TE Bvwg Erkenntnis 2021/8/23 W262 2174310-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 23.08.2021
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Entscheidungsdatum

23.08.2021

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs4
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28

Spruch


W262 2174310-1/17E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Julia JERABEK über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch die BBU Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 04.10.2017, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides wird gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides wird stattgegeben und XXXX gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 der Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.

III. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung für die Dauer eines Jahres erteilt.

IV. Die Spruchpunkte III. und IV. des angefochtenen Bescheides werden ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am 02.02.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Bei der Erstbefragung am 03.02.2016 vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der Beschwerdeführer im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Paschtu an, afghanischer Staatsangehöriger, sunnitischer Moslem und Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen zu sein. Er führte aus, in Afghanistan, in der Provinz Laghman geboren und verheiratet zu sein. Das Geburtsdatum wurde mit XXXX aufgenommen. Er habe acht Jahre eine Grundschule in Laghman besucht. Seine Ehefrau sowie seine Mutter, zwei Brüder und eine Schwester leben in Afghanistan. Der Vater sei verstorben. Er habe in Afghanistan keinen Beruf ausgeübt.

Als Fluchtgrund gab der Beschwerdeführer an, in Afghanistan von den Taliban verfolgt worden zu sein. Sein Vater habe für die afghanischen Behörden gearbeitet und sei von Taliban bedroht, verfolgt und getötet worden. Die Taliban forderten auch ihn auf, sich ihnen anzuschließen; da er sich weigerte, sei er von den Taliban verfolgt worden. Im Falle einer Rückkehr fürchte er von den Taliban getötet zu werden.

2. Am 17.03.2017 erfolgte die niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden als „belangte Behörde“ oder BFA bezeichnet) im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Paschtu. Der Beschwerdeführer wiederholte seine Angaben zu Staatsangehörigkeit, Geburtsort, Religionsbekenntnis, Volksgruppenzugehörigkeit und Familienstand. Nach seinen Fluchtgründen befragt, gab er an, dass er vor den Taliban geflüchtet sei. Sie hätten einige Male mit ihm gesprochen und ihn bedroht. Er sei aufgefordert worden mit ihnen zusammenzuarbeiten und den heiligen Krieg gegen den Staat zu führen. Er habe jedoch keine Menschen töten wollen. Sein Vater sei für seine Einstellung getötet worden. Dem Beschwerdeführer sei beigebracht worden, dass die Taliban schlechte Menschen sei. Zweimal sei er vom Mullah der Moschee aufgefordert worden die Taliban zu unterstützen. Einmal sei er persönlich aufgefordert worden sich anzuschließen. Ein anderes Mal, als die Taliban ihn zuhause aufgesucht hätten, habe er die Flucht ergriffen. Er sei ihnen nicht begegnet. Mitten in der Nacht sei angeklopft worden, seine Mutter habe die Türe geöffnet und den Beschwerdeführer informiert, dass vier bewaffnete Männer vor der Tür stehen und er fliehen müsse. Er sei über den Dachboden aus dem Haus geflohen und schließlich vom Dach gesprungen. Danach sei er über die Mauer in den Garten der Nachbarn geklettert und habe sich an der Hand verletzt. Er habe sich dann beim Haus der Nachbarn versteckt. Die Taliban hätten währenddessen von seiner Mutter wissen wollen, wo er sich aufhalte, sie gestoßen und bei der Suche nach dem Beschwerdeführer das Haus verwüstet. Die Taliban haben gedroht, wenn der Beschwerdeführer sich nicht bis zum nächsten Abend stelle, die ganze Familie zu töten. Nachdem die Taliban verschwunden seien, sei der Beschwerdeführer aus seinem Versteck herausgekommen und sei am nächsten Tag mit seiner Mutter zu seinem Onkel ms gegangen, um vom Vorfall zu berichten. Der Onkel habe schlicht gemeint, dass er nicht helfen könne. Der Onkel habe nicht einmal gefragt, wohin er gehe.

3. Mit dem nunmehr angefochtenem Bescheid vom 04.10.2017 wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) ab. Gemäß § 57 AsylG 2005 erteilte die belangte Behörde dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen und erließ gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG. Die belangte Behörde stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Weiters sprach die belangte Behörde aus, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV).

Zu den Gründen für das Verlassen des Herkunftsstaates bzw. zu der Situation im Falle einer Rückkehr stellte die belangte Behörde insbesondere fest, der Beschwerdeführer habe eine Furcht vor Verfolgung nicht glaubhaft gemacht. Es habe nicht festgestellt werden können, dass der Beschwerdeführer einer konkreten persönlichen asylrelevanten Bedrohung in Afghanistan ausgesetzt gewesen sei, bzw. eine solche zukünftig zu befürchten hätte. Zudem bestehe für den Beschwerdeführer eine taugliche innerstaatliche Flucht- und Schutzalternative. Der Beschwerdeführer sei jung, gesund und arbeitsfähig, habe Schulbildung genossen und könne seinen Lebensunterhalt mit der Unterstützung der in Afghanistan lebenden Familie bestreiten. Er liefe nicht Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse nicht befriedigen zu können und in eine aussichtlose Lage zu geraten.

4. Gegen oa. Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde und wiederholte sein bisheriges Vorbringen zur Zwangsrekrutierung durch die Taliban. Des Weiteren wurde eine „Verwestlichung“ aufgrund des langjährigen Auslandsaufenthaltes des Beschwerdeführers in Europa vorgebracht.

5. Am 23.10.2017 legte das BFA die Beschwerde samt Verwaltungsakt dem Bundesverwaltungsgericht vor; mit Schriftsatz vom 30.11.2017 ergänzte der Beschwerdeführer seine Beschwerde.

6. Am 05.08.2021 führte das Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung durch, an welcher der Beschwerdeführer, sein Rechtsvertreter und zwei Vertrauenspersonen des Beschwerdeführers teilnahmen sowie eine Dolmetscherin für die Sprache Paschtu beigezogen wurde.

Der Beschwerdeführer wurde vom erkennenden Gericht eingehend zu seiner Identität, Herkunft, zu den persönlichen Lebensumständen, zu seinen Fluchtgründen sowie zu seinem Privat- und Familienleben in Österreich befragt. Im Zuge der Verhandlungen wurden vom Gericht auch die Berichte über die allgemeine Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers in das Verfahren eingebracht. Dem Beschwerdeführer und der belangten Behörde wurden gemeinsam mit der Ladung Länderfeststellungen zur Situation in Afghanistan übermittelt. Der Beschwerdeführer erstattete dazu eine Stellungnahme und legte weitere Unterlagen vor; die belangte Behörde erstattete keine Stellungnahme und ein Vertreter blieb der mündlichen Verhandlung entschuldigt fern.

Das Verhandlungsprotokoll wurde dem BFA im Anschluss an die Verhandlung übermittelt.

II.     Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.       Feststellungen:

1.1. Zu Person, Fluchtgründen, Rückkehrmöglichkeit und (Privat-)Leben des Beschwerdeführers in Österreich:

1.1.1. Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger, Angehöriger der Volksgruppe der Paschtune und führt den im Spruch dieses Erkenntnisses enthaltenen Namen und Geburtsdatum. Seine Muttersprache ist Paschtu.

Er verfügt auch über Sprachkenntnisse in Dari, Englisch, Deutsch und Türkisch.

Der Beschwerdeführer ist sunnitischer Moslem, kinderlos und ledig.

Der Beschwerdeführer ist in der Provinz Laghman geboren und besuchte acht Jahre eine Schule.

Der Vater des Beschwerdeführers ist vor der Ausreise des Beschwerdeführers verstorben. Die Mutter, zwei Brüder und eine Schwester leben in Afghanistan. Ein Cousin und ein Onkel ms leben in der Heimatprovinz Laghman.

