Schutzausrüstung, medizinischem Material und Geräten zur Behandlung von COVID-19. Bei etwa 8% der bestätigten COVID-19-Fälle handelt es sich um Mitarbeiter im Gesundheitswesen. Mit Mai 2021 wird vor allem von einem starken Mangel an Sauerstoff berichtet (LIB, Kapitel 3).

Während öffentliche Krankenhäuser im März 2021 weiterhin unter einem Mangel an ausreichenden Testkapazitäten für die gesamte Bevölkerung leiden, können stationäre Patienten während ihres Krankenhausaufenthalts kostenfreie PCR-Tests erhalten. Generell sind die Tests seit Februar 2021 leichter zugänglich geworden, da mehr Krankenhäuser von der Regierung die Genehmigung erhalten haben, COVID-19-Tests durchzuführen. In Kabul werden die Tests beispielsweise im Afghan-Japan Hospital, im Ali Jennah Hospital, im City Hospital, im Alfalah Labor oder in der deutschen Klinik durchgeführt. Seit Mai 2021 sind 28 Labore in Afghanistan in Betrieb - mit Plänen zur Ausweitung auf mindestens ein Labor pro Provinz. Die nationalen Labore testen 7.500 Proben pro Tag. Die WHO berichtet, dass die Labore die Kapazität haben, bis zu 8.500 Proben zu testen, aber die geringe Nachfrage bedeutet, dass die Techniker derzeit reduzierte Arbeitszeiten haben (LIB, Kapitel 3).

In den 18 öffentlichen Krankenhäusern in Kabul gibt es insgesamt 180 Betten auf Intensivstationen. Die Provinzkrankenhäuser haben jeweils mindestens zehn Betten auf Intensivstationen. Private Krankenhäuser verfügen insgesamt über 8.000 Betten, davon wurden 800 für die Intensivpflege ausgerüstet. Sowohl in Kabul als auch in den Provinzen stehen für 10% der Betten auf der Intensivstation Beatmungsgeräte zur Verfügung. Das als Reaktion auf COVID-19 eingestellte Personal wurde zu Beginn der Pandemie von der Regierung und Organisationen geschult. UNOCHA berichtet mit Verweis auf Quellen aus dem Gesundheitssektor, dass die niedrige Anzahl an Personen die Gesundheitseinrichtungen aufsuchen auch an der Angst der Menschen vor einer Ansteckung mit dem Virus geschuldet ist, wobei auch die Stigmatisierung, die mit einer Infizierung einhergeht, hierbei eine Rolle spielt. Durch die COVID-19 Pandemie hat sich der Zugang der Bevölkerung zu medizinischer Behandlung verringert. Dem IOM Afghanistan COVID-19 Protection Monitoring Report zufolge haben 53 % der Bevölkerung nach wie vor keinen realistischen Zugang zu Gesundheitsdiensten. Ferner berichteten 23 % der durch IOM Befragten, dass sie sich die gewünschten Präventivmaßnahmen, wie den Kauf von Gesichtsmasken, nicht leisten können. Etwa ein Drittel der befragten Rückkehrer berichtete, dass sie keinen Zugang zu Handwascheinrichtungen (30%) oder zu Seife/Desinfektionsmitteln (35%) haben (LIB, Kapitel 3).

Sozioökonomische Auswirkungen und Arbeitsmarkt

COVID-19 trägt zu einem erheblichen Anstieg der akuten Ernährungsunsicherheit im ganzen Land bei. Die kürzlich veröffentlichte IPC-Analyse schätzt, dass sich im April 2021 12,2 Millionen Menschen - mehr als ein Drittel der Bevölkerung - in einem Krisen- oder Notfall-Niveau der Ernährungsunsicherheit befinden. In der ersten Hälfte des Jahres 2020 kam es zu einem deutlichen Anstieg der Lebensmittelpreise, die im April 2020 im Jahresvergleich um rund 17% stiegen, nachdem in den wichtigsten städtischen Zentren Grenzkontrollen und Lockdown-Maßnahmen eingeführt worden waren. Der Zugang zu Trinkwasser war jedoch nicht beeinträchtigt, da viele der Haushalte entweder über einen Brunnen im Haus verfügen oder Trinkwasser über einen zentralen Wasserverteilungskanal erhalten. Die Auswirkungen der Handelsunterbrechungen auf die Preise für grundlegende Haushaltsgüter haben bisher die Auswirkungen der niedrigeren Preise für wichtige Importe wie Öl deutlich überkompensiert (LIB, Kapitel 3).