Der Beschwerdeführer stellte am 02.02.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

1.1.2. Der Beschwerdeführer begründete seinen Antrag auf internationalen Schutz mit einer in Afghanistan drohen den Zwangsrekrutierung durch die Taliban. In der Beschwerde wurde darüber hinaus eine „Verwestlichung“ des Beschwerdeführers aufgrund seines Aufenthaltes in Europa vorgebracht.

Zu den vorgebrachten Fluchtgründen wird vom erkennenden Gericht im Einzelnen Folgendes festgestellt:

Der Beschwerdeführer war im Herkunftsstaat keiner individuellen gegen ihn gerichteten Verfolgung durch die Taliban ausgesetzt. Er wäre auch im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan einer solchen grundsätzlich nicht ausgesetzt.

Es kann auch nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer ohne Hinzutreten weiterer wesentlicher individueller Merkmale mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine gegen ihn gerichtete Verfolgung oder Bedrohung durch staatliche Organe oder (von staatlichen Organen geduldet) durch Private, sei es vor dem Hintergrund seiner ethnischen Zugehörigkeit (Paschtune), seiner Religion (sunnitischer Islam), sei es vor dem Hintergrund seiner Nationalität (Afghanistan), Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (Rückkehrer aus Europa) oder politischen Gesinnung zu erwarten hätte.

Der Beschwerdeführer ist in Afghanistan weder vorbestraft noch wurde er dort jemals inhaftiert und hatte auch mit den Behörden des Herkunftsstaates keine Probleme. Der Beschwerdeführer war nie politisch tätig und gehörte nie einer politischen Partei an. Es gibt insgesamt keinen stichhaltigen Hinweis, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan einer (asylrelevanten) Verfolgung ausgesetzt wäre.

1.1.3. Der Beschwerdeführer ist jung, arbeitsfähig und gesund.

Festgestellt wird, dass die aktuell vorherrschende COVID-19-Pandemie kein Rückkehrhindernis darstellt. Der Beschwerdeführer ist gesund und gehört mit Blick auf sein Alter und das Fehlen physischer (chronischer) Vorerkrankungen keiner spezifischen Risikogruppe betreffend COVID-19 an. Es besteht keine hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Afghanistan eine COVID-19-Erkrankung mit schwerwiegendem oder tödlichem Verlauf bzw. mit dem Bedarf einer intensivmedizinischen Behandlung bzw. einer Behandlung in einem Krankenhaus erleiden würde.

Eine Rückkehr des Beschwerdeführers in die Herkunftsprovinz Laghman scheidet aus, weil ihm dort aufgrund der vorherrschenden Sicherheitslage ein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit drohen würde, zumal die Erreichbarkeit der Provinz (etwa von Kabul aus) auf sicherem Weg nicht gewährleistet werden kann.

Der Beschwerdeführer war in Afghanistan in der Landwirtschaft tätig, derzeit hat er rund alle drei Monate Kontakt zur Familie in Afghanistan.

Auch wenn der Beschwerdeführer aufgrund seiner Arbeitsfähigkeit, seiner Sprachkenntnisse, der in Österreich erlangten Fähigkeiten, seinem sozialen Netzwerk sowie seiner beruflichen Erfahrungen in Afghanistan durchaus passable Chancen hat, sich am Arbeitsmarkt in den afghanischen Großstädten zu integrieren und dort eine Unterkunft zu finden, steht die derzeitige prekäre Sicherheitslage einer Rückkehr des Beschwerdeführers im Weg.

Afghanistan ist derzeit von einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt zwischen der afghanischen Regierung und Aufständischen (Taliban) betroffen. Seit Beginn des Abzuges der internationalen Truppen hat sich die Sicherheitslage in Afghanistan drastisch verschlechtert (siehe Pkt. 1.2. zur Lage in Afghanistan).

Im Falle einer Niederlassung des Beschwerdeführers in den Städte Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif oder sonst irgendwo in Afghanistan droht ihm die Gefahr, im Zuge von Kampfhandlungen oder durch Angriffe Aufständischer zu Tode zu kommen oder misshandelt oder verletzt zu werden. Es kann nicht mit der notwendigen Sicherheit ausgeschlossen werden, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Afghanistan landesweit dem realen Risiko einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt ist (siehe dazu ausführlich Pkt. 3. rechtliche Beurteilung).

1.1.4. Der Beschwerdeführer hat keine Verwandten in Österreich.

Der Beschwerdeführer wird im Rahmen der Grundversorgung versorgt und ist bisher in Österreich keiner bezahlten Erwerbstätigkeit nachgegangen. Seit eineinhalb Jahren lebt er gemeinsam mit zwei afghanischen Freunden in einer Privatwohnung.

Er pflegt freundschaftliche Kontakte zu österreichischen Privatpersonen.

Der Beschwerdeführer besuchte 2017/2018 zwei Deutschkurse und absolvierte den Werte- und Orientierungskurs. Er hat die ÖSD Deutschprüfung Niveau A2 erfolgreich absolviert, einen Deutschkurs Niveau B1 besucht und 27.06.2019 seinen Pflichtschulabschluss bestanden.

Der Beschwerdeführer ist zum Zeitpunkt dieser Entscheidung strafgerichtlich unbescholten.

1.2. Zur Lage in Afghanistan

1.2.1. Betreffend die Lage in Afghanistan werden die im Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan vom 11.06.2021, KI vom 20.08.2021, die in den UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des Internationalen Schutzbedarfs Afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018 sowie die in Berichten von EASO – EASO Country Guidance Afghanistan von Dezember 2020, EASO Afghanistan Security Situation von Juni 2019, EASO Country of Origin Information Report Afghanistan Key socio-economic indicators Focus on Kabul City, Mazar-e Sharif and Herat City von August 2020 – enthaltenen Informationen wie folgt auszugsweise festgestellt:

Die letzte Kurzinformation der Staatendokumentation zu aktuellen Entwicklungen und Informationen in Afghanistan vom 20.08.2021 enthält den Hinweis, dass die Länderinformationen der Staatendokumentation zu Afghanistan durch die dramatischen Ereignisse vor Ort zum überwiegenden Teil obsolet geworden sind und – sobald als möglich – komplett neu erstellt werden müssen, mit Ausnahme der Kapitel zu COVID-19, zu den „regierungsfeindlichen“ Gruppierungen, bezogen auf die Gruppierung selbst und die ethnischen Gruppen im geschichtlichen Kontext.

Zur aktuellen Lage wird Folgendes ausgeführt:

„Die Spitzenpolitiker der Taliban sind aus Katar, wo viele von ihnen im Exil lebten, nach Afghanistan zurückgekehrt. Frauen werden Rechte gemäß der Scharia [islamisches Recht] genießen, so der Sprecher der Taliban. Nach Angaben des Weißen Hauses haben die Taliban versprochen, dass Zivilisten sicher zum Flughafen von Kabul reisen können. Berichten zufolge wurden Afghanen auf dem Weg dorthin von Taliban-Wachen verprügelt. Lokalen Berichten zufolge sind die Straßen von Kabul ruhig. Die Militanten sind in der ganzen Stadt unterwegs und besetzen Kontrollpunkte (bbc.com o.D.a). Die internationalen Evakuierungsmissionen von Ausländerinnen und Ausländern sowie Ortskräften aus Afghanistan gehen weiter, immer wieder gibt es dabei Probleme. Die Angaben darüber, wie viele Menschen bereits in Sicherheit gebracht werden konnten, gehen auseinander, die Rede ist von 2.000 bis 4.000, hauptsächlich ausländisches Botschaftspersonal. Es mehren sich aktuell Zweifel, dass auch der Großteil der Ortskräfte aus dem Land gebracht werden kann. Bei Protesten gegen die Taliban in Jalalabad wurden unterdessen laut Augenzeugen drei Menschen getötet (orf.at o.D.a). Jalalabad wurde kampflos von den Taliban eingenommen. Mit ihrer Einnahme sicherte sich die Gruppe wichtige Verbindungsstraßen zwischen Afghanistan und Pakistan. Am Mittwoch (18.8.2021) wurden jedoch Menschen in der Gegend dabei gefilmt, wie sie zur Unterstützung der alten afghanischen Flagge marschierten, bevor Berichten zufolge in der Nähe Schüsse abgefeuert wurden, um die Menschenmenge zu zerstreuen. Das von den Taliban neu ausgerufene Islamische Emirat Afghanistan hat bisher eine weiße Flagge mit einer schwarzen Schahada (Glaubensbekenntnis) verwendet. Die schwarz-rot-grüne Trikolore, die heute von den Demonstranten verwendet wurde, gilt als Symbol für die abgesetzte Regierung. Der Sprecher der Taliban erklärte, dass derzeit Gespräche über die künftige Nationalflagge geführt werden, wobei eine Entscheidung von der neuen Regierung getroffen werden soll (bbc.com o.D.b). Während auf dem Flughafen der afghanischen Hauptstadt Kabul weiter der Ausnahmezustand herrscht, hat es bei einer Kundgebung in einer Provinzhauptstadt erneut Tote gegeben. In der Stadt Asadabad in der Provinz Kunar wurden nach Angaben eines Augenzeugen mehrere Teilnehmer einer Kundgebung zum afghanischen Nationalfeiertag getötet. Widerstand bildete sich auch im Panjshirtal, eine Hochburg der Tadschiken nordöstlich von Kabul. In der ‚Washington Post‘ forderte ihr Anführer Ahmad Massoud, Chef der Nationalen Widerstandsfront Afghanistans, Waffen für den Kampf gegen die Taliban. Er wolle den Kampf für eine freiheitliche Gesellschaft fortsetzen (orf.at o.D.c). Einem Geheimdienstbericht für die UN zufolge verstärken die Taliban die Suche nach ‚Kollaborateuren‘. In mehreren Städten kam es zu weiteren Anti-Taliban-Protesten. Nach Angaben eines Taliban-Beamten wurden seit Sonntag mindestens 12 Menschen auf dem Flughafen von Kabul getötet. Westliche Länder evakuieren weiterhin Staatsangehörige und Afghanen, die für sie arbeiten. Der IWF erklärt, dass Afghanistan keinen Zugang mehr zu seinen Geldern haben wird (bbc.com o.D.d). Vor den Taliban in Afghanistan flüchtende Menschen sind in wachsender medizinischer Not. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) berichtete, dass in Kliniken in Kabul und anderen afghanischen Städten immer mehr Fälle von Durchfallerkrankungen, Mangelernährung, Bluthochdruck und Corona-Symptomen aufträten. Dazu kämen vermehrt Schwangerschaftskomplikationen. Die WHO habe zwei mobile Gesundheitsteams bereitgestellt, aber der Einsatz müsse wegen der Sicherheitslage immer wieder unterbrochen werden (zdf.de 18.8.2021). Priorität für die VN hat derzeit, dass die UNAMA-Mission in Kabul bleibe. Derzeit befindet sich ein Teil des VN-Personals am Flughafen, um einen anderen Standort (unklar ob in AF) aufzusuchen und von dort die Tätigkeit fortzuführen. Oberste Priorität der VN sei es die Präsenz im Land sicherzustellen. Zwecks Sicherstellung der humanitären Hilfe werde auch mit den Taliban verhandelt (? Anerkennung). Ein Schlüsselelement dabei ist die VN-SR-Verlängerung des UNAMA-Mandats am 17. September 2021 (VN 18.8.2021).“

„Regierungsfeindliche Gruppierungen

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv - insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan (USDOD 12.2019; vgl. CRS 12.2.2019) und stellt nicht nur für die beiden Länder eine Sicherheitsherausforderung dar, sondern eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität (USDOD 12.2019).

Für die meisten zivilen Opfer im Jahr 2020 waren weiterhin regierungsfeindliche Elemente verantwortlich, 62% wurden ihnen zugeschrieben. Vom 1.1.2020 bis zum 31.12.2020 schrieb UNAMA 5.459 zivile Opfer (1.885 Tote und 3.574 Verletzte) regierungsfeindlichen Elementen zu. Dies bedeutete einen Gesamtrückgang um 15% im Vergleich zu 2019. Die Zahl der von regierungsfeindlichen Elementen getöteten Zivilisten stieg jedoch um 13% (UNAMA 2.2021a)

Rekrutierung durch die Taliban

Ein Bericht über die Rekrutierungspraxis der Taliban teilt die Taliban-Kämpfer in zwei Kategorien: professionelle Vollzeitkämpfer, die oft in den Madrassen rekrutiert werden, und Teilzeit-Kämpfer vor Ort, die gegenüber einem lokalen Kommandanten loyal und in die lokale Gesellschaft eingebettet sind (LI 29.6.2017).

Es besteht relativer Konsens darüber, wie die Rekrutierung für die Streitkräfte der Taliban erfolgt: Sie läuft hauptsächlich über bestehende traditionelle Netzwerke und organisierte Aktivitäten im Zusammenhang mit religiösen Institutionen. Layha, der Verhaltenskodex der Taliban enthält einige Bestimmungen über verschiedene Formen der Einladung sowie Bestimmungen, wie sich die Kader verhalten sollen, um Menschen zu gewinnen und Sympathien aufzubauen. Eines der Sonderkomitees der Quetta Schura (Anm.: militante afghanische Organisation der Taliban mit Basis in Quetta / Pakistan) ist für die Rekrutierung verantwortlich (LI 29.6.2017). UNAMA hat Fälle der Rekrutierung und des Einsatzes von Kindern durch die Taliban dokumentiert, um IEDs (Improvised Explosive Devices) zu platzieren, Sprengstoff zu transportieren, bei der Sammlung nachrichtendienstlicher Erkenntnisse zu helfen und Selbstmordattentate zu verüben, wobei auch positive Schritte von der Taliban-Kommission für die Verhütung ziviler Opfer und Beschwerden unternommen wurden, um Fälle von Rekrutierung und Einsatz von Kindern zu untersuchen und korrigierend einzugreifen (UNAMA 2.2021a; vgl. UNAMA 7.2020).

In Gebieten, in denen regierungsfeindliche Gruppen Kontrolle ausüben, gibt es eine Vielzahl an Methoden, um Kämpfer zu rekrutieren, darunter auch solche, die auf Zwang basieren (DAI/CNRR 10.2016), wobei der Begriff Zwangsrekrutierung von Quellen unterschiedlich interpretiert und Informationen zur Rekrutierung unterschiedlich kategorisiert werden (LI 29.6.2017). Grundsätzlich haben die Taliban keinen Mangel an freiwilligen Rekruten und machen nur in Ausnahmefällen von Zwangsrekrutierung Gebrauch. Druck und Zwang, den Taliban beizutreten, sind jedoch nicht immer gewalttätig (EASO 6.2018). Landinfo versteht Zwang im Zusammenhang mit Rekrutierung dahingehend, dass jemand, der sich einer Mobilisierung widersetzt, speziellen Zwangsmaßnahmen und Übergriffen (zumeist körperlicher Bestrafung) durch den Rekrutierer ausgesetzt ist. Die Zwangsmaßnahmen können auch andere schwerwiegende Maßnahmen beinhalten und gegen Dritte, beispielsweise Familienmitglieder, gerichtet sein. Auch wenn jemand keinen Drohungen oder körperlichen Übergriffen ausgesetzt ist, können Faktoren wie Armut, kulturelle Gegebenheiten und Ausgrenzung die Unterscheidung zwischen freiwilliger und zwangsweiser Beteiligung zum Verschwimmen bringen (LI 29.6.2017).