Die Preisanstiege scheinen seit April 2020 nach der Verteilung von Weizen aus strategischen Getreidereserven, der Durchsetzung von Anti-Preismanipulationsregelungen und der Wiederöffnung der Grenzen für Nahrungsmittelimporte nachgelassen zu haben, wobei gemäß dem WFP (World Food Program) zwischen März und November 2020 die Preise für einzelne Lebensmittel (Zucker, Öl, Reis…) um 18-31% gestiegen sind. Zusätzlich belastet die COVID-19-Krise mit einhergehender wirtschaftlicher Rezession die privaten Haushalte stark (LIB, Kapitel 3).

Die Lebensmittelpreise haben sich mit Stand März 2021 auf einem hohen Niveau stabilisiert: Nach Angaben des Ministeriums für Landwirtschaft, Bewässerung und Viehzucht waren die Preise für Weizenmehl von November bis Dezember 2020 stabil, blieben aber auf einem Niveau, das 11 %, über dem des Vorjahres und 27 % über dem Dreijahresdurchschnitt lag. Insgesamt blieben die Lebensmittelpreise auf den wichtigsten Märkten im Dezember 2020 überdurchschnittlich hoch, was hauptsächlich auf höhere Preise für importierte Lebensmittel zurückzuführen ist (LIB, Kapitel 3).

Laut einem Bericht der Weltbank zeigen die verfügbaren Indikatoren Anzeichen für eine stark schrumpfende Wirtschaft in der ersten Hälfte des Jahres 2020, was die Auswirkungen der COVID-19-Krise im Kontext der anhaltenden Unsicherheit widerspiegelt. Die Auswirkungen von COVID-19 auf den Landwirtschaftssektor waren bisher gering. Bei günstigen Witterungsbedingungen während der Aussaat wird erwartet, dass sich die Weizenproduktion nach der Dürre von 2018 weiter erholen wird. Lockdown-Maßnahmen hatten bisher nur begrenzte Auswirkungen auf die landwirtschaftliche Produktion und blieben in ländlichen Gebieten nicht durchgesetzt. Die Produktion von Obst und Nüssen für die Verarbeitung und den Export wird jedoch durch Unterbrechung der Lieferketten und Schließung der Exportwege negativ beeinflusst (LIB, Kapitel 3).

Es gibt keine offiziellen Regierungsstatistiken, die zeigen, wie der Arbeitsmarkt durch COVID-19 beeinflusst wurde bzw. wird. Es gibt jedoch Hinweise darauf, dass die COVID-19-Pandemie erhebliche negative Auswirkungen auf die wirtschaftliche Lage in Afghanistan hat, einschließlich des Arbeitsmarktes. Die afghanische Regierung warnt davor, dass die Arbeitslosigkeit in Afghanistan um 40% steigen wird. Die Lockdown-Maßnahmen haben die bestehenden prekären Lebensgrundlagen in dem Maße verschärft, dass bis Juli 2020 84% der durch IOM-Befragten angaben, dass sie ohne Zugang zu außerhäuslicher Arbeit (im Falle einer Quarantäne) ihre grundlegenden Haushaltsbedürfnisse nicht länger als zwei Wochen erfüllen könnten; diese Zahl steigt auf 98% im Falle einer vierwöchigen Quarantäne. Insgesamt ist die Situation vor allem für Tagelöhner sehr schwierig, da viele Wirtschaftssektoren von den Lockdown-Maßnahmen im Zusammenhang mit COVID-19 negativ betroffen sind (LIB, Kapitel 3).

Die wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen, die durch die COVID-19-Pandemie geschaffen wurden, haben auch die Risiken für vulnerable Familien erhöht, von denen viele bereits durch lang anhaltende Konflikte oder wiederkehrende Naturkatastrophen ihre begrenzten finanziellen, psychischen und sozialen Bewältigungskapazitäten aufgebraucht hatten. Die tiefgreifenden und anhaltenden Auswirkungen der COVID-19-Krise auf die afghanische Wirtschaft bedeuten, dass die Armutsquoten für 2021 voraussichtlich hoch bleiben werden. Es wird erwartet, dass das BIP im Jahr 2021 um mehr als 5% geschrumpft sein wird (IWF). Bis Ende 2021 ist die Arbeitslosenquote in Afghanistan auf 37,9% gestiegen, gegenüber 23,9% im Jahr 2019. Nach einer Einschätzung des Afghanistan Center for Excellence sind die am stärksten von der COVID-19-Krise betroffenen Sektoren die verarbeitende Industrie (Non-Food), das Kunsthandwerk und die Bekleidungsindustrie, die Agrar- und Lebensmittelverarbeitung, der Fitnessbereich und das Gesundheitswesen sowie die NGOs (LIB, Kapitel 3).

Nach Erkenntnissen der WHO steht Afghanistan [Anm.: mit März 2021] vor einer schleppenden wirtschaftlichen Erholung inmitten anhaltender politischer Unsicherheiten und einem möglichen Rückgang der internationalen Hilfe. Das solide Wachstum in der Landwirtschaft hat die afghanische Wirtschaft teilweise gestützt, die im Jahr 2020 um etwa zwei Prozent schrumpfte, deutlich weniger als ursprünglich geschätzt. Schwer getroffen wurden aber der Dienstleistungs- und Industriesektor, wodurch sich die Arbeitslosigkeit in den Städten erhöhte. Aufgrund des schnellen Bevölkerungswachstums ist nicht zu erwarten, dass sich das Pro-Kopf-Einkommen bis 2025 wieder auf das Niveau von vor der COVID-19-Pandemie erholt (LIB, Kapitel 3).

Binnenvertriebene

Binnenvertriebene sind besonders gefährdet, sich mit COVID-19 anzustecken, da sie bereits vorher anfällig waren, es keine Gesundheitseinrichtungen gibt, die Siedlungen überfüllt sind und sie nur begrenzten Zugang zu Wasser und sanitären Anlagen haben. Aufgrund ihrer schlechten Lebensbedingungen sind die vertriebenen Gemeinschaften nicht in der Lage, Präventivmaßnahmen wie soziale Distanzierung und Quarantäne zu praktizieren und sind daher anfälliger für die Ansteckung und Verbreitung des Virus (LIB, Kapitel 3).

Bewegungsfreiheit

Im Zuge der COVID-19 Pandemie waren verschiedene Grenzübergänge und Straßen vorübergehend gesperrt, wobei später alle Grenzübergänge geöffnet wurden. Seit dem 29.4.2021 hat die iranische Regierung eine unbefristete Abriegelung mit Grenzschließungen verhängt. Die Grenze bleibt nur für den kommerziellen Verkehr und die Bewegung von dokumentierten Staatsangehörigen, die nach Afghanistan zurückkehren, offen. Die Grenze zu Pakistan wurde am 20.5.2021 nach einer zweiwöchigen Abriegelung durch Pakistan wieder geöffnet (LIB, Kapitel 3).

Die internationalen Flughäfen in Kabul, Mazar-e Sharif, Kandarhar und Herat werden aktuell international wie auch national angeflogen und auch findet Flugverkehr zu nationalen Flughäfen statt. Derzeit verkehren Busse, Sammeltaxis und Flugzeuge zwischen den Provinzen und Städten. Die derzeitige Situation führt zu keiner Einschränkung der Bewegungsfreiheit (LIB, Kapitel 3).

IOM Österreich unterstützt auch derzeit Rückkehrer im Rahmen der freiwilligen Rückkehr und Teilnahme an Reintegrationsprogrammen. Neben der Reiseorganisation bietet IOM Österreich dabei Unterstützung bei der Ausreise am Flughafen Wien Schwechat an. Von 1.1.2020 bis 22.9.2020 wurden 70 Teilnahmen an dem Reintegrationsprojekt Restart III akzeptiert und sind 47 Personen freiwillig nach Afghanistan zurückgekehrt. Mit Stand 18.3.2021 wurden insgesamt 105 Teilnahmen im Rahmen von Restart III akzeptiert und sind 86 Personen freiwillig nach Afghanistan zurückgekehrt. Mit Stand 25.5.2021 ist das Projekt Restart III weiter aktiv und Teilnehmer melden sich (LIB, Kapitel 3).