Sympathisanten der Taliban sind Einzelpersonen und Gruppen von, vielfach jungen, desillusionierten Männern. Ihre Motive sind der Wunsch nach Rache und Heldentum, gepaart mit religiösen und wirtschaftlichen Gründen. Sie fühlen sich nicht zwingend den zentralen Werten der Taliban verpflichtet. Die meisten haben das Vertrauen in das Staatsbildungsprojekt verloren und glauben nicht länger, dass es möglich ist, ein sicheres und stabiles Afghanistan zu schaffen. Viele schließen sich den Aufständischen aus Angst oder Frustration über die Übergriffe auf die Zivilbevölkerung an. Armut, Hoffnungslosigkeit und fehlende Zukunftsperspektiven sind die wesentlichen Erklärungsgründe (LI 29.6.2017).

Vor einigen Jahren waren Mittel wie Pamphlete, DVDs und Zeitschriften bis hin zu Radio, Telefon und web-basierter Verbreitung wichtige Instrumente des Propagandaapparats der Taliban. Während Internet und soziale Medien wie Twitter, Blogs und Facebook sich in den letzten Jahren zu sehr wichtigen Foren und Kanälen für die Verbreitung der Botschaft dieser Bewegung entwickelt haben, dienen sie auch als Instrument für die Anwerbung. Über die sozialen Medien können die Taliban mit Sympathisanten und potenziellen Rekruten Kontakt aufnehmen. Die Taliban haben verstanden, dass ohne soziale Medien kein Krieg gewonnen werden kann. Sie haben ein umfangreiches Kommunikations- und Mediennetzwerk für Propaganda und Rekrutierung aufgebaut. Zusätzlich unternehmen die Taliban persönlich und direkt Versuche, die Menschen von ihrer Ideologie und Weltanschauung zu überzeugen, damit sie die Bewegung unterstützen. Ein Gutteil dieser Aktivitäten läuft über religiöse Netzwerke (LI 29.6.2017).

Die Entscheidung, Rekruten zu mobilisieren, wird von den Familienoberhäuptern, Stammesältesten und Gemeindevorstehern getroffen. Dadurch wird dies nicht als Zwangsrekrutierung wahrgenommen, da die Entscheidungen der Anführer als legitim und akzeptabel gesehen werden. Personen, die sich dem widersetzen, gehen ein Risiko ein, dass sie oder ihre Familien bestraft oder getötet werden (DAI/CNRR 10.2016; vgl. EASO 6.2018), wenngleich die Taliban nachsichtiger als der ISKP seien und lokale Entscheidungen eher akzeptieren würden (TST 22.8.2019). Andererseits wird berichtet, dass es in Gebieten, die von den Taliban kontrolliert werden oder in denen die Taliban stark präsent sind, de facto unmöglich ist, offenen Widerstand gegen die Bewegung zu leisten. Die örtlichen Gemeinschaften haben sich der Lokalverwaltung durch die Taliban zu fügen. Oppositionelle sehen sich gezwungen, sich äußerst bedeckt zu halten oder das Gebiet zu verlassen. Die Gruppe der Stammesältesten ist gezielten Tötungen ausgesetzt. Landinfo vermutet, dass dies vor allem regierungsfreundliche Stammesälteste betrifft, die gegen die Taliban oder andere aufständische Gruppen sind. Es gibt Berichte von Übergriffen auf Stämme oder Gemeinschaften, die den Taliban Unterstützung und die Versorgung mit Kämpfern verweigert haben. Gleichzeitig sind die militärischen Einheiten der Taliban in den Gebieten, in welchen sie operieren, von der Unterstützung durch die Bevölkerung abhängig. Wenn es auch Stimmen gibt, die meinen, dass die Taliban im Gegensatz zu früher nunmehr vermehrt auf die Wünsche und Bedürfnisse der Gemeinschaften Rücksicht nehmen würden, wenn bei einem Angriff oder drohenden Angriff auf eine örtliche Gemeinschaft Kämpfer vor Ort mobilisiert werden müssen, mag es schwierig sein, sich zu entziehen (LI 29.6.2017).

Die erweiterte Familie kann angeblich auch eine Zahlung leisten, anstatt Rekruten zu stellen. Diese Praktiken implizieren, dass es die ärmsten Familien sind, die Kämpfer stellen, da sie keine Mittel haben, um sich freizukaufen. Es ist bekannt, dass - wenn Familienmitglieder in den Sicherheitskräften dienen - die Familie möglicherweise unter Druck steht, die betreffende Person zu einem Seitenwechsel zu bewegen. Der Grund dafür liegt in der Strategie der Taliban, Personen mit militärischem Hintergrund anzuwerben, die Waffen, Uniformen und Wissen über den Feind einbringen. Es kann aber auch Personen treffen, die über Know-how und Qualifikationen verfügen, welche die Taliban im Gefechtsfeld benötigen, etwa für die Reparatur von Waffen (LI 29.6.2017).

Die Taliban wenden, laut Berichten von NGOs und UN, Täuschung, Geldzusagen, falsche religiöse Zusammenhänge oder Zwang an, um Kinder zu Selbstmordattentaten zu bewegen (USDOS 30.3.2021; vgl. EASO 6.2018, DAI/CNRR 10.2016), teilweise werden die Kinder zur Ausbildung nach Pakistan gebracht (EASO 6.2018). Im Jahr 2020 gab es laut UNAMA insgesamt 196 Jungen, hauptsächlich im Norden und Nordosten des Landes, die sowohl von den Taliban als auch von den afghanischen Sicherheitskräften rekrutiert wurden. Es ist wichtig anzumerken, dass Fälle der Rekrutierung und des Einsatzes von Kindern in Afghanistan aufgrund der damit verbundenen Sensibilität und der Sorge um die Sicherheit der Kinder in hohem Maße unterrepräsentiert sind (UNAMA 2.2021a).“

1.2.2. Auszug aus den Richtlinien des UNHCR zur Feststellung des Internationalen Schutzbedarfs Afghanischer Asylsuchender (vgl. S. 124 f. der UNHCR-Richtlinien vom 30.08.2018):

„[...] UNHCR ist der Auffassung, dass eine vorgeschlagene interne Schutzalternative nur dann zumutbar ist, wenn der Zugang zu (i) Unterkunft, (ii) grundlegender Versorgung wie sanitärer Infrastruktur, Gesundheitsdiensten und Bildung und zu (iii) Erwerbsmöglichkeiten gegeben ist. Ferner ist UNHCR der Auffassung, dass eine interne Schutzalternative nur dann zumutbar sein kann, wenn betroffene Personen Zugang zu einem traditionellen Unterstützungsnetzwerk durch Mitglieder ihrer (erweiterten) Familie oder durch Mitglieder ihrer größeren ethnischen Gruppe im vorgeschlagenen Neuansiedlungsgebiet haben und davon ausgegangen werden kann, dass diese willens und in der Lage sind, den Antragsteller tatsächlich zu unterstützen.

Die einzigen Ausnahmen von dieser Anforderung der externen Unterstützung stellen nach Auffassung von UNHCR alleinstehende leistungsfähige Männer und verheiratete Paare im berufsfähigen Alter ohne festgestellten besonderen Schutzbedarf dar. Diese Personen können unter bestimmten Umständen ohne Unterstützung von Familie und Gemeinschaft in urbanen und semiurbanen Umgebungen leben, die die notwendige Infrastruktur sowie Erwerbsmöglichkeiten zur Sicherung der Grundversorgung bieten und unter tatsächlicher staatlicher Kontrolle stehen. Angesichts des Zusammenbruchs des traditionellen sozialen Gefüges der Gesellschaft aufgrund jahrzehntelang währender Kriege, der massiven Flüchtlingsströme und der internen Vertreibung ist gleichwohl eine einzelfallbezogene Analyse notwendig.