II.1.4.2. Politische Lage

Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind. Auf einer Fläche von 652.860 Quadratkilometern leben ca. 32,9 Millionen bis 39 Millionen Menschen. Im Jahr 2004 wurde die neue Verfassung angenommen, die vorsieht, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürgerinnen und Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben. Die Verfassung der Islamischen Republik Afghanistan sieht vor, dass der Präsident der Republik direkt vom Volk gewählt wird und sein Mandat fünf Jahre beträgt. Implizit schreibt die Verfassung dem Präsidenten auch die Führung der Exekutive zu und die Provinzvorsteher, sowie andere wichtige Verwaltungsbeamte, werden direkt vom Präsidenten ernannt und sind diesem rechenschaftspflichtig. Viele werden aufgrund persönlicher Beziehungen ausgewählt. Im direkt gewählten Unterhaus der Nationalversammlung, der Wolesi Jirga (Haus des Volkes) mit 249 Sitzen, kandidieren die Abgeordneten für eine fünfjährige Amtszeit. In der Meshrano Jirga, dem Oberhaus mit 102 Sitzen, wählen die Provinzräte zwei Drittel der Mitglieder für eine Amtszeit von drei oder vier Jahren, und der Präsident ernennt das verbleibende Drittel für eine Amtszeit von fünf Jahren. Die Verfassung sieht die Wahl von Distrikträten vor, die ebenfalls Mitglieder in die Meshrano Jirga entsenden würden, aber diese sind noch nicht eingerichtet worden. Zehn Sitze der Wolesi Jirga sind für die nomadische Gemeinschaft der Kutschi reserviert und mindestens zwei Frauen sollen aus jeder Provinz gewählt werden (insgesamt 68) (LIB, Kapitel 4).

Die Rolle des Parlaments bleibt begrenzt. Zwar beweisen die Abgeordneten mit gelegentlichen kritischen Anhörungen und Abänderungen von Gesetzesentwürfen die grundsätzliche Funktionsfähigkeit des Parlaments. Gleichzeitig werden aber die verfassungsmäßigen Rechte genutzt, um die Arbeit der Regierung gezielt zu behindern, Personalvorschläge der Regierung zum Teil über lange Zeiträume zu blockieren, und einzelne Abgeordnete lassen sich ihre Zustimmung mit Zugeständnissen - wohl auch finanzieller Art - belohnen. Generell leidet die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaftspflicht der Parlamentarier gegenüber ihren Wählern (LIB, Kapitel 4).

II.1.4.3. Friedens- und Versöhnungsprozess

Die afghanischen Regierungskräfte und die US-Amerikaner können die Taliban, die über rund 60.000 Mann verfügen, nicht besiegen. Aber auch die Aufständischen sind nicht stark genug, die Regierungstruppen zu überrennen, obwohl sie rund die Hälfte des Landes kontrollieren oder dort zumindest präsent sind. In Afghanistan herrscht fast zwei Jahrzehnte nach dem Sturz des Taliban-Regimes durch die USA eine Pattsituation (LIB, Kapitel 4.2).

2020 fanden die ersten ernsthaften Verhandlungen zwischen allen Parteien des Afghanistan-Konflikts zur Beendigung des Krieges statt. Das lang erwartete Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und den Taliban wurde Ende Februar 2020 unterzeichnet - die afghanische Regierung war an dem Abkommen weder beteiligt, noch unterzeichnete sie dieses. Das Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und den Taliban enthält das Versprechen der US-Amerikaner, ihre noch rund 13.000 Armeeangehörigen in Afghanistan innerhalb von 14 Monaten abzuziehen. Auch die verbliebenen nicht-amerikanischen NATO-Truppen sollen abgezogen werden. Der Abzug der ausländischen Truppenangehörigen, von denen die meisten Beratungs- und Ausbildungsfunktionen wahrnehmen, ist abhängig davon, ob die Taliban ihren Teil der Abmachung einhalten. Sie haben im Abkommen zugesichert, terroristischen Gruppierungen wie etwa Al-Qaida keine Zuflucht zu gewähren. Die Taliban verpflichteten sich weiter, innerhalb von zehn Tagen nach Unterzeichnung, Gespräche mit einer afghanischen Delegation aufzunehmen. Die Taliban haben die politische Krise im Zuge der afghanischen Präsidentschaftswahlen derweil als Vorwand genutzt, um den Einstieg in Verhandlungen hinauszuzögern. Sie werfen der afghanischen Regierung vor, ihren Teil der am 29.2.2020 von den Taliban mit der US-Regierung geschlossenen Vereinbarung weiterhin nicht einzuhalten, und setzten ihre militärische Kampagne gegen die afghanischen Sicherheitskräfte mit hoher Intensität fort (LIB, Kapitel 4.2).

Im September 2020 starteten die Friedensgespräche zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban in Katar. Der Regierungsdelegation gehörten nur wenige Frauen an, aufseiten der Taliban war keine einzige Frau an den Gesprächen beteiligt. Auch Opfer des bewaffneten Konflikts waren nicht vertreten, obwohl Menschenrechtsgruppen dies gefordert hatten. Die Gewalt hat jedoch nicht nachgelassen, selbst als afghanische Unterhändler zum ersten Mal in direkte Gespräche verwickelt wurden. Insbesondere im Süden, herrscht trotz des Beginns der Friedensverhandlungen weiterhin ein hohes Maß an Gewalt, was weiterhin zu einer hohen Zahl von Opfern unter der Zivilbevölkerung führt. Ein Waffenstillstand steht ganz oben auf der Liste der Regierung und der afghanischen Bevölkerung, wobei einige Analysten sagen, dass die Taliban wahrscheinlich noch keinen umfassenden Waffenstillstand vereinbaren werden, da Gewalt und Zusammenstöße mit den afghanischen Streitkräften den Aufständischen ein Druckmittel am Verhandlungstisch geben (LIB, Kapitel 4.2).

Die Rechte der Frauen sind ein weiteres Brennpunktthema. Die Taliban sind wiederholt danach gefragt worden und haben wiederholt darauf bestanden, dass Frauen und Mädchen alle Rechte erhalten, die „innerhalb des Islam“ vorgesehen sind. Frauenrechtlerinnen in Afghanistan haben jedoch seit vielen Jahren Bedenken geäußert, dass die Regierung die Rechte der Frauen eintauschen wird, um eine Einigung mit den Taliban zu erreichen. Die afghanische Regierung hat sich oft dagegen gewehrt, Frauen in Friedensgespräche einzubeziehen. Im Juni 2015 verabschiedete die afghanische Regierung einen nationalen Aktionsplan zur Umsetzung der Resolution 1325 des Sicherheitsrats für den Zeitraum 2015 bis 2022, der auch das Ziel enthielt, die effektive Beteiligung von Frauen am Friedensprozess zu gewährleisten, doch dem Plan fehlten Details und er wurde nicht sinnvoll umgesetzt. Am Tag der Wiederaufnahme der Verhandlungen in Doha am 5.1.2021 wurde nach Angaben des Verteidigungsministeriums in Kabul in mindestens 22 von 34 Provinzen des Landes gekämpft. Die neue amerikanische Regierung warf den Taliban im Januar 2021 vor, gegen das im Februar 2020 geschlossene Friedensabkommen zu verstoßen und sich nicht an die Verpflichtungen zu halten, ihre Gewaltakte zu reduzieren und ihre Verbindungen zum Extremistennetzwerk Al-Qaida zu kappen (LIB, Kapitel 4.2).

Ein Pentagon-Sprecher gab an, dass sich der neue Präsident Joe Biden dennoch an dem Abkommen mit den Taliban festhält, betonte aber auch, solange die Taliban ihre Verpflichtungen nicht erfüllten, sei es für deren Verhandlungspartner „schwierig“, sich an ihre eigenen Zusagen zu halten. Jedoch noch vor der Vereidigung des US-Präsidenten Joe Biden am 19.1.2021 hatte der designierte amerikanische Außenminister signalisiert, dass er das mit den Taliban unterzeichnete Abkommen neu evaluieren möchte. Nach einer mehr als einmonatigen Verzögerung inmitten eskalierender Gewalt sind die Friedensgespräche zwischen den Taliban und der afghanischen Regierung am 22.2.2021 in Katar wieder aufgenommen worden. Am 18.3.2021 empfing die russische Regierung Vertreter der afghanischen Regierung, der Taliban und von Partnerländern zu einem Gipfeltreffen, das die Friedensgespräche voranbringen sollte. Der 12-köpfigen afghanischen Regierungsdelegation gehörte eine Frau, Dr. Habiba Sarabi, an - ein Rückschritt gegenüber der Teilnahme von vier Frauen unter den 20 Mitgliedern beim innerafghanischen Dialog in Doha, Katar, im September 2020. Die 10-köpfige Taliban-Delegation war wie in der Vergangenheit ausschließlich männlich. Afghanische Frauenrechtsaktivistinnen haben die Sorge geäußert, dass Frauen von den geplanten Friedensgesprächen in der Türkei weitgehend ausgeschlossen werden, wodurch die Rechte der Frauen bei einer endgültigen Einigung stark gefährdet sind (LIB, Kapitel 4.2).