…“

1.2.3. Zur aktuell vorliegenden COVID-19 Pandemie:

Entwicklung der COVID-19 Pandemie in Afghanistan

Der erste offizielle Fall einer COVID-19 Infektion in Afghanistan wurde am 24.2.2020 in Herat festgestellt (RW 9.2020; vgl UNOCHA 19.12.2020). Laut einer vom afghanischen Gesundheitsministerium (MoPH) durchgeführten Umfrage hatten zwischen März und Juli 2020 35% der Menschen in Afghanistan Anzeichen und Symptome von COVID-19. Laut offiziellen Regierungsstatistiken wurden bis zum 2.9.2020 in Afghanistan 103.722 Menschen auf das COVID-19-Virus getestet (IOM 23.9.2020). Aufgrund begrenzter Ressourcen des öffentlichen Gesundheitswesens und der Testkapazitäten, der Testkriterien, des Mangels an Personen, die sich für Tests melden, sowie wegen des Fehlens eines nationalen Sterberegisters werden bestätigte Fälle von und Todesfälle durch COVID-19 in Afghanistan wahrscheinlich insgesamt unterrepräsentiert (HRW 14.1.2021; vgl. UNOCHA 18.2.2021, USAID 12.1.2021, UNOCHA 19.12.2020, RFE/RL 23.2.2021a).

Die fortgesetzte Ausbreitung der Krankheit in den letzten Wochen des Jahres 2020 hat zu einem Anstieg der Krankenhauseinweisungen geführt, wobei jene Einrichtungen die als COVID-19-Krankenhäuser in den Provinzen Herat, Kandahar und Nangarhar gelten, nach Angaben von Hilfsorganisationen seit Ende Dezember voll ausgelastet sind. Gesundheitseinrichtungen sehen sich auch zu Beginn des Jahres 2021 großen Herausforderungen bei der Aufrechterhaltung oder Erweiterung ihrer Kapazitäten zur Behandlung von Patienten mit COVID-19 sowie bei der Aufrechterhaltung grundlegender Gesundheitsdienste gegenüber, insbesondere, wenn sie in Konfliktgebieten liegen (BAMF 8.2.2021; vgl. IOM 18.3.2021).

Die WHO äußerte ihre Besorgnis über die Gefahr der Verbreitung mutierter Viren in Afghanistan. In Pakistan ist bereits ein deutlicher Anstieg der Infektionen mit einer neuen Variante, die potenziell ansteckender ist und die jüngere Bevölkerung trifft, festgestellt worden. Das afghanische Gesundheitsministerium bereite sich auf eine potenzielle dritte Welle vor. Die Überwachung an der Grenze soll ausgeweitet und Tests verbessert werden. Angesichts weiterer Berichte über unzureichende Testkapazitäten im Land bleibt die Wirkung der geplanten Maßnahmen abzuwarten (BAMF 29.3.2021).

Laut Meldungen von Ende Mai 2021 haben afghanische Ärzte Befürchtungen geäußert, dass sich die erstmals in Indien entdeckte COVID-19-Variante nun auch in Afghanistan verbreiten könnte. Viele der schwerkranken Fälle im zentralen Krankenhaus für COVID-Fälle in Kabul, wo alle 100 Betten belegt seien, seien erst kürzlich aus Indien zurückgekehrte Personen (BAMF 31.5.2021; vgl. TG 25.5.2021, DW 21.5.2021, UNOCHA 3.6.2021). Seit Ende des Ramadans und einige Woche nach den Festlichkeiten zu Eid al-Fitr konnte wieder ein Anstieg der COVID-19 Fälle verzeichnet werden. Es wird vom Beginn einer dritten Welle gesprochen (UNOCHA 3,6,2021; vgl. TG 25.5.2021). Waren die [Anm.: offiziellen] Zahlen zwischen Februar und März relativ niedrig, so stieg die Anzahl zunächst mit April und dann mit Ende Mai deutlich an (WHO 4.6.2021; vgl. TN 3.6.2021, UNOCHA 3.6.2021). Es gibt in Afghanistan keine landeseigenen Einrichtungen, um auf die aus Indien stammende Variante zu testen (UNOCHA 3.6.2021; vgl. TG 25.5.2021).

Mit Stand 3.6.2021 wurden der WHO offiziell 75.119 Fälle von COVID-19 gemeldet (WHO 3.6.2021), wobei die tatsächliche Zahl der positiven Fälle um ein Vielfaches höher eingeschätzt wird (IOM 18.3.2021; vgl. HRW 14.1.2021).

Maßnahmen der Regierung und der Taliban

Das afghanische Gesundheitsministerium (MoPH) hat verschiedene Maßnahmen zur Vorbereitung und Reaktion auf COVID-19 ergriffen. "Rapid Response Teams" (RRTs) besuchen Verdachtsfälle zu Hause. Die Anzahl der aktiven RRTs ist von Provinz zu Provinz unterschiedlich, da ihre Größe und ihr Umfang von der COVID-19-Situation in der jeweiligen Provinz abhängt. Sogenannte "Fix-Teams" sind in Krankenhäusern stationiert, untersuchen verdächtige COVID-19-Patienten vor Ort und stehen in jedem öffentlichen Krankenhaus zur Verfügung. Ein weiterer Teil der COVID-19-Patienten befindet sich in häuslicher Pflege (Isolation). Allerdings ist die häusliche Pflege und Isolation für die meisten Patienten sehr schwierig bis unmöglich, da die räumlichen Lebensbedingungen in Afghanistan sehr begrenzt sind (IOM 23.9.2020). Zu den Sensibilisierungsbemühungen gehört die Verbreitung von Informationen über soziale Medien, Plakate, Flugblätter sowie die Ältesten in den Gemeinden (IOM 18.3.2021; vgl. WB 28.6.2020). Allerdings berichteten undokumentierte Rückkehrer immer noch von einem insgesamt sehr geringen Bewusstsein für die mit COVID-19 verbundenen Einschränkungen sowie dem Glauben an weitverbreitete Verschwörungen rund um COVID-19 (IOM 18.3.2021; vgl. IOM 1.2021).

Gegenwärtig gibt es in den Städten Kabul, Herat und Mazar-e Sharif keine Ausgangssperren. Das afghanische Gesundheitsministerium hat die Menschen jedoch dazu ermutigt, einen physischen Abstand von mindestens einem Meter einzuhalten, eine Maske zu tragen, sich 20 Sekunden lang die Hände mit Wasser und Seife zu waschen und Versammlungen zu vermeiden (IOM 18.3.2021). Auch wenn der Lockdown offiziell nie beendet wurde, endete dieser faktisch mit Juli bzw. August 2020 und wurden in weiterer Folge keine weiteren Ausgangsperren erlassen (ACCORD 25.5.2021).

Laut IOM sind Hotels, Teehäuser und andere Unterkunftsmöglichkeiten derzeit [Anm.: März 2021] nur für Geschäftsreisende geöffnet. Für eine Person, die unter der Schirmherrschaft der IOM nach Afghanistan zurückkehrt und eine vorübergehende Unterkunft benötigt, kann IOM ein Hotel buchen. Personen, die ohne IOM nach Afghanistan zurückkehren, können nur in einer Unterkunftseinrichtung übernachten, wenn sie fälschlicherweise angeben, ein Geschäftsreisender zu sein. Da die Hotels bzw. Teehäuser die Gäste benötigen, um wirtschaftlich überleben zu können, fragen sie nicht genau nach. Wird dies durch die Exekutive überprüft, kann diese - wenn der Aufenthalt auf der Angabe von falschen Gründen basiert - diesen jederzeit beenden. Die betreffenden Unterkunftnehmer landen auf der Straße und der Unterkunftsbetreiber muss mit einer Verwaltungsstrafe rechnen (IOM AUT 22.3.2021). Laut einer anderen Quelle gibt es jedoch aktuell [Anm.: März 2021] keine Einschränkungen bei der Buchung eines Hotels oder der Unterbringung in einem Teehaus und es ist möglich, dass Rückkehrer und Tagelöhner die Unterbringungsmöglichkeiten nutzen (RA KBL 22.3.2021).