Beobachter sehen bei den Taliban eine bewusste Strategie des Teilens und Herrschens am Werk, die Einladungen zu privaten Gesprächen an verschiedene regionale Warlords und Herrscher verschickt haben. Offenbar ist das Ziel, Präsident Ghani zu isolieren. Die USA versuchten, in Istanbul eine Konferenz zu organisieren, um an einer Einigung zwischen den Taliban-Aufständischen und der afghanischen Regierung zu arbeiten, indem sie beide Parteien und andere wichtige internationale und regionale Akteure zusammenbrachten. Die Taliban zeigten, wie sie selbst sagten, kein Interesse an dem Treffen und erklärten nach der Biden-Ankündigung zu den Truppen, dass sie nicht teilnehmen würden. Die Taliban nannten die Konferenz einen Versuch, „die Taliban, ob sie wollen oder nicht, zu einer überstürzten Entscheidung zu drängen, die von Amerika benötigt wird“. Die USA, die Türkei, Katar und Pakistan versuchten Berichten zufolge, die Taliban zur Teilnahme an der Konferenz zu bewegen, die für den 24.4.2021 bis 4.5.2021 geplant war, aber scheiterte. Sie wurde offiziell nicht abgesagt, sondern verschoben. Die Taliban haben die Teilnahme an einem zukünftigen Gipfel in der Türkei nicht ausgeschlossen. Auf der Kabuler Seite zog die politische Klasse auch nach dem klaren Signal der USA, die Truppen abzuziehen, nicht an einem Strang, weder um ernsthaft mit den Taliban zu verhandeln noch um eine alternative Strategie zu beschließen und zu verfolgen (LIB, Kapitel 4.2).

Abzug der Internationalen Truppen

Im April kündigte US-Präsident Joe Biden den Abzug der verbleibenden Truppen - etwa 2.500-3.500 US-Soldaten und etwa 7.000 NATO-Truppen - bis zum 11.9.2021 an, nach zwei Jahrzehnten US-Militärpräsenz in Afghanistan. Er erklärte weiter, die USA würden weiterhin „terroristische Bedrohungen“ überwachen und bekämpfen sowie „die Regierung Afghanistans“ und „die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte weiterhin unterstützen“, allerdings ist nicht klar, wie die USA auf wahrgenommene Bedrohungen zu reagieren gedenken, sobald ihre Truppen abziehen (LIB, Kapitel 4.2).

Die Taliban zeigten sich von der Ankündigung eines vollständigen und bedingungslosen Abzugs nicht besänftigt, sondern äußerten sich empört über die Verzögerung, da im Doha-Abkommen der 30.4.2021 als Datum für den Abzug der internationalen Truppen festgelegt worden war. In einer am 15.4.2021 veröffentlichten Erklärung wurden Drohungen angedeutet: Der „Bruch“ des Doha-Abkommens „öffnet den Mudschaheddin des Islamischen Emirats den Weg, jede notwendige Gegenmaßnahme zu ergreifen, daher wird die amerikanische Seite für alle zukünftigen Konsequenzen verantwortlich gemacht werden, und nicht das Islamische Emirat“. Für die Taliban ist die Errichtung einer „islamischen Struktur“ eine Priorität. Wie diese aussehen würde, haben die Taliban noch nicht näher ausgeführt. Ähnliche Bedenken werden in Bezug auf die Auslegung der Scharia und die Rechte der Frauen geäußert. Die Verhandlungen mit den USA haben bei den Taliban ein Gefühl des Triumphs ausgelöst. Indem sie mit den Taliban verhandeln, haben die USA sie offiziell als politische Gruppe und nicht mehr als Terroristen anerkannt. Gleichzeitig haben die Verhandlungen aber auch die afghanische Regierung unterminiert, die von den Gesprächen zwischen den Taliban und den USA ausgeschlossen wurde (LIB, Kapitel 4.2).

Der Abzug wird eine große Bewährungsprobe für die afghanischen Sicherheitskräfte sein. US-Generäle und andere Offizielle äußerten die Befürchtung, dass er zum Zusammenbruch der afghanischen Regierung und einer Übernahme durch die Taliban führen könnte. Viele befürchten, dass mit dem Abzug der US-Truppen aus Afghanistan eine neue Phase des Konflikts und des Blutvergießens beginnen wird. Mit dem Abzug der US-Truppen in den nächsten Monaten können die ANDSF mit einem Rückgang der Luftunterstützung und der Partner am Boden rechnen, während die Taliban in jüngsten Äußerungen [Anm.: Ende April 2021] von einem bevorstehenden Sieg sprachen. Es gab auch einen Anstieg von tödlichen Selbstmordattentaten in städtischen Gebieten, die der islamistischen Gruppe angelastet werden und verstärkte Kampfhandlungen zwischen Taliban und Regierungstruppen seit Beginn des Abzugs der internationalen Truppen im April. Damit haben die Taliban seit Beginn des Truppenabzugs am 1.5.2021 bis Anfang Juni mindestens 12 Distrikte erobert (LIB, Kapitel 4.2).

Es wird erwartet, dass unter einer künftigen Taliban-Herrschaft die Rechte der Frauen im Land einen schweren Rückschlag erleiden werden. Außerdem werden die Auswirkungen für Frauen in ländlichen Gebieten, in denen die Taliban die absolute Kontrolle haben, noch schlimmer sein als für Frauen in den großen städtischen Zentren wie Kabul. Im Mai 2021 warnte Human Rights Watch (HRW), dass sich die Gesundheitsversorgung für Frauen und Mädchen in Afghanistan aufgrund fehlender Spendengelder als Folge des Abzugs der internationalen Truppen und der unklaren Lage im Land verschlechtern wird (LIB, Kapitel 4.2).

Viele der schätzungsweise 18.000 afghanischen Dolmetscher, Kommandosoldaten und andere, die mit den US-Streitkräften zusammengearbeitet haben, haben Visa beantragt, um in die USA auszuwandern - ein Prozess, der nach Angaben von Gesetzgebern mehr als zwei Jahre dauern könnte, was sie möglicherweise Racheakten der Taliban aussetzen würde. US-amerikanische, britische und deutsche Beamte sowie internationale NGOs wie Human Rights Watch (HRW) äußerten sich besorgt über die Sicherheit von ehemaligen Mitarbeitern der internationalen Streitkräfte, während die Taliban angaben, nicht gegen (ehemalige) Mitarbeiter der internationalen Truppen vorgehen zu wollen. Die Taliban behaupteten in der Erklärung, dass Afghanen, die für die ausländischen „Besatzungstruppen“ gearbeitet hätten, „irregeführt“ worden seien und „Reue“ für ihre vergangenen Handlungen zeigen sollten, da diese einem „Verrat“ am Islam und an Afghanistan gleichkämen. In den vergangenen Wochen gab es mehrere Demonstrationen afghanischer Ortskräfte in der Hauptstadt Kabul. Sie forderten die ausländischen Truppen und Botschaften auf, sie im Ausland in Sicherheit zu bringen. Im Mai 2021 schätzt das US-Militär, dass es bis zu einem Viertel seines Abzugs aus Afghanistan abgeschlossen hat und fünf Einrichtungen an das afghanische Verteidigungsministerium übergeben wurden, darunter die riesige Militärbasis Kandahar Airfield [KAF] im Süden Afghanistans (LIB, Kapitel 4.2).

II.1.4.4. Sicherheitslage

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die Provinzhauptstädte, die meisten Distriktzentren und die meisten Teile der wichtigsten Transitrouten. Mehrere Teile der wichtigsten Transitrouten sind umkämpft, wodurch Distriktzentren bedroht sind. Seit Februar 2020 haben die Taliban ein hohes Maß an Gewalt gegen die ANDSF (Afghan National Defense Security Forces) aufrechterhalten, vermeiden aber gleichzeitig Angriffe gegen Koalitionstruppen, welche in der Nähe von Provinzhauptstädten stationiert sind - wahrscheinlich um das US-Taliban-Abkommen nicht zu gefährden. Unabhängig davon begann IS/ISKP im Februar 2020 (zum ersten Mal seit dem Verlust seiner Hochburg in der Provinz Nangarhar im November 2019) Terroranschläge gegen die ANDSF und die Koalitionstruppen durchzuführen. Die Zahl der Angriffe der Taliban auf staatliche Sicherheitskräfte entsprach im Jahr 2020 dem Niveau der Frühjahrsoffensiven der vergangenen Jahre, auch wenn die Offensive dieses Jahr bisher nicht offiziell erklärt wurde (LIB, Kapitel 5).

Die Umsetzung des US-Taliban-Abkommens, angefochtene Ergebnisse der Präsidentschaftswahlen, regionale politische Spannungen zwischen den Vereinigten Staaten und dem Iran, Diskussionen über die Freilassung von Gefangenen, Krieg und die globale Gesundheitskrise COVID-19 haben laut dem Combined Security Transition Command-Afghanistan (CSTC-A) das zweite Quartal 2020 für die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (ANDSF) zum „vielleicht komplexesten und herausforderndsten Zeitraum der letzten zwei Jahrzehnte“ gemacht. Der Konflikt in Afghanistan befindet sich nach wie vor in einer „strategischen Pattsituation“, die nur durch Verhandlungen zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban gelöst werden kann. Die afghanische Regierung führte zum ersten Mal persönliche Gespräche mit den Taliban, inhaltlich wurde über den Austausch Tausender Gefangener verhandelt. Diese Gespräche sind ein erster Schritt Richtung inner-afghanischer Verhandlungen, welche Teil eines zwischen Taliban und US-Amerikanern unterzeichneten Abkommens sind. Die Gespräche fanden vor dem Hintergrund anhaltender Gewalt im Land statt, was den afghanischen Friedensprozess gefährden könnte (LIB, Kapitel 5).