Indien hat inzwischen zugesagt, 500.000 Dosen seines eigenen Impfstoffs zu spenden, erste Lieferungen sind bereits angekommen. 100.000 weitere Dosen sollen über COVAX (COVID-19 Vaccines Global Access) verteilt werden. Weitere Gespräche über Spenden laufen mit China (BAMF 8.2.2021; vgl. RFE/RL 23.2.2021a).

Die Taliban erlauben den Zugang für medizinische Helfer in Gebieten unter ihrer Kontrolle im Zusammenhang mit dem Kampf gegen COVID-19 (NH 3.6.2020; vgl. Guardian 2.5.2020) und gaben im Januar 2020 ihre Unterstützung für eine COVID-19-Impfkampagne in Afghanistan bekannt, die vom COVAX-Programm der Weltgesundheitsorganisation mit 112 Millionen Dollar unterstützt wird. Nach Angaben des Taliban-Sprechers Zabihullah Mudschahid würde die Gruppe die über Gesundheitszentren durchgeführte Impfaktion "unterstützen und erleichtern" (REU 26.1.2021; vgl. ABC News 27.1.2021, ArN 27.1.2021), wenn der Impfstoff in Abstimmung mit ihrer Gesundheitskommission und in Übereinstimmung mit deren Grundsätzen eingesetzt wird (NH 7.4.2021). Offizielle Stellen glauben, dass die Aufständischen die Impfteams nicht angreifen würden, da sie nicht von Tür zu Tür gehen würden (REU 26.1.2021; vgl. ABC News 27.1.2021, ArN 27.1.2021).

Bei der Bekanntgabe der Finanzierung sagte ein afghanischer Gesundheitsbeamter, dass das COVAX-Programm 20% der 38 Millionen Einwohner des Landes abdecken würde (REU 26.1.2021; vgl. ABC News 27.1.2021, ArN 27.1.2021, IOM 18.3.2021). Das Gesundheitsministerium plant 2.200 Einrichtungen im ganzen Land, um Impfstoffe zu verabreichen, und die Zusammenarbeit mit Hilfsorganisationen, die in Taliban-Gebieten arbeiten (NH 7.4.2021). Die Weltbank und die asiatische Entwicklungsbank gaben laut einer Sprecherin des afghanischen Gesundheitsministeriums an, dass sie bis Ende 2022 Impfstoffe für weitere 20% der Bevölkerung finanzieren würden (REU 26.1.2021; vgl. RFE/RL 23.2.2021a). Um dies zu erreichen, müssen sich die Gesundheitsbehörden sowohl auf lokale als auch internationale humanitäre Gruppen verlassen, die dorthin gehen, wo die Regierung nicht hinkommt (NH 7.4.2021).

Im Februar 2021 hat Afghanistan mit seiner COVID-19-Impfkampagne begonnen, bei der zunächst Mitglieder der Sicherheitskräfte, Mitarbeiter des Gesundheitswesens und Journalisten geimpft werden (RFE/RL 23.2.2021a). Die Regierung kündigte an, 60% der Bevölkerung zu impfen, als die ersten 500.000 Dosen COVID-19-Impfstoff aus Indien in Kabul eintrafen. Es wurde angekündigt, dass zuerst 150.000 Mitarbeiter des Gesundheitswesens geimpft werden sollten, gefolgt von Erwachsenen mit gesundheitlichen Problemen. Die Impfungen haben in Afghanistan am 23.2.2021 begonnen (IOM 18.3.2021). Wochen nach Beginn der ersten Phase der Einführung des Impfstoffs gegen COVID-19 zeigen sich in einige Distrikten die immensen Schwierigkeiten, die das Gesundheitspersonal, die Regierung und die Hilfsorganisationen überwinden müssen, um das gesamte Land zu erreichen, sobald die Impfstoffe in größerem Umfang verfügbar sind. Hilfsorganisationen sagen, dass 120 von Afghanistans rund 400 Distrikten - mehr als ein Viertel - als "schwer erreichbar" gelten, weil sie abgelegen sind, ein aktiver Konflikt herrscht oder mehrere bewaffnete Gruppen um die Kontrolle kämpfen. Ob eine Impfkampagne erfolgreich ist oder scheitert, hängt oft von den Beziehungen zu den lokalen Befehlshabern ab, die von Distrikt zu Distrikt sehr unterschiedlich sein können (NH 7.4.2021).

Mit Stand 2.6.2021 wurden insgesamt 626.290 Impfdosen verabreicht (WHO 4.6.2021; vgl UNOCHA 3.6.2021). Etwa 11% der Geimpften haben beide Dosen des COVID-19-Impfstoffs erhalten. Insgesamt gibt es nach wie vor große Bedenken hinsichtlich des gerechten Zugangs zu Impfstoffen für Afghanen, insbesondere für gefährdete Gruppen wie Binnenvertriebene, Rückkehrer und nomadische Bevölkerungsgruppen sowie Menschen, die in schwer zugänglichen Gebieten leben (UNOCHA 3.6.2021).

Gesundheitssystem und medizinische Versorgung

COVID-19-Patienten können in öffentlichen Krankenhäusern stationär diagnostiziert und behandelt werden (bis die Kapazitäten für COVID-Patienten ausgeschöpft sind). Staatlich geführte Krankenhäuser bieten eine kostenlose Grundversorgung im Zusammenhang mit COVID-19 an, darunter auch einen molekularbiologischen COVID-19-Test (PCR-Test). In den privaten Krankenhäusern, die von der Regierung autorisiert wurden, COVID-19-infizierte Patienten zu behandeln, werden die Leistungen in Rechnung gestellt. Ein PCR-Test auf COVID-19 kostet 3.500 Afghani (AFN) (IOM 18.3.2021).

Krankenhäuser und Kliniken haben nach wie vor Probleme bei der Aufrechterhaltung oder Erweiterung der Kapazität ihrer Einrichtungen zur Behandlung von Patienten mit COVID-19 sowie bei der Aufrechterhaltung wesentlicher Gesundheitsdienste, insbesondere in Gebieten mit aktiven Konflikten. Gesundheitseinrichtungen im ganzen Land berichten nach wie vor über Defizite bei persönlicher Schutzausrüstung, medizinischem Material und Geräten zur Behandlung von COVID-19 (USAID 12.1.2021; vgl. UNOCHA 3.6.2021, HRW 13.1.2021, AA 16.7.2020, WHO 8.2020). Bei etwa 8% der bestätigten COVID-19-Fälle handelt es sich um Mitarbeiter im Gesundheitswesen (BAMF 8.2.2021). Mit Mai 2021 wird vor allem von einem starken Mangel an Sauerstoff berichtet (TN 3.6.2021; vgl. TG 25.5.2021).

Während öffentliche Krankenhäuser im März 2021 weiterhin unter einem Mangel an ausreichenden Testkapazitäten für die gesamte Bevölkerung leiden, können stationäre Patienten während ihres Krankenhausaufenthalts kostenfreie PCR-Tests erhalten. Generell sind die Tests seit Februar 2021 leichter zugänglich geworden, da mehr Krankenhäuser von der Regierung die Genehmigung erhalten haben, COVID-19-Tests durchzuführen. In Kabul werden die Tests beispielsweise im Afghan-Japan Hospital, im Ali Jennah Hospital, im City Hospital, im Alfalah-Labor oder in der deutschen Klinik durchgeführt (IOM 18.3.2021). Seit Mai 2021 sind 28 Labore in Afghanistan in Betrieb - mit Plänen zur Ausweitung auf mindestens ein Labor pro Provinz. Die nationalen Labore testen 7.500 Proben pro Tag. Die WHO berichtet, dass die Labore die Kapazität haben, bis zu 8.500 Proben zu testen, aber die geringe Nachfrage bedeutet, dass die Techniker derzeit reduzierte Arbeitszeiten haben (UNOCHA 3.6.2021).

In den 18 öffentlichen Krankenhäusern in Kabul gibt es insgesamt 180 Betten auf Intensivstationen. Die Provinzkrankenhäuser haben jeweils mindestens zehn Betten auf Intensivstationen. Private Krankenhäuser verfügen insgesamt über 8.000 Betten, davon wurden 800 für die Intensivpflege ausgerüstet. Sowohl in Kabul als auch in den Provinzen stehen für 10% der Betten auf der Intensivstation Beatmungsgeräte zur Verfügung. Das als Reaktion auf COVID-19 eingestellte Personal wurde zu Beginn der Pandemie von der Regierung und Organisationen geschult (IOM 23.9.2020). UNOCHA berichtet mit Verweis auf Quellen aus dem Gesundheitssektor, dass die niedrige Anzahl an Personen die Gesundheitseinrichtungen aufsuchen auch an der Angst der Menschen vor einer Ansteckung mit dem Virus geschuldet ist (UNOCHA 15.10.2020) wobei auch die Stigmatisierung, die mit einer Infizierung einhergeht, hierbei eine Rolle spielt (IOM 18.3.2021; vgl. UNOCHA 3.6.2021, UNOCHA 18.2.2021, USAID 12.1.2021).

Durch die COVID-19 Pandemie hat sich der Zugang der Bevölkerung zu medizinischer Behandlung verringert (AAN 1.1.2020). Dem IOM Afghanistan COVID-19 Protection Monitoring Report zufolge haben 53 % der Bevölkerung nach wie vor keinen realistischen Zugang zu Gesundheitsdiensten. Ferner berichteten 23 % der durch IOM Befragten, dass sie sich die gewünschten Präventivmaßnahmen, wie den Kauf von Gesichtsmasken, nicht leisten können. Etwa ein Drittel der befragten Rückkehrer berichtete, dass sie keinen Zugang zu Handwascheinrichtungen (30%) oder zu Seife/Desinfektionsmitteln (35%) haben (IOM 23.9.2020).“

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen konnten auf Basis der Niederschriften über die Erstbefragung des Beschwerdeführers, über seine weitere Einvernahme durch die belangte Behörde, des Beschwerdevorbringens, der mündlichen Verhandlung, der Länderberichte zur Lage in Afghanistan, der dazu erstatteten Stellungnahme des Beschwerdeführers und der von ihm vorgelegten Unterlagen getroffen werden.

2.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen zu Namensführung des Beschwerdeführers, Staatsangehörigkeit, Volksgruppenzugehörigkeit, Berufstätigkeit, Muttersprache und weiteren Sprachkenntnissen basieren auf den diesbezüglich glaubhaften Aussagen des Beschwerdeführers im Verlauf des Verfahrens, insbesondere in der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht.

2.1.1. Die Feststellungen zum Familienstand des Beschwerdeführers (ledig) ergeben sich aus folgenden Überlegungen:

2.1.1.1. Gemäß § 16 Abs. 2 IPR-G ist die Form einer Eheschließung im Ausland nach dem Personalstatus jedes der Verlobten zu beurteilen; es genügt jedoch die Einhaltung der Formvorschriften des Ortes der Eheschließung. Nach der Vorbehaltsklausel (ordre public) des § 6 leg.cit. ist eine Bestimmung des fremden Rechtes nicht anzuwenden, wenn ihre Anwendung zu einem Ergebnis führen würde, das mit den Grundwertungen der österreichischen Rechtsordnung unvereinbar ist. An ihrer Stelle ist erforderlichenfalls die entsprechende Bestimmung des österreichischen Rechtes anzuwenden.

Gemäß § 1 EheG sind Personen, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, ehemündig (Abs. 1). Das Gericht hat eine Person, die das 16. Lebensjahr vollendet hat, auf ihren Antrag für ehemündig zu erklären, wenn der künftige Ehegatte volljährig ist und sie für diese Ehe reif erscheint (Abs. 2). Geschäftsunfähige Personen können keine Ehe eingehen (§ 2 leg.cit.). Eine Ehe ist gemäß § 22 EheG nichtig, wenn einer der Ehegatten zur Zeit der Eheschließung nicht ehefähig war und nicht der Aufhebungsgrund des § 35 vorliegt (Abs. 1). Die Ehe ist jedoch als von Anfang an gültig anzusehen, wenn der Ehegatte nach Eintritt der Ehefähigkeit zu erkennen gibt, dass er die Ehe fortsetzen will (Abs. 2).

2.1.1.2. Der Verwaltungsgerichtshof führte in seinem Erkenntnis (vgl. VwGH vom 10.06.2021, Ro 2021/18/0001 mit Hinweis auf Ra 2020/14/0006 vom 03.07.2020) neben dem Erfordernis der Ermittlung des anzuwendenden Sachrechts aus, dass bei der Beurteilung, ob eine dem „ordre public“ widerstreitende Kinderehe vorliegt, darauf Bedacht zu nehmen ist, ob die Entscheidung über die Eheschließung ohne Einschränkung der Willensfreiheit, insbesondere ob die Ehe selbstbestimmt und ohne Zwang eingegangen wurde, und ohne Anknüpfung an Bedingungen erfolgt ist. Durch die Eheschließung und das im Eheband erfolgte Leben darf zudem der Schutz des Kindeswohles, insbesondere die Wahrung der (Persönlichkeits-)Rechte des Minderjährigen sowie der Schutz vor Ausbeutung und unzulässigen Verpflichtungen jeglicher Art, nicht in wesentlicher Weise beeinträchtigt sein. Dabei wird - neben der stets bei der Prüfung nach § 6 IPRG zu beachtenden Intensität der Inlandsbeziehung - regelmäßig dem Alter der Ehepartner und im Besonderen der daraus resultierenden Einsichtsfähigkeit nicht unwesentliche Bedeutung zukommen. Zudem sind der Bestand, die Dauer und die Ausgestaltung der Ehe sowie der Wille des minderjährigen Ehepartners einer näheren Betrachtung zu unterwerfen. Aber auch weitere, den Einzelfall betreffende Umstände, etwa ob in Bezug auf die Eheschließung eine ernsthafte (und nicht bloß formelhafte) Überprüfung der Reife der Ehepartner und der Bereitschaft, die Ehe aus freien Stücken einzugehen, durch Behörden oder Gerichte stattgefunden hat, werden ebenso Berücksichtigung zu finden haben, wie der Wille des bei Eheschließung noch minderjährigen, aber mittlerweile volljährigen Ehepartners, die Ehe fortzusetzen, und worauf dieser Entschluss zurückzuführen ist. Dabei ist insoweit ein strenger Maßstab anzulegen, als jedenfalls verlässlich ausgeschlossen werden können muss, dass von einer von einer minderjährigen Person im Ausland geschlossenen Ehe, die Rechtswirkungen im Inland zeitigen soll, eine Gefährdung des „ordre public“ ausgeht, indem eine maßgebliche Beeinträchtigung des Kindeswohles oder des freien Ehewillens vorliegt.

2.1.1.3. Das afghanische Zivilrecht setzt die freie Willenserklärung, vor zwei volljährigen Zeugen und einem Mullah voraus. Das Registrieren der Ehe ist keine Gültigkeitsvoraussetzung. Der Beschwerdeführer hat vorgebracht, dass er vor einem Mullah und Nachbarn als Zeugen seine minderjährige Cousine ms geheiratet hat. Insofern ist von einer – zumindest nach traditionellem islamischen (afghanischem) Recht – gültigen Ehe auszugehen.