Die Sicherheitslage im Jahr 2021

Mit April bzw. Mai 2021 nahmen die Kampfhandlungen zwischen Taliban und Regierungstruppen stark zu. Im Mai 2021 übernahmen die Taliban die Kontrolle über den Distrikt Dawlat Shah in der ostafghanischen Provinz Laghman und den Distrikt Nerkh in der Provinz (Maidan) Wardak, einen strategischen Distrikt etwa 40 Kilometer von Kabul entfernt. Spezialkräfte wurden in dem Gebiet eingesetzt, um den Distrikt Nerkh zurückzuerobern, nachdem Truppen einen „taktischen Rückzug“ angetreten hatten. Aufgrund der sich intensivierenden Kämpfe zwischen den Taliban und der Regierung an unterschiedlichsten Fronten in mindestens fünf Provinzen (Baghlan, Kunduz, Helmand, Kandahar und Laghman) sind im Mai 2021 bis zu 8.000 Familien vertrieben worden. Berichten zufolge haben die Vertriebenen keinen Zugang zu Unterkunft, Verpflegung, Schulen oder medizinischer Versorgung. Ende Mai/Anfang Juni übernahmen die Taliban die Kontrolle über mehrere Distrikte. Die Taliban haben den Druck in allen Regionen des Landes verstärkt, auch in Laghman, Logar und Wardak, drei wichtigen Provinzen, die an Kabul grenzen. Damit haben die Taliban seit Beginn des Truppenabzugs am 1.5.2021 bis Anfang Juni mindestens zwölf Distrikte erobert (LIB, Kapitel 5).

Zivile Opfer

Zwischen dem 1.1.2021 und dem 31.3.2021 dokumentierte die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) 1.783 zivile Opfer (573 Tote und 1.210 Verletzte). Der Anstieg der zivilen Opfer im Vergleich zum ersten Quartal 2020 war hauptsächlich auf dieselben Trends zurückzuführen, die auch im letzten Quartal des vergangenen Jahres zu einem Anstieg der zivilen Opfer geführt hatten - Bodenkämpfe, improvisierte Sprengsätze (IEDs) und gezielte Tötungen hatten auch in diesem vergleichsweise warmen Winter extreme Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung (LIB, Kapitel 5).

Vom 1.1.2020 bis zum 31.12.2020 dokumentierte UNAMA 8.820 zivile Opfer (3.035 Getötete und 5.785 Verletzte), während AIHRC (Afghanistan Independent Human Rights Commission) für das gesamte Jahr 2020 insgesamt 8.500 zivile Opfer registrierte, darunter 2.958 Tote und 5.542 Verletzte. Das ist ein Rückgang um 15% (21% laut AIHRC) gegenüber der Zahl der zivilen Opfer im Jahr 2019 und die geringste Zahl ziviler Opfer seit 2013 (LIB, Kapitel 5).

Nach dem Abkommen zwischen den USA und den Taliban dokumentierte UNAMA einen Rückgang der Opfer unter der Zivilbevölkerung bei groß angelegten Angriffen in städtischen Zentren durch regierungsfeindliche Elemente, insbesondere die Taliban, und bei Luftangriffen durch internationale Streitkräfte. Dies wurde jedoch teilweise durch einen Anstieg der Opfer unter der Zivilbevölkerung durch gezielte Tötungen von regierungsfeindlichen Elementen, durch Druckplatten-IEDs der Taliban und durch Luftangriffe der afghanischen Luftwaffe sowie durch ein weiterhin hohes Maß an Schäden für die Zivilbevölkerung bei Bodenkämpfen ausgeglichen. Obwohl ein Rückgang der durch regierungsfeindliche Elemente verletzten Zivilisten im Jahr 2020, der hauptsächlich auf den Mangel an zivilen Opfern durch wahlbezogene Gewalt und den starken Rückgang der zivilen Opfer durch Selbstmordattentate im Vergleich zu 2019 zurückzuführe

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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