Die Ehefrau war zum Zeitpunkt der Eheschließung, die etwa fünf Monate vor der Ausreise des Beschwerdeführers nach Europa stattgefunden hat, etwa 15 Jahre alt, der Ehemann und Beschwerdeführer etwa 16 Jahre. Befragt zu den Umständen der Eheschließung gab der Beschwerdeführer in der mündlichen Beschwerdeverhandlung Folgendes an: „Es war eine Zeit, da gab es sehr viel Unglück bei uns zu Hause. Mein Vater war tot. Meine Mutter, meine Schwester und mein Bruder haben geweint. Mein Onkel ms. ist gekommen, ich weiß nicht, warum er das gesagt hat. Vielleicht wollte er uns eine Freude machen oder es hatte einen anderen Grund. Er sagte, ich habe deinem Vater versprochen, dass ich meine Tochter seinem Sohn geben werde, hier ist meine Tochter, heirate sie. Ich wollte ein wenig Freude ins Haus bringen und aus diesem Grund habe ich das gemacht, so hat sich das ergeben.“ Zum Einverständnis seiner Cousine ms. zur Eheschließung gab der Beschwerdeführer an, „wenn Mutter oder Vater ihr Einverständnis geben, müssten die Kinder heiraten“.

Daraus ergibt sich für das erkennende Gericht, dass die Eheschließung nicht dem freien Willen der Eheleute entsprochen hat.

Zu Bestand, Dauer und Ausgestaltung der Ehe sowie der Wille der bei Eheschließung noch minderjährigen, aber mittlerweile volljährigen Ehepartnern, die Ehe fortzusetzen ist auszuführen, dass der Beschwerdeführer etwa fünf Monate nach Eheschließung ausreiste und sich seit nunmehr fünfeinhalb Jahren in Österreich befindet; es gibt keine Kinder aus dieser Verbindung. Allein aus dem Umstand, dass der Beschwerdeführer an der Verbindung festhält und die Cousine ms. nach Angaben des Beschwerdeführers nach wie vor bei seiner Mutter lebt kann nicht darauf geschlossen werden, dass sie am Fortbestand der Ehe festhält, zumal sie sich in Jalalabad aufhalten und die Familie der Cousine ms. im Heimatdorf in Laghman.

Zusammengefasst geht das erkennende Gericht davon aus, dass keine rechtskonforme Ehe des Beschwerdeführers mit seiner Cousine ms. nach dem IPR-G in Österreich besteht, da nach den oben dargelegten Überlegungen die in Afghanistan nach islamischen Recht geschlossene Verbindung den Grundwerten der österreichischen Rechtsordnung widerspricht, indem eine maßgebliche Beeinträchtigung des Kindeswohles bzw. des freien Ehewillens vorliegt.

2.1.2. Das Datum der Asylantragstellung basiert auf dem Inhalt des Verwaltungsaktes.

Die Feststellungen über den Geburtsort des Beschwerdeführers in der Provinz Laghman stützen sich auf die gleichbleibenden Aussagen des Beschwerdeführers im Verwaltungsverfahren und in den mündlichen Verhandlungen. Die Feststellungen zu seiner Familie stützen sich auf die Aussagen des Beschwerdeführers im Laufe des Verfahrens.

2.2. Zu den Fluchtgründen und einer allfälligen Verfolgungsgefahr des Beschwerdeführers:

2.2.1. Das Vorbringen zu seinen Fluchtgründen bzw. zur Furcht vor Verfolgung im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan ergibt sich insbesondere aus den Angaben bei der Erstbefragung und bei der Einvernahme vor dem BFA, aus dem Beschwerdeschriftsatz, der Ergänzung dazu sowie aus seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht.

Der Beschwerdeführer behauptete zusammengefasst, dass er von den Taliban verfolgt werde und die Verfolgung im Zusammenhang mit dem Tod seines Vaters, eines Mitarbeiters der afghanischen Militärakademie, stehe.

Zu den vorgebrachten Fluchtgründen wird vom erkennenden Gericht im Einzelnen Folgendes festgestellt:

Festzuhalten ist, dass die geltend gemachten Verfolgungsgründe nicht bewiesen worden sind. Daher ist zur Beurteilung, ob die Verfolgungsgründe als glaubhaft gemacht anzusehen sind, auf die persönliche Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers und das Vorbringen zu den Fluchtgründen abzustellen.

2.2.2. Der Beschwerdeführer vermochte eine Verfolgung im Sinne der GFK nicht nachvollziehbar darzulegen. Dies aus folgenden Gründen:

In der Erstbefragung gab der Beschwerdeführer an, in Afghanistan von den Taliban verfolgt zu werden. Sein Vater habe für die afghanischen Behörden gearbeitet und sei von Taliban bedroht, verfolgt und getötet worden. Die Taliban forderten auch ihn auf, sich ihnen anzuschließen; da er sich weigerte, sei er von den Taliban verfolgt worden. Im Falle einer Rückkehr fürchte er von den Taliban getötet zu werden.

In der niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA schilderte der Beschwerdeführer erstmals vom Vorfall, der zur fluchtartigen Ausreise geführt habe. Nachts seien Taliban vor der Haustür gestanden. Die Mutter habe sie erkannt und den Beschwerdeführer informiert. Er sei daraufhin über das Dach aus dem Haus gelangt und über eine Mauer in den Garten der Nachbarn geklettert. Nachdem die Taliban ihn im Haus nicht haben finden können, hätten sie das Haus verwüstet und seien mit der Drohung, der Beschwerdeführer solle sich bis zum nächsten Abend stellen, sonst würden sie die gesamte Familie töten, verschwunden. Der Beschwerdeführer sei in seiner Heimat nicht mehr sicher gewesen und habe beschlossen das Land zu verlassen. Darüber hinaus sei der Beschwerdeführer auch vom Mullah der örtlichen Moschee immer wieder aufgefordert worden, mit den Taliban zusammenzuarbeiten.

Hinsichtlich der behaupteten Verfolgungssituation hat die erkennende Richterin den Eindruck gewonnen, dass der Beschwerdeführer – basierend auf dem wahren Kern seines in der afghanischen Militärakademie tätigen und verstorbenen Vaters – eine erfundene Fluchtgeschichte präsentierte:

Der Beschwerdeführer behauptete in der mündlichen Verhandlung, er sei vor dem Tod des Vaters nicht bedroht worden. Die Rekrutierungsversuche der Taliban haben rund ein Jahr nach dem Tod des Vaters begonnen und ca. drei Monate gedauert. Zudem gab er im Rahmen der mündlichen Verhandlung erstmals an, dass seine Mutter bedroht worden sei; wann genau konnte er nicht sagen, er selbst sei noch sehr jung gewesen. Dass die Mutter wissen würde, dass jene Taliban, die den Vater getötet hätten, auch hinter dem Beschwerdeführer her seien, erscheint nicht glaubwürdig, zumal der Vater in Kabul am Arbeitsplatz bedroht wurde. Am Ende gestand der Beschwerdeführer ein, dass er nicht sagen könne, welche Taliban konkret den Vater getötet haben und welche vor seinem Haus aufgetaucht seien. Es entstand der Eindruck, dass der Beschwerdeführer nicht weiß, wer und unter welchen Umständen seinen Vater getötet wurde. Dies wird auch durch seine ausweichenden Antworten zu den Fragen nach den Todesumständen des Vaters vor dem BFA bestätigt. Der Beschwerdeführer konnte in der mündlichen Verhandlung auch nicht nachvollziehbar darlegen, dass zwischen seinen vermeintlichen Verfolgern und dem Tod seines Vaters ein Zusammenhang besteht und meinte: „Woher ich das weiß? Das ist etwas Offensichtliches, dass es dieselbe Person ist, die hinter mir her ist und auch hinter mein

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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